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(1888-1965) [mit NS-Vergangenheit] Logik und Systematik der Geisteswissenschaften [2/2]
I. Analytischer Teil II. Die weltanschaulichen Kategorien 1. DER DUALISTISCHE IDEALISMUS Die Geisteswissenschaften sind eingespannt in die großen weltanschaulichen Gegensätze. In ihnen liegt der Schlüssel zu sämtlichen methodlogischen Problemen. I. Als HEGEL seine große Synthese schuf, die nicht zufällig die Geisteswissenschaften so stark zu befruchten vermocht hat, da war es keineswegs allein die konstruktive Seite derselben, die dialektische Methode, die damit, wie die konventionelle Geschichtsauffassung es sieht, zu einer vorübergehenden, später durch den Empirismus der historisch-kritischen Methoden abgelösten Herrschaft gelangte. In einem System waren alle großen Potenzen der geistesphilosophischen Entwicklung gebunden, und vermögen deshalb als solche und unter gänzlicher Abstraktion von ihren historischen Verwirklichungsformen aus demselben herausgelöst zu werden. Ihre Analyse soll exemplarisch sein, auf historische Erkenntnis kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. In HEGELs System war in erster Linie der Naturalismus nach dem Voranschreiten KANTs und FICHTEs weit zurückgedrängt. Die deutschen Philosophen von KANT bis HEGEL sind Klassiker des Idealismus. Dieser Gegensatz des Idealismus und Naturalismus bedarf von allen Weltanschauungsfragen am wenigsten der eingehenden Erörterung. Er ist als der populärste weltanschauliche Gegensatz in unzähligen Schriften herausgearbeitet, klassisch von FICHTE in der "Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre". Übertreffbar, aber monographisch bisher unübertroffen im großen Werk von ERNST LAAS "Idealismus und Positivismus" (1879), das mit der Analyse des Theaitetos als der ersten großen Kampfschrift des Idealismus gegen den Positivismus einsetzt. Die heftigen Auseinandersetzungen der Neukantianer und Positivisten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bieten noch manch weiteres beachtenswertes Motiv. Zur abschließenden Erkenntnis dieser Gegensätze fehlt noch immer dies: Erstens, eine Einsicht in den vollen Erscheinungsreichtum der idealistischen Motive. Und zwar nicht nur hinsichtlicher der von den verschiedenen idealistischen Standpunkten vertretenen Grundbegriffe, wie Idee, Wert, Zweck, Subjekt usw., sondern auch zweitens, hinsichtlich der Erscheinungs gebiete wie Erkenntnistheorie, Ethik, Rechtsphilosophie, Kunstphilosophie. Und schließlich bleibt die große Aufgabe: die idealistische Grundtendenz, die sich dieser mannigfachen systematischen Konzeptionen und Gebiete bemächtigt, in ihrem letzten Kern zu erkennen. Man hat den Gegensatz des Idealismus und Naturalismus in sehr verschiedenen Formeln zu erfassen gesucht. Sehr lehrreich neuerdings NICOLAI HARTMANN (Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 1921, Seite 90f) in der Alternative: entweder sei das Objekt dem Subjekt übergeordnet oder das Subjekt dem Objekt oder beide sind einem dritten untergeordnet. Aber der idealistische Standpunkt ist damit zwar unwiderleglich richtig, am Ende aber doch zu eng charakterisiert. Der idealistische Standpunkt ist weder ein vornehmlich erkenntnistheoretischer und metaphysischer, noch kann es ohne weiteres als selbstverständlich betrachtet werden, daß die Alternative Subjekt-Objekt alle übrigen genau so berechtigten Alternativen wie etwa die TRENDELENBURGs von Denken und Sein (1) oder die von RICKERT ausdrücklich dem Subjekt-Objekt-Gegensatz vorgezogene von Wert und Sein (2) umfaßt. Ansich ist der idealistische Standpunkt völlig gleichgültig dagegen ob er als Primat des Denkens, des Wertes, des Sollens, des Geltens, des Zweckes, der Idee, des Ideals, oder des Subjekts, des Bewußtsein, der Person, der Vernunft, des Geistes, der Seele (im emphatischen Sinn) oder des Apriori, der Form, der Einheit, der Identität, oder der Tat, der Autonomie, der Spontanität, der Freiheit oder Gottes, der Transzendenz usw. auftritt. In allen diesen Begriffen vermag sich die idealistische Grundtendenz im Wechsel der Systeme zu behaupten. Am deutlichsten vielleicht in der Spannung zu den jweiligen Gegenbegriffen, deren Aufzählung sich erübrigt. Denn aller Idealismus ist dualistisch. II. Dabei ist zu beachten, daß diese Begriffe in so einem umfassenden Sinn gebildet werden, daß sie in ihrem Gegensatz zum Objekt, zum Sein, zur Wirklichkeit, zum Schein, über das metaphysische und erkenntnistheoretische Gebiet hinausgreifen. Es ist eine schlichte Frage der Konsequenz, daß ein idealistischer Erkenntnistheoretier auch eine idealistische Ethik, schließlich aber auch eine idealistische Rechtsphilosophie, Sprachphilosophie, Ästhetik usw. habe. Es ist eigentlich ganz selbstverständlich, daß einer idealistischen "Grundlegung" auch die durch dieselben "begründeten" besonderen Disziplinen entsprechen müssen. Zwar gibt es gewisse systematische Kunstgriffe, bestimmte Systemteile von einem solchen Systemzwang auszuschließen. Aber auch diese Kunstgriffe werden eben dies leisten müssen, daß der Widerspruch solcher Ausnahmen sich dem Ganzen widerspruchsfrei einfügt. Was im § 3 des ersten Kapitels angedeutet wurde, verdient nun nähere Beachtung. Wer als Erkenntnistheoretiker behauptet, den Inhalt des erkenntnisvermittelnden Begriffs aus der Sinnlichkeit zu empfangen, dem wird auch als Ethiker der Inhalt der sittlichen Erkenntnis aus der Sinnlichkeit, d. h. Empfindung und Gefühl zufließen. Das notwendige Korrelat des erkenntnistheoretischen Sensualismus ist der ethische Sensualismus ist der ethische Sensualismus, in welcher Abart immer er als Hedonismus ist der ethische Sensualismus, in welcher Abart auch immer er als Hedonismus, Eudämonismus usw., genau entsprechend den Besonderungen seines erkenntnistheoretischen Korrelats, auftreten wird. Wenn dem Geist (Subjekt usw.) apriorische Elemente, Formelelemente, Spontaneität, Autonomie usw. überhaupt fehlen (was meistens bei der Grundlegung der Systeme schon erledigt wird), dann müssen diese Momente auch auf den besonderen Gebieten fehlen. Wo das Bewußtsein eine tablua rasa ist, ohne Eigenlicht und Eigenschaft, da kann es sich nicht selbst bestimmen. Wo aber Idealbegriffe des Wirklichen jeder Erfahrung vorausgehen, wo angeborene Ideen den Geist bestimmen, wo die Spezies in ihm liegen, um bei der Berührung mit der Außenwelt auzuleuchten, wo die Sinnenwelt als trügerisch gilt, da ist es andererseits ausgeschlossen, daß eben dieser Sinnenwelt das sittliche Leben anvertraut werden wird. Und selbstverständlich gilt dann dasselbe für die der Ethik notwendig untergeordnete Rechtsphilosophie oder die Ästhetik. Freiheitslehren sind immer idealistisch. Juristische Milieutheorien genau so naturalistisch wie literarhistorische. Und ebenso gibt es im Ästhetischen ein Primat des Apriori, sei es des ideellen Gehaltes, sei es der ideellen Form. Und nicht nur die ästhetischen Theorien sind idealistisch. Nicht nur das Denken strebt nach widerspruchsloser Einheit. Dieser Satz gilt für den Geist überhaupt in der Totalität seiner produktiven Betätigungen. Auch der Künstler widerspricht sich nicht. Wäre es je denkbar, daß MICHELANGELO mit voller Verantwortung ein Bild im Stil der bekämpften Niederländer der Öffentlichkeit übergeben hätte? Oder spricht, um die Frage auf das Gebiet des Alltags und auf ein scheinbar weltanschaulich völlig neutrales hinüber zu spielen, spricht der Bayer oder Schwabe jemals mit Bewußtsein und im Ernst berlinerisch? Wo immer der Mensch verantwortungsvoll handelt, und das heißt durchaus noch nicht nach Prinzipien, Regeln und Rezepten handelt, da vertritt er notwendig einen Standpunkt. Und dieser Standpunkt hat seine Konsequenzen. Das Leben selbst strebt nach widerspruchsloser Einheit. Nicht als wäre das Leben als Ganzes widerspruchslos. Das ist nicht einmal die Wissenschaft. Als Ganzes umfaßt es notwendig auch Gegensätze. Und eben weil die Mächte, welche als Repräsentanten dieser Gegensätze auftreten, konsequent sind, deshalb führen sie im Rahmen der Lebenstotalität auch fortwährend zu kämpfen und Auseinandersetzungen. Das Ganze des Lebens ist also Bühne heftiger Lebenskämpfe. Aber als kämpfende Person oder Tat strebt auch das Leben als vorreflektiertes ständig nach Widerspruchslosigkeit und Konsequenz. Nur deshalb kann auch von einheitlichen Lebensstilen die Rede sein. Über genetische Beziehungen zwischen Leben und Geist ist damit noch gar nichts ausgesagt. Ob der einheitliche Stil des Lebens Quelle und Unterbau des Systems, oder ob der Ursprung derselben im reinen Erkennen liegt und von hier aus auf die ethische Sphäre und auf das Leben angewandt wird, steht hier noch gar nicht zur Diskussion. Es ist zum Verständnis aller Weltanschauungsprobleme von größter Wichtigkeit, daß unter Abstraktioin von allen psychologischen und genetischen Fragen sich der Blick zunächst einmal streng und ausschließlich auf Gehalte richtet. Es handelt sich nicht um Fakten und Prozesse, auch nicht um Stimmungen, sondern um geistige Gehalte. Solche birgt auch das Leben. Alles, was Gehalt ist, strebt als Geistiges notwendig nach Konsequenz. Demnach sind nicht nur Gedanken, sondern alle Äußerungen des Geistes, (und als "Äußerungen" im objektiven Sinn ist es zweckmäßig, Geistiges primär zu betrachten) untereinander verknüpft. Sie stehen zueinander in einem schlichten Verhältnis der Folgerichtigkeit, d. h. eine systematischen Verhältnis. Philosophische Systeme sind begründete Systeme. Lebenssysteme aber sind nicht minder Systeme zu nennen, denn sie sind begründbar. Aber schon jetzt scheint es notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß Weltanschauungen so wenig eindeutig in bestimmten psychischen Motiven oder gar angeborenen Charakteren wurzeln als bestimmte psychische Motive ihrerseits eindeutig mit bestimmten Weltanschauungen verknüpft sind. Aus Gründen methodischer Klarheit kann zunächst Weltanschauungslehre von "Psychognosis" (3) gar nicht scharf genug geschieden werden. "Herrschen" und "Lieben" scheinen mir deshalb nicht geeignet zu sein, eindeutig die Struktur philosophischer Weltanschauungen aufzuklären. Der Wille zur Herrschaft über die Natur liegt ebenso wie den naturalistischen Systemen so auch ausgesprochenermaßen der Weltanschauung FICHTEs zugrunde, so daß das Motiv eigentlich geeignet wäre, die diametralsten Gegensätze zu verwirren. Und das Wort Liebe hat von Jeher die himmlische und die irdische Liebe gedeckt. III. Was ist es nun, was die zahlreichen idealistischen Standpunkte gemeinsam haben? Was ist der gemeinsame weltanschauliche Hintergrund ihrer systematischen Mannigfaltigkeit? Am Gegensatz des Naturalismus wird derselbe am deutlichsten. Jede Weltanschauung und jedes philosophische System sucht im Gesamtbereich der dem Bewußtsein zugänglichen Welt ein Moment, das sich als letzte Instanz bestrachten läßt. Als unmittelbar Einseitiges, unmittelbar weil durch keine andere Instanz mehr vermittelt, daher aber auch nicht mehr beweisbar. Der Sensualist glaubt in letzter Instanz nur den Sinnen. Der Idealist entzieht eben diesen diesen letzten Wert. Er ist negativ betrachtet A-Sensualist oder Anti-Sensualist. Recht eigentlich außerhalb der Sinnenwelt stabilisiert er seine Instanz wie einen rocher de bronze [eherner Fels - wp] und diese belegt er dann mit den Namen des Göttlichen, Ewigen, Ideellen, Gültigen. Der Idealismus ist die Religion des Unbedingten. Damit sind alle seine weiteren Prädikate gesetzt. Dieses Unbedingte ist als fester Punkt in der Erscheinungen Flucht dem Werden entzogen. Es ist als übersinnliches der Zeitlichkeit enthoben. Es kann nicht fremden Zwecken dienen und ist somit Selbstzweck. Das heißt aber: es ist absolut. Es ist der Sinnlichkeit gegenüber transzendent. Und da es den Primat vor ihr hat, fallen ihm die Prädikate der Apriorität, der Form, der Spontaneität usw. zu. Es steht in der Sphäre des Handelns, dem sinnlichen Willen als ein Soll gegenüber. Und erzeugt damit den Urtypus jedes Dualismus. Es ist, wird es ins Subjekt verlegt, autonom, gegenüber den sinnlichen Bedingungen als spezifisch Heteronomem, es ist spontan, d. h. nicht bedingt, frei, d. h. sich selbst bestimmend. In dieser Fassung hat FICHTE den Idealismus vertreten, als die Autonomie der unzerstörbaren Person, und hat DILTHEY diesen Idealismus als "Idealismus der Freiheit" und "Idealismus der Person" charakterisiert. Es ist die subjektivistische Form des dualistischen Idealismus, welcher in den Begriffen der Idee, des Wertes, Gottes eine mehr objektivistische, sachliche, transzendente gegenübersteht. Wir fassen beide Formen unter den Titel des dualistischen Idealismus zusammen und behalten mit DILTHEY die Bezeichnung "objektiver Idealismus" einer anderen Abart des Idealismus vor, welche nicht im Rahmen einer ausgesprochen dualistischen Betrachtungsweise die Idee als sachliche oder transzendente begriff, sondern ganz andersartig dieselbe monistisch mit der Sinnlichkeit versöhnt und in ihr einkehren läßt. Der Grundcharakter des Naturalismus als des Gegenbegriffs aller idealistischen Lehren ist im vorigen Kapitel bereits mitbezeichnet. Er ist in kaum mehr Zweifeln ausgesetzter Weise als der Standpunkt der Sinnlichkeit zu bezeichnen. Aber zur Entdeckung aller Modalitäten dieses Standpunktes bedarf es wieder einiger Aufmerksamkeit. I. Daß das sinnliche Prinzip gleichermaßen in der objektiven und metaphysischen Fassung des Materialismus steckt wie in der subjektiven und erkenntnistheoretischen des Sensualismus, bedarf wohl, als zu elementar, keiner weiteren Ausführungen. Wenn gelegentlich ein rein sensualistischer und positivistischer Standpunkt wie der ERNST MACHs als ein "spiritualistischer" oder "idealistischer in die Nähe echter Idealismen gebracht wird, so ist das hermeneutisch einfach kümmerlich. Der springende Punkt ist dabei, daß in diesem wie in verwandten Standpunkten der Unterschied zwischen Sinnlichem und Nichtsinnlichem (wie dasselbe auch repräsentiert sein mag) zugunsten des ersteren beseitigt werden. So entstehen dann "Monismen" deren Grundcharakter dadurch nicht weniger materialistisch wird, daß die Materie in ihrem unverändert sinnlichen Charakter mit diesem oder jenem anderen Namen belegt wird. Entscheidend bleibt immer die Frage nach der letzten Instanz, und diese bilden hier ausgesprochenermaßen sinnliche Eindrücke. Den besten Prüfstein dafür geben immer die Wertfragen ab. Im übrigen kann man Impressionen verdichten so intensiv man will, sie bleiben Impressionen und vermitteln Materielles. Der Metaphysiker BERKELEY steht dieser Auffassung wesentlich fern. Dennoch bestehen formale Möglichkeiten dahingehend, daß in anderen Zusammenhängen die "Empfindung" der Materie oder der "Bewegung" auch einmal gegenübertritt. Dann wird sie ihr aber auch als Repräsentantin des Idealen ausdrücklich gegenüber gestellt. Man kann als Idealist über die verschiedenen Repräsentationen, die der idealistische Standpunkt im Lauf der Philosophiegeschichte erfahren hat, sehr verschiedener Meinung sein. Gemein ist allen diesen Standpunkten eine gemeinsame idealistische bzw. antinaturalistische Grundintention und die Feindschaft aller Naturalisten. Es gibt eine ganze Skala von Gestaltungen dieser idealistischen Grundabsicht. Den Naturalisten sind sie alle gleich irrig. Auf der primitivsten Stufe der idealistischen Kritik am Naturalismus steht der Einwand: die Materie oder Bewegung könne nie die "Empfindung" erklären. Hier wird die Empfindung verteidigt als das dualistische Prinzip. Und dieses wandert dann nach oben weiter zur Wahrnehmung, zum Bewußtsein, Denken und dem "Psychischen" überhaupt. Alles kommt dabei auf den dualistischen Akzent, auf die Entgegensetzung an, nicht auf einen Begriff der Empfindung oder des Psychischen als solchem. Der Schnitt, den der dualistische Idealismus durch die Welt legt, kann an sehr verschiedenen Stellen liegen, es kommt auf den Schnitt und erst in zweiter Linie auf die Stelle an, auf die er zu liegen kommt. Denn alle diese Begriffe können, aus der Perspektive ihrer jeweiligen idealistischen Nachbarbegriffe gesehen, auch auf der materiellen Seite zu liegen kommen. War die Empfindung eben Repräsentantin des Idealismus, so rückt sie z. B. von einem subjektivistisch-erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt aus notwendig auf den äußersten materiellen Pol, denn hier gibt es keine Materie, die links von ihr stehen könnte, hier tritt die Materie als Empfindung auf und stellt sich polemisch dem "Idealismus" der subjektiven allgemeingültigen Formen gegenüber. Andererseits ist Empfindung streng genommen noch nicht einmal die allerprimitivste Repräsentantin des Idealismus. Schon die "Bewegung" kann als solche auftreten. Im allgemeinen treten zwar Kraft und Stoff vereint als materialistische Grundbegriffe auf, aber die Möglichkeit besteht, daß die Kraft dem Stoff gegenübergestellt wird, und dann wird sie Keim des Idealen. Dasselbe gilt natürlich auch für das Leben. Dann geht die Skala des Idealismus aufwärts. Aus der Materie, so lautet seine Kritik am Naturalismus, kann das "Psychische" nicht erklärt werden. Dieses aber kann sich wiederum zur Seele, zum Idealen, zur Einheit des Bewußtseins steigern. Zumal an der "Seele" hängt bis ins 19. Jahrhundert hinein bereits alle Idealität. Nicht das "Psychische" als solches hat den Positivismus gestört, sondern das Psychische als Repräsentant des Idealen. Deshalb mußte DAVID HUME mit dem mit theologischen Beziehungen geladenen Substanz- und Zweckbegriffen zusammen den Begriff der seelischen Substanz zerstören. Erst als Gewühl oder als Verdichtung von Eindrücken ist die Seele nicht mehr imstande als selbständige Instanz gegenüber der Empfindung aufzutreten. Nun rückt die Skala mit einem Ruck nach oben. Sie verläßt bewußt die Welt des Wirklichen. Statt der Einheit des Bewußtseins, die eben noch als Faktum angesprochen werden konnte, wenn auch als wertgeladenes, sind es jetzt Einheit, Notwendigkeit, Allgemeingültigkeit, die dem Wirklichen als radikal "Anderes" entgegentreten. Das dualistische Argument trennt nun nicht mehr Physis und Psyche, und frägt nicht mehr: wie kann man Psychisches aus Physischem erklären, sondern frägt: wie könnten Fakten Werte begründen, oder lehrt aus wiederum veränderten aber weltanschaulich äquivalenten Aspekten: aus Zufall keine Zweckmäßigkeit, oder: aus Notwendigkeit keine Freiheit, oder: aus passivem Geschehen keine Spontaneität. Hier wo Wert und Wirklichkeit sich gegenüberstehen, sind Seele und Psychisches, die philosophiegeschichtlich Hauptrepräsentanten des Idealismus waren, längst ebenfalls auf die Wirklichkeitsseite hinübergerückt. Die Formen des Dualismus haben sich gewandelt, der Dualismus ist geblieben. II. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß grundsätzlich die Ethik, Pädagogik, Rechts- und Staatsphilosophie usw. eines naturalistischen Systems ebenfalls nur naturalistisch sein kann. Hierüber deshalb nur wenige Worte. Über die Struktur der naturalistischen Strafrechtstheorien belehrt jede Einleitung in die Rechtswissenschaft. Alle Grundbegriffe des Naturalismus als allgemeinen Systems müssen hier im besonderen auftreten: Milieu, Verringerung der Verantwortung, Aufgabe absoluter Ansprüche, Beantwortung der letzten normativen Fragen durch Hinweise auf faktische allgemeine humanitäre Tendenzen der Neuzeit usw. Aber dieser Geist bleibt nicht nur theoretisch. Er durchtdringt Gesetzgebung, Rechtspflege, Institutionen, das Gefängniswesen verändert unter seinem Einfluß sein Gesicht. Dasselbe gilt für die Kunst. Nicht nur die naturalistische Kunstlehre, sondern die naturalistische Kunst selbst kennt nur Wirklichkeiten und sieht den Menschen in ihrem Kreislauf eingeschlossen, eine Welle unter Wellen. Die Klage über die Vergänglichkeit des Lebens ist bereits relativ auf das Glücksverlangen des Individuums. Dieser Grundtendenz kann die naturalistische Kunst in höchst verschiedener Weise Ausdruck geben. Sie kann den Menschen an den Stoff binden durch die Bevorzugung animalischer Sujets [Inhalte, Motive - wp], aber ebenso indem sie das Empfinden seines Eingeordnetseins in naturale Gesetzlichkeiten erregt. So als darstellende Kunst. In lyrischer Einstellung empfängt ihr Ausdruck die Färbung des "Dokumentierens". Das document humain ist nicht Ausdruck überhaupt und nie Ausdruck eines gehobenen Zustandes, sondern immer eines menschlichen im Sinne des Menschlich-allzumenschlichen. Es bietet einen unmittelbaren Einblick in menschliche Grenzen, Gebrechen und Schwächen, es desillusioniert. Im übrigen kann die Stellungnahme des Naturalismus zur Wirklichkeit die denkbar mannigfaltigste sein. Der Naturalismus und Sensualismus kann ebenso derb, brutal, animalisch wie auch überfeinert, ebenso genießend wie resigniert, ebenso sentimental wie heroisch sein. Daß die Begründer der englischen positivistischen Philosophie als Politiker zugleich die Begründer der radikalen Partei waren, ist natürlich ebenfalls kein Zufall. Ihre politischen Anschauungen sind die schlichte Konsequenz ihrer Ethik und diese ihrer Erkenntnistheorie. Dabei sind "Konsequenzen" selbstverständlich umkehrbar. Wo jeweils die Impulse lagen und liegen, bleibt vorläufig dahingestellt. Ein Blick auf die politische Rolle aller positivistischen Philosophen bis in die Gegenwart bestätigt dieses Konsequenzverhältnis. Sie stehen sich politische alle nahe. Von bestimmten erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aus kann man politisch konsequenterweise nur Pazifist sein. Daß HOBBES "Restaurationsphilosoph" war, ist nicht nur keine Ausnahme, sondern von den bestimmten Prämissen seines pessimistischen Naturalismus aus genauso konsequent wie der Liberalismus LOCKEs und der Radikalismus der MILLs. Man hat gelegentlich gemeint, die DILTHEYs Einteilung der metaphysischen Weltanschauungen in Idealismus der Freiheit, objektiven Idealismus und Naturalismus sei unvollständig und umfaßt z. b. nicht die großen asiatischen Religionssysteme. Aber ewas der "weise Mandarin", wie ihn MAX WEBERs Religionssoziologie zeichnet, der "Franzose des Ostens", trägt doch sehr deutlich alle Kennzeichen des Naturalismus. Mögen immer die Naturgrundlagen der vorderasiatischen -Religionen durchsichtiger sein. Und Nirvana, Rad der Wiederkehr, Pessimismus und Leiden sind ausgesprochenermaßen naturalistische Begriffe. Sie stehen in einer durchsichtigen Relation zu einer unerhörten Sensibilität und einer für ganz Asien charakteristischen von den christlich-europäischen völlig verschiedenen erotischen Grundlage des Lebens. Im übrigen hat EDUARD von HARTMANN seinen idealistischen ethischen Standpunkt bestimmt von seinem eudämonistischen Pessimismus unterschieden. Die großen pessimistischen Systeme konstituieren sich dadurch, daß sie im sinnlichen Glück einen letzten Maßstab erkennen, Resignation, bestimmte resignierte Formen der "Weisheit", alle Versuche die Natur zu überlisten, sind relativ auf dieses höchste Gut. III. Der Idealismus ist die Religion des Unbedingten. Dieses Unbedingte ist ansich eine ebenso positive Setzung wie die Sinnlichkeit als letzte Instanz aller naturalistischen Werturteile und Erkenntnisse. Da aber die beiden großen gegensätzlichen Systeme nebeneinander erwachsen, verdeutlicht sich der naturalistische Standpunkt nicht weniger als ein anti-idealistischer, als es der idealistische als der anti-sensualistische tut. Der Kampf gegen das Apriori in jeder Form ist geradezu das primäre Agens vieler naturalistischer Systeme. Und wieder sind die ethischen Auswirkungen dieses Kampfes neben den erkenntnistheoretischen ständig im Auge zu behalten. Es ist der Kampf gegen Jllusionen, Idole und Wahngebilde, den sie ausfechten. Dieser Kampf wird jedoch nicht nur offen ausgefochten, seine versteckten Formen sind nicht minder beachtenswert. Es gibt sehr verschiedene Möglichkeiten Formen, Ideale, Unbedingtes aus der Welt auszuscheiden. Zunächst die: man behandelt sie als Wirklichkeiten, man hebt ihre Sonderart monistisch auf. Auch dies kann auf verschiedene Weise bewerkstelligt werden. A. Man bezeichnet die Welt der Formen als erfahrbar oder gegeben und legt so die Scheidewand zwischen ihnen und den sinnlichen Eindrücken nieder. Das apriorische wird bei MILL "vorgefunden". Auch die mathematischen Wahrheiten beruhen ihm auf Erfahrung und sind Abstraktionsprodukte aus ihr. Das ist die spezifisch "empirische Lösung". B. Die Ideale werden erklärt. Ein erklärtes ist kein unbedingtes mehr. Die Ursache ist der Wirkung transzendent, die Wirkung verliert damit ihre Autonomie.
b) Ist die Ursache, auf welche eine geistige Erscheinung zurückgeführt wird, eine grob sinnliche, so zieht sie das Geistige zu sich herab. Die Religion (welche "wahr" sein will) aus der Furcht zu erklären, war, mag diese Theorie noch so sehr als schlicht genetische auftreten, alle Zeit ein Mittel der Religions kritik. Sie sank auf das allzumenschliche Niveau der Furcht. c) Ganz ungeachtet aber des besonderen Wertcharakters der Ursachen bedeutet eine Subsumtion unter gesetzliche Notwendigkeiten stets eine Entwertung. Die Notwendigkeit des Naturgesetzes ist wertfrei. Es ist wie es ist. d) Eine Entstehung nach Naturgesetzen aber trägt von der Geltung des Resultats her gesehen noch einen weiteren Charakter: für die Geltung ist diese Genese, wie naturgesetzlich sie auch sein mag, etwas rein zufälliges. Der Prozeß ist als naturgesetzlicher notwendig ohne Beziehungen auf den Sinn des Ergebnisses. 1. Die Assoziationspsychologische Methode, welche die höchsten Denkgebilde aus elementaren herleitet, Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung, Erinnerung und Assoziation zur ihrer Erklärung heranzieht, fällt unter alle vier Gesichtspunkte. Man kann Empfindungen kombinieren so viel man will, das Gebilde bleibt ein sensuelles. Die Anwendung des Terminuns "kompliziert" oder "Komplex" auf die geistige Welt ist immer das deutlichste Kennzeichen nicht überwundener naturalistischer Prämissen. Die Assoziationsgesetze sind Seinsgesetze, die zu kritisieren sinnlos wäre. Das Moment der Gewohnheit, welches bei HUME die Entstehungen der Kausalvorstellungen erklärt, deutet recht drastisch auf den a-teleologischen und nicht in sich gültigen Charakter dieser Kategorie hin. Übung und Gewohnheit sind Prozesse, deren Verlauf ansich zufällig für die Gültigkeit ihres Ergebnisses ist. Auch die Tiere kennen Übung und Gewohnheit. 2. Dasselbe ist von allen anderen "analytischen" Theorien des Geistigen zu sagen. Mögen sie nun als sprachwissenschaftliche Bedeutungstotalitäten, in deren Ausdruck und Vermittlung der alleinige Sinn des Sprechens liegt, in Sätze, Worte, Silben, Laute zerlegen oder diese gar nach unverbrüchlichen Lautgesetzen sich bewegen lassen, oder mögen analytische Gesellschaftstheorien die Gesellschaft aus individuellen Atomen ableiten. Womit deutlich bekundet ist, daß das gesellschaftliche Ganze auf der Linie dieser Atome liegt, diesen gegenüber nichts qualitativ anderes und nichts denselben Transzendentes ist. Oder mögen schließlich naturalistische Ästhetiken glauben, durch Summierung und Kombination elementarer, sensueller "Eindrücke" zum Verständnis "komplexer" künstlerischer Gebilde aufsteigen zu können. 3. Ganz charakteristisch für den Typus b) ist neben dem schon erwähnten religionsphilosophischen Beispiel die psychoanalytische Methode, soweit sie beansprucht geisteswissenschaftliche Prinzipienlehre zu sein. Geistiges als sublimierte Libido bleibt eben Libido. Die Sublimation ist nicht besser als die Komplexion geeignet den Charakter der ausschlaggebenden Elemente zu verwischen. Sollte Geistiges gar eine Art von Degenerationsprodukt sein, so würde der naturalistische Charakter dieser Lehren noch durchsichtiger. Charakteristischerweise taucht im Rahmen dieser Theorien immer wieder das Wort "eigentlich" auf. Das Geistige ist und bleibt aber das was es "eigentlich" ist. Dem Materialisten ist es "eigentlich" etwas Physisches. "Eigentlich" sind auch dem historischem Materialismus die Ideologien etwas anderes, als was sie zu sein vorgeben. Und "eigentlich" sind die sittlichen Werte dem naturalistischen Ethiker Nutzwerte bzw. egoistischen Ursprungs. Was in sich wertvoll ist, bedarf keiner "Erklärung" d. h. Ableitung mehr. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Psychologisten, welche geistige Werte auf unableitbare psychische "Triebe" oder sonstwie geartete Keime zurückführen, ihrer Grundintention nach oft idealistisch. Im Grunde genommen ist der Unterschied kein so fundamentaler, ob unableitbare Werte oder ob unableitbare Triebe als schlechthin letzte Instanz gesetzt werden. Jedenfalls bedürfnen diese Standpunkte noch jeweils der Interpretation. Aber alles Ableiten und jedes "eigentlich" weist untrüglich auf naturalistische Ansätze hin. In der epikureischen Auffassung der Sittlichkeit als "verfeinertem" Egoismus ist das Schema der Sublimierung bereits klar gegeben. Und diese streng analog zur sensualistischen Reduktion des Erkennens auf die Sinne aufgebaute Ethik behält ihren Grundcharakter, ob das Sittliche zum wahrhaft sublimen Genuß wird wie bei BOLINGBROKE, CHESTERFIELD, LAROCHE-FOUCAULD, La BRUYIÉRE, HELVETIUS, LAMETTRIE, zur sublimierten Eitelkeit wie bei CHAMFORT, zur sublimierten Angst wie bei HOBBES oder zu irgendwie transformierter Nützlichkeit. Wie vohrin die Lehre "ursprünglicher Triebe" so kann im Zusammenhang dieser ethischen Erörterungen die "angeborene" Güte der menschlichen Natur, ein angeborener Altruismus die Stellvertretung des Idealismus übernehmen. So sind auch die intuitionistischen Ethiker, welche Werte unmittelbar erfassen, Idealisten. 4. Neben diesen psychologischen Theorien steht eine bedeutsame Gruppe von Lehren, die unter dem Titel evolutionistischer Theorien zusammengefaßt werden können. Zwar haben wir es in ihnen mit einer ganz bestimmten Abart des Evolutionismus zu tun: mit einer mechanistischen Lebensauffassung und einer epigenetischen Evolution. Die E-volutio im strengen Sinn (von der das III. Kapitel handelt) ist idealistisch. ARISTOTELES begriff den Staat als Entfaltung elementarer gesellschaftlicher Gebilde wie der Familie; seine seelischen Unterlagen sind präformiert in im Wesen der Gattung liegenden sozialen Trieben. Im "Keim" liegt immer schon ein "Ganzes". Er ist ein elementares Ganzes. Seine Entfaltung mag noch so viel Überraschungen bringen, die Struktur bleibt in jeder Hinsicht dieselbe. Es wird manches anders, aber es wird kein Anderes. HOBBES dagegen erklärt den Staat von außen, aus einem Anderen. Der Wert des Staates im Interesse der "Wölfe", welche ihn als Mittel ihres Friedens schufen. Dasselbe Zweckgebilde, das hier mechanisches Machwerk kluger Subjekte ist, vollbringt für den Darwinismus in einem objektiven mechanischen Prozeß die Natur. In genialer Wendung hat DARWINs Theorie der natürlichen Zuchtwahl das uralte, der Antike wohlbekannte Schema erneuert: Entstehung von Zweckmäßigem aus Nichtzweckmäßigem. Mit eherner Notwendigkeit erzeugen gewisse weltanschauliche Akzentuierungen bestimmte immer wiederkehrende Probleme. Was PLATO im X. Buch der Gesetze über die Entstehung von Zweckmäßigem aus Zufälligem sagt gilt für DARWIN bzw. den darwinistischen Evolutionismus als Weltanschauung ebenso wie für PLATOs antike Gegner. Die Theorie der natürlichen Zuchtwahl schafft nur ein neues Modell, das die Entstehung der zweckvollen Welt aus einem zufälligen Atomwirbel besser begreiflich machen soll. Wo immer Naturalisten ihre Grundintention zu Ende dachten, mußten sie hier eine Hilfshypothese einschalten. Und alle Platoniker und Idealisten haben, wie die Geschichte der Philosophie zeigt, gegen dieselbe polemisiert. Und selbstverständlich sind es dieselben Probleme und dieselben Schemen, welche auch für die kulturelle Welt im Besonderen aufgestellt wurden. MANDEVILLE oder ADAM SMITH hegen denselben Optimismus wie DEMOKRIT. Aus dem zufälligen partikulären Spiel der Egoismen entpuppt sich der zweckhafte allgemeine Wohlstand. Ein Punkt, wo mechanische Theorien in teleologische übergehen könenn wird hier deutlich sichtbar. Reflektiert man darauf, daß der Weltgrund wohl so eingerichtet sein muß, daß dieses Ergebnis möglich ist, so taucht ein deistisches Motiv auf: Deismus, prästabilierte Harmonie, Maschinentheorie des Lebens, das sind alles verschiedene Ausdrücke für dieselbe Grundkonzeption. Im Grunde gehört die oben erörterte Entstehung der Begriffe auf einer zufälligen Häufung. Häufigkeit und schließlich Gewohnheit von Wahrnehmungen auch hierher. Auch hier führt ein objektive direktiven loser Prozeß zu zweckmäßigen Resultaten. Die Psychologie, die glaubt ganz besonders exakt zu sein, dabei aber aus naheliegenden Gründen sowohl von den subjektiven Quellen der Theoriebildung her, wie von ihrem Objekt her ganz besonders stark und bis ins einzelnste ihrer Begriffsbildung von weltanschaulichen Motiven abhängig ist, legte im Lauf ihrer idealistischen Wandlungen im letzten Menschenalter wachsenden Wert auf die Herausarbeitung von Leitgedanken, Einstellungen usw., welche den assoziativen Prozeß lenken. Damals hatte sie ihre "guten Gründe" assoziations-psychologisch zu denken. Sie wollte, von naturalistischen Motiven beherrscht, das teleologische weil theologische aus der Betrachtung des Menschen ausschalten. Fehlen aber der Entstehung sinnhaltiger Werke des Menschen sinnhafte Direktiven (subjektiver oder objektiver Art) dann wird die Entstehung der göttlichen Komödie oder der Kritik der reinen Vernunft zu einem echten Naturspiel. Im Laufe einer Reihe von Kombinationen und Komplexionen hat sie der Atomwirbel nach ehernen Gesetzen erzeugt. Sie wie nach DARWIN der Mensch entstand. 5. Die Empiristen verlegten den Schwerpunkt des Erkennens ganz ins Objekt. Sie glauben die "Ideen" in ihm finden zu können. Die zuletzt besprochenen Theorien suchten sie aus einem objektiven Prozeß zu erklären, sie objektivieren sie. Neben diese Gruppen tritt nun eine ganz anders verfahrende: die Ideen ausgesprochenermaßen subjektivierende. Wie die Idealisten erkennen ihre Vertreter einen subjektiven Faktor, einen Anteil des Subjekts, Voraussetzungen des Erkennens uneingeschränkt an. Aber - sie bewerten sie anders. Dabei fehlt es auch hier wieder nicht an internen Differenzen zwischen den Pragmatisten, Biologisten, Ökonomisten und was auch immer für Standpunkte hier aufzuzählen wären. Den einen ist das Apriori Zutat, Idol, Lüge, Lebenslüge, Selbstbetrug, Wahn, Narkotikum, den anderen Fiktion, Postulat, Hypothese, anderen eine ökonomische Abbreviatur [Abkürzung - wp], biologisch nützlich oder sonstwie utilitarisch zu rechtfertigen. Aber alle diese Bestimmungen haben doch ein Gemeinsames, das sie untereinander verbindet und von den objektivierenden Positionen, soweit sie nicht bei näherer Interpretation doch diesen zuzurechnen wären, unterscheidet. An die Stelle des werterzeugenden Naturspiels, d. h. des objektiven Zufalls, tritt in ihnen die subjektive Willkür. Erfahrungsprodukte sind aber auch sie, nur daß ihr Charakter nicht mehr aus ihrer objektiven Genes bestimmt wird, sondern als Produkt subjektiver Erfahrung gewonnen wurde. Das Subjekt, das mit diesen Formen gleichsam experimentiert hat, dem sie sich in einer Folge von Versuchen und Irrtümern langsam bewährten, fragt sich, ob sie ihm nützlich waren, d. h. erfahrungsgemäß seine Lust erregten. Je nach Interpretation der verwendeten Subjektbegriffe könnte man freilich diesen Unterschied zwischen Zufall und Willkür auch wieder aufzuheben versuchen. Indem man sagte: wo nicht Ich denke, sondern wo "Es" in mir denkt (4), da liegt, wie bei der Entstehung des Zweckhaften aus dem Zufall, ebenfalls ein Naturspiel vor. Was wir Willkür nannten sei ein psychisches Naturspiel. Jeder Kenner der Materie weiß und sieht, daß diese hier sorgfältig getrennten naturalistischen Motive sich in praxi verschlingen. Ansich gilt für sie ein Entweder-Oder, in praxi können gelegentlich auch einmal beide Motive nebeneinander hergehen, so ist bei AVENARIUS die Ausschaltung aller Zutaten zugunsten reiner Erfahrung ein objektivistisches, der Gedanke der ökonomisch biologischen Vereinfachung ein subjektivistisches Motiv. Die Lehren des 18. Jahrhunderts vom Priesterteufel und Betrüger, der die Religionen erfindet, zeigen das utilitarische Motiv interessanterweise auch einmal aus der Perspektive des Geschädigten. Sie stellen neben der objektivistischen Lehre von der Entstehung der Religion aus der Furcht eine subjektivistische Theorie dar, denn hier erzeugt die klug erdachte subjektive Willkür die ewigen Wahrheiten. Da dieselben aber nicht, wie HOBBES' Staats vertrag, nützlich für alle sind, sondern nur nützlich für die Priester und hemmend für den Menschen, so protestiert in diesem Fall der Mensch gegen dieses Wahrheitskriterium. Eine Zwischenform zwischen idealistischen und naturalistischen Theorien, an welcher uns hier das naturalistische Motiv als solches interessiert, stellen die technologischen Kulturentstehungstheorien dar und ebenso die Lehren, welche eine Anwendung von "Sparsamkeitsprinzipien" auf die Erklärung der Genese geistiger Werte versuchen. Wenn bei der Entstehung z. B. eine magischen Handlung nicht die Vorstellung einer übersinnlichen Macht sinnvoll das Handeln leitet, sondern rein reflex artige Abwehrbewegungen den Keim der ganzen Aktion bilden, an dem sich Ideelles erst nachträglich emporrankt, dann ist diese Heranziehung eines Moments, das für den Sinn des Ganzen offenbar zufällig ist, deutlich als naturalistisches Motiv erkennbar. Ebenso wenn bei der Entstehung künstlerischer Formen nicht ästhetische Motive, sondern Technik, Material, Gebrauchszweck ausschlaggebend sind. Wenn eine Kulturentstehungslehre stark die Ideen armut der Menschheit in den Vordergrund stellt und betont, daß neben dem Zufall als wichtigem Faktor bei Entdeckungen, Erfindungen usw. insbesondere die Not mitwirkt, welche aus dem Menschen den Erfindungsgeist erst herauspreßt, so gilt dasselbe. Es sind die Gesichtspunkte, für welche besonders ALFRED VIERKANDTs "Stetigkeit im Kulturwandel" (1908) interessante Materialien bietet. Selbstverständlich können diese Gesichtspunkte sich sehr fruchtbar mit einer idealistischen Anerkennung der Spontaneität des menschlichen Geistes verbinden. 6. Neben der Zurückführung auf Zufall oder Willkür gibt es einen dritten ähnlichen Weg, die "Idee" ihrer absoluten Gültigkeit zu berauben: man überantwortet sie der "Kunst". Es gibt einen ganz bestimmten Mechanismus, aufgrund dessen dieser Gedanke immer wieder auftaucht. Es wird im Verlauf dieser Untersuchung aus dem Zusammenhang der in ihr vorgetragenen Weltanschauungslehre immer deutlicher werden. Hier vorerst die Umrisse: Wo immer der Terminus Ratio (als wichtigster neben anderen) auftritt, kann er Vernunft oder Verstand heißen. Beide Bedeutungen sind auf das Bestimmteste zu trennen, in ihnen trennen sich zugleich die zwei fundamental verschiedenen Richtungen, in denen die europäische Aufklärungsbewegung (wie schon die antike) verlief. Wir haben die Trennung im I. Kapitel bereits angedeutet. Die Vernunft entwickelt aus ihrem idealen Gehalt wahre Systeme. Der Verstand konstruiert aus Prämissen, die ihm von außen gegeben sind, richtige Theorien. Die Wahrheiten der Vernunft wurzeln im Übersinnlichen. Sie haben unmittelbar ethische Bezüge. Im Rahmen idealistischer System deckt sich ihr Gehalt mit dem Gehalt des reinen Willens. Die Richtigkeit des Verstandes beherrscht die sinnliche Wirklichkeit, er ist inhaltsleer, hat ansich keine Ziele, sondern such als Diener des zwecksetzenden Willens Mittel. Um ein rein theoretisches Apriori, als Prius der Wirklichkeitserkenntnis als solcher, fänden keine solchen erbitterten Kämpfe statt, wie Philosophie- und Geistesgeschichte sie kennen. Der Schwerpunkt des Apriori liegt stets im Übersinnlichen. Es enthält einen Vorbehalt, der im Erkennen der Wirklichkeit über dieselbe hinausweist. Dieser Vorbehalt entpuppt sich voll erst in der Ethik. Er stellt gewisse Forderungen an das Subjekt und dementsprechend an alle seine Tätigkeiten einschließlich des Erkennens. Nicht ganz mit Unrecht fühlt der Positivismus in diesem Willensmoment, das alle echten Vernunftbegriffe einschließt, einen Fremdkörper im Rahmen seines Weltbildes. Sein Weltbil ist das Weltbild der Sinnlichkeit. Savoir pour prévoir [Wissen, um vorherzusehen. - wp] Was will es voraussehen? Den Erfolg seiner technischen Handlungen. Zu wessen Gunsten leitet er dieselben ein? Nun, sein Weltbild muß das verraten: schaltet es jede übersinnliche Instanz aus, dann eben zugunsten einer sinnlichen. Es ist bereits voraussetzungsvoll zu sagen: er überspitze seinen Wissenschaftsbegriff. Er überspitzt ihn zugunsten der ihm einzig interessanten, einzig wissens werten Wirklichkeitserkenntnis. Und nun müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um zu bestimmen, wohin die extirpierten synthetischen Momente geraten. Sie können als Lebenslüge und Narkotika bekämpft (eventuell auch schlau als diese bejaht) werden. Sie können gänzlich individueller Prophetie überantwortet werden. So bei MAX WEBER. Das ist das religiös gestimmte Analogon zu der hier zur Erörterung stehenden ästhetischen Deutung. Sie können, mehr antik als puritanisch gestimmt, in bereits halb ästhetischer Wendung der Lebensweisheit zugewiesen werden. So etwa bei ALOIS RIEHL. Auch in HUSSERLs Auseinandersetzung mit DILTHEY (in Bd. 1 des Logos) schlägt diese positivistische Ader durch. Sie können schließlich der Kunst zugeschoben werden. Auch hier wieder mit Variationen. Man kann sie teils als Belletristik abtun, teils als künstlerische ebenfalls dem Wahn zurechnen, teils wie F. A. LANGE mit ihrer Hilfe dem stark positivistischen Unterbau des Systems eine neue idealistische immerhin das positivistische Gewissen entlastende Wendung geben. Das ist der naturalistische Hintergrund jeder Deutung der "Metaphysik als Kunst". 7. Noch haben wir eines letzten Weges zur Ausschaltung der "Idee" noch nicht ausdrücklich gedacht. Man schaltet sie aus, indem man sie ignoriert. Man schildert die Welt als Kampfplatz der Wölfe des HOBBES', als die Welt MACCHIAVELLIs und der abstrakten Staatsräson, deren Darstellung durch FRIEDRICH MEINECKE deshalb eine großartige Monographie des Naturalismus als Lebenssystem geworden ist. Oder als die Welt der erotischen Machtkämpfe des ausgehenden Rokoko, le monde ou il faut que le coeur se brise ou se bronze [Auf dieser Welt muß ein Herz entweder brechen oder aus Bronze sein. - wp], wie sie im letzten Augenblick CHODERLOS des LACLOS' geniale Liaisons Dangereuses festgehalten haben. Auch dieses Buch wie BEAUMARCHAIS' Figaro ein Sturmvogel der Revolution. Es ist zugleich die Welt, von der TALLEYRAND rückblickend sagte, wer sie nicht gekannt hat, weiß nicht was leben heißt. Mit großartiger Treffsicherheit hat KANT die Formel dieses ethischen Systems gefunden: es sah im Menschen nur ein Mittel. Diese Form des Naturalismus ist am weitesten entfernt vom deistischen Optimismus ADAM SMITHs und DARWINs, bei dem schließlich doch über Hekatomben geopferter Individuen sich phönixhaft die fortschreitende Art erhebt. Jene Autoren entwerfen das düstere und tragische Bild einer völlig versittlichten und entgotteten Welt, die rein atheistisch ist, weil in ihr ein Chaos herrscht. Auf die Motive und die besondere psychologische Färbung der verschiedenen Naturalismuen haben wir hier nicht einzugehen. Die hinter ihnen stehenden Impulse können sehr verschieden getönt sein. Die sinnlichen Motive können sehr derb sein und sehr verfeinert. Es kann hinter ihnen das Pathos elementarer Triebe ungebrochener Sinnlichkeit, das Pathos des Lebens stehen, wie ein sehr leiser, dünnblütiger, aristokratischer Ästhetizismus mit exotistischen Neigungen. Der Egoismus, der hinter der naturalistischen Ethik steht, kann ebenso hart sein wie weich, sentimental, vom Pathos des Mitleids getragen. Neben mutloser oder schlauer Resignation, welche listig mit dem Leben um ein Endchen sinnlichen Glücks handelt, stehen heroische Verzichtleistungen. Neben enthusiastischen Formen des Naturalismus begegnen wir im Zeichen des Positivismus, d. h. der positivistischen Wissenschaft, Haltungen vorsichtiger Nüchternheit, einer sehr feinhörigen Skepis gegen falsche Untertöne des idealistischen Pathos, gegen jede prophetische Phrase und die Jllusionen der Selbsttäuschung usw. Es gibt naturalistische Theorien, welche, mit offenem Visier kämpfend, die auf Nutzen oder Egoismen zurückgeführten Werte zugleich zu rechtfertigen streben. Es gibt solche, welche durch die Reduktion des Werthaften auf das Sinnliche den Wahrheitsanspruch dieser Werte brechen wollen. Welcher Art auch immer die besonderen Motive sind, in welcher Sublimierung, Komplizierung, Massierung und Verkleidung die Stellung zur Sinnlichkeit auftritt, ist die sekundäre Frage. Ausschlaggebend ist dies: wo immer Naturalismen auftreten, ist ein Sensuelles die letzte entscheidende Instanz der Wertung und umgekehrt. Dieser Gesichtspunkt bietet ein absolut sicheres Kriterium. Die naturalistischen Systeme sind im Sinne unseres ersten Kapitels Dogmatiken des sinnlichen Bewußtseins. In praxi gibt es natürlich Grenzfälle, Lust als Begleiterscheinung der erfüllten Pflicht begründet keinen Sensualismus. Erst wo sie conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] der Pflichtererfüllung wird, d. h. zum Rang einer letzten Instanz aufrückt, begründet sie einen naturalistischen Standpunkt. HEGEL war Idealist wie KANT und FICHTE. Aber die Mannigfaltigkeit der WElt kam in seiner Philosophie doch positiver zur Geltung als bei diesen. Das macht seinen Idealismus zu einem "objektiven". Den reinsten Fall dieses Weltanschauungstypus, der hier wieder rein als solcher unser Thema bildet, repräsentiert HEGEL allerdings nicht. Er ging von KANT aus und mußte daher, um von dessen subjektiver dualistischer Basis aus seinen objektiven und monistischen Standpunkt zu erreichen, das Moment der Vermittlung und Versöhnung der Sinnlichkeit stark betonen. Das ist eine in der Sache gelegene typische Notwendigkeit seiner Situation. Alle Epochen der Philosophiegeschichte bieten dafür Beispiele. Im klassischen objektiven Idealismus ist die Versöhnung bereits vollzogen. Er geht von einem versöhnten "Ganzen" aus und entfaltet es zur Welt. DILTHEY hat in seiner Typologie der Weltanschauungen die Stimmungsgrundlage dieses objektiven Idealismus unvergleichlich geschildert und seine Grundcharaktere richtig aufgezählt, aber die Notwendigkeit des Zusammenhangs derselben bedarf noch weiterer Klärung. In den naturalistischen Systemen gelangt, so lehrt er uns, die Lebensverfassung des sinnlichen Menschen zu metaphysischer Formulierung. Aus dem Idealismus der Freiheit spricht dagegen die Lebenserfahrung des handelnden und gestaltenden Menschen, "das unzerstörbare Bewußtsein des heroischen Menschen, das sich in jeder großen handelnden Natur erneuert" und wie FICHTE erkannt hat "jeder Gegebenheit mit souveräner Selbstherrlichkeit sich gegenüber setzt", die Lebenserfahrung in der "die spontane und freie Lebendigkeit sich als Kraft findet, welche andere Personen nach deren Freiheit bestimmt", "die Erfahrung des Willens in der Aufopferung". Und nun im objektiven Idealismus eine neue Bewußtseinsverfassung, welche kontemplativ, beschaulich, ästhetisch, künstlerisch, ein Verhalten zeigt, in welchem das Subjekt sich gleichsam ausruht von der Aktivität des naturwissenschaftlichen Erkennens und des Handelns:
Die Form des Auffassens ist in diesem objektiven Idealismus überall dieselbe. Nicht Zusammenordnung der Fälle zu Ähnlichkeit oder Gleichförmigkeit, sondern Zusammenschauen der Teile in einem Ganzen, Erhebung von Lebenszusammenhang in einen Weltzusammenhang." (5) Damit ist der Übergang von der subjektiven Stimmung zur metaphysischen Formel angedeutet. Diese gilt es in ihren Grundbegriffen kennenzulernen. Dem subjektiven Zustand eines harmonischen und optimistischen Lebensgefühls entspricht als genauestes objektives Korrelat ein harmonischer Weltbegriff. Alle dualistischen Spannungen sind in demselben aufgehoben. Die Spannund von Gott und Welt ist pantheistisch überwunden. Gott ist der Welt immanent. Er durchdringt sie mit seinem Wesen, er west in ihr und entwickelt sich in ihr, verklärt und gestaltet sie. Und dementsprechend lösen sich die Gegensätze von Idee und Wirklichkeit, Soll und Sein, Sinn und Sein, Form und Stoff, Einheit und Mannigfaltigkeit. Materie ist nie ohne Geist, Geist nie ohne Materie. Die Welt ist, mindestens im Kern und in den treibenden Kräften, wie sie sein soll. Das Soll ist zugleich Kraft geworden, hat aufgefhört, eine machtlose bloße Forderung zu sein. "Was nur sein soll ohne zu sein hat keine Wahrheit." (HEGEL) Der Sinn hat Teil am Werden selbst. Die Welt ist sinn-voll, voll lebendigen Sinnes. Die Form als Apriori des kritischen Gegenstands, die Synthesis, die in demselben vollzogen ist, die Einheit der Idee, werden ontologisiert. Die Synthesis steckt im objektiven Weltgrund, die Form ist Formkraft. Sie liegt der Erscheinung als formende, gestaltende zugrunde. Einheit und Mannigfaltigkeit sind vereint im organischen Ganzen. In dieses verwandelt sich auch das Allgemeine. Statt Fall allgemeiner Regeln zu sein, wird das Besondere im Ganzen Glied oder Teil. Dieses Ganze ist zweckvoll gegliedert. Der Zufall des Besonderen hebt sich im Ganzen auf. Dieses Ganze ist schließlich lebendiges Subjekt geistiger Taten und objektives Dasein zugleich. Das objektive So-sein seiner Substanz drückt sich in dem bestimmten Gehalt und Stil dieser Taten aus. Geist ist Leben und Leben Geist geworden. Eine Reihe von Termini bezeichnen in allem Wechsel der besonderen Standpunkte die unveränderlichen Bestimmungen der sie umfassenden objektiv idealistischen Weltanschauungen. Wo von Immanenz des Ideellen oder Harmonie und Lösung der dualistischen Spannungen die Rede ist, da muß der Standpukt ein objektiv idealistischer sein. Und notwendig gilt das auch da, wo Ausdrücke wie "Organismus", Ganzheit, Totalität, Gestalt, Formkraft und Urgrund eine beherrschende Rolle spielen. Innerhalb des objektiv idealistischen Standpunktes vermögen diese Termini allerdings eine ganze Reihe von Variationen des fundamentalen Grundschemas zu bezeichnen. So kann z. B. die Immanenz Gottes völlig statisch verstanden werden. Auch mit dem Bild des Ganzen und seiner Teile kann ein rein statitisches Verhältnis bezeichnet sein. Dann ist in demselben in erster Linie das Moment einer ideellen Ordnung des Ganzen herausgehoben. Man kann das organische Schema aber auch zu einem System von Kräften dynamisieren. Diese Dynamisierung leistet in erster Linie die entwicklungsgeschichtliche Auffassung (6). Vergleicht man mit dieser Auffassung eine solche, für welche Gott und Welt sich restlos decken, so bemerkt man, daß der Entwicklungsgedanke insofern relativ dualistische Momente einschließt, als hier die Spannung zwischen Anfangs- und Endzustand Gegensätz repräsentiert, welche die dualistische Spannung ersetzen. In der Richtung der Variante liegen auch die zahlreichen Möglichkeiten, die Immanenz Gottes gradweise abzustufen. von ausgesprochenen pantheistischen Auffassungen, in denen Göttliches und Weltliches im absoluten Gleichgewicht der Identität sich halten, führen mannigfache Wege zu einer Verblassung dieses Zusammenhangs, zu einem bloß symbolischen Verständnis der Welt als Abglanz oder Gleichnis des Göttlichen. Oder in ganz anderer Richtung zu dem Gedanken: im Wirklichen, und zwar nur im Seelischen sei bloß ein Fünklein des Göttlichen. Und von solchen Setzungen pantheistischer Minimen [Mindestanforderungen - wp], einer ganz verinnerlichten Verwirklichung des Ideellen, zu der etwa auch FICHTEs Begriff des "Triebes" als Gottes Wille in uns zu zählen wäre, schlagen andere Auffassungen wieder den Weg nach außen ein, zum verleiblichten Gott des "Kreises" wo Gott zur plastisch versinnlichten "Gestalt" wird. Und von hier wieder zu neuen polaren Möglichkeiten, welche nicht mehr den Weltbegriff am idealistisch verstandenen Gott, der die Welt verklärt, orientieren, sondern den Gottesbegriff an der Welt der Erscheinungen. Bis zu materialistischen und animalistischen Extremen. Es tut sich hier eine echte von HEGELs System gänzlich lösbare und für jeden "Standpunkt" einsichtige Dialektik kund: soll das Göttliche wirklich werden, so muß es in irgendeiner sinnlichen Gestalt in Erscheinung treten. Ist damit aber die Wirklichkeit versöhnt und das Natürliche verklärt, dann ist das Göttliche auch in die Welt hineingezogen und kann schrittweise tiefer und tiefer in dieselbe hineingezogen werden. Selbst dann, wenn es seinen transzendenten Standpunkt durch bestimmte Vorbehalte wahrt, wird es dennoch für die Gebrechen der Welt verantwortlich. Die Gleichung deus sive natura [Gott oder Natur - wp] ist logisch zwar grundsätzlich umkehrbar, kann aber in der Fassung natura sive deus dennoch ein gänzlich neues Gesicht bekommen. Derselben Dialektik unterliegen die erkenntnistheoretischen Begriffe. Auch hier wird der scharfe Gegensatz von Denken und Empfinden, Ratio und Sinnlichkeit überbrückt. Dem Gleichgewicht von Form und Stoff im Weltorganismus als Gegenstand entspricht genau ein Gleichgewicht von Form und Stoff im erkenntnistheoretischen Begriff des Schauens. Schau und Intuition sind genaue Analoga und Korrelativa der Gestalt. Wie Gott der Welt immanent ist, und in dieser deshalb ideale Formen stecken, so werden solche nunmehr auch dem Anschauen zugebilligt. Zum idealistischen Mißtrauen und Vorbehalt gegenüber der Sinnlichkeit liegt nach den oben entwickelten metaphysischen Prämissen kein Grund mehr vor. Wie sich der dualistische Idealismus ganz folgerichtig gegen die Abbildtheorie des Erkennens wendet, so ist derselbe auf objektiv idealistischer Basis ganz selbstverständlich. Bewegt man sich vom dualistischen Idealismus und seiner Skepsis gegenüber allem sinnlichen Sein, seinem Mißtrauen gegen die Natur, seiner willentlichen Spannung gegenüber den Gefahren jeder Orientierung unserer Autonomie an Gegebenem auf einem pantheistischen Identitätsstandpunkt zu, so kann man sagen: das wachsende Vertrauen zum sinnlichen Anteil, das sich in den ontologischen Grundbegriffen äußert, muß sein Analogon notwendig auch in den Funktionen haben, mittels welcher dieses Sein erkannt wird. Auch hier erhält die Sinnlichkeit einen neuen Wert. Aus der Spannung zum Denken geht hier die Harmonie der spezifisch objektiv idealistischen "Anschauung" (im emphatischen Sinn) und "Schau" hervor. Das naturalistische und sensualistische Analogon derselben bezeichnet man am besten konstant mit Empfindung. Aber auch schon hier sind dialektische Übergänge zum Naturalismus zu ahnen. In dem Moment, in welchem einmal Anschauung und Begriff ihr genauestes harmonisches Gleichgewicht verlieren werden, kann sich die Schale entweder zu einem dualistischen Idealismus hin bewegen oder sich zugunsten der Sinnlichkeit senken. Dann kann sich schrittweise die Schau in Sensation und Empfindung wandeln, der Gehalt in Stoff, die Form in Schein oder Zutat. Was von der Funktion gilt, das gilt auch vom Subjekt, das sie ausübt: Gott ist wie der Welt so insbesondere der Seele immanent. Er ist Mensch geworden. Hier ist Ernst damit gemacht, daß der Geist lebt und wirkt, daß er wirklich in seinen Leistungen drinsteckt. Da er ideell und wirklich zugleich ist, ist er Leben. Da der Mensch zwischen Gott und der Welt steht, an beiden Teil hat, ist der das Mittelgeschöpf. In entwicklungsgeschichtlichen Gedankengängen: Krone der Schöpfung. In leichter Abschwächung des pantheistischen Momentes: Gottes Ebenbild. In profaner Wendung: Mikrokosmos. Wo Gott und Selle nicht ganz zusammenfallen, da ist er doch ihr Urgrund. Wo die Wirklichkeit unter der Seele liegt, da ist zwischen beiden kein Bruch, sondern Kontinuität. Die Vernunft erscheint nicht als punktuelle "Person", als abstraktes Gesetz, als bloßes Formgefüge, sondern als lebendige und konkrete Vernunft. Der Ausgangspunkt der erkenntnistheoretischen und weiter der kulturphilosophischen Reflexion ist das konkrete Sinnbewußtsein, oder die großen historischen Bewußtseinshaltungen und Bewußtseinsstellungen. Nur auf dieser Grundlage kann Selbstbesinnung (im strengen Sinn) zu Werteinsichten führen. Der schaffende Genius trägt sein Gesetz in sich, er hat keine Regel über sich, d. h. er hat vorbehaltlos recht. Er ist primär gegenüber abstrakten Regeln. Die neue Regel, die er schafft, drückt sich in seinem Werk aus und kann aus demselben abgelesen werden. Ausdruck hat hier nicht nur eine dynamische Bedeutung, sondern bezeichnet ein spezifisches, mit Kausalität nicht zu verwechselndes Verhältnis zwischen Schöpfer und Werk. Der Gehalt des Werkes spiegelt den Gehalt des Subjekts wider. Die Verwendung des Terminus "Ausdruck" ist in diesem Sinn durchaus symptomatisch für eine objektiv-idealistische Position. Wer wie DILTHEY im "Aufbau der geschichtlichen Welt" den Begriff der Geisteswissenschaften auf den Begriff des Ausdrucks aufbaut, der hat schon in diesem Ansatz darauf verzichtet, den Begriff des Geistes oder Wertes auf ein Wertsystem mit seiner Spannung zwischen Soll und Sein zu gründen und umgekehrt. In diesem Sinne sind noch zahlreiche andere Grundbegriffe symptomatisch für die objektiv-idealistische Position. Und obwohl das Gesagte im strengen Sinn nur für die klassischen Bedeutungen ihrer Termini gilt, so kann man doch sagen, daß im allgemeinen schon das Auftauchen dieser Termini eine gewisse objektiv-idealistische Tendenz bekundet, daß dieselben eine bestimmte Affinität hätten. Ein solcher Grundbegriff ist der schon erwähnte Begriff des Genies. Dann der Begriff der Individualität im Sinne qualitativer Individualität und Eigenart. Eigenart enthält stets versöhnte "sinnliche" Elemente. Dasselbe gilt für die nationale Eigenart wie sie im Begriff Volksgeist wertbegründende auftritt. "Liebe", "Familie", Volk, Staat als Erscheinungen des objektiven Geistes werden in diesem Zusammenhang relevant. Jeder Ausgang von objektiven "Gütern" wie Sprache, Kunst, Recht, Kulturerscheinungen überhaupt, anstatt von Werten, ist objektiv-idealistisch. Aber auch jede Verknüpfung von Wertbegriffen mit psychologischen Motoren des wertbestimmten Handelns hat die hier behauptete Affinität. Sittliche Triebe, sittliche Naturen, FICHTEs Urvolk, der Begriff des Vernunftinstinktes, alle diese Begrife enthalten entweder Erschleichungen oder Konzessionen an den objektivne Idealismus. Dazu alle Grundbegriffe, welche vorbewußte Zustände oder Tätigkeiten bewerten oder gar grundsätzlich Werturteilen zugrunde legen. So die Bewertung eines Unschuldstandes, paradiesischer Unschuld überhaupt, "naiver" Dichtung, "natürlicher" Haltung, des "weiblichen" Geistestyps. Eine eigentümliche Zwischenstellung nimmt zu dem der Gottesbegriff ein, in welchem einem ausgesprochen dualistischen, auf Transzendenz drängenden Zug das Moment der Vereinigung von Idealität und Wirklichkeit als ein spezifisch objektiv-idealistisches gegenüber steht. Insofern stellt die theologische Diskussion der im Gottesbegriff liegenden Antinomien die bedeutendste Fundgrube theoretischer Erörterungen der weltanschaulichen Dialektik dar. Der Grundcharakter all dieser Begriffe muß anschaulich geworden sein. In allen ist die Sinnlichkeit versöhnt und ohne Mißtrauen betrachtet, sie wird als geeignet erachtet, letzten Wertungen zugrunde gelegt zu werden. Die Idee ist ihr immanent. Sie vermag mittels der versöhnten Sinnlichkeit als Gestalt zu erscheinen, wird somit anschaulich. Ein optimistischer und ein ästhetischer Grundzug treten in diesem Zusammenhang hervor. Die objektiv-idealistischen Systeme sind diejenigen Systeme, innerhalb welcher aufgrund bestimmter struktureller Notwendigkeiten die Ästhetik nicht nur zu blühen vermag, sondern eine ganz bestimmte dominierende Rolle im Gesamtsystem der Philosophie zu spielen berufen ist. Stehen dem interne strukturelle Gründe entgegen, so kann an ihre Stelle die Religionsphilosophie, die Geschichtsphilosophie und eine Philosophie des Lebens treten. Auch im Religiösen steckt die Möglichkeit, daß das Gesollte nicht mehr nur als abstrakte Regel, sondern als lebendiges anschauliches Vorbild erscheint. Und dieses ist wieder ein spezifischer Zug des objektiven Idealismus, der auch für dessen Ästhetik und Pädagogik gilt: nicht die Regel, sondern das Beispiel erzieht. Dementsprechend werden auch in der der Ethik die in ihr wohl ursprünglichsten dualistischen Züge vor relativ ästhtetischen Zügen zurücktreten. Die dualistische Ethik wird keine Ethik des harten Soll, der strengen Pflicht, des Entweder-Oder, des Dualismus von Gut und Böse sein, sondern eine Seinsethik, Vollkommenheitsethik, Entwicklungsethik, Ethik des "ganzen Menschen". Sie wird das Maß, Harmonie und Gleichgewicht der Kräfte, Versöhnung des Sollens mit der Sinnlichkeit und Mannigfaltigkeit der Welt betonen. Sie wird dynamische Ideale verkünden, Entwicklung und Entfaltung von Anlagen, die Steigerung angelegter Kräfte zu einem Maximum, die Ausprägung einer angelegten Eigenart. Jeder trägt sein eigenes Preisziel in sich. Das ist eine Ethik der Kontinuität, nicht der Krisen. Die Ethik ist hier in irgendeinem Sinn die Fortsetzung des organischen Lebens. Die Analogie der pflanzenhaften Entfaltung wird ihr gemäß sein. Anstelle eines aktiven und die Aktivität normierenden Zuges wird sie zu einer kontemplativen Haltung neigen: Lehre vom höchsten Gut, nicht Pflichten-, sondern Güterlehre sein. Selbstbesinnung wird ihr das Sein der Seele klären. Der Sinn begriff hat objektiv-idealistische Affinitäten. Sie wird der Harmonie im Innern eine Harmonie mit der äußeren Welt hinzufügen können. Der objektive Idealist fügt sich den großen Ordnungen des Kosmos ein, er unterwirft sich nicht ihrem Zwang, er überlistet sie nicht, wie der Naturalist der die Natur parendo vincit [durch Kopieren besiegen - wp], er resigniert nicht ihnen gegenüber, er stemmt sich ihnen nicht entgegen, sondern er hat Teil an ihrem göttlichen Sein. Wo nicht ausgesprochen individualistische Tendenzen sich mit den objektiv-idealistischen verknüpfen (wovon der nächste Paragraph handeln wird) da wird sich diese Ethik mit besonderer Leichtigkeit mit den großen objektiven Ordnungen des geschichtlichen, sozialen und kulturellen Lebens versöhnen: Kulturethik werden. Es beruth auf strengen Gesetzlichkeiten, daß HEGEL keine Ethik im engeren Sinn schuf, die objektive Geschichtsphilosophie ist bei ihm an deren Stelle getreten. Aber auch individualistischen Wegen ins Universale bietet der objektive Idealismus Spielraum: So in der Liebesethik. Hier schlagen Liebe und Universalität des Mitempfindens Brücken ins Objektive. Der objektive Idealismus ist ein Standpunkt harmonischer Sicherheit im Positiven. Wo er in individualistischen Formen auftritt, ein Standpunkt gepflegter und gebildeter Sinnlichkeit, in der Sein und Sollen versöhnt sind. In objektivistischer Wendung spricht aus ihm ein unerschütterliches Bewußtsein, in der erlebten konkreten Gemeinschaft und in den in ihr geübten konkreten großen Kulturfunktionen, der Sprache, Sittlichkeit, Kunst, Religion, echte Werte bereits zu besitzen. Die Vernunft ist ihnen wirklich. Mit scharfem Blick erkennt dieses Lebens- und Wertbewußtsein, wo es bewußt, kritisch und aggressiv wird gegen die dualistischen Systeme den theoretisch-schwachen Punkt derselben und deren eigentlich crux: das Problem der Methexis [Teilhabe - wp] im weitesten Sinne. Wo immer die Dualisten ihren charakteristischen Schnitt durch das Ganze der Welt legen, immer erhebt sich gegenüber diesem Auseinanderreißen zweier Seiten des Lebens die Frage: wie sind sie wieder zu vereinen? Wie kann auf konsequent dualistischer Grundlage die Idee Kraft werden, da sie sich mit einem leeren Gelten doch praktisch unmöglich begnügen kann. Denn irgendwie muß sie Kraft werden. Aber wie darf sie es, nachdem sie ihre Reinheit eben dadurch konstituierte, daß sie alle Brücken zur Sinnlichkeit hinter sich abbrach? Es ist das die typische Schwierigkeit, welcher alle dualistischen Systeme begegnen, und es gibt keines, das völlig heil um diese Klippe herumkommt. In jedem von ihnen ist der Punkt zu finden, wo es den Anschluß der Idee an die reale Welt entweder verfehlt oder erschleicht. Statt "eingeschwärzter Werte" - das ist der typische Vorwurf des Dualismus gegen den objektiven Idealismus- bedürfen die Dualisten eingeschwärzter Mittelglieder für die Wirkung des Geistes auf die Materie. Der glückliche Zufall, daß die Welt die Anschauung mit der Welt der Begriffe übereinstimmt - und das ist nur die erkenntnistheoretische Ausdrucksweise für die metaphysische Verbindung des Ideellen mit der Sinnlichkeit - wird streng systematisch betrachtet meist an den Haaren herbeigezogen. Man kann das Verhältnis von Idee, Wert, Geltung einerseits und der Wirklichkeit andererseits unter dem Gleichnis des Blinden und des Lahmen betrachten. Die Idee gilt, aber sie vermag nicht zu wirken, denn Wirken heißt in Erscheinung treten. Wirken kann man nur im Sinnlichen mit sinnlichen Organen. Das Wirkliche ist blind, in ständiger Bewegung, aber durchaus ohne ideelle Direktiven. Es kann kaum verkannt werden, daß die Rolle, welche die Erörterung der psychophysischen Beziehungen in den philosophischen Systemen spielt, nur in dieser Perspektive philosophisch voll verständlich sind. Die philosophische Bedeutung, die dieses Problem stets beansprucht hat, wäre unergründlich, wenn es sich um ein reines Wirklichkeitsproblem handeln würde, dessen Lösung den Einzelwissenschaften zufällt. Das psycho-physische Problem hat die neuere Philosophie erregt und bewegt, weil das Psychische seit der Herrschaft des Christentums Träger der spirituellen Werte, d. h. des Gültigen ist. Man kann darüber streiten, ob der oben schon erwähnte dualistische Schnitt falsch gelegt ist, wenn das Verhältnis von Sinn und Wirklichkeit unter der Formel Wechselwirkung oder psychophysischer Parallelismus erörtert wird. Eine vertiefte Analyse dieser Untersuchungen muß sich aber erschließen, daß diese Frage und keine andere im Mittelpunkt der Erörterung steht. Die Vertreter der psycho-physischen Wechselwirkung sind Idealisten und Spiritualisten (im genuin ethisch-religiösen, nicht in einem verflacht ontologischen Sinn). Sie verfechten die Autonomie und Souveränität des Geistigen, die Trennung von Soll und Sein, Wert und Wirklichkeit, Idee und Leben. Was aus ihrer Religionsphilosophie und Ethik unmittelbar zu entnehmen ist. Die Vertreter des psycho-physischen Parallelismus verfechten mit größerer oder geringerer Bestimmtheit das selbständige Recht des sinnlichen Lebens. Sie sind ethisch Eudämonisten, politisch Liberale und Demokraten und bekämpften oft in concreto zugleich mit der psycho-physischen Wechselwirkungstheorie die klerikalen und konservativen Parteien ihres Landes. Wie wirkt der sehende Lahme auf den gehenden Blinden? Machen wir mit seiner Lahmheit Ernst, dann nicht durch Druck oder Zeichen, sondern höchstens durch das geistige Mittel der Sprache. Aber auch zum Sprechen gehört physische Bewegung und auch der durchgeistigte Laut ist ein Stück Wirklichkeit. Wenn immer bedeutungsgesättigt so doch wirklich, weil wirkend. Nach seinem Schema aber ist eine ganze Reihe von idealistischen Begriffen erdacht, denn irgendeinen Übergang ins Wirkliche müssen diese Systeme finden. Sei es in einem ontologischen Begriff der Idee, sei es in doppeldeutigen und deshalb vermittelnden Begriffen des Ich, der Vernunft, des Bewußtseins, des Sinnes, des Ideals, des Zwecks, der Totalität, der "lebendigen Form", der Seele, des Willens, des Eros, des Triebes, der Geschichte, oder der Kultur, alles Begriffe objekt-idealistischer Minima, Begriffe, die einen noch so reduzierten Punkt bezeichnen, der ideal und real zugleich ist. Und wie in Wertbegriffe ein Wirklichkeitsmoment eingeschmuggelt zu werden pflegt, so werden auch in irgendeinem Sinn die Werte und Ideen in einem Wirklichkeitsganzen mitgegeben sein müssen. Sonst wären sie nicht da. Auch wenn sie, wie bei FICHTE, das Ich erst setzt. Auch muß die Ideenwelt irgendwei in einem emphatischen Sinn erlebt sein, sonst würde sie für unser konkretes Wertbewußtsein nicht gelten. Es ist freilich nicht ihre Geltung ansich, wohl aber ihre Geltung für uns, die von diesem Erlebnis unvermeidlich abhängt. Es ist von der größten Wichtigkeit zu bemerken, daß dieser Problemkreis weit über den Bereich einzelner philosophischer Fachgebiet und ebenso über den besonderen Bereich der philosophischen Grundlegung hinausgreift. Von den Unterschieden der einzelnen Systeme und ihrer Terminologie ganz zu schweigen. Aber vielleicht kommt das oben gewählte Gleichnis vom Blinden und Lahmen bereits zu sehr der populären Neigung entgegen, bloß an ein Wirken von Ideellem auf Leibliches in einem kausalen Sinn zu denken. Die gestaltende Funktion des Ideellen im geistigen Leben, die rein logische Funktion im Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen, der Form zum Inhalt, sie alle fallen unter denselben Begriff der Vermittlung und Teilhabe und zielen auf ein Problem, das auch durch religiöse Formeln wie Abglanz, Widerschein oder Symbol getroffen werden soll. Es ist letztlich dasselbe Grundproblem, auf das sich der platonische Begriff der Methexis bezieht, wie das kantische Schematismus problem, wie die Frage nach den Beziehungen eines Normalbewußtseins oder eines Bewußtseins überhaupt zum partikularen Bewußtsein, oder der Idee des Rechts zu den positiven Rechten, der Idee Gottes zu den positiven Gottesbegriffen. Dasselbe Problem, das als Anwendungsproblem, als Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis und Vernunft und Dogma, Wert und Seele, Wert und Geschichte, Ethik und Pädagogik usw. auftritt. Im Vertrauen auf den "guten Willen" des Subjekts, im Vertrauen auch auf den Wertgehalt der Geschichte, wenn dieselbe als Organon der Philosophie betrachtet wird, stecken, wo die Dualisten diese Brücken benutzen, unbedingt Konzessionen an den objektiven Idealismus. Das Subjekt könnte als faktisches des Teufels sein und der Gang der Geschichte erst recht. In diesem Punkt haben die Theologen das Wertproblem oft schärfer und umfassender durchdacht als die Philosophen. Und selbstverständlich haben auch sie eine Brücke zur Wirklichkeit, und zwar die unermeßlich breite und theoretisch sehr bequeme des Gottesbegriffs. Derselbe spielt auch in den Schlußkapiteln rein erkenntistheoretischer Werke nicht selten eine für unser Problem sehr bezeichnende theoretische Roll. Es ist so recht ein deus ex machina [Gott aus der (Theater-)Maschine - wp], der hier zu erscheinen pflegt. Das sind die Schwierigkeiten, welche die objektiv-idealistischen Systeme umgehen, die von vornherein von einem konkreten Werterlebnis eines Ganzen, sei es der Seele, sei es der Kultur oder der Natur ausgehen, in welchem diese Verbindung von Sein und Gelten primär erlebt und anerkannt ist. Denken wir uns nun aber den Übergang der Systeme ineinander als einen lebendigen dialektischen Prozeß, und verfolgen wir die - philosophiegeschichtlich ja so oft verwirklichte - Wendung dualistischer Systeme in objektiv-idealistisch-monistische einmal näher: wie die Keime des Monismus, die bisher heimlich im System versteckten-idealistischen Minima bewußt werden und nun aus diesem neuen Bewußtsein heraus wirklichkeitsdurstig anschwellen, bereit das konkrete Dasein und die Gegenwart zu versöhnen und zu rechtfertigen, dann kann - wo werden wir sehen - diese Bewegung - und wir wollen am Bild einer in einer bestimmten Richtung verlaufenden Bewegung durchaus festhalten - mit einem Mal einen Punkt erreichen, wo neue dialektische Schwierigkeiten gerade für den objektiven Idealismus auftauchen, den bestimmten Punkt, der die Crux des objektiven Idealismus genannt werden kann. Es ist kein Zufall, daß FEUERBACH, RUGE und STRAUSS HEGELs System ohne Bruch ins Naturalistische zu wenden vermochten. Denn auch schon vorher gab es - so paradox das vielleicht klingen mag - eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen HEGELs System und den klassischen Systemen des Naturalismus und Positivismus. Dieselben sind zunächst, immer unter dem Gesichtspunkt unserer dialektischen Bewegung betrachtet, harmlos und lassen die vorhandenen Grenzlinien deutlich erkennen: Wo die Sinnlichkeit versöhnt ist, da müssen im System der Philosophie die Einzelwissenschaften eine ganz andere Rolle spielen als in dualistischen Systemen. Darauf beruth ein 1. gemeinschaftlicher Zug des HEGELschen und des naturalistischen Monismus: beide sind enzyklopädisch. Für den Naturalismus ist es selbstverständlich, daß die Philosophie neben der die Welt inhaltlich ausschöpfenden Einzelwissenschaft keine selbständige Bedeutung beanspruchen kann. Sie gewänne sonst die Bedeutung einer über den Inhalten stehenden Form. Aber auch der objektive Idealismus ist nicht so spröde wie der Dualismus gegenüber den Weltinhalt. Ist ihm derselbe doch gehaltvoll formdurchwirkt und damit vernünftig. So ist HEGELs Philosophie neben der die Welt inhaltlich ausschöpfenden Einzelwissenschaft keine selbständige Bedeutung beanspruchen kann. Sie gewänne sonst die Bedeutung einer über den Inhalten stehenden Form. Aber auch der objektive Idealismus ist nicht so spröde wie der Dualismus gegenüber dem Weltinhalt. Ist ihm derselbe doch gehaltvoll formdurchwirkt und damit vernünftig. So ist HEGELs Philosophie schließlich nicht weniger enzyklopädisch als etwa die Metaphysik WILHELM WUNDTs. Und hierauf beruhen 2. auch die Analogien zwischen dem Entwicklungspantheisten HEGEL und den großen evolutionistischen und enzyklopädischen Systemen des Positivismus insbesondere COMTEs und SPENCERs, die übrigens beide einen verborgenen objektiv-idealistischen Zug haben. Mit dieser Gemeinsamkeit des Entwicklungsgedankes hängt es zusammen, daß das Kontinuum, das der Pantheis GOETHE zwischen einem Mineral und dem Geistig-Sittlichen zieht, ebenfalls unmittelbare Analogien etwas mit der positivistischen Hierarchie der Wissenschaften erkennen läßt. Prinzipiell weit interessanter ist 3. aber die Tatsache, daß sowohl HEGEL als auch etwa TAINE das kulturphilosophie Programm: nicht zu beurteilen, sondern zu verstehen vertreten haben. Wozu die Vorrede der Rechtsphilosophie mit dem ersten Kapitel der Philosophie de l'art zu vergleichen ist, und was die nachweisbaren HEGEL'schen Anfänge TAINEs weit weniger seltsam erscheinen läßt (7). Aber wie sollten sie sich nicht in diesem Punkt treffen, da bei beiden das wegfällt, was zum Beurteilen notwendig gehört: ein der Bewegung entzogener Maßstab, wie ihn absolut allein der Dualismus verbürgt. Denn wo die Spannung des Sollens wegfällt, da bleibt, wenn auch immer in verschiedener metaphysischer Ausdeutbarkeit, nichts als das Sein und seine Gesetzlichkeiten. Das Geistige und das Seiende kommt auf einen Nenner und auf diesen Nenner kommt selbstverständlich alles Geistige; in kontemplativer Haltung werden seine Gesetze gefunden; das Handeln tritt zugleich mit dem Sollen in den Hintergrund. Wenn aber das Vernünftige wirklich und das Wirkliche vernünftig ist, wie soll dann das Handeln, wenn es einmal Normen braucht, diese Normen finden? Im einen Moment, in welchem Sein und Idee sich pantheistisch in genauester Schwebe halten, in dem sich der Glaube an die Idee im Wirklichen und an die Wirklichkeit der Idee decken, scheint dieses Problem verschwunden zu sein. Aber der geringste Konfliktfall der ausgeglichenen Pole und die Waage kommt wieder in Bewegung und verlangt ihr Entweder-Oder. Schon vor dieser Krisis tritt im Rahmen der objektiv-idealistischen Systeme das typische Bedürfnis auf, für die verlorene Dualität Ersatz zu schaffen. HEGEL fand ihn in der dialektischen Methode. Andere im Entwicklungsbegriff, von dem noch zu sprechen sein wird, andere in Idealen eines harmonischen Kräfteausgleichs, in Gedanken des Organischen oder aber in organischen Idealen der Lebendigkeit oder der maximalen Steigerung der Kraft. Wieder andere in Idealen der Verfeinerung des sinnlichen Lebens oder eines Ausgleichs seiner Konflikte. Ganz typisch sind aber in diesem Zusammenhang alle Versuch auf Unterscheidungen zwischen "Wesen" und "wahrem Wesen", Wesenszügen im engeren und weiteren Sinne, Kern und Peripherie. Freiheit im Sinne von Bestimmtsein durch immanente Kräfte anstelle einer äußeren Gebundenheit, von Esoterik und Exoterik, von wahrer Realität und Erscheinung, von wahrem, d. h. meist dauerndem Glück, von Über- und Hinterwelten Wert unterscheidungen aufzubauen. Lauter Versuchen, sich ein dualistisches Minimum zu bewahren, die natürlich trotz der grundsätzlichen Kritik von seiten des Dualismus, der hier seine Stärke hat, auf das schwerste ausgesetzt sind. Denn dieser betont nicht im Unrecht, daß die Konzessionen an die Wirklichkeit einen Punkt erreichen können, wo jeder Widerstand unserer autonomen Person gegenüber [Rest der Zeile fehlt im Original. - wp] Der objektive Idealismus beruth auf einem Glauben an den idealen Gehalt des Natürlichen, einem Vertrauensverhältnis zur Wirklichkeit. Seine Zentralbegriffe wie etwa der des "ganzen Menschen" haben, gerade wenn sie emphatisch verwandt überzeugen sollen, nur Sinn auf der Grundlage eines ungetrübten Vertrauens dazu, daß diese Ergänzung des bloßen Pflichtmenschen durch Elemente erfolgt, welche denselben auch positiv zu bereichern imstande sind, mindestens auf einem Vertrauen darauf, daß in diesem "Ganzen" jedes Element seinen zweckmäßigen Platz auch wirklich bestimmt besitzt. Dasselbe gilt ebenso für organische Kultur- oder Entwicklungsbegriffe oder für Begriffe des "Lebendigen". Es ist ein Glaube an den immanenten Sinn der Welt und des Geschehens. Ein Hauptmotiv der ontologischen Metaphysik überhaupt, auf deren Wahlverwandtschaft mit dem objektiven Idealismus DILTHEY besonders hingewiesen hat. Auf der Grundlage dieses Vertrauensverhältnisses kann ein objektiv-idealistisches System in der Verfolgung der eingeschlagenen Richtung bruchlos in ein naturalistisches hinübergleiten. Unser Weg vom dualistischen Idealismus über den objektiven Idealismus zum Naturalismus wäre dann vollendet. Aber es gibt noch einen anderen Weg zu einem naturalistischen Weltbild, und dieser ist für unsere Weltanschauungslehre von höchster Bedeutung. Die dualistischen Minimen, in versteckte Winkel des Systems zurückgedrängt, empören sich wider die objektiven Zusammenhänge. Das Vertrauensverhältnis bricht. Dem sittlichen Bewußtsein wird die Verflechtung in Naturzusammenhänge unerträglich. Er weiß nichts Gewisseres, als daß die Impulse heroischen Handelns aus einer anderen Welt stammen als der eines seelenlosen Wirbel von Atomen. So reißt dieses Bewußtsein, lange ehe es philosophische Formen findet, die Reiche des Seins und des Sollens auseinander. Die Idee zieht sich in ihren eigenen Bereich zurück. Dann gehen bei beiden Parteien Wandlungen von durchsichtiger Gesetzlichkeit vor sich. Der Naturalismus erwacht aus einem halb pantheistischen Traum, er erkennt das Wirkliche als wirklich im hellen Sonnenlicht. Das hochtönende Pathos der Dualisten reizt ihn. Eben im Gegensatz zu ihm wird sein naives Bekenntnis zur Natur bewußt und leidenschaftlich. Sie ist sinnlich und vollendet nach ehernen Gesetzen ihren Kreislauf. Nichts führt über ihre Schranken hinaus, man kann dieselben bejahen oder resignieren. Auch die Pantheisten lügen. Der Naturalismus wird illusionslos. Kaum aber ist auf idealistischer Seite die Trennung von Natur und Geist erneut vollzogen, so gehen nicht nur mit der Idee, sondern auch mit der Wirklichkeit die lehrreichsten Änderungen vor sich. Je energischer sich die Idee von ihr ablöst, desto mehr geht der Wirklichkeit nach einem ganz durchsichtigen Gesetz der ideale Gehalt verloren, den sie im objektiven Idealismus hatte: Sie wird entgöttert. Man kann disen Prozeß schrittweise verfolgen und an sämtlichen Grundbegriffen demonstrieren. Immer enthalten sie dem objektiven Idealismus etwas Göttliches, das ihnen jetzt verloren geht, weil der neue Dualismus, den wir jetzt erst auf der Folie des objektiven Idealismus in seinem Tendenz- und Bewegungscharakter erkennen lernen, Spiritus und Phlegma auseinander reißt. So ist dem objektiven Idealismus die Seele ideengesättigt, ihre Wirklichkeit verklärt. Nicht über ihr, sondern auf ihrem Grund, in ihrer Wurzel wirkt Gott selbst. Sowie nun Ideelles und Wirkliches sich trennen, tritt ein geradezu mechanisch zu veranschaulichener Vorgang ein: Genau das Quantum Idealität, das die Idee in ihre Überwelt hinüberreißt, geht der Welt verloren, sie bleibt schließlich den dualistischen Systemen je nach ihren systematischen Besonderungen ein physiologisches, oder auch, was strukturell fast noch lehrreicher ist, auch bei einer Bewahrung ihrer psychischen Eigenart ein Stückchen Wirklichkeit unter anderen, erkennbar nur in mechanischen Kategorien, Stein unter Steinen, tief unter dem Reich des Gültigen. Dasselbe gilt erst recht für die Lebensbegriffe oder die Begriffe der individuellen Besonderheit. Es gilt auch da, wo Macht und Recht auseinandergerissen werden. Beide Male bleibt auf der einen Seite ein rein formales: die Rechts- oder Persönlichkeitsidee, auf der anderen: ein gehaltloser Stoff, die rohe Gewalt oder die bloße Partikularität. Es liegt hier ein Prozeß vor, der sich zu allen Zeiten wiederholt hat, weil er sich zu allen Zeiten wiederholen mußte, denn seine Gesetze sind ewig. Der radikale Idealismus begegnet sich mit dem radikalen Naturalismus im selben Wirklichkeitsbegriff. Die Extreme berühren sich. In einem seltsamen Kreis haben wir so DILTHEYs drei Typen verschlungen gefunden, und in diesem Kreis vollzog sich zu allen Zeiten ihre dialektische Bewegung. Seine Gesetzlichkeit gilt aber nicht nur für die Philosophiegeschichte, sondern für die Entwicklung aller Geistes- und Lebenssysteme. Es enthält in seinen Grundlagen einen Schlüssel zum Verständnis der gesamten Entfaltung der geistigen Welt. Vielleicht ist sogar die Funktion des Radikalismus besonders geeignet, den Blick für die Gesetzlichkeit dieser Prozesse zu öffnen. Daß sich die Extreme berühren gehört zu den elementarsten Erfahrungen unseres Lebens. Jeder kennt politische Beispiele. Wir wollen sie durch einige religionsgeschichtliche vermehren. Weshalb hat die Kirche für den Zyniker MANDEVILLE gegen den Idealisten SHAFTESBURY Partei genommen? Die enthusiastische Versöhnung der Sinnlichkeit bei letzterem war ihr verdächtig. Nicht die Aufklärer, sondern die Pietisten haben kirchliche Institutionen wie Ohrenbeichte beseitigt. Aber es war nicht der nüchterne SPENCER, sondern einer seiner radikalen Jünger, die diese Bewegung einleiteten. Verschärfte religiöse und nicht weltliche Motive fanden sich hier zusammen in der Kritik eines Mittleren. Die knappe Darstellung, welche KUNO FISCHERs Einleitung in die Geschichte der neueren Philosophie von der "Auflösung der Scholastik" gibt, machen dieses Motiv als solches ungewöhnlich anschaulich. Nicht der Gedanke, sondern der Glaube, die radikalisierte Religiosität von Franziskanern zerstört die großen rationalen Systeme und bereitet so einem profanen Denken den Weg. Bei der Auflösung von HEGELs System hat die supranaturalistische Kritik, welche ihm Pantheismus und Atheismus vorwarf, der naturalistischen Umdeutung seiner Lehren nicht wenig Vorschub geleistet. Überhaupt ist die Geschichte des Verhältnisses von Glauben und Wissen eine wahre Fundgrube weiterer Materialien. Denn merkwürdigerweise begegnen sich die Verfechter radikal-dualistischer Religionsbegriffe - wie sie heute wieder im Vordringen sind - mit niemand so häufig wie mit Skeptikern und Naturalisten, die ein "Interesse" daran haben, die religiösen Werte möglichst weit ins Jenseits zu schieben, und so sind gerade Klassiker des Naturalismus die Begründer besonders schroffer Trennungen von Glauben und Wissen, Gott und Welt geworden. Gerade die BACON, HOBBES, MANDEVILLE, BAYLE sind es, welche den Glauben in seiner Paradoxie sich selbst überließen, um eine "moralinfreie" Welt zu behalten. Auch BOCACCIO hat diese Trennungsstriche mit Strenge gezogen, und so gibt es merkwürdige Übergänge zwischen dem heißgläubigen Standpunkt des credo quia absurdum [Ich glaube, weil es absurd ist. - wp] und dem zynisch kalten Ratschlag des THOMAS HOBBES, die Wunder wie Pillen zu behandeln, die man auf einmal schluckt und dann nicht kauen darf. Der extreme Dualismus und der extreme Naturalismus berühren sich. In einem lehrreichen Kreislauf finden wir den verfolgten dialektischen Prozeß wiederholt, und wie in der Nuß bewahrt im Kreislauf des Allgemeinen in seinem Verhältnis zum Besonderen. Im idealistischen System: Einheit, identische Form und Synthesis, ruhend und begründet im Apriorischen und damit erhaben über das Empfindungsgewühl der stofflichen Welt. Im objektiven Idealismus in die Einheit der Welt eingegangen und sie gestaltend. Die Form wird Formkraft, die kritische Synthesis ist metaphysisch hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] . Ist der Stoff durch Synthesis zu einem Inhalt geworden, so verschmilzt er jetzt mit der Form zu einem Gehalt. Denken und Sein kommen zur Deckung, in ihrer Identität sind sie zugleich das Ganze. Das Besondere der Welt aber wird in diesem zum Glied. Das Allgemeine ist leibhaftig an und im besonderen beteiligt, es wird damit anschaulich, bekommt eine ästhetische Färbung. Aber die Teile haben in diesem Ganzen ihr Selbst verloren, sie sind nur noch theologische Glieder. Diese Übersetzung ins Metaphysische hat ihre ganz bestimmte Grammatik mit unveränderlichen Regeln. Verblaßt nun dieser ideale Gehalt der Welt, gewinnt die sinnliche Seite in ihrem System an Boden, dann muß nach diesen Regeln das teleologisch zusammengehaltene Ganze zerfallen. Die Formelemente verflüchtigen, die Teile individualisieren sich. Was Einheit war, wird Aggregat selbständiger Teile. Aber kein gänzlich regelloses, denn diese wieder selbständigen Teile lassen sich ordnen nach abstrakten Gemeinsamkeiten: Gattungen und Gesetzen. Und eben diese letzten Gattungen und Gesetze sind es, die der Idealismus wieder dem Fluß des Geschehens entzieht und im Zeitlosen befestigt. Dieses Schema ist so allgemein, daß nicht nur die Welt des Seins, sondern ebenso die Welt menschlicher Gemeinschaften sich nach seinen Regeln ordnet. Davon im nächsten Kapitel. UND OBJEKTIVISMUS Wir können unmittelbar an die Ausführungen der vorangehenden Seite über den Kreislauf von Einheit - Ganzheit - Allgemeinheit und ihr Verhältnis zum Besonderen anknüpfen, um einen neuen Gegensatz zu verstehen, der neben den erörterten Gegensätzen der drei großen, von DILTHEY herausgearbeiteten Weltanschauungen das geistige Leben in einer weiteren Polarität beherrscht: den Gegensatz des Individualismus und Objektivismus. In der Welt menschlicher Gemeinschaft sind die Glieder, über deren logisches Verhältnis zum Ganzen wir berichtet haben, bewußt geworden. Ihre Stellung zum Ganzen bewegt sich zwischen Widerstreben und Bejahen seiner Ganzheit. Zwischen Streben nach Selbständigkeit und Eingliederung. Man hat längst die Analogien zwischen den Theorien des gesellschaftlichen Individualismus und "nominalistischen" Erkenntnistheorien (im weitesten Sinn) bemerkt. In Gesellschaft und Welt gibt es für beide nur Individuen. Die Geltung aller Allgemeinheit ist auf sie begründet, dort auf sinnliche Eindrücke, hier auf sinnliches Wohlbehagen. Und dasselbe gilt für organische Staatstheorien und "realistische" Erkenntnislehren. Hier ist das Ganze und Allgemeine das wahre Sein, das Individuelle ist das Gliedhafte und Vergängliche. In dieser Formulierung sind beide Formen des Idealismus zugleich eingeschlossen. Überlegt man, daß der Begriff des Ganzen im objektiven Idealismus Sinnlichkeit und ideales Sollen, Mannigfaltigkeit und Einheit verschmelzen sollte, und faßt man den Individualismus ganz vornehmlich sensualistisch als Streben der Individuen nach sinnlichem Glück und nach einem notwendigen Ausgleicht zwischen der Mannigfaltigkeit der partikularen Glücksbedürfnisse, so leuchten diese Analogien ohne weiteres ein, die beiden Theorien haben einen gemeinsamen Nenner. Sollen wir uns nun kulturphilosophisch und im Leben der individualistischen oder der objektivistischen Partei anschließen, weil das objektive Gefühge der Welt "realistisch" oder "nominalistisch" ist? (8) Oder sollten sich die drei Weltanschauungen und ihre Erkenntnistheorien als ein Widerspiel der Art und Weise entpuppen, wie unser Lebensgefühl den Druck der gesellschaftlichen Totalitäten erträgt? Zunächst beschäftigen uns die rein strukturellen Beziehungen der weltanschaulichen und gesellschaftlichen Grundbegriffe. Am greifbarsten ist ihre Analogie im Fall des hedonistischen Individualismus, der naturalistisch ist, und der organischen Staatslehre, die wir offenbar dem objektiven Idealismus zuzuzählen haben. Suchen wir nun 3. eine ausgesprochen dualistische Formel, so dürfte dazu weniger die platonische Staatslehre geeignet sein, welche als Staatslehre, d. h. Lehre einer Organisationsform eines objektiv-idealistischen Moments nie ganz entraten kann. Wir müssen es in einer Sphäre finden, in welcher der organische Zusammenhang mehr als dies je im Gemeinschaftsleben möglich wäre in einen rein Ideellen sich verwandelt und müssen nach dessen Verhältnis zum Individuum fragen. So lesen wir in einem Aufsatz WILHELM WINDELBANDs (9), auf dessen Beziehungen zur platonischen Ideenlehre natürlich kaum hingewiesen zu werden braucht: "Aber eines muß vor allem ... hervorgehoben werden: daß niemals das Individuum wähnen darf, selbst als solches die schöpferische Kraft in der Erzeugung der Gegenstände zu sein: wir sind dabei, soweit es sich um echte Kulturwerte handelt, niemals als Individuen, ja nicht einmal als Exemplare unserer Gattung, sondern als Wohnstätte und Träger übergreifender und deshalb sachlich im Wesen der Dinge selbst begründeter Vernunftfunktionen tätig. Sie allein bestimmen die "Gegenstände", die notwendig und allgemein gelten. Dieses Teilhaben an einer überragenden Welt von Vernunftwerten, die doch den Sinn all der Ordnungen ausmachen, auf denen sich unsere kleinen Welten des Wissens, Wollens und Gestaltens aufbauen, diese Einfügung unseres bewußten Kulturlebens in Kulturzusammenhänge, die über uns und unser ganzes empirisches Dasein weit hinausreichen - das ist das unbegreifliche Geheimnis aller geistigen Tätigkeit. Aber der ganze Prozeß der menschlichen Kultur, die Stärkung und Auswertung, welche ihre werthaften Leistungen in der Geschichte erfahren, bestätigt uns immer wieder dieses Emporwachsen unseres Lebens in Vernunftzusammenhänge, die mehr bedeuten als wir selbst." Das ist spezifisch dualistisch. Damit ist der Kreis der Weltanschauungen durchlaufen. Aber das Leben ist, selbst auf dem Gebiet der Theorienbildung, reicher. Und obwohl diese Theorien den Kreis der Weltanschauungen nie überschreiten, so entwickeln sich doch innerhalb desselben reiche Variationen. Zunächst ist, wie schon das letzte Beispiel gezeigt hat, der Spielraum innerhalb dessen sich das individuelle Prinzip und sein Gegenspiel entwickelt, weiter als das Gemeinschaftsleben im engeren Sinne. Soeben war das Ideenreich dem Individuum entgegengestanden. Man darf also theoretisch keineswegs nur Individuum und Staat oder Individuum und Milieu kontrastieren. Nicht minder häufig sind praktische Gegenüberstellungen von Individuum und Gesellschaft (Gemeinschaft), Individuum und Gattung, Individuum und Masse (kollektive Mächte), Indidivuum und Klasse, Individuum und Volksgeist, Individuum und Landschaft, Individuum und Zeitgeist, Persönlichkeit und historisches Gesetz, der einzelne und die Sprache, Persönlichkeit und Idee, Individuum und Wert, Seele und Gott, die Seele und die Formen, Person und Sache usw. Weshalb wir es auch vorziehen, nicht von einem "organischen", "universalen" oder "Sozialprinzip", sondern allgemeiner von einem objektivistischen zu sprechen. Dann aber werden wir sehen, daß ein Idealismus der Freiheit, ein objektiver Idealismus und Naturalismus sich sowohl mit individualistischen als auch mit objektivistischen Tendenzen verbünden können. Ja, wie wir sehen werden, zugleich mit einem weiteren Begriffspaar, dem des Rationalismus und Irrationalismus. Auf diese Verbindungen werden wir in erster Linie zu achten haben, die stoffliche Differenzierung der objektivistischen Begriffe interessiert uns nur als deren Einkleidung. Aber wir werden diese Verbindungen nicht ableiten. Unter den möglichen Formen derselben ragen historisch einige als klassische Repräsentanten dieses Prinzips hervor. Dieselben werden ungeachtet unserer rein prinzipiellen Absicht auch hier sachgemäß herauszuheben sein. I. Die bekannteste, am besten auch in ihren gesetzlichen Zusammenhängen mit Naturalismus, Mechanismus und Atomismus untersuchte Form des Individualismus ist die hedonistisch-eudämonistisch-utilitarische. Das Individuum ist allein und gilt allein. Die objektiven Gebilde sind sein Werk, dienen ihm als bloße Mittel und leihen sich von ihm ihre Geltung. Um die Herausarbeitung dieser Form hat sich neuerdings insbesondere OTHMAR SPANN verdient gemacht. Zuletzt in seiner "Kategorienlehre" (Wien 1925). Es ist der "quantitative Individualismus" SIMMELs und *SCHMALENBACHs (Kantstudien, Bd. 24, 1920). Ich verweise auch auf diese ausgezeichneten Arbeiten. II. Neben dieser naturalistisch-sensualistischen Form steht aber von den Gegnern "des" Individualismus lange nicht genügend beachtet, eine idealistische Form: der Individualismus der Person. Der KANTs und des ersten FICHTE. Und ihm steht charakteristischerweise auch nicht mehr der naturalistische Notstaat oder Wohlfahrtsstaat gegenüber, sondern von der Stoa ab, zwar ebenfalls national entwurzelt aber weltanschaulich idealistisch und nicht mehr auf Verstand sondern auf Vernunft begründet, eine Gemeinschaft von Weisen. Eine Gesinnungsgemeinschaft. III. Der Individualismus der Person ist ausgesprochen ethisch und dualistisch; charakterologisch der Ausdruck einer sehr herben und strengen Gesinnung. Der Weg von KANT über SCHILLER zu HUMBOLDT, SCHELLING und zu HEGELs Ästhetik zeigt ihn nun in mannigfachen Abwandlungen ins Ästhetische. Das heißt innerhalb seiner unverändert idealistischen und ethischen Grundhaltung werden sensuelle Elemente aufgenommen, um die Sinnlichkeit zu versöhnen. Hier ist der logische Ort der schönen Seele und von HUMBOLDTs Bildungs- und Humanitätsideals. Bei FRIEDRICH SCHLEGEL und SCHLEIERMACHER tritt im Ganzen dieses Standpunktes noch ein weiteres Moment hinzu, ein Irrationales. Der Individualismus der Eigenart ist eine irrationalistische Abart des bereits ins Ästhetische gewandelten Individualismus der Person. Er trägt bereits objektiv-idealistische Züge und je mehr sich ästhetische Momente in demselben verstärken, desto mehr nähert er sich der sensualistischen Grenze. Über den Individualismus der Romantiker vgl. insbesondere PAUL KLUCKHOHN, Persönlichkeit und Gemeinschaft, Studien zur Staatsauffassung der deutschen Romantik, Halle 1925. Die HUMBOLDT-Arbeiten EDUARD SPRANGERs bedürfen kaum besonderer Erwähnung mehr. IV. Vorbereitet wurden diese Verbindungen eines Individualismus der Person mit sensualistischen und irrationalistischen Momenten durch eine Reihe andersartiger Verbindungen derselben individualistischen Grundtendenzen. So lernen wir im enthusiastischen Individualismus SHAFTESBURYs eine emotioniale Form des Individualismus kennen, in welcher die Momente aller Gefühlsphilosophie: ein idealistisches, das den Geltungsanspruch begründet, und ein sensualistisches, das den sentimentalischen Zug erzeugt, sich deutlich sondern lassen, während das dritte irrationalistische Moment kräftiger bei den unmittelbaren Vorgängern der Romantik heraustritt im: V. Indivdualismus der Geniezeit. Hier ist ein irrationaler Faktor in Wirkung, der Eigenart begründet, gepaart mit einem der sensuellen und irrationalen Sphäre angehörenden dynamischen Zug. Der idealistische Zug, der im Geniebegriff des Sturms und Drangs zweifellos drinsteckt, verblaßt neben dem Idealismus der Transzendentalphilosophie, wird aber auf der Folie des reinen Sensualismus sofort sichtbar. VI. Tritt dieser idealistische Zug, ohne völlig zu verschwinden, vor einem dynamischen höchster Potenz zurück, so entsteht der Individualismus NIETZSCHEs. VII. Im Individualismus der Kraftgenies (insbesondere des Straßburger GOETHE und HERDERs) wie in dem KANTs und schließlich besonders dem SCHLEIERMACHERs steckt aber ein Element, das in den individualistischen Debatten vollends zu übersehen werden pflegt: der Individualismus der Innerlichkeit, der in Mystik und Protestantismus angelegt, im Pietismus (und seiner profanen Form: der Empfindsamkeit) für unsere Dichtung und Philosophie besonders furchtbar wurde und in der KIERKEGAARD seine radikalste Vertretung fand. Die ganze deutsche Aufklärung ist von seinem Wesen durchdrungen, worüber trotz der außerordentlichen Fortschritte der Erforschung des Pietismus insbesondere in ERICH SEEBERGs "Gottfried Arnold" (1923) noch immer der § 293 von J. E. ERDMANNs "Grundriß der Geschichte der Philosophie" nachzuschlagen ist. Bildung, Menschlichkeit, Gefühl, Freiheitsliebe, Besonderheit, Persönlichkeit, Genialität, individuelle und private Frömmigkeit, Heiligkeit, Gebetskultur, das alles sind typisch subjektive Werte (und ihnen entsprechend sind Biographie, Selbstbiographie, Brief, Tagebuch, Psychologie und Weltweisheit, subjektive literarische Formen), die sich an die Stelle der objektiven Idee und der objektiven und organischen Gemeinschaft in Staat oder Kirche setzen. Wo Gemeinschaft erstrebt wird, dann geschieht das in typisch subjektivistischen Formen, wie Freundschaft, Konventikel oder Gemeinschaft der Gesinnung und des Gefühls. Über den Subjektivismus KIERKEGAARDs vgl. insbesondere A. BÄUMLER, "Hegel und Kierkegaard", Deutsche Vierteljahrsschrift, Bd. 2, Seite 116f. Dort die ungewöhnlich eindrucksvolle Anekdote, welche die völlige Entwertung illustriert, welcher in dieser Perspektive auch der objektive Gehalt des Gedankens verfällt: Ein Mann hat ein gutes Buch über die Liebe Gottes geschrieben. Unter dem Eindruck schwerer Erlebnisse verfällt er in Zweifel. Er sucht Rat bei einem Pfarrer, der ihn nicht kennt. Und diese sagt ihm schließlich: Lesen sie das Buch von X. Y. (d. h. dem Frager selbst) über die Liebe Gottes - wenn Ihnen das nicht hilft, dann ist Ihnen nicht zu helfen. VII. Nimmt schon dieser Individualismus der Innerlichkeit in seinen radikalen Formen ausgesprochen dualistische Züge an, so kann man auch im Individualismus des Willens und der Tat, des Helden und des großen Mannes, wie ihn im 19. Jahrhundert die "Politische Historie" herausbildete, eine deutliche Wendung von einer pantheistischen und monistischen Geschichtsauffassung zu einem neuen Dualismus erkennen. Es ist nicht der Individualismus des "reinen Willens", wie ihn der idealistische Rationalismus verkündet; auch nicht der des praktischen Verstandes, wie im naturalistischen Utilitarismus; auch hier verbindet sich im Begriff des "großen Mannes" ein irrationalistischer Zug mit dem dualistischen, der mit dem Grundbegriff des Handelns gesetzt ist. Vgl. dazu meine Einleitung in die Geisteswissenschaften, Seite 162f, insbesondere die Charakteristik DROYSENs, Seite 175f. Damit ist das Schema entwickelt und sind die Kriterien bestimmt, mittels deren weitere Erscheinungen des Individualismus in eine feste Verbindung mit den großen Weltanschauungstypen gebracht werden können. "Individuum est ineffabile" [Das Individuum ist unaussprechlich. - wp], das ist eine idealistische Prägung, denn offenbar handelt es sich, wenn dieses Wort vor einer Biographie steht, nicht nur um eine unaussprechliche Wirklichkeit als solche, sondern auch darum, daß ihr werthafter Zauber unaussprechlich sei, also um einen irrationalen Zug. Individualismus der "Gestalt": innerhalb einer objektiv-idealistischen Grundhaltung von spezifisch ästhetischem Charakter ist hier eine bestimmte ethische Wendung eingetreten. Über den lebensphilosophischen, auf Persönlichkeiten und Volksgeister eingestellten, irrationalen Individualismus der neuesten Historiographie wird unten noch zu sprechen sein. Andere Züge des Individuums werden am deutlichsten auf der Folie der Gegenbegriffe erkennbar. So erhebt sich gegen die Ableitung der geistigen Erscheinung aus dem Milieu die Einsicht in zugleich ideale und dynamische Eigenschaften: Spontaneität und Aktivität des geistigen Lebens. Was ist das gemeinsame dieser Individualismen? Das Individuum sucht sich auf sich selbst zu stellen. Was ist ihr Grenzfall? Die absolute Isolierung. Negativ: der Verlust jedes Gemeinschaftsbandes. Dessen Sinn und Notwendigkeit zu erweisen ist die Tendenz der objektivistischen Systeme. Fragen wir, was sie in concreto dem Individuum entgegenstellen, so sind die Herrlichkeit des Staates und der Gemeinschaft die meist behandelten Themen. Auf religiösem Gebiet tritt die Kirche als große Objektivität der subjektiven Innerlichkeit in ihrer Einsamkeit gegenüber. In einer mehr dualistischen Wendung das objektive Dogma. Bei HEGEL und den idealistischen Systemen des 19. Jahrhunderts die "Sache". Schon bei WINCKELMANN "die" Kunst. Vgl. hierzu die reichen kirchengeschichtlichen Materialien bei WALTER KÖHLER, Idee und Persönlichkeit in der Kirchengeschichte, 1910. In einer naturalistischen Wendung ist es das Milieu oder sonst eine kollektive Macht, die gegen die Persönlichkeit ausgespielt werden. Aus diesen Systemen des objektivistischen Naturalismus spricht die Absicht, die Spontaneität des Geistes zugunsten des naturalistischen Prozesses und seiner Gesetzlichkeit zu vernichten. Man kann diese Gegensätze kaum näher prüfen ohne zu spüren: hier spielen in Feststellungen wie: der Staat "ist" vor dem Individuum, die "Gesellschaft" ist es, die in ihm denken, allein auf die "Sache" kommt es auch dem Historiker an, Volkstum und Landschaft sind der "wahre" Gegenstand der Literaturgeschichte und die biographische Methode ist unwissenschaftlich, Wertungen hinein. Wie KIERKEGAARD die absolute Einsamkeit der Seele auf das intensivste erlebt, so erleben die Gegner des Individualismus den Segen der Entsagung auf die Einsamkeit. Das Glück der Gemeinschaft, die Großartigkeit und Mächtigkeit des Staates, der Kirche, des Ganges der Weltgeschichte, die Objektivität des Ideellen, die Tiefe der Tradition, die Übermacht und Herrlichkeit des Volkstum gegenüber dem wie ein Blatt verwehenden Einzelwesen. Diese objektivistischen Standpunkte sind so populär, daß sie im einzelnen einer näheren Darstellung kaum bedürfen. Wohl aber interessiert uns, nachdem wir als den Grenzfall des Individualismus die absolute Isolation kennengelernt haben, nunmehr die Dialektik des objektivistischen Pols. Blicken wir noch einmal auf die Verbindung dieser Standpunkte mit den drei großen Weltanschauungstypen zurück, so sahen wir jede der drei mit dem Individualismus und mit dem Objektivismus sich verbinden. Auch unsere Darstellung der drei Systeme selbst hat auf diese Verbindung hingewiesen. Aber gewisse Wahlverwandtschaften bestehen doch: 1. zwischen dem Dualismus und dem Individualismus der Person. Die Mehrzahl der dualistischen Systeme bedarf desselben zur "Tat". Sollen, Handlung, Ethos gehören zur Einzelperson. 2. Zwischen dem Naturalismus und dem hedonistischen und eudämonistischen Individualismus. Freilich auch zwischen dem Naturalismus und dem objektivistischen Gedanken eines Kreislaufs der Natur. Die innigste Wahlverwandtschaft aber besteht 3. zwischen Objektivismus und objektivem Idealismus. Es gibt allerdings auch objektiv-idealistische Individualismen. So steckt ein solcher, wie wir sahen, im Geniegedanken. Derselbe ist eines der großartigsten synthetischen Instrumente der Geistesphilosophie geworden, indem er einmal in eine ungezwungene Verbindung zum objektiven Volksgeistgedanken gebracht werden kann, dann durch den Gesichtspunkt der Tat mit dualistischen Auffassungen zu verbinden ist und schließlich durch das Moment des Irrationalen eine Verbindung mit dem Naturalismus besitzt. Über ihne wird in Kapitel V. noch zu sprechen sein. Sodann lassen sich Gemeinschaftswerte als solche auch dualistisch in ihrem reinen Sollensanspruch dem Individuum gegenüberstellen. Aber in concreto erlebt es konkrete Gemeinschaften als objektive Mächte, die sein Leben mit ihrem Leben umspannen, denen es sich ergibt. Darauf beruth die behauptete Wahlverwandtschaft. Damit entsteht aber zugleich eine dialektische Bewegung, welche die im vorigen Paragraphen entwickelte rein weltanschauliche ebenso voraussetzt wie ergänzt. Zur Sache, zum Wert, zur Idee steht das Individuum in einem Verhältnis freien Sollens. Auch in Staat und Gemeinschaft, solange dieselben rein als Ordnungen des Zusammenlebens gedacht sind, zu welchen bestimmte Weisen der Weltdeutung noch in keine nähere Beziehung gesetzt sind, behält es Geistes- und Gewissensfreiheit. Das wird von dem Moment an anders, in dem diese Werte sich objektiv idealistisch in Wertkräfte verwandeln. Die Idee steht dann nicht mehr als Soll hoch über dem Individuum, sondern wird Wirklichkeit und Leben. Auch "die" Kunst, "das" Recht "gelten" jetzt nicht mehr nur, sie müssen nun ebenso als wirkend und sich entwickelnd gedacht werden. Und mit ihnen das Kulturganze, dessen Totalität sie sich organisch eingliedern. Ein Pantheismus der Weltgeschichte entsteht. Das Göttliche und die Vernunft ist in die Geschichte eingegangen. Nicht nach Naturgesetzen freilich, sondern noch nach Vernunftgesetzen, aber bereits nach objektiv wirkenden entwickeln sich dieselben. Und das hat notwendig seine Folgen! Das Individuum verliert seine Autonomie. Im extremen Fall, und nur dieser hat unser logisches Interesse, "denkt" es schließlich nicht mehr selbst, sondern "es" denkt in ihm. Auch hier besteht wieder eine auffallende Analogie zwischen Positivismus und Idealismus, d. h. jenem und dem objektiven Idealismus, die sich mit der leisesten objektivistischen Wendung desselben nach strengen Gesetzen geltend macht. Selbst FICHTE spricht gelegentlich von einer "Besessenheit des Individuums durch die Vernunft" (10) und meint "nicht das Ich hat Bewußtsein, sondern das Bewußtsein hat das Ich." (11) Ein Standpunkt, der dem MACH'schen "es denkt in mir" mindestens in der Form sich stark annähert, nur das "es" bei FICHTE wirklich denkt, während bei MACH nur ein objektiver Prozeß abläuft. Reflektiert man nun darauf, daß die objektive Vernunft in die Geschichte einging, dann bekommt dieses Umschlossensein des Individuums eine neue besondere Note. Denn die geschichtlichen Gemeinschaften, die geschichtlichen Volksgeister, haben immer ein bestimmtes Sosein, und dessen Repräsentant, Exponent, Statthalter muß das Ich nun werden. Solange diese Mächte statisch gedacht sind, als Volksgeister, Landschaften, Kulturganze, welche das Individuum tragen und in deren Ganzheit es sich bewegt, bestehen noch immer Möglichkeiten, zwischen die objektiven Inhalte der Totalitäten und das Individuum die Distanz einer Forderung zu legen, die an sein autonomes Gewissen gestellt ist. Soll es die Gottheit in seinen Willen aufnehmen, damit sie von ihrem Himmelsthron herabsteigt, so ist ihm hier gewissermaßen ein freiwilliger Pantheismus empfohlen. Die dualistische Basis ist noch erhalten. Sowie sich aber diese objektiven und historisch immer bestimmt charakterisierten Mächte in objektive und bestimmt gerichtete Bewegung setzen, weltgeschichtlich sich entwickeln, und zwar nach ihrem Gesetz, dann ändern sich diese Verhältnisse. Das Individuum wird entweder dem Druck oder doch der "List" dieses Gesetzes unterliegen. "List der Vernunft" ist ein Begriff, der sich mit absoluter Notwendigkeit einstellt, wo Idealismus und Objektivismus sich verbünden. Das ist gar nicht mehr zu übersehen, wenn in den letzteren ein dynamisches Moment tritt. Keine inhaltliche Geschichtsphilosophie ohne "List der Vernunft". Keine Dynamisierung von Vernunftgesetzen ohne diese notwendige Folge. Denn weit über HEGEL hinaus müssen doch die Individuen einer List der Vernunft auch da unterliegen, wo etwa die Kunstgeschichte nach WÖLFFLINschen oder RIEGLschen Entwicklungsgesetzen verläuft. Kunstgeschichte als Entfaltung sachlicher Gesetzlichkeiten ist notwendig Kunstgeschichte ohne Namen und Daten. Sowie nun in diesen Schemen die dynamische Seite des Entwicklungsbegriffs die Oberhand gewinnt über die sachliche, dann wandeln sich diese Vernunftgesetze um in historische Gesetze, und wir stehen mitten im Naturalismus, und zwar in seiner objektivistischen Form. HEGELs List der Vernunft ist zu List des historischen Gesetzes geworden, gegen welches RANKE mit demselben Argument protestierte, wie gegen HEGELs Fortschrittsgedanken: es "mediatisiere" das geschichtliche Leben (12). Begründet ist dieser Prozeß wiederum im monistischen Charakter des objektiven Idealismus, d. h. durch den Wegfall der Spannung des Sollens. Wird mit diesem Ernst gemacht, so bleibt das geistige Leben als eine homogene Substanz von teils sachlichem, teils dynamisch-wirklichem Charakter, und diese gleitet je nach der Verteilung des Gleichgewichts entweder zurück ins Idealistische oder aber ins Naturalistische. Im historischen Gesetz ist der Grenzfall des Objektivismus erreicht. Wiederum haben wir ein gesetzliches Schema gewonnen: Objektivität der Sache steigert sich zur Objektivität der wirklichen Vernunft und diese zur Objektivität des historischen Gesetzes. Es ist dasselbe Schema, dem wir schon als einem in der Dialektik des objektiven Idealismus begründeten begegnet sind. Aber jetzt gewinnt es durch die Beziehung auf das Individuum einen neuen Inhalt. Mit dem Wachstum der Objektivität verschwindet die Selbständigkeit des Individuellen. Alle seine Inhalte werden ihm im polaren Falle aufgezwungen. Sein Tun wird eine berechenbare Funktion eines objektiven Gesetzes. Einer Sorge ist es freilich enthoben: dem Gewissenskonflikt. Was unsere Zeit sehnlich such: inhaltliche Normen (dies und nichts anderes ist das letzte Motive des Rufes nach Metaphysik), das hat hier das Individuum im Übermaß. Es hat den letzten Rest seiner Freiheit verloren. Empört es sich aber nun gegen diese Erniedrigung seiner Geistigkeit, dann treten nicht minder gesetzliche Bewegungen ein, welche das bereits gewonnene dialektische Schema nach einer völlig neuen Richtung bereichern. Der Individualismus bewegt sich zwischen den beiden Polen völliger Isolierung und völligen Verschlungenwerdens von dem Ganzen. Aber für die konkrete Wirklichkeit reicht die Kategorie des Ganzen als solchem nicht aus. Das Individuum geht nie in einem Ganzen - schlechthin unter. Stets ist es ein besonderes Ganzes, in dem es lebt und das ihm seine besonderen Inhalte aufzwingt. Ohne dieses Moment bleibt die ganze Dialektik unverständlich. Je mehr sich also das Individuum von den Gemeinschaftsbanden (von denen es auch unter der Herrschaft des historischen Gesetzes umschlungen ist) löst, desto mehr löst es sich zugleich von den Inhalten, welche diese Gemeinschaft ihm gab. Je mehr es sich aber von diesen Inhalten befreit, desto weniger Inhalte wird es haben. Inhaltsfrei heißt aber inhaltsleer. Es emanzipiert sich zu einer zu keinem bestimmten Inhalt und Sosein verpflichtenden Freiheit. Emanzipation und Isolation gehen also Hand in Hand und fallen, negativ gesprochen, mit einer sich steigernden Inhaltslehre der Normen zusammen, positiv ausgedrückt mit einer Formalisierung. Es ist nicht bloß Theorie, sondern das Schema des Lebens selber. Nach ihm verlaufen zahlreiche weltgeschichtliche Prozesse. Jede Zersetzung "organischer" Gemeinschaften, in denen nicht nur das Leben, sondern gerade seine inhaltliche Zielsetzung in einem gemeinsamen Lebensstil einheitlich gebunden ist, führt zur individualistischen Zeitaltern, in welchen das Bewußtsein die verlorenen Normen mit Hilfe der Reflexion wieder sucht. Es sind nicht mehr die bestimmt inhaltlichen Ziele der organischen Kultur, sondern viel weiter gespannte und dementsprechend gradweise inhaltslosere. Ob MARC AUREL sagt "meine Stadt und mein Vaterland ist, insofern ich ANTONIN heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt" oder ob das 17. Jahrhundert nicht mehr katholisch, nicht mehr lutherisch, nicht reformiert, sondern christlich, und nicht mehr christlich, nicht mehr jüdisch, nicht mehr islamisch, sondern menschlich sein will, das folgt mutatis mutandis [unter gleichen Voraussetzungen - wp] derselben Gesetzlichkeit der Formalisierung die sich auswirkt, wenn die Gemeinschaft nicht mehr auf Blut und Glaube, sondern auf Vernunft gegründet werden soll. Dabei bedeutete "Menschheit" dem 17. und 18. Jahrhundert noch immer etwas relativ inhaltliches, d. h. noch immer ein Gemeinschaftsideal, wenn auch ein ganz offenkundig formalisiertes und inhaltsarmes, auch darin steckt eine Gesetzlichkeit: je weiter die individualistische Ablösung von den organischen Gemeinschaften fortschreitet, desto universaler muß der Verband werden, mit welchem es sich noch verbunden fühlt. Denkt man sich den Prozeß in der eingeschlagenen Richtung noch weiter schreitend, so tritt ein Moment ein, wo auch das Gemeinschaftsband der Menschheit als eine letzte Totale fällt und nichts mehr bleibt als die individuelle Vernunft, der formelle Artcharakter der Vernünftigkeit als ein bloß noch logisch Gemeinsames zwischen den absolut isolierten Individuen. Hier heißt "menschlich" nicht mehr ein historisch universales Ziel, sondern eine abstrakte Generalisierung. Es ist in den einzelnen Individuen nicht mehr historisch dasselbe, nicht mehr identisch, sondern abstrak-identisch. Die Zeiger zweier Uhren laufen nicht gleich, weil das (historisch) selbe Werk sie treibt, sondern weil die Mechanismen der einzelnen Werke in abstracto dieselben sind. Hier ist der Formalismus und die Inhaltslosigkeit an ihrem polaren Ende. Aber das lebendige geistige Leben bleibt bei solchen polaren Möglichkeiten nicht stehen. Es sucht praktische Lösungen, weil es sie braucht. Die metaphysische Antwort: die isolierten Vernunfteinheiten seien, wenn nicht historisch, so doch nicht bloß logisch, sondern metaphysisch eine Einheit, bietet dem formal inhaltsleeren Individuum Steine statt Brot. Im Rahmen der dualistischen Systeme ein erschlichenes objektiv-idealistisches Minimum bieten sie trotzdem den Individuen eine Gemeinschaft bloß in - Formalien. Weit eher kommt die theologische Lösung dem Bedürfnis dieser Individuen entgegen. Nicht so sehr dadurch, daß sie den isolierten Vernunfteinheiten überhaupt einen Einheitspunkt - nun nicht mehr in einem immanent-metaphysischen, sondern in einem transzendenten - gibt, sondern dadurch, daß sie mit diesen Transzendenten neue positive Inhalte verknüpft und an dasselbe eine neue konkrete Gemeinschaft bindet. Aber auch dies ist zunächst nur eine abstrakte Lösung. Denn das konkrete inhaltsleere Individuum steht in dieser Gemeinschaft entweder bereits drin, dann kommt es zu gar keiner Krise, oder es hat sich von ihr emanzipiert, ist im radikalen Fall radikal inhaltslos und muß nun zwischen den zahlreichen sich ihm anbietenden neuen Inhalten eine Entscheidung treffen. Und damit haben wir eine typische Situation. Als bloß formales, völlig entleertes und von allen Inhalten gelöstes Individuum kann es nicht leben. Es springt in irgendeine Positivität und meist in eine vom Standpunkt der Autonomie aus betrachtet recht massive. Solange also die Gemeinschaft besteht, bindet sie inhaltlich, löst sie sich, so entsteht Anarchie. Der Ausweg liegt einzig und allein in einer neuen Gemeinschaft, und ist diese nicht mehr organisch, dann muß sie künstlich werden. Neue Gemeinschaft aber heißt neuer Inhalt, und das gilt ebenso für das einzelne isolierte Individuum wie für eine der Positivität entbehrende Mehrzahl solcher Individuen. Mit genialem Scharfblick hat THOMAS HOBBES diese Notwendigkeit einer Positivität um jeden Preis als Grundlage kulturellen Lebens erkannt. Er hat mit dieser Erkenntnis recht, selbst wenn seine pessimistische Prämisse, die Menschen seien Wölfe, nicht in voller Schärfe zutrifft. Das Bestehen großer Lebenstotalitäten ist auch da gefährdet, wo der Mensch zwar "gut" ist, Gemeinschaft nun aber auf die schwankende Basis philosophischer Weltanschauungen gestellt ist. In Diadochenkämpfen [Konkurrenzkämpfen - wp], welche HOBBES' Ansicht bestätigen, fließt nicht mehr Blut als in Bürgerkriegen, welche auf der scheinbar harmlosen Basis des entfesselten "guten Willens" ausbrechen können. Die Guillotine ist ausdrücklich im Namen der Vernunft in Bewegung gesetzt worden. Auch wo nach religiösen Revolutionen neue Gemeinschaften aufgrund ausgesprochen individualistischer Grundlagen entstanden sind, da kann das diesen innewohnende individualistische Prinzip auch hier zur Anarchie immer neuer Sektenbildungen führen. So treibt die Dialektik des Individualismus diesen gerade in seinen radikalsten Ausprägungen in einen neuen Objektivismus hinüber. Und wieder sind es eben dessen radikalsten Gestaltungen, in welchen sich dieser Übergang vollzieht. Unter diesem Gesichtspunkt schlagen sich Brücken zwischen scheinbar ganz heterogenen Erscheinungen: HOBBES' Staatstheorie, romantische Konversionen, de MAISTREs Papsttum, KIERKEGAARD, dialektische Theologie und verwandte Erscheinungen, deren Gotteslehre bedeutsame Analogien mit der Theorie der Diktatur aufweist, alle radikalen Formen des Dezisionismus [Lehre von der Entscheidung - wp] haben wesensverwandte Züge und streifen, so paradox das im einzelnen Fall scheinen mag, die Bereiche des Atheismus. Zugleich aber weist die Dialektik des Individualismus und Objektivismus in einen neuen Problemkreis hinüber, in welchem das Verhältnis von Geist und Inhalt seine systematische Klärung erfahren muß. Im engsten Zusammenhang mit den Ergebnissen des Vorhergehenden müßte an fünfter Stelle die dort bereits vorbereitete Darstellung der Spannung rationaler und irrationaler Tendenzen folgen. Dieselbe fällt aus, da sonst der Inhalt des IV. Kapitels in wesentlichen Teilen vorweggenommen werden müßte. Die bisher behandelte Dialektik der Weltanschauungen drängt an sich schon lebhaft genug auf die in ihr angelegten systematischen Lösungen. Sind die "möglichen" weltanschaulichen Gegensätze in diesen fünf Paragraphen erschöpft? Ansich mag es unabsehbar viele geben. Die spekulative Phantasie könnte noch eine Reihe anderer konstruieren. Historisch wirksam im Gefüge unserer Geistesphilosophie sind nur einige geworden, und diese schon in sehr verschiedenem Gewicht und in einer a priori gar nicht konstruierbaren, sondern erst nachträglich konstruktiv auflösbaren Verschlingung miteinander. Unsere Darstellung wird von diesen den von irrational und rational, von universal und partikular und gelegentlich immer wieder auch den von dynamisch und statisch berühren. ![]()
1) TRENDELENBURG, Über den letzten Unterschied der philosophischen Systeme (Historische Beiträge zur Philosophie II, 1855) 2) RICKERT, Vom Begriff der Philosophie, (Logos, Bd. 1, 1910) 3) Vgl. das übrigens geistreiche Buch A. A. GRÜNBAUMs, Herrschen und Lieben als Grundmotive der philosophischen Weltanschauungen, 1925. Mit Vorbemerkungen von MAX SCHELER. 4) Wovon im nächsten Paragraphen gehandelt werden wird. 5) WILHELM DILTHEY, Die Typen der Weltanschauung, in FRISCHEISEN-KÖHLER (Hg.), Weltanschauung, Berlin 1911, Seite 47f. 6) Vgl. dazu das nächste Kapitel. 7) Vgl. OTTO ENGEL, Der Einfluß Hegels auf die Bildung der Gedankenwelt Hippolyte Taines, 1920. 8) Vgl. OTHMAR SPANN, Kategorienlehre, 1925 9) WILHELM WINDELBAND, Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus, Logos, Bd. 1, Tübingen 1910, Seite 96 10) FICHTE, Werke II, Seite 608 11) FICHTE, Nachgelassene Werke, Bd. III, Seite 11 12) Vgl. meine Ausgabe von RANKEs "Schriftchen zur Wissenschaftslehre", Philosophie und Geisteswissenschaften II, 1925, Seite 74 |