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JOHANNES REHMKE
Das Bewußtsein
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"Wir sind in der Lage, denjenigen zu nennen, der dieses Wort dem deutschen Sprachschatz geschenkt hat: es ist der Philosoph Christian Wolff, der es zuerst gebraucht in seiner 1719 erschienenen Metaphysik Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt und zwar in jenen beiden Kapiteln (3 und 5), die von der Seele überhaupt und von dem Wesen der Seele und des Geistes handeln."

Seit kaum zwei Jahrhunderten hat unsere Sprache das Wort "Bewußtsein" aufzuweisen. Einem wissenschaftlichen Bedürfnis verdankt es sein Dasein. Erst zwei Jahrhunderte ist es alt und gerade so alt, wie die deutsche Sprache auch ein anerkannter Träger wissenschaftlichen Verkehrs gewesen ist.

Wir sind darum auch in der Lage, denjenigen zu nennen, der dieses Wort dem deutschen Sprachschatz geschenkt hat: es ist der Philosoph CHRISTIAN WOLFF, der es zuerst gebraucht in seiner 1719 erschienenen Metaphysik "Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt" und zwar in jenen beiden "Kapiteln" (3 und 5), die "von der Seele überhaupt" und "von dem Wesen der Seele und des Geistes" handeln.

Die einzelnen Stellen seien aus diesen Kapiteln angeführt:
    "Das erste, so wir von unserer Seele wahrnehmen, wenn wir auf sie acht haben, ist, daß wir uns vieler Dinge als außer uns bewußt sind; indem dieses geschieht, sagen wir, daß wir gedenken (1) und nennen demnach die Gedanken Veränderungen der Seele, deren sie sich bewußt ist, hingegen, wenn wir uns nichts bewußt sein, als z. B. im Schlaf oder auch wohl zuweilen im Wachen es davorhalten, pflegen wir zu sagen, daß wir nicht gedenken. Solchergestalt setzen wir das Bewußtsein als Merkmal, daraus wir erkennen, daß wir gedenken und also bringt es die Gewohnheit zu reden mit sich, daß von einem Gedanken das Bewußtsein nicht abgesondert werden kann". (I, c. 3, § 194.

    "Weil ich aber bei mir nichts als das Bewußtsein finde, das ist, meine Gedanken, so rechne ich weiter nichts zu mir als das Gedenken und was demnach zu diesem gehört, das sehe ich an als in mir. Und daher ist es kommen, daß die Cartesianer vermeinen, das Bewußtsein mache das ganze Wesen der Seele aus". (I, c. 3, § 197)

    "Hieraus erhellet, daß wir hauptsächlich die Empfindung auf das Bewußtsein (2) ziehen, welches unstreitig unter die Gedanken gehöret". (I, c. 3, § 222)

    "Die völlige Dunkelheit der Gedanken  hebt das Bewußtsein auf".  (I, c. 5, § 731)

    "Die  Klarheit und Deutlichkeit der Gedanken  gründet  das Bewußtsein"  (I. c. 5, § 732)

    "Es ist klar, daß  zu dem Bewußtsein das Überdenken erfordert  wird; dieses Überdenken aber fordert, daß man nicht allein behalten könne, was man denkt, sondern auch wisse, daß man den Gedanken schon vorher gehabt und demnach mit einem Gedächtnis begabt sei: solchergestalt wird also  zum Bewußtsein auch ein Gedächtnis erfordert".  (I, c. 5, § 733f)

    "Nun begreifen wir, wie es eigentlich zugeht, daß wir uns bewußt sind, das heißt, daß wir wissen, was wir gedenken oder warum unsere  Gedanken ein Bewußtsein mit sich bringen.  Und also  bringet das Gedächtnis und Überdenken das Bewußtsein hervor".  (I, c. 5, § 735)

    "Derowegen die Seele, da die  Dunkelheit  der Empfindungen  das Bewußtsein aufhebt,  im Schlaf sich nichts bewußt sein kann und daher  denkt  sie, eigentlich zu reden,  nicht,  ob sie gleich  empfindet".  (I, c. 5, § 796)

    "Ich weiß wohl, daß einige sagen, die Seele denke auch im Schlaf, allein sie verstehen alsdann durch den Gedanken nur eine bloße  Empfindung ohne Bewußtsein,  und also sind sie von uns nur in Worten unterschieden. Weil wir aber insgemein alle  zu den Gedanken das Bewußtsein erfordern,  so bin ich auch lieber, um Irrtum zu vermeiden, bei der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes geblieben. Unterdessen bleiben wir doch von den Cartesianern und dem gemeinen Mann hierinnen unterschieden, daß, wenn wir sagen, die Seele denke im Schlafe nicht, wir doch deswegen dunkle und undeutliche Empfindungen zulassen, dergleichen von jenen nicht geschiehet". (I, c. 5, § 797)

    "Der  Grad des Bewußtseins  richtet sich nach dem  Grade der Klarheit".  (I, c. 5, § 802)
Übersehen wir diese Sätze, um aus ihnen den Sinn, den CHRISTIAN WOLFF mit dem von ihm gebildeten Wort "Bewußtsein" verknüpft, festzustellen, so weist die Bemerkung, "die  Gewohnheit  bringe es mit sich zu reden, daß von einem Gedanken das Bewußtsein nicht abgesondert werden kann", mit Sicherheit darauf hin, daß das Wort "Bewußtsein" das von CARTESIUS gebrauchte lateinische Wort "conscientia" wiedergeben soll, denn mit dem Wort "Gewohnheit" bezieht sich offenbar WOLFF auf die zu seiner Zeit so weit verbreitete cartesianische Philosophie, die ja "von dem Gedanken das Bewußtsein nicht abgesondert" sein ließ.

Fragen wir darum, welche Bedeutung CARTESIUS dem Wort "conscienta", das ihm freilich nur sehr selten aus der Feder geflossen ist, gibt, so seien auch die einschlägigen Stellen aus seinen Schriften zunächst angeführt: Principia Philos. I, 9; Responsiones Quintae I; Responsiones Septimae § 8).

Die Gleichstellung der Worte  cogitatio, perceptio  und  conscienta  zeigt, wenn wir uns zugleich daran erinnern, daß nach CARTESIUS die menschliche Seele immer "denkt" (cogitat), zweifellos, daß "Bewußtsein" d. i. conscientia bei CARTESIUS, wie es CHRISTIAN WOLFF ausdrückt, "das ganze Wesen der Seele ausmacht", so daß nach ihm die Seele nichts, was "in ihr geschieht", aufweist, dessen sie sich nicht bewußt ist.

"Conscientia" sagt in der Tat bei CARTESIUS für die Seele so viel wie  "sich bewußt sein";  das Wort hat also bei ihm den bekannten überlieferten Sinn, wie wir ihn bei den  lateinischen  Schriftstellern zu finden gewohnt sind, es bedeutet nicht nur, daß die Seele etwas weiß, sondern zugleich, daß sie von diesem "etwas Wissen" oder von sich als "etwas Wissendem" weiß.

Diese Bedeutung des Wortes "conscientia" -  sich  einer Sache bewußt sein, läßt auch ohne weiteres die übliche besondere Verwendung von "conscientia" als Ausdruck dessen, was wir das Gewissen nennen, verstehen.

CARTESIUS freilich hält dafür, daß conscientia  "alles was in der Seele geschieht"  ohne Ausnahme umfasse und geht damit immerhin schon über den bisherigen Gebrauch des Wortes hinaus. "Conscientia" im Sinne von  "sich bewußt sein"  trifft nach ihm für die Seele schlechtweg zu; das Wissen von sich als Wissendem soll jedem etwas Wissenden ohne weiteres auch eigen sein, oder, um bekannte kantische Worte zu gebrauchen, es soll "das  Ich denke  alle meine Vorstellungen begleiten". Niemals und bei nichts, das "in der Seele geschieht", ist diese nach CARTESIUS "ohne Bewußtsein", d. h. niemals ist sie  sich  dessen, was überhaupt "in ihr" ist, nicht bewußt. Man beachte diese  "reflexive"  Bedeutung des Wortes "Bewußtsein" (conscientia) bei CARTESIUS.

Wenn nun auch WOLFF mit der allumfassenden Weise, in der das Wort "conscientia" sich bei CARTESIUS auf das Seelische legt, keineswegs einverstanden ist, so gilt ihm doch das neue Wort "Bewußtsein" als getreue Wiedergabe jenes lateinischen Wortes und bedeutet für ihn dasselbe, wie jenes für CARTESIUS und die vorangegangenen lateinischen Zeiten, in deren gegenüber der cartesianischen Deutung eingeschränktere Anwendung dieses Wortes er wieder einlenkt.

WOLFF folgt hierin eben seinem Meister LEIBNIZ, der in derselben Weise, wie CARTESIUS, zwar den Sinn des Wortes "conscience" verstanden hat, aber freilich doch nur in eingeschränktem Maße verwendet wissen will.

Auch LEIBNIZ bedient sich des Wortes "conscience" nur selten, er gebraucht an dessen Stelle mit Vorliebe das Wort "Apperception"; für ihn gilt eben die Formel "Apperception = Conscience". Da nun aber selbstverständlich "apperception" und "perception" nicht denselben Sinn für ihn haben, so rückt er von CARTESIUS und dessen Formel "Perceptio = Conscientia" deutlich ab. (GERHARDT: Leibniz' Philosophische Schriften VI, Seite 600).

Mit allem Nachdruck betont LEIBNIZ, daß vieles "in der Seele geschieht", ohne daß es, um mit CARTESIUS zu reden, der conscientia unterstehe, oder, wie LEIBNIZ es ausdrückt "apperzipiert" sei oder, wie WOLFF sagt, "Bewußtsein erfordere". Sowohl "perception" als auch "apperception" bedeuten für LEIBNIZ eine  "action",  d. i. eine  Tätigkeit  der Seele und beide sind ein "représenter", beide betreffen auch einen "inneren Zustand" (état intérieur) der Seele, in dem sie idées, d. h. "objets internes" aufzuweisen hat. "Représenter" ist eine "Tätigkeit" der Seele und in dieser Tätigkeit geht ihr ganzes Wesen auf, ohne diese Tätigkeit gibt es keine Seele, gibt es überhaupt keine Monade.

Wir dürfen nicht übersehen, daß perception sowie apperception nur ein verschiedenes "représenter" bezeichnen und daß nach LEIBNIZ "représenter in jedem Fall eine  Tätigkeit  und zwar eben  die  Tätigkeit der Seele bedeutet. Wenn man sich freilich nur an das Wort "représenter" halten wollte, so könnte vielleicht jemand, verführt durch LEIBNIZens Behauptung von den "objets internes", auf die Meinung verfallen, LEIBNIZ halte, wenn er die Monade als "représentant les choses externes" [Representant der äußeren Dinge - wp] ausgibt, dafür, die Monade stelle die "äußeren Dinge" vor, wie z. B. ein Gemälde einen Wald "vorstellt" (représente). Indessen wird er von dieser irrigen Meinung schon durch die Überlegung abgebracht werden, daß doch ein solches "vorstellen" (représenter)  nur von den objets internes,  nicht aber von der Seele, in der sich diese befinden sollen, gelten könnte, und LEIBNIZ spricht doch nicht von jenen, sondern eben von der Seele als "vorstellender" (représentant). Aber die Deutung des représenter (vorstellen) in jenem Sinne ("das Gemälde stellt einen Wald vor") ist ja auch sonst ausgeschlossen, sobald man sich nur darauf besinnt, daß représenter (vorstellen) bei LEIBNIZ doch die  Tätigkeit  der Seele (Monade) als Kraftwesen zum Ausdruck bringen soll.

Halten wir nun die beiden "Tätigkeiten (actions)", die LEIBNIZ als perception und apperception unterscheidet, gegeneinander, so finden wir, daß in der zweiten immer die erste gleichsam mit enthalten ist; keine apperception ohne perception, oder anders ausgedrückt, apperception ist die  verstärkte  perception. Und so kann es geschehen, daß in einem Fall die perception einer "idée" der apperception derselben vorhergeht, in einem anderen Fall sich ohne weiteres die apperception der idée zeigt und in einem dritten Fall der perception der idée überhaupt keine apperception derselben folgt.

Ist aber nur irgendwie die Seele, gleichviel ob "perzipierend" oder "apperzipierend",  tätig  - und tätig soll sie als Monade oder Kraftwesen immer sein - so hat sie auch immer "idées", will sagen, objets  internes  als "Bilder" (images) der objets  externes  in sich aufzuweisen. Kraft ihrer Tätigkeit (représenter) erklärt LEIBNIZ, hat die Seele ein Bild der Welt d. i. eine idée, die "bildlich" die Welt  "vorstellt",  wie das Gemälde einen Wald.

Übersetzt man, wie es nahe liegt, das Wort "idée" ("objet interne"), da es die Welt  "vorstellen",  d. h. bildlich darstellen oder "wiedergeben" soll, mit dem Wort "Vorstellung", so daß "Vorstellung" soviel wie "Bild in der Seele" bedeutet und übersetzt man ferner das Wort "représenter", das als perceptio wie als apperceptio die "Tätigkeit" bedeutet, in der die Seele diese "Vorstellungen" (objets internes, Bilder) hat, mit dem Wort "vorstellen", so tritt leicht schlimme Verwirrung ein, wenn man außer acht läßt, daß der Sinn jenes Wortes "Vorstellung" und dieses Wortes "vorstellen" nicht aus ein und derselben Quelle fließen. Im ersten Fall sagt "Vorstellen", von dem sich jenes Wort "Vorstellung" herleitet, soviel wie  "Bildsein"  und wird demgemäß das "objet interne" nun "Vorstellung" genannt, so ist es eben als das die Welt  "Vorstellende"  d. i. als das  "Bild der Welt in der Seele"  bezeichnet; hier ist unter "Vorstellen" also nicht etwa ein "Tätigsein" verstanden. Im zweiten Fall aber bedeutet "Vorstellen" (représenter) nicht das "Bildsein", sondern ein Tätigsein,  aufgrund dessen  die Seele eben ein "Bild der Welt in sich" hat. Die Verwirrung, die infolge dieses Doppelsinnes des Wortes Vorstellen (représenter)" geschaffen ist, wird auch nicht dadurch aufgehoben und der Doppelsinn nicht beseitigt, wenn man erklärte, das Wort "Vorstellung" solle das "objet interne" nicht als "Bild", sondern nur als in der  Tätigkeit  der Seele begründetes "objet" kennzeichnen, denn die andere Deutung von Vorstellung = Bild würde sich trotzdem nicht fernhalten lassen.

Ich will dabei immerhin zugeben, daß sich dieser zwiefache Sinn des Wortes "Vorstellung" auf das "objet interne" widerspruchslos anwenden lasse; die Gefahr aber liegt doch stets vor, daß man sich nicht stets den Doppelsinn vor Augen hält und somit, wenn man von einer "Vorstellung" im Sinne des "Vorstellenden" als eines "Bildes" redet, vergißt, daß diese "Vorstellung" = "Bild in der Seele" nur möglich sei, weil sie "Vorstellung" = etwas in der Tätigkeit "Vorstellen" der Seele Gegründetes ist.

Wir kommen auf diesen Doppelsinn von "Vorstellen" noch wieder zurück. LEIBNIZ selbst kennt ihn nicht; ihm heißt représenter ausschließlich das Tätigsein der Monade und nicht auch das "Bildsein" des "objet interne".

Perzeption und Apperzeption bezeichnen ihm verschiedenes Vorstellen, verschieden aber nur durch die  Stärke.  Wir haben hier nun nicht die Frage zu erörtern, wodurch die jedesmalige Stärke der Vorstellenstätigkeit nach LEIBNIZ bedingt sei, sondern nur festzustellen, daß die Stärke verschieden und die Apperzeption an Stärke der bloßen Perzeption überlegen sein soll. In diesem Sinn spricht LEIBNIZ denn von der "petit perception" im Gegensatz zur "apperception". Es möchte nicht abwegig sein, wenn wir die apperception als "grande perception" bezeichneten. In der Tat scheint mir der LEIBNIZschen Auffassung nicht Gewalt angetan zu sein, wenn die Tätigkeit der Seele schlechtweg als "perception" und die zwei besonderen Tätigkeiten der Seele dann petite und grande perception genannt würden, denn darauf kommt es doch hinaus, wenn LEIBNIZ, wie er schreibt, unterscheiden möchte "entre perception et entre s'appercevoir" (GERHARDT, a. a. O. V, Seite 103f).

LEIBNIZ nennt die Tätigkeit der Seele schlechtweg auch "penser"; er versichert, daß er einerlei Meinung sei mit den Cartesianern. Wir können also für LEIBNIZ die Gleichung aufstellen: représenter = perception = penser. Den Gegensatz ferner "petite perception - apperception" drückt er auch aus "perception insensible - perception  remarquable  oder  notable"  (GERHARDT, a. a. O. V, Seite 48f, 103, 105).

LEIBNIZ weist zum ersten mal auf die Tatsache hin, die WUNDT in dem treffenden Bild von dem im Blickpunkt und dem im übrigen Blickfeld der Seele Liegenden zeichnet, oder die wir das Bemerken und das Wahrnehmen schlechtweg nennen.

Während das, was er mit perception remarquable (notable) meint, ohne weiteres klar ist, mag manchem das Wort "perception insensible" dunkel und wohl gar ein Widerspruch sein. LEIBNIZ stellt die perceptions insensibles in eine Parallele mit den corpuscules insensibles der Physik. Wenn er eine perception demnach insensible nennt, so will er nicht sagen, daß man überhaupt nicht von ihr wissen könne, sondern sie soll nur gekennzeichnet werden als eine, die wir nicht mit dem "inneren Sinn" erfassen können, gleicherweise wie auch die corpuscules insensibles der Physik mit dem "äußeren Sinn" nicht wahrnehmbar sind.

Wer das Wort LEIBNIZens "perception insensible" mit "unbewußtes Vorstellen" übersetzt, wäre nur dann auf richtigem Weg, wenn ihm das Wort "unbewußt" hier gleichbedeutend mit "unbemerkt" wäre. Ich mache aber schon bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, wie wichtig es angesichts des buntschillernden Wortes "unbewußt" ist, in jedem einzelnen Fall seiner Verwendung nach seiner besonderen Bedeutung zu fragen und sich deren zu vergewissern.

Wir sagten, LEIBNIZens petite perception und seine apperception unterscheiden sich durch ihre Stärke. Daß sich dann die Verschiedenheit einer solchen Seelentätigkeit auch am objet interne, das in dieser Tätigkeit gegründet sein soll, also an der "Vorstellung" feststellen lassen müsse, ist von vornherein anzunehmen.

LEIBNIZ drückt diesen Unterschied so aus, daß die Vorstellung der petite perception  "dunkel",  die der apperception dagegen  "klar"  sei. Der in diesem Bild "dunkel - klar" dargestellte Unterschied der "Vorstellung" bestätigt zunächst unsere Behauptung, daß für LEIBNIZ "petite perception" und "apperception" in der Tat  Tätigkeiten  der Seele bedeuten, die nur dem Stärkegrad nach verschieden sind; eben deshalb nur konnte LEIBNIZ das Bild "dunkel - klar" zur Bezeichnung des Unterschiedes, den die Vorstellungen der petite perception und die der apperception gegeneinander zeigen, für zutreffend erachten.

Die Worte "dunkel" und "klar" zur Kennzeichnung von "Vorstellungen in der Seele", sind hergenommen, wie LEIBNIZ und WOLFF sowie auch schon CARTESIUS ausdrücklich bemerken, vom "Gesicht". Wir  sehen  ein Ding "dunkel" oder wir sehen ein Ding "klar" und in beiden Fällen sehen wir etwas und nicht etwa im ersten Fall nichts; das dunkle Ding ist jedoch kaum unterschieden von seiner Umgebung, während das klare sich von dieser scharf abhebt. Diesen Gegensatz überträgt nun LEIBNIZ auf seine "Vorstellungen in der Seele", was sich ihm umso ungezwungener einstellt, als er, wie es ja überhaupt zu geschehen pflegt, zu solchen "Vorstellungen" sich hält, die nach seiner Auffassung "Bilder" von "objets externes" d. i. von Dingen sind, denn hier scheint kaum noch von "bildlichem", sondern vielmehr von dem sachlich treffendem Ausdruck "dunkle und klare Vorstellung" zu reden zu sein. Wie dem indessen auch sei, auf alle Fälle steht eben durch die Unterscheidung der Vorstellungen als "klare" und "dunkle" fest, daß nach LEIBNIZ das besondere Vorstellen der Seele als petite perception und als apperception  nur dem Grad nach  verschieden ist und daß darum die Vorstellung, die LEIBNIZ als "dunkle" bezeichnet, nicht etwa nichts, sondern etwas in der Seele und, gleich der "klaren" Vorstellung, in der eben nur dem Stärkegrad nach verschiedenen Tätigkeit der Seele gegründet sein soll.

Die Untersuchung "klare und dunkle Vorstellung" erhält für LEIBNIZ aber noch eine größere Bedeutung, wenn "Vorstellung" nicht im Sinne des "Vorgestellten", sondern in jenem anderen Sinn als "vorstellendes" d. i. als "Bild von etwas" gefaßt wird. Wir erinnern uns dabei der LEIBNIZschen Bezeichnung der Seele als eines  Spiegels  der Welt und verstehen nun recht die Unterscheidung "dunkle und klare Vorstellungen in der Seele" als "Bildern der Welt" - ein Unterschied, der durch die Beschaffenheit des "Spiegels", das will sagen, durch die verschiedengradige Tätigkeit (Vorstellen) der Seele bedingt ist . So gibt es denn, je nach der Stärke der Tätigkeit, "verschwommene und dunkle" oder "deutliche und klare Bilder in der Seele". Auch diese Betrachtung kommt darauf hinaus, daß Dunkelheit und Klarheit der "Vorstellung in der Seele" nur  Gradunterschiede  dieser Vorstellungen als Bilder bezeichnen.

Hört man ferner im besonderen noch von "Graden der Klarheit", wie z. B. schon bei WOLFF, so zeigen sich offenbar die gesamten "Vorstellungen" zunächst in zwei Gruppen geteilt, deren eine aus den Vorstellungen, die im  schwächsten  Vorstellen der Seele gegründet sind, besteht, während alle übrigen Vorstellungen, die auf ein stärkeres als jenes schwächste Vorstellen der Seele gegründet sind, die andere Gruppe bilden. Jene Gruppe erhält dann den Namen der dunklen (WOLFF sagt auch zuweilen "völlig dunklen"), diese dagegen den der klaren Vorstellungen überhaupt. Nun verstehen wir die Behauptung von den verschiedenen "Graden der Klarheit", die sich eben innerhalb der letzten Gruppe zeigen werden, je nach dem Stärkegrade des Vorstellens der Seele; wir werden dabei aber doch nicht vergessen, daß die Vorstellungen der ersten Gruppe, die sogenannten "dunklen", keineswegs durch eine Kluft von den durch den "Grad der  Klarheit"  voneinander sich abhebenden Vorstellungen getrennt sind, wie ihre gegensätzliche Bezeichnung als  "dunkle"  gegenüber den "klaren" vermuten läßt, sondern daß auch sie sich  nur dem Grade nach  als Vorstellung in beiderlei Sinne, namentlich im "Bildsein" und im "Vorgestelltsein", von den übrigen unterscheiden.

Ist es aber auch  nur eine gradweise  Verschiedenheit zwischen perception und apperception, wie zwischen dunkler und klarer Vorstellung überhaupt, die von LEIBNIZ behauptet wurde, so war diese Unterscheidung ihm doch von großer Bedeutung. Ohne die Behauptung der apperception war ihm die  Entwicklung der vorstellenden Seele  unverständlich. So schied er scharf zwischen  apperzipierten  und  nichtapperzipierten  "Vorstellungen in der Seele, d. h. zwischen  bemerkten und nichtbemerkten,  ohne jedoch zu vergessen, daß die Vorstellungen zwar "Vorstellendes" (Bild), jedoch auch allesamt "Vorgestelltes" (im Vorstellen der Seele Gegründetes) und somit die apperzipierte und die nichtapperzipierte Vorstellung als "klare" und als "dunkle" Vorstellung nur  gradweise verschieden  seien.

Diese Verschiedenheit will er niemals übersehen wissen; während CARTESIUS auf die Formel "Conscientia = perceptio" schwört, ersetzt er die "perceptio schlechtweg" durch jene besondere "perceptio", die er "apperceptio" nennt und steht somit zu der Formel "apperceptio = conscientia". Das Wort "conscientia" (conscience) hat ihm dabei denselben Sinn und dieselbe  "reflexive" Bedeutung,  wie den Alten und vor allem auch CARTESIUS. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß das LEIBNIZsche Wort "apperception" etwas vom "Selbstbewußtsein" mit sich führe und wenn wir hier genauer zusehen, so läuft es darauf hinaus, daß in jeder apperception die Seele nicht nur die Vorstellung, sondern auch sich  als das Tätige (Vorstellende)  wissen soll. Es ist aber zu weit gegangen, wenn man behauptet, in die "apperception" schlechtweg lege LEIBNIZ ein "Selbstbewußtsein" im Sinne der "klaren Vorstellung der Seele von sich selbst" hinein; hieraus geht hervor, daß dieses "Selbstbewußtsein", dieses "penser á moi",  eine besondere apperception  ist, die aber eben darum auch als apperception schlechtweg das Wissen der Seele von sich als dem Vorstellenden (=Tätigen) mit sich führt. Es empfiehlt sich daher, dieses nach LEIBNIZ in jeder apperception gegründete Wissen der Seele von sich als Vorstellendem nicht schon "Selbstbewußtsein" zu nennen, sondern dafür zu sagen, daß nach LEIBNIZ die Seele in der apperception  sich  des "Perzipierten" (Vorgestellten)  bewußt sei. 
LITERATUR - Johannes Rehmke, Das Bewußtsein, Heidelberg 1910
    Anmerkungen
    1) "Gedenken" = "Denken" im Sinne des cartesianischen "cogitare"; vgl. HAGEDORN, Od. und Lied 50: "Glaubt mir, ich bin! Ja, ja! Warum? Weil ich gedenke!"
    2) Es ist interessant, zu bemerken, daß WOLFF in den ersten Malen, wenn er die fragliche neue Redewendung gebraucht, "Bewußt" und "sein" getrennt schreibt und erst, nachdem er sich gleichsam etwas eingewöhnt hat, zieht er "Bewußt" und "sein" in ein Wort "Bewußtsein" zusammen und bleibt dann auch bei dieser Schreibweise.