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Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte [1/3]
Drittes Buch Prinzip einer neuen Wertsetzung I. Der Wille zur Macht als Erkenntnis a) Methode der Forschung 466. Nicht der Sieg der Wissenschaft ist das, was unser 19. Jahrhundert auszeichnet sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methode über die Wissenschaft. 467. Geschichte der wissenschaftlichen Methode, von AUGUSTE COMTE beinahe als Philosophie selber verstanden. 468. Die großen Methodologen: ARISTOTELES, BACON, DESCARTES, COMTE. 469. Die wertvollsten Einsichten werden am spätesten gefunden: aber die wertvollsten Einsichten sind die Methoden. Wir haben das ganze Pathos der Menschheit gegen uns gehabt, - und Begriff von dem, was die "Wahrheit" sein soll, was der Dienst der Wahrheit sein soll, unsere Objektivität, unsere Methode, unsere stille, vorsichtige, mißtrauische Art war vollkommen verächtlich ... Im Grunde war es ein ästhetischer Geschmack, was die Menschheit am längsten gehindert hat: sie glaubte an den pittoresken Effekt der Wahrheit, sie verlangte vom Erkennenden, daß er stark auf die Phantasie wirkt. Das sieht aus, also ob ein Gegensatz erreicht, ein Sprung gemacht worden sei: in Wahrheit hat jene Schulung durch die Moral-Hyperbeln Schritt für Schritt jenes Pathos milderer Art vorbereitet, das als wissenschaftlicher Charakter leibhaft wurde ... Die Gewissenhaftigkeit im Kleinen, die Selbstkontrolle des religiösen Menschen war eine Vorschule zum wissenschaftlichen Charakter: vor allem die Gesinnung, welche Probleme ernst nimmt, noch abgesehen davon, was persönlich dabei für Einen herauskommt ... b) Der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt 470. Tiefe Abneigung, in irgendeiner Gesamtbetrachtung der Welt ein für alle Mal auszuruhen. Zauber der entgegengesetzten Denkweise: sich den Anreiz des enigmatischen Charakters nicht nehmen lassen. 471. Die Voraussetzung, daß es im Grunde der Dinge so moralisch zugeht, daß die menschliche Vernunft Recht behält, - ist eine Treuherzigkeit und Biedermanns-Voraussetzung, die Nachwirkung des Glaubens an die göttliche Wahrhaftigkeit - Gott als Schöpfer der Dinge gedacht. - Die Begrife eine Erbschaft aus einer jenseitigen Vorexistenz - - 472. Widerspruch gegen die angeblichen "Tatsachen des Bewußtseins". Die Beobachtung ist tausendfach schwieriger, der Irrtum vielleicht Bedingung der Beobachtung überhaupt. 473. Der Intellekt kann sich nicht selbst kritisieren, eben weil er nicht zu vergleichen ist mit andersgearteten Intellekten und weil sein Vermögen zu erkennen erst angesichts der "wahren Wirklichkeit" zutage treten würde, d. h. weil, um den Intellekt zu kritisieren, wir ein höheres Wesen mit "absoluter Erkenntnis" sein müßten. Dies setzt schon voraus, daß es, abseits von allen perspektivischen Arten der Betrachtung und sinnlich-geistiger Aneignung, Etwas gäbe, ein "Ansich". - Aber die psychologische Ableitung des Glaubens an Dinge verbietet uns, von "Dingen ansich" zu reden. 474. Daß zwischen Subjekt und Objekt eine Art adäquater Relation stattfindet; daß das Objekt etwas ist, das von Innen gesehen Subjekt wäre, ist eine gutmütige Erfindung, die, wie ich denke, ihre Zeit gehabt hat. Das Maß dessen, was uns überhaupt bewußt wird, ist ja ganz und gar abhängig von der groben Nützlichkeit des Bewußtwerdens: wie erlaubte uns diese Winkelperspektive des Bewußtseins irgendwie über "Subjekt" und "Objekt" Aussagen, mit denen die Realität berührt würde! - 475. Kritik der neuen Philosophie: fehlerhafter Ausgangspunkt, als obe es "Tatsachen des Bewußtseins" gäbe - und keinen Phänomenalismus in der Selbst-Beobachtung. 476. "Bewußtsein" - inwiefern die vorgestellte Vorstellung, der vorgestellte Wille, das vorgestellte Gefühl (das uns allein bekannte) ganz oberflächlich ist! "Erscheinung" auch unsere innere Welt! 477. Ich halte die Phänomenalität auch der inneren Welt fest: Alles, was uns bewußt wird, ist durch und durch erst zurechtgemacht, vereinfacht, schematisiert, ausgelegt, - der wirkliche Vorgang der inneren "Wahrnehmung", die Kausalvereinigung zwischen Gedanken, Gefühlen, Begehrungen, zwischen Subjekt und Objekt ist uns absolut verborgen - und vielleicht eine reine Einbildung. Diese "scheinbare innere Welt" ist mit ganz denselben Formen und Prozeduren behandelt, wie die "äußere" Welt. Wir stoßen nie auf "Tatsachen": Lust und Unlust sind späte und abgeleitete Intellekt-Phänomene ... Die "Ursächlichkeit" entschlüpft uns; zwischen Gedanken ein unmittelbares, ursächliches Band anzunehmen, wie es die Logik tut - das ist Folge der allergröbsten und plumpsten Beobachtung. Zwischen zwei Gedanken spiele noch alle möglichen Affekte ihr Spiel: aber die Bewegungen sind zu rasch, deshalb verkennen wir sie, leugnen wir sie ... "Denken", wie es die Erkenntnistheoretiker ansetzen, kommt gar nicht vor: das ist eine ganz willkürliche Fiktion, erreicht durch Heraushebung eines Elementes aus dem Prozeß und Subtraktion aller übrigen, eine künstliche Zurechtmachtung zum Zweck der Verständlichung ... Der "Geist", etwas, das denken: womöglich gar "der Geist absolut, rein, Pur" - diese Konzeption ist eine abgeleitete zweite Folge der falschen Selbstbeobachtung, welche an "Denken" glaubt: hier ist erst ein Akt imaginiert, der gar nicht vorkommt, "das Denken", und zweitens ein Subjekt-Substrat imaginiert, in dem jeder Akt dieses Denkens und sonst nichts anderes seinen Ursprung hat: das heißt sowohl das Tun, als auch der Täter sind fingiert. 478. Man muß den Phänomenalismus nicht an der falschen Stelle suchen: nichts ist phänomenaler, (oder deutlicher:) nichts ist so sehr Täuschung, als diese innere Welt, die wir mit dem berühmten "inneren Sinn" beobachten. Wir haben den Willen als Ursache geglaubt, bis zu dem Maß, daß wir nach unserer Personal-Erfahrung überhaupt eine Ursache in das Geschehen hineingelegt haben (d. h. Absicht als Ursache von Geschehen -). Wir glauben, daß Gedanke und Gedanke, wie sie in uns nacheinander folgen, in irgendeiner kausalen Verkettung stehen: der Logiker insbesondere, der tatsächlich von lauter Fällen redet, die niemals in der Wirklichkeit vorkommen, hat sich an das Vorurteil gewöhnt, daß Gedanken Gedanken verursachen - Wir glauben - und selbst unsere Philosophen glauben es noch -, daß Lust und Schmerz Ursache sind von Reaktionen, daß es der Sinn von Lust und Schmerz ist, Anlaß zu Reaktionen zu geben. Man hat Lust und das Vermeiden der Unlust geradezu Jahrtausende lang als Motive für jedes Handeln aufgestellt. Mit einiger Besinnung dürften wir zugeben, daß alles so verlaufen würde, nach genau derselben Verkettung der Ursachen und Wirkungen, wenn diese Zustände "Lust und Schmerz" fehlten: und man täuscht sich einfach, zu behaupten, daß sie irgendetwas verursachen: - es sind Begleiterscheinungen mit einer ganz anderen Finalität, als der, Reaktionen hervorzurufen; es sind bereits Wirkungen innerhalb des eingeleiteten Prozesses der Reaktion. In summa: Alles, was bewußt wird, ist eine Enderscheinung, ein Schluß - und verursacht nichts; alles Nacheinander im Bewußtsein ist vollkommen atomistisch -. Und wir haben die Welt versucht zu verstehen in der umgekehrten Auffassung, - als ob Nichts wirke und real sei als Denken, Fühlen, Wollen! ... 479. Der Phänomenalismus der "inneren Welt". Die chronologische Umdrehung, so daß die Ursache später ins Bewußtsein tritt als die Wirkung. - Wir haben gelernt, daß der Schmerz an eine Stelle des Leibes projiziert wird, ohne dort seinen Sitz zu haben -: wir haben gelernt, daß die Sinnesempfindung, welche man naiv als bedingt durch die Außenwelt ansetzt, vielmehr durch die Innenwelt bedingt ist: daß die eigentliche Aktion der Außenwelt immer unbewußt verläuft ... Das Stück Außenwelt, das uns bewußt wird, ist nachgeboren nach der Wirkung, die von Außen auf uns ausgeübt ist, ist nachträglich projiziert als deren "Ursache" ... Im Phänomenalismus der "inneren Welt" kehren wir die Chronologie von Ursache und Wirkung um. Die Grundtatsache der "inneren Erfahrung" ist, daß die Ursache imaginiert wird, nachdem die Wirkung erfolgt ist ... Dasselbe gilt auch von der Abfolge der Gedanken: - wir suchen den Grund zu einem Gedanken, bevor er uns noch bewußt ist: und dann tritt zuerst der Grund und dann dessen Folge ins Bewußtsein ... Unser ganzes Träumen ist die Auslegung von Gesamtgefühlen auf mögliche Ursachen: und zwar so, daß ein Zustand erst bewußt wird, wenn die dazu erfundene Kausalitätskette ins Bewußtsein getreten ist. Die ganze "innere Erfahrung" beruth darauf, daß zu einer Erregung der Nervenzentren eine Ursache gesucht und vorgestellt wird - und daß erst die gefundene Ursache ins Bewußtsein tritt: diese Ursache ist schlechterdings nicht adäquat der wirklichen Ursache, - es ist ein Tasten aufgrund der ehemaligen "inneren Erfahrungen", d. h. des Gedächtnisses. Das Gedächtnis erhält aber auch die Gewohnheit der alten Interpretationen, d. h. der irrtümlichen Ursächlichkeit, - sodaß die "innere Erfahrung" in sich noch die Folgen aller ehemaligen falschen Kausalfiktionen zu tragen hat. Unsere "Außenwelt", wie wir sie jeden Augenblick projizieren, ist unauflöslich gebunden an den alten Irrtum vom Grunde: wir legen sie aus dem Schematismus des "Dings" usw. Die "innere Erfahrung" tritt uns ins Bewußtsein erst nachdem sie eine Sprache gefunden hat, die das Individuum versteht - d. h. eine Übersetzung eines Zustandes in ihm bekanntere Zustände -: "verstehen" das heißt naiv bloß: etwas Neues ausdrücken können in der Sprache von etwas Altem, Bekanntem. Zum Beispiel "ich befinde mich schlecht" - ein solches Urteil setzt eine große und späte Neutralität des Beobachtenden voraus -: der naive Mensch sagt immer: Das und Das macht, daß ich mich schlecht befinde, - er wird über sein Schlechtbefinden erst klar, wenn er einen Grund sieht, sich schlecht zu befinden ... Das nenne ich den Mangel an Philologie; einen Text als Text ablesen können, ohne eine Interpretation dazwischen zu mengen, ist die späteste Form der "inneren Erfahrung", - vielleich eine kaum mögliche ... 480. Es gibt weder "Geist", noch Vernunft, noch Denken, noch Bewußtsein, noch Seele, noch Wille, noch Wahrheit: alles Fiktionen, die unbrauchbar sind. Es handelt sich nicht um "Subjekt und Objekt", sondern um eine bestimmte Tierart, welche nur unter einer gewissen relativen Richtigkeit, vor allem Regelmäßigkeit ihrer Wahrnehmungen (sodaß sie Erfahrung kapitalisieren kann) gedeiht ... Die Erkenntnis arbeitet als Werkzeug der Macht. So liegt es auf der Hand, daß sie wächst mit jedem Mehr von Macht ... Sinn der "Erkenntnis": hier ist, wie bei "gut" oder "schön", der Begriff streng und eng anthropozentrisch und biologisch zu nehmen. Damit eine bestimmte Art sich erhält und wächst in ihrer Macht, muß sie in ihrer Konzeption der Realität so viel Berechenbares und Gleichbleibendes erfassen, daß daraufhin ein Schema ihres Verhaltens konstruiert werden kann. Die Nützlichkeit der Erhaltung - nicht irgendein abstrakt-theoretisches Bedürfnis, nicht betrogen zu werden - steht als Motiv hinter der Entwicklung der Erkenntnisorgane ..., sie entwickeln sich so, daß ihre Beobachtung genügt, uns zu erhalten. Anders: das Maß des Erkennenwollens hängt ab vom Maß des Wachsens des Willens zur Macht der Art: eine Art ergreift so viel Realität, um über sie Herr zu werden, um sie in Dienst zu nehmen. c) Der Glaube an das "Ich". Subjekt. 481. Gegen den Positivismus, welcher bei den Phänomenen stehen bleibt "es gibt nur Tatsachen", würde ich sagen: nein, gerade Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen. Wir können kein Faktum "ansich" feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. "Es ist Alles subjektiv" sagt ihr: aber schon das ist Auslegung. Das "Subjekt" ist nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu-Erdichtetes, Dahinter-Gestecktes. - Ist es zuletzt nötig, den Interpreten noch hinter die Interpretation zu setzen? Schon das ist Dichtung, Hypothese. Soweit überhaupt das Wort "Erkenntnis" Sinn hat, ist die Welt unerkennbar: aber sie ist anders deutbar, sie hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne. - "Perspektivismus". Unsere Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen; unsere Triebe und deren Für und Wider. Jeder Trieb ist eine Art Herrschsucht, jeder hat seine Perspektive, welche er als Norm allen übrigen Trieben aufzwingen möchte. 482. Wir stellen ein Wort hin, wo unsere Unwissenheit anhebt, wo wir nicht mehr weiter sehen können, z. B. das Wort "Ich", das Wort "tun", das Wort "leiden": - das sind vielleicht Horizontlinien unserer Erkenntnis, aber keine "Wahrheiten". 483. Durch das Denken wird das Ich gesetzt; aber bisher glaubte man wie das Volk, im "Ich denke" liege etwas von Unmittelbar-Gewissem, und dieses "Ich" sei die gegebene Ursache des Denkens, nach deren Analogie wir alle sonstigen ursächlichen Verhältnisse verstünden. Wie sehr gewohnt und unentbehrlich jetzt jene Fiktion auch sein mag, - das allein beweist noch Nichts gegen ihre Erdichtetheit: es kann ein Glaube Lebensbedingung und trotzdem falsch sein. 484. "Es wird gedacht: folglich gibt es Denkendes": darauf läuft die Argumentation des CARTESIUS hinaus. Aber das heißt unseren Glauben an den Substanz -begriff schon als "wahr a priori" ansetzen: - daß, wenn gedacht wird, es etwas geben muß, "das denkt", ist einfach eine Formulierung unserer grammatischen Gewöhnung, welche zu einem Tun einen Täter setzt. Kurz, es wird hier bereits ein logisch-metaphysisches Postulat gemacht - und nicht nur konstatiert ... Auf dem Weg des CARTESIUS kommt man nicht zu etwas absolut Gewissem, sondern nur zu einem Faktum eines sehr starken Glaubens. Reduziert man den Satz auf "es wird gedacht, folglich gibt es Gedanken", so hat man eine bloße Tautologie: und gerade das, was in Frage steht, die "Realität des Gedankens", ist nicht berührt, - nämlich in dieser Form ist die "Scheinbarkeit" des Gedankens nicht abzuweisen. Was aber CARTESIUS wollte, ist, daß der Gedanke nicht nur eine scheinbare Realität hat, sondern eine ansich. 485. Der Substanz -Begriff eine Folge des Subjekt -Begriffs: nicht umgekehrt! Geben wir die Seele, "das Subjekt" preis, so fehlt die Voraussetzung für eine "Substanz" überhaupt. Man bekommt Grade des Seienden, man verliert das Seiende. Kritiker der "Wirklichkeit": worauf führt die Mehr-oder-Weniger-Wirklichkeit", die Gradation des Seins, an die wir glauben? - Unser Grad von Lebens- und Machtgefühl (Logik und Zusammenhang des Erlebten) gibt uns das Maß von "Sein", "Realität", Nicht-Schein. Subjekt: das ist die Terminologie unseres Glaubens an eine Einheit unter all den verschiedenen Momenten höchsten Realitätsgefühls: wir verstehen diesen Glauben als Wirkung einer Ursache, - wir glauben an unseren Glauben so weit, daß wir um seinetwillen die "Wahrheit", "Wirklichkeit", "Substanzialität" überhaupt imaginieren. - "Subjekt" ist die Fiktion, als ob viele gleiche Zustände an uns die Wirkung eines Substrats wären: aber wir haben erst die "Gleichheit" dieser Zustände geschaffen; das Gleich- setzen und Zurecht- machen derselben ist der Tatbestand, nicht die Gleichheit (- diese ist vielmehr zu leugnen -). 486. Man müßte wissen, was Sein ist, um zu entscheiden, ob dieses oder jenes real ist (z. B. "die Tatsachen des Bewußtseins"); ebenso was Gewißheit ist, was Erkenntnis ist und dergleichen. - Da wir das aber nicht wissen, so ist eine Kritik des Erkenntnisvermögens unsinnig: wie sollte das Werkzeug sich selbst kritisieren können, wenn es eben nur sich zu Kritik gebrauchen kann? es kann sich nicht einmal selbst definieren! 487. Muß nicht alle Philosophie endlich die Voraussetzungen, auf denen die Bewegung der Vernunft ruht, ans Licht bringen? - unseren Glauben an das "Ich" als an eine Substanz, als an die einzige Realität, nach welcher wir überhaupt den Dingen Realität zusprechen? Der älteste "Realismus" kommt zuletzt ans Licht: zu gleicher Zeit, wo die ganze religiöse Geschichte der Menschheit sich wiedererkennt als Geschichte vom Seelen-Aberglauben. Hier ist eine Schranke: unser Denken selbst involviert jenen Glauben (mit seiner Unterscheidung von Substanz, Akzidenz; Tun, Täter usw.); ihn fahren lassen heißt: nicht-mehr-denken-dürfen. Daß aber ein Glaube, so notwendig er ist zur Erhaltung von Wesen, nichts mit der Wahrheit zu tun hat, erkennt man z. B. selbst daran, daß wir an Zeit, Raum und Bewegung glauben müssen, ohne uns gezwungen zu fühlen, hier absolute Realität zuzugestehen. 488. Psychologische Ableitung unseres Glaubens an die Vernunft. - Der Begriff "Realität", "Sein" ist von unserem "Subjekt"- Gefühl entnommen. "Subjekt": von uns aus interpretiert, so daß das Ich als Substanz gilt, als Ursache allen Tuns, als Täter. Die logisch-metaphysischen Postulate, der Glaube an Substanz, Akzidenz, Attribut, usw. hat seine Überzeugungskraft in der Gewohnheit, all unser Tun als Folge unseres Willens zu betrachten: - so daß das Ich, als Substanz, nicht vergeht in der Vielheit der Veränderung. - Aber es gibt keinen Willen. - Wir haben gar keine Kategorien, um eine "Welt ansich" von einer "Welt als Erscheinung" scheiden zu dürfen. Alle unsere Vernunft-Kategorien sind sensualistischer Herkunft: abgelesen von der empirischen Welt. "Die Seele", "das Ich" - die Geschichte dieser Begriffe zeigt, daß auch hier die älteste Scheidung ("Atem", "Leben") ... Wenn es nichts Materielles gibt, gibt es auch nichts Immaterielles. Der Begriff enthält nichts mehr. Keine Subjekt-"Atome". Die Sphäre eines Subjekts beständig wachsend oder sich vermindernd, der Mittelpunkt des Systems sich beständig verschiebend; im Fall daß es die angeeignete Masse nicht organisieren kann, zerfällt es in zwei. Andererseits kann es sich ein schwächeres Subjekt, ohne es zu vernichten, zu seinem Funktionär umbilden und bis zu einem gewissen Grad mit ihm zusammen eine neue Einheit bilden. Keine "Substanz", vielmehr etwas, das ansich nach Verstärkung strebt; und das sich nur indirekt "erhalten" will (es will sich überbieten -). 489. Alles, was als "Einheit" ins Bewußtsein tritt, ist bereits ungeheuer kompliziert: wir haben immer nur einen Anschein von Einheit. Das Phänomen des Leibes ist das reichere, deutlichere, faßbarere Phänomen: methodisch voranzustellen, ohne etwas auszumachen über seine letzte Bedeutung. 490. Die Annahme des einen Subjekts ist vielleicht nicht notwendig; vielleicht ist es ebensogut erlaubt, eine Vielheit von Subjekten anzunehmen, deren Zusammenspiel und Kampf unserem Denken und überhaupt unserem Bewußtsein zugrunde liegt? Eine Art Aristokratie von "Zellen", in denen die Herrschaft ruht? Gewiß von pares, [Gleichen - wp] welche miteinander ans Regieren gewöhnt sind und zu befehlen verstehen? Meine Hypothesen: Das Subjekt als Vielheit. Der Schmerz intellektuell und abhängig vom Urteil "schädlich": projiziert. Die Wirkung immer "unbewußt": die erschlossene und vorgestellte Ursache wird projiziert, folgt der Zeit nach. Die Lust ist eine Art des Schmerzes. Die einzige Kraft, die es gibt, ist gleicher Art wie die des Willens: ein Kommandieren an andere Subjekte, welche sich daraufhin verändern. Die beständige Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des Subjekts. "Sterbliche Seele". Die Zahl als perspektivische Form. 491. Der Glaube an den Leib ist fundamentaler, als der Glaube an die Seele: letzterer ist entstanden aus der unwissenschaftlichen Betrachtung der Agonien des Leibes (Etwas, das ihn verläßt. Glaube an die Wahrheit des Traumes -). 492. Ausgangspunkt vom Leib und der Physiologie: warum? - Wir gewinnen die richtige Vorstellung von der Art unserer Subjekt-Einheit, nämlich als Regenten an der Spitze eines Gemeinwesens (nicht als "Seelen" oder "Lebenskräfte"), insgleichen von der Abhängigkeit dieser Regenten von den Regierten und den Bedingungen der Rangordnung und Arbeitsteilung als Ermöglichung zugleich der Einzelnen und des Ganzen. Ebenso wie fortwährend die lebendigen Einheiten entstehen und sterben und wie zum "Subjekt" nicht nur Ewigkeit gehört; ebenso daß der Kampf auch in Gehorchen und Befehlen sich ausdrückt und ein fließendes Machtgrenzenbestimmen zum Leben gehört. die gewisse Unwissenheit, in der der Regent gehalten wird über die einzelnen Verrichtungen und selbst Störungen des Gemeinwesens, gehört mit zu den Bedingungen, unter denen regiert werden kann. Kurz, wir gewinnen eine Schätzung auch für das Nichtwissen, das Im-Großen-und-Groben-Sehen, das Vereinfachen und Fälschen, das Perspektivische. Das Wichtigste ist aber: daß wir den Beherrscher und seine Untertanen als gleicher Art verstehen, alle fühlend, wollend, denkend - und daß wir überall, wo wir Bewegung im Leib sehen oder erraten, auf ein zugehöriges subjektives, unsichtbares Leben hinzuschließen lernen. Bewegung ist eine Symbolik für das Auge; sie deutet hin, daß etwas gefühlt, gewollt, gedacht worden ist. Das direkte Befragen des Subjekts über das Subjekt und alle Selbst-Bespiegelung des Geistes hat darin seine Gefahren, daß es für seine Tätigkeit nützlich und wichtig sein könnte, sich falsch zu interpretieren. Deshalb fragen wir den Leib und lehnen das Zeugnis der verschärften Sinne ab: wenn man wil, wir sehen zu, ob nicht die Untergebenen selber mit uns in Verkehr treten können. d) Biologie des Erkenntnistriebes. Perspektivismus. 493. Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt. 494. Es ist unwahrscheinlich, daß unser "Erkennen" weiter reichen sollte, als es knapp zur Erhaltung des Lebens ausreicht. Die Morphologie zeigt uns, wie die Sinne und die Nerven, sowie das Gehirn sich entwickeln im Verhältnis zur Schwierigkeit der Ernährung. 495. "Der Sinn für Wahrheit" muß, wenn die Moralität des "Du sollst nicht lügen" abgewiesen ist, sich vor einem anderen Forum legitimieren: - als Mittel der Erhaltung von Mensch, als Macht-Wille. Ebenso unsere Liebe zum Schönen: ist ebenfalls der gestaltende Wille. Beide Sinne stehen bei einander; der Sinn für das Wirkliche ist das Mittel, die Macht in die Hand zu bekommen, um die Dinge nach unserem Belieben zu gestalten. Die Lust am Gestalten und Umgestalten - eine Urlust! Wir können nur eine Welt begreifen, die wir selber gemacht haben. 496. Von der Vielartigkeit der Erkenntnis. Seine Relation zu vielem Anderen spüren (oder die Relation der Art) - wie sollte das "Erkenntnis" des Andern sein! Die Art zu kennen und zu erkennen ist selber schon unter den Existenz-Bedingungen: dabei ist der Schluß, daß es keine anderen Intellekt-Arten geben könne (für uns selber) als die, welche uns erhält, eine Übereilung: diese tatsächliche Existenz-Bedingung ist vielleicht nur zufällig und vielleicht keineswegs notwendig. Unser Erkenntnis-Apparat nicht auf "Erkenntnis" eingerichtet. 497. Die bestgeglaubten apriorischen "Wahrheiten" sind für mich - Annahmen bis auf Weiteres, z. B. das Gesetz der Kausalität, sehr gut eingeübte Gewöhnungen des Glaubens, so einverleibt, daß nicht daran glauben das Geschlecht zugrunde richten würde. Aber sind es deswegen Wahrheiten? Welcher Schluß! Als ob die Wahrheit damit bewiesen würde, daß der Mensch bestehen bleibt! 498. Wie weit auch unser Intellekt eine Folge von Existenzbedingungen ist -: wir hätten ihn nicht, wenn wir ihn nicht nötig hätten, und hätten ihn nicht so, wenn wir ihn nicht so nötig hätten, wenn wir auch anders leben könnten. 499. "Denken" im primitiven Zustand (vor-organisch) ist Gestalten-Durchsetzen, wie beim Kristall. - In unserem Denken ist das Wesentliche das Einordnen des neuen Materials in die alten Schemata (= Prokrustesbett), das Gleich- machen des Neuen. 500. Die Sinneswahrnehmungen nach "außen" projiziert: "innen" und "außen" - da kommandiert der Leib - ? Dieselbe gleichmachende und ordnende Kraft, welche im Idioplasma waltet, waltet auch beim Einverleiben der Außenwwelt: unsere Sinneswahrnehmungen sind bereits das Resultat dieser Anähnlichung und Gleichsetzung in Bezug auf alle Vergangenheit in uns; sie folgen nicht sofort auf den "Eindruck" - 501. Alles Denken, Urteilen, Wahrnehmen als Vergleichen hat als Voraussetzung ein "Gleich- setzen", noch früher ein "Gleich- machen". Das Gleich-machen ist dasselbe, was die Einverleibung der angeeigneten Materie in die Amöbe ist. "Erinnerung" spät, insofern hier der gleichmachende Trieb bereits gebändigt erscheint: die Differenz wird bewahrt. Erinnern als ein Einrubrizieren und Einschachteln; aktiv - wer? 502. In Betreff des Gedächtnisses muß man umlernen: hier steckt die Hauptverführung eine "Seele" anzunehmen, welche zeitlos reproduziert, wiedererkennt usw. Aber das Erlebte lebt fort "im Gedächtnis"; daß es "kommt", dafür kann ich nichts, der Wille ist dafür untätig, wie beim Kommen jedes Gedankens. Es geschieht etwas, dessen ich mir bewußt werde: jetzt kommt etwas Ähnliches - wer ruft es? weckt es? 503. Der ganze Erkenntnisapparat ist ein Abstraktions- und Simplifikations-Apparat - nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge: "Zweck" und "Mittel" sind so fern vom Wesen wie die "Begriffe". Mit "Zweck" und "Mittel" bemächtigt man sich des Prozesses (- man erfindet einen Prozeß, der faßbar ist), mit "Begriffen" aber der "Dinge", welche den Prozeß machen. 504. Das Bewußtsein, - ganz äußerlich beginnende, als Koordination und Bewußtwerden der "Eindrücke" - anfänglich am weitesten entfernt vom biologischen Zentrum des Individuums; aber ein Prozeß, der sich vertieft, verinnerlicht, jenem Zentrum beständig annähert. 505. Unsere Wahrnehmungen, wie wir sie verstehen: d. h. die Summe all der Wahrnehmungen, deren Bewußtwerden uns und dem ganzen organischen Prozeß vor uns nützlich und wesentlich war: also nicht alle Wahrnehmungen überhaupt (z. B. nicht die elektrischen); das heißt: wir haben Sinne nur für eine Auswahl von Wahrnehmungen - solcher, an denen uns gelegen sein muß, um uns zu erhalten. Bewußtsein ist so weit da, als Bewußtsein nützlich ist. Es ist kein Zweifel, daß alle Sinneswahrnehmungen gänzlich durchsetzt sind mit Werturteilen (nützlich und schädlich - folglich angenehm oder unangenehm). Die einzelne Farbe drückt zugleich einen Wert für uns aus (obwohl wir es uns selten oder erst nach langem, ausschließlichem Einwirken derselben Farbe eingestehen, z. B. Gefangene im Gefängnis oder Irre). So auch reagieren Insekten auf verschiedene Farben anders: einige lieben diese, andere jene, z. B. Ameisen. 506. Erst Bilder - zu erklären, wie Bilder im Geist entstehen. Dann Worte, angewendet auf Bilder. Endlich Begriffe, erst möglich, wenn es Worte gibt - ein Zusammenfassen vieler Bilder unter etwas Nicht-Anschauliches, sondern Hörbares (Wort). Das kleine Bißchen Emotion, welches beim "Wort" entsteht, also beim Anschauen ähnlicher Bilder, für die ein Wort da ist - diese schwache Emotion ist das Gemeinsame, die Grundlage des Begriffes. Daß schwache Empfindungen als gleich angesetzt werden, als dieselben empfunden werden, ist die Grundtatsache. Also die Verwechslung zweier ganz benachbarten Empfindungen in der Konstatierung dieser Empfindungen; - wer aber konstatiert? das Glauben ist das Uranfänglich schon in jedem Sinnes-Eindruck: eine Art Ja-sagen erste intellektuelle Tätigkeit! Ein "Für-wahr-halten" im Anfang! Also zu erklären: wie ein "Für-wahr-halten" entstanden ist! Was liegt für eine Sensation hinter "wahr"? 507. Die Wertschätzung "ich glaube, daß Das und Das so ist" als Wesen der "Wahrheit". In den Wertschätzungen drücken sich Erhaltungs- und Wachstums-Bedingungen aus. Alle unsere Erkenntnisorgane und Sinne sind nur entwickelt in Hinsicht auf Erhaltungs- und Wachstums-Bedingungen. Das Vertrauen zur Vernunft und ihren Kategorien, zur Dialektik, also die Wertschätzung der Logik, beweist nur die durch Erfahrung bewiesene Nützlichkeit derselben für das Leben: nicht deren "Wahrheit". Daß eine Menge Glauben da sein muß; daß geurteilt werden darf; daß der Zweifel in Hinsicht auf alle wesentlichen Werte fehlt: - das ist Voraussetzung alles Lebendigen und seines Lebens. Also daß etwas für wahr gehalten werden muß, ist notwendig, - nicht, daß etwas wahr ist. "Die wahre und die scheinbare Welt" - dieser Gegensatz wird von mir zurückgeführ auf Wertverhältnisse. Wir haben unsere Erhaltungs-Bedingungen projiziert als Prädikate des Seins überhaupt. daß wir in unserem Glauben stabil sein müssen, um zu gedeihen, daraus haben wir gemacht, daß die "wahre" Welt keine wandelbare und werdende, sondern eine seiende ist. e) Entstehung von Vernunft und Logik 508. Ursprünglich Chaos der Vorstellungen. Die Vorstellungen, die sich miteinander vertrugen, blieben übrig, die größte Zahl ging zugrunde - und geht zugrunde. 509. Das Begierden-Erdreich, aus dem die Logik herausgewachsen ist: Herden-Instinkt im Hintergrund. Die Annahme der gleichen Fälle setzt die "gleiche Seele" voraus. Zum Zweck der Verständigung und Herrschaft. 510. Zur Entstehung der Logik. Der fundamentale Hang, gleichzusetzen, gleichzusehen wird modifiziert, im Zaum gehalten durch Nutzen und Schaden, durch den Erfolg: es bildet sich eine Anpassung aus, ein milderer Grad, in dem er sich befriedigen kann, ohne zugleich das Leben zu verneinen und in Gefahr zu bringen. Dieser ganze Prozeß ist ganz entsprechend jenem äußeren, mechanischen (der sein Symbol ist), daß das Plasma fortwährend, was es sich aneignet, sich gleich macht und in seine Formen und Reihen einordnet. 511. Gleichheit und Ähnlichkeit
2) Der Geist will Gleichheit, d. h. einen Sinneneindruck subsumieren unter eine vorhandene Reihe: ebenso wie der Körper Unorganisches sich assimiliert.
513. Die erfinderische Kraft, welche Kategorien erdichtet hat, arbeitete im Dienst des Bedürfnisses, nämlich von Sicherheit, von schneller Verständlichkeit aufgrund von Zeichen und Klängen, von Abkürzungsmitteln: - es handelt sich nicht um metaphysische Wahrheiten bei "Substanz", "Subjekt", "Objekt", "Sein", "Werden". - Die Mächtigen sind es, welche die Namen der Dinge zum Gesetz gemacht haben, und unter den Mächtigen sind es die größten Abstraktionskünstler-Künstler, die die Kategorien geschaffen haben. 514. Eine Moral, eine durch lange Erfahrung und Prüfung erprobte, bewiesene Lebensweise kommt zuletzt als Gesetz zum Bewußtseins, als dominierend ... Und damit tritt die ganze Gruppe verwandter Werte und Zustände in sie hinein: sie wird ehrwürdig, unangreifbar, heilig, wahrhaft; es gehört zu ihrer Entwicklung, daß ihre Herkunft vergessen wird ... Es ist ein Zeichen, daß sie Herr geworden ist ... Ganz dasselbe könnte geschehen sein mit den Kategorien der Vernunft: dieselben könnten, unter vielem Tasten und Herumgreifen, sich bewährt haben durch relative Nützlichkeit ... Es kam ein Punkt, wo man sie zusammenfaßte, sich als Ganzes zum Bewußtsein brachte - und wo man sie befahl, d. h. wo sie wirkten als befehlend ... Von jetzt ab galten sie als a priori, als jenseits der Erfahrung, als unabweisbar. Und doch drücken sie vielleicht nichts aus, als eine bestimmte Rassen- und Gattungs-Zweckmäßigkeit, - bloß ihre Nützlichkit ist ihre "Wahrheit" - 515. Nicht "erkennen", sondern schematisieren, - dem Chaos so viel Regularität und Formen auferlegen, als es unserem praktischen Bedürfnis genugtut. In der Bildung der Vernunft, der Logik, der Kategorien ist das Bedürfnis maßgebend gewesen: das Bedürfnis, nicht zu "erkennen", sondern zu subsumieren, zu schematisieren, zum Zweck der Verständigung, der Berechnung ... (Das Zurechtmachen, das Ausdichten zum Ähnlichen, Gleichen, - derselbe Prozeß, den jeder Sinneseindruck durchmacht, ist die Entwicklung der Vernunft!) Hier hat nicht eine prä-existente "Idee" gearbeitet: sondern die Nützlichkeit, daß nur, wenn wir grob und gleichgemacht die Dinge sehen, sie für uns berechenbar und handlich werden ... Die Finalität in der Vernunft ist eine Wirkung, keine Ursache: bei jeder anderen Art Vernunft, zu der es fortwährend Ansätze gibt, mißrät das Leben, - es wird unübersichtlich -, zu ungleich - Die Kategorien sind "Wahrheiten" nur in dem Sinne, als sie lebensbedingend für uns sind: wie der euklidische Raum eine solche bedingende "Wahrheit" ist. (Ansich geredet: da Niemand die Notwendigkeit, daß es gerade Menschen gibt, aufrechterhalten wird, ist die Vernunft, so wie der euklidische Raum, eine bloße Idiosynkrasie [Mischung - wp] bestimmter Tierarten, und eine neben vielen anderen ...) Die subjektive Nötigung, hier nicht widersprechen zu können, ist eine biologische Nötigung: der Instinkt der Nützlichkeit, so zu schließen wie wir schließen, steckt uns im Leib, wir sind beinahe dieser Instinkt ... Welche Naivität aber, daraus einen Beweis zu ziehen, daß wir damit eine "Wahrheit ansich" besäßen! ... Das Nicht-widersprechen-können beweist ein Unvermögen, nicht eine "Wahrheit". 516. Ein und dasselbe zu bejahen und zu verneinen mißlingt uns: das ist ein subjektiver Erfahrungssatz, darin drückt sich keine "Notwendigkeit" aus, sondern nur ein Nichtvermögen. Wenn, nach ARISTOTELES, der Satz vom Widerspruch der gewisseste aller Grundsätze ist, wenn er der letzte und unterste ist, auf den alle Beweisführungen zurückgehen, wenn in ihm das Prinzip aller anderen Axiome liegt: umso strenger sollte man erwägen, was er im Grund schon an Behauptungen voraussetzt. Entweder wird mit ihm etwas in Betreff des Wirklichen, Seienden behauptet, wie als ob man es anderswoher bereits kennte; nämlich daß ihm nicht entgegengesetzte Prädikate zugesprochen werden können. Oder der Satz will sagen: daß ihm entgegengesetzte Prädikate nicht zugesprochen werden sollen. Dann wäre Logik ein Imperativ, nicht zur Erkenntnis des Wahren, sondern zur Setzung und Zurechtmachung einer Welt, die uns wahr heißen soll. Kurz, die Frage steht offen: sind die logischen Axiome dem Wirklichen adäquat, oder sind sie Maßstäbe und Mittel, um Wirkliches, den Begriff "Wirklichkeit", für uns erst zu schaffen? ... Um das Erste zu bejahen zu können, müßte man aber, wie gesagt, das Seiende bereits kennen; was schlechterdings nicht der Fall ist. Der Satz enthält also kein Kriterium der Wahrheit, sondern einen Imperativ über das, was als wahr gelten soll. Gesetzt, es gäbe ein solches sich-selbst-identisches A gar nicht, wie es jeder Satz der Logik (auch der Mathematik) voraussetzt, das A wäre bereits eine Scheinbarkeit, so hätte die Logik eine bloß scheinbare Welt zur Voraussetzung. In der Tat glauben wir an jenen Satz unter dem Eindruck der unendlichen Empirie, welche ihn fortwährend zu bestätigen scheint. Das "Ding" - das ist das eigentliche Substrat zu A unser Glaube an Dinge ist die Voraussetzung für den Glauben an die Logik. Das A der Logik ist wie das Atom eine Nachkonstruktion des "Dinges" ... Indem wir das nicht begreifen und aus der Logik ein Kriterium des wahren Seins machen, sind wir bereits auf dem Weg, all jene Hypostasen [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] : Substanz, Prädikat, Objekt, Subjekt, Aktion usw. als Realitäten zu setzen: das heißt eine metaphysische Welt zu konzipieren, das heißt eine "wahre Welt" (- diese ist aber die scheinbare Welt noch einmal ...). Die ursprünglichsten Denkakte, das Bejahen und Verneinen, das Für-wahr-halten und das Nicht-für-wahr-halten, sind, insofern sie nicht nur eine Gewohnheit, sondern ein Recht voraussetzen, überhaupt für wahr zu halten oder für unwahr zu halten, bereits von einem Glauben beherrscht, daß es für uns Erkenntnis gibt, daß Urteilen wirklich die Wahrheit treffen könne: - kurz, die Logik zweifelt nicht, etwas vom An-sich-Wahren aussagen zu können (nämlich daß ihm nicht entgegengesetzte Prädikate zukommen können). Hier regiert das sensualistische grobe Vorurteil, daß die Empfindungen uns Wahrheiten über die Dinge lehren, - daß ich nicht zu gleicher Zeit von ein und demselben Ding sagen kann, es ist hart und es ist weich. (Der instinktive Beweis "Ich kann nicht zwei entgegengesetzte Empfindungen zugleich haben" - ganz grob und falsch.) Das begriffliche Widerspruchs-Verbot geht von dem Glauben aus, daß wir Begriffe bilden können, daß ein Begriff das Wesen eines Dings nicht nur bezeichnet, sondern faßt ... Tatsächlich gilt die Logik (wie die Geometrie und Arithmetik) nur von fingierten Wesenheiten, die wir geschaffen haben. Logik ist der Versuch, nach einem von uns gesetzten Seins-Schema die wirkliche Welt zu begreifen, richtiger: uns formulierbar, berechenbar zu machen ... 517. Die Annahme des Seienden ist nötig, um denken und schließen zu können: die Logik handhabt nur Formeln für Gleichbleibendes. Deshalb wäre diese Annahme noch ohne Beweiskraft für die Realität: "das Seiende" gehört zu unserer Optik. Das "Ich" als seiend (- durch Werden und Entwicklung nicht berührt). Die fingierte Welt von Subjekt, Substanz, "Vernunft" usw. ist nötig -: eine ordnende, vereinfachende, fälschende, künstlich-trennende Macht in uns. "Wahrheit" ist Wille, Herr zu werden über das Vielerlei der Sensationen: - die Phänomene aufreihen auf bestimmte Kategorien. Hierbei gehen wir vom Glauben an das "An-sich" der Dinge aus (wir nehmen die Phänomene als wirklich). Der Charakter der werdenden Welt als unformulierbar, als "falsch", als "sich-widersprechend". Erkenntnis und Werden schließen sich aus. Folglich muß "Erkenntnis" etwas anderes sein: es muß ein Wille zum Erkennbar-machen vorangehen, eine Art Werden selbst muß die Täuschung des Seienden schaffen. 518. Wenn unser "Ich" uns das einzige Sein ist, nach dem wir alles Sein machen oder verstehen: sehr gut! Dann ist der Zweifel sehr am Platze, ob hier nicht eine perspektivische Jllusion vorliegt - die scheinbare Einheit, in der wie in einer Horizontlinie alles sich zusammenschließt. Am Leitfaden des Leibes zeigt sich eine ungeheure Vielfachheit; es ist methodisch erlaubt, das besser studierbare reichere Phänomen zum Leitfaden für das Verständnis des ärmeren zu benutzen. Endlich: gesetzt Alles ist Werden, so ist Erkenntnis nur möglich aufgrund des Glaubens an ein Sein. 519. Wenn es "nur ein Sein gibt, das Ich" und nach seinem Bild alle anderen "Seienden" gemacht sind, - wenn schließlich der Glaube an das "Ich" mit dem Glauben an die Logik, d. h. metaphysische Wahrheit der Vernunft-Kategorien steht und fällt: wenn andererseits das Ich sich als etwas Werdendes erweist: so - 520. Die fortwährenden Übergänge erlauben es nicht, von "Individuum" usw. zu reden; die "Zahl" der Wesen ist selber im Fluß. Wir würden nichts von Zeit und nichts von Bewegung wissen, wenn wir nicht, in grober Weise, "Ruhendes" neben Bewegtem zu sehen glaubten. Ebensowenig von Ursache und Wirkung, und ohne die irrtümliche Konzeption des "leeren Raumes" wären wir gar nicht zur Konzeption des Raums gekommen. Der Satz von der Identität hat als Hintergrund den "Augenschein", daß es gleiche Dinge gibt. Eine werdende Welt könnte im strengen Sinn nicht "begriffen", nicht "erkannt" werden; nur insofern der "begreifende" und "erkennende" Intellekt eine schon geschaffene grobe Welt vorfindet, gezimmert aus lauter Scheinbarkeiten, aber fest geworden, insofern diese Art Schein das Leben erhalten hat - nur insofern gibt es etwas wie "Erkenntnis": d. h. ein Messen der früheren und der jüngeren Irrtümer aneinander. 521. Zur "logischen Scheinbarkeit". - Der Begriff "Individuum" und "Gattung" gleichermaßen falsch und bloß augenscheinlich. "Gattung" drückt nur die Tatsache aus, daß eine Fülle ähnlicher Wesen zu gleicher Zeit hervortreten und daß das Tempo im Weiterwachsen und Sich-Verändern eine lange Zeit verlangsamt ist: sodaß die tatsächlichen kleinen Fortsetzungen und Zuwächse nicht sehr in Betracht kommen (- eine Entwicklungsphase, bei der das Sich-entwickeln nicht in die Sichtbarkeit tritt, sodaß ein Gleichgewicht erreicht scheint, und die falsche Vorstellung ermöglicht wird, hier sei ein Ziel erreicht - und es habe ein Ziel in der Entwicklung gegeben ...). Die Form gilt als etwas Dauerndes und deshalb Wertvolleres; aber die Form ist bloß von uns erfunden; und wenn noch so oft "dieselbe Form erreicht wird", so bedeutet das nicht, daß es dieselbe Form ist, - sondern es erscheint immer etwas Neues - und nur wir, die wir vergleichen, rechnen das Neue, insofern es Altem gleicht, zusammen in die Einheit der "Form". Als ob ein Typus erreicht werden sollte und gleichsam der Bildung vorschwebt und innewohnt. Die Form, die Gattung, das Gesetz, die Idee, der Zweck - hier wird überall der gleiche Fehler gemacht, daß einer Fiktion eine falsche Realität untergeschoben wird: wie als ob das Geschehen irgendeinen Gehorsam in sich trage, - eine künstliche Scheidung im Geschehen wird da gemacht zwischen dem, was tut, und dem, wonach das Tun sich richtet (aber das was und das wonach sind nur angesetzt aus einem Gehorsam gegen unsere metaphysisch-logische Dogmatik: kein "Tatbestand"). Man soll diese Nötigung, Begriffe, Gattungen, Formen, Zwecke, Gesetze zu bilden ("eine Welt der identischen Fälle") nicht so verstehen, als ob wir damit die wahre Welt zu fixieren imstande wären; sondern als Nötigung, uns eine Welt zurecht zu machen, bei der unsere Existenz ermöglicht wird: - wir schaffen damit eine Welt, die berechenbar, vereinfacht, verständlich usw. für uns ist. Diese selbe Nötigung besteht in der Sinnen-Aktivität, welche der Verstand unterstützt - durch Vereinfachen, Vergröbern, Unterstreichen und Ausdichten, auf dem alles "Wiedererkennen", alles Sich-verständlich-machen-können beruth. Unsere Bedürfnisse haben unsere Sinne so präzisiert, daß die "gleiche Erscheinungswelt" immer wiederkehrt und dadurch den Anschein der Wirklichkeit bekommen hat. Unsere subjektive Nötigung, an die Logik zu glauben, drückt nur aus, daß wir, längst bevor uns die Logik selber zum Bewußtsein kam, nichts getan haben als ihre Postulate in das Geschehen hineinlegen: jetzt finden wir sie im Geschehen vor -, wir können nicht mehr anders - und vermeinen nun, diesen Nötigung verbürge etwas über die "Wahrheit". Wir sind es, die das "Ding", das "gleiche Ding", das Subjekt, das Prädikat, das Tun, das Objekt, die Substanz, die Form geschaffen haben, nachdem wir das Gleich machen, das Grob- und Einfach- machen am längsten getrieben haben. Die Welt erscheint uns logisch, weil wir sie erst logisiert haben. 522. Grundlösung. - Wir glauben an die Vernunft: diese aber ist die Philosophie der grauen Begriffe. Die Sprache ist auf die allernaivsten Vorurteile hin gebaut. Nun lesen wir Disharmonien und Probleme in die Dinge hinein, weil wir nur in der sprachlichen Form denken, - somit die "ewige Wahrheit" der "Vernunft" glauben (z. B. Subjekt, Prädikat usw.). Wir hören auf zu denken, wenn wir es nicht in einem sprachlichen Zwang tun wollen, wir langen gerade noch beim Zweifel an, hier eine Grenze als Grenze zu sehen. Das vernünftige Denken ist ein Interpretieren nach einem Schema, welches wir nicht abwerfen können. ![]() |