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DAVID HUME
Eine Abhandlung über
die menschliche Natur

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"Die geringfügigste Frage ist Gegenstand von Kontroversen, und in den wichtigsten können wir keinen sicheren Entscheid treffen. Streitigkeiten häufen sich, als ob alles unsicher wäre und sie werden mit einer Hitze geführt, als ob alles gewiß wäre. In diesem Toben trägt nicht die Vernunft den Sieg davon, sondern die Beredtsamkeit, und niemand braucht die Hoffnung aufzugeben, Anhänger auch für die gewagtesten Hypothesen zu finden, wenn er nur Geschicklichkeit genug besitzt, sie in einem vorteilhaften Licht darzustellen. Der Sieg wird nicht von den Bewaffneten gewonnen, die Spieß und Schwert führen, sondern von den Trompetern, Trommlern und Musikanten des Heeres."


Einleitung

Nichts ist bei solchen, die den Anspruch erheben, Neues in der Philosophie und den Wissenschaften zutage zu fördern, gewöhnlicher und natürlicher, als das Bestreben, ihre eigenen Lehren dadurch in das rechte Licht zu stellen, daß sie alle voraufgegangenen herabsetzen. Und gewiß, begnügten sie sich damit, die Unwissenheit zu beklagen, die in den wichtigsten Fragen, welche vor den Richterstuhl menschlicher Vernunft kommen können, noch immer auf uns lastet, so würden wenige, die mit den Wissenschaften vertraut sind, Bedenken tragen, ihnen zuzustimmen. Leicht erkennt ja der Urteilsfähige und Unterrichtete die schwache Grundlage selbst solcher Lehren, welche das größte Ansehen erlangt und die höchsten Ansprüche in Bezug auf Schärfe und Tiefe des Denkens erhoben haben. Prinzipien (1), auf guten Glauben angenommen, lahme Schlußfolgerungen aus denselben, Mangel an Zusammenhang in den Teilen und an Beweiskraft im Ganzen sind überall in den Lehren der bedeutendsten Philosophen zu finden und scheinen die Philosophie selbst in Ungnade gebracht zu haben.

Aber auch ohne solche gründliche (historische) Kenntnis überzeugen wir uns leicht davon, wie unvollkommen der gegenwärtige Stand der Wissenschaften ist. Auch die Menge draußen kann am Lärm und Geschrei, das sie vernimmt, merken, daß drinnen nicht alles in Ordnung ist. Nichts gibt es, das nicht einen Streitpunkt bildete oder worüber die Ansichten der Gelehrten nicht auseinandergingen. Die geringfügigste Frage ist Gegenstand von Kontroversen, und in den wichtigsten können wir keinen sicheren Entscheid treffen. Streitigkeiten häufen sich, als ob alles unsicher wäre und sie werden mit einer Hitze geführt, als ob alles gewiß wäre. In diesem Toben trägt nicht die Vernunft den Sieg davon, sondern die Beredtsamkeit, und niemand braucht die Hoffnung aufzugeben, Anhänger auch für die gewagtesten Hypothesen zu finden, wenn er nur Geschicklichkeit genug besitzt, sie in einem vorteilhaften Licht darzustellen. Der Sieg wird nicht von den Bewaffneten gewonnen, die Spieß und Schwert führen, sondern von den Trompetern, Trommlern und Musikanten des Heeres.

Hierauf beruth auch meiner Meinung nach jenes gewöhnliche Vorurteil gegen metaphysisches Denken jeder Art, sogar unter denen, die sich für Liebhaber der Wissenschaften ausgeben und eine richtige Wertschätzung jeder anderen Art geistiger Produktion besitzen. Unter metaphysischem Denken verstehen sie nicht das Denken über einen besonderen Zweig des Wissens, sondern jede Art des Argumentierens, die irgendwie schwierig ist und deren Verständnis einige Aufmerksamkeit erfordert. Wir haben unsere Arbeit so oft bei solchen Untersuchungen vergeudet, daß wir schließlich geneigt sind, sie ohne Bedenken abzuweisen und zu meinen: "wenn wir für immer Irrtümer und Täuschungen zu unterliegen bestimmt sind, so sollen diese wenigstens natürlich und ansprechend sein." In der Tat kann aber nur der entschiedenste Skeptizismus, vereint mit einem hohen Grad von Trägheit, diese Abneigung gegen Metaphysik rechtfertigen. Wenn die Wahrheit überhaupt im Bereich menschlicher Fähigkeit liegt, so muß sie sicher ziemlich tief und verborgen liegen; und die Hoffnung, wir könnten sie ohne Anstrengung erreichen, während doch die größten Geister trotz äußerster Anstrengung nicht dazu gelangten, muß für ebenso eitel wie anmaßend gelten. Ich meinesteils mache bei der Philosophie, die ich hier darlegen will, keinen Anspruch auf diesen Vorzug, würde vielmehr glauben, daß es stark zu ihren Ungunsten spräche, wenn sie so leicht und ohne weiteres einleuchtend wäre.

Alle Wissenschaften haben offenbar mehr oder weniger Bezug zur menschlichen Natur. Wie sehr sie sich auch von ihr zu entfernen scheinen, alle kommen sie auf dem einen oder anderen Weg wieder zu ihr zurück. Selbst Mathematik, Naturwissenschaften und natürliche Religion sind in gewissem Maß von der Lehre vom Menschen abhängig; auch sie sind ja doch Gegenstände menschlicher Erkenntnis; das auf sie bezügliche Urteil ist Sache menschlicher Kräfte und Fähigkeiten. Man kann unmöglich voraussagen, was für Umgestaltungen und Fortschritte wir in diesen Wissenschaften zuwege bringen könnten, wenn wir mit dem Umfang und der Leistungsfähigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens vollkommen vertraut wären, die Natur der Vorstellungen, die wir in unserem Denken verwenden, und der geistigen Operationen, die wir dabei vollziehen, verständlich machen. Auf dem Gebiet der natürlichen Religion wären solche Fortschritte umso eher zu erhoffen, da diese sich nicht damit begnügt, uns mit der Natur höherer Mächte bekannt zu machen, sondern ihren Blick darüber hinaus auf die Gesinnung dieser Mächte gegen uns und auf unsere Pflichten gegen sie richtet, so daß wir auf diesem Gebiet nicht nur die Denkenden, sondern zugleich einer der Gegenstände des Nachdenkens sind. Wenn nun Mathematik, Naturwissenschaften und natürliche Religion so von der Lehre vom Menschen abhängen, wie viel mehr muß dies gleten von den anderen Wissenschaften, deren Beziehungen zur menschlichen Natur so viel enger und inniger sind? Das einzige Ziel der Logik ist die Darlegung der Prinzipien und Operationen unseres Denkvermögens und der Beschaffenheit unserer Vorstellungen. Moral und Ästhetik (2) befassen sich mit unseren Geschmacksurteilen und Gefühlen (3); die Politik hat es mit den Menschen in ihrer Vereinigung zur Gesellschaft und in ihrer Abhängigkeit voneinander zu tun. In diesen vier Wissenschaften: Logik, Moral, Ästhetik und Politik aber ist so ziemlich alles enthalten, was für uns wissenswert ist, oder sei es zum Schmuck, sei es zur Vervollkommnung des menschlichen Geistes dienen kann.

Das einzige Mittel, von dem ein Erfolg in unseren philosophischen Untersuchungen zu erhoffen ist, ist also dieses: wir müssen die bisher befolgte ermüdende und zögernde Methode verlassen und, anstatt hier und da eine Burg oder ein Dorf an der Grenze zu nehmen, geradewegs auf die Hauptstadt oder den Mittelpunkt dieser Wissenschaften losgehen, auf die menschliche Natur selbst; beherrschen wir diese, so können wir überall sonst auf einen leichten Sieg hoffen. Von diesem festen Punkt aus können wir zunächst unsere Eroberungen über alle diejenigen Wissenschaften ausdehnen, die das menschliche Leben näher betreffen und später in Ruhe dazu übergehen, auch diejenigen weiter zu erforschen, die bloß Gegenstand unserer Neugier sind. Es gibt keine Frage von Bedeutung, deren Lösung in der Lehre vom Menschen nicht mitinbegriffen wäre und keine kann mit einiger Sicherheit entschieden werden, solange wir nicht mit dieser Wissenschaft vertraut geworden sind. Wenn wir daher hier den Anspruch erheben, die Prinzipien der menschlichen Natur klarzulegen, so stellen wir damit zugleich ein vollständiges System der Wissenschaften in Aussicht, das auf einer fast vollständig neuen Grundlage errichtet ist, der einzigen zugleich, auf welcher die Wissenschaften mit einiger Sicherheit stehen können.

Wie die Lehre vom Menschen die einzig feste Grundlage für die anderen Wissenschaften ist, so liegt die einzig sichere Grundlage, die wir dieser Wissenschaft geben können, in der Erfahrung und Beobachtung. Es hat nichts Erstaunliches, daß die Anwendung der Methode der Erfahrung auf geistige Objekte derjenigen auf Naturgegenstände erst nach Verlauf von mehr als einem ganzen Jahrhundert gefolgt ist, da wir ja finden, daß ungefähr der gleiche Abstand zwischen den Anfängen beider Wissenschaften liegt, daß der Zeitraum von THALES bis SOKRATES ungefähr der gleiche ist, wie der zwischen Lord BACON und einigen neueren Philosophen in England (4), welche angefangen haben, die Lehre vom Menschen auf eine neue Grundlage zu stellen und denen es gelang, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln und seine Neugier zu erregen. (Daß dies in England geschah, ist nicht verwunderlich.) Mögen andere Nationen mit uns in der Poesie wetteifern, in anderen schönen Künsten uns vielleicht übertreffen, Fortschritte im Denken und in der Philosophie können nun einmal nur in einem Land der Duldung und Freiheit gemacht werden.

Wir dürfen auch nicht glauben, daß Der Fortschritt in der Lehre vom Menschen unserem Heimatland weniger Ehre einbringt, als der frühere in den Naturwissenschaften; wir sollten vielmehr jenen Fortschritt für eine größere Ruhmestat erachten, sowohl wegen der größeren Bedeutung der Wissenschaft vom Menschen, als auch darum, weil ihre Umgestaltung ein so dringendes Erfordernis war. Das eigentliche Wesen des Geistes ist uns ebenso unbekannt wie das der Körper außer uns. Darum, scheint mir, können wir auch von den Fähigkeiten und Eigenschaften des Geistes, ebenso wie von denen des Körpers, auf keinem anderen Weg ein Bild (5) gewinnen, als auf dem der sorgfältigen und genauen Erfahrung, und der Beobachtung der besonders gearteten Wirkungen, die der Geist unter verschiedenen Umständen und in verschiedenen Situationen zutage treten läßt. Gewiß müssen wir versuchen, unsere Erklärungsgründe anhand einer möglichst vollständigen Erfahrung und durch die Rückführung aller Wirkungen auf eine möglichst geringe Anzahl einfachster Ursachen so allgemein wie möglich zu machen. Ebenso gewiß aber können wir dabei nie über die Erfahrung hinausgehen. Jede Hypothese, welche die letzten und ursprünglichen Eigenschaften der menschlichen Natur entdeckt haben will, sollte darum von vornherein als anmaßend und chimärisch zurückgewiesen werden.

Ich meine, ein Philosoph, der sich in solcher Weise ernsthaft der Erkenntnis des letzten Wesens (6) der Seele widmete, würde sich gerade in der Wissenschaft von der menschlichen Natur, die er darzulegen vorgibt, nicht als großen Meister erweisen; er würde wenig Verständnis dafür an den Tag legen, was den menschlichen Geist seiner Natur nach zu befriedigen geeignet ist. Es ist Tatsache, daß Verzweiflung (an der Möglichkeit, einen Wunsch erfüllt zu sehen) annähernd dieselbe Wirkung auf uns ausübt wie die Befriedigung (desselben); ein Wunsch verschwindet, sobald wir mit dem Gedanken der Unmöglichkeit, ihn zu befriedigen, uns vertraut gemacht haben. (So verhält es sich auch bei der Wissenschaft.) Wenn wir sehen, daß wir an der äußersten Grenze menschlichen Denkens angelangt sind, ruhen wir befriedigt aus; obgleich wir im Grunde vollkommen von unserer Unwissenheit überzeugt sind und einsehen, daß wir die allgemeinsten und subtilsten Einsichten nicht anders begründen können als durch die Berufung auf die Erfahrung, die ihre Geltung dartut. Eben dies aber ist auch die Art, wie die ungebildete Menge zu begründen pflegt. Es hätte also des besonderen Nachdenkens - um diese Art der Begründung schließlich bei den allerspeziellsten und außergewöhnlichsten Phänomenen erst zu  entdecken  - nicht bedurft. Und wenn diese Unmöglichkeit eines weiteren Fortschritts genügt, um den Leser zu befriedigen, so kann der wissenschaftliche Schriftsteller außerdem noch eine feinere Befriedigung dadurch gewinnen, daß er seine Unwissenheit frei eingesteht und den so oft begangenen Fehler, die eigenen Vermutungen und Hypothesen der Welt als unumstößliche Wahrheiten aufzudrängen, klug vermeidet. wenn so beiderseitig, bei Lehrer und Schüler, Befriedigung und Genugtuung erreichbar ist, so weiß ich nicht, was man noch weiter von unserer Philosophie sollte verlangen können.

Sollte aber die Unmöglichkeit, zu letzten Prinzipien zu gelangen, für einen Mangel in der Lehre vom Menschen gehalten werden, so wage ich zu behaupten, daß es ein Mangel ist, den sie mit allen Wissenschaften und Künsten teilt, denen wir uns widmen mögen, seien es solche, die in den Werkstätten der gewöhnlichen Handwerker ausgeübt werden. Keine von ihnen kann über die Erfahrung hinausgehen oder Prinzipien aufstellen, die nicht auf diese Autorität gegründet wären. Die Geisteswissenschaft (7) ist allerdings im Vergleich mit den Naturwissenschaften insofern im Nachteil, als sie bei der Feststellung der Erfahrungstatsachen (8) auf Versuche verzichten muß, die geflissentlich, mit Vorbedacht, und in solcher Weise angestellt wären, daß sie dadurch jedem irgendwie auftauchenden speziellen Bedenken gerecht werden könnte. Wenn ich die Einwirkungen eines Körpers auf einen anderen in irgendeiner Situation kennen lernen will, so brauche ich ihn nur in diese Situation zu bringen und den Erfolg beobachten. Bemühte ich mich aber, eine Ungewißheit in der Geisteswissenschaft in gleicher Weise aufzuklären, also so, daß ich mich in den von mir betrachteten geistigen Vorgang hineinversetzte, so würden offenbar Überlegung und Vorbedacht so sehr die Wirksamkeit der für gewöhnlich in mir bestehenden Bedingungen stören, daß kein richtiger Schluß aus dem Vorgang mehr gezogen werden könnte. Wir müssen unsere Erfahrungen in dieser Wissenschaft also aus einer sorgfältigen Beobachtung des menschlichen Lebens gewinnen, und sie nehmen, wie sie sich im gewöhnlichen Lauf der Welt, im Benehmen der Menschen in Gesellschaft, in ihren Beschäftigungen und Vergnügungen darbieten. Wo Erfahrungen dieser Art mit Verständnis gesammelt und miteinander verglichen werden, da können wir hoffen, auf sie eine Wissenschaft zu gründen, die an Sicherheit den Resultaten anderweitiger menschlicher Forschung nicht nachsteht, sie zugleich an Nutzen weit übertrifft.


Erstes Buch
Vom Verstand

Erster Teil
Von den Vorstellungen, ihrem Ursprung, ihrer
Zusammensetzung, Verknüpfung, von der Abstraktion usw.


Erster Abschnitt
Vom Ursprung unserer Vorstellungen

Die Perzeptionen (9) des menschlichen Geistes zerfallen in zwei Arten, die ich als  Eindrücke  (10) und  Vorstellungen  (11) bezeichne. Der Unterschied zwischen ihnen besteht im Grad der Stärke und Lebhaftigkeit, mit welcher sie sich dem Geist aufdrängen und in unser Denken oder Bewußtsein eingehen. Diejenigen Perzeptionen, welche mit größter Stärke und Heftigkeit auftreten, nennen wir Eindrücke. Unter diesem Namen fasse ich alle unsere Sinnesempfindungen, Affekte (12) und Gefühlserregungen, so wie sie sich bei ihrem erstmaligen Auftreten in der Seele darstellen, zusammen. Unter Vorstellungen dagegen verstehe ich die schwachen Abbilder derselben, wie sie in unser Denken und Urteilen (13) eingehen; ein Beispiel dafür sind die Perzeptionen, welche durch die vorliegende Abhandlung hervorgerufen werden, mit Ausschluß derjenigen, welche durch die Gesichts- und Tastwahrnehmung entstehen, abgesehen außerdem von der unmittelbaren Lust oder Unlust, die sie vielleich hervorrufen. Ich glaube, es wird nicht nötig sein, viele Worte zu Verdeutlichung dieses Unterschieds zu machen (14).

Jeder wird in der Beobachtung seiner selbst leicht den Unterschied zwischen Wahrnehmen und Vorstellen (15) feststellen. In ihren gewöhnlichen Graden sind sie zumindest leicht zu unterscheiden. Dies schließt nicht aus, daß sie sich in besonderen Fällen sehr nahe kommen. So können sich im Schlaf, im Fieber, im Wahnsinn oder anderen sehr heftigen Erregungszuständen der Seele unsere Vorstellungen den Eindrücken, nähern, wie es andererseits bisweilen vorkommt, daß unsere Eindrücke so matt und schwach sind, daß wir sie nicht von unseren Vorstellungen zu unterscheiden vermögen. Aber trotz dieser großen Ähnlichkeit in einigen Fällen sind beide im allgemeinen so wohl unterschieden, daß niemand Bedenken tragen kann, sie in verschiedene Klassen zusammenzuordnen und jeder derselben einen besonderen Namen zu geben, der den Unterschied bezeichnet.

Es wird aber angebracht sein, hier gleich noch eine andere Einteilung unserer Perzeptionen vorzunehmen, die sowohl unsere Eindrücke als auch unsere Vorstellungen betrifft. Es ist dies die Einteilung in  einfache  und  zusammengesetzte  Perzeptionen. Einfache Perzeptionen oder einfache  Eindrücke und Vorstellungen  sind solche, welche keine Unterscheidung oder Trennung zulassen; von den zusammengesetzten gilt das Gegenteil: sie können in Teile zerlegt werden. Obgleich eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Geschmack und Geruch Eigenschaften sind, die sich in diesem Apfel  vereinen,  so sieht man doch leicht, daß sie nicht dasselbe, sondern wenigstens voneinander  unterscheidbar  sind.

Nachdem wir durch diese Einteilungen eine Scheidung und Ordnung in den Gegenständen unserer Betrachtung gewonnen haben, können wir jetzt dazu übergehen, mit mehr Genauigkeit die Eigenschaften und Beziehungen derselben zueinander zu betrachten. Der erste Umstand, der mir hier auffällt, ist die große Ähnlichkeit, die zwischen unseren Eindrücken und unseren Vorstellungen in jedem Punkt, außer hinsichtlich des Grades ihrer Stärke und Lebhaftigkeit besteht. Die einen erscheinen in gewisser Art als Widerschein (16) der anderen, so daß alle Perzeptionen des menschlichen Geistes doppelt vorhanden sind, d. h. sowohl als Eindrücke wie als Vorstellungen auftreten. Wenn ich meine Augen schließe und an mein Zimmer denke, so sind die Vorstellungen, die ich mir mache, genaue Nachbildungen der Eindrücke, welche ich vorher empfand; die ersteren haben keine Eigenschaft, die sich nicht auch bei den letzteren fände. Und gehe ich meine sonstigen Perzeptionen durch, so finde ich immer wieder dieselbe Ähnlichkeit und Art der Nachbildung. Vorstellungen und Eindrücke scheinen einander jederzeit zu entsprechen. Dieser Umstand scheint mir bemerkenswert und nimmt meine Aufmerksamkeit für einen Augenblick in Anspruch.

Bei genauerer Betrachtung finde ich, daß mich der erste Anschein verleitet hat, in meinen Behauptungen zu weit zu gehen; ich sehe, daß ich gleich hier den Unterschied zwischen einfachen und zusammengesetzten Perzeptionen ins Auge fassen, und mit Rücksicht auf diesen Unterschied den allgemeinen Satz,  daß unsere Vorstellungen und unsere Eindrücke sich ähnlich sind,  einschränken muß. Ich bemerke, daß vielen unserer zusammengesetzten Vorstellungen keine entsprechenden Eindrücke vorausgingen, und daß viele unserer zusammengesetzten Eindrücke niemals in Vorstellungen getreu nachgebildet werden. Ich kann mir eine Stadt wie das "neue Jerusalem" vorstellen, deren Pflaster aus Gold und deren Mauern aus Rubinen sind, obwohl ich nie eine solche sah. Ich habe Paris gesehen; werde ich aber behaupten, daß ich mir von dieser Stadt eine Vorstellung machen kann, welche alle ihre Straßen und Häuser in ihren wirklichen und tatsächlichen Verhältnissen vollkommen nachbildet?

Ich sehe also ein, daß im allgemeinen zwar eine große Ähnlichkeit zwischen unseren zusammengesetzten Eindrücken und unseren zusammengesetzten Vorstellungen besteht, die allgemeine Regel aber, daß sie einander genau nachgebildet sind, nicht durchaus zutrifft. Wir können nun zunächst untersuchen, wie unsere  einfachen  Perzeptionen sich in diesem Punkt verhalten. Aufgrund der genauesten Untersuchung, die mir möglich ist, wage ich zu behaupten, daß die Regel hier ohne Ausnahme zutrifft und daß jeder einfachen Vorstellung ein einfacher Eindruck entspricht, der ihr gleicht, daß es ebenso für jeden einfachen Eindruck eine ihm entsprechende Vorstellung gibt. Die Vorstellung von rot, die wir uns im Dunkeln machen und der entsprechende Eindruck, den unser Auge im Sonnenlicht erhält, unterscheiden sich nur hinsichtlich ihres Grades, nicht hinsichtlich ihrer Beschaffenheit. Daß das gleiche bei  allen  unseren einfachen Eindrücken und Vorstellungen der Fall ist, kann nun freilich unmöglich durch eine Aufzählung aller im einzelnen bewiesen werden. Jeder mag sich in diesem Punkt dadurch genug tun, daß er sich beliebig viele Fälle vergegenwärtigt. Sollte aber irgendjemand diese allgemeine Ähnlichkeit überhaupt in Abrede stellen, so weiß ich kein anderes Mittel, ihn zu überzeugen, als dieses, daß ich ihn ersuche, mir einen einfachen Eindruck ohne entsprechende Vorstellung oder eine einfache Vorstellung ohne entsprechenden Eindruck aufzuzeigen. Wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt, und es ist sicher, daß er dies nicht kann, so dürfen wir auf sein Stillschweigen einerseits und unsere eigenen Beobachtungen andererseits das Recht zu unserem Urteil gründen.

Wir finden also, daß einfache Vorstellungen und Eindrücke durchweg einander gleichen; da die zusammengesetzten aus den einfachen gebildet sind, so können wir behaupten, daß überhaupt beiden Arten der Perzeption einander genau entsprechen. Nachdem ich diese Beziehung, die nun keiner weiteren Prüfung mehr bedarf, festgestellt habe, liegt mir daran, noch einige andere Merkmale der Eindrücke und Vorstellungen kennen zu lernen. Wir wollen insbesondere untersuchen, wie sie sich mit Bezug auf ihr Dasein verhalten, d. h. auf welcher Seite die Ursachen und auf welcher die Wirkungen zu suchen sind.

Die vollständige Untersuchung dieser Frage nun ist der Gegenstand der ganzen vorliegenden Abhandlung. Hier begnügen wir uns damit, den einen allgemeinen Satz aufzustellen,  daß alle unsere einfachen Vorstellungen bei ihrem ersten Auftreten aus einfachen Eindrücken stammen, welche ihnen entsprechen und die sie genau wiedergeben.  (17)

Sehe ich mich nach Beispielen zum Beweis dieser Behauptung um, so finde ich nur zwei Arten von solchen; dieselben sind aber jedesmal auf der Hand liegend, zahlreich und beweisend. Erst versichere ich mich, indem ich mir von neuem die Tatsachen vergegenwärtige, von der Wahrheit meiner früheren Behauptung, daß neben jedem einfachen Eindruck eine entsprechende Vorstellung, und neben jeder einfachen Vorstellung ein entsprechender Eindruck besteht; aus diesem beständigen Nebeneinanderbestehen einander ähnlicher Perzeptionen (der einen und der anderen Klasse) schließe ich unmittelbar, daß ein enger Zusammenhang zwischen den einander entsprechenden Eindrücken und Vorstellungen besteht, daß das Vorhandensein der einen für das der anderen eine entscheidende Bedeutung besitzt. Ein solches beständiges Nebeneinander in einer unbegrenzten Anzahl von Fällen kann ja niemals zufällig sein; es beweist (in unserem Fall) deutlich, daß die Eindrücke von den Vorstellungen oder die Vorstellungen von den Eindrücken abhängen müssen.

Um nun zu erkennen, welcher Art das Abhängigkeitsverhältnis ist, fasse ich die Aufeinanderfolge bei  ihrem erstmaligen Vorkommen  ins Auge; dabei zeigt mir übereinstimmende Erfahrung, daß immer die einfachen Eindrücke den ihnen entsprechenden Vorstellungen vorangehen, daß niemals beide in umgekehrter Folge auftreten. Um einem Kind die Vorstellung von scharlachrot oder orange, von süß oder bitter zu geben, führe ich ihm Gegenstände mit diesen Eigenschaften vor, oder mit anderen Worten, ich verschaffe ihm die entsprechenden Eindrücke; dagegen mache ich nicht den widersinnigen Versuch, die Eindrücke dadurch hervorzurufen, daß ich die betreffenden Vorstellungen in ihm wecke. Unsere Vorstellungen erwecken nicht bei ihrem ersten Auftreten die entsprechenden Eindrücke; wir nehmen keine Farbe wahr und haben überhaupt niemals eine Empfindung, lediglich darum, weil wir an den betreffenden Gegenstand denken. Andererseits finden wir, daß einem Eindruck, sei er geistigen oder körperlichen Inhalts, jedesmal eine Vorstellung folgt, welche ihm gleicht und sich nur im Grad der Stärke und Lebhaftigkeit von ihm unterscheidet. Dieses beständige Nebeneinanderbestehen der einander ähnlichen Perzeptionen ist, wie soeben gesagt, ein überzeugender Beweis, daß die einen die Ursache der anderen sind; und die Priorität der Eindrücke ist ein ebenso überzeugender Beweis dafür, daß unsere Eindrücke die Ursache unserer Vorstellungen sind, nicht unsere Vorstellungen die Ursache unserer Eindrücke.

Zur Bekräftigung des Gesagten fasse ich einen anderen einfachen und überzeugenden Tatbestand ins Auge: Wo immer durch Zufall die Vermögen, die für bestimmte Eindrücke die Voraussetzung bilden, außer Funktion gesetzt sind, wie bei einem Blind- oder Taubgeborenen, da fallen nicht nur die Eindrücke, sondern auch die ihnen entsprechenden Vorstellungen aus, so daß im betreffenden Geist nicht die geringsten Spuren weder der einen noch der anderen vorkommen. Und dies trifft nicht nur zu, wo die Organe der Empfindung vollständig zerstört sind, sondern es gilt auch für den Fall, daß sie zur Erzeugung eines bestimmten Eindrucks nie in Tätigket gesetzt worden sind. So können wir uns beispielsweise keine richtige Vorstellung vom Geschmack einer Ananas machen, ohne sie wirklich gekostet zu haben.

Eine Tatsache freilich scheint hiermit im Widerspruch zu stehen und zu zeigen, daß es doch nicht absolut unmöglich ist, daß Vorstellungen den ihnen entsprechenden Eindrücken vorausgehen. Ich denke, man wird bereitwillig zugeben, daß die mancherlei voneinander verschiedenen Farbenvorstellungen, die durch die Gesichtswahrnehmung gewonnen werden und ebenso die Tonvorstellungen, die der Seele durch das Gehör zugeführt werden, voneinander verschieden, obwohl andererseits auch wieder einander ähnlich sind. Gilt dies nun für verschiedene  Farben,  so muß es in nicht geringerem Maß für die verschiedenen Abstufungen  derselben  Farbe gelten: jede von ihnen ruft ihre  besondere  Vorstellung, unabhängig von den übrigen hervor. Leugnet man dies, so mache ich darauf aufmerksam, daß es möglich ist, durch allmählichen Übergang von einer Farbenabstufung zur anderen eine Farbe unmerklich in die entgegengesetzte Farbe zu verwandeln; wer hierbei keine Verschiedenheit der mittleren Farbenstufen zugäbe, müßte auch, wenn er sich keiner Ungereimtheit schuldig machen wollte, behaupten, daß die äußersten Gegensätze sich gleich seien. Man nehme nun einmal an, ein Mensch habe sich dreißig Jahre lang seines Augenlichts erfreut, und sei mit Farben aller Art sehr gut vertraut geworden, mit Ausnahme einer bestimmten Abstufung von Blau, welche ihm zufällig nie vorgekommen ist. Diesem Menschen lege man alle Abstufungen dieser Farbe mit Ausnahme jener einzigen vor, und zwar in stetiger Aufeinanderfolge von der dunkelsten zur hellsten; es ist klar, er wird, wo jene Stufe fehlt, eine Lücke wahrnehmen; er wird bemerken, daß an der betreffenden Stelle ein größerer Abstand zwischen den nebeneinanderliegenden Farben besteht als an den anderen. Ich frage nun, ob es dem Betreffenden möglich ist, das Fehlende aus seiner Einbildung zu ergänzen, also von sich aus die Vorstellung jener bestimmten Farbenstufe zu erzeugen; sie zu erzeugen, obgleich sie ihm vorher nie durch seine Sinne zugeführt worden war? Ich glaube, nur wenige werden die Frage verneinen; dies kann dann als Beweis dienen, daß einfache Vorstellungen nicht immer aus den entsprechenden Eindrücken entstanden sind. Doch ist dieses Beispiel so speziell und einzigartig, daß es unserer Beachtung kaum wert ist und jedenfalls nicht verdient, daß wir seinetwegen unser allgemeines Prinzip ändern sollten.

Sehen wir von dieser Ausnahme ab, so scheint nun freilich umso mehr gefordert, daß wir eine andere Einschränkung nicht übersehen, die wir dem Prinzip der Priorität der Eindrücke vor den Vorstellungen angedeihen lassen müssen. Unsere Vorstellungen sind Abbilder unserer Eindrücke; wir können aber auch Vorstellungen zweiter Ordnung bilden, welche ihrerseits Abbilder jener ersteren Vorstellungen sind; die hier angestellte Überlegung ist dafür ein unmittelbarer Beleg. (18) Genau genommen liegt indessen hierin mehr eine Erweiterung der Geltung unserer Regel als eine Ausnahme von derselben. Vorstellungen lassen in neuen Vorstellungen Bilder von sich entstehen; da aber, wie wir annehmen, jene ersteren Vorstellungen Eindrücken entstammen, so bleibt es doch dabei, daß alle unsere einfachen Vorstellungen, nämlich entweder mittelbar oder unmittelbar, aus ihnen entsprechenden Eindrücken hervorgehen.

Ein erster Grundsatz für die Lehre von der menschlichen Natur ist hiermit von uns festgestellt. Wir dürfen ihn seiner Einfachheit halber nicht gering achten. Schließlich ist die hier behandelte Frage nach der Priorität unserer Eindrücke oder Vorstellungen dieselbe, die unter anderen Namen so viel Aufsehen erregt hat. Man hat sich darüber gestritten, ob es  angeborene Vorstellungen  gibt, oder ob alle Vorstellungen aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung (19) abgeleitet sind. Nun, um zu beweisen, daß die Vorstellungen der Ausdehnung und Farbe nicht angeboren sind, begnügen sich die Philosophen nachzuweisen, daß sie uns durch unsere Sinne zugeführt werden. Um zu beweisen, daß die Vorstellungen der Affekte und des Verlangens nicht angeboren sind, weisen sie darauf hin, daß diese Erregungen jedesmal vorher Gegenstand einer an uns selbst gemachten unmittelbaren Erfahrung gewesen sein müssen. So zeigt überhaupt die sorgfältige Prüfung ihrer Argumente, daß sie nichts beweisen, als daß den Vorstellungen jedesmal andere, lebhaftere Perzeptionen vorangehen, aus denen sie entstehen und die sie nachbilden. Ich hoffe, diese klare Darlegung der Frage wird alle Streitigkeiten über dieselbe beseitigen und das von uns aufgestellte Prinzip in unseren Untersuchungen größere Bedeutung gewinnen lassen, als es bis jetzt gehabt zu haben scheint.
LITERATUR - David Hume, Eine Abhandlung über die menschliche Natur, in deutscher Bearbeitung mit Anmerkungen von Theodor Lipps, Hamburg und Leipzig 1904
    Anmerkungen
    1) Hume: Principles. Es mag gleich hier bemerkt werden, daß  principles  an verschiedenen Stellen verschieden übersetzt werden mußte. "Principles" sind einerseits allgemeine, wirkliche oder vermeintliche Einsichten, allgemeine Sätze, Gesetze, andererseits die Gegenstände solcher Einsichten, die allgemeinen realen Gründe, die in Erscheinungen oder in einer Sache gesetzmäßig wirkenden Faktoren oder Bedingungen. [TL]
    2) Hume: criticism, was wir heute Ästhetik nennen, obgleich natürlich HUMEs "criticism" noch nicht alle Aufgabe unserer heutigen Ästhetik in sich schließt. [TL]
    3) Hume: tastes and sentiments; letzteres sonst auch = Ansichten, Meinungen, Betrachtungsweisen. [TL]
    4) LOCKE, SHAFTESBURY, MANDEVILLE, HUTCHINSON, BUTLER etc.
    5) Hume: notion. Dieses Wort bezeichnet nicht den "Begriff" im logischen Sinn des Wortes. Es bezeichnet die aus der Erfahrung, der Betrachtung der Objekte, dem Nachdenken gewonnene Anschauung oder Vorstellung von einer Sache, oder das Bild, das uns Erfahrung, Beobachtung, Nachdenken verschafft. - Dieser Sachverhalt ist von der größten Bedeutung für das Verständnis HUMEs. Näher kommt dem "Begriff" das Wort  conception.  Aber auch das ist nicht etwa die eindeutige Bezeichnung für das spezifisch logische Wesen des "Begriffs". Eine solche fehlt bei HUME überhaupt. Dies hängt mit HUMEs Verkennung des eigenartigen Wesens des begrifflichen Denkens und damit des Denkens überhaupt zusammen. Das Denken, das auf  Gegenstände  geht, und ein Fragen ist nach den  "Forderungen"  der Gegenstände, nach ihrem eigenen  "Recht",  oder nach dem, was von Gegenständen  gilt fließt bei ihm mit dem Vorstellen, d. h. dem Haben von Inhalten oder Bildern - die in Wahrheit für die gedachten Gegenstände nur Repräsentanten sind -, in Eines zusammen. Darin liegt der große Mangel HUMEs, der ihn erkenntnistheoretisch scheitern läßt. Er liegt in diesem "Psychologismus", den völlig zu überwinden jetzt die dringendste Aufgabe der Lehre "vom Verstand" ist. Dies schließt jedoch nicht aus, daß gerade bei HUME für das Verständnis des begrifflichen Denkens bedeutende Ansätze vorliegen.
    6) Hume: ultimate principles = das in der Seele oder im seelischen Leben schließlich Wirksame. [TL]
    7) Hume: moral philosophy. Ihren Gegensatz bildet die  natural philosophy  oder Naturwissenschaft. Unsere "Moralphilosophie" (= Ethik) ist von jener nur ein Teil. [TL]
    8) Hume: experiment. Experiment bei HUME ist nicht unser "Experiment", sondern die einzelne Erfahrung, mag sie sich freiwillig darbieten oder künstlich herbeigeführt, also "Experiment" im engeren, heutigen Sinne sein. "Experiment" ist das Konkretum zum Abstraktum "experience". [TL]
    9) Hume: perceptions. Perceptions sind bei HUME zunächst die Geistes- oder Bewußtseinsinhalte überhaupt. Sie zerfallen, wie nachher gesagt wird, in die beiden Klassen der  impressions  und der  ideas.  Impressions sind die unmittelbaren Wahrnehmungsinhalte. Sie sind entweder Inhalte der äußeren oder der Sinneswahrnehmung (sensation) oder Inhalt der inneren oder der Selbstwahrnehmung, d. h. der Wahrnehmung innerer Zustände oder Verhaltensweisen (reflexion). "Impression" ist, was ich sehe, höre, rieche, taste usw., die ich jetzt in mir oder als Bestimmung meiner selbst erlebe, vorfinde, fühle; jene heißen impressions of sensation, diese impression of reflexion. Dagegen ist  idea  das nur Vorgestellte oder der Vorstellungsinhalt. Auch die ideas sind, je nachdem sie aus der Sinnes- oder Selbstwahrnehmung stammen, ideas of sensation oder ideas of reflexion. Beispiele jener sind der Ton, die Farbe usw., die ich nur vorstelle, oder nur "innerlich" mir vergegenwärtige, Beispiele dieser die Begierde, der Haß, die Liebe, die ich nicht jetzt unmittelbar erlebe oder habe, sondern nur vorstelle, d. h. meiner Erinnerung oder Phantasie vergegenwärtige. - - - Alle diese Begriffe haben aber zugleich eine zweite und dritte Bedeutung. "Perception" ist bei HUME ebensowohl der Akt des Perzipierens, "impression" bezeichnet auch die Empfindung = Akt des Empfindens,  idea  auch die Vorstellung = Akt des Vorstellens. Andererseits wird vom Inhalt der Perzeption, der Empfindung und Vorstellung, wie schon in Anmerkung 5 angedeutet, der in den Inhalten gedachte oder durch sie repräsentierte Gegenstand nicht geschieden. Damit stimmt es überein, daß "idea" und "thought" Wechselbegriffe sind. Und in "thought" wiederum fließt der Gedanke und das in ihm Gedachte in Eins zusammen. - - - Vor allem der Begriff der "perception" wird vermöge dieser Nichtunterscheidung unheilvoll. Alles ist für HUME schließlich perception: die Welt der Bewußtseinsinhalte, der Raum, die Zeit, die Zahl, die reale physische und psychische Welt. - - - HUME scheint immerhin ein Gefühl dafür zu haben, daß im Wort "impression"  besonders  deutlich die Beziehung zum Subjekt liegt, daß eine impression ein psychischer Tatbestand ist. Dies macht es begreiflich, daß HUME später, speziell da, wo er die Frage stellt, ob das sinnlich Wahrgenommene auch unabhängig von der Wahrnehmung besteht, dieses nicht als impression, sondern, mit Verengung des oben bezeichneten Begriffes der perception, als perception bezeichnet. In solchen Zusammenhängen übersetzen wir perception mit "Wahrnehmung", wo es die allgemeine Bedeutung hat, mit "Perzeption". - - - To perceive heißt bei HUME jederzeit: wahrnehmen. Allgemeiner ist "to feel". Es ist das Haben von impressions im Gegensatz zum Haben bloßen Vorstellungsbilder. Andererseits verengt sich das to feel wiederum zu unserem "Fühlen". - - - Vorstellen und zugleich denken heißt to think und to conceive. Das letztere hat wiederum den besonderen Sinn: ein Objekt erfassen, auffassen, "apperzipieren"; auch etwas begreifen; to conceive an idea eine Vorstellung vollziehen. Das Denken im Sinne der logischen Verknüpfung von Grund und Folge, der logischen Überlegung, des Schließens heißt  to reason.  Conception ist der Akt der Vorstellung oder der inneren Erfassung von etwas, aber auch der Inhalt oder das Objekt dieses Aktes; schließlich auch wiederum völlig gleichbedeutend mit  idea.  [TL]
    10) Hume: impression. Dem "Eindruck" in der Übersetzung entspricht überall das englische "impression" und umgekehrt. Über die Bedeutung vgl. Anm. 9. [TL]
    11) Hume: idea. Wir übersetzen  idea  überall, gemäß dem gewöhnlichen, von manchen Psychologen mit Unrecht verschobenen Sprachgebrauch, der zwischen dem Wahrgenommenen und dem nur Vorgestellten scharf unterscheidet, mit Vorstellung. Vgl. die sogleich folgende Anmerkung HUMEs. Im übrigen siehe Anm. 9. [TL]
    12) Hume: passions Das Wort ist allgemeiner als "Leidenschaften"; entspricht mehr unserem "Affekt", soll darum jederzeit so übersetzt werden. [TL]
    13) Hume: thinking and reasoning. Siehe Anm. 9 [TL]
    14) Ich gebrauche hier die Bezeichnung "Eindruckt" und "Vorstellung" (impression und idea) in einem vom üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sinn. Ich denke, man wird mir diese Freiheit zugestehen. Am Ende gebe ich dem Wort Vorstellung damit doch nur seinen ursprünglichen Sinn zurück; LOCKE war es, der ihm diesen Sinn nahm, indem er das Wort zur Bezeichnung für jede beliebige Perzeption machte. Was das Wort "Eindruck" betrifft, so möchte ich nicht so verstanden sein, als wollte ich damit die Art bezeichnen, wie unsere lebhaften Perzeptionen in der Seele erzeugt werden. Ich meine vielmehr mit dem Ausdruck nur diese Perzeptionen selbst. Dafür fehlt bisher im Englischen ebenso wie in den anderen mir bekannten Sprachen ein besonderer Name.
    15) Hume: feeling and thinking = das Haben von Eindrücken (impressions) und das Haben von Vorstellungen (ideas oder thoughts). Vgl. Anm. 9. Feeling kann auch mit Empfinden wiedergegeben werden, wenn man das Empfinden dem Vorstellen entgegensetzt und es nicht auf die Sinnesempfindung beschränkt, also auch das Gefühl darunter begreift. [TL]
    16) Hume: reflexion. Das Verhältnis der Vorstellungen zu den ihnen entsprechenden Eindrücken wird in der Folge durch verschiedene Namen bezeichnet. Die Vorstellungen geben die Eindrücke wieder, repräsentieren, vergegenwärtigen sie ("represent" them). Sie sind Nachbilder ("copies") oder Abbilder ("images") derselben. Die eigentliche Meinung all dieser Ausdrücke ist dieselbe. [TL]
    17) Hume: represent. Vgl. Anm. 16 [TL]
    18) Sie ist es, soweit sie sich auf Vorstellungen bezieht. Wenn wir über Vorstellungen nachdenken, so vergegenwärtigen wir sie uns innerlich, wie wir uns sonst in Vorstellungen Eindrücke innerlich vergegenwärtigen. Ist die innerliche Vergegenwärtigung (representation) der Eindrücke, oder die Vorstellung ihres Inhalts, ein Nachbilden der Eindrücke, so ist die innerliche Vergegenwärtigung von Vorstellungen ein Nachbilden der Vorstellungen, im Vergleich mit jener ersteren Nachbildung eine Nachbildung zweiten Grades. [TL]
    19) Hume: sensation and reflexion. Vgl. Anm. 9 [TL]