ra-2V. CathreinM. ReischleC. GüttlerE. AdickesR. A. Lipsius    
 
THEOBALD ZIEGLER
Glauben und Wissen

"Es ist ja derselbe Mensch, der fühlt und denkt, und so schubfächerartig sind wir nicht angelegt, daß wir, wie Hegel mit Recht spottet, in der einen Tasche das Fühlen und in einer anderen das Denken hätten. Je mehr man psychologisch zu der Überzeugung kommt, daß der Intellektualismus Unrecht hat und nicht das Vorstellen, sondern das Fühlen die eigentliche Grundfunktion des Seelischen ist, desto mehr wird man seinen Zusammenhang mit allen übrigen psychischen Funktionen anerkennen und zugeben müssen, daß das Gefühl sich notwendig auch umsetzt und verdichtet in Vorstellungen und Gedanken."

"Infolge eines Mißverständnisses, weil der Glaube meint, die Angriffe der Wissenschaft gelten dem Religiösen an ihm, und nicht erkennt, daß diese in Wahrheit nur das von ihr gelieferte Material herausnehmen kann und ihm dafür besseres zur Verfügung stellen möchte. Darin steckt aber auch ein Persönliches. Der Glaube wird leicht unduldsam, vermöge seines stark konservativen Wesens will er sich kein Jota und kein Tüttelchen rauben lassen, er sieht in jedem, der daran rüttelt, einen Verbrecher und Sünder, weil ihm alles gleich wichtig und unantastbar ist, und darum hält er auch am religiös Indifferenten fest, als wäre auch das für ihn eine Lebensfrage."


Hochansehnliche Versammlung!

Es geht ein Raunen durch die Zeit, das von einer gewissen Unzufriedenheit mit unseren Universitäten und ihrem Wissenschaftsbetrieb Zeugnis ablegt und in der Forderung gipfelt, die Wissenschaft müsse dem Leben näher gerückt und ihm mehr als bisher dienstbar gemacht werden. Wenn man freilich an die Naturwissenschaften und ihre Beziehung zu der praktischen Medizin oder gar daran denkt, daß neuerdings von der Angliederung einer sechsten technischen Fakultät an unseren Lehrkörper, also von einer Vereinigung des Polytechnikums mit unseren alten Universitäten ernsthaft die Rede ist, (1) so könnte man fragen, ob denn durch all das die Fühlung von Wissenschaft und Leben noch nicht genügend hergestellt und erwiesen sei. Anders aber liegt die Sache allerdings bei einem Teil der Geisteswissenschaften, und jedenfalls bei der Philosophie entzieht sich ein solcher Zusammenhang dem an der Oberfläche haftenden Blick. Ja, wenn wahr wäre, was NIETZSCHE von ihr sagt (2): "Die eigentlichen Philosophen sind Befehlende und Gesetzgeber, ihr Erkennen ist Schaffen, ihr Wille zur Wahrheit ist Wille zur Macht", dann wäre auch der Philosophie eine bedeutsame Wirkung auf das Leben von vornherein gesichert, die Fühlung würde geradezu zur Führung und zur Führerschaft. Aber ich glaube, HEGEL hat mehr Recht als NIETZSCHE mit seinem viel bescheideneren und mindestens ebenso geistreichen Wort (3): "Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der MINERVA beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug". Damit ist die Philosophie in der Tat zur äußersten Resignation verurteilt. Nicht führen kann sie, nur folgen, nicht schaffen und das Wohin bestimmen, sondern nur erkennen, was wirklich ist und daran höchstens kritisch das Vernünftige ausscheiden vom Unvernünftigen, darüber hinaus höchstens hypothetisch tastend die spekulative Linie ein paar kleine Schritte weiter ziehen. Wie WOTAN muß sie von sich sagen: "zu schauen kam ich, nicht zu schaffen."

Diese bescheidene Rolle spielt sie wohl auf keinem Gebiet so bewußt und so anerkanntermaßen als der Religion gegenüber. Daß die Philosophie nicht berufen ist Religion zu schaffen, sondern lediglich Religion zu verstehen, liegt auf der Hand. Und doch gibt es gerade hier Fragen und Probleme, die tief hineingreifen in das uns umflutende aktuelle Leben, die auch über den Kreis des gelehrten Wissens und Forschens hinaus als Probleme empfunden werden und an deren Lösung und Beantwortung daher das Leben selbst unmittelbar beteiligt ist. Hier wird deshalb das Verstehen zur Verständigung, und so wird mit einem Schlag auch die Philosophie dem Leben dienstbar, wird praktisch. Das möchte ich an einem Beispiel zeigen und mir daher erlauben, in dieser Stunde, wo sich der neugewählte Rektor einem weiteren Kreis gegenüber sich aussprechen darf, eine oder geradezu die Hauptfrage der Religionsphilosophie zu erörtern, die uns schließlich alle interessiert und angeht, die Frage nach dem Verhältnis von  Glauben und Wissen.  (4) Diese Erörterung mag zugleich einen Blick tun lassen in allerlei Schwierigkeiten und Nöte, in die das Wissen hineinführt, aus denen es aber auch wieder den Ausweg sucht und findet; denn auch das Wissen ist ein Schwert das Wunden nicht nur schlägt sondern zugleich auch heilt.

Daß das Verhältnis von Glauben und Wissen kein einfaches, sondern ein recht komplizierte, kein durchweg friedliches, sondern ein vielfach getrübtes, teilweise geradezu gegensätzliches und feindliches ist, weiß jedermann. Deshalb geht es nicht an, der Frage aus dem Weg zu gehen und zu sagen: was hat das eine mit dem andern, was hat Athen mit Jerusalem, die Akademie mit der Kirche zu schaffen? (5) lassen wir sie doch friedlich nebeneinander her- und aneinenander vorübergehen, oder wie STRAUSS es spitzig formuliert hat: (6) "Also lasse der Glaubende den Wissenden, wie dieser jenen, ruhig seine Straße ziehen; wir lassen ihnen ihren Glauben, so lassen sie uns unsere Philosophie!" Es wäre das Bequemste, aber möglich ist es nicht: schon deshalb nicht, weil Glauben und Wissen und also auch Glaubende und Wissende sich gar nicht so scharf scheiden und so reinlich sondern lassen, wie hier vorausgesetzt ist; im Glauben selbst steckt, wie wir sehen werden, ein gut Teil Wissen, und weil nach einem Wort von GOETHE bei der Division der Wirklichkeit durch die Vernunft immer ein Rest übrig bleibt, so ist umgekehrt der Wissende immer auch ein Glaubender oder kann es doch werden und sein; und so strebt in jedem Einzelnen Glauben und Wissen immer wieder nach Einheitlichkeit und Harmonie. Vor allem aber - die beiden haben sich in zwei großen weltgeschichtlichen Mächten zusammengefaßt, der Glaube in der Kirche, das Wissen in der Wissenschaft, die sich - als Mächte - in ihrer traditionellen Position einander gegenüber zu behaupten suchen und dabei zeitweise auch als Gegensätze auf einanderstoßen müssen.

Es hat freilich mehr als einmal Perioden gegeben, in denen dieser Gegensatz geschlichtet und kaum mehr vorhanden zu sein schien. Das war so zur Zeit der Scholastik, als die Theologie die Philosophie, der Glaube das Wissen als  ancilla,  als Magd in seinen Dienst gestellt und ihm die Aufgabe zugeteilt hatte, wissenschaftlich zu beweisen, was religiös geglaubt wurde. Allein zugleich zu Anfang zeigt ABÄLARDs bitterböses Buch  Sic et non,  daß das ein gefährlich Ding sei und sich mit den Mitteln der historischen Tradition wie das Ja so immer auch das Nein beweisen lasse. Und am Ende der scholastischen Zeit kam die im Dienst der Theologie stehende Philosophie schließlich gar zu der unerträglichen Lehre von der doppelten Wahrheit, wonach in der Theologie wahr sein könne, was in der Philosophie falsch sei und umgekehrt. Wie PENELOPE trennte so die Scholastik in der Dämmerungsstunde ihres Niedergangs das kunstreiche Gewebe wieder auf, das sie am langen Tag ihrer Herrschaft und Blüte angefertigt hatte.

Einem andersartigen Versuch, die beiden Gebiete miteinander in Einklang zu bringen, begegnen wir im achtzehnten Jahrhundert, wo man den Glauben dadurch zu rationalisieren suchte, daß man ihn vereinfachte, eine Reihe schwieriger Positionen preisgab und sich auf die drei Grundgedanken Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zurückzog. Allein dabei zerging der Aufklärung die Religion unter den Händenn, Metaphysik und Moral traten an ihre Stelle; und umgekehrt wies KANT, der Alleszermalmer, auf die Schwierigkeiten auch in jenen drei übrig gebliebenen Grundbegriffen hin und zerstörte die rationalistische Metaphysik, welche sich in ihrem Wissen so sicher gefühlt hatte. Wollte aber die Aufklärung neben jenen drei rationalen Hauptstücken als Supranaturalisms noch allerlei Übervernünftiges festhalten, so geriet sie in Gefahr, daß man ihr dieses Übervernünftige als ein Widervernünftiges anrechnete; und wer sollte dabei die Grenze bestimmen? wer durfte der Vernunft ein für allemal das "bis hierher und nicht weiter" vorschreiben?

Weit genialer war der dritte und letzte Versuch, den Streit zu schlichten und die Kluft zu überbrücken, - der der HEGELschen Religionsphilosophie. Glauben und Wissen hat nach HEGEL denselben Inhalt, nur die Form ist in beiden verschieden: was der Glaube in der Form der Vorstellung hat, das erhebt das Wissen zur Form des Begriffs. Mit einem Schlag schien damit alle Schwierigkeit beseitigt, die Form der Vorstellung wurde zur Zauberformel, die alle Not aus der Welt schaffen und die beiden Gegner auf immer miteinander versöhnen sollte und auch wirklich vielen Theologen in jener schwierigen Zeit das Gewissen erleichtert und die Brücke geschlagen hat hinüber zum Kirchenglauben. Allein wenn man mit STRAUSS an die Stelle von "Form der Vorstellung" den Begriff "Mythos" setzte, so ergab sich alsbald das Gefährliche dieser Lösung für den Glauben. Und auch davon abgesehen kam die Religion dabeii doch wieder zu kurz: wenn ihre Form unangemessen und minderwertig war, so war sie selber dem Wissen gegenüber minderwertig und aufzuheben; so läßt sich Inhalt und Form nicht trennen, auch hier gilt: "wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach"; darum konnte sich die Religion diese Lösung unmöglich gefallen lassen. Und so dauerte es dann auch nicht mehr als ein paar kurze Jahre, da brach innerhalb der HEGELschen Philosophie selbst als Gegensatz einer rechten und einer linken Seite der Streit erst recht los, und verzweifelnd an jeder möglichen Lösung schrieb STRAUSS jenes oben zitierte Wort vom Glaubenden und Wissenden, die einander ruhig ihre Straße ziehen lassen sollten.

Und doch war für eine Auflösung, wenn auch nicht Versöhnung des Gegensatzes das richtige Wort bereits gefunden - durch jenes Buch, dessen hundertjähriges Jubiläum wir gerade in diesen Tagen feiern, durch SCHLEIERMACHERs "Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern", die in den Apriltagen des Jahres 1799 in Potsdam vollendet worden sind. (7) Scholastik und protestantische Orthodoxie, Aufklärung und HEGELsche Philosophie - sie alle nahmen an, daß Religion und Glaube Sache des Denkens und Vorstellens, des Wissens und Beweisens sei; und nun ergab sich natürlich die Schwierigkeit, daß zweierlei Arten von Denken, ein religiöses und ein Weltwissen, gleich selbständig nebeneinander standen, und da war dann die Frage immer die, ob das eine dem andern weichen und sich unterordnen müsse? ob sie in ihren Ergebnissen zusammenstimmen oder nicht? Also Dienstbarkeit für die eine oder für die andere Seite - das wollte sich natürlich auf die Dauer keine gefallen lassen; und die Widersprüche, die sich dabei immer wieder mit Notwendigkeit herausstellen mußten, konnte der Mensch mit seinem logischen Trieb nach Einstimmigkeit unmöglich ertragen. Da zeigte SCHLEIERMACHER - fast wie das Ei des Kolumbus mutet uns das heute an, daß Religion in ihrem Kern und Wesen überhaupt nicht Sache des Denkens, sondern vielmehr Sache des Gefühl sei. Als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit hat er es später etwas einseitig bezeichnet, (8) anfangs nannte er es noch allzu romantisch "Anschauen des Universums", hat aber dabei doch immer schon ausdrücklich auf das feste Verhältnis zwischen diesem Anschauen und dem Gefühl hingewiesen und dem letzteren die Priorität zugesprochen.

Denkt man nun an dieser SCHLEIERMACHERschen Gefühlsbestimmung weiter, so kommt man alsbald zu der Erwägung, warum der Wissende nicht ebensogut sollte religiös empfinden, anschauen, fühlen können, wie der Nichtwissende und Ungelehrte. Der Ausgangspunkt, das Werden wird wohl hier und dort ein anderes sein, gewiß. Bei diesem erwacht es vielleicht in dem Augenblick, wo ein Hagelschlag die Arbeit und die Hoffnung eines ganzen Jahres unerbittlich niederschlägt und er im Lauf der Natur das Walten eines Allgewaltigen und Allmächtigen anerkennt. Beim Forscher dagegen kommt es da, wo es mit seinem Wissen und Witz ganz zu Ende ist und er sich wie FAUST dem Erdgeist gegenüber dem Wurm gleich fühlt, der den Staub durchwühlt; oder vor allem philosophisch da, wo er das Ganze, die gewaltige  concatenatio rerum  [Verkettung der Ereignisse- wp] im Naturlauf überschaut, über die Welterklärung hinausstrebt zum Weltverständnis und sich fragt, was dieses Ganze von Kausalzusammenhang für einen Sinn und Zweck habe, wo er an den Abgrund der Zufälligkeit gestellt doch nicht glauben mag an ein völlig Sinn- und Zweckloses, an ein rein zufälliges. Der verschidene Anlaß wird dann natürlich die Gefühle anders färben, aber religiös und fromm werden sie hier so gut sein können wie dort.

Allein so einfach ist doch auch diese Lösung nicht. Es ist ja derselbe Mensch, der fühlt und denkt, und so schubfächerartig sind wir nicht angelegt, daß wir, wie HEGEL mit Recht spottet, in der einen Tasche das Fühlen und in einer anderen das Denken hätten. Je mehr man psychologisch zu der Überzeugung kommt, daß der Intellektualismus Unrecht hat und nicht das Vorstellen, sonder das Fühlen die eigentliche Grundfunktion des Seelischen ist, (9) desto mehr wird man seinen Zusammenhang mit allen übrigen psychischen Funktionen anerkennen und zugeben müssen, daß das Gefühl sich notwendig auch umsetzt und verdichtet in Vorstellungen und Gedanken. "Ein erstorbenes Fühlen" hat der tiefste der Romantiker, hat NOVALIS das Denken genannt. (10) Somit muß auch jede besondere Art des Gefühls, muß also auch jenes religiöse Anschauen, das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit auf das Denken einwirken und es eigenartig beeinflussen und nuancieren, muß in Vorstellungen und Gedanken übergehen und ausmünden. Und nun erhalten wir doch auch hier wieder zwei Arten von Denken, das relativ gefühlsfreie der Wissenschaft -  sine ira et studio  [besonnenes Studium - wp], wie es der römische Historiker freilich mehr idealiter gefordert als praktisch selber geübt hat, und das gefühlsmäßige Denken, das sogar in zwei Formen, das künstlerische und das religiöse, auseinander geht. Dort in der Wissenschaft sind es abstrakte Gedanken, Begriffe und Gesetze, in der Religion wie in der Kunst sind es Anschauungen und Bilder, Zeichen und Symbole, wie es ein Blick in die Schriften der Propheten und Apokalyptiker deutlich zeigt.

Immer aber bleibt in der Religion das Denken und Vorstellen ein Sekundäres, auch ihre Urteile sind immer zunächst Gefühlsurteile, vom Gefühlt diktiert, Gemütsbedürfnissen entsprechend, das Gemüt erbaulich beeinflussend und stimmend; eine moderne Theologenschule nennt sie daher auch Werturteile. Allein damit ist gerade die Hauptfrage umgangen, nicht erledigt, die Frage, auf die der religiöse Glaube allen Nachdruck legt und legen muß, ob jenen Anschauungen und Bildern, jenen Gefühls- und Werturteilen auch Wirklichkeit zukommt und entspricht, ob sie also zugleich auch Seinsurteile sind. Natürlich bejaht das der Glaube; nicht daß sie Wert haben, sondern daß sie  wahr  sind, ist auch ihm die Hauptsache. Aber hat er damit Recht? sind sie wirklich wahr? Das eben sollte die Philosophie beweisen. Aber ob sie das kann? (11) und noch vorher, ob sie damit nicht doch wieder dem Glauben übergeordnet, dieser gewissermaßen unter ihre Vormundschaft und Kontrolle gegeben würde? In dieser schwierigen Situation, an deren Klärung auch die Philosophie als Erkenntnistheorie mitbeteiligt ist, setzt nun die religionsphilosophische Betrachtung des Glaubens ein und zeigt den einzig möglichen Ausweg aus dem Labyrinth der hier sich verschlingenden und kreuzenden Pfade. Ausgehen kann sie dabei von jener bekannten Definition des Hebräerbriefes (12) "Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht dessen, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht sieht." Die Gegenstände des Glaubens sind unsichtbar, das will zugleich sagen: sie sind unwissbar und unbeweisbar. Und das hat dann philosophisch keiner schärfer gesehen und entschiedener betont als KANT, wenn er zeigte, daß auch jene drei Grundideen der Aufklärungstheologie - Gott, Freiheit und Unsterblichkeit - sich niemals in der Wirklichkeit aufzeigen und ihre Existenz sich auch durch Vernunftschlüsse niemals einwandfrei und widerspruchslos beweisen läßt. Wenn aber so die Philosophie ablehnt als wahr zu erweisen, was der Glaube glaubt, will das dann heißen, daß es mit dem Glaubten nichts, daß jene Werturteile nicht wahr, keine Seinsurteile sind? KANT ist so weit entfernt gewesen das zu behaupten, daß er vielmehr überzeugt war, er habe mit der Zerstörung der alten Metaphysik und ihrer Scheinbeweise für den Glauben erst Recht Platz geschaffen und ihm den Boden zubereitet. (13) Und in der Tat, ein schlechter Beweis schadet immer auch der Sache, man hält sie für widerlegt, wo doch nur die zufällige Art, wie man sie beweisen möchte, sich als unhaltbar und kraftlos herausstellt. Gerade wenn sich der Glaube an das Unsichtbare niemals in Wissen verwandeln läßt, gerade dann und nur dann bleibt er in alle Ewigkeit, was er ist, - Glaube.

Nun kann freilich auch die Wissenschaft vom Boden ihres Wissens aus zu der Annahme eines Unsichtbaren kommen, der Schritt von der Welterklärung hinüber zum Weltverständnis ist auch von ihr in der Philosophie immer wieder getan worden. Aber hier redet man dann im Gegensatz zum Wissen von einem "bloßen" Glauben. (14) Weil es sich nicht beweisen läßt, bleibt es für das Wissen nur Hypothese, und als hypothetisch trägt es die Unsicherheit und Ungewißheit, die Möglichkeit, daß es sich auch anders verhalten, nicht so sein könnte, trägt es also mit einem Wort den Zweifel in sich.

Aber hat das auch nur die Spur einer Ähnlichkeit mit dem, was der religiöse Mensch  Glauben  heißt und glaubt? Ist hier nicht gerade das eingeschlossen und mitgedacht, was dort ausgeschlossen ist? Der wissenschaftliche Glaube ist versetzt mit dem Zweifel an sich selbst und an die Richtigkeit des von ihm bloß hypothetisch Angenommenen, zu zweifeln und auf die Gefahr des Irrtums hin zu forschen ist ihm Pflicht und Recht, ist ihm geradezu Lebensbedingung und Notwendigkeit,  dubito ergo sum  [Ich zweifle, also bin ich. - wp] gilt auch in diesem Sinn; (15) der religiöse Glaube dagegen ist über allen Zweifel erhaben, Zweifel ist ihm Sünde, Irrtum ist ihm Schuld, er ist wirklich eine gewisse Zuversicht, die nicht zweifelt an dem, was keines Menschen Auge je gesehen und keines Menschen Ohr jemals vernommen hat. Die Wissenschaft ist ruhe- und rastlos, für sie gibt es keinen Halt und kein Ende, für ihre Forschung weder Zaum noch Zügel; der Glaube dagegen ruht aus im sicheren fertigen Besitz, gläubig nimmt er an und hin und findet damit sein Ziel und sein Ende. Fügen wir noch hinzu, daß das Unsichtbare der Wissenschaft ein ganz bestimmtes Dunkles und Problematisches, in der Religion dagegen ein Lebensvolles und Anschauliches und zugleich ein ganz Persönliches ist, zu dem der Glaubende das Vertrauen hat, daß es seine Sehnsucht nach dem Unendlichen stillt; dort denken und begreifen Wollen, hier Gefühl und Herz, dort Metaphysik, hier Mystik, und eben deswegen dort Gedanken eines Einzelnen oder einer kleinen Schule, hier der zusammenflutende Konsens aller Gläubigen: wir glauben alle an  einen  Gott ! -, so kommen wir damit zu der reizvollsten Aufgabe der Religionsphilosophie, zu der Frage nach der psychologischen Genesis des Glaubens und der ihm innewohnenden Zuversicht und Stärke.

Das Gefühl unendlicher Sehnsucht, das zum Glauben an ein Unendliches führt, erhält natürlich selbst etwas von dieser Unendlichkeit und Erhabenheit, von der Kraft und Allgewalt, der Vollkommenheit und Heiligkeit, die seinem Gegenstand beigelegt wird, und so wird er selbst ein Heiligtum, an dem zu rühren man weder sich noch anderen gestattet. Dieser Glaube aber, wenn auch zuerst ganz individuelle in einem Einzelnen in dieser Form entsprungen und gestaltet, bleibt nicht Sache des Einzelnen, sondern er wird zur Angelegenheit und zum Gemeingut vieler, zum Bekenntnis einer bestimmten Religion und damit Konfession, einer Kirche und religiösen Gemeinschaft. Damit steht hinter ihm die ganze Macht dieser Gemeinschaft, das Massengefühl, das ihn trägt und wie ein Resonanzboden den angeschlagenen Ton verstärkt, die Tradition und Geschichtlichkeit, die ihn von Generation zu Generationen weiterpflanzt. Diese soziale Seite des Glaubens, die dem nur halbwahren Wort von der Religion als Privatsache gegenübertritt, (16) kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden bei der Ausmessung seiner Stärke: der Glaube hat etwas den Einzelnen Überwältigendes, das suggestive "Gott will es!" der Kreuzzüge ist dafür typisch. Und zugleich hängt das zusammen mit der stärksten Macht, die uns Menschen bindet, mit Gewohnheit und Sitte. Nach zwei Seiten hin. Je höher entwickelt eine Religion ist, desto mehr wurzelt in ihr auch die sittliche Anschauung ihrer Bekenner: die großen Religionsstifter waren immer zugleich auch die Bringer einer neuen höheren Sittlichkeit, und daher verknüpft sich mit dem religiösen Glauben Sitte und Sittlichkeit, zu einer bestimmten Form des religiösen Gefühls gehört auch eine bestimmte Form des sittlichen Handelns, die sittlichen Ideale werden dadurch geformt, und so wird das Gewissen für den Frommen zur Stimme seines Gottes, die Macht des Guten verbündet sich in ihm mit der Stärke des Glaubens. Noch vorher aber: in seinen Glauben wird der Mensch hineingeboren, darum sind wir von Jugend auf gewöhnt ihn gehorsam hinzunehmen als ein substantiell Gültiges und Geltendes. So stammt er für jeden Einzelnen von uns aus der Jugendzeit mit der ganzen Fülle ihrer Erinnerungen, von den Eltern, vom Mund der Mutter ist er uns zugeflossen, und deshalb ist er gehalten von der Autorität, aber auch umstrahlt vom Glück der Jugend und Heimat, gesättigt mit allem Schönen und Besten, das uns im Elternhaus zuteil geworden ist und uns von dort als unverlierbarer Schatz hinausbegleitet ins Leben. Glück aber verleiht der Glaube überhaupt - nicht bloß das Glück der Erinnerung an Kindheit und Jugend, die in ihm nachzittert und mitschwingt, sondern auch ein Glück, das sozusagen jeden Augenblick in ihm selber liegt. Kein Wort ist wahrer als das, daß der Glaube selig macht; darin zeigt sich so recht sein Wesen als eines Gefühlsmäßigen: die unendliche Sehnsucht und das phantasiemäßige Gestalten derselben zu Bildern voll Glanz und Herrlichkeit, die Ausweitung und Erhebung der Seele, die Befreiung und Erlösung von den Banden der Endlichkeit, die Vorwegnahme der Erfüllung und Befriedigung, die mystische Gelassenheit und Stille im Einswerden mit seinem Gott, die Ruhe des Besitzes und des zum Ziel Gekommen sein - das alles liegt in ihm. Und da nun das Gefühl immer konservativer ist als der leichtbeschwingte Gedanke, so wird ganz naturgemäß ein mit so reichem Gefühlsinhalt und mit so tiefem Glücksgefühl gesättigter, von den beseligendsten persönlichen Erfahrungen getragener Glaube festgehalten und um ihn gekämpft wie um eine Mauer.

Aber woher nun dennoch der Konflikt zwischen diesem eigenartigen Glauben des religiösen Menschen und dem so ganz anders gearteten Wissen der Wissenschaft? Ein gefühlsmäßiges Denken in Bildern, wie wir erst sagten, das reicht für die Wesensbestimmung dieser einen Seite des Glaubens doch nicht ganz aus. Je tiefsinniger und umfassender eine Religion ist, desto mehr sucht sich sich über ihren Inhalt auch rein denkend Rechenschaft zu geben und seiner - vielleicht zunächst in der Abwehr äußerer Angriffe - denkend gewiß zu werden, sie wird mit einem Wort lehrhaft, gleich einer der ersten christlichen Denker hat das Christentum geradezu selbst eine Philosophie genannt. (17) Da aber jede Religion ein Kind ihrer Zeit ist, so kommt es ganz von selbst, daß sie in diese ihre Lehre, ihr Glaubenssystem, ihre Theologie Bausteine einfügt aus ihrer zeit und mit diesen sich ihr Weltbild zurechtzimmert und baut; Philosophie und Geschichte werden es dabei hauptsächlich sein, denen sie die Bausteine entnimmt. Das aber ist der Punkt, an dem es mit Notwendigkeit zu Gegensatz und Konflikt kommt. Der Glaube, wurde eben gesagt, ist konservativ, er hält an dem einmal Aufgenommenen mit der ganzen Kraft des Herzens fest; die Wissenschaft dagegen ist beweglich und fortschreitend, ist rastlos und kritisch, in beständiger Wandlung und Umwandlung begriffen, und so veralten gerade jene dem Wissen und der Wissenschaft entlehnten Bestandsstücke des Glaubens. So erging es z. B. in der christlichen Weltanschauung den aus der aristotelischen Philosophie stammenden Elementen; heute noch sie festzuhalten, dazu wird sich weder Philosophie noch Naturwissenschaft entschließen können oder gar von außen her zwingen lassen. Dagegen weigert sich der Glaube, der die Herkunft seines Besitzstandes nicht kritisch prüft und sondert, das anzuerkennen, und so bricht darüber der Streit aus.

Dieser Kampf pflegt aber auch alsbald leidenschaftlich und bösartig zu werden. Zunächst infolge eines Mißverständnisses, weil der Glaube meint, die Angriffe der Wissenschaft gelten dem Religiösen an ihm, und nicht erkennt, daß diese in Wahrheit nur das von ihr gelieferte Material herausnehmen kann und ihm dafür besseres zur Verfügung stellen möchte. Darin steckt aber auch ein Persönliches. Der Glaube wird leicht unduldsam, vermöge seines stark konservativen Wesens will er sich kein Jota und kein Tüttelchen rauben lassen, er sieht in jedem, der daran rüttelt, einen Verbrecher und Sünder, weil ihm alles gleich wichtig und unantastbar ist, und darum hält er auch am religiös Indifferenten fest, als wäre auch das für ihn eine Lebensfrage. So liegt z. B. im Schöpfungsgedanken aller religiöse Nachdruck und Wert auf der Abhängigket der Welt vom unendlichen Weltgrund in ihrem Sein und Sosein; dagegen ist die Vorstellung von einem Sechstagewerk lediglich die Fassung dieses bleibend Wertvollen á jour [auf dem neuesten Stand - wp], die veraltet und vor der Wissenschaft nicht stand hält; und doch besteht der Glaube auch darauf, als wäre es mehr als eine menschlich zeitliche Vorstellung, mehr als eine anthropomorphe Einkleidung für einen echt religiösen Gedanken. Für eine solche unnütze Verschärfung des Gegensatzes und für die damit zusammenhängende Verständnislosigkeit, mit der unsere Zeit und namentlich auch viele Gebildete unserer Zeit allem Religiösen gegenüberstehen, mache ich besonders den Religionsunterricht auf unseren höheren Schulen verantwortlich. Daß es in der religiösen Unterweisung nicht auf das Wissen und auf die Masse des Wissensstoffes, sondern auf das religiös Wertvolle und Bedeutsame ankommt, davon erfährt und davon verspürt unsere Jugend in den meisten Fällen überhaupt nichts. Aber können wir uns darüber wundern, wenn in den Prüfungsordnungen für Religionslehre an höheren Schulen von allgemeiner Religionswissenschaft und von Religionsphilosophie auch nicht mit einem Wort die Rede ist?

Auf der anderen Seite hat aber auch die Wissenschaft dem Glauben gegenüber leicht etwas Hochmütiges, als wäre dieser, weil er gelegentlich mit veralteten Steinen baut, selbst etwas Veraltetes und Abgetanes, des erwachsenen Mannes und seiner reiferen Gedanken unwürdig. So wird durch Unduldsamkeit und Verfolgungssucht dort, durch Hochmut hier auf beiden Seiten gesündigt und die Dissonanz eine immer grellere, die Situation eine immer gespanntere. Die Flammen des Holzstoßes, auf dem GIORDANO BRUNO in Rom oder MICHAEL SERVET in Genf als Märtyrer des Wissens ihr Leben lassen mußten, lassen sich ebensowenig vergessen als die verletzend rohen Worte einer materialistisch gewordenen Wissenschaft vom rückständigen Köhlerglauben. (18)

In diesem Konflkik scheint nun die wissenschaftliche Theologie berufen die Vermittlung zu übernehmen, namentlich soweit sie sich in Anknüpfung an SCHLEIERMACHERsche Gedanken die Aufgabe gestellt hat, die Religion mit der Kultur zu versöhnen, und seit auch so fromme Männer wie RICHARD ROTHE, dessen hundertjährigr Geburtstag vor wenigen Monaten gefeiert worden ist, dem aus voller Überzeugung zugestimmt haben. (19) Und in der Tat liegt in einer solchen allmählichen Umbildung der religiösen Vorstellungswelt, in der Ausscheidung veralteter Wissenselemente die Aufgabe und das Verdienst dieser Theologie, namentlich historisch unhaltbar Gewordenes hat sie entschlossen preisgegeben und abgetragen. Aber es ging ihr dabei, wie es den Vermittlern so oft zu gehen pflegt: recht machen können sie es keinem Teil, von beiden Seiten werden sie verkannt und angegriffen, so hier von der kirchlichen, welche die Zugeständnisse der Theologie an Kultur und Wissenschaft zu einschneidend und gefährlich findet oder von solchen Zugeständnissen überhaupt nichts wissen will, und so erhebt sich von dort her die Klage, die Theologie verrate die Religion an die Wissenschaft, und wir alle wissen, wie oft schon der Priester den Professor zum Schweigen gebracht hat. Aber auch die Vertreter der übrigen Wissenschaften übersehen nur zu leicht den Dienst, den ihnen eine solche Theologie leistet, und lassen sich ihn danklos gefallen: hinter ihrer Deckung kann die Wissenschaft verhältnismäßig unbehelligt arbeiten, die Theologen nehmen ihnen einen Teil des Kampfes ab, indem sie aufgrund der Ergebnisse der historischen oder der naturwissenschaftlichen Forschung an der Umgestaltung und Modernisierung des religiönse Weltbildes arbeiten, sie verschaffen ihnen den zur Arbeit nötigen Frieden, während sie selber wie die Juden zur Zeit des NEHEMIA beim Mauerbau in Jerusalem mit einer Hand die Arbeit tun und mit der anderen die Waffen halten müssen.

Daß es aber mit dieser Umbildung der religiösen Vorstellungswelt im Großen und Ganzen so wenig gelingen und gar so langsam vorwärts gehen will, das liegt doch wieder im Wesen des Glaubens selbst begründet. Auch hier ist es jene uns schon bekannte konservative Gesinnung, die den religiösen Menschen nicht gern an eine solche Umgestaltung herangehen läßt, weil er damit das Ganze zu gefährden glaubt; er kann nichts preisgeben, weil ihm alles ans Herz gewachsen ist und er sich daher durch Wissenschaft und Verstand nicht gern eines besseren belehren läßt. Fürst BISMARCK hat einmal gesagt: "das Gefühl ist, wenn es zur Entscheidung kommt, stärker und standhafter als der Verstand des Verständigen". (20) Das gilt nicht bloß in der Politik, auch die Religion und sie vor allem hat ihre Imponderabilien [Unwägbarkeiten - wp]. Der Glaube hat dazu aber auch ein gutes Recht. Ein neues Bekenntnis kann man nicht willkürlich formulieren, kann man nicht "machen". Wir wissen freilich aus der Kirchen- und Dogmengeschichte, wie menschlich es bei der endgültigen Feststellung von Bekenntnissen häufig zugegangen ist; aber ein Willkürliches in Stimmung und Inhalt sind sie darum doch nicht, sondern das schließlich siegreiche Ergebnis und der notwendige Niederschlag einer wirklich vorhandenen Strömung und Entwicklung, einer auf dieses Ziel hin sich richtenden Bewegung. Vor allem aber, große religiöse Neuerungen bedürfen zu allen Zeiten großer religiöser Heroen. Auch da ist es wieder SCHLEIERMACHER gewesen, der in seinen Reden auf den noch von KANT völlig übersehenen Begriff des religiösen Genius hingewiesen hat. So haben wir auch hier, wie bei allem geschichtlich Werdenden, das Doppelspiel eines kollektivistischen und eines individualistischen Faktors: zu religiösen Neubildungen braucht es religiös gestimmte und erregte Zeiten und religiöse geniale Führer. Deshalb ist in einer religiös lauen und überhaupt mehr auf äußerlich extensives Arbeiten als auf innerlich stilles Sichsammeln gerichteten Zeit wie der unsrigen eine solche Umbildung nicht zu erwarten, und am religiösen Genius, der uns mitreißt und uns dafür gewinnt, fehlt es uns ohnehin.

Aber wenn auch von Zeit zu Zeit solche Änderungen und Nachbesserungenn vorgenommen würden, den Frieden könnten sie uns doch immer nur auf kurze Zeit bringen; denn auch hier ist wie im Politischen der ewige Friede, wenn er mehr sein will als eine regulative Idee, eine Utopie und ein frommer Wunsch. (21) Die Wissenschaft schreitet rastlos fort, deshalb veralten die ihr entnommenen Bausteine jedesmal nach kürzerer oder längerer Frist; und daher kann niemals ein definitiver Friedenszustand eintreten zwischen dem fortschreitenden Wissen und dem stabilen Glauben: sie können einander von Zeit zu Zeit immer wieder angenähert, können vielleich sogar einmal zur Einhelligkeit und zu Deckung gebracht werden; aber nach einiger Zeit wachsen sie wieder auseinander und treten einander kampfbereit gegenüber: das liegt in ihrem Wesen, deshalb ist der Kampf zwischen Glauben und Wissen Notwendigkeit, nicht Willkür. Solange das nicht verstanden und anerkannt ist, wird es von beiden Seiten her wie eine Schuld der anderen zum Vorwurf gemacht; wer es durchschaut und in seiner Unvermeidlichkeit begreift, der wird nicht länger klagen und fluchen, sondern er nimmt es hinfort als ein Schicksal mit Ruhe und Ergebenheit hin.

Und hier setzt nun die Religionsphilosophie mit praktischer Arbeit ein, hier liegt nicht nur ihre Aufgabe als Wissenschaft, sondern hier auch ihre Beziehung zum Leben und der Dienst, den sie diesem erweisen kann. Nicht um Religion zu schaffen oder, wie man das wohl schon von ihr gefordert hat, um sich selbst als Religionsersatz anzubieten, (22) ist sie da: das soll sie nicht und das kann sie nicht; noch einmal: die Philosophen sind keine Schaffenden, darum sind sie auch keine Religionsstifter. Aber ebensowenig ist es ihr Beruf und ihr Werk, eine Religion zu zerstören: auch das können sie nicht, auch das ist ausschließlich das Werk des Neues schaffenden Stifters, der als Befehlender und Gesetzgeber auftritt mit dem Ruf: "Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist - ich aber sage euch". Nein, die Religionsphilosophie als Wissenschaft hat in aller Bescheidenheit und Selbstbescheidung nichts weiter zu tun, als die Vorgänge der Religion und in allen Formen der Religion psychologisch und historisch zu verstehen und ihren Ursprung im Wesen des Menschen nachzuweisen; sie ist nicht Metaphysik, sondern vor allem Religionspsychologie. (23)

So kann sie auch den Gegensatz zwischen Glauben und Wissen nicht hervorrufen und nicht aus der Welt schaffen, auch keinem Einzelnen, dem er in seiner individuellen Geistesentwicklung zu Bewußtsein kommt und auf die Seele fällt, den Kampf ersparen. Aber den Schuldcharakter kann sie diesem nehmen und damit doch das Ihrige beitragen zum Frieden. Gewiß streifen wir, wenn wir die Religion zum Gegenstand historischer und psychologischer Untersuchung machen, manchen Blütenstaub von ihr ab; wo es sich um das feine Gewebe des Gefühlslebens handelt, da kann die auf den Verstand eingestellte Wissenschaft immer nur wie mit plumpen Fingern dazwischen greifen; ihr Grau in Grau nimmt den Objekten die Farbe des Lebens. Das ist unvermeidlich, die Religionsphilosophie bewegt sich wie alle Wissenschaft in der scharfen, dünnen Luft der höchsten Höhen, die nicht jedermann ertragen kann. Allein indem sie die Religion rein wissenschaftlich betrachtet und zu verstehen sucht, leistet sie doch etwas für das Leben derer, die auf sie hören und damit für das Leben überhaupt. Dieses ist erfüllt und zerrissen von jenem Gegensatz zwischen Wissen und Glauben und vom Kampfgetümmel, das sich darüber erhebt, vom Haß, der beide Teile trennt und gegeneinander ungerecht macht, und oft scheint es, als ob es dabei keine Verständigung gibt. Indem wir den Gegensatz zu verstehen und aus dem Wesen der Streitenden heraus psychologisch als notwendig zu deduzieren suchen, schaffen wir ihn zwar nicht aus der Welt und aus dem Leben unseres Volkes, ersparen keinem in die Tiefe sinnenden und ringenden Menschen seine Last und seine Schwere, aber wir nehmen ihm den Stachel der Willkür und der Absichtlichkeit, der Böswilligkeit und der Schuld, wir schüren das Feuer nicht und wir löschen es nicht, aber wir nehmen ihm die Kraft zu verbrennen und unheilbar weh zu tun, wir lehren, daß es auch mitten im Kampf nur eine Tugend gibt, die Duldsamkeit und die Geduld. So ist auch diese religionsphilosophische Arbeit kein bloßes Spiel gelehrten Witzes, kein leeres Wissen um des Wissens willen, auch sie ist wie alle Wissenschaft um der Menschen willen da, ist eine Mitarbeit am sausenden Webstuhl der Zeit, eine Leistung für das Leben der Einzelnen und für das Leben unseres von diesem Gegensatz leider so besonders schlimm durchwühlten und zerklüfteten Volkes im Ganzen.

Daß es dabei den Religionsphilosophen ebenso ergeht wie den Theologen und sie just um dieser Friedensarbeit willen angesehen werden als die üblen Störenfriede, das darf sie nicht kümmern und anfechten; es ist das nur eines der vielen Blätter mehr, auf denen die Leidensgeschichte der Wissenschaft verzeichnet steht. Aber eines müssen wir - nicht für uns, sondern für das Leben, dem die Wissenschaft dient, und für die Erhaltung der Gesundheit dieses Lebens immer wieder fordern: daß der Kampf zwischen Glauben und Wissen auf dem Boden ausgefochten wird, auf dem er emporgewachsen ist, auf dem Boden des Geistes. Zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten hat der Glaube den weltlichen Arm für sich aufgeboten und bewaffnet oder es sich wenigstens gern gefallen lassen, daß Prämien irgendwelcher Art auf das Glauben gesetzt werden, die ihn somit auch äußerlich vorteilhafter erscheinen lassen. Daß dadurch Sonne und Wind ungleich verteilt sind und das Wissen benachteiligt wird, ist daran nicht das Schlimme: eine solche Erschwerung ist im geistigen Leben vielmehr oft geradezu ein Gewinn und hält den Fortschritt doch nicht auf. Nein, was dadurch allein wirklich geschädigt wird und Not leidet, das ist der Glaube selbst. Glauben ist ein ganz Innerliches und ein ganz Wahrhaftiges; knüpft man äußerliche Vorteile daran, so wird er dadurch selbst veräußerlicht und unwahr; das "Herr, Herr sagen" ist das Zerrbild und der Tod des echten Glaubens. Kann aber die Religion wie die Wissenschaft, was sie dem Leben zu leisten hat, nur dann leisten, wenn sie ganz sie selbst, d. h. ganz wahr und ganz frei ist, so versetzte man sie auch in die reine Luft der Wahrheit und der Freiheit. So finden sich Glauben und Wissen, so oft und so heftig sie sich auch bekämpfen, als Kinder ein und desselben Geistes bei allem Gegensatz schließlich doch wieder zusammen in einer gemeinsamen Forderung und in einem gemeinsamen Gedanken, den wir in die Worte kleiden können: Nur die Wahrheit kann uns frei und nur die Freiheit kann uns wahr machen.

LITERATUR Theobald Ziegler, Glauben und Wissen [Rede zum Antritt des Rektorats der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg] Straßburg 1900
    Anmerkungen
    1) Dieser Gedanke, der auch früher schon erwogen wurde, ist neuerdings durch einen Vortrag von F. KLEIN "Universität und technische Hochschule" auf der Düsseldorfer Naturforscherversammlung von 1898 gestellt worden. Ganz besonders interessant ist, daß ihn auch unser Straßburger Kollege, Prof. Dr. F. BRAUN seiner Kaisergeburtstagsrede von 1899 "Über physikalische Forschungsart" auf Seite 23 einverleibt hat. Es wäre in hohem Grad erfreulich, wenn die Straßburger Hochschule im neuen Jahrhundert der Verwirklichung dieses Vorschlags energisch näher treten wollte: sie würde damit ein großes Problem auf dem einzig richtigen Weg des Versuches lösen.
    2) 2) FRIEDRICH NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse, Werke Bd. 7, Seite 161f
    3) HEGEL in der Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke Bd. 8, Seite 20f
    4) In der Erörterung des Verhältnisses von Glauben und Wissen in  meiner  Schrift "Religion und Religionen" (Stuttgart 1893) Seite 36f findet sich eine erhebliche Lücke, auf deren Vorhandensein ich selbst in "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik", Bd. 103, Seite 198f hingewiesen habe. Es war mir erwünscht, sie hier ausfüllen und somit die ganze Frage noch einmal im Zusammenhang behandeln zu können. Dabei habe ich mich natürlich mehrfach auf diese meine früheren Ausführungen beziehen und manches aus jener älteren Schrift direkt herübernehmen können, wie ich umgekehrt zu einer näheren Begründung für einzelnes hier nur kurz Angedeutete und Behandelte auf sie verweisen darf.
    5) TERTULLIAM, liber de praescriptione haereticorum, Kap. 7: quid Athenis et Hierosolymis? quid Academiae et Ecclesiae?
    6) DAVID FRIEDRICH STRAUSS, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklng und im Kampf mit der modernen Wissenshaft, Bd. 1, Seite 356. Zum Verständnis dieses Wortes bringt auch das unerfreuliche Buch von S. ECK über D. F. STRAUSS (Stuttgart 1899) nichts Erhebliches bei; nicht einmal die Bosheit darin ist neu.
    7) Am 15. April 1799 schreibt SCHLEIERMACHER an HENRIETTE HERZ: "Jetzt eben am 15. des Monats April ist der Strich unter die Religion gemacht, des Morgens um halb 10 Uhr". (Aus Schleiermachers Leben in Briefen, Bd. 1, 2. Auflage Seite 218).
    8) Neben dem Abhängigkeitsgefühl steht immer auch das der Erhebung, aber allerdings bleibt das Abhängigkeitsgefühl in der Religion das erste. - Übrigens weiß ich natürlich wohl, daß diese SCHLEIERMACHERsche Lehre vom Gefühl als Sitz und Wesen der Religion nicht durchweg anerkannt ist. Namentlich hat sich neuerdings noch CONSTANTIN GUTBERLET "Der Kampf um die Seele, 1899, mit großer Heftigkeit gegen die "Gefühlsreligion" ausgesprochen. Ihm ist Religion noch immer "vor allem vernünftige Erkenntnis, welche den Willen und das Gefühl bestimmt"; und trotz KANT ist er überzeugt, daß "die christliche Philosophie mit einleuchtender Klarheit die Existenz eines persönlichen Gottes  beweist". 
    9) Dafür darf ich auf  mein  Buch über "das Gefühl" (Stuttgart 1893) verweisen, in dem ich diese Priorität des Gefühls im Seelenleben zu begründen suchte.
    10) In den Lehrlingen zu Sais (Schriften, 4. Ausgabe, Seite 298) sagt NOVALIS: "Das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgraues, schwaches Leben".
    11) Hier hätte auch noch der Gedanke ausgeführt werden können: beweisen, was der Glaube macht, kann die Philosophie schon deshalb nicht, weil der Glaube in den verschiedenen Religionen Verschiedenes glaubt. Soll sie nun alles und jegliches beweisen? Natürlich nicht; aber dann müßte sie über die Religionen zu Gericht sitzen und immer erst entscheiden, welche von ihnen die wahre sei, und damit würde sie der Religion aufs neue übergeordnet. Dieses ganze Ansinnen an die Philosophie beruth auf einer Verwechslung mit der Apologetik [Rechtfertigung - wp], welche in der Tat eine  ancilla  der Theologie ist.
    12) Diese lutherische Übersetzung von Hebräer 11,1 ist zwar nicht ganz wörtlich, aber durchaus sinngemäß und kann daher in klassisch gewordenen Form gerade hier als geeigneter Ausgangspunkt dienen.
    13) In KANTs Wort: "Ich mußte das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen" gipfeln schließlich seine Ausführungen zur transzendentalen Dialektik und der Abschnitt "vom Meinen, Wissen und Glauben" am Schluß der Kritik der reinen Vernunft.
    14) Hier unterscheidet sich meine Ansicht aufs bestimmteste von der von ERICH ADICKES, wie er sie in seiner Abhandlung "Wissen und Glauben" in der deutschen Rundschau, Bd. 94 (Januar 1898) Seite 86 - 107 entwickelt hat. Er rechnet die Metaphysik neben der "offenbarten Religion" zum Glauben. Nach ihm ist "Metaphysik keine Wissenschaft und kann es nie werden"; "die Individualität ist das  A  und  O  jeder Weltanschauung, also auch der Metaphysik". Ich dagegen stelle die Metaphysik auf die wissenschaftliche Seite, weil in ihr das Bewußtsein des Auch-anders-sein-könnens, des bloß Hypothetischen ihrer Aufstellungen vorhanden ist. Daher ist ihr "Glaube" ein vom religiösen Glauben  toto coelo  [himmelweit - wp] verschiedener. Metaphysik als transzendente ist durchaus hypothetisch und problematisch, auch für den Metaphysiker selbst. Wer freilich die "wahre Philosophie" gefunden zu haben glaubt, wie JULIUS KAFTAN in seinem Vortrag "Das Christentum und die Philosophie" (Leipzig 1895), den führt die Metaphysik nicht nur "an die Schwelle des christlichen Glaubens", sondern der steht wie GUTBERLET mitten darin, aber eben damit nicht mehr in der Philosophie als Wissenschaft; er ist Apologet, nicht Philosoph. Im übrigen hat KAFTAN doch richtiger als ADICKES das Wesen der Philosophie bestimmt, wenn er Seite 25 von ihr sagt: "Die Philosophie behält immer etwas von dem freien beweglichen Charakter der Wissenschaft. Sie kann, sie darf sich nie festmachen und binden. Sie ist und bleibt immer bereit, ihre Sätze auf gute Gründe hin zu berichtigen und besserer Einsicht zu weichen. Diese Freiheit, dieses allezeit und überall offene Ohr ist ihr Ruhm und ihre Ehre. Freilich, eben damit ist gegeben, was ihre Schwäche (?) ist, das sie etwas Hypothetisches behält, niemals den Charakter einer menschlichen Meinung verliert und niemals zur vollen inneren Gewißheit führt". Ohne Zweifel ist ADICKES durch KANTs Postulatenlehre zu seiner Ansicht geführt worden; auf diese Postulatentheorie einzugehen schien mir aber hier nicht notwendig; auch gehört sie zu den Teilen der Kantischen Philosophie, die mit den tiefsten Grundgedanken derselben schwerlich ganz in Einklang stehen. Siehe dazu auch ALBERT SCHWEITZER, Die Religionsphilosophie Kants (Freiburg 1899). Ebensowenig hatte ich in meiner Rede Grund, von "Offenbarung" zu sprechen: für die Religionsphilosophie gibt es keine "offenbarte Religion", da wiederum viele Religionen den Anspruch erheben, es zu sein, sondern nur Glauben an eine Offenbarung; hier aber handelte es sich lediglich um den Glauben als solchen, nicht um dieses oder jenes einzelne Glaubensobjekt, also auch nicht um die geglaubte Offenbarung und um die freilich ganz besonders interessante Psychologie der Offenbarung.
    15) Ich übersehe natürlich nicht, daß bei dem Philosophen des "dubito ergo sum", bei DESCARTES der Irrtum als Sache des Willens verschuldet ist (Meditat. de prima phil. 4). Das hebt aber das Gesagt nicht auf, ob man nun annimmt, daß DESCARTES dadurch noch mit einem Fuß auf dem Boden der mittelalterlichen Weltanschauung steht oder ob man darin vielmehr einen Ausfluß seines Skeptizismus sieht, der lieber im Zweifel beharrt, als grundlos sich zum Ja oder Nein entschließt.
    16) Weil ADICKES den religiösen und den metaphysischen Glauben zusammennimmt, stellt er auch für beide gleichmäßig den individuellen Faktor in den Vordergrund und hat dann Mühe (a. a. O., Seite 94), die Gemeinsamkeit der religiösen Glaubensüberzeugungen zu erklären. Gerade hier zeigt sich, daß man jene beiden nicht zu nahe zusammenrücken darf: Metaphysik ist als Sache des Wissens auch die Sache Einzelner, die Religion wirkt durch das Gefühl auf Massen. Mit Recht nennt H. J. HOLTZMANN, "Richard Rothes spekulatives System" (Freiburg 1899) das Wort RENANs: "Wir leben von der Religion anderer" ein "merkwürdiges", das besonders scharf auf "das religiöse Erbe der Vorfahren und den religiös bedingten sittlichen Gemeingeist" hinweist.
    17) JUSTIN, Dialogus cum Tryphone Judaeo 8.
    18) CARL VOGT in seinem Streit mit RUDOLPH WAGNER. Seine gegen diesen gerichtete Streitschrift (Giessen 1855) führt den Titel "Köhlerglaube und Wissenschaft".
    19) Vgl. HOLTZMANN, a. a. O. Seite 248f
    20) In einer Ansprache an die Württemberger in Kissingen. Bei H. von POSCHINGER, "Die Ansprachen des Fürsten Bismarck 1848 - 1894" (Stuttgart 1895) lautet das Wort so: "in der nationalen Politik ist das Herz immer stärker als der Verstand . . . Das Herz ist eben stärker".
    21) Auffallenderweise glaubt auch ADICKES an die Möglichkeit eiens ewigen Friedens zwischen Glauben und Wissen; wenigstens sagt er a. a. O. Seite 105: "Durch die Einsicht, daß jenseits der Grenze der Einzelwissenschaften ein Glaubensgebiet liegt, in welchem subjektive Faktoren entscheiden, wird der alte Streit zwischen Glauben und Wissen  endgültig  beigelegt. Ohne diese Einsicht wohl kurzer Waffenstillstand, aber kein ewiger Friede". Allein schließlich kommt er doch zu ähnlichen Folgerungen wie ich, auf Seite 106, wo es heißt: "Wer jene Scheidung vollzogen hat, für den gibt es nicht nur zwischen Wissen und Glauben keinen Konflkt; er wird auch allen Kampf auf dem Glaubensgebiet vermeiden. Nie kann es ihm einfallen, zu beweisen und zu widerlegen, zu verfluchen und alleinseligmachende Lehren zu verkünden, allgemeine Anerkennung zu erzwingen, statt Zustimmung Gleichgesinnter zu erhoffen". Er gibt der Sache aber doch alsbald wieder eine andere Wendung, wenn er meint: "so könnte auch aus den metaphysischen Untersuchungen ein gut Teil Polemik verschwinden", und so muß auch er endlich wie STRAUSS ausrufen: "Jeder möge jedem seinen Glauben lassen! Wir philosophen den Theologen, sie aber auch uns". Auf diese Weise rächt sich bei ihm überall das Zusammenwerfen von Metaphysik und religiösem Glauben.
    22) Wie neuerdings namentlich JULIUS BAUMANN in seinen beiden Schriften "Die Grundfrage der Religion" (Stuttgart 1895), und "Wie Christus urteilen und handeln würde, wenn er heutzutage unter uns lebte" (Stuttgart 1896). Er versucht eine "auf den realen Wissenschaften ruhende, also objektive Gotteslehre", eine wissenschaftliche Religion zu konstruieren und gibt sogar ein - sehr merkwürdiges - Bekenntnis als Sammelpunkt einer Gemeinde von solchen Moralchristen und Wissenschaftsfreunden (in der zweiten Schrift Seite 74f). Dagegen sagt FRIEDRICH PAULSEN in seiner "Einleitung in die Philosophie" (Berlin 1892) Seite 322 ganz richtig: "Philosophie ist nicht Religion und kann nicht an ihre Stelle treten. Sie will nicht ein Glaube sein, sondern ein Wissen". Daß "jede Philosophie auch ein Element des Glaubens in sich enthält, das die Wissenschaft als solche nicht" - oder würde ich vorsichtiger sagen: nicht in dem Maße enthält, kann ich ihm dagegen wohl zugeben; wie umgekehrt er seine allzu optimistischen Friedenshoffnungen (ebd. Seite 13) inzwischen aufgegeben oder doch erheblich eingeschränkt hat; ich denke dabei vor allem an seine Auseinandersetzung mit OTTO WILLMANN.
    23) LUDWIG FEUERBACH, "Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnizschen Philosophie", Werke Bd. 5, Seite 126: "Die wahre Vermittlung der Philosophie mit der Theologie besteht keineswegs darin, nachzuweisen, daß den Vorstellungen der Dogmen Gedanken, Vernunftwahrheiten zugrunde liegen". Zur Theologie kann die Philosophie "überhaupt kein synthetisches, sondern nur ein genetisches Verhältnis haben. Ihre Vermittlung besteht nur darin, den Standpunkt, der selbst das Fundament der Theologie ist, den Standpunkt der Religion genetisch zu entwickeln und dadurch als einen realen und wesenhaften nachzuweisen".