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WILHELM SCHUPPE
Grundzüge der Ethik
und Rechtsphilosophie

[2/2]

"Es hilft nichts aus lauter Sehnsucht nach objektiver Erkenntnis vor dem Faktum, daß eines jeden Urteilen doch zunächst sein Urteilen ist, die Augen zu verschließen und sich zu gebärden, als könne man wirklich aus seiner Individualität heraus die Schranken des Ich durchbrechen und in einem Jenseits desselben, dem angeblich Objektiven, gewissermaßen im Universum selbst aufgehend, erkennen. Dadurch wird einfach der Begriff des Erkennens aufgehoben, weil er an das individuelle Ich als das Subjekt desselben geknüpft ist."

"Wer begriffen hat, daß und wie das denkende und fühlende Subjekt mit allem Bewußtseinsinhalt zusammen ein Ganzes ist und was die Dinge sind, der weiß auch, daß ein absolutes so und so denken Müssen und nicht anders denken Können identisch ist mit dem objektiven so und so Sein der Dinge, und ganz ebenso, daß das so und so fühlen Müssen, dessen Notwendigkeit aus dem Gattungscharakter des Menschenleibes fließt oder aus dem Wesen des Bewußtseins als solchem, nicht etwa bloß eine undurchbrechbare subjektive Anlage bedeutet, welcher immer noch der Gedanke eines ansich bestehenden Dinges gegenübersteht, sondern ein objektives so oder so, gut- oder schlecht-sein der Dinge, das innerste Wesen der Dinge, aus welchem mit objektiver Notwendigkeit die Wirkung auf unser Gefühl fließt."


Subjektivität des Gefühls und die
Bedingungen seiner objektiven Geltung.


Die Subjektivität des Gefühls im Gegensatz zur
Objektivität des Gedachten und Wahrgenommenen

7. Dieses erste Resultat scheint für die Ethik sehr ungünstig zu sein. Was wir in einem sittlichen Sinn gut nennen, soll es für alle und ganz unabhängig von den individuellen Geschmacksrichtungen sein. Sehen wir zu, ob es einen Weg geben kann, welcher auch auf dem Gebiet desjenigen, was nur gefühlt werden kann, aus dem Subjektiven heraus zu einer objektiven Geltung führt. Zuerst will die Subjektivität des Gefühls rückhaltlos anerkannt sein. Wenn man eine objektive Geltung unserer Sinneswahrnehmungen behauptet, so meint man, ein und derselben außerhalb von uns selbst befindliche Gegenstand wird von uns allen gesehen und getastet, und daher kommt die Übereinstimmung unserer Wahrnehmungen, das Gefühl aber ist ganz im Subjekt beschlossen, dem Individuum allein eigen und eigentümlich, und so ist der Anspruch und die Erwartung, daß im gegebenen Fall alle in gleicher Weise fühlen werden, durchaus ungerechtfertigt. Immer also sind wir darauf angewiesen, a posteriori kennen zu lernen, welcher Art jemandes Gefühlsweise ist. Und auch wenn diese uns ganz unverständlich ist, so haben wir doch kein Mittel, seine Aussagen, daß er faktisch in einem bestimmten Augenblick Lust oder Unlust fühlt, zu bestreiten, es sei denn, daß seine Handlungsweise und sein Gebahren sie widerlegt. Denn daran zweifelt in der Praxis kein Mensch - nur Philosophen zuweilen in ihren Theorien -, daß dem Gefühl die Handlungsweise naturgesetzlich entspricht. Wer singend und springend und unter übermütigem Gelächter versichert, er fühle sich todunglücklich, dem werden wir nicht glauben, aber wer eine solche Aussage durch sein Benehmen bestätigt, dem müssen wir es glauben, auch wenn wir nicht den mindesten Grund zu seinem Gefühl entdecken können und es somit für unberechtigt erklären. Letzteres geschieht oft und so zeigt sich doch wieder, daß, wie groß auch die individuellen Differenzen in der Gefühlsweise zugestandenermaßen sein mögen, niemand daran denkt, sie für etwas völlig gesetz- und regelloses anzusehen. Wie groß und überraschend auch zuweilen die Abweichung von unserer gewöhnlichen Gefühlsweise ist, wir sind doch immer überzeugt, daß sie in irgendwelchen besonderen Verhältnissen ihren zureichenden Grund hat, also jedenfalls einer allgemeinen, wenn auch uns zur Zeit noch nicht bekannten Gesetzlichkeit unterliegt. Dieses nun ist die Hauptsache. Wahrnehmungen und Urteile sind im Hinblick auf eine subjektive und objektive Geltung dem Gefühl nicht in der oben erwähnten Weise entgegengesetzt. Auch jene sind in einem bestimmten Sinn nur subjektiv, und auch diese werden in einem bestimmten Sinn, demselben wie jene, objektiv gültig. Dieser Sinn will erkannt sein. Es hilft nichts aus lauter Sehnsucht nach objektiver Erkenntnis vor dem Faktum, daß eines jeden Urteilen doch zunächst sein Urteilen ist, die Augen zu verschließen und sich zu gebärden, als könne man wirklich aus seiner Individualität heraus die Schranken des Ich durchbrechen und in einem Jenseits desselben, dem angeblich Objektiven, gewissermaßen im Universum selbst aufgehend, erkennen. Dadurch wird einfach der Begriff des Erkennens aufgehoben, weil er an das individuelle Ich als das Subjekt desselben geknüpft ist. Die Objektivität unserer Erkenntnis besteht ferner auch nicht in der faktischen Übereinstimmung mit allen, absolut allen denkenden Wesen. Denn diese kann niemals festgestellt werden, ist auch wohl niemals vorhanden, und wenn sie vorhanden wäre und festgestellt werden könnte, so wäre eben nur die vielleicht zufällige Übereinstimmung der vielleicht ganz irrigen Meinungen von so und so vielen Denkenden festgestellt. Der Begriff der Objektivität der Erkenntnis fällt mit dem der Wahrheit zusammen. Sie besteht einzig und allein in der absoluten Notwendigkeit, mit welcher ein bestimmtes Denken an das Bewußtsein als solches oder an das Bewußtsein überhaupt geknüpft ist. Werden wir dessen inne, daß das Denken nach dem Identitäts- und Kausalitätsprinzip dem Begriff des Bewußtseins so wesentlich ist, daß mit der Aufhebung jenes auch dieses aufgehoben und absolut undenkbar ist, so ist dieses Denken jedem bewußten Wesen notwendig und so sind seine Bestimmungen wahre objektiv gültige Erkenntnis. Wie dabei der Irrtum, ein scheinbar unrichtiges Denken möglich ist, ist eine wichtige Frage, von deren Erledigung natürlich die Anerkennung der obigen Lehre abhängt. Ich glaube sie in der "Erkenntnistheoretischen Logik" (§ 31, 32 und XXII) erledigt zu haben und kann hier nicht weiter darauf eingehen. Ist dieses unser Denken in seiner objektiven Geltung gesichert, so folgt aus ihm die objektive Geltung unserer Wahrnehmungen. Denn die räumlich und zeitlich unterscheidbare Mannigfaltigkeit unseres Bewußtseinsinhaltes muß einen durchgängigen inneren Zusammenhang haben, d. h. nach absoluter Gesetzlichkeit geordnet sein. Mögen nun die anderen bewußten Ich als solche nicht zu meinem Bewußtseinsinhalt gehören, wie aus Gründen, die hier nicht in Betracht kommen, von anderen behauptet wird, so ist doch wenigstens gewiß ihre leibliche Erscheinung und alles, was von ihrem Empfinden für mich wahrnehmbar in Erscheinung tritt, mein Bewußtseinsinhalt und muß derjenigen Gesetzmäßigkeit unterworfen sein, welche die Bedingung desselben ist. Also: wie wenig wir auch zur Zeit noch von diesen Gesetzen wissen, das unterliegt keinem Zweifel, daß, welches Moment des Wahrnehmbaren einmal auf dem Weg rationaler Induktion als Ursache oder als Bedingung eines andern erkannt worden ist, immer und überall dieselbe Wirkung hat. Die individuellen Differenzen der Sinnesempfindungen unter den Menschen hängen unzweifelhaft von Bedingungen ihrer Organisation ab, gehören also zum Inhalt der gemeinten Gesetze, und wenn sich die Wahrnehmungen auch unter dem Einfluß im engeren Sinn seelischer Vorgänge verschieden gestalten, so gehören auch diese zu den gesetzlichz wirkenden Bedingungen, und so sind sicher auch diese selbst einem Gesetz unterworfen, so daß diese Eigentümlichkeiten der Auffassung, wie groß man sich auch die möglich individuellen Unterschiede denken mag, doch immer ein eventuell berechenbarer Faktor sind. Wenn wir also auch faktisch noch so oft nicht imstande sind, vorhandene Bedingungen, ehe sich ihre Wirkungen zeigen, zu erkennen, und wenn auch unsere Wissenschaft von diesen Bedingungen noch so gering taxiert wird, das bleibt davon unberührt, daß der Begriff der objektiv gültigen Wahrnehmung in der gesetzlichen Notwendigkeit besteht, nach welcher gewisse Erscheinungen sich gegenseitig fordern, zu welchen Erscheinungen eben die bestimmten Weisen der Sinnesempfindung auch gehören. so gut wie wir aus der Erscheinung einer gehenden Menschengestalt schließen, daß sich in ihr ein Magen und ein Herz und so und so viel Knochen von der und der Gestalt und Adern und Nerven und dgl. vorfinden werden, so auch, daß Seh- und Hör-, Schmeck- und Riech- und Tastapparat vorhanden sind und so auch daß je nach Beschaffenheit der Sinnesapparate und der Zentralorgane unter den und den Umständen die und die Empfindungen eintreten werden. Wie das Generische sich zum Individuellen verhält und innerhalb seiner einen bestimmten Kreis von Verschiedenheiten gestattet, hat die "Erkenntnistheoretische Logik" zu zeigen versucht; ich kann es hier nicht wiederholen. Die zur Gattung oder zur Art Mensch gehörigen Empfindungen sind objektiv gültig. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß, was zur Gattung oder zur Art gehört, nicht auf dem schlichten Weg der Vergleichung gegebener Individuen erkannt wird, welche eben nur Gemeinsames vom Nichtgemeinsamen unterscheiden kann. Freilich ist das Gattungsmäßige allen zur Gattung gehörigen Individuen gemeinsam, aber sein Wesen geht nicht darin auf, daß es an so und so viel Individuen vorkommt, und es kann auch unmöglich durch eine bloße Sonderung des Gemeinsamen vom Verschiedenen gefunden werden. Innerhalb der Erscheinungen, welche je ein Individuum ausmachen, sind alle Unterschiede zu erspähen, - wozu freilich die Vergleichung sowohl mehrerer ähnlicher wie ganz verschiedener Individuen das unentbehrliche Mittel ist - und innerhalb eines solchen Komplexes von Erscheinungen lehrt die rationale Induktion diejenigen, welche zusammengehören, ausfindig machen, - wozu natürlich wiederum die Vergleichung verschiedener Fälle notwendig ist. Die Vergleichung ist also nur ein sekundäres Mittel,
    1) um feinere Unterschiede sichtbar zu machen, und

    2) um das Ausschlußverfahren, in welchen die rationale Induktion besteht, anzuwenden;
aber sie ergibt nicht direkt das erstrebte Resultat, und deshalb ist auch meine Gleichstellung von objektiv gültigen Sinnesempfindungen und den zum Begriff Mensch gehörigen frei von einem vitiösen Zirkel [Teufelskreis - wp], welcher ihr sonst allerdings anhaften würde. Den generischen Merkmalen, zu welchen also die objektiv gültige Empfindungsweise gehört, stehen die individuellen Eigenheiten gegenüber, zu welchen die nur subjektiven Empfindungen gehören. Woher in letzter Instanz diese kommen, ist eine noch unerledigte Frage. Gewiß aus der "Notwendigkeit der ursprünglichen Tatsache" (Erk. Log. § 62, 63), aber auch diese ist zugestandenermaßen ein Notbehelf. Hier ist einer der angekündigten Punkte, welche auf Metaphysik im engeren Sinne hinweisen. Aber ich kann nicht zugeben, daß meine Auffassung der objektiven Gültigkeit und der Gewinnung von Gattungsbegriffen von dieser noch unerledigten Frage bedroht würde.


Der Begriff objektiv gültiger
Wertschätzungen

8. Die objektive Gültigkeit unserer Wertschätzungen ist derselben Art. Das Gesetz selbst hat den individuellen Differenzen zwar einen bedeutend größeren Spielraum eingeräumt, aber im Allgemeinen sind wir, auch ohne spezielle Kenntnis der besonderen Geschmacksrichtungen, der individuellen Neigungen und Abneigungen eines Menschen recht wohl imstande, eine ansehnliche Reihe von Dingen oder Ereignissen anzuführen, welche ihm ganz sicher Lust und Unlust bereiten würden. Wer nur sonst Neigung und Mittel hat, dem steht die bloße Unkenntnis der individuellen Gefühlsweisen nicht im Weg, seine Nebenmenschen zu erfreuen oder zu betrüben. Die Gewißheit dieser Voraussetzungen ist freilich noch nicht geeignet, unser Problem zu lösen. Denn sie stützt sich in erster Linie, wie die objektive Gültigkeit der Sinnesempfindungen, auf die Gesetzlichkeit im Reich des Wahrnehmbaren. Es ist die Natur der Tierleiber überhaupt, Lust und Schmerz aus bestimmten äußeren Bedingungen zu erhalten, wobei letztere hier anzuführen ich für überflüssig halte. Auf diesem Gebiet also sind wir des Erfolges sicher, je weiter wir uns aber vom Sinnlichen entfernen, desto unsicherer wird die Voraussicht. Aus der Befriedigung oder Nichtbefriedigung des Nahrungstriebes hat sowohl der roheste Eingeborene Innerafrikas, als auch der gebildetste Europäer Lust oder Unlust, aber fremdes Leid und fremde Freude erwecken gewiß nicht bei beiden in gleicher Weise Mitleid und Mitfreude. Also gerade die höheren geistigen und edleren Gefühle, auf welche es uns ankommt, scheinen für den Begriff Mensch unwesentlich zu sein, da sie faktisch nur einem verhältnismäßig geringen Teil der Menschen angehören. Das ist es, warum KANT die Natur des Menschen als Basis der Ethik nicht brauchen zu können glaubte. In der Tat ist sie, wenn sich kein anderer Gesichtspunkt darbietet, unbrauchbar, und die so häufig gehörten Versicherungen über eine moralische Anlage im Menschen, über die angeblich zu seiner Natur gehörigen altruistischen Gefühle sind den angeführten Tatsachen gegenüber wertlos. Aber wir haben vorläufig anzuerkennen, daß unser Begriff des Menschen zoologisch gebildet ist. Ich habe zwar nicht die Absicht, einen Begriff von ihm aufzustellen, der so beschaffen wäre, daß der unmoralische Zweihänder nicht in diese Gattung zu rechnen wäre, aber ehe wir aufgrund der zugestandenen Fakta definitiv anerkennen, daß alle edleren geistigen Gefühle keinen Anspruch auf objektive Geltung haben, sondern zu den individuellen Eigentümlichkeiten gehören, ist es methodologisch geboten, den Begriff der individuellen Eigentümlichkeiten in Betracht zu ziehen. Wenn er nicht geeignet ist, auch die moralischen Qualitäten zu umfassen, so ist evident, daß hier eine Schwierigkeit vorliegt, deren Lösung tiefer zu suchen ist und einen anderen Gesichtspunkt erfordert.

"Die Notwendigkeit aus der ursprünglichen Tatsache" (Erk. Log. § 62, 63) setzte ein ursprüngliches Nebeneinander von Stoffteilen und eine Bewegung, welche es uns wohl begreiflich finden lassen, daß dieses Sandkörnchen hier gerade jetzt an diesem Platz liegt, aber die geistigen Eigentümlichkeiten könnten doch nur dann hieraus begriffen gelten, wenn wir den Materialismus rückhaltlos anerkennen würden. Sollte aber mit den geistigen Eigentümlichkeiten alle moralische Wertschätzung und eine ihr entsprechende Handlungsweise ganz und gar einer ursprünglichen psychischen Anlage, welche sich unaufhaltsam entwickelt und bei gegebener Gelegenheit betätigt, zugerechnet werden, so wäre einmal der Pflichtbegriff und alle Schuld und Verantwortung aufgehoben, zum andern wäre das eine metaphysische Voraussetzung, welche grundsätzlich ferngehalten werden soll, und schließlich wäre diese Annahme nichts weiter als ein Verzicht auf Erklärung und würde die gesamte Psychologie und Pädagogik mit einem Schlag aufheben. Ist dies also untunlich, so sind wir darauf angewiesen, nach den Gesetzen zu suchen, welche diese mannigfaltigen Erscheinungen unterliegen. Es ist eine Tatsache, daß, wie viele Versuche auch mißlungen sein mögen, eine moralische Erziehung und Beeinflussung möglich ist. Sie weist darauf hin, daß die individuellen Unterschiede in den moralischen Wertschätzungen mindestens nicht allein aus der Notwendigkeit der ursprünglichen Tatsache zu erklären sind. Unter dem Eindrück der eröffneten Aussicht nun sei der Gedanke ausgesprochen, ob es nicht ein Gefühl und auf diesem beruhend eine Wertschätzung gibt, welche, so wie die logischen Kategorien, dem Bewußtsein als solchem zugehört, d. h. zum Begriff des Bewußtseins selbst gehört. Wäre dies der Fall, so hätten wir eine absolut objektiv gültige Wertschätzung. Der Einwand aus der Erfahrung, daß außer jenen schon abgefertigten rein sinnlichen Lust- und Unlustgefühlen nicht eine einzige Gefühlsweise wirklich allgemeingültig ist, könnte sich vielleicht in ähnlicher Weise erledigen, wie die merkwürdige Erfahrung, daß trotz der objektiven und Allgemeingültigkeit der Normen des Denkens, welche eben das aus dem Wesen des Bewußtseins selbst notwendige Denken sind, doch von vielen bewußten Wesen ganz falsch gedacht wird. Also nicht von einer aus bloßer Vergleichung von Menschenindividuen gewonnenen angeblichen Natur des Menschen, sondern vom Begriff des Bewußtseins müßte die unvermeidliche Wertschätzung abhängen und es würde sich fragen, ob nicht in der Sache selbst ein Grund gefunden werden kann, welcher die tatsächlichen Abweichungen erklärt. Also: wenn sich der Begriff des Sittlich-Guten von dem, was sonst noch gut genannt wird, bloß spezifisch und nicht generisch unterscheidet, wobei in letzterem Fall der Gleichlaut des Namens nur ein äußerlicher Zufall wäre, wenn nicht das Sittlich-Gute gar nicht unter den gemeinen Begriff der Wertschätzung und somit der Gefühlsaussagen fällt, wobei es in diesem Fall schwer sein dürfte, einen Inhalt für seinen Begriff zu finden, und wenn andererseits, was ich und noch viele andere übereinstimmend mit diesem Laut bezeichnen, nicht bloß eine Geschmackseigentümlichkeit ist, welche eben nur gerade so viel Recht hat, wie alle anderen, so wird sein Recht, sein Wert und seine Bedeutung zurückgehen müssen auf eine im Bewußtsein als solchem liegende und zu seinem Begriff gehörige und somit unvermeidliche Wertschätzung, welche von aller individuellen Geschmacksverschiedenheit unabhängig ist. In diesem Sinne ließe sich von der sittlichen Wertschätzung behaupten, daß sie in der Natur des Menschen begründet ist, und wahrlich - wenn sie das nicht wäre, so wüßte ich nicht, worin sie begründet sein sollte. KANTs Begründung geht doch wohl auch auf das Wesen und den Begriff des Bewußtseins zurück. Hier haben wir also die erste Bedingung, welche zu erfüllen ist. Bevor wir aber weiter gehen, ist einem Einwand zu begegnen, welcher, so lange ihm nur einiger Schein von Recht belassen wird, geeignet ist, alles, was auf dem bezeichneten Grund aufgebaut werden kann, von vornherein als hinfällig und unbrauchbar erscheinen zu lassen. Es ist der Vorwurf des Eudämonismus.


Der Eudämonismus
Mißverständliche Auffassung der in
Betracht gezogenen Tatsachen.

9. Ich würde die zu den prinzipiellen gerechnete Streitfrage, ob eine eudämonistische Moral möglich ist, d. h. ob eine solche noch den Namen Moral verdient, nicht hier zur Erörterung bringen, wenn ich nicht glauben würde beweisen zu können, daß die eigentliche Schwierigkeit der Frage nicht von sachlichen Prinzipien, sondern von Mißverständnissen erkenntnistheoretischer und logischer Art abhängt. Diese kann ich lösen, ohne die verlangte unvermeidliche Wertschätzung genannt und die einzelnen moralischen Anforderungen von ihr abgeleitet zu haben. Gesetzt also, die Ethik mit allen ihren Bestimmungen würde auf eine Wertschätzung gegründet und diese ginge wirklich - widrigenfalls die Wertbegriffe inhaltslos wären - auf eine Aussage des Gefühls zurück und das Gefühl könnte wirklich nur, wenn auch in unendlich vielen Abstufungen und sehr verschiedenen Färbungen, Lust und Unlust aussagen, so würde, meint der eifrige Gegner des Eudämonismus, welchem ich übrigens zwar nicht in seiner Deduktion, wohl aber in seinem Motiv und seiner Gesinnung völlig beistimme - so würde das Sittlich-Gute bloß um der eigenen Lust willen als gut geschätzt und getan, was dem Begriff des Sittlich-Guten widerspricht, welcher verlangt, daß es um seiner selbst willen hochgeschätzt und geübt wird. Daß wir es nur mit diesem Einwand zu tun haben, muß ich zum Überfluß noch extra bemerken, denn der andere, daß die Wertschätzungen nach den Geschmacksrichtungen verschieden ausfallen könnten, also die Allgemeingültigkeit des Sittlichen dadurch aufgehoben würde, ist durch die Voraussetzung des vorigen Paragraphen ausgeschlossen. Also nur der Gegensatz des um seiner selbst willen und um der gewährten Lust willen beschäftigt uns. Was bloß um der eigenen Lust willen getan wird, wird aus Egoismus getan, und nichts ist dem Sittlich-Guten so entgegengesetzt als dieser. Wir brauchen dieses Räsonnement [Argument - wp] nur auszuführen, um uns von der Unzulänglichkeit der Gründe und dem Vorhandensein eines Mißverständnisses zu überzeugen. Im gleichen Sinn sittlicher Verurteilung sagt man, jemand liebt nur sich selbst, hat nur für sich selbst Interesse, er hat kein Herz für andere, kein Interesse für die Sache. Ist hier nicht geradezu verlangt, daß wir auch andere lieben, für andere bzw. eine gute Sache Herz und Interesse haben sollen? Ist der Gegensatz nicht die herzlose Gleichgültigkeit? Wie kann man aber anders nicht gleichgültig sein, wie anders lieben und Interesse haben, als mit dem Gefühl? Ja, wird man einwenden, nur nicht mit dem gemeinen Gefühl der Lust oder Unlust. Aber wer heißt euch denn bei diesem Begriff nur an Wollust und Tanzvergnügen denken? Mag meinetwegen die Armut der Sprache angeklagt werden, es gibt einen formalen Begriff gefühlsmäßiger Bejahung oder Verneinung, welchem die unmittelbar aus dieser erfolgende Richtung des Strebens entspricht, welcher, trotz aller materiellen Grundverschiedenheit, die stille Befriedigung des guten Gewissens, das Glück begeisterter Aufopferung, ja die Seligkeit aus dem Anschauen Gottes und ebenso alle unedelste Sinnenlust in sich begreift. Jede Regung des Beifalls, den wir der guten Handlung zollen, qualifiziert sich als Lust an ihr. Ist es doch - wenn ich auch aus anderen Gründen widerstreite - für viele völlig ohne Anstoß, die unsterbliche Menschenseele zusammen mit dem ekelhaftesten Drecksklumpen unter denselben Gattungsbegriff der Substanz zu subsumieren, nur daß sie jene als immaterielle Substanz der materiellen entgegensetzen. Wird doch eine Äußerung der denkbar höchsten Weisheit und der denkbar größten Dummheit unter denselben Gattungsbegriff eines Gedankens gestellt, wird nicht das bestbegründete und erwogene Urteil des besonnensten, kenntnisreichsten und gewissenhaftesten Sachverständigen zusammen mit dem gedankenlosesten Geschwätz des einfältigsten Tropfes als "eine Meinung" bezeichnet? Lust und Lust können in der Tat so verschieden sein, wie Himmel und Erde. Was also gerade dem Egoismus entgegengesetzt wird als das echte sittliche Verhalten, das ist ausgesprochen Lust am Wohl des Nebenmenschen, am Gedeihen dessen, was man je nach Umständen "die gute Sache" nennt. Es ist unmöglich, sich für Mitmenschen oder eine Sache zu interessieren, ohne selbst im eigenen Herzen seine Lust daran zu haben. Der Gegensatz zwischen edler Uneigennützigkeit und gemeinem Egoismus ist also falsch aufgefaßt, wenn er als eine eigene Lust im Gegensatz zum fremden Wohl gedacht wird; er ist materieller Art, Lust an diesem im Gegensatz zur Lust an jenem. Kann jemand denn für andere wirken, wenn er wirklich nichts als lauter Unlust vom erwirkten Heil derselben verspürt, oder wenn er weder Lust noch Unlust daran hat, sich also ganz gleichgültig verhält? Dann würden wir sogar einer solchen Handlung den sittlichen Charakter absprechen. Nun kommt wieder ein anderes bei einer früheren Gelegenheit schon flüchtig berührtes Mißverständnis ins Spiel. Recht viele werden eifrig entgegnen: gewiß, der wahrhaft Sittliche kann aus seinem Wirken für das Heil seiner Mitmenschen Unlust über Unlust ernten, er kann sogar dafür gekreuzigt werden, und hört doch nicht auf, so zu handeln, wie er es für seine Pflicht hält, und verzichtet dabei auf jeden Lohn. Dieser Einwand ignoriert die früher schon geltend gemachte Relativität der erwählten Lust; er richtet sich eigentlich nur gegen die Behauptung, daß nur diejenige Handlung getan würde, deren Erfolg nach allen Richtungen hin oder doch überwiegend Lust ist. Bekanntlich sind die Lust- und Unlustarten so grundverschieden, daß an ein einfaches Aufrechnen von plus und minus gar nicht gedacht werden kann. Also - wovon unten noch mehr die Rede sein wird - ein und dieselbe Handlungsweise kann dem Täter sowohl mehrfach verschiedene Lust wie auch Unlust einbringen. Welches Motiv jedesmal den Ausschlag gibt, ist noch einer besonderen Untersuchung wert. Gewiß ist vorläufig nur dies, daß, wer unrechten Erwerb verschmähend die Unlust bitterer Armut erträgt, recht gut weiß, daß das unrecht Erworbene ihm nicht Lust, sondern noch schwerer zu ertragende, für ihn sogar unerträgliche Unlust gebracht hätte, so daß er "lieber" - man beachte den Sinn dieses unentbehrlichen Wortes - sogar den Tod erleiden würde, und daß, wer ohne Dank und jeden Lohn für seine Mitmenschen arbeitet, die Unlust dieses negativen Erfolges lebhaft fühlt und doch zugleich die süße Befreiung aus der Pflichterfüllung genießt und genau weiß, daß es ihm im entgegengesetzten Fall noch viel weniger lohnen würde zu leben. Daß also jedesmal ein plus reiner Lust erwirkt würde, ist mitnichten behauptet worden; es ist auch unmöglich.

Es bleibt also doch dabei: in den eingewendeten Fällen wird die Unlust nicht direkt an der gewählten Handlung gefühlt; sie ist zwar in ihrem Gefolge, kommt aber nicht aus ihr selbst, sondern erst durch Vermittlung aus anderen Umständen; an diesen wird Unlust gefühlt, aber zugleich Lust aus der erwählten sittlichen Handlung selbst, und beide, Lust und Unlust, bestehen nebeneinander. Die Handlung wäre nicht sittlich, wenn nicht sie selbst an und für sich immer noch Lust gewähren würde. Die zurückgewiesenen Einwände waren Mißverständnisse, welche aus einer oberflächlichen Beobachtung und aus einer falschen Auffassung der Behauptung herrühren. Ein anderes wichtigers knüpft sich an die Begriffe "um der Lust willen" und "Lust-Gewähren".


Genauere Angabe, unter welchen Bedingungen die
Gegenüberstellung der gewährten Lust und der
lustgewährenden Sache, welche ansich
wertlos ist, falsch ist.

10. Auch wenn, wird wiederum eingewendet, alles Edelste wirkliche Lust gewährt, so ist es dennoch eine Vernichtung des sittlichen Charakters einer Handlung, wenn sie bloß um der Lust willen getan wird. Das ist "Trinkgeldmoral". Daß doch niemand das Gute völlig gleichgültig oder gar mit Unlust, welche direkt aus ihm selbst als solchem stammt, tun kann, wird überhört und immer nur der Gegensatz "um seiner selbst willen" und "um der gewährten Lust willen" betont. Aber dieser Gegensatz ist falsch, denn er setzt der gefühlten Lust an einer Sache den Wert, welchen sie an und für sich hat, begrifflich gegenüber. Und worin dieser ansich existierende Wert bestehen mag, soll mir jemand mal auseinandersetzen. Es ist damit ganz so, wie mit der Güte des Weines und der Schönheit der Landschaft, unter Abstraktion jeden wertschätzenden Gefühls (siehe § 1). Jener Wert ansich ist bloß deshalb noch ein möglicher, d. h. denkbarer Begriff, weil die Abstraktion von jedem Wertschätzenden nicht durchgeführt wird; was jemand dabei denkt, ist seinem Inhalt nach immer wieder nichts anderes, als der Wert der Sache, welchen er und andere in ihrem Herzen fühlen. Die Schwierigkeit ist nicht ethischer, sondern erkenntnistheoretisch-logischer Art. Die lustgewährende Sache und die von ihr gewährte Lust werden in einer Weise voneinander unterschieden, welche den realen Zusammenhang aufhebt. Dieser ist vollständig verkannt, wenn man sagt, daß der Wert bloß in der gefühlten Lust besteht, die Sache aber, von der sie kommt, eben nur in dieser Relation Wert hat, ansich aber wertlos ist. So besteht der Wert eines Mittels und Werkzeugs nur in der hervorgebrachten Wirkung; der Wert des Ofens nur in der Wärme, welche mit seiner Hilfe hervorgebracht wird; wo letzteres dauernd unnötig ist, hat der Ofen keinen Wert; wo es niemals etwas zu schneiden gäbe, wäre das beste Messer wertlos; wer alle nur erdenkbaren Bedürfnisse umsonst befriedigt erhält, für den hat Geld keinen Wert. Hier hängt der Wert des Dings von einer Wirkung ab, welche es hervorbringt, und erst diese von ihm selbst unterscheidnbare Wirkung bringt im Benützenden das Gefühl der Lust hervor. Solche Vermittlungen kann es unter Umständen sehr viele geben. Der Wert des Messers besteht auch noch nicht direkt in der mit seiner Hilfe hervorgebrachten Trennung eines Körpers; diese gestattet erst eine anderweitige, und diese vielleicht wieder eine anderweitige Benützung usw., und erst eine letzte bewirkt unmittelbar das Lustgefühl, eine letzte aber, welche unmittelbar Lust erzeugt - das will beachtet sein - muß es geben. Nun unterscheiden wir ferner, was nur zeitweise und war immer Lust erzeugt. Wenn die Vorräte der Speisekammer stets als wertvoll gelten, so geschieht es, weil wir wissen, daß das Nahrungsbedürfnis nur auf Zeit befriedigt werden kann und immer wieder hervortritt. Eigentlich aber haben sie nur Wert, wenn das Bedürfnis vorhanden ist, dessen Befriedigung unmittelbar Lust bedeutet. Und endlich unterscheiden wir, ob die Lustwirkung von der Bedingung individueller Empfänglichkeit abhängt oder nicht. Wie das schönste Konzert für den Tauben keinen Wert hat, so auch für denjenigen, welcher keinen Sinn für Musik hat. Über den Geschmack im engeren Sinn läßt sich bekanntlich nicht streiten. Aber doch glaubt niemand, daß diese Wirkung ursachlos erfolgt; vielmehr liegt die Ursache, bzw. eine wesentliche Bedingung in körperlichen Beschaffenheiten und Zuständen, welche zum Individuellen, nicht zum Gattungsmäßigen gehören. Also ist auch der Wert eines nur unter solchen Bedingungen lusterzeugenden Dings ein bedingter, und auch, wer sich seiner erfreut, rechnet die Lustwirkung nicht ihm allein, sondern sich selbst, seinen individuellen Beschaffenheiten an. Gesetzt nun, das Sittlich-Gute erweckt ganz ohne jede vermittelnde andere Wirkung Lust, und es erweckt stets diese Lust, nicht erst unter der Bedingung eines naturgemäß nur zeitweise sich einstellenden Bedürfnisses, und die Empfänglichkeit für diese Lust ist nicht individuell, sondern gehört zum Gattungscharakter, sie liegt im Wesen des Bewußtseins, ist also so zu seinem Begriff gehörig, wie etwa der Bewußtseinsinhalt oder wie das Denken nach dem Identitätsprinzip, kann man dann noch behaupten, es ist eine Vernichtung des Sittlich-Guten seinem Begriff nach, daß es nur um der Lust willen, welche es gewährt, geschätzt und getan wird, weil es dadurch ansich als wertlos erklärt ist?


Der Begriff "Wert" und das Subjekt
oder der Träger desselben.

11. Fragen wir: was heißt denn das, "ansich wertlos?" Man meint, "der Wert besteht doch nur in der hervorgebrachten Lust". Aber ich frage wiederum, "welcher Wert?" "Wert" gibt es doch nicht so losgerissen von jeder Beziehung, so wenig wie es überhaupt eine Eigenschaft gibt, die ohne einen dinghaften Träger frei herumflattert. Also "wessen Wert?" Die Antwort kann nur sein: "nun eben der Wert des Dings, welcher doch eben sein Wert ist, dem Ding als der seinige, ihm anhaftende gehört und zu ihm gehört." Der gedachte Gegner meinte heimlich, der Wert gehört der hervorgebrachten Lust, sie hat den Wert und nicht das Ding, und dieses hat ihn dann eben nur vermittlungs- und beziehungsweise. Das ist der Fehler. Der Satz: die Lust hat Wert, nimmt sich zwar gar nicht so unsinnig aus, wie er wirklich ist, aber nur, weil der Sinn des Prädikates sich wieder heimlich geändert hat. Worin soll denn der Wert bestehen, welchen die Lust hat? Welches ist der Inhalt dieses Begriffs? Nach früheren Feststellungen doch nur in der Lust, und so heißt jener Satz: Lust gewährt Lust. Aber ich errate eine andere Interpretation. Jedes Ding nämlich wird um seines Wertes willen gewollt und erstrebt, der Wert aber ist dasjenige, was um seiner selbst willen gewollt wird. "Lust hat Wert" heißt also: eigentlich ist es nur das in uns hervorgebrachte Lustgefühl, was um seiner selbst willen gewollt und erstrebt wird, alles andere wird nur um dieses willen erstrebt. Mancher wird zur Bekräftigung auch noch von sich selbst bezeugen, er wolle bloß glücklich sein, wodurch das hervorgebracht wird, sei ihm ganz gleichgültig. Aber zunächst ist es nur eine Ungenauigkeit des sprachlichen Ausdrucks, wenn jemand sagt, daß er die Lust um ihrer selbst willen erstrebt, eine Ungenauigkeit, welcher viele Analoga erklärend zur Seite stehen. Das "um - willen" bezeichnet das Motiv und das Motiv wird überall in der Welt von allen auch nur halbewegs Denkenden vom Gegenstand unterschieden und fällt nicht mit ihm zusammen. Die Lust wird freilich auch gewollt, aber das ist es ja, was schon oft dazu verführt hat, das Gefühl auf den Willen zurückzuführen. Ist die Lust zum Objekt des Wollens gemacht, so gibt es kein Motiv mehr für dieses Wollen, sondern es wird eben dies zum Begriff des Wollens gerechnet, daß es sich naturnotwendig - meinetwegen, wenn dieses Bild dem Verständnis dienen sollte, infolge eines transzendenten Mechanismus - immer und ausschließlich auf die Lust richtet. Ein auf eigene Unlust gerichtetes Wollen ist dann nicht nur aus irgendwelchen Gründen real unmöglich, sondern ein Widerspruch in sich wie ein unausgedehntes Dreieck. Das Wollen in diesem Sinne gefaßt hat überhaupt kein anderes Objekt als die Lust. Wird ihm ein anderes beigelegt, so geschieht es nur um der Lust willen, und dann wird das einzige eigentliche Objekt des Wollens zum Motiv, aus welchem es uneigentlich auch etwas anderes wollen kann, "anderes" natürlich nicht im Gegensatz zur Lust, denn das wäre ja Unlust, sondern nur unterscheidbar von ihr, nämlich in der Sphäre des objektiv Wahrnehmbaren Angehöriges. Wird also die Lust gewollt, so ist der Zusatz "um ihrer selbst willen" eigentlich falsch; er kann nur bedeuten, daß dieses Wollen vollständig motivlos ist, weil der Begriff des Motivs hier keinen Sinn und keinen Platz mehr hat. Richtig ist also, daß die Lust nicht um irgendetwas willen gewollt wird; wer daraus schließt, also um ihrer selbst willen, setzt statt des kontradiktorischen Gegensatzes den konträren, wie wenn er aus "der Stein ist nicht gesund oder sittlich" schließen wollte, "also ist er krank oder unsittlich". So wie es also falsch ist, daß die Lust um ihrer selbst willen gewollt wird, so auch, daß sie eigentlich allein einen Wert hat. Wer also behauptet, die Lust allein ist es eigentlich, was den Wert der Dinge ausmacht, der hätte freilich nicht Unrecht, aber er soll sich nur dabei klar machen, daß der Wert, welchen die Lust ausmacht, eben der Wert der Dinge ist und nicht der Wert der Lust. So wenig man Lust an der Lust haben kann, so wenig kann die Lust selbst Subjekt und Träger eines Wertes sein, es sei denn, daß wiederum der sprachliche Ausdruck zu interpretieren ist, welcher der einen Lust einen größeren Wert als einer anderen beilegt, einer vielleicht auch allen Wert abspricht. Dann ist im ersten Fall der Wert, welchen sie hat, nur die Bestimmung ihrer Quantität oder ihrer Dauerhaftigkeit, der Sicherheit vor der sonst so häufig nachfolgenden Unlust. Wenn der spezifische Charakter einer Lust ihr größeren oder geringeren Wert beimessen läßt, der geistigen Lust aus der Erkenntnis, aus dem aufopfernden Wirken für die Menschheit einen größeren als der sinnlichen Lust aus einer wohlschmeckenden Speise, so wird das Anstoß erregen, weil diese Lustarten völlig unvergleichbar erscheinen, ihr Unterschied also gewiß kein bloßer Gradunterschied sein kann. Ich stimme vollständig bei, aber - man sage doch, worin der Wert, bzw. das plus an Wert besteht und was der Inhalt dieses Begriffs ist, wenn nicht gefühlte Lust! Ich behaupte nicht die Gleichartigkeit aller Lust und habe ausdrücklich erklärt, unter Lust nur den formalen Begriffs der gefühlmäßigen Bejahung oder inneren Befriedigung zu verstehen, die so verschieden sein kann, wie die widerwärtig einfältigsten und die großartigsten und erhabensten Gedanken, welche doch zusammen unter den Allgemeinbegriff Gedanken subsumiert werden. Aber wenn jemand den größeren Wert jener und den geringeren dieser Lust behauptet, so hat er selbst schon das Anstößige getan, was der Erklärung durch größere und geringere Lust zur Last gelegt werden kann. Denn er mißt ja auch beide mit dem selben Maßstab des "Wertes" und findet einen Gradunterschied, und ich mache nur geltend, daß der Wert ein gefühlter ist und verstehe unter Lust nichts anderes als den gefühlten Wert. Ich behaupte selbst, daß die Lust aus dem Wohlgeschmack und die innige Befriedigung aus erfüllter Pflicht auf keine gemeinschaftliche Einheit reduzierbar sind, so daß diese etwa 10 oder 17;½ mal so groß wäre, wie jene, aber die Hauptsache ist, daß niemand aus bloßem Interesse an Größenverhältnissen einen Gradunterschied zwischen dieser und jener Lust feststellt, sondern immer nur im Fall der Wahl, wenn besondere Umstände nicht beide zugleich, sondern nur eine von ihnen gestatten. Und dann widerstreitet es ihrer behaupteten Inkommensurabilität [Unvergleichlichkeit - wp] nicht, wenn die eine als die unmessbar, unendlich größere bezeichnet wird. Jene hat überhaupt nur Wert, wenn auch diese da ist, ohne diese, d. h. mit dem Gegenteil von dieser, d. h. mit einem erdrückenden Schuldbewußtsein hat sie gar keinen Wert, d. h. hört sie auf Lust zu sein oder hört der betreffende Gegenstand auf Lust zu erregen. Natürlich gilt letzteres nur vom normalen sittlichen Verhalten; die Erklärung der Abweichungen von diesem gehört noch nicht hierher. Meßbarkeit der Lustgrade findet nur bei gleichartigen Lustquellen statt, bei ungleichartigen ist die edlere Lust die Bedingung der unedleren, letztere wenn das edlere Bedürfnis unbefriedigt bleibt, überhaupt nicht vorhanden. Von dieser wichtigen Erkenntnis ist noch viel Gebrauch zu machen, hier habe ich sie nur erwähnen müssen, um meine Behauptung, daß die unterscheidbaren Werte von Lustarten nichts von der Lust selbst verschiedenes sind, was mit einem anderen Organ als dem Gefühl perzipiert und gemessen würde, gegen den Einwand der Unreduzierbarkeit der verschiedenen Lustarten auf eine Lusteinheit aufrecht zu erhalten. Diese Unreduzierbarkeit ist wahr, aber sie ist kein Einwand gegen meine Behauptung. Die gefühlte Lust ist also nicht der eigentliche Träger des Wertes, sondern dieser ist die aus ihrer innersten Natur lusterzeugende Sache, und somit ist die Behauptung, daß die lusterzeugende Sach ansich eigentlich wertlos ist, weil der erstrebte Wert nur der hervorgebrachten Lust zukommt, falsch. Sie ergab sich als falsch schon aus dem Begriff des erstrebten Wertes. Die Lust hat keinen Wert, sondern sie ist der Wert, welchen die lusterzeugende Sache als den ihrigen hat.


Zusammenhang zwischen Gefühl
und seinem Objekt bzw. seiner
hervorbringenden Ursache.

12. Die Lust darf aber auch gar nicht in der Abtrennung von ihrer Quelle gedacht werden, wie es geschieht, wenn man im Gegensatz zu ihr als dem einzig Wertvollen die Wertlosigkeit der Sache ansich behauptet. Es ist die verbreitetste Unart des ungebildeten Denkens, bald über der Abstraktion den realen Zusammenhang, bald über diesem jene zu vergessen. Leicht ist es, das bloße Gefühl der Lust und Unlust als solches von den Dingen und Ereignissen, welche es hervorbringen, in Gedanken abzusondern, aber man darf dieses abgesonderte bloße Gefühl nicht für ein konkretes Ding halten. Wer dies tut, hat nicht etwa zu kräftig abstrahiert, sondern zu schwach. Denn das Abstrakte für Konkretes zu halten ist immer nur dadurch möglich, daß man es in der Erfahrung schon für sich allein wahrgenommen zu haben oder es doch als solches denken zu können glaubt, was wiederum nur dadurch möglich wird, daß man es nicht völlig losgelöst für sich allein, sondern, ohne es zu merken, mit den Bedingungen seiner konkreten Existenz denkt. Die Absonderung des Gefühls vom Denken und Wahrnehmen einerseits und vom Wollen andererseits ist zwar keine Abstraktion im engeren Sinn (siehe "Erk. Log". § 52") aber doch einer Zerlegen von solchem, was nur unzerlegt eine konkrete Existenz hat. Sie gleicht nicht der Aussonderung des Generischen aus der Spezies, sondern der Aussonderung der Erscheinungselemente, d. h. der Sinnesqualität, welche Zeit und Raum erfüllt und der zeitlichen und räumlichen Bestimmtheit, oder der Aussonderung des Wo, der Größe und der Gestalt in der letzteren. Wie es keine räumliche Ausdehnung gibt, die nicht nach allen Seiten begrenzt wäre, d. h. Gestalt hätte und die nicht irgendwo wäre, so gibt es auch kein absolut gefühl- und willenloses bloßes Wahrnehmen und Denken (siehe oben) und so auch kein bloßes Gefühl ohne Wollen und ohne Denken, bzw. Wahrnehmen. Ich meine nicht etwa nur, daß es unmöglich ist zu fühlen, ohne daß irgendein Wahrnehmen und Denken zugleich nebenher geht, sondern daß es dem Begriff des Gefühls widerstreitet, völlig selbständig aufzutreten, ohne sich auf irgendeine Wahrnehmung oder einen Gedanken als auf sein Objekt oder seine hervorbringende Ursache zu beziehen. Hier habe ich, ehe ich weiter gehe, naheliegende Einwände zu beseitigen.

Erscheint nicht häufig ein Gefühl der Frische und Fröhlichkeit oder der Schwermut und Schmerzlichkeit, ohne sich an ein Objekt zu knüpfen? Der Fühlende hat es oft schon selbst bekannt, daß er nicht weiß, woher seine gute oder seine üble Laune kommt, und daß sie in den realen Verhältnissen nicht begründet ist. Namentlich die trübe Stimmung wird oft als Wirkung von rein körperlichen Vorgängen erkannt, welche selbst nicht ins Bewußtsein treten. Aber in diesem Einwand liegt eigentlich wiederum nur eine Ungenauigkeit des Ausdrucks. Was objektlos die Wirkung körperlicher nicht ins Bewußtsein tretender Zustände ist, das sind direkt nicht die Regungen von Lust oder Unlust, sondern das ist Empfänglichkeit, und sowohl der Lustige wie auch der Traurige dieser Art hat seine Lust oder Unlust an allen Dingen seiner Umgebung, welche sonst nicht so auf ihn, nicht so auf andere wirken, und sollte er in seiner Umgebung nichts zum Objekt Geeignetes finden, so hilft die Phantasie und ergeht sich in freudigen oder traurigen Bildern, an welche sich seine Freude oder seine Unlust heftet. In demselben Ding erblick der eine diejenigen Seiten, welche zur Anknüpfung seiner Unlust, der andere die, welche zur Anknüpfung seiner Lust geeignet sind. Die scheinbar objektlose Stimmung der Frische und Fröhlichkeit gestattet aber noch eine andere Beurteilung. Es ist ein Irrtum, daß sie sich nur an einen Glücksfall besonderer Art knüpfen kann. Man bedenke doch die Konsequenz dieser Auffassung. Sie ist entweder die, daß die natürlich normale Gemütsstimmung die schlaffe, traurige ist, oder, da doch die Glücks- oder Unglücksfälle nicht kontinuierlich einander ablösen, daß die mit dem Gewöhnlichen erfüllten Zeiten von aller Gefühlsauffassung verlassen sind. Letzteres ist aber unmöglich. Folglich sehen wir uns zu der Ansicht gedrängt, welche auch aus anderen Gründen unabweisbar ist, daß nur eine besondere Ungunst der Umstände bzw. körperliche Leiden die trübe Stimmung hervorrufen, natürlich und normal aber die frische und heitere ist, in welcher sich die ursprünglich natürliche Lust an der bewußten Existenz, an allem Wahrnehmen und Denken und Handeln ausdrückt (siehe unten § 37 und 38). Oft ist sie durch ärgerliche Zufälle, durch krankhafte leibliche Vorgänge, welche als solche nicht ins Bewußtsein treten, beeinträchtigt; treten diese zurück, so tritt jene von selbst hervor und ist nichts weniger, als objektlos.

Bei den rein körperlichen Gefühlen ist die Sache anders. Manche lassen sich bekanntlich gar nicht anders kennzeichnen, als durch Bezeichnungen der Lust und Unlust, welche hier oder da im Körper gefühlt wird. Und wenn die Ursache angebbar ist, z. B. das Messer, welches in einen Körperteil eindringt, so ist diese Angabe wesentlich eine Gesichtswahrnehmung, und die Gesichtswahrnehmung für sich allein kann nicht die Ursache des Schmerzes sein. Und auch wenn der Tastsinn das eindringende Messer empfindet, so ist doch auch diese Wahrnehmjung noch nicht die nächste Ursache. Bekanntlich heben manche Zustände von Ätherisierung zwar das Schmerzgefühl auf, lassen aber die deutliche Tastempfindung bestehen. Es müssen also noch andere Vorgänge sein, an welche unmittelbar das Auftreten des Schmerzgefühls im Bewußtsein geknüpft ist. Die nächste hervorbringende Ursache des rein körperlichen Gefühls ist somit nicht unmittelbar Objekt des Bewußtseins, und somit scheint es sogar geradezu unmöglich, daß diese Gefühle eine Objektbeziehung haben. Aber es gibt auch andere Fälle. Wenn der bloße ganz reflexionslose Anblick einer grünen Fläche, wenn schon ein bloßer glänzender Gegenstand, wenn ein Klang gefällt, ist hier auch, wie in jenen Fällen, das Lustgefühl durch einen Nervenvorgang vermittelt, welcher neben den empfindungvermittelnden Vorgängen hergeht, oder in einer Modifikation dieser letzteren besteht? Diese Lust ist doch auch sinnlich und doch nicht ohne eine unverkennbare Objektbeziehung. Wenn ein bestimmter Temperaturgrad angenehm ist, aber eine erhebliche Erhöhung desselben einen Schmerz erzeugt, so muß entweder jene Lust, wie auch diese Unlust oder diese so wenig wie jene direkt auf einen vom empfindungvermittelnden verschiedenen Vorgang im Nerven zurückgeführt werden. Mögen auch, was gewiß sogleich eingewendet werden wird, durch den schmerzerzeugenden Hitzegrad noch andere Veränderungen in der getroffenen Körperstelle hervorgebracht werden, welchen man direkt die Leistung der Schmerzerzeugung zumuten könnte, auch in diesem Fall erhebt sich doch wieder die Frage, ob die Lust, welche sich direkt an eine bloße Sinnesempfindung knüpft, nicht auch der besonderen, nur sie selbst als solche erzeugenden Vermittlungsvorgänge bedarf. Da letzteres nicht der Fall zu sein scheint, so meine ich, daß auch jene in Folge heftiger Körperverletzung eintretenden Vorgänge in den Nerven, welche den Schmerz erzeugen sollen, diesesn nicht direkt erzeugen, sondern daß wir auch in den scheinbar ganz selbständig und beziehungslos auftretenden körperlichen Gefühlen ihren Charakter als Lust oder Unlust von dem als Schmerz oder Lust qualifizierten Gefühl selbst als ihrem Inhalt oder Material unterscheiden müsen. Ist es die Glut einer Entzündung, die uns quält, so ist die Unterscheidung leicht, aber es gibt auch Schmerzgefühle, welche - (das Gleiche gilt auch von der Wollust) - ganz und gar im Charakter des Schmerzes (bzw. der Lust) aufzugehen scheinen. Der spezifische Inhalt des Gefühlten oder Empfundenen ist so eng mit ihrem Charakter als Schmerz oder Lust verquick, daß es lächerlich erscheint, in der Unterscheidung dieses sozusagen formalen Charakters vom Gefühlsinhalt, diesen auch nur einen Augenblick als indifferent zu denken. Es gibt auch keine Begriffe von ihnen und natürlich auch keine Bezeichnungen, weil sie nur als konkrete Lust oder Unlust bekannt sind. Aber dies kann die Erwägungen, welche uns zur Unterscheidung nötigen, nicht ungültig machen. Ich finde auch nichts Anstößiges darin. Denn, wenn es Gefühlsreaktionen gibt, welche dem Gattungscharakter angehören, im Unterschied von solchen, welche den spezifischen und welche den individuellen Differenzen zuzurechnen sind, so ist nichts natürlicher, als daß jene mit dem Gefühlsinhalt oder der als Lust oder Unlust qualifizierten Empfindung so eng verschmolzen sind, daß diese letztere von einem Gefühlscharakter gar nicht unterschieden wird, sondern in ihm aufgeht, diese aber den Unterschied deutlicher erkennen lassen. Dabei soll gar nicht ausgeschlossen sein, daß zunächst wenigstens die rein sinnlichen Gefühle in ihrem Auftreten an physiologische Bedingungen geknüpft sind, nur, meine ich, nicht direkt, sondern indirekt. Was direkt aus ihnen folgt, ist auch ein Empfindungsinhalt, nur zumindest in den Fällen einer scheinbaren Beziehungslosigkeit des Gefühls, so innig und unabtrennbar mit dem Gefühlscharakter als Lust oder Unlust verschmolzen, daß sie nicht unterschieden werden. Was also in den Fällen scheinbar ganz selbständiger objektloser Gefühle selbst als die konkrete Lust oder Unlust angesehen wird, das will ich, wie untrennbar es auch von einem Lust- oder Unlustcharakter ist, als Material oder als Objekt des Gefühls von ihm unterschieden wissen, ganz so wie wir den gefallenen Klang und die gefallene Farbe als Objekt des Lustgefühls von diesem selbst unterscheiden. In einem lebhaften Schmerzgefühl, welches das ins Fleisch dringende Messer hervorbringt, ist weder das sichtbare Messer mit seiner sichtbaren Bewegung, noch die vom Schmerzgefühl abtrennbare Tastempfindung das Objekt des Unlust-Fühlens, sondern dieses ist das ganze Schmerzgefühl selbst mit seinem spezifischen Charakter, nur eben daß seine Qualität als Schmerz erst unserer gefühlsmäßigen Auffassung und unserer Aufnahme desselben angehört. Dabei wird natürlich, was ich als Objekt dieser Gefühle angesehen wissen will, im Unterschied vom Gefühl als solchem, d. h. von einem Lust- oder Unlustcharakter, in dieselbe Linie mit den Sinnesempfindungen gestellt. Es ist gerade dies der höchsten Beachtung wert, daß die natürliche Entgegnung sich darauf stützt, daß dieses Objekt des Fühlens doch seiner eigenen Natur nach unfehlbar gerade dieses Gefühl hervorbringen muß und daß es eben deshalb eine Lächerlichkeit wäre, es als subjektive Auffassung zu bezeichnen, als wenn es denkbar wäre, daß seine Auffassung je nach Stimmung und individuellen Beschaffenheit des Subjekts auch anders ausfallen könnte. Gerade dies betone ich ja. So gut wie es Sinnesempfindungen und Denkarten gibt, welche nicht zum Individuellen des Subjekts, sondern zu seinen generischen Merkmalen gehören und eben deshalb von allein in ganz gleicher Weise vollzogen werden, so auch Gefühlsreaktionen, welche zum Gattungscharakter gehören und deshalb den individuellen Differenzen entzogen sind. Sättigung und Hunger wird von allen tierischen Wesen als Lust und Unlust gefühlt, aber welche Nahrung Lust oder Unlust des Geschmacks erregt, ist zum Teil spezifisch, zum Teil individuell verschieden.


Die Gefühlswirkung gehört zum Wesen des sie
hervorbringenden Dings und dieses ohne jene ist eine
reine Abstraktion, ein Regen, der nicht nass macht
- die Unmöglichkeit, die hervorbringende Ursache
im Gegensatz zur hervorgebrachten Lust als
gleichgültig anzusehen.

13. Die oben schon als Einwand angeführte Redensart: "ich will nur glücklich sein, durch welche Mittel das bewerkstelligt werden kann, ist mir ganz gleichgültig", ist eine Abstraktion von allem realen Zusammenhang, welche zur vollendeten Gedankenlosigkeit wird. Ja, wenn der Redende meinen würde: "durch welche Arbeit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, in welchem Beruf ich der Welt nütze, ist mir gleichgültigt", dann ließe er die anderen Bedingungen außer Acht und verstünde zunächst unter "glücklich sein" nur seinen Lebensunterhalt haben und durch irgendeinen Beruf der Welt nützen. Aber hätte es auch noch Sinn zu sagen: wenn jede Abstinenz von aller Nahrung, wenn geschnitten und gebrannt und gekreuzigt werden Lust statt Unlust brächte, so würde ich das an mir tun lassen, und ich habe gar kein Interesse daran, daß die Lust durch Essen und Trinken statt durch eine Enthaltung von Speise - wenn letzteres eben möglich wäre - erreicht wird? Hier hat die Fiktioni noch eine Spur von Denkbarkeit, weil die Gesetze der äußeren Natur eben nur unter sich einen notwendigen Zusammenhang erkennen lassen, warum sie aber als Ganzes gerade so sein müssen und nicht anders sein können, aus dem Begriff des bewußten Wesens nicht deduziert werden kann. Ich betone das relative Recht der Fiktion und bitte zu beachten, worin es besteht, weil es zugleich positiv die Stellung der Lust aus diesen Quellen zu der aus anderen und ihren Wert andeutet. Wie nun aber, wenn jemand, von unbefriedigtem Ehrgeiz gequält, denjenigen, der im bloßen Essen und Faulenzen schon sein Glück findet, einen Augenblick beneidet, indem er sich gleichfalls zu der Erkenntnis versteht, daß es ja nur darauf ankommt, sich glücklich zu fühlen und jener sich in der Tat glücklich fühlt? Wenn jener faktisch sein Glück nur in Ehren findet, was soll es, was kann es noch heißen, daß sie "ansich" doch ein gleichgültiges Ding wären? Es ist logisch unmöglich, die Gleichgültigkeit einer ersehnten Sache zu behaupten. "Gleichgültig sein" heißt, keine Lust und keine Unlust gewähren. Sinn bekommt der Satz erst, wenn der Redende von seine Gefühlsweise absieht; aber welchen Maßstab legt er dann an? Ein "objektives" Wert haben, ein Wert, der, von keinem Individuum gefühlt, gewissermaßen frei in der Luft schwebt, ist bekanntlich ein inhaltslehres Wort; also könnte er nur meinen, seine Wertschätzung wäre nicht aus dem Wesen der Gattung notwendig, und dann steht er entweder schon mit sich selbst in Konflikt, einem Konflikt, den ich an dieser Stelle nicht weiter erörtern kann, und beginnt teilweise die wirkliche Wertlosigkeit der Sache einzusehen und sich von seiner Sehnsucht zu befreien, oder wenn dies noch nicht der Fall ist, so versetzt er sich im Geiste in die Gefühlsweise anderer, und läßt den Wunsch, ein anderer zu sein, als er ist, nur aufkommen als eine andere Form für den Wunsch, von seiner Unlust befreit zu sein. Das ist keine Anerkennung der Gleichgültigkeit der Sache ansich. Wie weit diese Fiktion, ein anderer zu sein, gehen kann, ist bekannt; sie geht so weit, daß der Begriff des Ich dabei nur noch scheinbar derselbe bleibt, in Wahrheit aufgehoben wird (siehe "Erk. Log. Seite 84, 85). Und was in unserem Fall die Identität des Ich bedeuten soll, wie sie unter der Fiktion festgehalten werden kann, daß eine wichtige Gefühlsweise, deren Konsequenzen das ganze Leben durchdringen und welche im innersten Herzen unaustilgbar festsitzt, in ihr Gegenteil verwandelt würde, ist doch sehr die Frage.

Und wenn es nun eine Wertschätzung geben sollte, welche im Wesen des Bewußtseins selbst begründet ist, so ist sie eben deshalb jedem bewußten Wesen so notwendig, wie daß es denkt und spezieller nach dem Identitätsprinzip denkt und so ist der Gedanke, daß das, was Lust gewährt ansich gleichgültig ist, ausgeschlossen, weil zu diesem Gedanken die Anerkennung der Möglichkeit gehört, daß eben dieses auch Unlust bereiten könnte, daß es also nur wie ein unbegriffener Zufall gelten müßte, daß gerade dieses Lust und nicht Unlust gewährt. Ist der Gedanke, daß es eben so gut auch anders sein könnte, ein Ungedanke, so gehört es zum Wesen dieses Dings, Lust und nicht Unlust zu schaffen. In diesem Fall ist die Redensart, "ich will nur glücklich sein; wodurch das hervorgebracht wird, ist mir ganz gleichgültig", offenbar sinnlos. Man denkt sich die Konsequenzen aus dem eudämonistischen Ausgangspunkt beispielsweise so: jemand pflegt seine alte Mutter, weil es ihm innige Lust gewährt; aber wenn sie täglich ein Stündchen zu foltern ihm ebensolche oder gar größere Lust gewährte, so würde und müßte er es unbedenklich und mit bestem Gewissen tun. Aber das ist ebenso als wenn jemand sagen würde: "ich will nur die Wahrheit erkennen, aber ob dies durch Denken geschieht oder durch irgendein anderes Mittel, ist mir ganz gleichgültig, und wenn ich die Wahrheit durch ein unaufhörliches Stampfen mit dem Fuß oder in die Hände Klatschen erreichen könnte, so würde ich unbedenklich letzteres tun." Jenes "wenn", also, wodurch die Gleichgültigkeit des sittlichen Verhaltens als eines bloßen Mittels dargelegt werden soll, ist allerdings geeignet, den gemeinen Eudämonismus zu widerlegen, welcher sich auf keine weiteren Unterscheidungen in der Gefühlsreaktion einläßt, aber durch meine Voraussetzung ist es ausgeschlossen. Wer es dennoch anwendet, hat jene nicht verstanden und verwechselt gedankenlos das Gebiet der Raumerfüllung, wo das Wort Zufall noch einen Sinn hat und, zur Zeit jedenfalls, noch mit Recht von einer letzten unbegreiflichen Faktizität gesprochen werden kann, mit dem Gebiet desjenigen, was aus der innersten Tiefe des Bewußtseins sich als absolut nicht anders sein könnendes ankündigt. Hier ist jenes "wenn" völlig gleich einem "wenn es ein unbewußtes Bewußtsein gäbe" oder "wenn ich seiend nicht sein könnte".


Zusammenfassung

14. Also: was die Leute "die Sache ansich" nennen, welche in der Unterscheidung von der Lust oder Unlust, die sie hervorbringt, gleichgültig sein soll, ist ein höchst unklarer Begriff, welcher von der oberflächlichen Bemerkung abhängt, daß doch das Gefühl in uns, die Sache aber außerhalb von uns ist. Ich protestiere gegen die Zerreißung; mag die Ortsbestimmung auch richtig sein, man braucht deshalb nicht zu vergessen, wie eng Subjekt und Objekt, das Innen und Außen innerlich zusammenhängt und ein Ganzes bildet. Die Entgegensetzung ist also deshalb falsch, weil die Sache, ohne die naturnotwendig Wirkung des wertschätzenden Gefühls im Subjekt hervorzubringen, gar nicht existiert. Leider muß ich mich schon wieder auf die Beseitigung eines Mißverständnisses einlassen. Sie existiert ohne diese Wirkung freilich, wenn kein fühlendes Wesen in ihrer Nähe ist, oder wenn die Eigenart, vielleicht die ganz individuelle Eigentümlichkeit des in der Nähe Befindlichen daran Schuld ist, daß sie keine Wirkung in ihm hervorbringt. Aber sie existiert nicht ohne das Gesetz unter den und den Umständen die und die Wirkung hervorzubringen. Dieses Gesetz gehört zur Sache und bildet ihren Begriff. Wir wüßten wahrlich von den Sachen nicht viel, wenn sie bloß durch Farbe und Tastbarkeit gekennzeichnet wären. Und genauer besehen, sind ja auch die nächsten sinnlichen Wahrnehmungen von ihr nur zeitweise unter Bedingungen erfolgende. Ihr Klang, ihre Löslichkeit, Spaltbarkeit, Verbrennbarkeit sind nur unter Umständen sich zeigende Wirkungen. Und wenn ihre chemische Verwandtschaft zu ihren eigenen Eigenschaften gerechnet wird, ist es ihre Einwirkung auf unser Gefühl nicht mit dem gleichen Recht? Und all das ist ja in einem bestimmten Sinn auch nur subjektiv. Wird nicht ihre Farbe nach einer in weiten Kreisen akzeptierten Theorie nur von uns dorthin in den Raum projiziert? sie selbst soll ja nur unsere Sinnesempfindung und als solche in uns sein. Und wenn unsere Gefühlsreaktion, auf welcher das gut und schlecht beruth, auch handgreiflich ganz anderer Art ist, als grün und rot, hart und weich, warm und kalt, so ist es doch voreilig und gedankenlos bloß wegen dieses Unterschieds die "Sache" nur aus jenen Wahrnehmungen bestehen zu lassen und ihre Wirkungen auf unser Gefühl nicht zu ihr zu rechnen. Das Ding, bzw. die bestimmte Empfindung, welche direkt aus sich Lust gewährt, steht gewissermaßen im Licht dieses Lustgefühls, ganz und gar von ihm be- und durchstrahlt, und so werden die Wertbestimmungen, gut, angenehm, lieblich und dgl., ebenso projiziert, und gehören, unabtrennbar von ihrer unmittelbaren Quelle, zum objektiven Ding, so gut wie jede andere seiner wesentlichen Eigenschaften. Nur freilich, wenn unser Wohlgefallen sich nur auf eine Sinnesempfindung bezieht, so sind die anderen, welche noch zu diesem Ding gehören, gleichgültig, z. B. nur auf den bestimmten Geschmack einer Weinsorte, und dann kann man wohl sagen, die anderen Eigenschaften dieses Dings, Farbe z. B., sind gleichgültig; wenn ein anderes Getränk ganz ebenso schmeckte, würde ich es ebenso gern trinken. Aber davon ist gar nicht die Rede. Ich spreche nur von demjenigen, was direkt aus sich heraus die Wirkung eines Lustgefühls hervorbringt, und diesem gehört die Güte so objektiv wie seine eigenste Eigenschaft an, wie es nur überhaupt etwas kann. Identisch und nicht identisch sind Begriffe, welche ganz und gar aus unserem Denken stammen, und doch ist das ja eben die oben schon anderwärts mehrfach auseinandergesetzte Natur und das Wesen unseres Denkens, daß wir diese Prädikate den Dingen als die ihrigen beilegen und daß wir alle die vom Denken gestifteten Beziehungen gar nicht anders auffassen und aussprechen können, als als den Dingen selbst angehörige und ihren Begriff konstituierende. Die Wertprädikate ebenso aufzufassen, ist völlig natürlich, übrigens vom unbefangenen Denken auch immer so geübt worden; erst die eben geschilderte mißverständliche Konsequenzenmacherei hat dazu geführt, sie loszulösen und der Sache als nicht zu ihr gehörig gegenüberzustellen. Die angebliche "Sache selbst", losgelöst von ihrer ihr so wie uns absolut wesentlichen Beziehung zu unserem Gefühl, wird somit konsequentermaßen vollständig zum eigentlichen "Ding-ansich". Dieses ist ja bekanntlich auch nicht rot und grün und nicht hier und dort. Wenn aber jeder Vertreter dieser Lehre doch wieder nicht umhin kann, es auf uns (auf unsere Psyche) einwirken zu lassen und ihm eine wenn auch für unsere Gedanken ganz unerreichbare Natur zuzuschreiben, kraft welcher es so und so auf uns einwirken muß, so ist in diesem Objektiven auch wieder Platz für seinen Wert, von welchem der Lusteffekt Zeugnis ablegt, so wie unsere Empfindungen des Roten, Warmen, Glatten von anderen Eigenschaften oder Seiten desselben zeugen. - Wenn also die angebliche "Sache selbst" auch ohne den ihr eigentümlichen Gefühlseffekt, durch welchen sie ihren inneren Wert ausspricht und uns vernehmbar macht, existiert, so hat das denselben Sinn, in welchem sie auch ohne von jemandem wahrgenommen und gedacht zu werden, existiert. Wenn man also die Dinge ohne den ihnen eigentümlichen Gefühlseffekt denkt, so denkt man sie nicht in ihrem wirklichen Ansich, sondern man denkt eine Abstraktion. Denn wie es zum Begriff des Gefühls gehört, ein Objekt zu haben, so gehört es zu allem objektiven Bewußtseinsinhalt, d. h. allem Wahrgenommenen und Gedachten, in der Aufnahme nach Innen oder bei seinem Eindringen nach Innen in diesem Inneren seine Stelle zu erhalten und, da es dort nur Gefühl, nur Lust und Unlust freilich mit unendlich vielen und großen Unterschieden gibt, diesen Charakter anzunehmen und ganz von ihm durchdrungen zu werden. Es ohne ihn zu denken, heißt also es denken, wie es nicht nach Innen aufgenommen ist, d. h. wider den Begriff des Seins, oder, es ohne seinen Platz im Innern d. h. ohne seinen Lust- oder Unlustcharakter denken, heißt gerade soviel wie im Äußeren ein Wahrnehmbares ohne einen Platz im Raum, den es erfüllt, zu denken. Wie dieses nicht ohne einen solchen existiert, so existiert auch es nicht, ohne im Innern seinen Platz als willkommenes oder unwillkommenes, sein sollendes oder nicht sein sollendes zu erhalten. Und daß es überhaupt so in Innere dringt, gehört zu seinem Begriff als Inhalt eines Bewußtseins (siehe oben).

Der einzige Sinn der Unterscheidung der ansich gleichgültigen Sache vom subjektiven Gefühlseffekt ist der, daß letzterer von individuellen Eigentümlichkeiten abhängt, d. h. solchen, welche wir auch auf dem Gebiet des sinnlichen Wahrnehmens nur subjektiv nennen, während die Gefühlsreaktion, welche zum Wesen der Gattung gehört, oder welche im Wesen des Bewußtseins so liegt, wie das Denken selbst, auch von derselben objektiven Gültigkeit, wie das Denken, ist. Wer begriffen hat, daß und wie das denkende und fühlende Subjekt mit allem Bewußtseinsinhalt zusammen ein Ganzes ist und was die Dinge sind, der weiß auch, daß ein absolutes so und so denken Müssen und nicht anders denken Können identisch ist mit dem objektiven so und so Sein der Dinge, und ganz ebenso, daß das so und so fühlen Müssen, dessen Notwendigkeit aus dem Gattungscharakter des Menschenleibes fließt oder aus dem Wesen des Bewußtseins als solchem, nicht etwa bloß eine undurchbrechbare subjektive Anlage bedeutet, welcher immer noch der Gedanke eines ansich bestehenden Dinges gegenübersteht, sondern ein objektives so oder so, gut- oder schlecht-sein der Dinge, das innerste Wesen der Dinge, aus welchem mit objektiver Notwendigkeit die Wirkung auf unser Gefühl fließt. Wenn schon die objektive Notwendigkeit, welche den Gattungscharakter des Menschenleibes ausmacht, den Gefühlscharakter so innig mit der Sache verknüpft, daß z. B. die Empfindung der Wollust von der Lust, die des Hungers oder des Gebranntwerdens von der Unlust in Gedanken abzutrennen kaum möglich ist, so muß die Gefühlsreaktion aus dem Wesen des Bewußtseins in der Tat das Wesen der Sache selbst bedeuten. Bei dieser Gefühlsreaktion also ist die Trennung der im Subjekt hervorgebrachten Lust und der ansich gleichgültigen Sache so unmöglich, wie beim Satz des Widerspruchs die Trennung der subjektiven Auffassung von der ansich vielleicht nicht in diesem Satz gehorchenden oder entsprechenden Sache, welcher diese Auffassung fremd und äußerlich, vielleicht gar mit Ignoration oder Überwindung ihres Widerstandes nur aufgenötigt und übergezogen würde. Wie das letztere, so ist das erstere einfach Unsinn. Wenn also eine solche Gefühlsreaktion entdeckt werden kann und wenn sie als Quelle und Inbegriff aller moralischen Gefühle erkannt werden sollte, so wäre die Hochschätzung des moralischen Verhaltens und dieses selbst um jener Lust willen völlig gleichbedeutend mit der Hochschätzung und dem Vollbringen der moralisch guten Handlung um ihrer selbst willen und der Anerkennung ihres eigensten objektiven Wertes. Der Eudämonismus hat also in der ersten Begriffsbestimmung Recht; sie ist die einzig mögliche, wenn man nicht versuchen will, aus nichts einen Begriff zu machen, aber konsequentes Denken ist hier, so wie auf dem Gebiet des Theoretischen, sehr wohl imstande aus dem Bann des bloß Subjektiven heraus zur objektiven Geltung und dem Wert ansich zu gelangen und denjenigen Konsequenzen des Eudämonismus, um derenwillen seine erste Begriffsbestimmung perhorresziert [abgelehnt - wp] wird, zu entgehen. Wer diese Begriffsbestimmung ablehnt, muß dazu kommen, schließlich auch von der ewigen Seligkeit in der Vereinigung mit Gott höchst geringschätzig zu denken. Ob sich nun eine solche Gefühlsreaktion finden wird, muß ich noch dahingestellt sein lassen und vorläufig noch ebenso hypothetisch den Begriff des Sollens und der Pflicht untersuchen. Also: etwas um der Lust willen schätzen, welche es mit absoluter objektiver Notwendigkeit in jedem Menschenbewußtsein direkt aus sich selbst hervorbringt, heißt es um seiner selbst willen schätzen.
LITERATUR: Wilhelm Schuppe, Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie, Breslau 1881