p-4ra-3LangeF. BurckhardtSzczuratKodisMesserLipps    
 
HUGO GROSSE
Sitzungsbericht "Apperzeption"

"Aus den Wollungen, die auf Einzelnes gerichtet sind, entstehen Gesamt- oder allgemeine Wollungen, die namentlich durch hinzukommende Urteile eine nähere Bestimmung empfangen. Werden solche allgemeine Wollungen von der Vorstellungsgruppe des eigenen Ich apperzipiert, so entstehen Vorsätze, Maximen, praktische Grundsätze, die nun ihrerseits auf die nachfolgenden einzelnen Wollungen apperzipierend wirken, auf analoge Weise, wie die allgemeinen Begriffe das ihnen untergeordnete apperzipieren. Insgesamt geht der Bildung dieser Maximen ein Besinnen, Erwägen, Wählen und Beschließen voraus, d. h. ein psychischer Prozeß, der in der Wechselwirkung zwischen den Vorstellungsreihen der Förderungen und Hinderungen des Begehrens oder Wollens unter dem Einfluß der apperzipierenden Vorstellungsgruppe besteht. Hat sich der Wille auf die bezeichnete Weise aus dem Begehren erzeugt, so wird er auch bald ein integrierender Bestandteil des Ich und dieses dadurch zu einer positiven, aktiven  Macht.  Der Wille wird dann zum eigentlichen Mittel- oder  Kernpunkt der Persönlichkeit,  der somit auch eine bestimmte Spontaneität eignet, freilich nicht als ein ursprüngliches Besitztum der Seele, sondern als Resultat einer psychischen Entwicklung."

Nach einer kurzen Begrüßung der Versammlung durch den Vorsitzenden, Herrn Direktor Dr. JUST, Altenburg, hielt, wie bereits bemerkt, Herr Universitätsprofessor Dr. CORNELIUS, Halle, einen knappen und klaren Vortrag über  "Apperzeption"  unter Bezugnahme auf eine von WUNDT aufgestellte Ansicht, wie sie von OTTO STAUDE in den von WUNDT herausgegebenen "Philosophischen Studien", Bd. 1, etwas näher dargelegt ist. Die Hauptpunkte des Vortrags bestehen in Folgendem. Die eben erwähnte Ansicht von WUNDT weist auf eine spontane Tätigkeit hin, welche die Apperzeption besorgen soll. Diese Tätigkeit wird mit dem menschlichen Willen identifiziert, so daß die Apperzeption die Grundform einer jeden Äußerung des Willens ist, und zwar ist es im wesentlichen immer  ein  Wille, der sich in allen Formen der Apperzeption betätigt. Dieser Wille bietet jedoch, als ursprüngliche Eigenheit des Geistes gedacht, die nämlichen Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten dar, wie irgendeins der im Sinne der alten Vermögenstheorie angenommenen Seelenvermögen. Hier wie dort bleibt das Kausalverhältnis zwischen dem Willen und den übrigen Seelenvermögen insbesondere zwischen dem Willen und den übrigen Seelenvermögen. Hier wie dort bleibt das Kausalverhältnis zwischen dem Willen und den übrigen Seelenvermögen das Kausalverhältnis zwischen dem Willen und den übrigen Seelenvermögen insbesondere zwischen dem Willen und den Vorstellungen völlig im Dunkeln. Der Wille erscheint nach dieser Ansicht als eine besondere, gewissermaßen über den Vorstellungen schwebende Kraft, die in das Getriebe der Vorstellungen eingreift, die eine oder andere erfaßt, um sie in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben. Andererseits erscheint derselbe Wille ungeachtet der ihm zugeschriebenen Spontaneität als durchaus träge. Derselbe ist an und für sich genommen ein Wille, der nichts bestimmtes, also eigentlich nichts will. Er bedarf der Erregung von Seiten der Vorstellungen. Die Apperzeption soll nämlich als eine Willenshandlung durch Motive bestimmt werden, welche in den Vorstellungen der Seele begründet sind. Nachdem eine Vorstellung, mag sie ein Anschauungs- oder Erinnerungsbild sein, perzipiert ist, gewinnt sie die Bedeutung eines Motivs, d. h. sie vermag durch die mit ihr verknüpften Gefühle einen Reiz auf den Willen auszuüben. Der Erfolg dieser Reizung des Willens durch die perzipierte Vorstellung ist die Apperzeption der Vorstellung, so daß die Apperzeption ihrem Wesen nach in einer Einwirkung des Willens auf die Vorstellung besteht. Durch den Einfluß des Wilens wird die Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins erhoben, während umgekehrt, wie es heißt, jeder elementare Einfluß des Willens auf die Vorstellungen als eine Kraft erscheint, welche die Vorstellungen in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben strebt.

Nach der eben charakterisierten Ansicht erfordert also die Reizung des Willens durch eine Vorstellung, daß diese sich bereits im Bewußtsein befindet, d. h., daß derselben bereits ein gewisser Klarheitsgrad und dem ihr etwa anhaftenden Gefühl eine bestimmte Intensität eignet. In diesem Fall ist aber zum Zweck der Apperzeption ein besonderer Willensakt nicht mehr erforderlich. Erheben sich mehrere Vorstellungen gleichzeitig über die Schwelle des Bewußtseins, so wird unter ihnen diejenige eine dominierende Stellung gewinnen, welcher die relativ höchste Klarheit zukommt oder welche mit dem relativ stärksten Gefühl verknüpft ist. Dieselbe erhebt sich dann ganz von selbst, d. h. vermöge ihrer eigenen Energie in den Blickpunkt des Bewußtseins, gar häufig auch gegen den Willen. Die betreffende Ansicht vermengt, wie der Vortragende bereits anderswo hervorgehoben hat, in einer völlig unzureichenden Weise die Phänomene der unwillkürlichen, erzwungenen Aufmerksamkeit mit denen des willkürlichen Aufmerkens. Es gibt eine primäre, nicht selten mit Reflexbewegungen verknüpfte Aufmerksamkeit, die namentlich bei Kindern auffällig hervortritt, aber auch bei Erwachsenen noch gar oft wahrzunehmen ist. Diese Aufmerksamkeit ist völlig unabhängig von dem, was der Erwachsene aufgrund seiner inneren Wahrnehmung als Wille bezeichnet.

Unwillkürlich ereignet sich auch meist die apperzipierende oder aneignende Aufmerksamkeit. In allen Fällen, wo eben ins Bewußtsein tretenden Eindrücken ältere gleichartige Vorstellungen entgegen kommen, findet eine apperzipierende Aufmerksamkeit statt, die ebenso wie sich die zuvor erwähnte primäre Aufmerksamkeit nicht allein unabhängig vom Willen, sondern auch gar oft gegen denselben geltend macht. In ihren niedrigsten Formen ist diese Aufmerksamkeit schon wahrnehmbar bei Kindern im ersten Lebensjahr, auch bei Tieren, so im Gebaren eines Jagdhundes, wenn er seinen Herrn Handlungen vornehmen sieht, welche auf die Jagd bezügliche Vorstellungen erwecken.

Die Apperzeption und die damit zusammenhängende Aufmerksamkeit geschieht nicht allein gar häufig unabhängig vom Willen, sondern nicht selten auch ohne Bewußtsein der Wechselwirkung zwischen den apperzipierenden und apperzipierten Vorstellungen. Das Bewußtwerden dieser Wechselwirkung erfordert eine innere Wahrnehmung, d. h. eine Apperzeption durch die Vorstellungsgruppe, in welcher das eigene Ich seinen Sitz hat. Wir haben es hier mit einer höheren Apperzeptionsstufe zu tun. Eine Vorstellung kann sich im Bewußtsein befinden, d. h. einen gewissen Klarheitsgrad besitzen, ohne daß man sich derselben als der unsrigen bewußt ist. Um sich ihrer bewußt zu werden, muß sie selbst Objekt eines neuen Vorstellens werden, was niemals durch sie selbst, sondern allemal nur durch eine andere Vorstellung oder Vorstellungsgruppe geschehen kann. Das Bewußtwerden einer Vorstellung in einem hervorgehobenen Sinn beruth also auf einer Apperzeption der Vorstellung von Seiten der Vorstellungsgruppe des Ich und spricht sich in einem Urteil aus: Ich habe die Vorstellung.

Nimmt man den Begriff der Apperzeption nach Art der älteren Psychologie in einem engeren Sinn, indem man die Apperzeption mit der inneren Wahrnehmung identifiziert und dem gemäß die erstere im Bewußtwerden irgendeiner Vorstellung als der unsrigen bestehen läßt, so hat man zu beachten, daß dieses Bewußtswerden mit dem Willen als solcem keineswegs unmittelbar zusammenhängt. Wie einer Vorstellung, so wird man sich auch irgendeines Willensaktes bewußt. Diese Apperzeption des Willens von seiten des Ich läßt sich nicht ohne weiteres als ein Werk des Willens selbst ansehen.

Was nun ferner das willkürliche, also vom Willen abhängige Aufmerken anlangt, so tritt uns dasselbe bei Kindern keineswegs als eine Fertigkeit entgegen. Das willkürliche Aufmerken hängt innig mit der Selbstbeherrschung zusammen, welche bekanntlich der Übung bedarf. Dieselbe muß gelernt werden, ebenso auch das willkürliche Aufmerken. Der dem Aufmerken zugrunde liegende Wille bedarf mancherlei Stützen, wenn er nicht alsbald dem weichen soll, was unsere Aufmerksamkeit unwillkürlich fesselt. So ist es ja auch ein bekanntes Faktum, daß selbst der Erwachsene das willkürliche Aufmerken nicht mit gleicher Stärke auf jeden beliebigen Gegenstand konzentrieren kann, sei derselben nun eine von außen her ausgelöste Sinnesempfindung oder eine reproduzierte Vorstellung, bzw. Vorstellungsgruppe. Man hat hier zu bedenken, daß mit der stärkeren Spannung des Aufmerkens nicht selten auch die ihm entgegenstehenden Kräfte zu einem stärkeren Widerstand gespannt werden, so daß das hochgespannte Aufmerken häufig genug zum vollen Rückzug genötigt wird, falls ihm nicht ein starkes interesse, das seinen Sitz in einer Verbindung bestimmter apperzipierender Vorstellungen hat, zu Hilfe kommt. Dies gilt allgemein für alle Arten des willkürlichen Aufmerkens.

Der Wille nun, der sich im willkürlichen Aufmerken als tätig erweist, ist keineswegs eine ursprüngliche Spontaneität, sondern vielmehr das Resultat eines apperzeptiven Vorgangs. Die Apperzeption ist anfänglich nicht ein Werk des Willens, sondern  umgekehrt:  der Wille ist die Folge der Apperzeption, oder genauer gesprochen, die Entwicklung des Willens ist teilweise bedingt durch einen apperzeptiven Vorgang. Ohne Zweifel gehören die Wollungen, deren wir uns in innerer Erfahrung bewußt sein, in den weiten Bereich der Begehrungen, die mit den Vorstellungen und Gefühlen in einer engen Verbindung stehen, da das Begehrte zugleich auch mehr oder weniger deutlich vorgestellt und gefühlt wird. Das Begehren besteht, wie man im allgemeinen sagen kann, in einem bestimmten Emporstreben irgendwelcher Vorstellungen und damit verknüpfter Gefühle zu einem gewissen Maximum der Klarheit und Lebhaftigkeit.

Das Wollen nun ist ein Begehren, das von einem Wissen des Könnens oder von einem Wissen der Erreichbarkeit des Begehrten begleitet ist. Das Wollen ist tatsächlich ein dauerndes, von mehreren anderen Vorstellungen unterstütztes Begehren, dessen Befriedigung der Begehrende ungeachtet der Hindernisse als erreichbar annimmt. Wird nämlich ein und derselbe Gegenstand öfter begehrt, und findet diese Begehrung immer Befriedigung, so assoziiert sich mit dem Anfang einer solcher Begehrung die Vorstellung eines zeitlichen Verlaufs von Ereignissen, durch welche die Befriedigung hervorgebracht wird. Es ist dann mit der Erneuerung desselben oder eines ähnlichen Begehrens die Erwartung des nämlichen Erfolges verknüpft. Indem die zwischen dem Anfang der Begehrung und ihrer Befriedigung liegenden vermittelnden Vorstellungen durchlaufen werden, finden sich einerseits Vorstellungen, die der Begehrung widerstreiten, also Hindernisse ihrer Befriedigung sind, anderer seits hingegen Vorstellungen, die als Begünstigungen, Hilfen oder Mittel zur Erreichung des Begehrten dienen. Ist nun die begünstigende Vorstellungsreihe mächtiger als die widerstreitend, so gewinnt dadurch die Begehrung einen solchen Zuwachse an Energie und Dauer, daß sie eine Wollung oder ein Wille wird. Unter solchen Bedingungen kann jedes Begehren zu einem mehr oder weniger entschiedenen Wollen werden. Dabei ist wohl zu beachten, daß die Begehrung, die zu einer Wollung wird, innerhalb des Bewußtseins anfänglich als ein Objektives, einer apperzipierenden Vorstellungsgruppe, als dem Subjektiven, gegenüber steht. Diese apperzipierende Vorstellungsgruppe ist es, welche die Fördernisse und Hindernisse der Begehrung gewissermaßen betrachtet. Indem die Begehrung zur Wollung wird, findet also eine Apperzeption statt, eine Aneignng des Begehrten und seiner Mittel von Seiten des bezeichneten Subjekts.

Es wird nun ferner darauf hingewiesen, wie aus den Wollungen, die auf Einzelnes gerichtet sind, Gesamt- oder allgemeine Wollungen entstehen, die namentlich durch hinzukommende Urteile eine nähere Bestimmung empfangen. Werden solche allgemeine Wollungen, die zuvörderst im objektiven Teil des Bewußtseins auftauchen, von der Vorstellungsgruppe des eigenen Ich apperzipiert, so entstehen Vorsätze, Maximen, praktische Grundsätze, die nun ihrerseits auf die nachfolgenden einzelnen Wollungen apperzipierend wirken, auf analoge Weise, wie die allgemeinen Begriffe das ihnen untergeordnete apperzipieren. - Insgesamt geht der Bildung dieser Maximen ein Besinnen, Erwägen, Wählen und Beschließen voraus, d. h. ein psychischer Prozeß, der in der Wechselwirkung zwischen den Vorstellungsreihen der Förderungen und Hinderungen des Begehrens oder Wollens unter dem Einfluß der apperzipierenden Vorstellungsgruppe besteht. Hat sich der Wille auf die bezeichnete Weise aus dem Begehren erzeugt, so wird er auch bald ein integrierender Bestandteil des Ich und dieses dadurch zu einer positiven, aktiven Macht. Der Wille wird dann zum eigentlichen Mittel- oder Kernpunkt der Persönlichkeit, der somit auch eine bestimmte Spontaneität eignet, freilich nicht als ein ursprüngliches Besitztum der Seele, sondern als Resultat einer psychischen Entwicklung. Das Ich als psychisches Phänomen durchläuft verschiedene Entwicklungsstufen, bezüglich deren der Vortragende auf die betreffenden Paragraphen der VOLKMANN'schen "Psychologie", 3. Auflage, verweist. Da nun das Ich seine Entwicklungsgeschichte nicht ohne weiteres dem Wahrnehmenden darbietet, so kann dasselbe leicht als ursprüngliche Spontaneität erscheinen. Es liegt dann auch nahe, eine rein psychologische Frage in eine metaphysische umzusetzen, indem man als metaphysisches Prinzip nimmt, was eigentlich als Problem zu lösen ist. Indessen ergibt sich schon aus rein empirischen Erwägungen, namentlich auch aus den Erfahrungen, welche die ersten Lebensjahre des Kindes betreffen, daß aus keinem, ein für allemal fertigen Ich das Wollen fertig hervorspringt, sondern, daß sich beide nebeneinander her entwickeln, und zwar infolge verschiedener Apperzeptionen, die anfänglich vom Willen unabhängig sind. Weiterhin, nachdem das Wollen sich aus dem Begehren erzeugt hat, vollziehen sich dann freilich gar mannigfache Apperzeptionen unter dem Einfluß des Willens, so namentlich bei der absichtlichen Lenkung des Denkens, Phantasierens und Handelns.

Betrachtet man dagegen den Willen als eine ursprünglich spontane Tätigkeit, die sich als ein und derselbe Wille in allen Formen der Apperzeption ausspricht, so kann es nicht ausbleiben, daß ein solches Vermögen häufig mit sich selbst in Widerstreit gerät, indem es Vieles und Verschiedenes, ja in manchen Fällen sogar dasselbe will und zugleich nicht will. Der Begriff einer solchen Tätigkeit ist widersinnig. Anders gestaltet sich die Sache, wenn man das Begehren und Wollen im Sinne der HERBART'schen Psychologie als einen Zustand der Vorstellungen selbst betrachtet, in welchen dieselben unter bestimmten Umständen geraten. Es kann dann im Hinblick auf die Vielheit und Verschiedenheit der Vorstellungenn bzw. Vorstellungsgruppen nicht befremden, daß ein und derselbe Mensch ein mehrfaches und verschiedenes, beharrliches und vorübergehendes, besseres und schlechteres Wollen in sich trägt, daß der Mensch oftmal ungern will und oft in seinem Wollen mit sich selbst zerfallen ist.

Herr Professor Dr. VAIHINGER, Halle, bemerkte hierzu folgendes: Der Streit zwischen den Herbartianern und WUNDT sei zunächst nur auf eine verschiedene Verwendung des Terminus "Apperzeption" zurückzuführen und sei somit zunächst bloß ein terminologischer und formeller. Der Terminus "Apperzeption", der von LEIBNIZ in die Philosophie eingeführt worden ist, sei wegen der ihm im Laufe der Zeit gegebenen verschiedenen Bedeutungen einer der mißverständlichsten Termini geworden. LEIBNIZ bezeichne, im Unterschied von der bloßen Empfindung als "Perzeption", mit "Apperzeption" die  Aufnahme  dieser Empfindung  ins  Selbstbewußtsein durch die spontane Tätigkeit des Ich. KANT setze "Apperzeption" einfach identisch mit Selbstbewußtsein, Ich; dieses einheitliche spontane Ich (= "transzendentale Einheit der Apperzeption") sei nach ihm mit ursprünglichen Funktionen (Raum, Zeit, Kategorien) ausgestattet, durch welche das empirische Material  bearbeitet  und  umgeformt  wird. Diese beiden Gebrauchsweisen des Ausdrucks vereinigt insich die Verwendung des Terminus bei HERBART insofern, als Apperzeption bei ihm eine  Doppelfunktion  bezeichnet:
    a) die Verknüpfung einer Vorstellung mit Selbstbewußtsein (=formelle Aneignung);

    b) den damit verbundenen Umformungsprozeß der neuen Vorstellung durch die älteren Vorstellungsgruppen (= materielle Aneignung).
Die Herbartianer, besonders STEINTHAL und LAZARUS, schieden erst diese beiden bei HERBART selbst noch nicht genügend getrennten Funktionen. Für die erstere wurde der Ausdruck "innere Wahrnehmung" geläufig. "Apperzeption"dagegen bedeutet ihnen nur jene zweite Funktion: d. h. die Aufnahme einer neuen Vorstellung in den schon vorhandenen Vorstellungskreis und die damit verbundene Reaktion dieses älteren Seeleninhalts auf die neue Anregung. Diese Reaktion besteht zumeist in einer assimilierenden Umformung, in einer chemischen Veränderung des Neuen durch das Alte, kann aber auch gelegentlich in einer Umgestaltung des Alten selbst durch das Neue bestehen. Bei diesen Prozessen kommt das  Bewußtsein  zunächst gar nicht in Frage, da dieselben sich  vielfach auch unbewußt abspielen.  Die ausschließliche Verwendung des Terminus Apperzeption für diese Prozesse hatte schon beinahe allgemeine Verwendung gefunden, als WUNDT dem Terminus wiederum seine alte LEIBNIZ'sche Bedeutung wiedergab und zugleich den Ausdruck erweiterte, teilweise im Anschluß an die HERBART'sche Verwendung desselben:
    1. während im Perzeption Eintritt einer Vorstellung in das Blick feld  des Bewußtsein ist, ist ihm dagegen Apperzeption Erhebung einer Vorstellung in den Blick punkt  des Bewußtseins, und diese beruhe auf einer Tätigkeit des Willens; und damit seien nun

    2. verschiedene Prozesse der Verbindung jener in den Blickpunkt eingetretenen Vorstellung mit den übrigen Vorstellungen verknüpft;
WUNDT bezeichnet diese Prozesse im Unterschied von den bloß "assoziativen" als "apperzeptive", und bei letzteren sei wiederum der Einfluß des Willens ausschlaggebend. Diese WUNDT'schen "apperzeptiven" Prozesse decken sich nun sachlich teilweise mit jenen "Apperzeptionsprozessen" der Herbartianer: nämlich eben mit den  bewußten;  die unbewußten "Apperzeptionsprozesse" der Herbartianer dagegen behandelt WUNDT teils unter dem Namen der "assoziativen" Verbindungen, teil läßt er sie beiseite. - Bis hierher sei somit der Unterschied zwischen WUNDT und den Herbartianern ein bloß terminologischer; es sei jedoch nicht zu verkennen, daß die Terminologie der Herbartianer in diesem Fall den Vorzug verdient; es sei zweckmäßiger, den Prozeß der Aufnahme einer Vorstellung in den Mittelpunkt des  Bewußtseins  mit einem eigenen Terminus, etwa = "innere Wahrnehmung" zu bezeichnen, und loszulösen von den etwa damit verknüpften  Verbindungs prozessen jener Vorstellung mit den älteren Vorstellungen, weil diese Verbindungen eine von der Aufnahme ins Bewußtsein als solcher sehr wohl zu unterscheidende besondere Gattung von seelischen Vorgängen darstellen, nicht notwendig mit dem Bewußtsein verknüpft seien, und sich im Gegenteil vielfach ohne Bewußtsein vollziehen; der Ausdruck "Apperzeption" für diese Verbindungsprozesse, ganz abgesehen davon, ob sie sich mit oder ohne Bewußtsein vollziehen, sei ein ganz geeigneter.

Sei somit die Differenz bis hierher eine bloß  terminologische,  so werde dieselbe allerdings zu einer  sachlichen  durch die Aufstellung WUNDTs, bei jenen bewußten "apperzeptiven" Verbindungen der Vorstellungen spiele der spontane Wille eine entscheidende Rolle, während nach den Herbartianern jene Verbindungen durch die Kraft der Vorstellungen selbst als solcher sich vollziehen. Diese Differenz sei nun allerdings eine sehr tiefgehende und betreffe die letzten prinzipiellen Fragen der Psychologie. Hierzu sei in der Kürze nur zu bemerken, daß zwar WUNDT den "Willen" vielleicht zu sehr verselbständige, daß aber WUNDT insofern ganz mit der neueren wissenschaftlichen Psychologie in Deutschland und England sich in Übereinstimmung befindet, als man die Vorstellungen nicht mehr wie HERBART als die alleinigen Elemente des Seelenlebens betrachtete; man sehe vielmehr die Triebe und Gefühle als gleich ursprünglich an, und sei der Ansicht, daß es ebensowenig Trieb- oder Willensprozesse, sowie Gefühle gebe, ohne Vorstellungen, als Vorstellungsprozesse ohne begleitende Trieb- oder Willenserscheinungen und Gefühle. Es sei somit nicht zurückzuweisen, daß bei den Apperzeptionsprozessen (im HERBART'schen Sinne), sowohl bei den bewußten wie bei den unbewußten der "Wille" oder "Trieb" eine bedeutsame Rolle spiele; die Lehre vom "Interesse", sowie die Lehre von der Aufmerksamkeit, auch der sogenannten unwillkürlichen, werde dadurch sehr nahe berührt. Dieser sachliche Unterschied sei jedoch, wenn er theoretisch tief geht, praktisch nicht so groß, als es den Anschein hat; denn auch bei den Herbartianern vollziehen sich ja die Apperzeptionsprozesse immer unter dem Einfluß früherer Vorstellungen, welche sich zu Triebkräften und Willenselementen umgebildet haben, wie eben die Lehre vom Interesse zeigt. Für diese Lehre, wie für viele andere Punkte sie die WUNDT'sche Psychologie von großem Wert; es sei zu hoffen, daß die Pädagogik auch aus dieser psychologischen Richtung noch viel Gewinn ziehen werde, und das Studium der WUNDT'schen "Physiologischen Psychologie" sei daher jedem Pädagogen anzuraten.

Der Berichterstatter machte auf die Bedeutung des Gehörten für die Pädagogik aufmerksam, da einzelne Gegner der HERBART-ZILLER'schen Didaktik aus dem WUNDT'schen Apperzeptionsbegriff die Notwendigkeit einer Berichtigung unserer Theorie des Lernprozesses, der sogenannten  formalen Stufen,  folgern wollen. Sie behaupten z. B., "daß die Apperzeptionstheorie HERBARTs erwiesenermaßen an verschiedenen gar nicht leich wiegenden Mängeln" leidet und daß namentlich die "Vorbereitung" durch eine "andere Begründung des Apperzeptionsprozesses im Sinne WUNDTs gewinnen" würde. Sie verweisen dabei unter anderem auf die von Professor VAIHINGER (der sich selbst  nicht  zu den Herbartianern rechnet) soeben scharf abgefertigte Arbeit von OTTO STAUDE ("die Arbeit sei ein glänzendes Produkt der Verwirrung", wurde gesagt).
LITERATUR Hugo Grosse, Sitzungsbericht der Zusammenkunft der "Zweigvereine für wissenschaftliche Pädagogik" von Altenburg, Halle / Saale, Jena und Leipzig] in  Pädagogische Studien,  Neue Folge, Jahrgang 1888, Dresden.