tb-1cr-2p-4H. LotzeDyroffvon der PfordtenFritz Münch    
 
HEINRICH RICKERT
Über logische
und ethische Geltung

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"Das logische Wesen des subjektiven Urteilsaktes besteht für die Philosophie nicht in seiner psychologischen Struktur, sondern in der Bedeutung, die er für die Erfassung des transzendenten logischen Sinnes hat, und diese beruth darauf, daß er als Akt der theoretischen Entscheidung dem Inhalt die Form zuerkennt, oder Form und Inhalt als zusammengehörig bejaht."

"Sucht jemand mit Lebensgefahr einen Menschen zu retten, so wird die Handlung nicht sittlicher, wenn sein Bemühen gelingt, nicht weniger sittlich, wenn der Erfolg ausbleibt. Auch an ein Wort von Mephistopheles können wir denken. Er nennt sich einen Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Er hat also immer gute Erfolge. Hinge seine sittliche Qualität davon ab, so müßte er die Verkörperung des sittlichen Prinzips sein, und doch zweifelt niemand daran, daß er das böse Prinzip darstellt, weil eben sein Wille böse ist."

I.
Das Problem

 
Der Philosophie unserer Tage, besonders der an KANT orientierten, wird oft der Vorwurf gemacht, daß sie nur Theorie der Erkenntnis sei und sich damit auf ein zu enges Gebiet beschränke. Hierin liegt gewiß etwas Berechtigtes. KANT hat nie daran gedacht, die ganze Philosophie mit seiner neuen, transzendentalen Logik zu identifizieren, sondern seine Untersuchungen erstrecken sich auf das sittliche, das künstlerische und das religiöse Leben. Und, abgesehen davon, wird in der Tat nur  die  Geistesbetätigung den Namen der Philosophie verdienen, die den Menschen und seine Welt nach allen Seiten hin zum Gegenstand ihrer Erfoschung macht. Trotzdem ist es nicht möglich, die Erkenntnislehre den übrigen philosophischen Disziplinen so zu koordinieren, daß man Ethik oder Ästhetik ohne Rücksicht auf logische Probleme treibt. Die wissenschaftliche Philosophie muß vielmehr mit allen ihren Teilen aus der Logik gewissermaßen herauszuwachsen suchen, denn nur dann kann sie sicher sein, auf wissenschaftlichem Boden zu stehen. Bei jedem Schritt in atheoretisches Gebiet hat sie erst ihr Verhältnis zum theoretischen festzustellen und dann ausdrücklich dafür zu sorgen, daß sie auch bei der Behandlung des Atheoretischen Theorie bleibt. Darin findet die Bevorzugung der Erkenntnislehre in der Philosophie unserer Zeit ihr wohlbegründetes Recht.

Die Notwendigkeit einer erkenntnistheoretischen Besinnung tritt besonders deutlich zutage, wenn atheoretische  Werte,  wie z. B. die sittlichen, mit Rücksicht auf ihre Geltung zu philosophischen Problemen werden. Jede Wissenschaft, also auch die Ethik, nimmt die Form von Aussagen an, die einen gültigen Urteilsgehalt besitzen sollen. Handelt es sich um Seinsurteile oder Existenzialsätze in der weitesten Bedeutung des Wortes, so entsteht in Bezug auf das angegebene Problem keine Schwierigkeit. Ihr Geltungsgehalt ist, wenigstens der Absicht nach, unter allen Umständen rein theoretisch. Kommen dagegen sogenannte Werturteile in Betracht, dann bedarf es der Aufmerksamkeit darauf, ob und wie weit wir es noch mit theoretischen Geltungsbestandteilen zu tun haben.

Freilich wird man nicht überall anerkennen, daß hier in Wahrheit ein Problem vorliegt. Manche glauben, die Frage nach der Wertgeltung leicht dadurch beseitigen zu können, daß sie Werturteile aus der Wissenschaft überhaupt ausscheiden. Das wäre jedoch nur dann konsequent, wenn  alle  Werturteile atheoretische Bestandteile enthielten, und gerade das ist nicht zutreffend. Wird von einem Urteilsgehalt gesagt, daß er wahr sei, so ist damit gewiß ein Werturteil ausgesprochen, aber es geht nicht über die theoretische Sphäre hinaus. Doch vielleicht sieht man sich auch dadurch noch nicht veranlaßt, Werturteile als wissenschaftliche Probleme anzuerkennen. Man kann meinen, sie ließen sich alle, soweit sie überhaupt Urteile sind, auf Seinsurteile zurückführen. Dann würde z. B. in den Sätzen, daß ein Kunstwerk schön oder eine Willenshandlung gut ist, nichts über das Kunstwerk und die Willenshandlung ausgesagt, sondern lediglich behauptet, daß das urteilende Subjekt das Kunstwerk als schön oder eine Willenshandlung gut ist, nichts über das Kunstwerk und die Willenshandlung ausgesagt, sondern lediglich behauptet, daß das urteilende Subjekt das Kunstwerk als schön und die Willenshandlung als gut werte, und auf die Konstatierung dieser Fakta, also auf Seinsurteile, käme es der Wissenschaft allein an. Dann müßte man aber, wenn man konsequent sein will, weiter gehen und behaupten, daß in den theoretischen Werturteilen ebenfalls nur die Tatsache konstatiert werden soll: das Subjekt hält ein logisches Gebilde für theoretisch wertvoll oder wahr. Diese Reduzierung auf einen reinen Seinsgehalt läßt sich jedoch nicht durchführen. Nenne ich ein Urteil wahr, so will ich damit nicht nur sagen, daß ich es als wahr werte, sondern daß es unabhängig von meiner Wertung gilt, und ebenso ist es sicher wenigstens die Absicht des Urteilenden, wenn er ein Kunstwerk als schön oder eine Willenshandlung als gut bezeichnet, damit eine Geltung dieser atheoretischen Werte zu behaupten, die unabhängig von der Wertung des Subjekts besteht. Wie das theoretische Werturteil für ein Urteilsgehalt den Wert der Wahrheit, so nimmt das ästhetische oder das ethische Werturteil für ein Kunstwerk oder eine Willenshandlung die atheoretischen Werte der Schönheit und der Sittlichkeit als gültig in Anspruch, und damit ist ein Problem gegeben, das eine umfassende Philosophie nicht ignorieren darf.

Wie kommen wir dazu, in Form eines Urteils, also theoretisch, etwas über atheoretische Geltung auszusagen? Das ist nicht selbstverständlich. In der wissenschaftlichen Philosophie dürfen  zunächst  nur theoretische Werte als gültig vorausgesetzt werden, da sie von keinem theoretischen Standpunkt aus anzugreifen sind. Von den atheoretischen Werten, wie denen des sittlichen, des künstlerischen oder auch des religiösen Lebens, kann man das nicht sagen. Es muß daher gefragt werden, ob eine andere als die theoretische Geltung von der Philosophie behauptet werden darf. Gibt es z. B. so etwas wie eine ethische Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit auch für den wissenschaftlichen Menschen? Hierüber braucht jede Ethik Klarheit. Sie behandelt ein atheoretisches Wertgebiet in theoretischer Weise. Sie sucht nach Wahrheit über die Sittlichkeit, nach dem theoretischen Wert über den ethischen Wert. So ist sie einerseits genötigt, die beiden Wertarten in engste Verbindung zu bringen, und darf sich doch andererseits nicht der Gefahr aussetzen, ihre Geltung zu verwechseln. Dem aber entgeht sie nur, wenn sie die Begriffe des logischen und des ethischen Wertes auch mit Rücksicht auf das Verhältnis der ethischen zur logischen Geltung bestimmt. Deshalb versuchen wir im Folgenden zuerst, den ethischen Wert gegen den logischen soweit  abzugrenzen,  daß jede Vermengung ausgeschlossen ist, und sehen dann, welche  Verknüpfung  zwischen logischer und ethischer Geltung trotz ihrer prinzipiellen Verschiedenartigkeit in einer wissenschaftlichen Ethik vorgenommen werden kann. Es soll damit ein Beitrag zur Logik der Ethik oder zur Bestimmung des wissenschaftlichen Charakters der Lehre vom Sittlichen gegeben werden. Wir werden sehen, daß aus den für die Trennung der Begriffe notwendigen Bestimmungen sich zugleich ihre unvermeidliche Verbindung ergibt. Doch beschränken wir uns dabei auf den denkbar umfassendsten oder rein formalen ethischen Wert und sein Verhältnis zur theoretischen Geltung und deuten den Inhalt des sittlichen Gutes nur an, wie das dem Charakter einer in der Hauptsache logischen Überlegung entspricht.


II.
Theoretische Objektivität und
praktische Subjektivität

Bei dem Versuch der Abgrenzung und Trennung gehen wir selbstverständlich vom theoretischen Gebiet aus. Wie schon hervorgehoben, ist es das  Urteil,  das den logischen Wert der Wahrheit enthält. Aber dieses Wort ist nicht eindeutig. Es kann darunter einmal der Satz verstanden werden, den wir als wahr meinen oder verstehen, und das andere Mal der Akt des Meinens oder Verstehens selbst. Ist das logische Urteil nun das grammatikalische oder das psychologische Gebilde? Wenn wir "Urteil" nur das nennen wollen, was im eigentlichen Sinn des Wortes "wahr" sein oder theoretisch "gelten" kann, so dürfen wir es weder mit dem Satz, noch mit dem Akt des Urteilens identifizieren, denn Wirklichkeiten sind als solche nicht gültig. Wahr ist vielmehr, streng genommen, nur der Urteilsgehalt, der  von  den Urteilsakten verstanden wird und  an  den Sätzen haftet, und der fällt mit keiner der beiden Wirklichkeiten zusammen. Das kann man schon daraus ersehen, daß er als gültige Wahrheit stets derselbe bleibt, wie verschieden auch die psychischen Vorgänge des Verstehens und die sprachlichen Ausdrücke der Sätze sein mögen. Der Urteilsgehalt also oder das gültige  Sinngebilde  ist der eigentliche Gegenstand der theoretischen Philosophie. Der wirkliche Satz kommt für sie nur insofern in Betracht, als er einen unwirklichen Urteilsgehalt trägt, und die psychische Urteilsrealität ist nur insofern bedeutsam, als sie zu ihm Stellung nimmt, d. h., es handelt sich bei ihr nicht um den psychischen Vorgang selbst, sondern um den "Sinn", der ihr mit Rücksicht auf den logischen Gehalt innewohnt. Wir müssen daher vom eigentlichen Urteilsgehalt, der  unabhängig  von allen Sätzen und psychischen Vorgängen gilt, und den wir deshalb auch den "transzendenten" logischen Sinn nennen können, einerseits das objektive Gut, an dem er haftet, und andererseits den subjektiven  Akt  der Stellungnahme mit dem ihm "immanenten" Sinn sorgfältig scheiden. Der Urteilsgehalt ist von der Logik dann mit Rücksicht auf seine Form und seinen Inhalt zu untersuchen, wobei wir unter "Form" das theoretische Geltungsmoment in seiner begrifflichen Isolierung verstehen, durch welches der für sich logisch indifferente Inhalt in die logische Sphäre gehoben, also zum logisch gültigen Sinngebilde gemacht wird.

Wichtig für den folgenden Zusammenhang ist besonders dies. Das logische Wesen des subjektiven Urteilsaktes besteht für die Philosophie nicht in seiner psychologischen Struktur, sondern in der Bedeutung, die er für die Erfassung des transzendenten logischen Sinnes hat, und diese beruth darauf, daß er als Akt der theoretischen  Entscheidung  dem Inhalt die Form zuerkennt, oder Form und Inhalt als zusammengehörig bejaht. Ebenso ist das objektive theoretische Gut oder der logisch verständliche Satz nicht mit Rücksicht auf seine grammatikalische Struktur, sondern nur daraufhin zu untersuchen, wie er das transzendente Sinngebilde zum Ausdruck bringt. Wirkliche Sätze sind mit anderen Worten dann allein logische Güter, wenn an ihnen ein unwirklicher Urteilsgehalt haftet, und der Akt des Subjekts ist nur insofern wahr oder theoretisch wertvoll, als er ein objektives logisches Gut, also einen wahren Satz, meint oder versteht. Das logische Zentrum bleibt unter allen Umständen der Urteilsgehalt oder das transzendente Sinngebilde, das sich an den logisch wesentlichen Objekten, den Sätzen findet, und der subjektive Akt wird vollends ausschließlich durch seine Stellung zu ihm und dem theoretischen Gut logisch bedeutsam. Vom  objektiven  Gut aus strahlt also der theoretische Wert in das subjektive Verhalten gewissermaßen hinein.

Diese Gliederung des Gegenstandes der Logik in eine subjektive und eine objektive Sphäre kann hier nicht näher begründet werden. Sie soll auch nur ermöglichen, das theoretische Gebiet in seinem Verhältnis zum atheoretischen, besonders zum ethischen Gebiet zu bestimmen, und es entsteht nun die Frage, wie weit im Sittlichen oder im Gegenstand der Ethik dieselbe Struktur, insbesondere die Auseinanderlegung in objektive und subjektive Faktoren und die Abhängigkeit des subjektiven Verhalten vom objektiven Gut mit Rücksicht auf die Wertgeltung zu konstatieren ist. Ehe wir jedoch dazu übergehen, wollen wir zunächst einmal die Frage für den Gegenstand der Ästhetik stellen, um durch einen Vergleich die allgemeine Struktur der Wertgebiete vielleicht noch deutlicher hervortreten zu lassen. Wir finden hier nämlich eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Theoretischen. Einmal haben wir das ästhetische Gut, d. h. das wirkliche Kunstwerk mit dem daran haftenden gültigen, also unwirklichen ästhetischen Gehalt, das dem wahren Satz mit seinem transzendenten logische Sinn entspricht. Auf der anderen Seite steht das Verhalten des Subjekts mit seinem immanenten ästhetischen Sinn, das dem logischen Urteilsakt parallel gesetzt werden kann, und das auch hier nur vom objektiven Gehalt und Gut her zu deuten ist. Ferner können wir in diesem ästhetischen Sinngehalt, ebenso wie im theoretischen, Form und Inhalt scheiden, wenn wir Form wieder das nennen, was als abstraktes Wertmoment des ästhetisch indifferenten Inhalt in die ästhetische Sphäre hebt, und auch hier muß sich ein bestimmtes Verhältnis zwischen Form und Inhalt feststellen lassen, das den spezifisch ästhetischen Charakter des vom Subjekt unabhängigen, am Kunstwerk haftenden Sinngebildes bestimmt. So zeigt sich, daß auf theoretischem und ästhetischem Gebiet die Struktur des Gegenstandes der philosophischen Untersuchung im Wesentlichen dieselbe ist. Um beide Sphären voneinander zu scheiden, braucht man nur das Wesen der theoretischen Form gegen das der ästhetischen abzugrenzen und sodann auf die Verhältnisse zu achten, in denen die verschiedenen Formen als begrifflich ablösbare Wertmomente zu den wertindifferenten Inhalten stehen. Die Hauptsache für uns ist jedoch das Gemeinsame: sowohl im theoretischen als auch im ästhetischen Gebiet liegt der Schwerpunkt auf dem Sinn oder Gehalt des objektiven Gutes, und das Verhalten des Subjekts bekommt allein von hier aus seine ihm innewohnende Bedeutung für den Wert.

Gehen wir nun endlich zum ethischen Gebiet über, so scheint auch hier eine Gliederung in das Gut mit seinem Wertgehalt und das stellungnehmende Subjekt mit seinem immanenten Sinn vorgenommen werden zu müssen, wenn von gültigen, objektiven Sinngebilden die Rede sein soll. Die Ethik ist, wie man sie auch sonst bestimmen mag, "praktische" Philosophie, d. h. sie untersucht den tätigen Menschen. Sittlich ist demnach immer ein  Handeln,  oder genauer: der ethische Sinn muß an einem Tun haften. Man könnte höchstens sagen: nichts tun ist sittlich oder das ethische Ideal besteht in Passivität. Aber dieses Nichtstun wäre dann auch eine Art des Tuns im weitesten Sinne des Wortes. Demnach bezieht sich das Prädikat sittlich stets auf eine Willenshandlung, und gerade dieser Umstand scheint zunächst für die Gleichheit der Struktur des ethischen Wertgebietes mit dem theoretischen zu sprechen. Das, was wir erreichen wollen, wenn wir sittlich tätig sind, ist das ethische Gut, und es kann ethisch nur dann genannt werden, wenn an ihm ein ethisches Sinngebilde haftet. Wir haben ferner ein ethisches Verhalten des Subjekts, das in der Verwirklichung des Gutes besteht, und es sieht nun so aus, als sei das Verhalten ethisch bedeutsam wiederum nur wegen des Sinns, den das erreichte objektive Gut trägt. Selbstverständlich müssen wir dann im ethischen Sinngebilde wie im theoretischen Form und Inhalt voneinander scheiden, denn es bedarf einer Form, die als abstraktes Wertmoment den ethisch indifferenten Inhalt in die ethische Sphäre hebt, und es wird schließlich das Verhalten des Subjekts nur dann ethisch sein, wenn es dem Inhalt die ethische Form beilegt, um so das ethische Gut hervorzubringen. Kurz, es scheint auch hier der ethische Charakter des subjektiven Verhaltens vom ethischen Gut mit seinem objektiven Sinn abzuhängen.

Sehen wir jedoch genauer zu, so ergibt sich, daß im ethischen Reich die Gliederung, zunächst wenigstens, nicht in dieser Weise durchgeführt werden kann, und das weist darauf hin, daß noch tiefer liegende Unterschiede vorhanden sein müssen, als sie zwischen dem theoretischen und dem ästhetischen Gebiet bestehen. Ja, man kann geradezu sagen, es ist das Eigentümliche des Sittlichen, daß sich das Verhalten des Subjekts vom objektiven ethischen Gut nicht so ablösen läßt, wie das Verhalten des ästhetischen Subjekts vom schönen Kunstwerk zu trennen war. Man braucht, um das einzusehen, nur zu fragen, was an der Willenshandlung den Namen des Ethischen verdient, oder  woran  der ethische Sinn haftet. Das ist nicht selbstverständlich. AN jedem Tun sind zwei Seiten zu unterscheiden, der Wille im engeren Sinn als der "innerliche" Vorgang und die eigentliche Handlung mit ihren Wirkungen in der Außenwelt. Sollte die Gliederung in eine objektive und eine subjektive Sphäre hier in derselben Weise vorgenommen werden wie auf theoretischem Gebiet, so müßte der Wille  nur  das subjektive Verhalten darstellen und seine ethische Bedeutung erst vom objektiven Erfolg her bekommen, an dem dann das unwirkliche ethische Sinngebilde mit seiner Geltung zu finden wäre. Gerade das aber scheint fraglich. Dürfen wir vom Willen sagen, er werde ethisch dadurch, daß er ethische Güter hervorbringt in der Weise, wie ein Urteilsakt theoretisch sinnvoll dadurch wird, daß er einen wahren Satz mit seinem objektiven Sinn meint oder versteht?

Gewiß kann man von sittlichen Gütern reden, aber wenn man das tut, so hat man dabei nicht den Erfolg im Auge, wie er für sich, d. h. ohne Beziehung auf den Willen des Subjekts sich darstellt. Das würde, konsequent zu Ende gedacht, zu Ergebnissen führen, die niemand meint, wenn er Handlungen sittlich nennt. Welche Erfolge wir in der Welt außer uns haben, hängt nur zum Teil von uns ab, und daher ist es nicht möglich, uns für sie zur Verantwortung zu ziehen. Schon deshalb darf man von ihnen die sittliche Qualität der Handlung nicht herleiten, denn etwas, wofür wir nicht verantwortlich sind, ist auch nicht als Träger unserer Sittlichkeit anzusehen. Der Erfolg einer Willenshandlung ist also nie in dem Sinne ethisch, wie ein Satz wahr oder ein Kunstwerk schön ist. Nur der  gewollte  Erfolg kommt in Betracht, ja der Wille oder die "Gesinnung", wie man sagt, ist allein das, was dem Handeln eine sittliche Bedeutung verleiht, und zwar der von Absichten geleitete Wille, der weiß, was er will, und der auch kein bloßer Wunsch ist, sondern ein Entschluß, der sich notwendig in ein Tun umsetzt. Das alles ist schon oft dargelegt und das einfachste Beispiel muß von der Richtigkeit dieser Gedanken überzeugen. Sucht jemand mit Lebensgefahr einen Menschen zu retten, so wird die Handlung nicht sittlicher, wenn sein Bemühen gelingt, nicht weniger sittlich, wenn der Erfolg ausbleibt. Auch an ein Wort von MEPHISTOPHELES können wir denken. Er nennt sich einen Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Er hat also immer gute Erfolge. Hinge seine sittliche Qualität davon ab, so müßte er die Verkörperung des sittlichen Prinzips sein, und doch zweifelt niemand daran, daß er das böse Prinzip darstellt, weil eben sein Wille böse ist. Höchstens einige Ethiker werden das bestreiten, und auch sie nur dann, wenn sie Theorie treiben. Im Leben urteilen sie wie wir, und in diesem Fall ist die Meinung des "gesunden Menschenverstandes" nicht  ganz  so unwichtig wie sonst in der Philosophie.

Von sittlichen Erfolgen sollte man also eigentlich nicht reden. Wem es schwer wird, dies einzusehen, der macht sich nicht klar, daß es wertvolle Erfolge gibt, ohne daß sie darum auch sittlich wertvoll sind. Wir können die Werke eines Menschen sehr hoch schätzen, und wir brauchen ihm trotzdem keine sittliche Größe zuzusprechen, solange es fraglich ist, ob das, was er getan hat, einem sittlichen Willen entsprang. Sollte man finden, daß dadurch das Wort "sittlich" eine zu enge Bedeutung erhält, so ist dagegen selbstverständlich nichts zu sagen. Aber darauf kommt es hier nicht an. Zweifellos hat das Wort unter anderen auch die angebene Bedeutung, und den von ihr gemeinten Wert allein wollen wir hier mit Rücksicht auf seine Geltung untersuchen.

Mit diesen Überlegungen ist ein Unterschied des ethischen Gebietes vom theoretischen klar gestellt, der für unser Problem von Wichtigkeit sein muß. Es kann nicht von einem objektiven ethischen Gut aus das sittliche Verhalten des Subjekts den ethischen Charakter bekommen, wie von einem objektiven theoretischen Gut aus das urteilende Verhalten des Subjekts theoretisch zu deuten ist, sondern nur am subjektiven Willen vermag das ethische Sinngebilde zu haften, und so scheinen wir von einem objektiven ethischen Gut in der Weise, in der wir vom wahren Satz als von einem theoretischen oder vom Kunstwerk als von einem ästhetischen Gut gesprochen haben, nicht reden zu dürfen. Der Platz dafür bleibt entweder leer, oder höchstens ist von der ethischen Gesinnung des Subjekts aus der Wert des Sittlichen auf den objektiven Erfolg zu übertragen, so daß hier, genau umgekehrt wie auf dem logischen und ästhetischen Gebiet, nicht der objektive Gehalt den Sinn des Subjektaktes bestimmt, sondern der subjektive Sinn des Verhaltens maßgebend für den objektiven Wert des Gutes wird. Der  theoretischen Objektivität  scheint eine  praktische Subjektivität  gegenüberzutreten, welche die Geltung des ethischen Wertes von vornherein auf ein anderes Niveau als das des theoretischen Wertes herabgedrückt. So wird vollends klar, wie notwendig es ist, zu fragen: in welchem Sinne darf man in der Wissenschaft von objektiver ethischer Geltung sprechen?


III.
Der autonome Wille

Die Antwort läßt sich mit den bisher vollzogenen Bestimmungen nicht geben. Um den ethischen Wert mit dem theoretischen im Hinblick seiner Geltung vergleichen zu können, gehen wir daher noch etwas auf seine Beschaffenheit ein und suchen dann auch den Begriff des ethischen Gutes zu gewinnen, das bisher ganz problematisch blieb. In erschöpfender Weise ist das hier natürlich nicht möglich. Wir werden einige unbewiesene Voraussetzungen machen und unser Ergebnis in dem Sinne einschränken müssen, daß es nur bei Geltung dieser Voraussetzungen richtig ist. Doch dürfte in ihnen nicht allzuviel stecken, was heute nicht fast jede wissenschaftliche Ethik, implizit zumindest, zugibt. Im Allgemeinen handelt es sich auch dabei wieder um sehr bekannte und fast selbstverständliche Gedanken, aus denen wir nur das für unseren Zusammenhang Unentbehrliche soweit hervorheben, daß später aufgrund dieser Bestimmungen das Verhältnis der theoretischen zur ethischen Geltung dem allgemeinsten Prinzip nach klar gelegt werden kann. Die etwas umständlichen Vorbereitungen dafür sind nicht zu vermeiden, wenn unsere Ansicht unzweideutig werden soll, denn gerade das Reich des Selbstverständlichen ist Mißverständnissen besonders stark ausgesetzt.

Wie also haben wir den ethischen Wert zu denken? Bisher wissen wir nur, daß  der  Wille sittlich ist, und zwar der bewußte, absichtlich verfahrende Wille, der sich notwendig in Handlungen umsetzt. Wessen muß sich nun der Wille bewußt sein, damit er sittlich wird? Stellen wir die Frage so, dann liegt die Antwort nahe. Wir werden nur den Menschen sittlich schätzen, der das will und tut, was er für das "Richtige" hält, d. h. wovon er glaubt, daß er es tun  soll.  Sittlich handeln wir mit anderen Worten dann, wenn die Pflicht unseren Willen bestimmt, unsittlich, wenn Rücksichten auf Vorteile oder Nachteile uns veranlassen, etwas zu tun, was gegen unser Pflichtbewußtsein verstößt. Wir dürfen danach den sittlichen Willen seinem allgemeinsten Sinn nach dem von der Pflicht geleiteten Willen gleichsetzen oder jedenfalls den Umstand, daß die Motive für den Willen im Bewußtsein des Sollens bestehen, für eine notwendige Bedingung allen sittlichen Wollens erklären. Im Grunde genommen ist auc damit nur etwas gesagt, was niemand bestreiten kann. Wenn ich das will und tue,  was  ich meiner Überzeugung nach soll, so handle ich,  wie  ich soll, also sittlich in des Wortes umfassendster Bedeutung. Trotzdem gibt es Richtungen in der Ethik, die gerade den Begriff des Sollens und der Pflicht nicht als entscheidend für die sittlichen Qualitäten einer Handlung anerkennen wollen. Der Grund dafür besteht jedoch nur darin, daß mit der angegebenen Begriffsbestimmung andere Gedanken verknüpft werden, die sorgfältig von ihr fernzuhalten sind. Deshalb bedarf es zur Verständigung noch einiger Worte.

Zunächst ist zu bemerken, daß hier nicht etwa gefragt wird, wie weit sich der  Gesamt sinn unseres praktischen, persönlichen Lebens durch den Begriff des pflichtbewußten Willens festzulegen, und daß es im Übrigen vollkommen unentschieden bleibt, welche Rolle das Sittliche in der Totalität unseres Daseins zu spielen hat. Wir sind weit davon entfernt, für irgendeinen "Moralismus" einzutreten. Ja, es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß es für das persönliche Leben gewiß noch andere Werte als den des pflichtbewußten Willens gibt.

Doch, auch abgesehen hiervon, pflegt man gegen unseren Begriff Einwände zu erheben. Sittlich ist nach ihm der Wille, der dem Pflichtbewußtsein  gehorcht,  und gerade den Gehorsam möchte man aus der Bestimmung der sittlichen Handlung entfernen. Die Unterordnung unter ein Gebot steht einem freien Wesen nicht an. Sie verlangen, heißt eine Sklavenmoral verkünden. Nicht: ich soll, sondern: ich will, hat die Parole des wahrhaft sittlichen Menschen zu lauten.

Das klingt Vielen wohl einleuchtend, und doch wird damit ein falscher Gegensatz eingeführt, der auf einem Mißverständnis des Begriffs vom Pflichtbewußtsein beruth. In der Tat: wir haben der Pflicht zu "gehorchen", aber es ist ein eigentümlicher Gehorsam, um den es sich dabei handelt. Wenn ein noch unerzogenes Kind seinem Vater gehorcht, so kommt es gewiß oft vor, daß es folgt, nur weil der Vater es will. Dann ist der befehlende Wille ein  anderer  als der gehorchende, und  dieser  Gehorsam kann den Willen allerdings nicht sittlich machen. Wer dagegen der Pflicht gemäß handelt, der gehorcht, wie man auch sagt, dem Gewissen und dann nicht einem Andern, sondern sich selbst. Der befehlende Wille fällt dann also mit dem gehorchenden zusammen. Danach ist der Gehorsam, den man des freien Menschen mit Recht für unwürdig hält, nur dort zu finden, wo das Pflichtbewußtsein noch nicht den Willen bestimmt. Unfrei ist gewiß, wer einem Andern gehorcht gegen den eigenen Willen. Aber unfrei ist auch, wer überhaupt von keinem Imperativ, sondern nur von Wünschen und Launen beherrscht wird. Wenn sittlicher Gehorsam Selbstgehorsam ist, dann bedeutet Sittlichkeit so viel wie Selbstgesetzlichkeit oder Autonomie. So muß man einsehen, wie falsch die Behauptung ist, das Pflichtgebot erniedrige den Menschen, und es sei die Gleichsetzung von sittlichem und pflichtbewußtem Willen Sklavenmoral. Genau das Gegenteil ist richtig. Der pflichtbewußte Wille erhöht den Menschen zum Herrn, denn er macht uns zum Herrn auch über uns selbst und befreit uns von  jeder  sittlichen Unfreiheit. Kurz: pflichtbewußt handeln, heißt nichts anderes als handeln, wie man es nach freier Überzeugung für gut hält, und keinen anderen Richter anerkennen als die Stimme des Gewissens in der eigenen Brust.

Doch vielleicht wird diese Deutung Widerspruch von anderer Stelle hervorrufen. So verstanden, kann man sagen, führt das Pflichtbewußtsein zur Aufhebung aller Sittlichkeit, Autonomie ist nichts als Zügellosigkeit und Willkür. Gehorcht man nur sich selbst, so hört damit der Gehorsam, der diesen Namen verdient, ja die Anerkennung jedes Gebotes überhaupt auf. Das muß gerade durch die Trennung der zwei verschiedenen Arten des Gehorsams deutlich werden. Ist es denn unter allen Umständen unsittlich, einem Anderen zu gehorchen? Kann nicht vielmehr gerade das eine sittliche Notwendigkeit sein? Es gibt keine Sittlichkeit, ohne daß der Wille an einen Imperativ gebunden ist, dem er sich unterordnet.

Auch diese Einwände beruhen auf einem Mißverständnis. So gewiß der sittliche Mensch autonom ist, so gewiß bleibt er zugleich  gebunden  an sein Gewissen, und unter Umständen kann sehr wohl auch der Gehorsam gegen Andere ihm Pflicht sein, sobald er nämlich einsieht, daß er notwendig ist im Hinblick auf ein von ihm anerkanntes Gut. Dann wird er sich freiwillig dem Andern unterordnen und gerade dadurch, daß er ihm gehorcht, sich selbst gehorchen. Der Willkür und Zügellosigkeit ist die richtig verstandene Autonomie ebenso entgegengesetzt wie der Sklavenmoral. Sie ist zur Bestimmung des sittlichen Wertes deswegen geeignet, weil in ihr die  beiden  Bestandteile enthalten sind, auf die es beim Sittlichen ankommt, das freie Wollen und das Sollen, das individuelle Selbst und das darüber stehende Gebot. Darin steckt nur scheinbar ein Widerspruch. Wollen oder Sollen ist eine falsche Alternative. In Wahrheit kommt es auf die Vereinigung des Individuellen mit dem Überindividuellen, auf das freie Wollen des Sollens in der Auto-nomie an. Darum ist dieses Wort die beste Bezeichnung für den ethischen Wert. Wir sind sittlich, wenn wir dem Gebot folgen, das wir uns selbst gegeben haben, ohne von außen her irgendwie gezwungen zu sein. Wir sollen nur wollen, was uns als  unser  Sollen gegenübertritt, und was wir ganz in unseren Willen aufnehmen können, ohne ihm zu widerstreben.

Doch, es ist nicht notwendig, dies weiter auszuführen. Es galt wie gesagt nur, längst Bekanntes vor Mißverständnissen zu schützen, und es genügt für unseren Zweck, wenn wir dies festhalten. Ethisch ist der Mensch, der will, was er soll, indem er einen Wert durch freie Entscheidung als gültig anerkennt. Dem ethisch indifferenten Willen wird so durch die Selbstgesetzgebung der ethische Charakter aufgeprägt, und wir können daher die Autonomie auch als die Form bezeichnen, die der Inhalt haben muß, um als sittlich sinnvoll zu gelten. Diese Form als das abstrakte Geltungs- oder Wertmoment hebt den Willen in die ethische Sphäre oder verleiht ihm die ethische Bedeutung, wie die theoretische Form den Inhalt theoretisch sinnvoll macht, ästhetische Form ihn künstlerisch gestaltet. Damit tritt die Freiheit als die formale Sittlichkeit der formalen Wahrheit und der formalen Schönheit als besonderer Wert gegenüber, und es müssen sich dementsprechen auch die inhaltlich erfüllten ethischen Sinngebilde von den inhaltlich erfüllten theoretischen und ästhetischen scheiden lassen. Sinngebilde, die in der Form der Autonomie stehen, nicht der psychische Vorgang des Wollens, der nur ihr Träger ist, sind der eigentliche Gegenstand der Ethik, und in ihrer Geltung steckt das ethische Problem.


IV.
Das ethische Gut

Doch auch das genügt nicht, um diese Geltung in ihrem Verhältnis zur theoretischen zu begreifen, sondern es bleibt noch die Aufgabe, außer dem Begriff des ethischen Verhaltens den Begriff des ethischen Gutes zu gewinnen und so neben das ethische Subjekt das ethische Objekt zu stellen. Oder sollte es überhaupt nicht möglich sein, von einem objektiven ethischen Gut zu reden? In einem gewissen Sinn enthält dieser Begriff in der Tat einen Widerspruch. Es gibt Güter, die der pflichtbewußte Mensch realisieren soll, sobald er sie als sinnvolle Güter erkannt hat, und er ist dann ethisch, wenn er das will, was er soll. Aber wir wiesen es ab, die Erfolge, auch wenn sie Güter sind, ethisch zu nennen, weil das Ethische eben nur am Willen hängt, und wir konnten daher bisher nur von logischen, ästhetischen oder irgendwelchen anderen Gütern reden. Wenn es demnach ethische Erfolge nicht gibt, so scheint es auch ethische Güter nicht geben zu können. Trotzdem hat dieser Begriff einen guten Sinn. Es kann der pflichtbewußte Wille oder der Träger der sittlichen Freiheit selbst zum Gut werden, das realisieren zu wollen dann Inhalt der Pflicht sein muß. Oder mit anderen Worten: es ist möglich, daß wir aus Pflicht einen autonomen Willen wollen, und dann handelt es sich um die Realisierung eines ethischen Gutes. Ja, es kann kein Zweifel sein, daß, wenn der freie Wille selbst als etwas zu Realisierendes auftritt, es notwendig Pflicht wird, ihn als wirklich zu wollen und dementsprechend zu handeln. Wir wollen dann subjektiv ethisch etwas objektiv Ethisches, oder ein Wille, der autonom die Autonomie will, ist zweifach sittlich, d. h. er ist einmal sittlich motiviert, er will aus Pflicht, und das, was er will, ist selbst das Sittliche, die Freiheit verwirklicht im pflichtbewußten Willen. Wenn dessen Realisierung gelingt, so können wir sogar von ethischen Erfolgen sprechen. Das hebt den Gegensatz von Erfolgs- und Gesinnungsethik nicht auf, denn der ethische Erfolg ist in diesem Fall ja die Realisierung der ethischen Gesinnung. Wir halten also, indem wir zum Begriff des ethischen Gutes fortschreiten und so den Durchbruch ins Objektive vollziehen, an unserem Begriff des Ethischen, der nur auf den Willen des Subjekts anwendbar ist, streng fest.

Daß die Scheidung in Gesinnung und Erfolg, in subjektives Verhalten und objektives Gut auch innerhalb des Ethischen notwendig ist, wird am deutlichsten, wenn ich z. B. bei der Erziehung es als Pflicht empfinde, den Willen eines  andern  Menschen pflichtbewußt zu machen. Falls dies gelingt, hat mein ethischer Wille einen ethischen Erfolg, der auch real von ihm verschieden ist. Freilich gibt diese Formulierung dem Prinzip einen einseitig altruistischen Charakter und nimmt auch sonst noch einges vorweg, was wir von unseren Begriffen fern halten müssen. Trotzdem haben wir sie erwähnt, weil sie am geeignetsten ist, die Doppelheit im Ethischen klar zu stellen. Ihre Verallgemeinerung kann keine Schwierigkeiten bereiten. Wir brauchen beim Beispiel der Erziehung nur zugleich an Selbsterziehung zu denken. Dann fällt das altruistische Moment fort. Wir können also sagen: in doppelter Hinsicht ethisch ist jede Willenshandlung, deren Erfolg ein ethischer Wille ist, und das ist auch insofern wichtig, als es nichts gibt, was so unbedingt  Pflicht  sein muß wie die Realisierung des ethischen Gutes. In allen anderen Fällen kann man vielleicht zweifeln, was gesollt ist. Tritt dagegen der sittliche Wille selbst als Ziel auf, dann ist jeder Zweifel an der ethischen Notwendigkeit seiner Verwirklichung ausgeschlossen. So gewinnen wir den Begriff des ethischen Gutes, ohne etwas Neues, erst besonders zu Begründendes zu den bisher entwickelten Begriffen hinzu zu nehmen, und wir konnten dies, weil mit der Beziehung des Wertes auf den Willen die Tendenz zur Realisierung notwendig verknüpft ist.

Was dieser letzte Schritt bedeutet, wird noch klarer werden, wenn wir daran denken, daß jeder ethische Wille, soweit wir ihn kennen, an einen Menschen gebunden ist, und daß wir diesen ethisch umso höher werten, je mehr sich sittliches Wollen und Handeln bei ihm nicht nur vereinzelt findet, sondern seinen ganzen Charakter beherrscht, so daß der pflichtbewußte Wille sich stets geltend macht, wenn es not tut. Wir können dann auch sagen: das höchst ethische Gut oder die denkbar vollkommenste Realisierung des Ethischen finden wir in einer vom Pflichtbewußtsein beherrschten, freien, autonomen  Persönlichkeit Dieser Begriff wird uns noch einmal am Schluß beschäftigen. Für unsere Zwecke reicht er zunächst in seiner einfachsten Gestalt aus aus der eine Menschen, der in der Regel seine Pflicht tut und so in seiner Totalität autonom genannt werden kann. Die Persönlichkeit muß in diesem Sinne zum Zentral gut  der Ethik als einer besonderen philosophischen Disziplin gemacht werden, wie der Satz mit seinem wahren Sinn das Zentralgut der Logik, das Kunstwert mit seiner Schönheit das Zentralgut der Ästhetik ist. Der Unterschied von theoretischer Objektivität und ethischer Subjektivität, von dem wir ausgingen, bleibt trotzdem streng gewahrt.


V.
Sachliche Kontemplation
und persönliche Aktivität

Wir müssen ihn sogar noch einmal betonen, denn er hängt mit Gegensätzen zusammen, die für die ganze Philosophie und ihre Einteilung maßgebend sind, und es wird gut sein, dies ausdrücklich zu zeigen, damit die prinzipielle Seite unserer Bestimmungen noch mehr hervortritt. Alle objektiven Güter, an denen Werte haften, lassen sich in  Sachen  und  Personen  einteilen, und das subjektive Verhalten zu ihnen kann, wenn ihm überhaupt ein Sinn mit Rücksicht auf Werte innewohnen soll, nur entweder  Kontemplation  oder  Aktivität  sein. Nun haben wir gesehen, daß der ethische Wert nicht an einer Sache, sondern an einer Person haftet, und ebenso ist klar, daß das ethische Verhalten nicht Kontemplation sondern Aktivität bedeutet. Das wollen wir noch etwas weiter verfolgen, um die Unterschiede der beiden Wertgebiete in größere Zusammenhänge zu bringen und sie aus ihnen heraus zu verstehen.

Achten wir zunächst auf den Gegensatz von  Sache  und  Person,  so begreifen wir, warum sachliche Güter, wie wahre Sätze und schöne Kunstwerke, stets real vom Verhalten getrennt sind, das das theoretische und das ästhetische Subjekt zu ihnen hat. Nur dadurch wird das Gut zur "Sache", daß es dem Subjekt als Objekt gegenübersteht, und damit ergibt sich das Auseinanderfallen in ein Objekt mit transzendentem und ein Subjekt mit immanentem Sinn als eine dem ganzen Gebiet des Sachlichen gemeinsame Notwendigkeit. Ebenso ist klar, warum das Subjekt hier als Person nicht in Betracht kommt, obwohl auch in der sachlichen Sphäre es faktisch immer eine Person ist. Es darf logisch und ästhetisch als Person nicht verselbständigt werden, sondern hat nur als bloßes Subjekt zu gelten. Der immanente Sinn seines Verhaltens besteht ja auf diesem Gebiet allein darin, daß es sich der Sache oder dem transzendenten Sinn hingibt, also als Person verschwindet. Umgekehrt muß auf ethischem Wertgebiet, wenn wir dort überhaupt von einer Sache reden wollen, diese ihren Wert von der Person her empfangen. Das Gut, an dem der Sinn haftet, kann daher real nicht als Objekt vom Subjekt getrennt werden, und die Person ist ferner hier niemals als bloßes Subjekt zu betrachten. Da nur von ihr aus der Wert nach der Sache hinstrahlt, würde mit der Zerstörung des persönlichen Sinns auf diesem Gebiet jeder Sinn überhaupt zerstört sein. So sehen wir vollends deutlich, in wie verschiedenen Sphären die theoretischen und die ethischen Werte liegen. Für die gesamte Wertphilosophie kann es einen prinzipielleren Gegensatz als den von persönlichen und sachlichen Gütern nicht geben.

Ein Beispiel wird seine Bedeutung für die Behandlung von einzelnen Problemen noch mehr hervortreten lassen. Nah verwandte Wertbegriffe, die leicht miteinander verwechselt werden, scheiden wir sicher, wenn wir sie ausdrücklich das eine Mal auf die Sache, das andere Mal auf die Person beziehen. Man sagt, daß jeder nur Wahres reden soll, und in dieser Form wird das vielleicht niemand bestreiten. Aber es macht doch einen wesentlichen Unterschied, ob man dabei den logischen, sachlichen oder einen ethischen, persönlichen Wert im Auge hat. Auf sachlichem Gebiet hat jeder gewiß nur wahre Urteile zu fällen, da an aihnen allein der logische Wert haftet. Die theoretische Persönlichkeit darf also nur die Pflicht kennen, sich als Subjekt mit ihren Urteilen in den Dienst der Wahrheitsverwirklichung zu stellen und Güter hervorzubringen, die nichts als wahr sind. Ihr Wert hängt daher auch ganz von den Erfolgen ab, die sie in dieser Hinsicht erzielt, d. h. ihre Bedeutung, die sie als theoretisches Subjekt hat, beruth ausschließlich darauf, ob die von ihr getrennten sachlichen Güter, die sie hervorbringt, den Wahrheitswert tragen oder nicht. Sorgfältig hiervon zu scheiden ist jedoch die ethische Pflicht der Wahrhaftigkeit als persönlicher Wert. Zunächst kommt es hier selbstverständlich nicht darauf an, ob der Mensch wirklich nur das sagt, was theoretisch wahr ist, sondern allein darauf, ob er das glaubt, was er spricht, oder es subjektiv für wahr hält, und seine Handlungen, d. h. in diesem Fall seine Aussagen, werden in ihrem ethischen Wert nicht berührt, wenn sie die theoretische Wahrheit verfehlen. Aber das ist noch nicht alles. Haben wir uns einmal vom theoretischen auf das ethische, also vom sachlichen auf das persönliche Gebiet begeben, so steht es nicht mehr von vornherein fest, daß wir in jedem Fall die Pflicht haben, nur das zu sagen, was wir für wahr halten. Mit Hilfe des theoretischen Wahrheitswertes kann das jedenfalls nicht begründet werden, und es ist daher ganz ungerechtfertigt,  den  unter allen Umständen unsittlich zu nennen, der etwas sagt, wovon er weiß, daß es falsch ist. Es darf beim sittlichen Handeln niemals auf den sachlichen theoretischen Wert des Erfolgs, sondern allein auf die persönliche Gesinnung und ihren Wert ankommen. Wo man  jede  bewußte Unwahrheit unsittlich nennt, hat man sachliche theoretische und persönliche ethische Werte in bedenklicher Weise miteinander verwechselt. Gewiß wird man vielleicht zeigen können, daß der Mensch im Allgemeinen nicht ohne Not die Unwahrheit sprechen soll. Aber erstens läßt sich eine solche Begründung niemals mit Hilfe des sachlichen theoretischen Wahrheitswertes geben, und ferner kann es unter Umständen sehr wohl vorkommen, daß gerade ein gewissenhafter Mensch sich zur Unwahrheit ethisch genötigt sieht, nämlich wenn er sich damit in den Dienst eines Gutes stellt, das zu realisieren, er für seine Pflicht hält, und daß er dann unsittlich handelt, wenn er trotzdem die Wahrheit spricht. Jedenfalls: etwas sagen, was theoretisch unwahr ist, und lügen in sittlich verwerflichem Sinn fällt in keiner Weise zusammen. Ein sachliches Gut, wie ein wahrer Satz,  kann  die sittliche Persönlichkeit nicht bessern, ein sachliches Übel, wie ein unwahrer Satz, sie nicht entwerten, während umgekehrt eine sittliche Persönlichkeit unter Umständen sehr wohl in der Lage ist, ein theoretisches Übel, wie ein Unwahrheit, zum Gut zu machen, ja eine unsittliche Persönlichkeit eventuell ein theoretisches Gut in ein Übel zu verwandeln mag.

Doch kommt es hier nicht darauf an, das Verhältnis von sachlicher theoretischer Wahrheit und persönlicher sittlicher Wahrhaftigkeit in jeder Hinsicht zu klären. Wir haben dieses viel umstrittene Beispiel nur herangezogen, weil sich an ihm besonders gut zeigen läßt,  wie  weit theoretische und ethische Werte auseinanderliegen, und wie dies leicht daraus zu verstehen ist, daß das eine Mal die Person, das andere Mal die Sache das Gut bildet, das als Träger des Sinngebildes in Betracht kommt.

Ebenso werden die Unterschiede zwischen den beiden Wertgebieten verständlich, wenn wir von einem Gegensatz der  Aktivität  zur  Kontemplation  ausgehen. Die Kontemplation ist nur dann sinnvoll, wenn das kontemplative Subjekt sich einem von ihm getrennten Objekt gegenüber befindet, auf welches es sich als seinen "Gegenstand" richtet, und von dem her sein Verhalten eine sachliche Bedeutung bekommt. So gehört es zum Wesen der Kontemplation, daß sie ein Objekt vom Subjekt  ablöst.  Der Absatn zwischen beiden kann auch aus diesem Grund auf dem logischen und auf dem ästhetischen Gebiet niemals verschwinden, und das mystische oder "intuitive" Verhalten des Subjekts, das mit seinem Gegenstand zusammenfallen möchte, bleibt daher, wenn es Kontemplation sein soll, seiner sachlichen, unpersönlichen Bedeutung nach völlig problematisch. Es gibt keine sinnvolle Kontemplation ohne einen von ihr unabhängigen Gegenstand. Jedenfalls macht die theoretische oder wissenschaftliche Kontemplation alles, worauf sie sich richtet, zu einem vom Subjekt getrennten Objekt. Auch die Persönlichkeit muß sie sich als Sache entgegenstellen, und nie kann das theoretische Subjekt mit dem Gut, an dem das transzendente Sinngebilde haftet, sich in Eins setzen  wollen.  Ebenso haben wir zu einem Kunstwerk dann allein ein ästhetisches Verhältnis, wenn es etwas anderes ist als wir selbst. Sobald wir anfangen, uns mit dem künstlerisch dargestellten Gegenstand zu identifizieren, zerstören wir damit den ästhetischen Sinn, der an ihm haftet, so "reizvoll" Vielen auch dieses höchst unkünstlerische Verhalten erscheinen mag.

Umgekehrt besteht das Wesen der Aktivität gerade darin, daß sie eingreift in das, was ihr gegenübersteht, oder daß sie das, was ihr Sinn geben soll, zu sich heran, ja in sich hinein zu ziehen sucht und nicht eher ruht, bis nicht jeder Abstand zwischen Objekt und Subjekt vernichtet ist. Eine Handlung ist nur insofern "Handlung", als sie jeden Gegen- und Widerstand überwindet und dann in einem Strom dahinfließt, in dem es kein Außen und kein Innen, kein Gespalten- und kein Gebrochensein zwischen dem Einen und dem Andern mehr gibt, wie es in jeder sinnvollen Kontemplation zu finden sein muß. Freilich,  vor  dem sittlichen Entschluß steht das Gebot dem Willen als etwas Fremdes gegenüber, aber so lange das währt, gibt es auch noch keine Autonomie. Der Wille duldet, wenn er ein sittlicher Wille ist, nicht, daß das Sollen von ihm getrennt bleibt, sondern indem er das Gebot will, das dem Handeln Sinn gibt, nimmt er es ganz in sich auf, um mit ihm zu verschmelzen. Erst mit der Lösung der Spannung setzt daher das Wollen ein, das in Wahrheit Aktivität ist, und es dauert dann so lange an, bis neue Gebote als Gegenstände auftauchen und von Neuem überwunden werden. So schäumt der Strom des Wollens am Widerstand des Sollens nur auf, um es in sich hinein- und mit sich fortzureißen. Freilich pflegt das Leben dafür zu sorgen, daß es an Widerständen nie dauernd fehlt, und daß insofern die Spannung nie endgültig gelöst wird. Ja, der aktive ethische Mensch wird es nicht anders haben wollen. Trotzdem besteht die einzelne ethische Handlung in der Überwindung des Sollens durch seine Aufnahme in den Willen, und so verstehen wir auch vom Begriff der Aktivität aus, daß der sittliche Wert nicht an einem vom sittlichen Verhalten getrennten Gut, sondern nur am sittlichen Verhalten selbst haftet. Subjekt und Objekt lassen sich hier nur dann real scheiden, wenn man das eine sittliche Subjekt dem anderen gegenüberstellt. Einen festen, unüberwindlichen Gegenstand von der Art, wie die Kontemplation ihn braucht, um sinnvolle, "objektive" Kontemplation zu sein, kann die ethisch sinnvolle Aktivität nie haben wollen, so sehr sie auch erst  an  den Widerständen, nicht in einem glatten, in sich vollendeten Dahinfließen ihr eigentliches Wesen zu entfalten vermag.

Kurz, es läßt sich sowohl vom Wesen der Sache aus verstehen, daß das sinnvolle Verhalten zu ihr kontemplativ sein muß, als auch aus dem Wesen der Kontemplation zu begreifen ist, daß sie sich auf eine Sache richtet, die dem subjektiven Verhalten entgegensteht. Und umgekehrt kann man sowohl vom Wesen der Persönlichkeit aus einsehen, daß ihr sinnvolles Verhalten Aktivität ist, als sich auch aus dem Wesen der Aktivität begreifen läßt, daß ihre Werte nur in Persönlichkeiten realisierbar sind. Damit haben wir die Besonderheiten der ethischen und der theoretischen Werte in einen größeren Zusammenhang eingeordnet und mit dem Gegensatz der persönlichen Aktivität zur sachlichen Kontemplation in eine notwendige Verbindung gebracht.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Über logische und ethische Geltung, Kant-Studien, Bd. 19, Berlin 1914