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WILHELM SCHUPPE
Was sind Ideen?
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"Das berühmte  Ding ansich  hat seine Verurteilung nicht darin, daß es, unseren Wahrnehmungen zugrunde liegend, - (wenn nur der Begriff dieses  zugrunde Liegens aufgeklärt wäre!) - selbst für uns absolut nicht wahrnehmbar ist, sondern darin daß es seinem Begriff nach überhaupt gar nicht Inhalt eines Bewußtseins und gegebenes Material für ein Denken sein können soll, also seinem Begriff nach das Undenkbare ist."

Erste Hälfte

"Nur eine Idee" gilt bekanntlich in der Umgangssprache für das Wenigste, was sich denken läßt, beinahe gleich nichts. Aber auch wenn wir von der Gedankenlosigkeit des gemeinen Sprachgebrauchs absehen, so werden "bloße Ideen" von vielen im Gegensatz zum Wirklichen als das Richtige par excellence angesehen, während andere in ihnen die weltbewegenden Mächte und das im eigentlichen und höchsten Sinne Reale verehren. Der Sprachgebrauch schwankt; man spricht von den Ideen Gottes, der Freiheit und Unsterblichkeit, von den Ideen des Wahren, Guten und Schönen, von der Idee des Rechtes und des Staates, von der Idee der Vollkommenheit, der Idee der Strafe, von den Ideen, welche das künstlerische Schaffen leiten, von ideenreichen Köpfen und von Idealen jeder Art von Dingen und Eigenschaften und - wovon es ein Ideal gibt, davon muß es auch eine Idee geben. Wir fragen nicht: wie viele und welche Ideen gibt es und welcher Wert ist ihnen beizumessen, sondern: was sind Ideen? Es muß einen Begriff der Idee geben und diesen höchst unklaren Begriff haben wir klar zu machen. Ein soviel verwendetes Wort muß einen Sinn haben oder es muß sich der Unsinn desselben klar demonstrieren lassen. Die Ideen sollen existieren; wir haben also zu fragen: welcher Art ist ihre Existenz? Freilich bedürfen wir hierzu einer wichtigen Voraussetzung, der nämlich, daß wir aus einem unbezweifelbaren Prinzip alle überhaupt möglichen Arten von Existenz überblicken können.

Entweder bleiben wir in Ewigkeit darauf angewiesen, im Wirrsal philosophischer Gedankenfäden und Einfälle je nach angeborenen und anerzogenen Neigungen und Vorurteilen auf gut Glück einen Punkt herauszugreifen, um von ihm aus weitere Folgerungen zu gewinnen, wobei unentschieden bleibt, nicht nur mit welchem Recht jeder seine verschwiegenen Voraussetzungen macht, sondern auch, was er alles vorausgesetzt hat und somit auch ob seine scheinbar bewiesenen Folgerungen nicht eigentlich schon am Charakter der verschwiegenen Voraussetzung partizipieren oder wir können einen Ausgangspunkt gewinnen, der sich wirklich durch sich selbst rechtfertigt und keine weiteren Voraussetzungen einschließt. Ist ein solcher absolut sicherer Punkt gefunden, so versteht sich von selbst, daß alles was sonst noch existieren soll, von ihm aus gefunden werden muß. Das heißt Erkenntnistheorie zum Fundament alles Philosophierens machen und in der Erkenntnistheoretischen Logik, welche wesentlich Analyse dieses absolut sicheren Ausgangspunkts ist, Begriff und Maßstab für alle Existenz finden. Jene absolut sichere Existenz ist das Bewußtsein. Von hier aus wird zu entscheiden sein, welcher Art die Existenz der Ideen ist, welcher Art auch die Hirngespinste sind. Wir wollen wissen, ob die Existenz der Ideen die von Hirngespinsten ist oder eine andere. Was mit zwingender Konsequenz aus jener Existenz hervorgeht oder in ihr enthalten ist, ist so sicher, wie sie selbst, aber innerhalb dieses Rahmens lassen sich Unterschiede erkennen. Ganz sicher ist unser Denken, aber das Denken, dessen wir uns bewußt werden, erweist sich als Denken eines gegebenen Materials oder Objekts. Die Beziehungen, welche es in den Empfindungsinhalten stiftet, gelten von diesen als ihre Bestimmungen und die Welt von Dingen und Ereignissen, Eigenschaften und Tätigkeiten setzt sich aus diesen beiden Faktoren zusammen. Denken ohne Data als sein Objekt ist ein reines Abstraktum. Die Sinnesempfindungen und die Denkgesetze, welche als notwendige an den Begriff des Bewußtseins überhaupt geknüpft werden können, sind eben deshalb objektiv gültig und bilden die konkrete Wirklichkeit im Gegensatz zu Sinnestäuschung und Irrtum. Ferner, im konkret Wirklichen finden sich die Züge der Art und Gattung. Der Verstand vermag, was er im Konkreten unterscheidet, auch für sich allein zu denken, in welchem Fall es natürlich nicht mehr die Existenz des Konkreten hat; es ist nur Abstraktion und existiert als solche nur im Kopf des Denkenden, aber doch mit dem Anspruch etwas Wirkliches zu bedeuten. Auch die reproduzierte Vorstellung endlich, auch das willkürliche Phantasieprodukt, auch aller Irrtum existiert, aber als subjektiver Vorgang im Einzelnen; aber nur die erstere enthält - Treue der Reproduktion vorausgesetzt - einen Hinweis auf objektiv Wirkliches, die letzteren sind nichts als subjektive Gebilde, innerseelische Erlebnisse; aber wenn ihnen auch keine objektive Wirklichkeit zukommt, so sind doch auch sie nicht möglich ohne Objekt, welches dem gegebenen Material entnommen ist. Es ist kein geringer Gewinn, wenn diese Grundlage feststeht: was existiert, hat eine von den genannten Arten von Existenz. Welche Existenzart haben die Ideen? Was das Denken von Gegebenem produziert, sind Begriffe, Begriffe von Dingen und Ereignissen, Eigenschaften und Tätigkeiten und ihren Arten und Gattungen. Begriffe sind ein Werk des Verstandes. Die Ideen sollen einem höheren Erkenntnisvermögen, dem der Vernunft angehören. Aber was ist Vernunft? was Erkenntnis? Wie kann es neben dem Denken des Verstandes noch ein anderes geben? oder gibt es ein Erkennen ohne Denken? Wenn die Vernunft nicht durch ihre charakteristische Funktion erklärt werden kann, so ist der umgekehrte Weg, die zweifelhafte Natur und Existenz der Ideen durch Hinweis auf die Vernunft als ihren nicht minder erklärungsbedürftigen Produzenten gewiß nicht betretbar.

Vorausgesetzt ist: Das Eigentümliche der Ideen ist das, daß sie nicht wie die Begriffe des Verstandes an und aus einem gegebenen Material verarbeitet sind, daß ihnen also nirgend in der erfahrbaren Wirklichkeit etwas entspricht. Vorausgesetzt ist ferner: es gibt nicht zwei Arten des Denkens, sondern nur das eine, welches als die Funktion des Verstandes bezeichnet worden ist und dieses Denken kann nichts aus sich allein schaffen, sondern bedarf eine gegebenen Objekts; was es aus sich allein zu leisten vermag, sind leere Hülsen, Begriffe ohne Inhalt und wer ihnen die Existenz des Konkreten leiht, treibt Begriffsfälschung. Demnach sind die Ideen nichts objektiv Wirkliches, sie sind Hirngespinste.

Aber dem gegenüber steht die Behauptung, daß diese dem reinen Denken entstammenden Gebilde aus dem Wesen desselben mit absoluter Notwendigkeit hervorgehen und daß ihre Annahme die unentbehrliche Voraussetzung aller Verstandestätigkeit sei. Und da haben wir zuerst die Konsequenz unserer erkenntnistheoretischen Grundlage zur Geltung zu bringen. Sie sagt: entweder ist die zuletzt behauptete Notwendigkeit aus dem Wesen unseres Denkens einschränkungslos anzuerkennen und ist objektiv gültige Erkenntnis und dann wäre die zweite der obigen Voraussetzungen falsch oder diese angebliche Notwendigkeit muß eine Täuschung sein, welche sich nachweisen läßt. Demnach kann von einer nur eingeschränkten Geltung der Ideen, etwa als bloß subjektiver Maximen, als bloßer Regulatoren des Verstandesgebrauches keine Rede sein.

Diese kantische Einschränkung ist nur dann zu verstehen, wenn wir zugleich in Betracht ziehen, daß es ihm möglich war, das Bewußtsein als solches zwar erkenntnistheoretisch zum Fundament zu machen, aber die ontologischen Konsequenzen aus dieser Fundamentierung abzulehnen. Wie er dazu gekommen ist, bleibe hier ununtersucht, jedenfalls ist die vorsichtige Mittelstellung unhaltbar. Vor allem ist gar nicht zu begreifen, was denn, im Gegensatz zur objektiven Gültigkeit, ein nur subjektives Recht bedeuten könne. Und jedenfalls wäre die Funktion eines Regulators für den Verstandesgebrauch mit solcher Subjektivität nicht vereinbar. Der Verstandesgebrauch besteht in Urteilen; auch die Schlüsse sind ja Urteile. Welche andere Macht sollte hier regulierend und dirigierend einwirken können als wiederum Urteile? Wenn die einwirkende Macht nicht etwa als Störung oder Alteration des Verstandesgebrauchs durch Gefühl und Willen, durch Ermüdung, Aufregung und dgl. gedacht wird, so können nur Urteile auf Urteile, Erkenntnisse auf Erkenntnisse einwirken. Die regulierende Erkenntnis kann so wenig, wie irgendeine andere, objekt- oder gegenstandslos sein. Ihr Gegenstand wird also, wenn sie regulierend und dirigierend für allen einzelnen Verstandesgebrauch sein soll, nur die Allgemeinvorstellung aller möglichen Denkobjekte sein können. Aber dann muß diese  regula,  durch welche alle spezielle Verstandestätigkeit reguliert wird, so wahr und objektiv gültig sein, wie jede Spezialerkenntnis, welch durch die kategoriale Funktion im einzelnen Fall zustande kommt. Ist jene nicht objektiv gültig, so könne es auch diese nicht sein; sind es diese, so muß es auch jene sein. Eine solche Einschränkung ist also unmöglich. Die Kategorien oder die sogenannten Denkprinzipien, das der Identität und das der Kausalität, lassen sich als solche Erkenntnisse, welche von allem Seienden gelten, bloß deshalb weil es ist, formulieren. Wir stehen also wiederum vor der Frage: Kann es ein Gedankenprodukt geben, welches mit absoluter Notwendigkeit dem Wesen des Denkens entstammend und unentbehrliche Voraussetzung für allen Verstandesgebrauch, nicht, wie die Kategorien, sich als Bestimmung an einem gegebenen Material darstellt, von dem es ausgesagt wird, sondern einen solchen Träger der Denkbestimmungen oder mit anderen Worten ein Denkobjekt aus sich selbst setzte? Jene Notwendigkeit ist gleichbedeutend mit Wahrheit und doch haben wir aus eben demselben erkenntnistheoretischen Fundament die Unmöglichkeit erkannt, daß eine Erkenntnis ohne gegebenes Objekt zustande komme - ein Widerspruch.

Es wird darauf ankommen, wie diese letztere Bestimmung, d. i. die Abwesenheit gegebenen Materials, gedacht wird. Wir werden Gedanken finden, welche sich mit unwiderstehlicher Macht aufdrängen und doch in einem ganz bestimmten unten sogleich zu erklärenden Sinne allerdings nicht Bearbeitung gegebenen Materials sind und deshalb als "Ideen" von den Begriffen unterschieden werden mögen. Von ihnen später. Wohl aber werden unter den Ideen auch solche angeführt, welche entweder der behaupteten Notwendigkeit faktisch entbehren oder aber nicht des gegebenen Materials. Im ersteren Fall haben sie gar kein Recht, im letzteren sind sie Begriffe, nicht Ideen. Möchten sich die Ideen von Gott und Unsterblichkeit immerhin mit jener unwiderstehlichen Notwendigkeit aufdrängen, sie wären doch nicht im eigentlichen Sinn Ideen, weil sie ein Etwas als Träger der Denkbestimmung setzen, welches vom Denken selbst wohl unterscheidbar ist und auch aus ihm allein auf keine Weise herausanalysiert werden kann. Es sind wirkliche Existenzen, die da behauptet werden. Daß sie gegenwärtig von niemandem gesehen und getastet werden, ist gar kein Einwand. Denn wenn es hierauf ankäme, so wären ja alle unsere Schlüsse auf die Zukunft, bzw. auf Dinge, welche kein Mensch je gesehen und getastet hat und niemals sehen und tasten wird, z. B. auf das Innere der Erde und dgl. hinfällig. Wenn wir nicht in die Zukunft schließen könnten, so gäbe es keine Erkenntnis von Gesetzen, sondern nur Summen von bisher erlebten Wahrnehmungen, also überhaupt keine Erkenntnis. Freilich versprechen unsere Naturgesetze Wahrnehmungen in der Zukunft, so wie wir sie aus der Vergangenheit und Gegenwart kennen. Aber auch darauf kommt es nicht an, daß das gesetzte Objekt wirklich dem Kreis der bekannten Wahrnehmungen entnommen ist, sondern nur darauf, daß es überhaupt nur als eventuell wahrnehmbar gedacht wird. Nehmen wir doch zur Erklärung der Instinkte der Tiere Organgefühle an, welche wir eben nur so weit kennen, als der Allgemeinbegriff  Organgefühl  uns bekannt ist, im Speziellen aber nicht ahnen können und wir können uns sehr wohl denken, daß die antediluvianischen [vorsintflutlichen - wp] Tiere Geschmacks- und Geruchsempfindungen gehabt haben, von welchen wir nichts wissen und die nie mehr vorkommen werden. So ist auch der Gedanken von Organisationen, welche von den uns bekannten so abweichen, daß wir uns auch von ihren Sinnesempfindungen gar keine Vorstellung machen können, ansich zulässig. Wie bei den eben erwähnten Organgefühlen der Tiere doch etwas, aber nur das was der Titel im Allgemeinen besagt, uns aus unserer Erfahrung bekannt ist, so wäre auch im letzteren Fall doch noch etwas, freilich etwas noch Allgemeineres uns aus unserer Erfahrung bekannt, eben nur dasjenige, was den Allgemeinbegriff  Sinnesempfindung  ausmacht. Und so könnten wir uns am Ende auch mit einem noch allgemeineren Moment begnügen, dem des Bewußtseinsinhaltes. Wir dürfen für uns völlig Unwahrnehmbares, aus unserer Erfahrung absolut Unbkanntes fingieren, wenn es nur wenigstens noch von der Seite bekannt ist, daß es Inhalt eines Bewußtseins, einem Denken so gegenständlich ist, wie dem unsrigen seine Objekte und von der Denktätigkeit selbst so verschieden ist, wie die bekannten Objekte unseres Denkens von diesem. Es kommt nur darauf an, ob und welche Gründe für die Annahme eines solchen in seiner besonderen Art uns völlig unbekannten Bewußtseinsinhaltes sprechen. Über das, was uns künftig, was späteren Generationen, was überhaupt einem denkenden Bewußtsein zu empfinden oder als sein Objekt gegenständlich zu haben möglich ist, bzw. sein wird, kann es verschiedene Ansichten geben; sie gehen uns hier nichts an. Auch das berühmte "Ding ansich" hat seine Verurteilung nicht darin, daß es, unseren Wahrnehmungen zugrunde liegend, - (wenn nur der Begriff dieses "zugrunde Liegens" aufgeklärt wäre!) - selbst für uns absolut nicht wahrnehmbar ist, sondern darin daß es seinem Begriff nach überhaupt gar nicht Inhalt eines Bewußtseins und gegebenes Material für ein Denken sein können soll, also seinem Begriff nach das Undenkbare ist. Das ist der Ungedanke, daß, was auch immer einem Bewußtsein als Inhalt und als Objekt des Denkens gegeben sein mag, dieses eben schon bloß  deshalb  niemals Wirkliches, sondern nur Erscheinung sein könne, der ein Etwas "zugrunde liegen" müsse, welches selbst in kein Bewußtsein als sein Inhalt und Objekt des Denkens eingehen könne.

Die Annahmen Gottes und eines Lebens nach dem Leibestod sind nun gar nicht dieser Art. Denn wenn auch zugestandenermaßen nichts davon Gegenstand unserer Sinneswahrnehmung ist, so werden doch beide durchaus nach Analogie des gegenwärtig Erfahrbaren gedacht und auch wer diese Analogien als bloß anthropomorphischen Notbehelf ansieht, hält Gott durchaus nicht im strengen Sinn für absolut unwahrnehmbar, sondern meint, daß er im jenseitigen Leben gewiß irgendwie geschaut oder, wenn auch dieser Ausdruck unzulässig sein sollte, irgendwie Gegenstand und Inhalt unseres Bewußtseins sein werde. Und erst recht natürlich Lohn und Strafe im jenseitigen Leben. Wer davon überzeugt ist, kann dem Gegner mit Recht antworten: "Nun, du wirst es ja bald erfahren." Es kommt nur auf den Beweis des Rechts dieser Annahmen, d. h. ihrer Unvermeidlichkeit an. Das Verbot eines transzendenten Gebrauchs der Kategorien richtet sich nur gegen diesen Beweis, sofern er aus den Kategorien (der Kausalität, bwz. Notwendigkeit) geführt werden soll, ohne daß diesen ein Material zur Verknüpfung gegeben wäre, sofern also behufs ihrer Anwendbarkeit ein Material nach Analogie des wirklich Gegebenen erst  angenommen  werden soll. Denken wir, daß irgendwo anders her ein Beweis für die Unentbehrlichkeit dieser Annahmen geführt würde, so wären diese Existenzen so erschlossen, wie alle anderen zur Zeit nicht wahrnehmbaren Dinge, deren Existenz jedoch verstandesmäßig bewiesen werden kann; sie ständen also in derselben Linie, wie alle Begriffe von Dingen und Ereignissen, den wahrnehmbaren sowohl wie den aus irgendeinem Grund für uns jetzt oder immer unwahrnehmbaren. Sie sind also jedenfalls nicht Ideen. (1)

Ich weiß, daß diese Darlegung die Neigung von "der Gottesidee" zu sprechen nicht beseitigen wird. Es liegt an der Unklarheit des Begriffs "Idee". Man hält gemeinhin gerade das am meisten fest, daß eine verstandesmäßige Erkenntnis die Bearbeitung eines gegebenen Materials ist, daß diese, aber auch nur diese beweisbar ist und wo gegebenes Material zu fehlen und doch eine Erkenntnis vorhanden zu sein scheint, wird sie eben deshalb nicht dem Verstand, der immer die Pflicht zu beweisen hat, sondern der Vernunft zugeschrieben und scheint eben dadurch den Anforderungen an Beweisbarkeit entzogen und somit gesichert. Weil direkt kein Gegenstand in der Erfahrung angetroffen wird, der dieser Idee entspräche, weil sie nicht wie die gewöhnlichen Begriffe von Dingen aus Beobachtungen abstrahiert ist und doch die Unabweisbarkeit derselben behauptet wird, scheint sie direkt aus der Tiefe der Seele aufzusteigen und durch diese Herkunft vor allen verstandespolizeilichen Vexationen [Quälereien - wp] gesichert. Zugunsten dieser Auffassung wird oft geflissentlich das Zugeständnis gemacht und besonders hervorgehoben, daß die Existenz des persönlichen außerweltlichen Gottes nicht beweisbar sei, damit seine Versetzung unter "die Ideen" und ihre soeben dargelegte Wirkung umso sicherer sei. Es wäre dies die richtige "angeborene" Idee. Man vergißt dabei nur, daß ein Unterschied ist in der behaupteten Abwesenheit bearbeitbaren Materials und ferner daß die angebliche Unabweisbarkeit bewiesen werden muß und im Falle der Unbeweisbarkeit eine psychologische Erklärung ihrer Entstehung zuläßt. Die Unabweisbarkeit der echten und eigentlichen Ideen werde ich unten sogleich beweisen, aus welchem Beweis zugleich evident hervorgehen wird, in welchem Sinn in der Tat ein gegebenes Material, aus welchem sie herausgearbeitet würden, fehlen kann und muß, während, wenn die Unabweisbarkeit der Gottesidee wirklich bewiesen würde, dieser Beweis, zugleich mit der Erzwingung ihrer Anerkennung, Gott aus dem Reich der Ideen in das der verstandesmäßig erschlossenen Dinge versetzt, von welchen es Begriffe gibt. Ob und wie vielleicht ein solcher Beweis gelingen könnte, liegt hier ganz außerhalb meiner Aufgabe; ich habe nur die Absicht, im rein logischen Interesse die Anwendbarkeit des Wortes "Idee" zu untersuchen.

Ganz anderen Sinn hat das Wort "Gottesidee" bei anderen. Sie suchen zu den vielen erheblich differierenden Vorstellungen von Gott das letzte eigentliche Verstandes- (und Gemüts-) Bedürfnis, dem sie genügen sollen. Dieses ist dann die Idee, welche den Gottesvorstellungen zugrunde liegt, deren spezielle Ausgestaltung von vielen ganz anderen Bedingungen abhängt. Von dieser Bedeutung des Wortes werden wir unten noch handeln.

Neben den Ideen Gottes und der Unsterblichkeit wird als gleicher Art mit ihnen auch die Idee der Freiheit genannt. Von ihr gilt im Wesentlichen dasselbe, wie von der vorigen. Der Kürze halber enthebe ich mich des speziellen Nachweises, um zum Hauptpunkt zu gelangen, den wirklichen Ideen. Wenn im einschränkungslosen Sinn Ideen nur solche Denkprodukte wären, welche wirklich gar kein Objekt hätten oder ein solches nur rein aus sich heraus zauberten, so gäbe es freilich keine Ideen. Aber wir werden sofort sehen, daß die sogenannten Ideen des Wahren, Guten und Schönen sich so erheblich von der gewöhnlichen Begriffsproduktion, bzw. den gewöhnlichen Schluß auf ein nur eventuell und bedingungsweise Wahrnehmbares unterscheiden und zwar in der Weise, daß das Wesentliche in ihnen nicht in der Eigentümlichkeit des etwa erschließbaren Objektes (wie bei den vorigen Ideen), sondern in der Art der Produktion selbst liegt, daß diese Gedanken, obwohl es allerdings auch einen Begriff von ihnen geben muß, doch mit Fug und Recht nicht zu den Begriffen im engeren Sinne gerechnet werden, sondern einen anderen Namen erhalten.
LITERATUR - Wilhelm Schuppe, Was sind Ideen?, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 82, Halle 1883
    Anmerkungen
    1) Vgl. des Verfassers "Das metaphysische Motiv und die Geschichte der Philosophie im Umriss", Breslau 1882. Wenn KANT in klarer Konsequenz seiner Lehre vom "Bewußtsein überhaupt" als "dem obersten Prinzip", die  objektive Gültigkeit  der Kategorien, welche doch nicht dem sinnlich gegebenen Material, sondern dem denkenden Bewußtsein entstammen, aus diesem deduziert, so hat er ein Prinzip anerkannt, welchem er a. a. O. und in der Ideenlehre widerspricht. Denn wenn das Wirkliche und das Objektive und objektiv Gültige nur die Sinnesdaten sein sollten, bzw. das, was die Empfindungen in uns hervorbringt, so müßte die apriorische Zutat der kategorialen Funktion zum bloß Subjektiven, nicht objektiv Gültigen gehören. Wenn aber gerade die objektive Gültigkeit derselben aus dem Wesen des Bewußtseins fließt, so ist prinzipiell alles, was aus diesem fließt, also ebenso wirklich anerkannt und es ist gar nicht abzusehen, was an den betreffenden Stellen der Ideenlehre das im Gegensatz zu den unerläßlichen auf "systematische Einheit" und "Vollkommenheit der Erkenntnis gehenden Forderungen des Bewußtseins mehrfach gebrauchte "wirklich" eigentlich heißen soll. (Kants Ges. Werke in chronolog. Reihenfolge von HARTENSTEIN, Bd. III, Seite 400, 434, 449, 457 u. a.) Es bezeichnet einen Rückfall in die dualistische Erkenntnistheorie, welcher auch die Deduktion der objektiven Gültigkeit der Kategorien wieder vernichtet. Der "systematischen Einheit" der Welt, welche Objekt unseres Erkenntnisstrebens ist und all demjenigen, was in diesem Sinne als "Vollkommenheit" unserer Erkenntnis bezeichnet wird, braucht so wenig etwas "Wirkliches" zu entsprechen und gegenüberzustehen, wie der kategorialen Funktion in jedem einzelnen Fall ihrer Tätigkeit und so viel Wirklichkeit letztere zu bezeichnen oder zu bedeuten in Anspruch nimmt, ebenso viel muß auch jener zugestanden werden. Wenn der Schluß, welcher die Annahme eines Gottes unvermeidlich machen soll, um einen mit sich einstimmigen Verstandesgebrauch zu ermöglichen, wirklich unwiderleglich ist, so ist dieser Gott so zwingend erwiesen, seine Existenz so feststehend, wie die Lehrsätze, welche sich auf die Raumanschauung und wie die Beweise, welche sich auf eine Anwendung der Kategorien gründen. Wenn auch das Bewußtsein überhaupt mit seiner Gesetzgebung für allen seinen Inhalt noch nicht das eigentlich "Wirkliche" ist, was manche Äußerungen über die Seele und die ganze Ding-ansich-Lehre zu sagen scheint, so ist nicht nur der Geltungsbereich der Ideen, als unabweisbarer Forderungen aus dem Bewußtsein, sondern ebenso der der Kategorien selbst diesem "Wirklichen" entrückt. Und wenn nur den Sinnesdaten Dinge ansich "zugrunde liegen" sollen, nicht aber auch den Kategorien, welche auf diese angewendet werden, so ist es auch ungerechtfertigt, daß den Ideen, welche aus demselben Wesen des Bewußtseins fließen, nur dann objektive Gültigkeit zukäme, wenn ihnen ein "Ansich" zugrunde läge oder gar irgendwie entspräche. Wenn aber etwa dem Schluß, der uns zu ihnen führen soll, die verbotene Anwendung der Kategorien auf das transzendente Gebiet zugrunde liegt und deshalb die objektive Geltung des Erschlossenen bezweifelt wird, so ist eben der Schluß als solcher falsch, nichts weniger als bindend und kann auch kein subjektives Recht der Ideen als Maximen und Regulatoren des Verstandesgebrauchs begründen. Wäre aber trotzdem der Schluß, daß erst diese Ideen einen mit sich einstimmigen Verstandesgebrauch ermöglichen, unabweisbar, - was eben zu beweisen ist - so wäre dieser Widerspruch ein noch zu lösendes Problem, bzw. eine deductio ad absurdum [absurder Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere - wp] der ganzen Theorie.