cr-4ra-1Anmerkungen zu HobbesHobbes Der Nominalist Hobbes    
 
THOMAS HOBBES
L e v i a t h a n

"Weil sich alle unsere Vorstellungen auf ehemalige Empfindungen gründen, so kann der Mensch keine Vorstellung von dem haben, was in jedem Fall kein Gegenstand der Sinne ist. Es kann sich der Mensch also nur von  dem  einen Begriff machen, was einen Ort einnimmt, eine bestimmte Größe hat und geteilt werden kann; nicht aber von dem, was sich zu ein und derselben Zeit sowohl ganz an dem einen Ort, wie auch an einem anderen Ort befindet, oder was als zwei oder mehrere Dinge zugleich an einerlei Ort sein kann. Dergleichen hat noch keiner empfunden, noch empfinden können, sondern es sind Sätze, die eigentlich nichts sagen, und aus Achtung gegen einige irregeführte Philosophen oder trügende Scholastiker angenommen werden."

Einleitung

Die Natur oder die unbegreiflich hohe Weisheit, welche Gott in der Hervorbringung und Erhaltung der Welt darlegt, ahmt die menschliche Kunst mit einem glücklichen Erfolg nach, daß sie unter anderen Werken auch ein solches liefern kann, welches allerdings ein künstliches Tier genannt werden muß. Denn da Leben doch nichts anderes ist, als eine solche Bewegung der Glieder, die sich innerlich auf irgendeinen vorzüglichen Teil im Körper gründet; warum sollte man nicht sagen können: daß alle Automaten, oder Maschinen, welche, wie z. B. die Uhren, durch Federn, oder durch ein innerlich angebrachtes Räderwerk in Bewegung gesetzt werden, gleichfalls ein künstliches Leben haben? Ist nicht das Herz als Springfeder anzusehen; sind nicht die Nerven ein Strickwerk, und der Gliederbau eine Menge von Rädern, die im ganzen Körper diejenigen Bewegungen hervorbringen, welche der Künstler beabsichtete? Ja, die Kunst schränkt sich nicht bloß auf die Nachahmung der eigentliche Tiere ein; auch das edelste darunter, den Menschen, bildet sie nach. Der große Leviathan (so nennen wir den Staat) ist ein Kunstwerk oder künstlicher Mensch, - obgleich an Umfang und Kraft weit größer als der natürliche Mensch, welcher dadurch geschützt und glücklich gemacht werden soll. Beim künstlichen Menschen ist derjenige, welcher die höchste Gewalt besitzt, gleichsam die Seele, welche den ganzen Körper belebt und in Bewegung setzt; die Obrigkeiten und Befehlshaber stellen die künstlichen Glieder vor; die von der höchsten Gewalt abhängenden Belohnungen und Bestrafungen, wodurch jeder einzelne zur Erfüllung seiner Obliegenheiten angehalten wird, vertreten die Stelle der Nerven; das Vermögen einzelner Personen ist hier die Kraft, so wie das Glück des ganzen Volks das allgemeine Geschäft; die Staatsmänner, von welchen die nötigen Kenntnisse erwartet werden, sind das Gedächtnis; Billigkeit und Recht eine künstliche Vernunft; Einigkeit ist gesunder, Aufruhr hingegen ein kranker Zustand, und Bürgerkrieg der Tod. Die Verträge endlich, welche die Teile dieses Staatskörpers verbinden, sind jenem bei der Erschaffung der Welt von Gott gebrauchten Machtworte gleich: Es werde, oder laßt uns Menschen machen.

Um diesen künstlicher Menschen näher zu beschreiben, muß betrachtet werden:
    1) der natürliche Mensch, der dessen Inhalt und Künstler zugleich ist.

    2) Wie und durch welche Verträge jener entstanden ist, welche Rechte, welche Gewalt und Macht er habe, und wem die höchste Gewalt zukomme.

    3) Was christlicher Staat sei.

    4) Was Reich der Finsternis genannt werden muß.
In Bezug auf das Erstere behaupten zwar Viele, man könne Weisheit nicht sowohl aus Büchern, als aus dem näheren Umgang mit dem Menschen selbst erlangen; und natürlich pflichten dieser Meinung diejenigen bei, die von ihrer Weisheit leider keinen anderen Beweis geben können, als daß sie mit vielem Selbstbehagen durch lieblose Urteile über ihre Mitmenschen sichtbar machen, wie wenig sie aus diesem Umgang gelernt haben. Es gibt aber eine andere bewährte Anweisung, die sie, wenn sie wollten, zu einer gründlicheren Kenntnis anderer Menschen führen könnte; und diese liegt in den Worten: Lerne dich selbst kennen. Die hierin enthaltene Lehre spricht dem übermütigen Stolz Höherer gegen Geringere, oder der ungesitteten Frechheit Geringerer gegen Höhere, ganz und gar nicht, wie einige wähnen, das Wort; sondern sie will so viel sagen wie: die Gesinnungen und Leidenschaften der Menschen, so verschieden sie auch immer sein mögen, haben dennoch eine so große Ähnlichkeit untereinander, daß, sobald Jeder über sich nachdenkt, und findet, wie und aus welchen Gründen, er selbst handelt, wenn er denkt, urteilt, schließt, hofft, fürchtet, usw., er auch eben dadurch aller anderen Menschen Gesinnungen und Leidenschaften, die aus ähnlichen Quellen entstehen, deutlich kennen lernt; - ähnliche Leidenschaften also, nicht aber ähnliche Gegenstände der Leidenschaften; denn diese sind, wegen der innerlichen Beschaffenheit und der Erziehung einzelner Menschen, so mannigfaltig und so versteckt, daß der wahre Zustand ihres Herzens, welcher durch Verstellung und Irrtümer einem unleserlichen und verworrenen schriftlichen Aufsatz ähnlich geworden ist, nur dem Herzenskündiger allein verständlich bleibt. Ob wir also gleich zuweilen aus den Handlungen der Menschen ihre wahren Gedanken zu erraten imstande sind; so ist dies doch sehr schwer, wenn wir, teils nicht dabei zugleich auf das achten, was in uns selbst vorgeht, teils nicht auf die verschiedenen Nebenumstände Rücksicht nehmen, welche eine Sache sehr zu verändern imstande sind. Kann wohl jemand einen fremden Aufsatz in unbekannten Ziffern lesen, wenn er den Schlüssel dazu nicht hat? Gerade so werden wir auch entweder aus Leichtgläubigkeit, oder aus übertriebenem Mißtrauen, je nachdem wir gut- oder schlechtdenkend sind, andere falsch beurteilen.

Auch der Hellsehendste kann nur seine vertrauten Freunde, deren es immer nur wenige gibt, recht kennen lernen. Wer hingegen eine ganze Nation leiten will, der muß aus sich selbst, nicht diesen und jenen Menschen, sondern das ganze Geschlecht kennen lernen. Freilich ist das schwer, schwerer als die Erlernung einer neuen Sprache, oder jeder anderen Wissenschaft; gelingt es mir aber, meine Gedanken hierüber gehörig und deutlich auseinanderzusetzen, so wird es anderen desto leichter werden: da sie nur bloß prüfen brauchen, ob das, was ich sage, ihren Gedanken entspreche. Denn auf keine andere Weise ist hierin eine überzeugende Erkenntnis möglich.



Erster Abschnitt
Sinne

Zuerst wollen wir die Gedanken der Menschen einzeln betrachten, und dann, in Verbindung unter sich, und wie sie auseinander entstehen. Denken wir uns irgendeine Eigenschaft oder sonst etwas an einem sichtbaren Körper, welches man gewöhnlich  Gegenstand  nennt, so ist das eine  Erscheinung  oder  Vorstellung Dieser Gegenstand, welcher auf die Werzeuge unserer Sinne, z. B. die Augen, Ohren usw. wirkt, bringt, nach Verschiedenheit seiner Wirkungsart, auch verschiedene Erscheinungen hervor.

Der Quell von dem allen heißt  Sinn.  Denn wir können uns nichts denken, wenn es nicht zuvor ganz oder zum Teil in einem unserer Sinne erzeugt war. Von diesen ersten Eindrücken aber hängen alle folgenden ab.

Wie es mit der eigentliche Art unseres Empfindens zugehe, darüber dürfen wir hier gerade keine tiefgehende Untersuchung anstellen, zumal da wir schon anderweitig davon geredet haben. (1) Doch wollen wir uns jetzt, so viel nötig ist, nochmals kurz hierüber auslassen.

Eine jede Empfindung setzt einen äußeren Körper oder Gegenstand voraus, der sich unserem jedesmaligen Sinn aufdrängt, entweder unmittelbar, wie beim Gefühl und Geschmack, oder mittelbar, wie beim Gesicht, Gehör und Geruch; und dieser Druck wirkt mittels der Nerven und Fasern so fort innerlich auf das Gehirn und von da auf das Herz. Hieraus entsteht vom Herzen aus ein Widerstand und Gegendruck (antitypia) oder ein Streben des Herzens, sich durch eine entgegengesetzte Bewegung von diesem Druck zu befreien, und diese wird sichtbar. Diese Erscheinung heißt Empfindung. Licht und Farbe haben Bezug auf das Auge, der Schall auf das Ohr, der Geruch auf die Nase, der Geschmack auf den Gaumen, Wärme, Kälte, was hart und weich ist, und alles andere, was zum Gefühl gehört, auf den ganzen übrigen Körper. Das alles nennt man empfindbar, und ist, im Grunde genommen, nichts anderes, als eine Bewegung der Materie im Gegenstand, durch welche er auf die Sinneswerkzeuge mannigfaltig wirkt. Etwas anderes aber als verschiedene Bewegungen läßt sich darin nicht auffinden, weil Bewegung nur Bewegung hervorbringt, und jene Erscheinungen, sowohl im Schlaf als beim Wachen, bloße Vorstellungen sind. Wie überdies beim Druck des Gefühls ein Jucken, bei einem Schlag ins Auge ein Lichtschimmer, und beim Druck des Ohrs ein Schall entsteht; ebenso wirken auch alle Dinge, die wir übrigens sehen und hören, die Vorstellung davon durch einen, wie wohl nur sehr unmerklichen Druck. Denn wenn die Farben und der Schall sich im Gegenstand selbst befänden, wären sie auch davon unzertrennlich; sie werden aber davon allerdings getrennt, was sich aus dem Zurückwerfen der Bilder in Spiegeln und des Schalles in Gebirgen erhellt. Es bleibt ausgemacht, daß ein sichtbarer Körper nur an  einem  Ort, aber die Bemerkung seines Daseins an mehreren Orten sein kann. Ob nun auch gleich oft in geringer Entfernung der eigentliche Gegenstand selbst in seiner eigentliche Hülle gesehen wird, so ist dessenungeachtet der Gegenstand jedesmal ganz etwas anderes als seine Hülle. Folglich sind Empfindungen und ursprüngliche Vorstellungen ein und dasselbe; sie entstanden, wie schon gesagt, durch den Druck eines äußeren Gegenstandes auf das Auge oder auf sonst ein Sinneswerkzeug.

Die Scholastiker aber erklären das, wegen einiger Stellen im ARISTOTELES, anders. Sie sagen: die sichtbaren Dinge (d. h. Erscheinungen) welche die Gegenstände auf unser Auge werfen, bewirken das Sehen; die hörbaren Dinge (d. h. Erscheinungen) welche die Gegenstände auf unser Ohr werfen, bringen das Hören hervor; endlich liege der Grund des Erkennens in gewissen zu erkennenden Dingen (d. h. Erscheinungen), die von der zu erkennenden Sache ausgehen.

Ich erwähne dies nicht in der Absicht, als wollte ich die philosophischen Schulen für völlig verwerflich erklären; vielmehr werde ich weiterhin vom Bedürfnis derselben für den Staatzarathustra22.html reden, und da hielt ich es für nötig, dies hier wenigstens beiläufig zu bemerken; indem ich an seinem Ort mit mehrerem zeigen werde, welcher Verbesserungen sie bedürfen, wohin besonders gehört, daß ihre Lehrsätze oft gar nichts sagen.


Zweiter Abschnitt
Vorstellungskraft

Was einmal ruht, wird, wenn es nicht anderweitig in Bewegung gesetzt wird, immer in Ruhe bleiben; - das leuchtet wohl einem jeden ein. Daß aber ein einmal in Bewegung gebrachter Körper sich, wenn er nicht anderweitig daran gehindert wird, ohne Aufhören fortbewegen werde, das ist (obgleich der nämliche Satz: nichts vermag sich selbst zu bewegen, hierbei zugrunde liegt) nicht so einleuchtend. Denn die Menschen beurteilen gewöhnlich alles nach sich; wenn sie nun gewahr werden, daß bei ihnen auf Bewegung Mißbehagen und Ermüdung folgt, so vermuten sie bei allen bewegten Körpern ein Gleiches, als wenn diese zuletzt ermüdet nach Ruhe strebten. Sie denken aber nicht daran, daß das Streben nach Ruhe selbst eine Bewegung in sich faßt. Hierauf gründet sich der Lehrsatz in den Schulen: schwere Körper fallen, aus ihrem Streben nach Ruhe und um ihrer Selbsterhaltung willen, an die für sich schicklichsten Örter nieder; und so schreiben sie leblosen Dingen ein Streben und eine Erkenntnis dessen, was ihnen nutzt und schadet (woran es dem Menschen so gar oft fehlt) ganz unrichtig zu.

So bald ein Körper in Bewegung gebracht worden ist, so wird er, wenn kein anderer Körper es hindert, sich immer weiter fortbewegen; und dieses Hindernis hemmt die Bewegung nicht immer auch einmal, sondern auch allmählich und nachgerade. Wie auf dem Meer nicht dann gleich Ruhe einkehrt, sobald sich der Sturm legt; ebenso ist es auch mit der Bewegung im Menschen, wenn er sieht, träumt usw. Denn wenn sich der Gegenstand auch wirklich entfernt, oder das Auge geschlossen wird, bleibt dessen Bild dennoch unserer Seele, wie wohl etwas dunkler, gegenwärtig. Dieses Bild aber hat die Benennung  Einbildungskraft  veranlaßt. Noch richtiger nennen es die Griechen  phantasia es entstehe durch welchen Sinn es wolle; Bild aber kann nur eigentlich von Gegenständen des Gesichts gesagt werden. Die Einbildungskraft ist daher nichts als die aufhörende Empfindung, oder die geschwächte und verwischte Vorstellung, und ist sowohl dem Menschen, als auch fast allen Tieren gemein, sie mögen schlafen oder wachen.

Daß nach der Entfernung des Gegenstandes die Vorstellung schwächer wird, rührt nicht von der verringerten Bewegung des Empfinders her, sondern von anderen Gegenständen, die unsere Sinne beschäftigen. Gleichwie der stärkere Sonnenglanz den Schimmer der Sterne verdunkelt, ob sie gleich an und für sich bei Tage so gut als bei Nacht gesehen werden könnten. Aber weil unter den vielen und mannigfaltigen Eindrücken, welche die Augen, Ohren und die übrigen Sinneswerzeuge, durch das alles, was von außenher auf sie wirkt, bei Tage bekommen, bloß der stärkste Eindruck empfunden wird; so ist auch der vorzüglich starke Sonnenglanz die Ursache, daß die Eindrücke der Sterne eben nicht von uns bemerkt werden. Wenn auch nach der Entfernung des Gegenstandes der Eindruck bleibt, so wird dennoch, durch die nachherigen Gegenstände und deren Wirkung, die Vorstellung des Vorhergehenden geschwächt und verdunkelt, wie die Stimme eines Menschen beim Gewühl am Tage. Je älter also ein Anblick oder die ehemalige Vorstellung eines Gegenstandes wird, je schwächer wird dessen Bild oder Vorstellung bei uns. Auch eine fortdauernde Veränderung der körperlichen Werkzeuge zerstört mit der Zeit manches, welches bei der Empfindung in Bewegung gesetzt wurde, und folglich sind hierin die Länge der Zeit und die Entfernung des Ortes bei uns von einerlei Wirkung. Denn wie in einer großen Entfernung uns Gegenstände wenig deutlich erscheinen, so daß wie die kleineren Teile derselben nicht unterscheiden können, die Stimmen uns auch schwächer und einförmig vorkommen; ebenso verliert sich, nach Verlauf eines beträchtlichen Zeitraumes, auch allmählich die Vorstellung des Vergangenen, es entfallen uns z. B. von den Städten, welche wir sahen, manche Straßen, und von den Handlungen manche Nebenumstände. Die schwächer gewordene Empfindung, im Hinblick auf die Vorstellung selbst, nennen wir, wie schon gesagt,  Einbildung;  sehen wir aber auf das Schwächerwerden, so heißt dasselbe  Gedächtnis so daß folglich Einbildung und Gedächtnis eins ist, und nur in dieser verschiedenen Hinsicht auch verschiedene Benennungen bekommt.

Wer sich dieser Ereignisse erinnern kann, hat Erfahrung. Wenn wir uns nur die Gegenstände vorstellen; die wir ehedem entweder auf einmal, oder Stückweise durch unsere Sinne vernahmen, so ist die Vorstellung, insofern sie den ganzen Gegenstand auf einmal enthält, eine  einfache  Einbildung; wie wenn sich z. B. jemand einen Menschen oder ein Pferd, welches er einmal sah, vorstellt. Die Vorstellung aber, welche aus der Empfindung einzelner Teile von verschiedenen Dingen entsteht, wie wenn wir vom gehabten Anblick eines Menschen zu einer Zeit und vom Anblick eines Pferdes zu einer anderen Zeit veranlaßt werden, uns einen Zentauren zu denken, heißt eine zusammengesetzte Einbildung. So oft wie jemand die Vorstellung seiner eigenen Person mit der Vorstellung von den Handlungen eines anderen Menschen verbindet, wie etwa, wenn sich jemand einbildet, er sei HERKULES oder ALEXANDER, (wie es dem leidenschaftlichen Leser von Heldengeschichten oft ergeht), so ist das eine zusammengesetzte Einbildung und ein bloßes Hirngespinst. Es entstehen auch in uns, sogar wenn wir wachen, viele andere Vorstellungen aus dem bei der ersten Empfindung gemachten tiefen Eindruck; denn ein scharfer Blick in die Sonne läßt noch lange Zeit in kleines Sonnenbild wie einen Fleck in unseren Augen zurück, und nach einer anhaltenden und aufmerksamen Betrachtung geometrischer Figuren stellen sich uns im Dunklen, auch wenn wir raten, Linien und Winkel vor. Ob diese Art von Vorstellung eine eigenen Benennung habe, ist mir unbekannt; es ist selten hiervon die Rede.

Die Vorstellungen der Schlafenden sind Träume. Auch sie entstehen wie alle übrigen Vorstellungen entweder ganz, oder zum Teil aus der Empfindung. Und weil die notwendigen Werkzeuge der Empfindung, das Gehirn und die Nerven, im Schlaf so stumpf werden, daß sie durch äußere Gegenstände sehr schwer in Bewegung gesetzt werden; so können Schlafende gar keine Einbildung haben, folglich auch keinen Traum, außer insofern dergleichen von der inneren Bewegung des empfindenden Körpers vorgebracht wird; da die inneren Teile (wegen der Verbindung, worin sie mit dem Gehirn stehen) zur Unzeit oft ihre Werkzeuge bewegen, und es so bewirken, daß sich ehemalige Vorstellungen dem Träumenden so gut vergegenwärtigen, als ob er wache. Weil aber angenommen wird: daß, während des Schlafes, die Werkzeuge der Sinne jedes neuen Eindrucks unfähig sind, so daß also kein neuer Gegenstand auf sie wirken kann, so muß bei diesem Ruhestand der Sinne ein Traum eine weit größere Klarheit haben, als alle Vorstellung eines Wachenden. Dies ist auch die Ursache, weshalb es so schwer, ja manchen fast unmöglich zu sein scheint, eine Empfindung von einem Traum richtig zu unterscheiden. Wenn ich erwäge, daß ich mir im Traum selten und nicht immer dieselben Gegenstände, Orte, Personen und Handlungen vorstelle, die ich wachend bemerke, noch daß ich mir im Traum keiner so langen und zusammenhängenden Reihe von Gedanken bewußt sein kann, als sonst; und weil ich im Wachen sehr oft das Widersinnige in meinen Träumen gewahre, welches ich aber während des Traumes nicht zu tun imstande bin, so überzeugt mich dies hinlänglich, daß ich im Wachen mir dessen, daß ich nicht träume, bewußt bin, ob ich gleich im Traum wirklich zu wachen glaube.

Weil jedoch die Entstehung der Träume in der Unbehaglichkeit einiger inneren Teile des Körpers ihren Grund haben soll, so werden notwendig, je nachdem dieselbe verschieden ist, auch verschiedene Träume entstehen. Daher kommts, daß diejenigen, welche auf dem Lager Kälte empfinden, gewöhnlich fürchterliche Träume haben und Schreckensbilder zu erblicken glauben, (denn die Bewegung vom Gehirn zu den übrigen Teilen geht von hieraus zu jenem wieder zurück). So wie auch ferner der Zorn im Wachen einige innere Teile erhitzt: so bewirkt auch die Erhitzung dieser Teile im Schlaf den Zorn, und schafft im Gehirn das Bild eines Feindes. Noch eins: Wie der Anblick von Liebenden im Wachen Liebe erzeugt und einige innere Teile erhitzt, so bringt gleichfalls die Erhitzung dieser Teile im Schlaf das Bild der Liebe hervor. Mit einem Wort, die Träume und die Vorstellungen eines Wachenden sind umgekehrt miteinander verbunden, nämlich im Wachen entsteht die Bewegung im Gehirn, im Schlaf hingegen in den inneren Teilen.

Sobald wir uns etwa nicht deutlich bewußt sein, daß wir wirklich einschlafen, wird es auch allemal schwer sein, Träume von wahren Vorstellungen zu unterscheiden. Dies ist gewöhnlich der Fall bei dem, welcher eine Freveltat verübt hat, oder noch damit umgeht, und, voll von diesen Gedanken, ohne wie sonst sich auszuziehen und sich niederzulegen, einschläft; so wie auch bei dem, welcher auf einem Stuhl sitzend oder in einer unnatürlichen Lage, schläft. Wer sich aber, wie gewöhnlich, schlafenlegt, der kann ein sich ihm darstellendes ungewöhnliches und seltsames Bild für nichts anderes als einen Traum halten. MARKUS BRUTUS, ein ehemaliger Freund von JULIUS CÄSAR, dessen Gnade er allein sein Leben zu verdanken hatte, war dennoch so undankbar, daß er ihn mordete. Von diesem erzählen die Schriftsteller: daß er in der Nacht vorher, als darauf die Schlacht gegen AUGUSTUS CÄSAR bei Philippen [Festung im Osten von Mazedonien - wp] geliefert wurde, eine schreckliche Vorstellung gehabt habe, die allgemein als eine wahre Erscheinung vorgestellt wird. Wer aber die näheren Umstände dabei genau erwägt, der wird sogleich finden, daß es nicht eine Erscheinung, sondern ein Traum war. Denn da er im Zelt saß, wo er, wegen seiner verwegenen Tat, natürlich traurig und in sich gekehrt war, und nicht eigentlich schlief, sondern in einer etwas kühlen Nacht nur schlummerte; so mußte er wohl von dem träumen, was seine Seele so sehr erschütterte, auch deshalb unvermerkt wieder wach werden, und so das, was er gesehen hatte, für ein Gespenst halten, welches mittlerweile verschwunden war; ja, sich unbewußt, geschlafen zu haben, konnte er auch nicht entscheiden, ob es ein Traum oder sonst etwas gewesen sei. Solche Fälle sind überhaupt nicht selten, denn auch vollkommen Wachende werden, wenn sie furchtsam, abergläubisch, fürchterlicher Erzählungen voll, und im Dunkeln allein sind, solchen Vorstellungen ausgesetzt, glauben, daß sie auf Gottesäckern Schatten und Geister der Verstorbenen wandeln sehen; da sie dieselben doch nur in der Einbildung erblicken, auch wohl von schlechten Menschen hintergangen wurden, welche die abergläubische Furcht derselben in der Absicht benutzen, daß sie sich, in Totengewänder gehüllt, über Gottesäcker und andere geweihte Orte bei Nacht dahin begeben können, wo sie sich sonst nicht mit Ehren sehen lassen dürfen.

Daß man Träume und andere lebhafte Vorstellungen von dem, was man sah und empfand, nicht zu unterscheiden wußte, dies veranlaßte hauptsächlich die Religion der alten heidnischen Völker, welche Satyre, Faune, Nymphen und ähnliche Hirngespinste verehrten; so wie auch den Wahn, den noch heutzutage unausgebildete Menschen von Werwölfen und Poltergeistern und von der großen Macht der Zauberer hegen. Wenn ich übrigens gleich die Zauberei für ein Unding ansehe, so billige ich doch die Bestrafung der Zauberer, da sie dergleichen Verbrechen nicht bloß für möglich halten, sondern sie auch, so weit es in ihren Kräften steht, sich zu begehen mühen. Indessen kommt mir die Zauberei keineswegs als etwas Wahres oder als eine Kunst der Wissenschaft vor, vielmehr glaube ich: daß es überspannte Begriffe sind, die man vorsätzlich unterhält. Was aber die Poltergeister und Gespenster betrifft, so ist, meiner Meinung nach, der bisherige Wahn davon mit Fleiß fortgepflanzt, oder wenigstens nicht widerlegt worden, weil sonst die Beschwörungen, das Einsegnen, das Besprengen mit Weihwasser und andere ähnliche Dinge, die den Geistlichen viel einbringen, dabei gelitten haben würden. Daß jedoch Gott übernatürliche Vorstellungen wirken könne, ist außer allem Zweifel; daß er es indessen so häufig tun sollte, daß dadurch eine größere Furcht erregt werden müßte, als durch die Hemmung oder Umwandlung der Natur, welches ebensogut in der Gewalt Gottes steht, das ist kein christlicher Glaubensartikel; sondern schlechte Menschen erfrechen sich aus dem Grund "Gott sei alles möglich", all das als wahr zu behaupten, was ihnen Vorteil schaffen kann, obgleich sie im Grunde vom Gegenteil überzeugt sind. Jeder Verständige muß aber ihren Behauptungen nicht weiter Glauben beimessen, als die gesunde Vernunft es erlaubt. Wäre diese Furcht vor Gespenstern, die Traumdeuterei und mehr noch, welches hiermit in Verbindung steht, dessen sich stolze und listige Menschen zum Nachteil des gemeinen Mannes leider bedienen, verdrängt: so würde sich beim Bürger jeden Staates wirklich weit mehr Lust zum Gehorsam finden.

Dafür müßten nun die Schulen sorgen, die aber, anstatt solche Lehren zu widerlegen, sie vielmehr oft ausbreiten. Da sie nämlich die Einbildung und Empfindung ihrer Beschaffenheit nach nicht kennen, so beten sie nur das nach, was andere ihnen vorsagen. Einige lehre: die Einbildungen entstünden von selbst, also ohne allen Grund; andere schreiben sie einem Willen zu, so daß die guten Gedanken von Gott, die bösen aber vom Teufel dem Menschen eingegeben oder eingeflößt würden. Schließlich sagen andere noch: Wenn unsere Sinne die Eindrücke von den Dingen empfangen, so überliefern sie dieselben dem Verstand, der Verstand der Einbildungskraft, die Einbildungskraft dem Gedächtnis, das Gedächtnis der Urteilskraft, und werden bei allem Aufwand von Worten durchaus unverständlich.

Die Vorstellung, welche bei Menschen und Tieren durch Sprache oder andere willkürliche Zeichen hervorgebracht wird, heißt  Verstand,  und diesen hat der Mensch mit den vernunftlosen Tieren gemein; denn z. B. der Hund kann so abgerichtet werden, daß er weiß, ob sein Herr ihn herbeiruft oder von sich weist. Man findet dies auch noch bei mehreren Tieren. Der dem Menschen eigentümliche Verstand aber ist ein solcher, der nicht allein die Willensmeinung, sondern auch die Begriffe und Gedanken anderer Menschen einsieht, und zwar durch Folgerungen und durch die Zusammensetzung der Benennungen der Dinge, woraus bejahende, verneinende und andere Redensarten entstehen. Von dieser Art des Verstandes werden wir weiter unten handeln.


Dritter Abschnitt
Gedankenfolge

Unter Gedankenfolge verstehe ich den Übergang von einem Gedanken zum anderen, welcher aber nicht durch Worte, wie bei der Rede, sondern  innerlich  geschieht.

Wenn jemand etwas denkt, so hängt der nächstfolgende Gedanke nicht so von einem ungewissen Zufall ab, wie es scheinen möchte, obgleich auch nicht jeder Gedanke einen anderen immer zur notwendigen Folge hat. Wie jede Vorstellung in unserer Seele, entweder ganz oder ihren Teilen nach, von uns zuvor muß empfunden gewesen sein, so kann auch kein Übergang von einem Gedanken zu einem anderen stattfinden, der nicht zuvor in unserer Empfindung dagewesen wäre. Der Grund dafür ist folgender: Alle Vorstellungen sind innere Bewegungen, gleichsam das, was von den Bewegungen bei der Empfindung zurückblieb. Die bei der Empfindung genau verbunden gewesenen Vorstellungen aber bleiben auch nach der Empfindung in dieser Verbindung. So oft also der erste Gedanke wiederkehrt und der herrschende wird, so folgt allemal, wegen des Zusammenhangs der bewegten Materie, der letztere nach, wie auf einer glatten Fläche das Wasser dem Finger folgt, wohin dieser es leitet. Weil wir aber bei einem und demselben Gedanken bald dies und bald jenes andere gedacht haben, so wird es zuletzt ungewiß, welche Vorstellung jetzt jenen ersteren Gedanken begleiten wird. Gewiß bleibt es, daß ihm von den Vorstellungen eine folgen wird, welche mit ihm vorher verbunden gewesen ist.

Es gibt eine zweifache Gedankenfolge. Die eine ist ungebunden und frei, hat keinen Zweck, und ist folglich schwankend, weil dabei nichts die Gedanken leitet und zu einem gewissen Teil führt, so daß sie zu schwärmen und in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen, wie in einem Traum. Dies ist der Fall bei denen, welche sich nicht bloß allein finden, sondern auch frei von allen Sorgen sind, wiewol auch dann die Gedanken nicht ganz aufhören: aber ohne Harmonie, wie wenn ein Saitenspiel von einem Laien in dieser Kunst gerührt wird. Bei diesen umherschweifenden Gedanken wird aber doch eine Regel zugrunde liegen, nach welcher der eine Gedanke aus dem andern entsteht. Was schien wohl bei einem Gespräch über unseren Bürgerkrieg unschicklicher, als die Frage - und die wurde wirklich aufgeworfen - "was galt ein Silberling bei den Römern?" Mir leuchtete der Zusammenhang zur Genüge ein. Der Gedanke an den Krieg erzeugte den Gedanken an den von seinen Untertanen dem Feind überlieferten König; dieser Gedanke den, daß CHRISTUS den Juden verraten wurde, und dies wieder den Gedanken an die dreißig Silberlinge, den Lohn dieser Verräterei, wodurch dann gar leicht obige Frage veranlaßt wurde. Wegen der geschwinden Folge der Gedanken geschah dies aber sozusagen in einem Augenblick.

Die zweite Art hat einen gewisseren Gang und wird durch einen bestimmten Zweck regelmäßig. Denn der Eindruck von dem, was wir wünschen oder fürchten, ist lebhaft und ausdauernd; wird er auch unterbrochen, so kehrt er schnell wieder, und ist oft imstande, den Schlaf nicht bloß zu erschweren, sondern ganz zu verhindern. Der Wunsch macht, daß wir an das Mittel denken, den gewünschten Zweck zu erreichen; und zwar auf ein solches, von dem uns die Erfahrung einen ähnlichen Erfolg gelehrt hatte. Der Gedanke an dieses Mittel erzeugt den an ein Mittel, welches jenem untergeordnet ist, und so immer fort, bis wir auf Etwas kommen, welches in unserer Gewalt steht. Weil aber der Zweck, wegen des gemachten tiefen Eindrucks, sich uns oft und leicht vergegenwärtigt, so werden unsere Gedanken, sollten sie auch anfangen auszuschweifen, ohne Mühe ins Gleis zurückgebracht werden. Diese Bemerkung war es, weshalb einer von den berühmten sieben Weltweisen die noch jetzt bekannte Lehre gab: "Bedenke das Ende!" womit er sagen will: daß man bei allen Handlungen wiederholt auf den Zweck zurücksehen muß, als auf das, wodurch alle Gedanken auf einem zweckmäßigen Weg erhalten werden.

Die regelmäßige Gedankenfolge ist auch von zweifacher Art. Die eine, wenn man die Ursachen und Mittel, wodurch eine bemerkte Wirkung hervorgebracht worden sein mag, aufsucht; und diese Art haben die Menschen mit den Tieren gemein. Die andere: wenn man allen den Wirkungen nachforscht, welche eine Sache haben kann, d. h. sich um den Nutzen derselben bekümmert. Von dieser Denkart habe ich nur beim Menschen eine Spur gefunden; denn diese Art von Wißbegierde kann beim Tier, welches nur sinnliche Triebe, z. B. Hunger, Durst, Geschlechtstrieb und Zorn hat, nicht gut stattfinden. Wenn endlich unsere Gedankenreihe von einem bestimmten Zweck ausgeht, so ist sie Forschungs- und Erfindungskraft, Schlauheit oder Scharfsinn, und man spurt dabei, wie auf einer Jagd, einer gegenwärtigen oder ehemaligen Wirkung nach. Wie spürt man aber dem, was man verloren hat, nach? Vom Ort und der Zeit, wo man es verloren zu haben glaubt, geht man in Gedanken alle Orte und Zeiten durch, um ausfindig zu machen, wenn und wo man es zuletzt hatte, d. h. um den Ort und die Zeit gewiß zu erfahren, wo die Nachforschung ihren Anfang nehmen muß. Dann denken wir die Zeiten und Orte wohl noch einmal durch, um die Handlung oder Veranlassung aufzufinden, die den Verlust des Gesuchten nach sich gezogen haben konnte. Dies ist das  Erinnerungsvermögen

Zuweilen hat man auch nur an einem bestimmten Ort nachzusuchen. Dann gehen wir aber in Gedanken alle Teile des bestimmten Ortes durch, ungefähr wie wenn jemand ein Zimmer auskehrt, um ein verlorenes Kleinod wiederzufinden; oder wie ein Jagdhund das Feld durchläuft, bis er einem Wild auf die Spur kommt, oder wie einer das ganze Alphabeth durchgeht, um einen Reim zu finden.

Wir erforscht man gewöhnlich den noch zukünftigen Erfolg einer Unternehmung? Man denkt sich eine ehemalige Handlung, welche den nämlichen Erfolg hatte, und zwar so, wie er ihn ehemals sah, da Handlungen einerlei Art insgemein einerlei Ausgang haben. Wer z. B. das Schicksal irgendeines Hauptverbrechens wissen will, erinnert sich, wie es bei einem ähnlichen Verbrechen sonst wohl erging, und da stellen sich seiner Seele das Verbrechen, der Gerichtsdiener, das Gefängnis, der Richter, der Galgen, dar. Diese Gedankenfolge heißt  Vorhersehungsvermögen,  auch  Klugheit  und  Vorsicht,  ja zuweilen  Weisheit,  wie wohl es nur Vermutung und sehr trüglich ist, weil nur gar zu leicht dieser oder jene Nebenumstand dabei unserer Aufmerksamkeit entgehen kann. Das ist aber ausgemacht, daß derjenige der Klügste ist, der die ausgebreitetste Erfahrung hat, weil er sich nur selten in seiner Erwartung irren wird. Bloß das Gegenwärtige ist in der Welt vorhanden, so wie das Vergangene im Gedächtnis, das Zukünftige hingegen hat gar kein Dasein, und ist nur ein Geschöpf der Seele, welche die Folgen einer vergangenen Handlung auf eine gegenwärtige anwendet. Die häufigste Erfahrung gibt hier die größte, wiewohl nicht ganz zuverlässige Gewißheit. Man nennt es zwar Klugheit, wenn der wirkliche Erfolg der davon gehegten Erwartung entspricht, im Grunde ist es aber doch nur Vermutung. Der Blick in die Zukunft, oder die Vorhersehung, ist allein die Sache desjenigen, der alles veranstaltet hat, und von ihm kann auch dieses Vermögen auf eine übernatürliche Weise anderen mitgeteilt werden. Übrigens ist der beste Prophet, welcher am richtigsten mutmaßt, und dies wird der zu tun imstande sein, der mit der Art von Dingen ganz bekannt ist, worüber er Vermutungen äußert, denn seine Mutmaßungen werden von den meisten Zeichen unterstützt.

Der nachherige Erfolg dient als  Zeichen  zur Erklärung eines ehemaligen Erfolges, (der vielleicht dunkel geblieben war) und so umgekehrt, der vorhergehende dem nachfolgenden, wenn ähnliche Ereignisse vorher bemerkt worden sind; und je öfter dies geschehen war, desto zuverlässiger ist das Zeichen. Wer daher in jeder Art von Geschäften die größte Erfahrung hat, hat auch die meisten Zeichen, die ihn auf die Zukunft schließen lassen, und ist folglich sehr klug, ja umso klüger, als der Unerfahrene, der sich auch daran wagt, und, bei den glücklichsten Anlagen des Verstandes, jenen bei weitem nicht erreichen kann, wiewohl sich hiervon mancher junge Mann schwerlich überzeugen wird.

Klugheit macht indessen nicht die Grenzlinie zwischen Mensch und Tier aus, denn es gibt mehrere Tiere, die schon in ihrem ersten Jahr das, was ihnen nützlich sein kann, bemerken und richtiger anwenden, als mancher zehnjährige Knabe.

Wie die Klugheit in einer Vermutung über das Zukünftige besteht, welche sich auf die Erfahrung der vergangenen Zeiten gründet, so gibt es auch eine Vermutung über das Vergangene, welche von andern ebenfalls vergangenen und nicht gerade zukünftigen Dingen hergenommen ist. Wer z. B. weiß, wodurch ein allmählich in einen Bürgerkrieg verwickelt wurde, und wie unglücklich er dadurch wurde, der wird, wenn er den Verfall irgendeines anderen Staates bemerkt, den Schluß machen: es müsse darin ein ähnlicher Verfall der Sitten und ein ähnlicher Krieg vorangegangen sein. Jedoch hat diese Art zu schließen eben die Ungewißheit, als eine solche, über die Zukunft zu urteilen.

Meines Wissens hat der Mensch zum Gebrauch aller seiner natürlichen Anlagen etas außer sich nötig, nur zu dem nicht, daß er geboren werde und sich seiner fünf Sinne bediene. Die Fähigkeiten, die dem Menschen ausschließlich zuzukommen scheinen, und wovon nachher gehandelt wird, müssen erworben und durch anhaltenden Fleiß vervollkommnet werden; den Anfang dazu machen Unterricht und Erziehung und die unter den Menschen erfundene Sprache bildet sie aus. Also findet sich beim Menschen nur Empfindung, Vorstellung und Gedankenfolge, obgleich diese Naturgeschenke durch Sprache und Ordnung so weit vervollkommnet werden können, daß durch sie der Mensch von allen übrigen Tieren unterschieden ist.

Was wir uns vorstellen, ist endlich. Von dem, was wir unendlich nennen, kann also keine Vorstellung und kein Gedanke ausgehen. Die menschliche Seele ist zu schwach, um sich von einer unendlichen Größe, oder Geschwindigkeit, oder Kraft, oder Dauer, oder Macht, eine Vorstellung zu machen. Wenn wir etwas unendlich nennen, so geben wir dadurch zu verstehen: daß wir den Umfang und die Grenzen desselben nicht fassen können, was also ein Bekenntnis unserer Schwäche ist. Deshalb ist Gottes Name nicht dazu unter uns, daß wir ihn durchschauen, (denn er ist unbegreiflich und seine Größe und Macht ist über allen Begriff erhaben), sondern: daß wir ihn ehren sollen. Und weil sich, wie schon erwähnt, alle unsere Vorstellungen auf ehemalige Empfindungen gründen, so kann der Mensch keine Vorstellung von dem haben, was in jedem Fall kein Gegenstand der Sinne ist. Es kann sich der Mensch also nur von  dem  einen Begriff machen, was einen Ort einnimmt, eine bestimmte Größe hat und geteilt werden kann; nicht aber von dem, was zu ein und derselben Zeit sowohl ganz an dem einen Ort, wie auch an einem anderen Ort befindet, oder was als zwei oder mehrere Dinge zugleich an einerlei Ort sein kann. Dergleichen hat noch keiner empfunden, noch empfinden können, sondern es sind Sätze, die eigentlich nichts sagen, und aus Achtung gegen einige irregeführte Philosophen oder trügende Scholastiker angenommen werden.
LITERATUR - Thomas Hobbes, Leviathan oder der kirchliche und bürgerliche Staat, Halle 1794
    Anmerkungen
    1) Siehe des Verfassers Schrift  De natura hominis,  welche in englischer Sprache zu London 1650 herausgekommen ist. (Anm. des Übersetzers).