tb-1cr-2WindelbandG. KnauerM. J. MonradJ. Baumann    
 

HANS AMRHEIN
Kants Lehre vom
Bewußtsein überhaupt

und ihre Weiterbildung bis auf die Gegenwart
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"Münsterberg  unterscheidet bei der Erörterung psychologischer Fragen ein vorstellendes und ein wertendes Subjekt. Diese Unterscheidung führt ihn zum  Bewußtsein überhaupt,  dessen Inhalt das absolute Sein ist, während die Erscheinung der Wirklichkeit vom psychologischen Subjekt erfahren wird."

"Conscientia  ist bei  Kant  1755 nicht immer Bewußtsein, sondern zuweilen Gewissen, wie dann auch im Deutschen die Ausdrücke  Gewissen  und Bewußtsein sich erst nach und nach differenziert haben. Von einer Betrachtung des Bewußtseins als Problem zeigen sich noch keine Spuren."

"Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe ist, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion der Vorstellungen vergeblich sein."

Geleitwort

Da ich die Entstehung und Ausführung dieser Schrift von Anfang an bis zum Schluß mit Aufmerksamkeit verfolgt habe, weil ich an ihrem Gegenstand ein besonderes Interesse genommen habe, so widme ich ihr bei ihrem Schritt in die Welt hinaus gerne noch einige Abschiedsworte zum Geleit. Ich tue dies mit einiger Wehmut, denn infolge eines Augenleidens, das mich vor einiger Zeit zwang, meine amtliche Tätigkeit niederzulegen, ist dies wohl die letzte von mir hervorgerufene Dissertation an der hiesigen Universität.

Das Thema der vorliegenden Arbeit, jedoch mit Beschränkung auf KANT, hatte die hiesige philosophische Fakultät auf meine Veranlassung hin als Preisaufgabe gestellt: "Kants Lehre vom Bewußtsein überhaupt". Ganz zufällig erfuhr ich, daß der nunmehrige Verfasser dieser Schrift das Preis-Thema bearbeiten will, und sich zu diesem Zweck schon stark mit der sekundären Literatur über KANT beschäftigt. Ich hatte Gelegenheit, ihm zu sagen, er solle die Literatur  über  KANT zunächst gar nicht berücksichtigen und sich vielmehr ein ganz selbständiges Urteil über den Gegenstand erwerben; zu diesem Zweck brauche er aber nur drei Dinge: auf der linken Seite die sämtlichen Werke KANTs, auf der rechen Seite einige Buch weißes Papier und dazu noch sein Schreibgerät, um sich aus den ersteren in die zweiten die nötigen Auszüge zu machen. Wenn er sich auf diese Weise selbständig in den Gegenstand hingearbeitet habe, müsse er über das Thema - wenigstens historisch - mehr wissen als sämtliche sekundären Schriftsteller zusammengenommen, die er eben deshal auch erst nachher vielleicht noch mit einigem Nutzen wird heranziehen können.

Dies war der einzige Rat, den ich dem Verfasser damals geben durfte. Diesen Rat hat er aber auch treu befolgt, und so war es ihm vergönnt, daß seine damalige Arbeit den Preis davontrug: die Arbeit hatte ihn reichlich verdient, denn sie gab schon in ihrer damaligen Form eine vollständige Zusammenstellung und kritische Verarbeitung des bei KANT selbst vorliegenden Materials. Aufgrund sorgfältigsten Studiums der sämtlichen kantischen Schriften, das ihn zu mehreren wertvollen Nebenergebnissen führte, konstatierte der Verfasser, aufgrund einer eingehenden Erörterung aller in Frage kommenden Gesichtspunkte, daß KANT ausdrücklich nicht mehr als neunmal vom "Bewußtsein überhaupt" gesprochen hat - zumindest in dem bis jetzt gedruckten Material: die kantischen Inedita [Unveröffentlichtes - wp], welche seitens der Berliner Akademie, speziell durch ADICKES Bemühung, bald im Druck zu erwarten sind, werden dieses Resultat wohl nicht wesentlich ändern. Erst aufgrund des vollständig festgestellten Quellenmaterials konnte nun KANTs Lehre vom "Bewußtsein überhaupt" authentisch dargestellt, definiert und diskutiert werden.

Zum Zweck der Promotion hat nun aber der Verfasser seine damals preisgekrönte Arbeit wesentlich umgearbeitet, vertieft und erweitert. Er tat dies trotz großer äußerer Schwierigkeiten: diesen und nicht bloß der inneren Schwierigkeit des Gegenstandes ist zuzuschreiben, was etwa an der Arbeit auszusetzen sein mag.

Ich selbst habe, soweit ich bei der oben erwähnten Behinderung meiner Sehkraft noch vermochte, die Erweiterung der Arbeit mit Aufmerksamkeit verfolgt: auf meinen Rat hin sind speziell die §§ 10, 11 und 15 eingefügt worden.

Der Verfasser hat an verschiedenen Stellen und besonders am Schluß in seinem kritischen Rückblick auf die Wichtigkeit des Gegenstandes hingewiesen. Ich selbst möchte hierzu noch einige wenige Bemerkungen machen.

Seit ich vor etwa 30 Jahren durch LAAS auf die Wichtigkeit des Begriffs "Bewußtsein überhaupt" aufmerksam geworden bin, habe ich seine Entwicklung nicht aus den Augen gelassen. Man kann, wie das der Verfasser getan hat, fast die ganze Geschichte der deutschen Philosophie in den letzten vierzig Jahren an diesem Faden aufreihen. Aber in dieser Geschichte hat sich eine namhafte Umwendung, oder sagen wir deutlicher Rückwendung vollzogen.

Entsprechend dem allgemeinen Gang des deutschen Geisteslebens vom Kritizismus im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zur Neuromantik der Gegenwart, hat auch unser Begriff diese Wandlung mitgemacht; bei seinen letzten Verwendern sprang aus diesem kritischen Grenzbegriff KANTs, aus dieser seiner rein methodischen Hilfsvorstellung ein Gebilde heraus, das dem ehemaligen "Absoluten" seligen Angedenkens zum Verwechseln ähnlich sieht. Man vermeidet ja wohl das Wort "das Absolute", seit SCHOPENHAUERs boshaftem, aber berechtigtem Spott über dasselbe, aber die Sache hat man nun glücklich wieder. Und die jetzige Jugend, mit ihren romantischen Neigungen und mit ihrem mißverstandenen sogenannten religiösen Bedürfnis - wie nennt das nur die Pathologie? - wendet sich von einem kritisch fundierten Relativismus ab, verkennt, daß alles, Sein wie Erkennen, Werden wie Wissen, aus Relationen besteht und nur in Relationen bestehen kann, und geht oder vielmehr fliegt wieder dem philosophischen Absolutismus zu; ja, einigen ihrer jüngsten Vertreter ist das "Bewußtsein überhaupt" schon wieder zum  logos  geworden, sie legen die "Kritik der reinen Vernunft" durch das  Evangelion kata Johannen  aus, und kommt diese Jugend glücklich wieder bei demjenigen Punkt an, den die älteren Vertreter des Kritizismus einst mit Protest verlassen haben. Kurz: sage mir, wie du zum "Bewußtsein überhaupt" stehst, und ich sage dir, wer du bist, ob ein Vertreter des Kritizismus oder des Dogmatismus.

Was den Freund des Kritizismus (des Kritizismus  im weiteren Sinn,  dessen Typus doch trotz allem stets KANT, der "Preussische Hume", bleiben wird) angesichts dieser Sachlage tröstet, ist die Beobachtung, daß die Zeiten und ihre Bedürfnisse wechseln. Der neubeginnende Dogmatismus muß sich jetzt zunächst noch weiter entwickeln, er muß wieder bis zur völligen Reife gedeihen: dann wird die Philosopohie ihre Heilung schon von selbst wieder im Kritizismus suchen und finden.

Hans Vaihinger



Einleitung

§ 1. Der Sinn des Themas

Auf allen Gebieten der Wissenschaft schreitet mit den Ergebnissen der Forschung die Neubildung von Fachausdrücken fort. Indem die Untersuchung gerade des jüngsten Besitzzuwachses auf dem Weg einer sorgfältigen Unterscheidung, Zerlegung und Zusammenfassung eine Bereicherung der Erkenntnis zu versprechen pflegt, erfahren doch auch andererseits jene wissenschaftlichen Kunstausdrücke vielfach eine genauere Bestimmung durch einschränkende oder erweiternde Zusätze. Angesichts der wortrealistischen Neidung, Beschreibungen von Eigenschaften und Handlungen kurz durch ein "Ding"-Wort zu ersetzen und die technische Bezeichnung eines Problems für dessen Lösung zu halten, ist jedoch oft darauf hingewiesen worden, daß Terminologie nicht Erklärung und Beweis ist, sondern nur Meinungen fixiert und Übersichtlichkeit schafft. Aber selbst diesen Dienst leisten der Wissenschaft die Kunstausdrücke sehr unvollkommen; denn sie sind Symbole der Begriffe eines einzelnen, des sprachschöpferischen Denkers, der zwar mittels der Definition die streng  logische  Abgrenzung seiner Termini sichern, nicht aber zugleich Vorkehrungen treffen kann, daß sich die  psychologischen  Bestandteile der neuen Begriffe auch im Geiste derer, die sie in umgekehrter Folge, von den sprachlichen Neuprägungen ausgehend, nachdenken müssen, mit den eigenen ursprünglichen Vorstellungen des Urhebers genau decken. Es kann sich sogar das Wort einstellen, ohne daß der Empfänger einen Begriff damit zu verbinden vermag, meist aber bemächtigt sich der wissenschaftlichen Nomenklatur ein allmählich zunehmender Bedeutungswandel, der auch dann zu mißverständlichen Auffassungen der Termini führt, wenn deren Objekte selbst einen Entwicklungsprozeß nicht durchmachen. - So ist die Geschichte der Wissenschaften zu Teil eine Geschichte der gelehrten Terminologie; ja die Wissenschaft selbst ist vielfach der bloße Nachweis einer Verwechslung von Abstraktionen mit der Wirklichkeit, ein Kampf gegen die Herrschaft der Terminologie und der Schlagworte, - es sei nur erinnert an die Ausdrücke Atom, Element, Affinität, Wahlverwandtschaft, Attraktion, Anziehung, Schwere, Kraft, Stoff, Seele, Seelenvermögen und dgl. Die zahlreichsten Beispiele und Erläuterungen bietet gemäß ihrer Stellung zu den Einzelwissenschaften die Philosophie.

Die neuere Philosophie hat seit DESCARTES das Erkenntnisproblem in den Vordergrund gerückt; der wichtigste Terminus des letzteren ist das "Bewußtsein". Die Philosophie der Gegenwart hat besonders die Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Vorstellungen und Außenwelt und über die Allgemeingültigkeit des "Gegenstandes" vertieft, und in Verbindung damit hat sie den Ausdruck "Bewußtsein überhaupt" in den Mittelpunkt der Erklärung gestellt.

Schon äußerlich verrät sich dieser Terminus durch sein häufiges Vorkommen als ein Lieblingsausdruck der modernen Philosophie. Man braucht nur Nachschlagewerke wie "Überwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie des 19. Jahrhunderts" (Berlin 1902) und EISLERs "Wörterbuch der philosophischen Begriffe" (Berlin 1904) zur Hand zu nehmen, oder die Literaturberichte der philosophischen Zeitschriften (1) durchzusehen, um ihm zu begegnen. Aber auch die eigentümliche, zuweilen fast geheimnisvolle Stellung, die dem "Bewußtsein überhaupt" in den Lehrsystemen einiger zeitgenössischer Philosophen eingeräumt wird, bekundet seine hervorragende Bedeutung. WILHELM SCHUPPE legt laut HEINZE den Schwerpunkt seiner Philosophie in das "Bewußtsein überhaupt" (Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878; Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Berlin 1894).
    "Es ist also dasselbe eine Ich oder Subjekt überhaupt, welches sich an so und so vielen Orten im Raum und Teilchen in der Zeit findet (dadurch eo ipso nicht mehr  Bewußtsein überhaupt,  sondern individuelles, nicht mehr reines Ich, sondern individuelles) und den ganzen Raum und die ganze Zeit außerhalb dieses Teilchens nur von ihm aus sieht, und eben deshalb löst sich der Raum und die Zeit aus dem individuellen Bewußtsein und gewinnt objektive, d. h. von den Individualitäten unabhängige, vom  Bewußtsein überhaupt  abhängige und zu ihm gehörige Existenz - der eine und selbe Raum und Zeit für alle." (Das Zitat wird ohne genauere Angabe der Stelle mitgeteilt von ÜBERWEG-HEINZE, Grundriß der Gesch. d. Philos. IV, 1902, Seite 241 in dem Bericht über SCHUPPEs Philosophie.)
ERNST LAAS bemerkt (Idealismus und Positivismus), III. Teil: Idealistische und positivistische Erkenntnistheorie, Berlin 1884, Seite 47), daß er den Ausdruck  "Bewußtsein überhaupt"  "für eminent wichtig hält" und "häufig gebrauchen wird." Im Index weist er dem Terminus eine eigene Stelle an. WILHELM WINDELBAND sagt in seinem Aufsatz: "Schillers transzendentaler Idealismus" (Kantstudien, Bd. X, 1905, Seite 401):
    "Als das  Bewußtsein,  dem die autonome Erzeugung des Gegenstandes zuzuschreiben ist, können drei verschiedene Instanzen betrachtet werden: das Individuum, die Menschheit, das  Bewußtsein überhaupt." 
HUGO MÜNSTERBERG (Grundzüge der Psychologie, Bd. 1: Die Prinzipien der Psychologie, Leipzig 1900) unterscheidet (Seite 73) ein "bewertendes  Bewußtsein überhaupt"  und ein vorfindendes  Bewußtsein überhaupt",  die "beide sich durchaus verschieden zum individuellen Subjekt verhalten". MÜNSTERBERG führt auch im Register den Terminus "Bewußtsein überhaupt" vom Ausdruck "Bewußtsein" getrennt auf. HEINRICH RICKERT hat in seiner Schrift: "Der Gegenstand der Erkenntnis" (Tübingen 1892 und 1904 im IV. Kapitel den § 3 überschrieben: "Das urteilende  Bewußtsein überhaupt".  Derselbe hat in seinem Buch: "Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" (Tübingen 1902) die Probleme aus WINDELBANDs Straßburger Rede über "Geschichte und Naturwissenschaft" (Freiburg i. Br. 1894) weiter ausgeführt und unterscheidet dort wie MÜNSTERBERG, auf den er sich bei der Erörterung psychologischer Fragen mehrfach beruft, ein vorstellendes und ein wertendes Subjekt (Seite 661); diese Unterscheidung führt ihn zum  "Bewußtsein überhaupt",  dessen Inhalt das absolute Sein ist, während die Erscheinung der Wirklichkeit vom psychologischen Subjekt erfahren wird.

Die Namen der aufgezählten Autoren, deren Reihe sich noch fortsetzen ließe, bezeichnen zugleich verschiedene Richtungen in der Philosophie der Gegenwart. Alle diese Vertreter der immanenten Philosophie, des Positivismus, des Kritizismus, des Subjektivismus oder des Idealismus, - sie alle verstehen aber doch gemeinsam unter "Bewußtsein überhaupt" ein überindividuelles, allgemeines Normalbewußtsein.

Wie überhaupt die moderne Philosophie die reichste Fülle ihrer Anregungen KANT verdankt, so hat sie auch den Terminus  "Bewußtsein überhaupt"  von ihm übernommen. Ob KANT dem Ausdruck aber auch jene weittragende Bedeutung beigelegt oder wenigstens den umfassenden Sinn, den die jetzige Philosophie mit ihm verbindet, bereits angebahnt hat, ist eine berechtigte Frage. Sie ist der Kernpunkt der Aufgabe, deren Lösung umso erwünschter sein muß, je deutlicher man sich vergegenwärtigt, welchen Verschiebungen philosophische Termini überhaupt ausgesetzt sind und welche Umwandlung im besonderen  kantische  Lehrbegriffe erfahren haben. Es sei nur an die Erweiterung des Ichbegriffs durch FICHTE erinnert. Durch FICHTE ist KANTs Lehre vielfach umgebildet und in umgebildeter Form weitergegeben worden, und bei der Einwirkung gerade FICHTEs auf die erwähnten Philosophen ist es nicht ausgeschlossen, daß ihr  kantischer  Terminus "Bewußtsein überhaupt", der eben auch im System FICHTEs eine wichtige Rolle spielt, im Laufe der Entwicklung umgedeutet worden ist. Es lohnt daher die Mühe, der Terminus an der Quelle zu untersuchen und die Lehre vom "Bewußtsein überhaupt" in ihrer reinen, ursprünglichen Gestalt bei KANT selber darzustellen. Vom Ergebnis der Untersuchung hängt die Entscheidung der Frage ab, ob und inwiefern die nachkantische Philosophie den Begriff "Bewußtsein überhaupt" umgewandelt hat.

Die Darlegung dessen, was aus KANTs originärer Lehre im Laufe der Zeit geworden ist, ist Gegenstand einer späteren Untersuchung. Zunächst wollen wir die Frage beantworten: Welche Rolle spielt das "Bewußtsein überhaupt" terminologisch und sachlich bei KANT?


I. Kants Lehre vom "Bewußtsein überhaupt".

A. Historisch-terminologische und begriffsstatistische
Bereitstellung des Materials bei Kant.


Historische Vorbemerkung

Um sich im allgemeinen von der Meinung KANTs über irgendeine erkenntnistheoretisch Frae - und so auch über die vorliegende des "Bewußtseins überhaupt" - zu unterrichten, hat man sich an das Hauptwerk seiner Lebensarbeit zu wenden, an die "Kritik der reinen Vernunft", wie sie vorliegt in der Gestalt ihrer zweiten Auflage, die KANT als die allein maßgebende betrachtet wissen wollte. Dort ist im § 20 des Buches: "Die Analytik der Begriffe" vom  Bewußtsein überhaupt  die Rede, das zufolge jener Stelle im engsten Zusammenhang mit KANTs Lehre von der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption steht. Die bekannte Gleichung von Bewußtsei und Apperzeption kommt nun hier zunächst allein für uns in Betracht.

Zur historischen Erklärung dieser Ausdrücke genügen einige kurze Bemerkungen. - Als DESCARTES das Problem des Bewußtseins zum Ausgangs- und Mittelpunkt der neueren Philosophie machte, bediente er sich noch der scholastischen Bezeichnung  conscientia.  Zwar bemerkt er bereits, in der Seele sei "une passion 'd'apercevoir ... nos perceptions ... qui ont l'ame pour cause" (Les Passions de l'Ame I, Seite 19), ein Affekt, den man statt "passion" gewöhnlich "action" nennt. Aber erst LEIBNIZ führte den Terminus  Apperzeption  in die philosophische Sprache ein. Einerseits ist nach LEIBNIZ die Apperzeption eine die Perzeptionen verstärkende, ordnende und umfassende Funktion, andererseits eine spontane Reflexion (la conscience ou la connaissance reflexive de cet etat interieur [reflexives Bewußtsein oder Wissen über den inneren Zustand - wp], (2) durch welche die Perzeptionen zum Selbstbewußtsein gebracht werden. Lediglich in dieser zweiten Bedeutung übernahmen WOLFF und dessen Schüler BAUMGARTEN den Begriff der Apperzeption von LEIBNIZ,  jener,  "der berühmte WOLFF (3) noch 1787 (in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kr. d. r. V.) um seiner vorbildlichen Methode und deutschen Gründlichkeit willen von KANT als der größte unter allen dogmatischen Philosophen gerühmt, der die Philosophie deutsch reden lehrte und auch das deutsche Wort "Bewußtsein" (4) prägte,  dieser  "der vortreffliche Analyst BAUMGARTEN" (5), dessen lateinische und deutsche Änderungen der scholastischen Terminologie KANT großenteils adoptierte (6). KANT hat LEIBNIZ' Terminus "Apperzeption" und WOLFFs neuen Ausdruck "Bewußtsein" sich nicht nur zu eigen gemacht, sondern auch durch Unterscheidung zwischen einer transzendentalen und einer empirischen Apperzeption sowie durch die Aufstellung eines "Bewußtseins überhaupt" die Terminologie beider Begriffe bereichert.


§ 2. Die Termini "Bewußtsein" und "Apperzeption"
in den vorkritischen Schriften Kants

Nur allmählich hat sich KANT an den Gebrauch jeer philosophischen Bezeichnungen gewöhnt. Der Umstand, daß das Wort  Bewußtsein  erst in KANTs Jugendzeit aufgekommen war, macht es erklärlich, daß in den Schriften KANTs, die er, seit zwanzig Jahren literarisch tätig und bereits im vierzigsten Lebensjahr stehend, bis zum Jahre 1763 veröffentlicht hatte (7), das Wort  Bewußtsein  nur ein einziges Mal vorkommt! In der "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels usw." aus dem Jahr 1755 heißt es:
    "Es ist uns nicht einmal recht bekannt, was der Mensch jetzt wirklich ist, ob uns gleich das  Bewußtsein  und die Sinne hiervon belehren sollten; wieviel weniger werden wir erraten können, was er dereinst werden soll."
Daß die Seltenheit, mit der der Ausdruck Bewußtsein erscheint, nicht etwa durch den vorwiegend physikalischen Charakter jener Schriften begründet ist, erhellt sich daraus, daß sich das Wort ja gerade in einem naturwissenschaftlichen Werk findet. Die Habilitationsschrift "Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio", eine lateinisch abgefaßte logische Abhandlung aus demselben Jahr (1755), hat an einigen wenigen Stellen das Substantivum  conscientia  und das Adjektivum  conscius  erwähnt. "Conscientia" ist aber nicht immer Bewußtsein, sondern zuweilen Gewissen, wie dann auch im Deutschen die Ausdrücke  Gewissen  und Bewußtsein sich erst nach und nach differenziert haben. Von einer Betrachtung des Bewußtseins als Problem zeigen sich noch keine Spuren.

Vom Jahr 1763 an tritt das Wort  Bewußtsein  bei KANT häufiger auf:
    1763:  Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen,  6 mal. 

    1764:  Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen,  1 mal. 

    1764:  (Schon 1762 verfaßt, aber erst 1764 gedruckt). Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral (Preisschrift der Berliner Akademie)  5 mal.  (7)
Während bisher bei KANT das Bewußtsein als bekannt vorausgesetztes psychisches Phänomen wirksam vorkam, finden sich in dieser Arbeit KANTs die ersten Versuche, es zu erklären und die ersten Spuren einer aufdämmernden Ahnung von der Bedeutung des Bewußtseins für die Erkenntnis.
    1766:  Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik,  7 mal  (8).
In diesem "Absagebriefe", den KANT dem dogmatischen Rationalismus schrieb, ist zwar schon das Bewußtsein als die Quelle angedeutet, aus der sowohl die Erkenntnis des Ich als auch die Bedingungen der äußeren Erfahrung fließen, im wesentlichen aber kommt der Ausdruck Bewußtsein in der ganze vorkritische Periode nur im psychologischen Gebrauch vor. Der Terminus  Apperzeption  tritt in keiner einzigen Schrift der vorkritischen Zeit auf.


§ 3. Das Vorkommen des Ausdrucks Bewußtsein
und verwandter Termini in der 1. Auflage der Kr. d. r. V.

In der die kritische Periode eröffnenden Dissertation KANTs (Disputatio de mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, 1770) ist weder von der  conscientia  noch von der  apperceptio  die Rede. Es vergehen vielmehr seit dem letzten Auftreten des Ausdrucks  Bewußtsein  in den "Träume eines Geistersehers" (1766) fünfzehn Jahre, ehe das Bewußtsein wieder genannt wird; dann aber wird es plötzlich einer der geläufigsten Ausdrücke KANTs: in der ersten Auflage der Kr. d. r. V. (1781) kommt der Terminuns  120 mal  vor, darunter 17 mal das Wort "Selbstbewußtsein" und 2 mal das Kompositum "Nichtbewußtsein". Der Ausdruck  Apperzeption  wird 75 mal gebraucht. Außerdem führt KANT eine bis dahin (1781) bei ihm nicht anzutreffende, dem Bewußtsein sinnverwandte Bezeichnung ein: er bedient sich 56 mal des Substantivums "Ich". - Das Wort  Subjekt,  das hier 147 mal belegt ist, kam auch schon früher bei KANT vor, meist aber als logischer, grammatischer Terminus. Ihrer Wichtigkeit wegen seien alle 120 Stellen der ersten Auflage der Vernunftkritik, die vom Bewußtsein handeln, in abgekürzter Form mit Anlehnung an den Wortlaut KANTs hier zusammengestellt (9):
    Seite 92: Die Wirklichkeit äußerer Gegenstände ist nach dem Idealismus keines strengen Beweises fähig, dagegen ist die des Gegenstandes unserer inneren Sinne unmittelbar durch das Bewußtsein klar.

    Seite 96: Wir setzen angeblich die zusammengehäuften Merkmale und Teilvorstellungen nicht mit Bewußtsein auseinander.

    Seite 710: ... Ohne Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe ist, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduktion der Vorstellungen vergeblich sein.

    Seite 711: das Mannigfaltie würde kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelt, die ihm nur das Bewußtsein verschaffen kann.

    Seite 711: dieses eine Bewußtsein kann oft nur schwach sein, so daß wir es  nur  in der Wirkung nicht aber in dem Aktus selbst, d. h. unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung verknüpfen, aber unerachtet dieser Unterschiede muß doch immer ein Bewußtsein angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit mangelt, und ohne dasselbe sind Begriffe und mit ihnen Erkenntnis von Gegenständen ganz unmöglich.

    Seite 712: Die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht (um als solcher erkannt zu werden), ist die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen.

    Seite 713: der Begriff dient zur Regel der Erscheinungen und Anschauungen, dadurch, daß er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein vorstellt.

    Seite 713: Das Bewußtsein seiner selbst ist, nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren Wahrnehmung bloß empirische, jederzeit wandelbar.

    Seite 713: Keine Erkenntnisse sind ohn diejenige Einheit des Bewußtseins möglich, welche vor allen datis der Anschauungen vorangeht, ohne das reine, ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein = transzendentale Apperzeption.

    Seite 714: denn diese Einheit des Bewußtseins ist unmöglich ohne das Bewußtwerden der Identität der Funktion, wodurch sie das Mannigfaltige in einer Erkenntnis verbindet; also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen.

    Seite 715: die Beziehung auf einen Gegenstand ist die notwendige Einheit des Bewußtseins, mithin auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemeinschaftliche Funktion des Gemüts, es in einer Vorstellung zu verbinden.

    Seite 716: alles muß den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Bewußtseins gemäß sein, d. h. es muß unter allgemeinen Funktionen der Synthesis nach Begriffen stehen. (10)

    Seite 717: alle möglichenn Erscheinungen gehören als Vorstellungen zum ganzen möglichen Selbstbewußtsein.

    Seite 717: ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat und die Erscheinungen sich unterwirft, würde die allgemeine Einheit des Bewußtseins im Mannigfaltigen der Wahrnehmungen nicht angetroffen werden.

    Seite 719: die Apperzeption stellt die Erscheinungen empirisch in dem empirischen Bewußtsein der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen dadurch sie gegeben waren, vor.

    Seite 719: dem empirischen Bewußtsein liegt die reine Apperzeption, d. h. die durchgängige Identität seiner selbst bei allen möglichen Vorstellungen a priori zugrunde.

    Seite 720: Alle Anschauungen sind für uns nichts, wenn sie nichts ins Bewußtsein aufgenommen werden können.

    Seite 720: Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen, die mit allem anderen zu einem Bewußtsein gehören.

    Seite 720: alle Vorstellungen haben eine notwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein.

    Seite 720: alles empirische Bewußtsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperzeption, vor aller besonderen Erfahrung vorhergehend.

    Seite 720: In meiner Erkenntnis muß also alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein meiner selbst gehören.

    Seite 720: Hier ist nun eine synthetische Einheit des Mannigfaltigen, des Bewußtseins, die a priori erkannt wird.

    Seite 720: Der synthetische Satz, daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem Selbstbewußtsein verbunden sein muß, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt.

    Seite 720: Die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen Vorstellungen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) ist das transzendentale Bewußtsein. Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit derselben; sondern die Möglichkeit der logischen Form aller Erkenntnis beruth notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen.

    Seite 722: Die mit Bewußtsein verbundene Erscheinung heißt Wahrnehmung. Ohne das Verhältnis zu einem wenigstens möglichen Bewußtsein würde die Erscheinung für uns niemals ein Gegenstand der Erkenntnis werden können.

    Seite 723: Eine Menge Wahrnehmungen und wohl auch eine ganze Sinnlichkeit würde möglich sein, in welcher viel empirisches Bewußtsein in meinem Gemüt anzutreffen wäre, aber getrennt und ohne, daß es zu einem Bewußtsein meiner selbst gehörte, welches aber unmöglich ist; denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperzeption) zähle, kann ich bei allen Wahrnehmungen sagen, daß ich mir ihrer bewußt bin.

    Seite 724: Die objektive Einheit alles (empirischen) Bewußtseins in einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperzeption) ist die notwendige Bedingung sogar aller möglichen Wahrnehmung, und die Affinität aller Erscheinungen (nahe oder entfernte) ist eine notwendige Folge einer Synthesis in der Einbildungskraft, die a priori auf Regeln gegründet ist.

    Seite 725: Alles Bewußtsein gehört ebensowohl zu einer allbefassenden reinen Apperzeption, wie alle sinnliche Anschauung als Vorstellung zu einer reinen inneren Anschauung, nämlich der Zeit.

    Seite 726: Erscheinungen können nur mittels jener Elemente (Kategorien) der Erkenntnis und  überhaupt  unserem  Bewußtsein (11), mithin uns selbst angehören.

    Seite 729: In dieser Einheit des möglichen Bewußtseins besteht auch die Form aller Erkenntnis der Gegenstände, wodurch das Mannigfaltige als zu einem Objekt gehörig gedacht wird.

    Seite 729: In dieser Einheit des möglichen Bewußtseins besteht auch die Form aller Erkenntnis der Gegenstände, wodurch das Mannigfaltige als zu einem Objekt gehörig gedacht wird.

    Seite 729: Also geht die Art, wie das Mannigfaltige der sinnlichen Vorstellung (Anschauung) zu einem Bewußtsein gehört, vor aller Erkenntnis des Gegenstandes als die intellektuelle Form derselben vorher.

    Seite 189: wegen der notwendigen Vereinigung allen Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperzeption.

    Seite 196: ohne Synthesis nach Begriffen von einem Gegenstand der Erscheinungen überhaupt würden sich die Wahrnehmungen in keinem Kontext nach Regeln eines durchgängig verknüpften (möglichen) Bewußtseins zusammenschicken.

    Seite 213: Das Reale, das den Empfindungen überhaupt korrespondiert, bedeutet nichts als die Synthesis in einem  empirischen Bewußtsein überhaupt. (12)

    Seite 213: In dem inneren Sinn kann das empirische Bewußtsein von  0  bis zu jedem größeren Grad erhöht werden.

    Seite 214: Man kann von der extensiven Größe der Erscheinung gänzlich abstrahieren und sich doch an der bloßen Empfindung in einem Moment eine Synthesis der gleichförmigen Steigerung von  0  bis zu dem gegebenen empirischen Bewußtsein vorstellen.

    Seite 215: Der allgemeine Grundsatz aller drei Analogien beruth auf der notwendigen Einheit der Apperzeption in Anbetracht alles möglichen empirischen Bewußtseins (der Wahrnehmung) zu jeder Zeit, folglich, da jene a priori zum Grunde liegt, auf der synthetischen Einheit aller Erscheinungen nach ihrem Verhältnis in der Zeit.

    Seite 215: Denn die ursprüngliche Apperzeption bezieht sich auf den inneren Sinn (den Inbegriff aller Vorstellungen), und zwar a priori auf die Form desselben, d. h. das Verhältnis des mannigfaltigen empirischen Bewußtseins in der Zeit.

    Seite 227: Sofern die Erscheinungen zugleich Gegenstände des Bewußtseins sind (als Vorstellungen), sind sie von der Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft nicht zu unterscheiden.

    Seite 232: die Vorstellungen des Bewußtseins sind innere Bestimmungen unseres Gemütes in diesem oder jenem Zeitverhältnis.

    Seite 290: Die Reflektion hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, sondern ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches ihr Verhältnis untereinander bestimmt werden kann.

    Seite 292: die transzendentale Reflexion, d. h. das Bewußtsein des Verhältnisses ...

    Seite 326: Verstandesbegriffe gehören notwendig zu einem möglichen empirischen Bewußtsein.

    Seite 333: Unter der Gattung als Vorstellung überhaupt steht die Vorstellung mit Bewußtsein.

    Seite 349: das Urteil:  ich denke  dient dazu, alles Denken als zum Bewußtsein gehörig aufzuführen.

    Seite 351: Das mindeste Objekt der Wahrnehmung (z. B. nur Lust und Unlust), welche zu der allgemeinen Vorstellung des Selbstbewußtseins hinzukäme, würde die rationale Psychologie sogleich in eine empirische verwandeln.

    Seite 352: Die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung  Ich,  von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff ist, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet.

    Seite 352: Das Bewußtsein ansich ist nicht sowohl eine Vorstellung, die ein besonderes Objekt unterscheidet, sondern eine Form derselben überhaupt, sofern sie Erkenntnis genannt werden soll.

    Seite 53: Wir maßen uns an, auf einen empirisch scheinenden Satz ein apodiktisches [logisch zwingendes, demonstrierbares - wp] und allgemeines Urteil zu gründen, nämlich daß alles, was denkt, so beschaffen ist, als der Ausspruch des Selbstbewußtseins es von mir aussagt. Ich kann von einem denkenden Wesen nur durch das Selbstbewußtsein eine Vorstellung haben.

    Seite 353: dergleichen Gegenstände sind die Übertragung dieses meines Bewußtseins auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende Wesen vorgestellt werden.

    Seite 731: das Bewußtsein ist das einzige, was alle Vorstellungen zu Gedanken macht.

    Seite 734: Wir können uns ein denkendes Wesen überhaupt nicht vorstellen, ohne uns selbst mit der Formel unseres Bewußtseins an die Stelle jedes anderen intelligenten Wesens zu setzen.

    Seite 736: Es können uns niemals unter äußeren Erscheinungen denkende Wesen als solche vorkommen, oder: wir können ihr Bewußtsein nicht äußerlich anschauen.

    Seite 737: Der Substanz, der in Anbetracht unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, wohnten dann an sich selbst Gedanken bei, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden könnten.

    Seite 738: Das einfache Bewußtsein ist keine Kenntnis der einfachen Natur unseres Subjekts. Wir können nicht hoffen, durch die bloße subjektive Form aller unserer Begriffe, das Bewußtsein, ohne Beziehung auf mögliche Erfahrung, Einsichten auszubreiten.

    Seite 739: Die Persönlichkeit der Seele müßte nicht einmal geschlossen, sondern als ein identischer Satz des Selbstbewußtseins in der Zeit angesehen werden.

    Seite 739: Die Identität der Person ist in meinem eigenen Bewußtsein unausbleiblich anzutreffen.

    Seite 739: der äußere Beobachter wird aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit in meinem Bewußtsein begleitet, und zwar mit völliger Identität, doch noch nicht auf die Beharrlichkeit meiner selbst schließen.

    Seite 740: Die Identität, die mit meinem Bewußtsein verbunden ist, ist nicht mit dem des äußeren Beobachters verbunden.

    Seite 740: Die Identität des Bewußtseins meiner selbst in verschiedenen Zeiten ist nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhangs.

    Seite 740: durch die Annahme beharrlicher Substanzen, nicht aber durch die Einheit des Selbstbewußtseins wird der heraklitische Satz widerlegt.

    Seite 740: Nehmt Substanzen an (Kugeln!), deren die eine der anderen Bewußtsein einflößt, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihr Bewußtsein der zweiten usw. mitteilt; die letzte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewußt sein, weil jene samt dem Bewußtsein in sie übertragen worden ist und dem ungeachtet würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen sein.

    Seite 740: denn wir selbst können in unserem Bewußtsein nicht darüber urteilen, ob wir als Seele beharrlich sind oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur das zählen, dessen wir uns bewußt sein.

    Seite 741: Aus der vorausgesetzten Substanzialität der Seele würde die Möglichkeit eines fortwährenden Bewußtseins folgen.

    Seite 741: Die Identität der Person folgt nicht aus der Identität des Ich im Bewußtsein aller Zeit, darin ich mich erkenne.

    Seite 742: Da ich aber, wenn ich das bloße Ich beim Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein anderes Korrelatum meiner Vergleichungen habe, als wiederum mich selbst mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewußtseins, so kann ich keine anderen als tautologische Beantwortungen auf alle Fragen geben.

    Seite 744: der transzendentale Idealist kann ein empirischer Realist, ein Dualist sein, d. h. die Existenz der Materie einräumen, ohne aus dem bloßen Selbstbewußtsein herauszugehen.

    Seite 745: Wir nehmen als transzendentale Idealisten das Dasein der Materie ebenso auf das Zeugnis unseres bloßen Selbstbewußtseins an, wie das Dasein meiner selbst als eines denkenden Wesens.

    Seite 745: Die Wirklichkeit äußerer Gegenstände wie der des inneren Sinnes habe ich nicht nötig zu schließen; denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewußtsein) zugleich ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist.

    Seite 745: Bei unserem besten Bewußtsein unserer Vorstellung von diesen Dingen ist noch lange nich gewiß, daß wenn die Vorstellung existiert, auch der ihr korrespondierende Gegenstand existiert.

    Seite 746: Die Vorstellungsarten (Erscheinungen) befinden sich jederzeit nur in uns, und ihre Wirklichkeit beruth auf dem unmittelbaren Bewußtsein ebenso wie das Bewußtsein meiner eigenen Gedanken.

    Seite 750: Wir müssen alle (innere und äußere) Wahrnehmungen bloß als ein Bewußtsein dessen, was unserer Sinnlichkeit anhängt, ansehen, und die äußeren Gegenstände derselben nicht für Dinge ansich, sondern nur für Vorstellungen ansehen.

    Seite 750: Man kann außer sich nicht empfinden, sondern nur in sich selbst, und das ganze Selbstbewußtsein liefert daher nichts als lediglich unsere eigenen Bestimmungen.

    Seite 752: Allein dieses Ich ist so wenig Anschauung als Begriff von irgendeinem Gegenstand, sondern die bloße Form (das uns unbekannte Objekt) des Bewußtseins, welches beiderlei Vorstellungen begleiten und dadurch zu Erkenntnissen erheben kann.

    Seite 764: Der Satz  ich denke  drückt das Selbstbewußtsein aus.

    Seite 766: Daher ist das  Selbstbewußtsein überhaupt (13) die Vorstellung desjenigen, was die Bedingung aller Einheit und doch selbst unbedingt ist.

    Seite 766: Den Schein, die Einheit in der Synthesis für eine wahrgenomene Einheit im Subjekt dieser Gedanken zu halten, könnte man die Subreption [Erschleichung - wp] des hypostasierten [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] Bewußtseins (apperceptionis substantiae) nennen.

    Seite 768: Die unbedingte Einheit des Daseins im Raum, d. h. nicht als Bewußtsein mehrerer Dinge außer ihr, sondern nur des Daseins ihrer selbst, anderer Dinge aber bloß als ihrer Vorstellungen.

    Seite 397: Da nun vom Nichtbewußtsein eines Mannigfaltigen auf die gänzliche Unmöglichkeit ein solches (sic!) in irgendeiner Anschauung desselen Objekts kein Schluß gilt ...

    Seite 402. Die eigentliche Bedeutung des Wortes  monas  sollte wohl nur auf das Einfache gehen, welches unmittelbar als einfache Substanz gegeben ist, (z. B. im Selbstbewußtsein), und nicht als Element des Zusammengesetzten.

    Seite 403: Es bringt also nur das Selbstbewußtsein es so mit sich, daß, weil das Subjekt, welches denkt, zugleich sein eigenes Objekt ist, es sich selber nicht teilen kann (obgleich die ihm inhärierenden Bestimmungen)

    Seite 410 In der Wirklichkeit des Bewußtseins ist diese Vorstellung doch nur durch eine Veranlassung der Wahrnehmungen gegeben.

    Seite 433: Nehmet an, dem Bewußtsein all dessen, was eurer Anschauung vorgelegt ist, sei nichts verborgen, so werdet ihr doch durch keine einzige Erfahrung den Gegenstand eurer Ideen in concreto erkennen können (denn es wird außer dieser vollständigen Anschauung noch eine vollendete Synthesis und das Bewußtsein ihrer absoluten Totalität erfordert, welches durch gar kein empirisches Erkennen möglich ist).

    Seite 440: Die innere und sinnliche Anschauung unseres Gemüts (als Gegenstandes des Bewußtseins).

    Seite 440: Alles ist wirklich, wenn es mit meinem wirklichen Bewußtsein in einem empirischen Zusammenhang steht, ob sie gleich darum nicht an sich, d. h. außer diesem Fortschritt der Erfahrung wirklich sind.

    Seite 461: keine wirkliche Wahrnehmung (wenn dem Grad nach für unser Bewußtsein zu schwach, um Erfahrung zu werden).

    Seite 518: Unser Bewußtsein aller Existenz gehört zur Einheit der Erfahrung; eine Existenz außer diesem Feld ist nicht unmöglich, aber eine nicht zu rechtfertigende Voraussetzung.

    Seite 528: Beide bisher geführten Beweise waren transzendental, d. h. unabhängig von empirischen Prinzipien versucht. Denn obgleich der kosmologische eine Erfahrung überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgendeiner besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprinzipien, in Beziehung auf eine durch das  empirische Bewußtsein überhaupt (14) gegebene Existenz geführt, und verläßt sogar diese Anleitung, um sich auf reine Begriffe zu stützen.

    Seite 552: Zu Wirkungen der Kräfte (Kausalitäten der Substanz) gehört in unserem Gemüt das Bewußtsein.

    Seite 582: Der Spiritualist erklärt unser Interesse an unserem Zustand nach dem Tod aus dem Bewußtsein der immateriellen Natur des denkenden Subjekts.

    Seite 589: Ein unentwickeltes Bewußtsein vom echten Gebrauch des Vernunftbegriffs von einem höchsten Wesen (Gott).

    Seite 601: Niemand kann eine dem Begriff der Realität korrepsondierende Anschauung anders woher als aus der Erfahrung nehmen, niemals aber  a priori  aus sich selbst und vor dem empirischen Bewußtsein derselben teilhaftig werden.

    Seite 632: Das Bewußtsein meiner Unwissenheit (wenn diese nicht zugleich als notwendig erkannt wird) weckt meine Untersuchungen.

    Seite 652: Es ist nicht einzusehen, wie mich das bloße Bewußtsein, welchees in allem Denken enthalten ist oder wenigstens sein kann, zum Bewußtsein eines Dinges überführen soll, in welchem das Denken allein enthalten sein kann.

    Seite 679: Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten.
Eine Diskussion der angeführten Stellen liegt nicht in der Absicht dieses Paragraphen. Im allgemeinen ergibt sich im Gegensatz zur empirisch-psychologischen Verwendung des Ausdrucks  Bewußtsein  in den früheren Schrifen KANTs hier der Gebrauch des Terminus in einem vorwiegend erkenntnistheoretischem Sinn. Auf einen  empirisch- psychologischen Erklärungsversuch der Entstehung und Ausbildung des Bewußtseins verzichtet KANT. Da aber KANTs  transzendentale  Erörterung des Bewußtseins vermögens  gleichwohl auch den apriorischen Elementen der  subjektiven  Möglichkeit desselben (teilweise doch noch am Leitfaden der alten  rationalen  Psychologie) nachgeht, und KANTs außerdem die sich ergänzenden erkenntnistheoretischen und transzendentalpsychologischen Untersuchungen nicht auseinandergehalten hat, so muß die dadurch erschwerte Interpretation sich ganz besonders vor einer Verwirrung dieser Gedankenreihen hüten.
LITERATUR - Hans Amrhein, Kants Lehre vom Bewußtsein überhaupt und ihre Weiterbildung bis auf die Gegenwart, Kantstudien, Ergänzungsheft, Nr. 10, Berlin 1909
    Anmerkungen
    1) Im Inhaltsverzeichnis z. B. der "Kantstudien", herausgegeben von VAIHINGER und BAUCH, Berlin 1896 bis 1907, wird der Ausdruck "Bewußtsein überhaupt" besonders registriert. - VORLÄNDER hat den Terminus in das Sachregister zu seiner Ausgabe der Kr. d. r. V. (Halle) jedoch nicht aufgenommen. COHEN dagegen führt ihn im Index zu seinem Kommentar der Kr. d. r. V. (Leipzig 1907) an.
    2) LEIBNIZ, Die philosophischen Schriften, herausgegeben von GERHARDT, Bd. VI, Seite 600
    3) Wie in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kr. d. r. V. so ist auch noch einmal am Schluß des Werkes (in beiden Auflagen) auf der letztenn Seite des "berühmten" WOLFF gedacht.
    4) Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Art. "Bewußtsein"; PAUL PIUR, Studien zur sprachlichen Würdigung Christian Wolffs, Halle 1903, Seite 48, 49, 53, 56, 96, 108, "manche von WOLFF wirklich neugebildete, wie Bewußtsein ..." (Seite 49).
    5) AB 76, Anm. (Seiten nach von KIRCHMANN-VALENTINER, Leipzig 1901).
    6) "Die Terminologie für sein Werk entlehnte KANT den für ihre Zeit ganz vortrefflichen Lehrbüchern von BAUMGARTEN (BAUMARTEN ist  der Autor,  an welchen KANT ohne weitere Namensnennung bei seinen Vorlesungen anknüpfte)." RIEHL, Methodologisches aus Kant. Einleitung zur zweiten Auflage des "Philosophischen Kritizismus", abgedruckt in den "Kantstudien", Bd. IX, Seite 503f. Vgl. Kants Vorrede zum "Streit der Fakultäten" (1798).
    7) Seite 75: "Alles dieses nimmt ein jeder in dem  unmittelbaren Bewußtsein der Begierde  beständig wahr." - - - Seite 77-78: "Ebenso in der Metaphysik: suchet durch sichere  innere Erfahrung, d. h. ein unmittelbares, augenscheinliches Bewußtsein  diejenigen Merkmale auf, die gewiß im Begriff von irgendeiner allgemeinen Beschaffenheit liegen, und ob ihr gleich das ganze Wesen der Sache nicht kennt, so könnt ihr euch doch derselben sicher bedienen, um vieles in dem Dinge daraus herzuleiten." - - - Seite 82: "Hier ist das  Bewußtsein von zweifacher Bedeutung:  man ist sich entweder einer Vorstellung nicht bewußt, daß man sie hat, oder, daß man sie gedacht hat ... daß es Vorstellungen geben könne, deren man sich im Wachen nicht erinnert, woraus aber gar nicht folgt, daß sie im Schlaf nicht sollten mit Bewußtsein klar gewesen sein." - - - Seite 83: "Man irrt, weil man urteilt, daß dasjenige nicht sei, wessen man sich in einem Ding nicht bewußt ist."
    8) Seite 58: "... ohne Bewußtsein der Erfahrung selbst oder des Schlusses." - - - Seite 73: "Andererseits ist es auch wahrscheinlich, daß die geistigen Naturen unmittelbar keine sinnliche Empfindung von der Körperwelt mit Bewußtsein haben können ..." "des Verhältnisses bewußt zu werden." - - - Seite 74: "Nicht in das klare Bewußtsein der Menschen übergehen können." - - - Seite 78: "Die Vorstellung, die die Seele des Menschen von sich selbst als einem Geist durch ein immaterielles Anschauen hat, indem sie sich in Verhältnis gegen Wesen von ähnlicher Natur betrachtet, ist von derjenigen ganz verschieden, da ihr Bewußtsein sich selbst als einen Menschen vorstellt, durch ein Bild, das seinen Ursprung aus dem Eindruck körperlicher Organe hat, und welches Verhältnis gegen keine anderen als materielle Dinge vorgestellt wir." - - - Seite 79: "Dem Zustand der Gedanken, als ebenderselben Person gehörig, zum Bewußtsein verhelfen." - - - Seite 80: Trotz der Ungleichartigkeit der geistigen Vorstellungen und derer, die zum leiblichen Leben des Menschen gehören, können Einflüsse der Geisterwelt in das persönliche Bewußtsein des Menschen mittelbar übergehen, indem sie nach dem Gesetz der vergesellschafteten Begriffe analogische Vorstellungen unserer Sinne erwecken. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, daß geistige Empfindungen in das Bewußtsein übergehen können, wenn sie ihnen verwandte Phantasien erregen.
    9) Die Seitenzahlen sind der DÜRRschen Ausgabe (von Kirchmann-Valentiner) angeführt.
    10) Ohne die Reihe der Belege zu unterbrechen und der späteren Erörterung vorzugreifen dürfte doch darauf hinzuweisen sein, wie schon in diesen wenigen Zitaten die formal verknüpfende, reinbegriffliche, ursprüngliche, kurz  erkenntnistheoretische  Vereinheitlichungsfunktion des Bewußtseins gegenüber der bloß  psychologischen  Verarbeitung des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen und empirischer Begriffe in den Vordergrund tritt.
    11) Diese Stelle findet sich in der transzendentalen Deduktion, aber nur in der ersten Auflage, im Original Seite 125 (bei ROSENKRANZ, Seite 112, bei HARTENSTEIN Seite582, in der KEHRBACH-Ausgabe Seite 134). Natürlich darf man in diesen harmlosen Worten den weittragenden Terminus "Bewußtsein überhaupt" noch nicht suchen. Erscheinungen können unserer Erkenntnis und, noch allgemeiner gesprochen, unserem Bewußtsein nur durch die Kategorien angehören.
    12) Über diese auffallende Verbindung: "empirisches Bewußtsein überhaupt" wird noch in einem späteren Paragraphen zu handeln sein.
    13) Diese Stelle findet sich nur in der ersten Auflage der Paralogismen zum Schluß hin, in der Originalausgabe Seite 401 (bei ROSENKRANZ Seite 318, in der zweiten HARTENSTEINschen Ausgabe, Seite 616, in der alten KIRCHMANNschen Ausgabe Seite 718, in der KEHRBACHschen Ausgabe, Seite 336. Dem ganzen Zusammenhang nach ist jedoch anzunehmen, daß KANT hier  noch nicht  den "Terminus technicus"  Bewußtsein überhaupt  hat prägen wollen. Es ist wohl nicht so zu konstruieren: Das Selbstbewußtsein überhaupt ist die Vorstellung desjenigen usw., sondern vielmehr  so  zu konstruieren: Das Selbstbewußtsein ist überhaupt d. h. im allgemeinen, immer die Vorstellung desjenigen usw.
    14) Über diesen auffallenden Ausdruck, der uns auch schon oben begegnet ist, wird noch an einer späteren Stelle gesprochen werden.