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Das Problem der Geltung [1/8]
1. Die Tendenz der vorliegenden Studie Somit ist die Aufgabe dieser Arbeit nicht gerichtet auf die Herausarbeitung der besonderen Formen und Gestaltungen, nicht auf die Entwicklung der konkreten Abzweckung und der speziellen, nur auf ein bestimmtes Gebiet bezogenen Anwendung, die jener Begriff nach dieser oder jener einzelnen Richtung und Seite hin erfahren hat. Nicht das Wesen juristischer, religiöser, wirtschaftlicher oder irgend welcher anderen Geltungen, nicht irgend eine Geltungsspezifikation und Geltungsspezialität, auch nicht die Summe einzelner Geltungsbestimmtheiten und Geltungsbesonderungen soll den Gegenstand der Untersuchung bilden. Aber ebenso wenig wie die religiösen, rechtlichen Geltungswerte usw., ebenso wenig sollen auch die Geltungswerte des Sittlichen und Schönen in die Erörterung einbezogen werden. Diese Ausschließung bedarf einer Begründung. Denn gerade unter prinzipiellem Gesichtspunkt könnte die methodische Berücksichtigung der soeben genannten Geltungswerte erwartet, ja gefordert werden. Und doch besteht jene Ausschließung zu Recht. Denn wenn das Problem des grundsätzlichen, des systematischen Geltungswertes zur Diskussion steht, dann ist offenbar damit gemeint, daß es sich lediglich um einen solchen Geltungswert handelt, der den Charakter der Grundlegung, der begründenden Voraussetzung, des unauflösbaren autonomen theoretischen Grundelementes besitzt. Und eine solche theoretische Geltungsdignität muß auch von jeglicher Philosophie des Guten und des Schönen logisch vorausgesetzt werden, auf eine solche muß diese selber aus Theorie sich stützen. (1) Das, was man gemeinhin Philosophie des Guten und des Schönen nennt, ruht auf dem Grunde der systematischen Geltungsbestimmung, geht zurück auf theoretische, auf ideelle Gesetzlichkeiten, die nicht innerhalb jener Philosophie, sondern nur im Rahmen der reinen Theorie zur Erörterung gelangen können. Von dem Gesichtspunkt systematischer und prinzipieller Grundlegung aus hat weder die Philosophie des Guten noch die des Schönen theoretische Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit. Beide sind, da sie beide eine philosophische Erkenntnis des im Begriff des Guten bzw. des im Begriff des Schöne gekennzeichneten Problemkreises bedeuten, umschlossen und getragen von solchen Bedingungen, durch die sie selber als Erkenntnis möglich sind. Keine Philosophie des Guten oder des Schönen ist logisch denkbar, ist methodisch entwickelbar, wenn nicht in prinzipiellem Zusammenhang mit der allgemeinen Systematik. Schon ihr Begriff kann nicht gefaßt, kann nicht systematischen Kriterien und Bedingungen, die für alle Erkenntnis überhaupt von grundlegender Bedeutung sind. (2) So fallen also die Geltungsbesonderungen, wie solche in den verschiedenen Zusammenhängen der Erkenntnis und des Lebens auftreten nicht ausdrücklich in ihrer Besonderheit in derselben hervor. Wohl aber sind sie logisch in jenem Geltungswert, der über die einzelnen verschiedenen Zusammenhänge hinausgreift, und der für sie alle gleichermaßen gültig ist, beschlossen und einbezogen. Sie sind Konkretisierungen und Verifikationen des prinzipiellen Geltungsbegriffes überhaupt. Sie alle haben ihren Quell und Kern, ihr Prinzip und ihren Sachgrund in dem obersten Geltungsgedanken, in dem sie alle logisch verankert sind. 2. Das Interesse der Philosophie am Geltungsproblem. Aus welcher Überlegung, als welchem methodischen Interesse kommt nun die Philosophie zur Aufstellung des Geltungsgedankens? Welche prinzipiellen Gründe führen dazu, sowohl diesen Gedanken überhaupt auszuzeichnen, als auch ihm eine besondere Bedeutung zuzusprechen? Ferner: Was gewinnt die Philosophie, wenn sie den Geltungsgedanken so energisch in den Vordergrund rückt und das in ihm enthaltene Problem aufzuklären unternimmt? Die Aufstellung des Problems der Geltung ist nichts Willkürliches, nichts Gelegentliches. Sie erfolgt vielmehr aus dem Begriff und Sinn der Philosophie selber mit zwingender Notwendigkeit. Während es jede andere Wissenschaft, jede einzelne Erkenntnis mit dem zu tun hat, was "ist", mit den Erscheinungen und deren Gesetzen sich beschäftigt, und ihrer ganzen Struktur und Richtung nach eine Analyse des Tatsächlichen als Tatsächlichen, als Gegebenen ist, bleibt es der Philosophie im eigensten Sinne vorbehalten, der Untersuchung des "Seins" gegenüber die Frage nach der Geltung, nach dem Gehalt, nach dem Sinn, nach dem Wert des Seins aufzuwerfen, um den Sinn dessen zu erhellen, was unter dem Sein und als Sein verstanden wird. Sie fragt nach dem Sein des Seins; sie fragt nach der Geltung, mit der das Sein gedacht wird. Jedesmal, wenn die Philosophie eine Erscheinung oder eine Erscheinungsreihe in der Kreis der Untersuchung zieht, dann geschieht dieses in dem Sinne, daß sie nach der inneren prinzipiellen Geltung, nach dem eigentümlichen Wertgehalt fragt, der in dieser Erscheinungsreihe steckt, auf den diese sich prinzipiell und logisch stützt und auf Grund dessen die empirische Darstellung dieser Erscheinungsreihe eben gilt. Die nähere Bestimmung des allgemeinen Geltungsprinzips, d. h. ob etwa dieses Geltungsprinzip als eine metaphysische Größe, oder ob es als ein psychologischer Prozeß oder aber als Kategorie, als logische Ideation zu gelten habe, bleibt die Sache weiterer Untersuchung. Zunächst ist ganz allgemein die prinzipielle Beziehung der philosophischen Problemstellung auf das Problem der Geltung überhaupt in ihrer Berechtigung zu verstehen und anzuerkennen. Der in der Geschichte der Philosophie so oft und unter so verschiedenartigen Fassungen aufgetretene Dualismus ist, in seiner Tiefe genommen, nichts Anderes, als der Versuch, die Beziehung zwischen dem empirischen Tatbestand einer Erscheinungsreihe und der Bedeutung oder Geltung dieser Reihe, m. a. W. das Verhältnis zwischen "Erscheinung" und dem "wahrhaft Seienden" prinzipiell zu bestimmen. (3) Und nun der Gewinn, der der Philosophie aus der Einstellung der Untersuchung auf das Problem der Geltung erwächst: Dieser Gewinn liegt in letzter Linie darin, daß für die ganze Fassung und Fügung der philosophischen Untersuchung in dem Wort. "Geltung" ein Generalname, eine einheitliche und aus diesem Grunde als Richtschnur für die Kritik geeignete Sinnbezeichnung gegeben ist. Man könnte mit dem gleichen Rechte statt des Wortes Geltung auch "Sinn", "Wert", "Gehalt", "Bedeutung", "Rechtfertigung", "Begründung", "Grundlegung" setzen. Denn um dieses alles eben handelt es sich, sobald die eigentlich philosophische Fragestellung auftritt. Ihrer prinzipiellen "Geltung" nach sind alle diese Bezeichnungen einander gleich-wertig, gleich-gültig. Daß in der vorliegenden Arbeit die Wahl auf die Bezeichnung: "Geltung" fiel, hat erstens darin seinen Grund, daß gerade diese Bezeichnung in der Philosophie der Gegenwart häufig angewendet wird, und sie hat zweitens ihren Grund in der Vorliebe, die LOTZE für jenen Ausdruck hatte, (4) dessen Philosophie in der Gegenwart zu vordringlichem Einfluß gelangt. Ferner empfiehlt sich die Wahl des Ausdruckes: "Geltung" aus theoretischen Gründen. Vergleicht man ihn mit den anderen, oben genannten Bezeichnungen, so zeigt sich, daß er die umfassendsten, allgemeinste, abstrakteste und deshalb für eine prinzipielle Untersuchung geeignetste "Form" besitzt, daß er vergleichsweise am wenigsten von sich aus schon die Beziehung auf eine bestimmte Geltungssphäre, auf einen bestimmten Sinnzusammenhang in sich trägt. Wegen seiner begrifflichen Weite ist er von Anfang an gerade für die uneingeschränkteste Fragestellung am tauglichsten; er umschließt am Ungezwungendsten den ganzen Gehalt und Sinn der philosophischen Fragestellung. 3. Das Sollen und das Geltungsproblem. Ich versuche nun, aber erst in vorläufiger Form, eine nähere Bestimmung des philosophischen Geltungsgedankens zu geben und zwar unter Benutzung des in dem ersten Paragraphen bezeichneten Standpunktes. Von diesem Standpunkt aus ist zunächst auf z w e i Geltungsreihen hinzuweisen, die fundamentalen Charakter und grundsätzliche Selbständigkeit besitzen. Das sind die psychologische und die logische Geltungsreihe. (5) Sie beide vertreten, wie sich noch des Genaueren zeigen wird, zwei Grundarten des Geltungsgedankens, zwei in sich geschlossene, in sich gegründete Geltungsformationen, die weder auseinander noch von einem ihnen übergeordneten höheren Prinzip abgeleitet werden können. Hier aber ist, gleichsam an der Schwelle der Untersuchung, einem Bedenken begegnen. Gegenüber der Behauptung, daß die beiden soeben bezeichneten Geltungsreihen die Bedeutung von selbständigen Grundarten des Geltungsgedankens haben, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob nicht alle Geltung in letzter Hinsicht den Charakter des Sollens habe, also in ihrer Grundstruktur postulativer und normativer Natur sei, und ob nicht im Sollen die grundlegende und oberste Deduktions- und Begründungsinstanz vorliege. Träfe das aber zu, dann wäre alle Geltungstheorie nur ein besonderer Ausdruck für den alten Versuch einer umfassenden Normwissenschaft, die in der Bedingungsart des Sollens die Grundlage und das Charakteristikum aller ihrer Deduktionen hat. Doch die Betonung des theoretisch-systematischen Gesichtspunktes bei der Analyse des Geltungsproblems macht es m. E. unmöglich, den Gesichtspunkt des Sollens als einen für den Begriff der Geltung grundlegenden und selbständigen anzuerkennen. Natürlich besitzt auch das Sollen als psychische Funktion eine psychische Geltung, und umgekehrt kann auch in der Geltung ein Ausdruck des Sollens gesehen werden: man kann in gewissem Sinne sagen, daß der Grund irgend einer Geltung darin liegt, daß etwas gelten soll. Aber wir können die Zurückführung der Geltung auf das Sollen darum nicht zugestehen, weil das Sollen keinen theoretischen Charakter, keine logische Geltung besitzt. Im letzten Grunde ist das Sollen keine theoretische, keine systematische, sondern es ist eine praktische Kategorie, und jede Philosophie, die im Sollen ihr Begründungsmoment erblickt, tritt über die Linie der Theorie hinaus, sie biegt ab in praktische, in pragmatische Argumentationen; sie hat nicht den Charakter der prinzipiellen Grundlegung, sondern den einer psychologischen Interpretation oder auch den einer Lebenslehre oder eines Inbegriffs von Lebensregeln. Und aus diesem Grunde ist gerade dem Sollen gegenüber in einem besonderen Sinne Vorsicht geboten. Auf Grund seiner ausgesprochen emotionalen Natur verleitet es nicht nur sehr leicht dazu, die reine Theorie zu verlassen, sondern auch dazu, in ihm eine metaphysische, dem erkenntnismäßigen Zusammenhang übergeordnete Wesenheit zu erblicken. Ist demnach eine auf das Sollen sich stützende Grundlegung ihrem grundsätzlichen Sinne nach nicht allein psychologistischer Natur, so kommt noch hinzu, daß sie eben deshalb sehr oft zur Metaphysizierung und Hypostasierung [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] des Sollens neigt. Wie immer es um die psychologische oder metaphysische Bedeutung des Sollens bestellt sein mag: als theoretischer, als kritisch gültiger Grundbegriff kann es unmöglich in Betracht kommen. 4. Sein und Geltung. Die nächste Aufgabe ist, wenigstens ungefähr eine Definition des Gedankens der Geltung zu geben. Der erste Schritt dazu besteht in der Abgrenzung der Geltung vom Sein, von der schon kurz die Rede war. Nicht als sollten damit Geltung und Sein realiter geschieden werden. Jene Unterscheidung trägt vielmehr lediglich methodische Bedeutung und begriffsanalytischen, problematischen Charakter. Nicht steht die "Geltung", als die e i n e Sphäre, dem "Sein", als der anderen Sphäre, fremd gegenüber. "Geltung heißt heißt nicht Abstraktion vom Sein, heißt nicht Negierung des Seins. Sondern sie bedeutet geradezu die Bejahung des Seins in der Richtung auf seine Ergänzung und Erhebung über den Standpunkt der nackten Faktizität zur Inhaltlichkeit, zum Gehalt, d. i. zur Geltung, die da aussagt, daß das Sein nicht nur i s t, sondern daß es auch g i l t, daß es etwas bedeutet, daß es einen Sinn hat. In der ganzen Weite dieser Bestimmungen ist der Begriff der Geltung aufzufassen; ihn lediglich auf ein einziges Gebiet zu beziehen und zu beschränken, ist reine Willkür. Überall, wo "Sein" ausgesagt und anerkannt wird, ist in und mit dieser Aussage und Erkenntnis der Geltungsgedanke gesetzt: alle Ordnungen und gedanklichen Zusammenhänge, in denen die Setzung und Entfaltung des Seins gedacht werden, weisen eine unlösbare immanente Beziehung zu dem Geltungsgesichtspunkt auf. Es wird sich ergeben, daß jeglichem Seinszusammenhang ein Geltungszusammenhang zugeordnet ist, und daß beide Zusammenhänge sich wechselseitig fordern. Die Betonung der korrelativen Beziehung zwischen Sein und Geltung ist aus einem prinzipiellen Grunde wichtig. Man könnte nämlich durch die Behauptung, daß das Etwas, welches vom Sein unterschieden und dem Sein als Geltung gegenübergestellt wird, einfach das Nichts sei, daß es das Nichts sein müsse, jede Geltungstheorie als unmöglich und widersinnig ablehnen und den Begriff der Geltung als den eines Un-Dinges aus dem wissenschaftlichen Denken entfernen zu können glauben: Denn stelle ich dem Sein die Geltung gegenüber, so mache ich diese zu einem Nicht-Sein. Dann aber könnte sofort ein prinzipieller Argwohn laut werden. Welcher Wert und Gehalt noch dem zukommen und innewohnen könne, das nicht real sei, das überhaupt nicht sei! Geraten wir nicht, wenn wir vom Sein absehen, in das leere Reich der Fiktionen? Muß nicht allem, was wir denken, anerkennen, was wir als Inhalt und Gehalt des Seins bezeichnen, ein Sein zukommen? Und stimmt man dem zu, dann ist ja wieder der Wert, der Gehalt als Sein anerkannt, von dem er doch unterschieden, dem er doch gegenübergestellt werden sollte. So scheint sich eine Antinomie zu ergeben. Entweder ist die Geltung in das Nichts, in das Unfaßbare, Irrationale, Überdenkliche zu verweisen, - dann fällt dieser Begriff aus der philosophischen Untersuchung heraus; oder aber die Geltung erweist sich als Sein und tritt in das Verhältnis der Identität zu diesem, sodaß die beabsichtigte Geltungstheorie nichts weiter als eine Seinstheorie wäre. Gegen diesen Versuch, schon die Möglichkeit einer auf das Problem der Geltung gerichteten Untersuchung zu verneinen, dürfte Folgendes zu bemerken sein. Zunächst bedeutet "gegenüberstellen" nicht "negieren"; das Anderssein ist nicht identisch mit dem Nichtsein; die Unterschiedenheit vom Sein bedeutet nicht das unbedingte Nichts. Wissen wir doch durch KANT, daß in der Reihe der Qualitätsurteile neben dem affirmativen nicht allein das negative Urteil, sondern auch das limitative auftritt, daß dieses keine unbedingte Negation, sondern nur die Verneinung einer bestimmten einzelnen Setzung und diese in einer bestimmten einzelnen Gedankenrichtung ausspricht, und daß es damit die Möglichkeit einer unendlichen Fülle positiver Bestimmungen erschließt. (6) Und im Anschluß daran betont HERMANN COHEN die eminente positive Bedeutung jenes Urteils. Es erscheint ihm geradezu unentbehrlich, um überhaupt "den Ursprung desjenigen Begriffs zur Definition zu bringen, der das Problem bildet". (7) Die Bedeutung des limitativen Urteils wollen auch wir für die Sicherstellung des Geltungsbegriffes heranziehen. Geltung vom Sein unterscheiden, sie dem Sein gegenüberstellen, das heißt demnach eine Sphäre erschließen, deren eigentümliche Bedeutung durch die Bestimmung als Sein nicht hinlänglich getroffen und charakterisiert ist. Dadurch geraten wir keineswegs in das Reich des Nicht, vor dem überhaupt Bedenken zu haben, eitel und überflüssig ist. Wird doch bereits von DEMOKRIT der Gedanke, daß das Nichts positive Geltung habe, mit den Worten ausgesprochen: "Das Nichts existiert ebensosehr wie das Ichts". (8) Und PLATO hat gezeigt, daß das Nicht überhaupt nicht nicht ist, sondern notwendig ein irgend Etwas bedeutet, er hat gezeigt, daß die Meinung, man könne ein Nicht denken, in das Reich leerer Einbildung gehöre. "Es ist unmöglich, daß Nichtseiendes Gegenstand einer Meinung sei, weder als gedacht in Beziehung auf irgend ein Ding noch an und für sich". (9) So ist das Nichts nicht nur ein legitimer Gegenstand der Untersuchung, sondern der Begriff des Nichts ist auch eine Voraussetzung und Bedingung für jede prinzipielle Untersuchung um zum Ja, um zu einer positiven Bestimmung des in Angriff genommenen Problemgebietes zu kommen. (10) Wenn also zugegeben werden muß, daß die dem Sein gegenübergestellte Sphäre des Nichts irgendwelche positive Bedeutung besitzt, so ist damit auch der zweite Teil des Einwandes abgewehrt, daß die Geltung, um sie in ihrer Realität zu retten und zu sichern, mit dem Sein identifiziert werden müsse. Gerade in der Sphäre, die dem faktischen, bloß daseienden Sein gegenübergestellt wird, erhebt sich das Denken zu positiven Setzungen und Bestimmungen. Indem es das Sein setzt, setzt es mit ihm den Begriff, den Gedanken der Bestimmung dieses Seins, eben als des in seiner Setzung Geltenden; es setzt das Sein und erkennt dieses Sein als ein Geltendes an, als etwas, das nicht nur Sein ist, wohl aber als ein Sein gilt. Anderenfalls würde das Denken seine eigene Arbeit und Leistung verleugnen und deren Ungültigkeit erklären, - wenn es das überhaupt vermöchte. In der Geltung wird das Sein aufgehoben in dem Sinne, in welchem HEGEL, diesen Ausdruck gebraucht, daß das Sein zur Geltung emporgehoben wird und als Moment der Geltung sein Sein als das des geltenden Seins erfaßt. Jede Setzung des Seins vollzieht sich unter einem bestimmten Gesichtspunkt, in einer bestimmten Ordnung, m. a. W. in einer bestimmten Geltungsweise. Im Rahmen dieser Ordnung, wie immer diese entwickelt und gedacht sei, nimmt jede Setzung des Seins eine bestimmte Stelle ein, ist sie an dieser oder jener Stelle eine geltende, in dieser oder jener Weise. (11) Also zweierlei ist hier zu beachten. Erstens daß in den Begriff des Seins unvermeidlich der Gedanke, daß das Sein gelte, daß es eine Geltung habe, einbezogen wird; unweigerlich wird der Begriff des Seins als geltend gesetzt, ihm wird eine Dignität, ein Geltungscharakter zugesprochen, in genauestem Sinne: zugedacht. Zweitens ist weder die Setzung des Seins noch die Beziehung des Geltungsgedankens auf das Sein ein einzelner, isolierter Akt von nur eingeschränkter, singulärer Bedeutung und Tragweite. Vielmehr ist sowohl jede Setzung des Seins als auch die Beziehung des Seins auf seine Geltung nur der Ausdruck, gleichsam die Abbreviatur, einer umfassenden systematischen Ordnung, in der jede einzelne Seinssetzung ihren logischen Ort hat, durch die sie in ihrem Setzungscharakter determiniert und logisch gesichert wird, und die erst die Klarstellung desjenigen Geltungscharakters ermöglicht, der für eine Seinssetzung in Anspruch zu nehmen ist, bzw. auf den hin die Seinssetzung erfolgt und gilt. Damit stoßen wir auf den grundlegenden Begriff des Systems der Ordnung, des Reihenzusammenhanges, der, wie er logisch jede gedankliche Setzung des Seins ermöglicht, so auch alle Geltung begründet: alle Setzungen des Seins in Gedanken, in der Erkenntnis, in der Wissenschaft, und für dieselbe und ferner auch den Nachweis und die Kritik dieses Geltens. Alles das ist abhängig von dem Begründungszusammenhang, den die unerschöpfliche Spontaneität des Denkens in autonomer Form entwickelt. Hinter diesen Begründungszusammenhang kann nicht zurückgegangen werden. Denn der Versuch, hinter ihn zurückzugehen, ihn gleichsam von einem noch höheren Prinzip aus zu deduzieren, setzt ihn als seine logische Ermöglichung bereits voraus. In der Aufstellung und Entwickelung des Gedankens des System folgt das Denken nur seinen eigenen Gesetzen. In dem Gedanken des Systems schafft es sich seinen endgültigen Geltungsausweis; im System rechtfertigt und bewährt sich das Denken, und so erweist sich der Begriff des Systems als der abschließende, weil logisch autonome Geltungsbegriff des Denkens.(12) Damit gewinnt der Systemzusammenhang in Bezug auf das Sein notwendig den Charakter des Geltungszusammenhanges des Seins. Alles Sein, das den Gegenstand irgend welcher Erkenntnis abgibt, aber ebenso alles Sein, das als Erkenntnisform und Erkenntnisprinzip sich auf die formale Seite der Erkenntnis bezieht, wird in irgend welcher Weise stets als Geltendes, stets als in Geltung Befindliches anerkannt, wie auch umgekehrt jede Geltung sich auf ein Sein bezieht, für und in Beziehung auf ein Sein gilt, an dem Sein die Möglichkeit seiner Darstellung, seines in die Erscheinung-Tretens, seiner empirischen, aber natürlich nicht erschöpfenden Verifizierung findet. (13) So können wir mit einer für den Zweck dieser Einleitung genügend orientierenden Bestimmung sagen: In und mit derselben logischen Grundfunktion, mit welcher das Sein gesetzt wird, wird auch die Geltung, die geltende Bedeutung dieses Seins mitgedacht und mitgesetzt. Das Denken und das Setzen der Geltung gehören ebenso zu den autonomen und grundsätzlichen logischen Leistungen wie das logische Setzen des Seins. Alle Stufen und Ordnungen, in denen das Sein sich logisch entwickelt, sind begleitet und getragen von Geltungs-Ordnungen. Um überhaupt den Begriff des Seins bilden und um überhaupt vom Sein reden zu können, muß in das Sein seine Geltung hineingedacht, muß ihm sein Gehalt hinzugedacht werden. 5. Die beiden prinzipiellen Geltungsreihen und der Kritizismus als Methode für ihre Untersuchung. (Zur Explikation des Geltungsbegriffes). a) So gewiß Wert und Fruchtbarkeit aller wissenschaftlichen Untersuchung abhängig sind von der zu ihrer Durchführung herangezogenen Methode, so gewiß sind Wert und Fruchtbarkeit der Philosophie im Besonderen, wie überhaupt ihr ganzer Charakter als Wissenschaft, bedingt durch die kritische Methode. Es ist das unsterbliche Verdienst KANTs, jene Methode entdeckt und entwickelt, ferner in ihrer Befolgung den eigentümlichen Wissenschaftscharakter und Geltungswert der wissenschaftlichen Philosophie erkannt und ausgezeichnet und diesen Wissenschaftscharakter und Geltungswert durch jene Methode festgelegt und gesichert zu haben. Es sind keine willkürlichen und keine äußerlichen Gründe, die die Anwendung gerade dieser Methode bedingen. Erstens: Ihre Befolgung ermöglicht es der Philosophie, sich in einheitlichem und eindeutigem Zusammenhang und Aufbau zu entwickeln. Zwar kann jedes Problem den verschiedensten Untersuchungsarten unterstellt werden; aber man würde doch die Einheit und Systematik der Philosophie und damit den ihr eigentümlichen Wissenschaftscharakter preisgeben, man würde um ihren Begriff immer aufs Neue Dunkel verbreiten und den Grund zur Mißverständlichkeit legen, wenn eine Analyse, die als eine philosophische gelten, und die diesen Charakter mit begrifflicher Strenge und Klarheit bewahren will, nicht verpflichtet wäre, nur eine Methode, eine ganz bestimmte Methode zu gebrauchen. Die Fülle der Gesichtspunkte und Verfahrungsweisen wirkt auf die systematische Fügung und Führung des Ganzen zersetzend und desorientierend. Und damit ist zugleich die logische Ergiebigkeit der Untersuchung gefährdet: mit der Eindeutigkeit der Richtungsbestimmtheit schwindet auch die Eindeutigkeit der Zielerreichung, die Eindeutigkeit des Sinnes, mit dem das Ziel ins Auge gefaßt und seine Verwirklichung gedacht wird. Wird von jeder Wissenschaft verlangt, daß sie nach einer bestimmten Methode vorgehe, so wird diese Forderung mit nicht geringerem Rechte auch für die Philosophie gelten. Zweitens: Beruht die Einheit und Systematik der Philosophie auf der Einheitlichkeit ihrer Methode, so gewährt ihr die Anwendung gerade der kritischen Methode den nicht geringeren Vorteil, daß sie sich dadurch in logisch genau bestimmbarer Weise von jeder anderen Wissenschaft unterscheidet. Durch sie wird die Philosophie zur kritischen Wissenschaft, zur kritischen Forschung. Sie tritt dadurch in ein genau bestimmbares und genau unterscheidbares Verhältnis zu den anderen, zu den einzelnen Wissenschaften. Aus jener Methode gewinnt die Philosophie das für die Festlegung ihre Begriffes konstitutive Merkmal; durch jene Methode konstituiert sich das der Philosophie eigentümliche Forschungsgebiet; erst durch sie läßt sich die Philosophie sicher unterscheiden von jenen beiden Forschungsweisen, die so oft mit ihr konkurrieren und auch in der Philosophie Heimatsrecht verlangen, der metaphysischen auf der einen und der genetischen auf der anderen Seite. Drittens: Auch die Untersuchung des Geltungsproblems gewinnt durch jene Methode natürlich die oben erwähnte Möglichkeit innerer Einheit und Bestimmtheit. Unter dem Gesichtspunkt der transzendentalen Kritik fragt die Analyse nach der prinzipiellen Möglichkeit des Geltungsbegriffes und nach den Bedingungen für seine logische Entwickelung. Jene Analyse begreift sodann an Hand der transzendentalen Kritik jene Geltungsbedingungen als Glieder eines Systems; sie sucht, die umfassenden Ordnungen und Zusammenhänge darzustellen, in denen sich der Geltungsbegriff entfaltet, in denen sich das System der Geltungen aufbaut. Aber an diesem Punkte muß sich die Kritik des Geltungsproblems auf das Äußerste vor dem psychologisch naheliegenden Versehen hüten, aus der Kritik und aus der analytisch-kritischen Systematik der Geltungszusammenhänge irgendwie eine Produktion, eine kunstvolle Schöpfung von Geltungs- und Wertsystemen zu machen. Das wären Zaubergeschichten, die da vortäuschen, aus irgendeinem, irgendwie hypostasierten Grundwert, aus irgend einer metaphysischen Geltungssetzung alle Geltungen und Werte deduktiv ableiten zu können. Statt, wie es zutreffend ist, alle Geltungen nach einem bestimmten Gesichtspunkt als notwendige Glieder innerhalb eines Zusammenhanges zu begreifen und darzustellen, versucht die metaphysische Spekulation, alle Geltungen aus einem Grundprinzip herauszuschälen. Das bedeutet die gleiche Umkehrung und Verdrehung der kritisch-methodischen Forschung, die sich z.B. NEWTON zu Schulden kommen ließ, indem er "seinen trefflichen Grundsatz, nicht causam gravitatis zu suchen, sondern lediglich per vim gravitatis zu erklären, nicht immer treu" blieb. (14) Geltungstheoretik und Geltungskritik sind streng zu unterscheiden von Geltungsmetaphysik und Geltungsdogmatik. Es gibt zwar viele, die, wie WINDELBAND einmal mit treffender Ironie bemerkt, "sich haben einreden lassen, die Aufgabe des Philosophen sei, Werte nicht etwa zu suchen oder zu verstehen, sondern zu schaffen und zu befehlen". (15) Das aber ist prinzipielle Entgleisung. Es ist eine der schwersten methodischen Verkennungen des Wesens der kritischen Philosophie, wollte man versuchen, aus der kritischen Untersuchung Regulative hervorgehen zu lassen, "um eine Lebensweisheit zu bilden", wie das FICHTE etwa will. (16) Gegen alle derartigen Unternehmungen ist HEGELs treffendes Mahnwort gerichtet: "Die Philosophie muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen". (17) Deshalb setzt auch die kritische Geltungstheorie als reine Forschung das Faktum von Ordnungen von Zusammenhängen voraus. Sie schafft jene Ordnungen nur insofern, als sie durch begriffliche Reflexion und Bestimmung deren eigentümlichen Geltungswert zu erfassen und in philosophischer Entwickelung darzustellen unternimmt. Doch die Anwendung des kritischen Gesichtspunktes auf das Problem der Geltung gewährt dem Begriff der Geltung noch nach einer anderen Richtung hin eine kritische Rechtfertigung. Die Vertreter des kritischen oder methodischen Idealismus zeigen nämlich diesem Begriff gegenüber eine gewisse Zurückhaltung, ja, ein leises Mißtrauen. (18) Was sie dazu bewegt, ist vielleicht der Verdacht, daß mit jenem Begriff eine neue Metaphysik errichtet, bzw. die Renaissance einer alten, wohl derjenigen FICHTEs, herbeigeführt werden sollte. Man beargwohnt im Wert- oder Geltungsbegriff, zumal dann, wenn er als letzter und grundlegender Begriff angesetzt wird, die dogmatische Errichtung irgendeiner transzendenten Absolutheit, irgend einer metaphysischen Substanz. Nun muß man wohl zugeben, daß durch den Neufichteanismus unserer Tage in gewissem Sinn eine Wendung zum Dogmatismus eingetreten ist, wie wir noch sehen werden. Aber eine solche Metaphysizierung des Geltungs- oder Wertbegriffes ist keineswegs notwendig; sie bezeichnet ein Stadium in der geschichtlichen und systematischen Entwickelung jenes Begriffes, welches prinzipiell überwunden ist. Es verhält sich hier so, wie vergleichsweise mit der metaphysischen Auffassung des Substanz- oder des Kausalitätsbegriffes. Wie es hier gilt, im Gegensatz zu der ontologischen Auffassung den kritisch-methodologischen Gehalt dieser Begriffe rein herauszuarbeiten und sie rein in methodischem Sinne zu verwenden, so auch bei dem Begriff der Geltung. Aber durch die bloße Ablehnung der metaphysischen Auffassung wird die Herausarbeitung der logisch-kritischen Auffassung des Geltungsbegriffes noch nicht genügend gesichert. Denn die kritische Untersuchung ist nicht minder als gegen jeden Geltungsdogmatismus, so auch gegen den Geltungspsychologismus anzugrenzen, so unbezweifelbar auch das wissenschaftliche Anrecht der Psychologie an jenem Begriffe ist und eine so reiche sachliche Ausbeute ihre Arbeit auch gewährt. Es soll also mit keinem Worte das gute Recht bestritten werden, das die Psychologie an dem Begriffe der Geltung besitzt. Aber trotzdem darf die prinzipielle Unterschiedenheit der Psychologie der Geltung von der Logik des Geltungsbegriffes nicht übersehen werden. Und nur durch die Auseinanderhaltung beider Untersuchungsweise und nur durch die Anwendung der kritischen Methode auch auf die Psychologie der Geltung kann zugleich ein altes, oft behandeltes Problem klargestellt werden, nämlich dasjenige des Verhältnisses zwischen Metaphysik und Psychologie. Während man gewöhnlich in der Metaphysik die Hypostasierung und Ontologisierung von Begriffen, gleichsam eine realisierte und hypostasierte Logik erblickt, wird die kritische Analyse der fundamentalen Geltungswerte, auf welche die Psychologie zurückgeht, zeigen, daß es nicht sowohl logische als psychologische Werte, daß es nicht sowohl Begriffe als komplexe Gebilde psychologischer Natur sind, die jener Hypostasierung unterliegen. Und es wird sich ferner ergeben, daß der Akt der Hypostasierung selber ein psychologischer ist, daß viel umfassendere Momente und Motive als solche rein logischer Natur zu jener Hypostasierung führen. Alle Metaphysik ist nur hypostasierte Psychologie. Will man diese Hypostasierung vermeiden, so ist es notwendig, die Geltungspsychologie ebenso scharf von jeglichem Geltungsdogmatismus abzugrenzen, wie sie gegenüber dem Geltungslogismus abgegrenzt werden muß. b) Nunmehr können wir die beiden Geltungsreihen, denen oben fundamentale Bedeutung und grundsätzliche Selbständigkeit zuerkannt wurde, die kritisch-logische und die psychologische, genauer kennzeichnen und ihr gegenseitiges Verhältnis beleuchten: Alle psychologische Geltungsordnung stützt sich in letzter Linie auf die Totalität psychischer Akte, in der Momente des Vorstellens, Wollens und Fühlens in verschiedenem Mischungsgehalt miteinander verbunden sind. Sucht man nach dem Ober- oder Generalbegriff für dieses komplizierte Ganze von Akten, so kann man sagen: es ist das Leben, das Erleben, auf das ganz allgemein jede psychologische Ordnung zurückgeht; die Psychologie des Vorstellens oder die des Wollens oder die des Gefühls ist ein Ausschnitt, sie bezeichnet ein abgrenztes Problemgebiet aus der umfassenden Psychologie des Lebens. So kann man in dem Moment des Lebens geradezu das Kriterium erblicken, an dem die psychologische Geltungstheorie als solche kenntlich ist. Diese grundsätzliche Voranstellung des Lebens als der Grundgeltung verbindet, wie später die geschichtliche Übersicht bestätigen wird, zu einem besonderen Typus von irrationalistischer Färbung und Struktur solche philosophischen Grundlegungen miteinander, deren Beziehung nicht ohne Weiteres in die Augen fällt, ja die überhaupt in keiner inneren Beziehung zueinander zu stehen scheinen. Denn auf den ersten Blick erfaßt man schwerlich den inneren Zusammenhang, der doch zwischen Pragmatisus, VAIHINGERs Philosophie des Als-ob, BERGSONs Philosophie der Intuition und DILTHEYs Grundlegung der Geisteswissenschaften herrscht. Und doch geht durch alle diese Theoreme wie ein roter Faden der gleiche Grundgedanke, daß Leben und Erleben den unbedingten Geltungswert darstellen. In dieser Gruppe psychologistischer Grundlegungen wird m. a. W. der Geltungsbegriff in emotionalistisch-irrationalistischem Sinne gedeutet, durch sie wird ein Geltungsirrationalismus begründet und vertreten. Demgegenüber behaupten die Vertreter des logisch-kritischen Geltungsgesichtspunkten, daß der letzte und fundamentale Geltungswert, auf den die philosophische Begründung und Untersuchung sich stützen und von dem sie ihren Ausgang nehmen muß, begriffsmäßigen Charakter besitzen, daß er logische Bedeutung haben muß. Nur in dem Moment des Logos ruhe grundlegende, begründende Kraft. Eine philosophische Analyse, die den Logos als begründenden autonomen Geltungswert ausschließt oder in seiner Autonomie und Omnipotenz einschränkt, büßt ihren theoretischen und im Anschluß daran ihren wissenschaftlichen und systematischen Charakter ein. Indem nun aber im Logos der autonome Grundwert erkannt und behauptet wird, ist gegeben, daß es nicht die Zusammenhänge und Bezüge des Lebens sind, sondern daß es die Wissenschaft, die Erkenntnis ist, die bei dieser Grundlegung ins Auge gefaßt wird, daß deren Konstituierung hier als Aufgabe auftritt. Das aber heißt, daß es der Gesichtspunkt der Theorie, der theoretischen Analyse ist, der beherrschend in den Vordergrund tritt, und dessen prinzipielle Superiorität auch allem gegenüber, was als Leben bezeichnet wird, aufrecht erhalten wird. So entwickelt sich eine Geltungsreihe, die in ihrer inneren Verfassung und in ihrem Aufbau ausgesprochenermaßen rationalistischen Charakters ist. Den Logos der Geltung und die Geltung des Logos, den Logos als Geltung und die Geltung als Logos - das ist es, was nachgewiesen, was dargestellt werden soll. Und auch für diese Untersuchung soll die systematische Analyse ergänzt werden durch eine historische Skizze bestimmter Verfechter des Geltungsrationalismus und Geltungslogismus. Ist nun mit der Entwickelung dieser beiden grundsätzlichen Formationen des Geltungsgedankens das gesamte Gebiet von Geltungen überhaupt umfaßt? Oder sind wesentliche Geltungsreihen außer Acht gelassen? Man könnte z.B. an die der Religion oder der Kunst oder der Sittlichkeit usw. denken. Das führt auf einen schon im Eingang dieser ganzen Einleitung berührten Punkt. In der Tat sind jene beiden Formationen der Geltungsgedankens die beiden in grundsätzlicher und systematischer Beziehung einzigen, sie sind die allein grundsätzlich autonomen. Alle anderen Geltungsreihen sind Abzweigungen, Vereinzelungen von ihnen, Unterabteilungen, die sich stets entweder unter die eine oder unter die andere jener beiden Grundgeltungen einordnen lassen. Es mag genügen, dieses an ein paar Beispielen beleuchten. Die Geltungsreihe der Religion oder die der Kunst stellt, auf ihre prinzipielle Struktur hin geprüft, keine eigengesetzliche Ordnung dar, sondern beide gehören dem psychologischen Geltungsgedanken an, sie erwachsen auf seinem Boden, sie unterstehen seiner Kompetenz. Religionsphilosophie dagegen sind als Philosophie, also als Wissenschaft, als Erkenntnis, bestimmte Ausprägungen und Determinationen des logischen, des theoretischen, des rationalen Geltungsgedankens, sie sind theoretische Geltungen, die sich auf eine dem psychologischen Geltungsgedanken gegenüber durchaus autonome Grundverfassung und Gesetzlichkeit stützen. Und so verhält es sich mit allen anderen Geltungsreihen. Geht man auf ihre eigentlichen Kern und Nerv zurück, so erweist es sich stets, daß sie sich auf die eine oder die andere der beiden genannten prinzipiellen Grundformen des Geltungsgedankens zurückführen und in diese beiden Grundformen auseinanderlegen lassen. Was hier in der Sprache der Philosophie und in rein theoretischer Ausführung als Fundamentalformen des Geltungsgedankens, als letzte, unüberbietbare, nicht weiter zurückführbare, sich selbst verbürgende Ausprägungen des Geltungsgedankens überhaupt bezeichnet wird, als Wurzeln, deren jede von sich aus Geltungszweige in autonomer Form entwickelt, das ist im letzten Grunde nichts anderes, als was FRIEDRICH NIETZSCHE mit dem Gegensatz des Apollinischen und des Dionysischen bezeichnet hat. Dieser Gegensatz ist aber nicht beschränkt auf ein besonderes Gebiet der Kultur, etwa der Kunst; ihm verdankt nicht eine besondere Gruppe von Kulturformen ihr Dasein: über das ganze Feld menschlicher Leistungen ist er verbreitet; bis in die Tiefe jeder einzelnen Gestaltung reicht er hinein, so den Reichtum, aber zugleich die tragische Antinomie bedingen, die für alle Kultur ebenso unentbehrlich als bezeichnend ist. (19) In dem Verhältnis zwischen dem "theoretischen Menschen" und dem "Willensmenschen" stecken Probleme, die über den Rahmen der Theorie hinausgehen und die überwältigende Problematik des Lebens selber zum Ausdruck bringen. Aber trotzdem muß es immer dabei bleiben, daß die philosophische Untersuchung dieses Verhältnisses und der großen, in ihm ruhenden Problematik den Charakter der Theorie, der rationalen Analyse unentwegt aufrecht erhält und nicht mit irrationalen Grundwerten, wie dem Erleben oder dem Gefühl arbeitet. Welches Gebiet auch immer die Philosophe zu begründen sucht, so ist doch für die Funktion dieser Begründung selber kein anderer Gesichtspunkt berechtigt, keine andere Methode gültig, kein anderer Weg gangbar, als derjenige, welcher der Logik der Erkenntnis, der der Rationalität der Wissenschaft entspricht, der auf sie Bezug nimmt, soll überhaupt die Philosophie den Charakter und den Geltungswert der Erkenntnis bewahren, soll sie nicht zur Romantik und Mystik entarten. Die Berufung auf andere als logische Grundwerte, wie es jetzt wieder bei einer ganzen Reihe von Philosophen geschieht, ganz gleich in welchem Sinne diese Berufung erfolgen mag, das Zurückgehen auf über- und unterlogische, auf über- oder unterbewußte Faktoren gefährdet den wissenschaftlichen Sinn und das wissenschaftliche Geltungsrecht der Philosophie, gefährdet die systematische Sicherheit und Eindeutigkeit, die systematische Gesetzlichkeit und Autonomie ihres Begründungszusammenhangs. Was heißt überhaupt "Leben" und "Erleben"? Haben diese Größen von sich aus Eindeutigkeit und Bestimmtheit? Besitzen sie die Geltung systematischer, gesetzlich-einheitlicher Grundwerte? Läßt sich mittels ihrer ein gesetzlich-systematischer Aufbau der Erkenntnis vollziehen? Läßt sich bei ihrer Zugrundelegung die synthetische Einheit und die synthetische Notwendigkeit der Erkenntnis ergreifen und begreifen? Bedürfen sie nicht erst der logischen Klarstellung und des kritischen Rechtsausweises über ihren Sinn und ihre Bedeutung, bevor man sie in die wissenschaftliche Arbeit hineinträgt? Müssen nun auch alle psychologistischen Versuche als methodisch ungeeignet für den Zweck der Begründung der Erkenntnis abgelehnt werden, so ist solange damit nicht das Mindeste gegen die Geltung des Erlebens gesagt, solange diese Geltung nicht mißbraucht und dem Erleben nicht Befugnisse zugesprochen werden, deren Erfüllung es nicht gewachsen ist. Das Leben steht vor uns da in all seiner Gewalt und Kraft. Es schafft, wie wir sehen werden, selbständige Geltungsreihen von umfassender Form und allergrößter Tragweite; und wir werden versuchen, das Gesetz zu bestimmen, durch das diese Eigengeltung entwickelt wird. Nur ist es, unbeschadet, seiner Macht und Geltung, kein Prinzip der Begründung, es ist kein Argument. So wird dem Mißverständnis vorgebeugt sein, als sollte ein Zweifel gegen das wissenschaftliche Recht der Psychologie geäußert werden. Nur zu oft entsteht die Verwechslung zwischen einer wohlbegründeten und ertragreichen Einzelwissenschaft, die ihre erprobten und rechtsgültigen Methoden besitzt, der Psychologie nämlich, und dem unkritischen Versuch, die Methoden dieser Einzelwissenschaft, zur systematischen Methodik der Grundlegung zu erheben, eine gleiche Verwechslung, als wenn man die Methoden und Gesetze der Physik oder Astronomie verwenden wollte für die Aufgabe der Grundlegung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Und was für die Psychologie, aber gegen den Psychologismus gesagt wurde, das gilt natürlich auch für das Verhältnis zwischen Biologie und Biologismus. Indem man die Biologie anerkennt und anerkennen muß, ist damit nicht zugleich die Anerkennung des Biologismus gegeben. Die Anerkennung und die Aufrollung der beiden grundsätzlichen Geltungsreihen, der irrationalistisch-biologisch-psychologischen und der rationalistisch- theoretisch- systematischen, führen weiter zu der Frage ihres Verhältnisses untereinander. Gerade im Hinblick auf die gegenwärtigen Bemühungen, dem Irrationalismus und der Romantik wiederum Eingang in die Philosophie zu verschaffen und gegenüber der Betonung, daß der Irrationalismus die natürliche Ergänzung des Intellektualismus und Logismus darstelle, gilt es, über dieses Verhältnis zur Entscheidung zu kommen, und die Frage zu lösen, ob die irrationalistisch-psychologische Argumentation überhaupt imstande ist, der Aufgabe der systematischen Grundlegung gerecht zu werden. c) Um in diesen Dingen klar zu sehen, ist es erforderlich, beide Geltungsreihen gleichermaßen nach der transzendental-kritischen Methode zu untersuchen. Denn Sinn und Augenmerk dieser Methode zu untersuchen. Denn Sinn und Augenmerk dieser Methode sind darauf gerichtet, diejenigen Bedingungen, diejenigen Voraussetzungen herauszuarbeiten und in ihrer Geltung zu beleuchten, auf die sich beide Reihen begründen, und mit denen sie als sie konstituierende Geltungswerte operieren. Nur auf diese Weise dringt man in ihre innere Gliederung und Struktur ein, deckt man ihr Gefüge und ihr Prinzip auf. Damit ist die Einheit der methodischen Untersuchung, eben der transzendentalen Methode, gegeben. Wir benutzen diese Methode sowohl in Bezug auf diese wie in Bezug auf jene Geltungsreihe, um deren Eigenart und Dignität gerade als Geltungsreihe zu erfassen und kritisch zu bestimmen. Es soll gezeigt werden, daß überhaupt apriorische Bestimmungen das Fundament jener Geltungsgebiete ausmachen - das ist nach Kantischem Sprachgebrauch sozusagen die metaphysische Deduktion - und daß sie das Fundament in dem Sinne ausmachen, daß diese apriorischen Bestimmungen die Bedeutung von objektiven Geltungswerten haben, von Geltungswerten, die die Objektivität jener Geltungsgebiete sichern - das ist dann die transzendentale Deduktion im Sinne KANTs. Sonach würde es einen in doppelter Hinsicht unheilbaren methodischen Mißgriff bedeuten, wenn eine Studie, die sowohl theoretischer Natur sein will, als auch das Problem gerade der Geltung zu behandeln sucht, sich nicht der kritischen Methode bedienen würde. Erstens würde sie nicht den Charakter, nicht die Geltung der reinen Theorie haben, zweitens aber würde sie gerade diejenige Methode nicht anwenden, die die Seinsbestände und Seinszusammenhänge gerade daraufhin erforscht, was in diesen als Geltungen und an Geltungen auftritt, die also von der quaestio facti zur quaestio iuris, m. a. W.: das Geltungsproblem, im eigentlichen Sinne zum Gegenstande hat, die prinzipiell auf das Problem der Geltung bezogen sind. Fassen wir zusammen, was die ganze Einleitung zu entwickeln suchte, um das hier aufgeworfene Problem und die Art und Weise seiner methodischen Behandlung zu kennzeichnen, so ergeben sich als charakteristische Gedankengänge dieselben Momente, in denen WINDELBAND mit sehr glücklicher Formulierung die Aufgabe der Philosophie im Allgemeinen erblickt. Er "versteht unter Philosophie im systematischen (nicht im historischen) Sinne nichts anderes als die kritische Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten". Und zur Verdeutlichung fügt er hinzu: "Die Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten: das bezeichnet die Gegenstände; die kritische Wissenschaft: das bezeichnet die Methode der Philosophie". (20)
Vgl. auch HEINRICH RICKERT, Über logische und ethische Geltung, Kantstudien XIX 1914, Heft 1 - 2, Seite 182f Vgl. HERMANN COHEN, Ästhetik des reinen Gefühls, I. Bd. 1912, Vorwort Seite XI Vgl. EMIL LASK, Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre, 1911, Seite 2 ff Vgl. RICHARD FALCKENBERG, Hermann Lotze, sein Verhältnis zu Kant und Hegel und zu den Problemen der Gegenwart. Ztschr. f. Philosophie u. philos. Kritik, Bd. 150, 1913, Seite 17f Vgl. WINDELBAND, Einleitung in die Philosophie, 1914, Seite 211f KANT, Kritik der reinen Vernunft, Seite 123. (Die Zitate aus den Werken Kants erfolgen nach der Ausgabe in der "Philosophischen Bibliothek", Leipzig). HERMANN COHEN, Logik der reinen Erkenntnis, 1902, Seite 74 DIELS, Fragmente der Vorsokratiker, 1903, Seite 433, Frag. 156 PLATON, Theaitetos 189b. In der neueren Logik weist auf die positive und erzeugende Bedeutung des "Nicht" u. an HEGEL hin, z. B. Phänomenologie, Seite 55. Ferner COHEN, Logik der reinen Erkenntnis, S. 70 ff. Vgl. auch NATORP, Die logischen Grundlagen d. exakten Wissenschaften, Seite 25. Derselbe, Kant und die Marburger Schule, Kantstudien XVII. 1912, Heft 3, Seite 210 Vgl. auch Georg Lasson, Grundfragen der Glaubenslehre, Leipzig 1913, Seite 96 Vgl. auch NATORP, Die logischen Grundlagen etc. Seite 22ff.; besonders Seite 24 Vgl. auch EMIL LASK, Die Logik der Philosophie etc., u. a. Seite 31 und öfter. BAUCH, I. Kant und sein Verhältnis zur Naturwissenschaft. Kantstudien XVII, 1912, Heft 1/2, Seite 17 WINDELBAND, Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus, Logos I, Heft 2 (1910) S. 186; vgl. DERSELBE, Präludien 2. Aufl., 1903, "Das Heilige" Seite 356 FICHTE, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. Ausgabe von FICHTES Werken besorgt von FRITZ MEDICUS, Bd. III, Seite 233 HEGEL, Phänomenologie, Seite 8 Vgl. PAUL NATORP, Platos Ideenlehre, 1903, S. 195; DERS., Über Platos Ideenlehre; Philos. Vorträge veröffentlicht von der Kantgesellschaft; Vortrag 5, 1914, Seite 10 und 96 Vgl. RICHARD M. MEYER, Nietzsche. Sein Leben und seine Werke, 1913, Seite 20 WINDELBAND, Präludien, 2. Aufl., 1903, S. 30; vgl. auch PAUL HENSEL, Hauptprobleme der Ethik; 2. Aufl., 1913, Seite 126 f |