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FELIX MARIA GOLDNER
Die Begriffe der Geltung
bei Lotze

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"Für Kant gab es nur auf dem Gebiet des Angenehmen und Schönen Werturteile, Beurteilungen, die ihm noch durch eine unüberwindliche Kluft vom eigentlichen Urteil, der theoretischen Erkenntnis, getrennt waren. Es war Lotze, der die Begriffe Wert und Bewerten vom Gebiet der Sinnlichkeit und der Kunst herüberführte auf das des sittlichen Lebens und der sittlichen Betrachtung. Die Lehre von den Werten ist der Ort, an dem er im Mikrokosmus moral-philosophische Probleme diskutiert. Die Einführung des Wertbegriffs in die Logik ist erst das Werk seiner Schüler."

"Weshalb das normative Gelten als das logische Gelten bezeichnet wird und seinen Gegensatz als das psychologische, ist leicht ersichtlich. Mancher Inhalt gilt irrtümlich als wahr, dann ist er das, als was er gelten will, nicht anders als in der Einbildung, im Bewußtsein, in der Seele dessen, der ihn vorstellt. Ein solcher Inhalt hat also ein nur psychisches als-wahr-gelten - es besteht keine Pflicht, ihn anzuerkennen, sondern er wird nur tatsächlich anerkannt. Als unabhängig aber vom Psychischen empfinden wir die Wirklichkeit und ebenso das Wahre, den Logos. Logisch ist somit der Gegensatz zu psychisch, und das normative Gelten der Wahrheit - d. h. ein mehr als nur in einer Psyche als-wahr-gelten - ist ein logisches Gelten."


Einleitung

Es sind Jahrtausende vergangen, seitdem in den Menschen die Sehnsucht erwacht ist, die Welt zu erkennnen. Man machte sich an diese Arbeit, ohne eine Ahnung von der Ungeheuerlichkeit des Zieles, mit dem Mut der Jugend, deren Unerfahrenheit die Gefahren nicht ahnt, die es zu überwinden gilt. Es ist zweifelhaft, ob dieses Ziel überhaupt zu erreichen ist. Manche bestreiten es bis auf den heutigen Tag und behaupten, daß es nur eine aus freilich heißem Wissensdrang geborene, halb bewußte, halb unbewußte intellektuelle Unreinlichkeit ist, die den Begriff der Erkenntnis, dem ihm immanenten Sinn zuwider, so lange hin und her wendet, bis sein Gehalt - nur noch äußerlich geschmückt mit jenem faszinierenden Namen - so erdennah geworden ist, daß unsere Wissenschaft den Vergleich mit ihm nicht mehr zu scheuen braucht.

So viel ist sicher, damals fühlte man deutlich, daß der Moment noch nicht gekommen war, sich diesem Ziel zu nähern. Ganz abgesehen von den völlig unzureichenden Mitteln, die den ionischen Naturphilosophen zur Verfügung standen, fehlte es an einem anderen, noch viel wesentlicheren, an der Klarheit über das Ziel selbst. Es begannen jene Überlegungen, deren eine immer wiederkehrende die über die Unmöglichkeit der Erkenntnis ist. Das unendlich Neue an diesen Gedanken war, daß sie nicht mehr auf das Wissen der Welt, sondern auf die Welt des Wissens gerichtet sind. SOKRATES bedeutet den unvergleichlichen Moment, in dem das menschliche Denken begriff, daß der Weg zur Erkenntnis viel weiter ist, als man sich träumen ließ, und daß er, wenn überhaupt, nur auf dem Umweg über das Phänomen der Erkenntnis selbst zu erreichen ist. Denn die Erkenntnis ist gleichsam das Mittlere zwischen dem Menschen und der Welt. Diese Tendenz ist zwar schon vom großen Schüler des SOKRATES verlassen worden, aber sie ist nie wieder verlorengegangen. Besonders die neuere Philosophie, in keinem unbedingter als in KANT, ist durchdrungen von dem Gedanken, daß der Gegenstand unserer Untersuchungen, die doch die Welt zum letzten Ziel haben, vorläufig das Wissen sein muß. Ist es gewiß ein Irrtum, die Absichten des SOKRATES und KANTs dahin zu deuten, daß die Theorie des Wissens eine vornehmere Aufgabe ist als die Metaphysik selbst - sie ist nur eine Vorfrage -, so dürfen wir nicht verkennen, daß es eine der größten Errungenschaften unseres Geschlechts war, diese Vorfrage in den Hintergrund zu stellen.

Vielleicht kann man behaupten, daß es im Ganzen der Geschichte der Philosophie noch nichts wieder gab, das an Tiefe der Einsicht des SOKRATES gleichkommt. Wenn das wahr ist, so zerfällt das Denken der Menschheit in zwei Perioden: die vorsokratische und die sokratisch-kritische, in die hinein auch wir noch gehören und über die mit Erfolg hinauszugehen uns möglicherweise nicht beschieden ist. Denn so oft man die Mahnung des SOKRATES überhört hat, so oft sah man sich gezwungen, wieder umzukehren und den mühsamen Weg der bloßen Vorbereitung von neuem zu beschreiten.

So ging es uns nach dem letzten Zusammenbruch der wundervollen Systeme des deutschen Idealismus. Mit vollem Bewußtsein wandte man sich ratsuchend dem großen Sokratiker KANT zu. Die Anlehnung an ihn ist ein wesentliches Merkmal der neuesten Philosophie; aber auch da, wo nicht direkt eine Aneignung und Verarbeitung seines Werkes stattfand wie bei HUSSERL, überall lebt unverkennbar die Tendenz, als Gegenstand der Philosophie nicht die Wirklichkeit, sondern die Erkennen anzusehen. Wissen, Erkenntnis, Wahrheit, das sind die Dinge, deren Erforschung wir als unsere vorläufig wesentlichste Aufgabe empfinden.

Zu den Begriffen, die mit den genannten in einem innigen Zusammenhang stehen oder in einen Zusammenhang mit ihnen gebracht werden, gehört der Begriff des  Geltens Manchen scheint es, daß er es ist, der die Lösung der Rätsel des SOKRATES birgt. Hierdurch ist ihm und den Untersuchungen, die ihn zum Gegenstand haben, der systematische und philosophiegeschichtliche Ort bestimmt.

Dieser schon in der allgemeinen Sprache nahegelegte Ausdruck wurde von LOTZE zu philosophischer Bedeutung erhoben. Von ihm aus gelangte er in die Gedankenkreise der Marburger, Badener und Göttingische Schule (vgl. FALCKENBERG, Hermann Lotze, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 150; EMIL LASK, Die Logik der Philosophie).

Seitdem ist der Begriff des Geltens bei den Denkern der genannten Richtungen bereits mehrfach behandelt worden. Ohne auf LOTZE näher einzugehen, betrachtet SSALAGOFF die Wichtigkeit des Geltens in der neuesten Literatur ( SSALAGOFF, Vom Begriff des Geltens in der modernen Logik). PFEIL stellt sich die Aufgabe, den Einfluß LOTZEs, speziell seines Begriffs der Geltung, auf die logische Bewegung der Gegenwart darzustellen (PFEIL, Der Einfluß Lotzes auf die logische Bewegung der Gegenwart).

Der Nachweis dieses Einflusses aber hat zur Voraussetzung eine eingehende Analyse der Lehre LOTZEs vom Gelten. Diese scheint mir in der Arbeit von PFEIL nicht gelungen zu sein. Und doch ist eine Monographhie über das Gelten bei LOTZE geboten, aus systematischen und historischen Gründen: Wegen der Nähe, in die er zum Begriff der Wahrheit gerückt wird, wodurch er zur Lösung der Grundfrage der Philosophie beizutragen verspricht, und weil LOTZE, der zu den größten Denkerns des 19. Jahrhunderts gezählt zu werden beginnt, der Schöpfer dieses Ausdrucks ist.

Die Darstellung der LOTZE'schen Lehre vom Gelten aber ist von doppelter Schwierigkeit. Wäre es die Aufgabe, etwa KANTs Lehre über die Zeit oder selbst das rätselhafte Phänomen der Wahrheit darzustellen, so wäre unser Blick von vornherein nach einer bestimmten Richtung eingestellt, und es käme nur darauf an, ihn nach dieser Richtung hin zu schärfen, um zu erfahren, was sich dort zeigt. Angenommen, wir sind wieder in der Lage selber zu sagen, was Zeit und Wahrheit eigentlich sind, noch wie es zu Beginn der Untersuchung sich von selbst versteht, was es ist, was KANT darüber lehrt, so glauben wir doch, schon von vornherein einen gewissen Sinn bei diesen Worten zu verstehen, ja sogar gerade den von KANT gemeinten, wenigstens so weit, daß wir gleichsam den Rahmen besitzen, dessen Konturen, im einzelnen variierbare, im Großen und Ganzen nicht korrekturbedürftig sind, und den nun mit spezifisch kantischem Inhalt zu füllen, eine relativ einfache Aufgabe ist - und allem Anschein nach für eine neuentdeckte, wenn auch alte Tatsache -, so ist die Situation dadurch komplizierter, daß es in diesem Fall zunächst darauf ankommen muß, das zu leisten, was bei bekannten, in den Grundlinien leidlich feststehenden Ausdrücken auch philosophischen Inhalts keiner besonderen Arbeit bedarf:  Die Situation ausfindig zu machen, die durch den Terminus "Gelten" markiert  wird, den Sinn aufzudecken, den er birgt. Ohne an dieser Stelle auf das prinzipielle Verhältnis von Wort und Begriff eingehen zu können (Vgl. GOLDNER, Kritische Gedanken zum Problem der Sprache, Archiv für systematische Philosophie, Bd. 2, 1913), kann gesagt werden: Nicht nur der Begriff des Geltens, sondern bereits das Wort ist zunächst ein Geheimnis.

Dies ist die erste Schwierigkeit.

Das Buch von LIEBERT, das durch die Allgemeinheit seines Titels "Das Problem der Geltung" vermuten ließ, hierüber Aufschluß zu geben, geht an dieser Frage vorüber und stellt sich andere Aufgaben.

Die zweite besteht darin, daß der Begriff des Geltens bei LOTZE nicht eindeutig ist, wie bereits von FALCKENBERG erkannt wurde. Dies soll nicht heißen, daß die Behauptungen LOTZEs über das, was er mit Gelten oder was ihm das Gelten bezeichnet, einander widersprechen. Von einem solchen Widerspruch könnte ja nur dann die Rede sein, wenn der Terminus Gelten immer denselben Sachverhalt meinte und LOTZE über ihn etwa bald positivistischer, bald rationalistischer Ansicht wäre. Dies ist nicht der Fall. Doch stattdessen ist ein größerer Vorwurf gegen LOTZE zu erheben. Er hat nicht eine Bedeutung des Geltens mit etwa zwei antagonistischen Ausführungen oder Durchführungen dieses Begriffs, sondern es  sind drei verschiedene Situationen, die der Terminus "Gelten" bezeichnet.  Es gibt bei LOTZE drei Lehren vom Gelten, entsprechend den drei Bedeutungen des Wortes.

Da diese Lehren verschiedene Situationen zum Gegenstand haben, ist es nicht nötig, daß sie einander widersprechen.

Ich werde im folgenden diese Drei Bedeutungen nachweisen und Zeigen, daß die drei Lehren nicht nur nicht einander ausschließen, sondern sich ergänzen und miteinander zusammenhängen.

Daß sich die ganze Darstellung vielfach im Widerspruch zu LOTZE zu bewegen hat, ist nach dem Gesagten verständlich, da nicht anzunehmen ist, einen Denker besser zu verstehen als er sich selbst verstand. Diesen immanenten Logos der Gedanken gilt es durch alle Unvollkommenheiten ihrer zufälligen Erscheinung im Geistes LOTZEs hindurch zur freien Entfaltung zu führen.


I. Das normative Gelten

Die eine der drei Bedeutungen, in der LOTZE den Terminus Gelten anwendet, ist die, welche im Begrif des "geltenden Rechts" zum Ausdruck kommt. Positives, existierendes oder geltendes Recht wird dem richtigen, vernünftigen oder Naturrecht entgegengestellt. Positives Recht ist ein Gesetz oder ein System von Gesetzen, das zu einer bestimmten Zeit von einer bestimmten Staatsgewalt einmal im Laufe der Geschichte aufgestellt wurde und sich durch obrigkeitliche Macht oder die Macht der Gewohnheit Ansehen verschafft hat, wobei der Inhalt des Gesetzes oft genug absurd, despotisch und gegen alle Regeln der Vernunft oder der Menschlichkeit gewesen sein mag. Richtiges Recht hingegen ist ein solches, das bereits durch seinen Inhalt würdig ist, Gesetzeskraft zu erlangen und das oft genug in den historischen Gemeinschaften überhaupt nicht zur Entfaltung gekommen ist. In diesem Hinweis sind die beiden Elemente enthalten, die das Ganze dieses ersten Abschnittes durchdringen. Der Ausdruck  Gelten  bedeutet so viel wie "anerkannt" oder "angesehen werden als etwas". Geltendes Recht bedeutet demnach ein System von Satzungen, das als Recht - gilt oder gegolten hat; mit anderen Worten, mit solchen, die den Terminus  Gelten  vermeidend das Gemeinte umschreiben: "geltendes" Recht ist ein solches, das als Recht anerkannt, angesehen, das für Recht gehalten wurde - ohne wirklich Recht zu sein, wie wir im Sinne des oben angedeuteten naturrechtlichen Dogmatismus hinzufügen können, wobei unter Recht ein Gebilde verstanden wird, das an die göttliche oder "natürliche", das ist an die absolute Sphäre streift und von ihr aus Weihe und Dasein empfängt. In dem gleichen Sinn sagt man: Dieser Mensch gilt als reich, oft mit der unausgesprochenen Nuance, daß man seinen Reichtum überschätzt: Er ist nicht reich, aber er gilt als reich. So könnte man zahlreiche Beispiele anführen, in denen der Terminus Gelten die Situation des  Anerkennens  bezeichnet.

In diesem Sinne ist dann eben auch, wenn LOTZE davon spricht, daß Wahrheiten "gelten".

Zugleich aber liegt in diesem Beispiel der Gedanke, der dem ungeschulten Denken höchst selbstverständlich ist und der vom Rationalismus und Kritizismus mit prägnanter Schärfe gelehrt wird, daß die Anerkennung, die sich etwas tatsächlich zu verschaffen imstande ist, nicht im geringsten die Berechtigung des Anerkennens beweist. Denn vieles wird anerkannt, ohne der Anerkennung würdig zu sein, ohne die Anerkennung von sich aus zu verlangen, mit rein innerer Notwendigkeit.

Nachdem am Anfang dieses Abschnittes auf die Bedeutung des  Wortes  "Gelten" andeutend hingewiesen ist, wird nun der dieser Wortbedeutung korrespondierende Begriff des Geltens bei LOTZE betrachtet werden; d. h. um im Bild der Einleitung zu bleiben, es ist die spezifische Füllung des nunmehr sin seinen Konturen bekannten Rahmens zu geben: LOTZEs Lehre vom Gelten in der Bedeutung des Anerkennens.

Fragen wir nach den Dingen, nach der Art der Dinge, die Gegenstand unseres möglichen Anerkennens sind oder werden können, so antwortet LOTZE mit einem ebenfalls nicht eindeutig bestimmten Ausdruck: "Werte".  Sie  sind das, was anerkannt wird. Das sachliche Interesse an LOTZEs Lehre vom  Gelten  geht somit dahin, festzustellen, was LOTZE über die  Werte  lehrt. Eine ausführliche, allen Einzelheiten gerecht werdende Analyse seiner Wertlehre liegt nicht im Rahmen dieser Schrift. Sie ist versucht worden CHELIUS, Lotzes Wertlehre. Hier kommt es nur darauf an, die Tendenz festzustellen, die sich in seinen um den Begriff des Wertes zentrierenden Ausführungen ausdrückt.

Solcher Tendenzen gibt es, ganz allgemein zwei.

Der Unterschied zwischen ihnen ist nicht derart, daß die eine naiver ist als die andere und somit in einem höheren Stadium des Denkens notwendig überwunden wird. Bezeichnet man die beiden Pole als Dogmatismus und Relativismus, so dürfte behauptet werden: Es gibt einen naiven Dogmatismus, wie es einen naiven Relativismus gibt, und es gibt einen geläuterten Dogmatismus wie einen geläuterten Relativismus. In der Höhe intellektueller Vollkommenheiten sind beide gar nicht so weit voneinander entfernt, als es in den Niederungen der Naivität erscheint. So kommt es, daß Denker von großer seelischer Weite die Elemente von beiden in sich tragen. LOTZEs Wertlehre im engeren Sinne - d. h. seine um den Terminus  Wert  zentrierenden Gedanken die, wie sich zeigen wird, nicht das einzige Material für eine Darstellung seiner Lehre vom Gelten als Anerkennen ist - ist in den Anfängen naiv relativistisch gefärbt, um allmählich jenem höheren Relativismus zuzusteuern, dem nicht viel fehlt zur Synthese des Relativismus mit dem Dogmatismus. Bezeichnen wir diese beiden Pole durch die Symbole PROTAGORAS und PLATON, so ist Lotzes Wertlehre eine dem Platonismus entgegentreibender Protagoreismus.

Fragen wir, was ein  Wert  nach LOTZE ist, was der Begriff des Wertes bedeutet, so vermissen wir eine Antwort hierauf. LOTZE sagt nicht, was ein Wert ist, sondern nur, wie er  entsteht.  Aber es ist höchst unfruchtbar, aus der Art der Entstehung eines Dings Einblick gewinnen zu wollen in die Struktur seines Seins, in den Gehalt, in das Wesen seiner Existenz. Auf gewisse Fragen kann man nur gewisse Antworten erhalten, und es ist unrecht, solche Resultate auf Gebiete zu übertragen, an welche die Fragestellung ihrer Art nach prinzipiell nicht heranreicht. Es ist etwas Grundverschiedenes, nach dem Entstehen eines Dings zu fragen oder nach dem, was es bedeutet, was es selber wert ist - was es wert ist, nachdem es entstand oder in irgendeinem Stadium seines Werdens oder gar abgesehen davon, ob es überhaupt in die Reihe des Werdens tritt, sofern sich bei einem Ding hiervor absehen läßt. Hinsichtlich des Wahrheitswertes der Vorstellungen hat es der Kritizismus unendlich oft ausgesprochen, daß es nicht angeht, den Wert und die Würde eines geistigen Besitzes statt nach dem, was es selbst ist und bedeutet, nach der Art seiner Entstehung in uns abzuschätzen und daß solche Ursprungserzeugnisse nichts bedeuten (LOTZE, Prinzipien der Ethik, Seite 612). Es würde eine Täuschung sein, selbst wenn wir alles wüßten, was wir über die einzelnen Stadien der Entstehung zu wissen wünschen könnten, wenn wir darum besser über die Wahrheit unserer logischen Grundsätze urteilen zu können glaubten (Logik, Seite 543). Ähnliche Anerkennungen des kritischen Gedankens finden sich bei LOTZE bereits im Mikrokosmus. Dennoch ist ein Teil seiner grundlegenden Betrachtungen des Wertphänomens ein grober Verstoß hiergegen. So weist LOTZE darauf hin, daß ein Wert zustande kommt, indem ein Tatbestand auf unser Inneres wirkt und Gefühle der Lust auslöst, und hebt dementsprechend vielfach hervor, daß Werte "genossen" werden. Von hier aus ist es richtig, daß jeder beliebige Gegenstand Wertobjekt zu werden imstande ist, sofern er zur Lusterzeugung in uns dienen kann. Lust und Wert, Wert und Gefühl sind Wechselbegriffe. Diese Bemerkungen sind nicht so sehr ansich falsch, als sie falsch werden, sofern LOTZE glaubt, durch sie logisch zum Relativismus geführt werden zu müssen. Selbst wenn wir die Korrelation von Lust und Wert zugeben - auch dies ist nicht ohne weiteres einwandfrei, da diese Behauptung auf einer recht willkürlichen Beschränkung des Terminus Wert auf gewisse Phänomene beruth -, so folgt daraus nichts für das, was der Wert  ist.  Man kann diesen Satz fast zu den Axiomen rechnen, so sehr scheint er eines Beweises zu spotten. Er kann, oder besser, er muß geglaubt werden, und er kann weder logisch noch erfahrungsgemäß widerlegt werden - sonst wäre er nicht Axiom, sondern Hypothese. Freilich, er kann durch manches gestützt, gefestigt werden, und LOTZEs im zweiten Abschnitt zu besprechener Begriff des  Geltens  wird dies leisten. Hier genügt es zu sagen, daß man ohne Ausnahme jedes Ding in eine Beziehung zu einem anderen bringen kann, um es dann in dieser seiner Relation zum Gegenstand einer Betrachtung zu machen. Weil man aber dieses Verfahren an jedem Gegenstand anwenden kann, so folgt daraus, daß es absolut ungeeignet ist, die im eigentlichen Sinne relative Natur eines Gegenstandes kenntlich zu machen oder zu beweisen. Nichts anderes als dies aber ist das Verfahren LOTZEs. Er richtet von vornherein, so sehr er sich auch darum bemüht, den Blick gar nicht auf das, was der Wert selber ist - um nicht das vieldeutige "Wert ansich" zu gebrauchen -, sondern er verfehlt dieses Ziel in den angeführten Gedankenkreisen so gründlich, daß er es auf diese Weise nicht mehr finden kann; denn er betrachtet von vornherein den Wert in seiner Beziehung zum Menschen, mit anderen Worten, statt der Werte faßt er ins Auge das Werten, d. h. die Werte, sofern sie erfaßt werden vom Menschen. So treibt er eine Psychologie des Wertens statt einer Logik der Werte. Aber so richtig, selbstverständlich und trivial die Behauptung ist, daß Werte, sofern sie vom Menschen erfaßt, in Relation zu ihm geschaut werden, ganz in den Rahmen seiner höchst subjektiven, nicht göttergleichen Natur gehören, so wenig beweist dies die Relativität des Wertes selber.

Diese Relativität wird auch nicht dadurch bewiesen, daß den Menschen zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes wertvoll erschien. Auch diese ansich richtige Beobachtung trifft nicht die Werte selber. All dies einschließlich der Konsequenz, daß alles, was als wertvoll empfunden wird, oder daß alle Werte, die von uns empfunden werden, nicht tiefer im Absoluten verankert sind, als das höchst schwankende, in nichts über das bloß menschliche hinausragende Gefühl; ebenso die in diesem Sinne gemeinte Behauptung, daß der Gedanke eines irgendwie unbedingt Wertvollen, das seinen Wert nicht durch seine Fähigkeit zur Erzeugung von Lust bewiese, sich selbst überfliegt und das, was er wollte (Mikrokosmus II, Seite 316); schließlich das völlige Absorbiertseinlassen des Wertees vom Genießen eines genußfähigen und genußsüchtigen Wesens wie der Mensch, . . . Dies alles ist naiver Relativismus. Wir lehnen den naiven Relativismus ab, wie wir den naiven Wertdogmatismus ablehnen. Insofern jener einen Protest gegen diesen bedeutet, sind wir mit ihm eins.

Ist das Vergehen des naiven Relativismus ein mißverständliches Verflüchtigen der Werte, so ist der Fehler des naiven Platonismus das Gegenteil, die Verdinglichung.

Dieser naive Wertdogmatismus wird durch die Vorstellung gekennzeichnet, die, wie ich glaube, aus den Bildern der Primitiven spricht. Mit den heiligen Worten der Spruchbänder ragt gleichsam ein Überirdisches sichtbar-plastisch ins Diesseits hinein. Die Entschlüsse und Imperative der Gottheit sind in moderner Terminologie "Werte", die, wie immer über dem Menschen thronend, neben dem Irdischen ein Sein haben, das ihm an Konsistenz vergleichbar, aus gleichem Stoff ist wie das Wirkliche, räumlich, dinglich. Das Sein der Werte ist dem Sein der Dinge ähnlich oder gleich. Eine solche Auffassung vom Wesen der Werte ist es, die diese Bilder bildhaft und ein wenig mehr als bildhaft darstellen. Aber die Werte sind nicht nur Seiendes, Existierendes überhaupt, sie sind existierend wie die Dinge, nicht werdend wie die Ereignisse, sondern in sich ruhend und fertig. Auch diese Überzeugung, daß der Wert etwas ist, das  fertig  in einem Ding liegt, kann man sich an diesen Bildern vor Augen führen. Doch soll hier dahingestellt bleiben, ob dieser Glaube wirklich ganz und gar naiver Dogmatismus ist. LOTZE lehnt ihn entschieden ab, wie sehr er andererseits den oben behaupteten Relativismus zu dämpfen versucht.

Eine Stütze scheint der Relativismus freilich zu gewinnen durch den Hinweis auf die Subjektivität der Sinnesempfindungen. Farben und Töne können doch kein Dasein haben außer in dem bloßen Gefühl, in der Empfindung des Menschen. Und doch sind die Gegenstand nicht nur des Angenehmen, das wir kaum zu den Werten, die objektiv zu sein auch nur beanspruchen, zählen - sondern des Schönen, sind Material der Kunst, der das "Genießen" gewiß unwesentlich ist. Wie ist es möglich zu glauben, daß sie in einem die menschliche Subjektivität übergreifenden Sinne wertvoll sind, wo sie doch nicht einmal in einem über die menschliche Subjektivität hinausgehenden Sinne existierend sind? Und doch versucht LOTZE selbst diesen Einwand zu beschwichtigen. Zunächst muß man sich darüber klar werden, daß die Farben und Töne, gerade weil sie außerhalb des Gefühls oder des Bewußtseins kein Dasein haben, doch nicht Täuschungen oder Irrtümer sind. Eine solche Auffassung wäre doch zu sehr an den Versuch, sie in der Welt des Raums zu lokalisieren, orientiert, den LOTZE mit Recht als sinnlos ablehnt. Dann aber haftet ihnen gar nicht mehr Subjektiv-willkürliches an. LOTZE betont an dieser Stelle scharf den bedeutenden Unterschied zwischen Subjektivität und Willkürlichkeit. Die Töne haben ein Dasein nur in einer Welt der Subjekte, aber in ihr haben sie tatsächlich ein Dasein, sind sie wirkliche Objekte wie die Dinge im Raum. Und so wenig sind sie bloß subjektiv, daß es auch bei ihnen gewisse Beziehungen gibt, deren Sein zu leugnen so sinnlos und töricht ist als die Leugnung der eigenen, von menschlicher Willkür unabhängigen Natur der räumlichen Dinge. Auch das System der Farben und Töne ist ein Gegenstand für den Menschen, und so, wie es ist - unabhängig vom Willen, wenn auch innerhalb der Grenzen der Subjektwelt - muß es hingenommen werden. Und so wie sie Gegenstände sind und nicht subjektive Täuschungen, so gibt es auch nach LOTZE unbedingt eine "Objektivität" in den Reaktionen des Gefühls auf sie. Unabhängig von unserer Willkür erfolgen die Reaktionen unserer Wertgefühle. "Daß einer in einem Moll-Akkord eine andere Schönheit findet als in einem Dur-Akkord, das ist nicht sein Werk, vielmehr, obgleich derartige Werte nur in seinem Gefühl eine Wirklichkeit haben, so stehen sie doch seinem Gefühl als ein System mannigfacher Glieder gegenüber, deren jedes seinen besonderen Charakter und seinen besonderen Wert hat, ohne daß der Geist imstande wäre, diese Verteilung zu ändern" (Prinzipien Seite 8).

In diesem Satz ist die antirelativistische Tendenz LOTZEs unverkennbar. Immer deutlicher mäßigen sich seine relativistischen Behauptungen von der Basierung der Werte im bloßen Gefühl dahin, daß es keinen Sinn hat, von Werten in einer Welt jenseits der Subjektivität, jenseits des Gefühls, wenn ich LOTZE recht verstehe, jenseits des Bewußtseins zu sprechen, sowie daß die Werte vor ihrem Eintritt in die Sphäre des Gefühls eigentlich noch nicht "Werte" sind, ohne daß durch eine derartige Subjektivierung und Relativierung ihr gegenständlicher und verpflichtender Charakter vernichtet wird.

So sieht er sich sogar zu der Annahme der Totalbeseeltheit des Universums geführt, die ihm von hier aus viel mehr als eine bloß poetische Deutung der Welt erscheint. Denn da wir nicht daran glauben wollen, daß die Dinge der Natur, die wir als schön empfinden, ansich oder in sich wertindifferente Tatsachen sind, da wir daran festhalten wollen, daß dem Schönen eine Wirklichkeit außer uns zukommt, da aber andererseits ein Wert (Schönheit) für LOTZE nur als innerer Zustand eines empfindenden Wesens denkbar ist, so bleibt uns nach LOTZE nur übrig, denjenigen als den "objektiven Wert" zu betrachten, den die Dinge empfinden, wenn sie sich selber anschauen. "Zu dieser Folgerung, welche über alles Seiende die Helligkeit einer lebendigen Beseelung ausbreitet, müßte unsere Sehnsucht entschlossen fortgehen; in ihr allein fände sie die Möglichkeit, dem Schönen eine Wirklichkeit außer uns zu verschaffen, indem sie ihm eine Wirklichkeit im Innern der Dinge gäbe" (Mikrokosmus I, Seite 398). So hat es den Anschein, also ob das Gefühl schließlich nicht der Grund und Schöpfer der Werte ist, sondern eher ihr Korrelat auf der Seite des Menschen, in dem Sinne, daß das Gefühl nur irgendeiner anderen seelischen Funktion entgegengesetzt wird, und daß nur dem Gefühl und nicht etwa dem Intellekt die Fähigkeit zugesprochen wird, Werte zu erfassen. Durch eine solche Wendung würde die Lehre vom Gefühl zu einer bewußt rein wertpsychologischen Behauptung degradiert werden und nicht mehr das Geringste über die Werte selbst auszusagen auch nur prätendieren [behaupten - wp]. Freilich, so weit entfernt sich LOTZE wohl doch nicht von seinem Ausgangspunkt. Immerhin ist der Relativismus in einem  Relationalismus  aufgelöst. Unter Relationalismus verstehe ich eine Auffassung, die das Wertphänomen letzten Endes nicht anders als in irgendeiner Beziehung zum Menschen glaubt begreifen zu können. Diese Beziehung ist in diesen objektiven Partien der LOTZE'schen Lehre nicht im geringsten mehr Abhängigkeit vom Menschen, vielmehr wird nun dem Geist lediglich der Charakter der bloßen Realisierung der Werte zuerkannt. Es wird der genießende Geist jetzt nur noch als das Mittel aufgefaßt, "durch dessen Mitwirkung der in den Dingen vorbereitete Wert zu der wirklichen Existenz kommt, die er freilich nicht anders als im Augenblick des Genossenwerndes besitzt" (Prinzipien, Seite 8), hiernach ist der Geist des Menschen nur die Instanz, die dem Wert der Dinge in der Erscheinungswelt eine Stätte des Daseins bereitet, der nach alledem ja doch schließlich schon vor dem Genossenwerden existiert, zwar nicht als "Wert", aber doch als wertvoll, d. h. als würdig der bewertenden Anerkennung. Und es ist eine Synthese von Protagoreismus - als dessen Frucht wir den zum Relationalismus geläuterten Relativismus LOTZEs ansehen - und Platonismus, die aus dem schönen Satz spricht: "man betrügt sich theoretisch um das Beste der Lust, wenn man meint, sie könne irgendwie darin bestehen, daß man an etwas  seine  Freude habe. Vom eigenen Wert der Dinge werden wir bezwungen; er wird durch die Lust nur anerkannt" (siehe GEORG MISCHs Einleitung zu LOTZEs "Logik", Seite lXIV). An diesen Punkt geführt, scheint die Frage, ob es Werte gibt jenseits des genießenden Gefühls oder des bewertenden Bewußtseins, eigentlich wesentlich terminologisch geworden zu sein, ist doch ihr anerkennunggebietener Charakter unbedingt zugegeben.

Wir haben LOTZEs Wertlehre betrachten müssen, obgleich in ihr der Terminus Gelten nicht vorkommt, denn sie Material für LOTZEs Lehre vom Gelten in der Bedeutung des Anerkennens. Freilich, sie ist nicht das einzige Material. Es gibt anderes, worin die Tendenz, an etwas Objektives, allgemein Verbindliches in unseren Wertungen zu glauben, reiner, ungetrübter lebt.

Dies führt zu einigen Bemerkungen über den Terminus "Wert". In der Wertlehre hatte es erst den Anschein, als ob LOTZE dazu neigte, ihn mehr für den Akt des Genießens, Anerkennens, Bewertens zu gebrauchen als für das Anerkannte, Bewertete, Wertgefüllt; er schien ihn ganz für die Seite des Subjekts zu reservieren, und dies gewiß umso mehr, je stärker er ursprünglich an die völlig anthropologische Natur der Wertinhalte und des Wertphänomens glaubte. In dem Maße aber, in dem er hiervon Abstand zu nehmen für erlaubt oder geboten hielt, läßt sich auch eine terminologische Veränderung konstatieren. Fertig zwar ist auch in den letztgenannten Sätzen der Wert nicht ohne des Menschen Zutun, aber der Genuß oder die Anerkennung des Menschen erhielt doch rein instrumentalen, sekundären Charakter, sie hat nicht die Kraft, Werte zu schaffen, sondern ist daran gebunden, nur das, was in sich selbst wertvoll ist, zu bejahen. So finden wir das Wort  Wert  gebraucht für das, was dem berechtigten, pflichtgemäßen Bewerten auf der Seite des  Objekts  entspricht ("der in den  Dingen  vorbereitete Wert"). Ganz in dieser Weise, zweifellos in Abhängigkeit von der sachlichen Einsicht in die Übersubjektivität des Wertgebietes, verwenden wir heute den Terminus Wert für die  Objekte  der Bewertung, für das, was anerkannt wird, und zwar mit Vorliebe für das, was mit Recht anerkannt wird, gleichviel durch welche seelische Funktion wir es erfassen, für das Schöne so gut wie für das Heilige, Sittliche, Wahre. Dies hängt damit zusammen - oder ist der Ausdruck dafür -, daß sich das moderne Denken immer mehr überzeugt hat, daß wir keineswegs nur auf dem Gebiet des Angenehmen oder Schönen Werturteile fällen. Für KANT gab es nur auf dem letzteren Werturteile, Beurteilungen, die ihm noch durch eine unüberwindliche Kluft vom eigentlichen Urteil, der theoretischen Erkenntnis, getrennt waren. Es war LOTZE, der die Begriffe Wert und Bewerten vom Gebiet der Sinnlichkeit und der Kunst herüberführte auf das des sittlichen Lebens und der sittlichen Betrachtung. Die Lehre von den "Werten" ist der Ort, an dem er im Mikrokosmus moral-philosophische Probleme diskutiert (1). Die Einführung des Wertbegriffs in die Logik ist erst das Werk seiner Schüler.

In der Moralphilosophie sind seine relativistischen Tendenzen hinsichtlich der  Form  des Wertes fast völlig verschwunden, und seine Ablehnung KANTs ist nicht als eine Verflüchtigung des Guten in das Angenehme oder Nützliche aufzufassen. Daß das Gute gut ist, auch wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird, das ist, wenn es in der Welt des Handelns nicht realisiert wird und abgesehen davon, ob es in der Welt des Seelischen als gut anerkannt wird oder ob es in der Wirklichkeit nützt; daß das Gute eine Idee ist, die nicht dem Verdacht einer bloß menschlichen Fiktion auszusetzen ist - das war KANTs Objektivismus, der nicht überboten werden kann. Im wesentlichen ist dies auch LOTZEs Glaube. Die Abweichungen betreffen gegenüber der Gleichheit Sekundäres. Es ist ein Ähnliches in der Polemik LOTZEs wie in der GOETHEs und SCHILLERs gegen KANT. Die Trennung des Guten vom Nützlichen wollen sie nicht ebenso als eine Feindschaft zwischen dem Guten und der Freude verstanden wissen. Weder die eigene Freude noch die der Gottheit soll vom Begriff des Guten geschieden sein. "... wohlzutun und die Summe der Lust zu vermehren, deren die Welt sich erfreut, ist die einzige Aufgabe, in deren Erfüllung alle sittlichen Pflichten zusammenlaufen" (Mikrokosmus II, Seite 319). Dieser Satz aber läßt die von KANT behaupteten, die  Form  des Guten betreffenden Gedanken unangetastet. Ob das Gute ein solches ist, daß es mit Freude oder mit Selbstverleugnung getan wird, ob es nach dem Ideal der Antike oder des Christentums gebildet sein soll - diese und ähnliche Fragen betreffen den Inhalt des Guten, ob aber das Gute als ein in absoluter Hoheit Seiendes nur eine Täuschung, unseren Ahnungen und Sehnsüchten entgegen, außerhalb jeglicher Beziehung zur bloßen Menschenwelt nur ein schöner Traum ist oder nicht -, diese Fragen betreffen nicht den Inhalt des Guten, sondern den Inhalt des Begriffs des Guten überhaupt, seine Form. Die absolute Subjektsferne des Guten seiner Form nach bringt LOTZE wie nur irgendein kritizistischer Ethiker unverkennbar zum Ausdruck. "Unser wahres und wesentliches Bedürfnis bei der Grundlegung der praktischen Philosophie kann eigentlich nur darin liegen, nachzuweisen, daß die höchsten Grundsätze, welche unser ganzes sittliches Verhalten verpflichten sollen, völlig unabhängig vom Belieben des Einzelnen sind und nicht veränderlich mit der Veränderlichkeit der äußeren Umstände, unter denen wir zu handeln veranlaßt werden." So ist sein wesentliches Interesse gerichtet auf die Anerkennung des Daseins einer unbedingt verpflichtenden Gesetzgebung, und als seine Gegnerin bezeichnet er die Lehre, welche die Vorstellung einer unbedingten Verpflichtung, deren Vorkommen in unserem Geist sie nicht bestreiten kann, als eine psychologische Täuschung erklärt (Prinzipen der Ethik, Seite 620).

Dies mag genügen, um zu beweisen, wie sehr LOTZE in den moralphilosophischen Teilen seiner Wertlehre die Unabhängigkeit und richtunggebende Überlegenheit der Werte gegenüber der Welt des Menschen zugibt. Immer vernehmlicher werden die Ahnungen des Platonismus, daß es eine Welt gibt, die den Menschen gegenübersteht als Gesetz, als Vorbild, und daß dem Menschen nichts übrigbleibt, als sich vor ihr zu beugen, sich nach ihr zu richten mit seinen Wünschen und Gedanken und mit seinen Wertungen, denn jene Welt ist wirklich und wirklicher vielleicht als die des Raumes, und wie diese unabhängig davon ist, ob wie sie wahrnehmen oder ihre Wahrnehmung anerkennen, wie unsere Anerkennung hier vielmehr als eine Sache, die auch fehlen könnte, höchst nebensächlich nur hinzutritt, so ist es auch für das Reich der Werte gleichgültig, ob wir ihm unsere Anerkennung versagen; umgekehrt aber sind wir gebunden an das Reich der Werte, und alle Würde des Lebens kommt zu uns erst durch die willenlose Unterwerfung unter diese.

Es wurde darauf hingewiesen, daß auch das Wahre ein Gebiet ist, auf dem es Bewertungen, Werturteile gibt. Wir haben viele Vorstellungen, aber viele von ihnen sind zur Erkenntnis der Welt nicht tauglich. Wir bezeichnen sie als falsch; ein Teil unserer Vorstellungen (bzw. Begriffe oder Urteile) ist hierfür geeignet, wir bezeichnen ihn als wahr. Es ist nicht zweifelhaft, daß das Prädikat "wahr" ein Wertprädikat ist, das wir einem Teil unserer Vorstellungen verleihen. Die wahren Vorstellungen sind gegenüber den falschen die wertvollen. Zu dem Resultat, daß auch die Sätze der theoretischen Erkenntnis Beurteilungen sind - und Beurteilungen sind doch Urteile unter einem Wertgesichtspunkt -, führt auch folgende Einsicht LOTZEs. Die beiden Sätze  S ist P  und  S ist nicht P  haben, solange sie die logische Eigenschaft haben, einander entgegengesetzt zu sein, genau denselben Inhalt, dieselbe Verbindung von  S  und  P.  Im positiven Urteil wird diese Verbindung als wahr, d. h. wertvoll unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit behauptet, im negativen Urteil als unwahr, wertlos (Logik, Seite 61). Sobald ein Urteil bejaht wird, hat also eine Wertbeurteilung seines Inhaltes stattgefunden.

Fragen wir nun, was denn die Wahrheit eines Satzes ist - so ist eine vollständige Antwort hierauf zu geben an dieser Stelle so unmöglich wie überflüssig. Um die Behauptung des Ineinander von Wahrheit und Wert, Urteil und Beurteilung, Theorie und Axiologie, wie WINDELBAND sagt, zu stützen, genügt es, darauf hinzuweisen, daß wahr, was immer es sonst sein mag, das ist, was behauptet werden  soll Die Korrelation von Sollen und Wert ist nach den angeführten Betrachtungen LOTZEs nicht zweifelhaft.

Indem wir so das Erkennen ganz im Sinne LOTZEs (wenngleich manches des eben Erwähnten ausdrücklich erst von seinen Schülern formuliert wird) als Anerkennen eines Wertes verstehen, haben wir den Weg gefunden zur Besprechung von LOTZEs Lehre über die Wahrheit. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt dieses ganzen Abschnittes, denn die Wahrheit ist ja das, wovon LOTZE sagt, daß sie "gilt", und um Begriff und Bedeutung des Geltens zentriert sich das Interesse in dieser Schrift. Daß das Gelten bezogen auf Wahrheit oder Wahrheiten soviel wie anerkennen, anerkennungswürdig sein heißt, wurde zu Beginn dieses Teiles angedeutet. Aufgrund dieses Hinweises wurde der Absicht dieser Schrift gemäß zur Darstellung seiner Lehre vom Anerkennen und vom Gegenstand der Anerkennung geschritten. Dies ließ uns den Begriff des Wertes betrachten, und so kommen wir nun zum Begriff der Wahrheit, denn auch sie ist ein Wert, und sie ist gerade der Wert, an dem LOTZEs eigentliche Stellung zu den Werten am allerreinsten zutage tritt, am weitesten entfernt von jeglichem Protagoreismus.

Nirgends scheint der Satz des PROTAGORAS, daß der Mensch das Maß aller Dinge ist, unhaltbarer als in der Anwendung auf das, was wir Wahrheit nennen. Soll er hier nicht nur besagen, was zu trivial wäre, als daß er mit solcher Bedeutsamkeit ausgesprochen würde, daß wir uns oft irren und falsche Sätze für wahre halten, so ist seine Unhaltbarkeit zu eklatant, als daß er heute noch einer Widerlegung bedürfte. Es ist zu selbstverständlich, daß wir des Unterschiedes von wahr und falsch nicht entraten können; jede Behauptung, daß wir in ungeahnt weitem Umfang dem Irrtum ausgesetzt sind, könnte ansich richtig sein, vielleicht wäre selbst gegen den Satz, daß wir immer irren, mit Ausnahme des einen Falles, da wir dies konstatieren, formal nichts einzuwenden. Denn er bestreitet nicht, daß es sinnvoll und unerläßlich ist, bei allen Dingen den Unterschied von wahr und falsch anzuerkennen. Aber der Gipfel des Unmöglichen wird erreicht, wenn man sich zu der Behauptung versteigt, der Unterschied von wahr und falsch sei ein bloß relativer, von menschlicher Willkür ersonnen. Ein solcher Satz hebt mit seinem Inhalt das auf, was ihn allein zu mehr als einem Wortgestammel machen könnte; selbst um der Möglichkeit nach wahr zu sein, muß sein Inhalt falsch sein . . . Doch dann ist er eben auch nicht wahr. Mag es auf dem Gebiet der Kunst oder des Schönen und des Guten wenigstens formal möglich sein, den hoministischen Charakter unserer ästhetischen und ethischen Grundbegriffe, der Wertpaare "schön - häßlich", "gut - böse" zu behaupten, völlig hoffnungslos ist dieser Versuch hinsichtlich der Wahrheit. Das ist seit SOKRATES Gemeingut der denkenden Menschheit. Stand ihm schon fest, daß die Begriffe des Guten und Bösen ihren unveränderlichen Sinn haben, der nicht durch das subjektive Belieben bald so, bald anders bestimmt werden könne, sondern dem jeder den Inhalt seiner eigenen, dieses Gebiet berührenden Vorstellungen lediglich unterzuordnen habe (Logik, Seite 506), wie viel mehr erst der normative-anerkennungsheischende Charakter der Inhalte, die wir die wahren nennen.

Es ist nicht zweifelhaft, wie LOTZE über den Inhalt einer Wahrheit denkt. "Wir alle sind überzeugt, in dem Augenblick, in welchem wir den Inhalt einer Wahrheit denken, ihn nicht erst geschaffen, sondern nur anerkannt zu haben" (Logik, Seite 515). Es wäre ganz in seinem Sinne, daß der Inhalt einer Wahrheit nicht nur von den Menschen, sondern auch von Gottes Willen unbestimmbar ist.

Ist ein Inhalt wahr, so muß er in seinem Sosein einfach hingenommen werden, dann ist er Vorbild für alle unsere Aussagen über den Sachverhalt, auf den er sich bezieht. Alle Wahrheiten, die aposteriorischen so gut wie die apriorischen, sind als Wahrheiten Normen für uns und haben einen Inhalt, den unsere Willkür nicht um das Geringstes anders zu gestalten oder zu trennen vermag (Logik, Seite 538). Über jeden Sachverhalt gibt es eine Wahrheit, das ist seine Umsetzung, Projizierung auf die Ebene der Gedanklichkeit; jedem Sachverhalt entspricht eine bestimmte Wahrheit, die ihn charaktersiert. Es kommt vor, daß niemand Zeuge eines Ereignisses ist, das aber hindert nicht, daß es darüber eine wahre Aussage gibt, d. h. eine Aussage von solchem Inhalt, der allein  anerkennungswürdig  ist gegenüber allen anderen, die ihm nur ähnlich sind. Es ist nicht erforderlich, daß wir alle Tatsachen zum Gegenstand einer Erkenntnis machen, doch wenn wir dies tun, sind wir fatalistisch an die eine Wahrheit über sie gebunden. So gibt es Probleme, deren Lösung unsere Fassungskraft übersteigt. Dennoch gibt es hiervor eine Lösung, oder besser, wenn es eine Lösung, eine Wahrheit über diesen Sachverhalt gibt, so ist sein Inhalt ein solcher, der richtunggebend alle unsere Bemühungen hierüber leiten, nach sich ziehen müßte. "Die Wahrheit", sagt PASCAL, "ist stets älter als alle Meinungen, die man über den gleichen Gegenstand gehabt hat, es hieße ihre Natur verkennen, wenn man glaubte, daß ihr Sein erst mit dem Augenblick begonnen hätte, in welchem sie zuerst bekannt und ausgesprochen würde." Hiermit hängt zusammen, daß die Inhalte, die wahr sind, dies nicht deshalb sind, weil wir sie als wahr anerkennen, vielmehr ist ihr Charakter des Wahrseins so unabhängig von der Tatsache der Anerkennung, daß die Wahrheit der Grund für diese ist. Ein Satz ist nicht wahr, weil wir ihn anerkennen, sondern weil er wahr ist, darum sollen wir ihn anerkennen. Dies ist der Sinn der viel zitierten Worte LOTZEs über den Inhalt der Wahrheit: "Auch als wir ihn nicht dachten,  galt  er und wird  gelten  ..., gleichviel ob er in der Wirklichkeit des Gedachtwerdens zum Gegenstand einer Erkenntnis wird, so denken wir alle von der Wahrheit. . . . Auch die niemals vorgestellte  gilt  nicht minder als der kleine Teil von ihr, der in unsere Gedanken eingeht" (Logik, Seite 515).

Dies ist nicht der einzige Sinn dieses Satzes. Wir werden im zweiten Abschnitt noch einen anderen, entsprechend einer anderen Bedeutung des Geltens kennenlernen. Aber dies ist der ganze Sinn des Satzes, wenn Gelten so viel bedeutet wie anerkannt sein, und zwar "mit Recht anerkannt sein", "anerkennungswürdig sein", "Norm sein für die Akte der Anerkennung des Menschen" - denn dies alles heißt es angewandt auf den Begriff der Wahrheit.

Versuchen wir diese eben gewonnene Einsicht in die Bedeutung des Geltens an den Begriff der Wahrheit anzuknüpfen, so lautet das Resultat: Die Wahrheit ist das, was anerkennungswürdig ist, die Wahrheit ist das, was mit Recht als Norm für uns gilt, oder kurz unter Weglassung des "mit Recht", indem diese Nuance vollständig in den Begriff des Geltens hineingezogen wird:  Wahrheiten, im Gegensatz zu Irrtümern, haben ein normatives Gelten. 

Auf seinen allgemeinsten Ausdruck gebracht ist das Resultat dieses Abschnitts, der eine der Wortbedeutungen des Geltens und die entsprechenden sachlichen Ausführungen zu diesem Begriff darzustellen versuchte:  Es gibt in der Welt etwas normativ Geltendes,  dies sind die  Wahrheiten,  aber nicht diese allein, sondern alle  Werte überhaupt

Was hier "normatives Gelten" genannt wurde, wird auch als logisches Gelten bezeichnet und dem psychologischen Gelten gegenübergestellt. So sagt WINDELBAND, man sollte die psychologische und die logische Bedeutung des Geltens deutlich auseinanderhalten. Im ersteren Sinn bedeutet Gelten eine tatsächliche Anerkennung - in diesem Sinne sei das Gelten immer auf ein Bewußtsein bezogen, für das es gilt. . . . Der Sinn der Wahrheit aber verlangt stets eine Geltung ansich, ohne Beziehung auf ein empirisches Bewußtsein (Einleitung in die Philosophie, Seite 211). Daß der Gegensatz des logischen und psychologischen Geltens den Terminus  Gelten  in dem hier angegebenen Sinn meint, steht außer Zweifel. Weshalb das normative Gelten als das logische Gelten bezeichnet wird und seinen Gegensatz als das psychologische, ist leicht ersichtlich. Mancher Inhalt gilt irrtümlich als wahr, dann ist er das, als was er gelten will, nicht anders als in der Einbildung, im Bewußtsein, in der Seele dessen, der ihn vorstellt. Ein solcher Inhalt hat also ein nur psychisches als-wahr-gelten - es besteht keine Pflicht, ihn anzuerkennen, sondern er wird nur tatsächlich anerkannt. Als unabhängig aber vom Psychischen empfinden wir die Wirklichkeit und ebenso das Wahre, den Logos. "Logisch" ist somit der Gegensatz zu psychisch, und das normative Gelten der Wahrheit - d. h. ein mehr als nur in einer Psyche als-wahr-gelten - ist ein "logisches" Gelten. Hiermit wird jedoch der Gegensatz von logischem und psychologischem Gelten keineswegs dem von Wahrheit und Irrtum gleichgesetzt. Dem Irrtum freilich kommt nur ein psychologisches, das ist ein eingebildetes als-wahr-gelten zu. Von der Wahrheit aber sind beide Arten des Geltens zu behaupten. Die Wahrheit gilt wie der Irrtum stets auch "psychologisch", nämlich so oft sie von einem Menschen erfaßt wird. Dieses Erfaßtwerden von der Psyche eines Menschen erkannten wir als belanglos für sie als Wahrheit, denn als solche ist sie davon unabhängig, auch wenn sie nicht tatsächlich gilt, bleibt ihr doch der Charakter des Gelten sollens,  gilt sie logisch, normativ, und dieses ihr logisches Gelten ist der Grund ihres psychologischen Geltens.

Die Ausdrücke "Geltung" und "Gültigkeit",  geltend  und  gültig  werden von LOTZE als gleichbedeutend gebraucht. Dies ist naheliegend und verständlich, denn Gültigkeit, besonders Allgemeingültigkeit, ist das Wort, das seit KANT zur Charakterisierung der Wahrheit verwandt wird. Wahrheit und Allgemeingültigkeit eines Urteils bezeichnen in seinem Sprachgebrauch dasselbe. Es ist darum nicht schwer, im Gelten oder der Geltung der Wahrheit eine leichte terminologische Variierung dessen zu sehen, was schon vor LOTZE, gelegentlich bei LOTZE selbst und auch jetzt noch unter Allgemeingültigkeit der Wahrheit gemeint wird: Das Normativsein der Wahrheit im Gegensatz zum Irrtum, das Richtige gegenüber dem Unrichtigen.

Da LOTZE an einer Stelle von "ewig gültigen wahren Behauptungen" spricht, die "ewig gültigen falschen" entgegengesetzt sind (Logik, Seite 509), so ist es noch nötig, den Begriff der  ewigen  Gültigkeit oder Geltung des Wahren zu diskutieren.

Von einer ewigen zeitlosen Geltung oder Gültigkeit des Wahren ist in mehrfacher Hinsicht zu sprechen möglich. Es war die Überzeugung der Antike, daß nur das Sein ist, nicht aber das Werden. In etwas anderer Wendung läßt sich der parmenideische Gedanke so ausdrücken, daß nur die in Ruhe seienden Gegenstände wirklich sind. Nun scheint aber nur das wahrhaft Wirkliche zum Gegenstand der Wahrheit zu taugen. In diesem Sinne wirklich aber war den Griechen nach SOKRATES nur der Begriff. Betrachtungen solcher Art sind am Gegenstand der Wahrheit orientiert. Auf ihn bezogen, hätte die Behauptung der zeitlosen Gültigkeit des Wahren folgenden Sinn: Wahre Sätze haben einen Inhalt, der in keinem Augenblick durch den Gegenstand, auf den sie sich beziehen, Lügen gestraft wird. Ein Satz ist dann wahr, wenn sein Inhalt stets und immer auf den Gegenstand seiner Aussage paßt, und das ist eben dann der Fall, wenn sein Gegenstand zeitlos-ewig unveränderlich ist. Der Grund für die zeitlose Geltung des Wahren ist hier die Konstanz des Gegenstandes durch alle Zeit hindurch.

Wir haben heute eine andere Auffassung von der Wahrheit. Wir halten es für einen Irrtum, daß nur über unveränderliche Gegenstände Wahrheiten möglich sind. Wenngleich sich über diese vielleicht sicherer, bequemer wahre Aussagen gewinnen lassen. Wir halten auch das Vergängliche für wirklich und behaupten, auch über die verträglichste Tatsache, die nur eine Sekunde dauerte, läßt sich ein wahres Urteil fällen. Wenn ich einen Augenblick den nie wiederkehrenden Sinneseindruck eines vorüberfliegenden Pfeils erhalten habe, so ist jedes Urteil, das für diesen Moment meines Lebens etwas anderes aussagt, falsch, und, wie auch immer dieses Urteil nur für den einen Moment meines Daseins anwendbar ist, wenn es diesen einen Augenblick richtig charakterisiert, wenn es nur in Bezug auf ihn wahr ist, so  bleibt  es ewig wahr und normativ für alle Aussagen über meine Vorstellungen in einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit.

Die Interpretation der ersten Bedeutung der zeitlosen Geltung eines wahren Inhaltes war orientiert am  Gegenstand  der Wahrheit. EIn anderer Sinn enthüllte sich durch Reflexionen auf den Inhalt, auf das  Sosein des Inhaltes  einer Wahrheit. Die Wahrheit ist zweifellos gültig auch in dem Sinn, daß ihr Inhalt, richtig verstanden, durch alle Zeit hindurch wahr bleibt, sofern er überhaupt  wahr  ist.

In beiden Anschauungen hatten die Worte zeitlos-ewig die Bedeutung von "durch alle Zeit hindurch". Fassen wir den Sinn des zeitlos-ewigen noch zeitloser, ohne jegliche Beziehung zur Zeit, ganz zeit-jenseitig, so verändert sich hiermit zugleich die Bedeutung des Begriffs der Gültigkeit. Der hierdurch entstehende Sinn des Geltens ist die zweite der drei Bedeutungen, in der das Wort von LOTZE gebraucht wird. Seine Darstellung ist die Aufgabe des nächsten Abschnitts.
LITERATUR - Felix Maria Goldner, Die Begriffe der Geltung bei Lotze, Leipzig 1918
    Anmerkungen
    1) Etwas später, doch ganz unabhängig von LOTZE machte NIETZSCHE den Begriff des Wertes zum Zentralbegriff seiner moralkritischen und metaphysischen Untersuchungen.