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JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Erste Einleitung
in die Wissenschaftslehre


"Mit denjenigen, die durch langwierige Geistesknechtschaft sich selbst, und mit sich selbst ihr Gefühl für eine eigene Überzeugung, und ihren Glauben an die Überzeugung Anderer verloren haben, denen es Torheit ist, daß jemand selbständig Wahrheit suchen soll, die in den Wissenschaften nichts erblicken, als einen bequemen Broterwerb, und vor jeder Erweiterung derselben, als vor einer neuen Arbeit erschrecken, denen kein Mittel schändlich genug ist, den Verderber des Gewerbes zu unterdrücken - mit ihnen habe ich nichts zu tun."

"Jeder konsequente Dogmatiker ist notwendig Fatalist; er leugnet nicht das Faktum des Bewußtseins, daß wir uns für frei halten: denn dieses wäre vernunftwidrig; aber er erweist aus seinem Prinzip die Falschheit dieser Aussage. - Er leugnet die Selbständigkeit des Ich, auf welche der Idealist baut, gänzlich ab, und macht dasselbe lediglich zu einem Produkt der Dinge, zu einer Akzidenz der Welt; der konsequente Dogmatiker ist notwendig auch Materialist. Nur aus dem Postulat der Freiheit und der Selbständigkeit des Ich könnte er widerlegt werden; aber gerade das ist es, was er leugnet."

"Alles, was sie sind, sind sie wirklich durch die Außenwelt geworden. Wer in der Tat nur ein Produkt der Dinge ist, wird sich auch nie anders erblicken, und er wird recht haben, solange er lediglich von sich und seinesgleichen redet. Das Prinzip der Dogmatiker ist der Glaube an die Dinge um ihrer selbst willen: also mittelbarer Glaube an ihr eigenes zerstreutes und nur durch die Objekte getragenes Selbst."

"Viele sind nun einmal mit ihrem Denken nicht weiter gekommen, als zum Fassen der einfachen Reihe des Naturmechanismus; sehr natürlich fällt ihnen nun auch die Vorstellung, wenn sie dieselbe doch denken wollen, in diese Reihe, die einzige, welche in ihrem Geist gezogen ist. Die Vorstellung wird ihnen eine sonderbare Täuschung; wovon wir bei den berühmtesten philosophischen Schriftstellern Proben finden. Für diese ist der Dogmatismus ausreichend; für sie gibt es keine Lücke, weil die entgegengesetzte Welt für sie gar nicht da ist. - Man kann sonach den Dogmatiker durch den geführten Beweis nicht widerlegen, so klar er auch ist; denn er ist nicht an denselben zu bringen, weil ihm das Vermögen fehlt, womit seine Prämisse aufgefaßt wird."
    Um der Sache willen aber, die erörtert wird, bitte ich,
    daß die Menschen sie nicht für vorgefaßte Meinung halten,
    sondern als ein ernstes Werk anerkennen und sich überzeugen,
    daß ich nicht Grundlagen für irgendeine Sekte oder Lehrmeinung erstrebe,
    sondern Nutzen für die Größe der Menschheit suche.
    Hernach möge man, wie es der eigene Nutzen erfordert, den Eifer für
    Meinungen und Vorurteile ablegen und gemeinschaftlich beratschlagen.

    blindfish - Baco de Verulamio
Der Verfasser der Wissenschaftslehre wurde durch eine geringe Bekanntschaft mit der philosophischen Literatur seit der Erscheinung der Kantischen Kritiken sehr bald überzeugt, daß diesem großen Mann sein Vorhaben, die Denkart des Zeitalters über Philosophie, und mit ihr über alle Wissenschaft, von Grund auf umzustimmen, gänzlich mißlungen ist; indem kein einziger unter seinen zahlreichen Nachfolgern bemerkt, wovon eigentlich geredet wird. Der Verfasser glaubte das letztere zu wissen; er beschloß, sein Leben einer von KANT ganz unabhängigen Darstellung jener großen Entdeckung zu widmen, und wird diesen Entschluß nicht aufgeben. Ob es ihm besser gelingen wird, sich in seinem Zeitalter verständlich zu machen, wir die Zeit lehren. Auf jeden Fall weiß er, daß nichts wahres und nützliches, was einmal in die Menschheit gekommen ist, verloren geht; gesetzt auch, erst die späte Nachkommenschaft wisse es zu gebrauchen.

Durch meinen akademischen Beruf bestimmt, schrieb ich zunächst für meine Zuhörer, wo ich es in meiner Gewalt hatte, mündlich so lange zu erklären, bis ich verstanden war.

Es gehört nicht hierher, zu bezeugen, wieviel Ursache ich habe, mit diesen zufrieden zu sein, und von sehr vielen unter ihnen die besten Hoffnungen für die Wissenschaft zu hegen. Jene Schrift ist auch auswärts bekannt geworden, und es sind mancherlei Vorstellungen über sie unter den Gelehrten. Ein Urteil, wo Gründe auch nur eingewendet würden, habe ich nicht gelesen oder gehört, außer von meinen Zuhörern; wohl aber Spöttereien, Schmähungen und die allgemeine Bezeugung, daß man dieser Lehre von Herzen abgeneigt sei, wie auch, daß man sie nicht verstehe. Was das letztere betrifft, so will ich allein daran alle Schuld haben, bis man etwa von anderswo her mit dem Inhalt meines Systems bekannt ist, und finden möchte, daß es dort dann doch nicht so ganz unvernehmlich vorgetragen ist; oder ich will sie auch ganz unbedingt und auf immer auf mich nehmen, wenn dem Leser dadurch Lust gemacht werden kann, auf die gegenwärtige Darstellung, in welcher ich mich der höchsten Klarheit befleissigen werde, einzugehen. Ich werde diese Darstellung fortsetzen, solange ich nicht überzeugt bin, daß ich ganz vergebens schreibe. Vergebens aber schreibe ich, wenn niemand auf meine Gründe eingeht.

Noch bin ich folgende Erinnerungen den Lesern schuldig. Ich habe von jeher gesagt, und sage es hier wieder, daß mein System kein anderes ist als das Kantische. Das heißt: es enthält dieselbe Ansicht der Sache, ist aber in seinem Verfahren ganz unabhängig von der Kantischen Darstellung. Ich habe dies gesagt, nicht um mich durch eine große Autorität zu decken, oder meiner Lehre eine Stütze außer ihr selbst zu suchen, sondern um die Wahrheit zu sagen, um gerecht zu sein.

Bewiesen möchte es etwa nach zwanzig Jahren werden können. KANT ist bis jetzt, einen neuerlich gegebenen Wink abgerechnet, den ich tiefer unten bezeichnen werde, ein verschlossenes Buch, und was man aus ihm herausgelesen hat, ist gerade dasjenige, was in ihn nicht paßt, und was er widerlegen wollte.

Meine Schriften wollen KANT nicht erklären, oder aus ihm erklärt sein; sie selbst müssen für sich stehen, und KANT bleibt ganz aus dem Spiel. Es ist mir - daß ich es gerade heraus sage - nicht um eine Berichtigung und Ergänzung der philosophischen Begriffe, die etwa im Umlauf sind, mögen sie Anti-Kantisch oder Kantisch heißen, es ist mir um ihre gänzliche Ausrottung und die völlige Umkehrung der Denkart über diese Punkte des Nachdenkens zu tun, so daß in allem Ernst, und nicht bloß so zu sagen, das Objekt durch das Erkenntnisvermögen, und nicht das Erkenntnisvermögen durch das Objekt gesetzt und bestimmt werde. Mein System kann sonach nur aus sich selbst, nicht aus den Sätzen irgendeiner Philosophie geprüft werden; es soll nur mit sich selbst übereinstimmen; es kann nur aus sich selbst erklärt, nur aus sich selbst bewiesen oder widerlegt werden; man muß es ganz annehmen, oder ganz verwerfen.

"Wenn dieses System wahr sein sollte, so können gewisse Sätze nicht bestehen," ist hier nichts gesagt: denn es ist gar nicht meine Meinung, daß bestehen sollte, was durch dasselbe widerlegt ist.

"Ich verstehe diese Schrift nicht," bedeutet mir weiter nichts, als wie die Worte lauten: und ich halte ein solches Geständnis für höchst uninteressant und höchst unbelehrend. Man kann meine Schriften nicht verstehen, und soll sie nicht verstehen, ohne sie studiert zu haben; denn sie enthalten nicht die Wiederholung einer schon ehemals gelernten Lektion, sondern, nachdem KANT nicht verstanden wurde, etwas dem Zeitalter ganz neues.

Tadel ohne Gründe sagt mir weiter nichts, als daß diese Lehre nicht gefällt, und dieses Geständnis ist abermals äußerst unwichtig; es ist gar nicht die Frage davon, ob es euch gefällt oder nicht, sondern ob es bewiesen wurde. Ich werde in dieser Darstellung, um die Prüfung nach Gründen zu erleichtern, allenthalben hinzufügen, wo das System angegriffen werden müßte. Ich schreibe nur für solche, in denen noch immer ein innerer Sinn wohnt für die Gewißheit oder Zweifelhaftigkeit, für die Klarheit oder Verworrenheit ihrer Erkenntnis, denen Wissenschaft und Überzeugung etwas gilt, und die von einem lebendigen Eifer getrieben werden, sie zu suchen. Mit denjenigen, die durch langwierige Geistesknechtschaft sich selbst, und mit sich selbst ihr Gefühl für eine eigene Überzeugung, und ihren Glauben an die Überzeugung Anderer verloren haben, denen es Torheit ist, daß jemand selbständig Wahrheit suchen soll, die in den Wissenschaften nichts erblicken, als einen bequemen Broterwerb, und vor jeder Erweiterung derselben, als vor einer neuen Arbeit erschrecken, denen kein Mittel schändlich genug ist, den Verderber des Gewerbes zu unterdrücken - mit ihnen habe ich nichts zu tun.

Es würde mir leid sein, wenn sie mich verstünden. Bisher ist es mir mit ihnen nach Wunsch gelungen, und ich hoffe auch jetzt, diese Anrede werde sie so verwirren, daß sie von nun an nichts weiter erblicken als Buchstaben, durch die innerlich verschlossene Wut hierhin und dorthin gerissen wird.



Einleitung

1.

Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgibt, ab, und in dein Inneres - ist die erste Fordernung, welche die Philosophie an ihren Lehrling tut. Es ist von nichts, was außer dir ist, die Rede, sondern lediglich von dir selbst.

Auch bei der flüchtigsten Selbstbeobachtung wird jeder einen merkwürdigen Unterschied zwischen den verschiedenen unmittelbaren Bestimmungen seines Bewußtseins, die wir auch Vorstellungen nennen können, wahrnehmen. Einige nämlich erscheinen uns als völlig abhängig von unserer Freiheit, aber es ist uns unmöglich zu glauben, daß ihnen etwas außer uns, ohne unser Zutun, entspricht. Unsere Phantasie, unser Wille erscheint uns als frei. Andere beziehen wir auf eine Wahrheit, die, unabhängig von uns, festgesetzt sein soll, als auf ihr Muster; und unter der Bedingung, daß sie mit dieser Wahrheit übereinstimmen sollen, finden wir uns in der Bestimmung dieser Vorstellung gebunden. In der Erkenntnis halten wir uns, was ihren Inhalt betrifft, nicht für frei. Wir können kurz sagen: einige unserer Vorstellungen sind von dem Gefeühl der Freiheit, andere vom Gefühl der Notwendigkeit begleitet.

Es kann vernünftigerweise nicht die Frage entstehen: Warum sind die von der Freiheit abhängigen Vorstellungen gerade so bestimmt, und nicht anders? - denn indem gesetzt wird, sie seien von der Freiheit abhängig, wird alle Anwendung des Begriffs vom Grunde abgewiesen; sie sind so, weil ich sie so bestimmt habe, und hätte ich sie anders bestimmt, so würden sie anders sein.

Aber es ist allerdings eine des Nachdenkes würdige Frage: welches ist der Grund des Systems der vom Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen, und dieses Gefühls der Notwendigkeit selbst? Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe der Philosophie, und es ist, meines Erachtens, nichts Philosophie, als die Wissenschaft, welche diese Aufgabe löst. Das System der vom Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen nennt man auch die  Erfahrung:  innere sowohl als äußere. Die Philosophie hat demnach - daß ich es mit anderen Worten sage - den Grund aller Erfahrung anzugeben.

Gegen das soeben behauptete kann nur dreierlei eingewendet werden. Entweder dürfte jemand leugnen, daß Vorstellungen vom Gefühl der Notwendigkeit begleitet, und auf eine ohne unser Zutun bestimmt sein sollende Wahrheit bezogen, im Bewußtsein vorkommen. Ein solcher leugnete entweder gegen besseres Wissen, oder er wäre anders beschaffen als andere Menschen; es wäre dann für ihn auch nichts da, was er ableugnete, und kein Ableugnen, und wir könnten uns gegen seinen Einspruch ohne weiteres hinwegsetzen. Oder es dürfte jemand sagen, die aufgeworfene Frage ist völlig unbeantwortbar, wir seien über diesen Punkt in unüberwindlicher Unwissenheit, und müßten in ihr bleiben. Mit einem solchen auf Gründe und Gegengründe sich einzulassen, ist ganz überflüssig. Er wird am besten durch die wirkliche Beantwortung der Frage widerlegt, und es bleibt ihm nichts übrig, als unseren Verstand zu prüfen, und anzugeben, wo und warum er ihm nicht hinlänglich scheine. Endlich könnte jemand die Benennung in Anspruch nehmen, und behaupten: Philosophie sei überhaupt, oder sie sei außer dem angegebenen auch nocht mit, etwas Anderes. Ihm würde leicht nachzweisen sein, daß von jeher von allen Kennern gerade das angeführte für Philosophie gehalten wurde, daß alles, was er etwa dafür ausgeben möchte, schon andere Namen hat; daß, wenn dieses Wort etwas bestimmtes bezeichnen soll, es gerade die bestimmte Wissenschaft bezeichnen muß.

Da wir uns jedoch auf diesen Streit über ein Wort einzulassen nicht Willens sind, so haben wir für unseren Teil diesen Namen schon längst Preis gegeben, und die Wissenschaft, welche ganz eigentlich die angezeigte Aufgabe zu lösen hat,  Wissenschaftslehre  genannt.


2.

Nur bei einem als zufällig beurteilten, d. h. wobei man voraussetzt, daß es auch anders sein könne, das jedoch nicht durch Freiheit bestimmt sein soll, kann man nach einem Grund fragen; und gerade dadurch, daß er nach seinem Grund frägt, wird es dem Frager ein zufälliges. Die Aufgabe, den Grund eines zufälligen zu suchen, bedeutet: etwas Anderes aufzuweisen, aus dessen Bestimmtheit sich einsehen läßt, warum das begründete, unter den mannigfaltigen Bestimmungen, die ihm zukommen könnte, gerade die hat, die es hat. Der Grund fällt, zufolge des bloßen Denkens eines Grundes, außerhalb des begründeten; beides, das begründete und der Grund, werden, inwiefern sie dies sind, einander entgegengesetzt, aneinander gehalten, und so das erstere aus dem letzteren erklärt.

Nun hat die Philosophie den Grund aller Erfahrung anzugeben; ihr Objekt liegt demnach notwendig  außer aller Erfahrung.  Dieser Satz gilt für alle Philosophie, und hat auch, bis auf die Epoche der Kantianer und ihrer Tatsachen des Bewußtseins, und also der inneren Erfahrung, wirklich allgemein gegolten.

Gegen den hier aufgestellten Satz läßt sich gar nichts einwenden: denn der Vordersatz läßt sich gar nichts einwenden: denn der Vordersatz unserer Schlußfolge ist die bloße Analyse des aufgestellten Begriffs der Philosophie, und aus ihm wird gefolgert. Wollte etwa jemand erinnern, daß der Begriff des Grundes anders erklärt werden muß, so können wir demselben allerdings nicht verwehren, bei dieser Benennung sich zu denken, was er will: wir erklären aber mit unserem guten Recht, das  wir  in obiger Beschreibung der Philosophie nichts Anderes, als das angegebene darunter verstanden wissen wollen. Es müßte sonach, wenn diese Bedeutung nicht stattfinden soll, die Möglichkeit der Philosophie überhaupt in der von uns angegebenen Bedeutung geleugnet werden, und darauf haben wir schon oben Rücksicht genommen.


3.

Das endliche Vernunftwesen hat nichts außer der Erfahrung; diese ist es, die den ganzen Stoff des Denkens enthält. Der Philosoph steht notwendig unter den gleichen Bedingungen; es scheint sonach unbegreiflich, wie er sich über die Erfahrung erheben könne.

Aber er kann abstrahieren, das heißt: das in der Erfahrung verbundene durch Freiheit des Denkens trennen. In der Erfahrung ist  das Ding das jenige, welches unabhängig von unserer Freiheit bestimmt ist, und nach dem sich unsere Erkenntnis richten soll, und die  Intelligenz,  welche erkennen soll, unzertrennlich verbunden. Der Philosoph kann von einem von beiden abstrahieren und hat dann von der Erfahrung abstrahiert und sich über dieselbe erhoben. Abstrahiert er vom ersteren, so behält er eine Intelligenz  ansich,  das heißt, abstrahiert von ihrem Verhältnis zur Erfahrung; abstrahiert er vom letzteren, so behält er ein  Ding ansich  - das heißt abstrahiert davon, daß es in der Erfahrung vorkommt - als Erklärungsgrund der Erfahrung übrig. Das erste Verfahren heißt  Idealismus,  das zweite  Dogmatismus. 

Es sind, wovon man durch das gegenwärtige eben überzeugt werden sollte, nur diese beiden philosophischen Systeme möglich. Nach dem ersten System sind die vom Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen Produkte der ihnen in der Erklärung vorauszusetzenden Intelligenz; nach dem letzteren, Produkte eines ihnen vorauszusetzenden Dings ansich.

Wollte jemand diesen Satz leugnen, so hätter er zu erweisen, entweder, daß es noch einen anderen Weg gibt, sich über die Erfahrung zu erheben, als den der Abstraktion, oder daß im Bewußtsein der Erfahrung mehr, als die beiden genannten Bestandteile, vorkommen.

Nun wird sich zwar in Absicht des ersten tiefer unten erhellen, daß dasjenige, was Intelligenz sein soll, unter einem anderen Prädikat im Bewußtsein wirklich vorkommt, also nicht etwas lediglich durch Abstraktion hervorgebrachtes sei; es wird sich aber doch zeigen, daß das Bewußtsein derselben durch eine, dem Menschen freilich natürliche, Abstraktion bedingt ist.

Es wird gar nicht geleugnet, daß es wohl möglich ist, aus Bruchstücken dieser ungleichartigen Systeme ein ganzes zusammenzuschmelzen, und daß diese inkonsequente Arbeit wirklich sehr oft getan worden ist: aber es wird geleugnet, daß bei einem konsequenten Verfahren mehrere, als die beiden Systeme, möglich sind.


4.

Zwischen den Objekten - wir wollen den durch eine Philosophie aufgestellten Erklärungsgrund der Erfahrung  das Objekt dieser Philosophie  nennen, da es ja nur durch und für dieselbe da zu sein scheint - zwischen dem Objekt des  Idealismus  und dem des  Dogmatismus  ist, in Rücksicht ihres Verhältnisses zum Bewußtsein überhaupt, ein merkwürdiger Unterschied. Alles, desen ich mir bewußt bin, heißt Objekt des Bewußtseins. Es gibt dreierlei Verhältnisse dieses Objekts zum Vorstellenden. Entweder erscheint das Objekt als erst hervorgebracht durch die Vorstellung der Intelligenz, oder, als ohne Zutun derselben vorhanden: und, im letzteren Fall, entweder als bestimmt auch seiner Beschaffenheit nach; oder als vorhanden lediglich seinem Dasein nach, der Beschaffenheit nach aber bestimmbar durch die freie Intelligenz.

Das erste Verhältnis kommt zu einem lediglich erdichteten, es sei ohne Zweck, oder mit Zweck, das zweite einem Gegenstand der Erfahrung, das dritte nur einem einzigen Gegenstand, den wir sogleich aufweisen wollen.

Nämlich ich kann mich mit Freiheit bestimmen, dieses oder jenes zu denken, z. B. das Ding ansich des Dogmatikers. Abstrahiere ich nun vom gedachten, und sehe lediglich auf mich, so werde ich mir selbst in diesem Gegenstand das Objekt einer bestimmten Vorstellung. Daß ich mir gerade so bestimmt erscheine und nicht anders, gerade als denkend, und unter allen möglichen Gedanken gerade das Ding ansich denkend, soll meinem Urteil nach abhängen von meiner Selbstbestimmung: ich habe mich zu einem solchen Objekt mit Freiheit gemacht. Mich selbst ansich aber habe ich nicht gemacht, sondern ich bin genötigt, mich als das zu bestimmende der Selbstbestimmung voraus zu denken. Ich selbst also bin mir Objekt, dessen Beschaffenheit unter gewissen Bedingungen lediglich von der Intelligenz abhängt, dessen Dasein aber immer vorauszusetzen ist.

Nun ist gerade dieses Ich ansich (1) das Objekt des Idealismus. Das Objekt dieses Systems kommt noch als etwas reales wirklich im Bewußtsein vor, nicht als ein  Ding ansich,  wodurch der Idealismus aufhören würde zu sein, was er ist, und sich in Dogmatismus verwandeln würde, aber als  Ich ansich,  nicht als Gegenstand der Erfahrung: denn es ist nicht bestimmt, sondern es wird lediglich durch mich bestimmt, und ist ohne diese Bestimmung nichts, und ist überhaupt ohne sie nicht; sondern als etwas über alle Erfahrhung erhabenes.

Das Objekt des Dogmatismus im Gegenteil gehört zu den Objekten der ersten Klasse, die lediglich durch freies Denken hervorgebracht werden; das Ding-ansich ist eine bloße Erdichtung, und hat gar keine Realität. Es kommt nicht etwa in der Erfahrung vor: denn das System der Erfahrung ist nichts anderes, als damit dem Gefühl der Notwendigkeit begleitete Denken, und kann selbst vom Dogmatiker, der es, wie jeder Philosoph, zu begründen hat, für nichts anderes ausgegeben werden. Der Dogmatiker will ihm zwar Realität, das heißt, die Notwendigkeit, als Grund aller Erfahrung gedacht zu werden, zusichern, und er wird es, wenn er nachweist, daß die Erfahrung dadurch wirklich zu erklären, und ohne dasselbe nicht zu erklären ist; aber gerade davon ist die Frage, und es darf nicht vorausgesetzt werden, was zu erweisen ist.

Also das Objekt des Idealismus hat vor dem des Dogmatismus den Vorzug, daß es, nicht als Erklärungsgrund der Erfahrung, welches widersprechend wäre, und dieses System selbst in einen Teil der Erfahrung verwandeln würde, aber doch überhaupt, im Bewußtsein nachzuweisen ist, dahingegen das letztere für nichts anderes gelten kann, als für eine bloße Erdichtung, die ihre Realisation erst vom Geligen des Systems erwartet.

Dies ist bloß zur Beförderung der deutlichen Einsicht in die Unterschiede beider Systeme angeführt, nicht aber, um daraus etwas gegen das letztere zu folgern. Daß das Objekt jeder Philosophie, als Erklärungsgrund der Erfahrung, außerhalb der Erfahrung liegen muß, erfordert schon das Wesen der Philosophie, weit entfernt, daß es einem System zum Nachteil gereichen soll. Warum jenes Objekt noch überdies auf eine besondere Weise im Bewußtsein vorkommen soll, dafür haben wir noch keine Gründe gefunden.

Sollte jemand vom soeben behaupteten sich nicht überzeugen können, so würde, da es nur eine beiläufige Bemerkung ist, seine Überzeugung vom Ganzen dadurch noch nicht unmöglich gemacht. Jedoch will ich, meinem Plan gemäß, auch hier auf mögliche Einwürfe Bedacht nehmen. Es dürfte jemand das behauptete unmittelbare Selbstbewußtsein in einer freien Handlung des Geistes leugnen. Einen solchen hätten wir nur nochmals an die von uns angegebenen Bedingungen desselben zu erinnern. Jenes Selbstbewußtsein drängt sich nicht auf und kommt nicht von selbst; man muß wirklich frei handeln, und dann vom Objekt abstrahieren, und lediglich auf sich selbst merken. Niemand kann genötigt werden, das zu tun, und wenn er es auch vorgibt, kann man immer nicht wissen, ob er richtig und, wie gefordert wird, dabei verfährt. Mit einem Wort: dieses Bewußtsein kann keinem nachgewiesen werden; jeder muß es durch Freiheit in sich selbst hervorbringen. Gegen die zweite Behauptung, daß das Ding ansich eine bloße Erdichtung ist, könnte nur darum etwas eingewendet werden, weil man sie mißversteht. Wir würden einen solchen an die obige Beschreibung von der Entstehung dieses Begriffs zurückverweisen.


5.

Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direkt widerlegen: denn ihr Streit ist ein Streit über das erste, nicht weiter abzuleitende Prinzip; jedes von beiden widerlegt, wenn ihm nur das seinige zugestanden wird, das des anderen; jedes leugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben gar keinen Punkt gemein, von welchem aus sie sich einander gegenseitig verständigen und vereinigen könnten. Wenn sie auch über die Worte eines Satzes einig zu sein scheinen, so nimmt jedes sie in einem anderen Sinn. (2)

Zuvörderst: der Idealismus kann den Dogmatismus nicht widerlegen. Der erstere hat zwar, wie wir gesehen whaben, das vor dem letztzeren voraus, daß er seinen Erklärungsgrund der Erfahrung, die freihandelnde Intelligenz, im Bewußtsein nachzuweisen vermag. Das Faktum, als solches, muß ihm auch der Dogmatiker zugeben: denn außerdem macht er sich aller ferneren Unterhandlung mit ihm unfähig; aber er verwandelt es durch eine richtige Folgerung aus seinem Prinzip in Schein und Täuschung, und macht es dadurch untauglich zum Erklärungsgrund eines anderen, da es in seiner Philosophie sich selbst nicht behaupten kann. Nach ihm ist alles, was in unserem Bewußtsein vorkommt, Produkt eines Dings ansich, demnach auch unsere vermeintlichen Bestimmungen durch Freiheit, mit der Meinung selbst, daß wir frei seien. Diese Meinung wird durch die Einwirkung des Dings in uns hervorgebracht, und die Bestimmungen, die wir von unserer Freiheit ableiten, werden gleichfalls dadurch hervorgebracht: nur wissen wir das nicht, darum schreiben wir sie keiner Ursache, also der Freiheit zu. Jeder konsequente Dogmatiker ist notwendig Fatalist; er leugnet nicht das Faktum des Bewußtseins, daß wir uns für frei halten: denn dieses wäre vernunftwidrig; aber er erweist aus seinem Prinzip die Falschheit dieser Aussage. - Er leugnet die Selbständigkeit des Ich, auf welche der Idealist baut, gänzlich ab, und macht dasselbe lediglich zu einem Produkt der Dinge, zu einer Akzidenz der Welt; der konsequente Dogmatiker ist notwendig auch Materialist. Nur aus dem Postulat der Freiheit und der Selbständigkeit des Ich könnte er widerlegt werden; aber gerade das ist es, was er leugnet.

Ebensowenig kann der Dogmatiker den Idealisten widerlegen.

Das Prinzip desselben, das Ding ansich, ist nichts, und hat, wie der Verteidiger desselben selbst zugeben muß, keine Realität, außer diejenige, die es dadurch erhalten soll, daß sich nur aus ihm die Erfahrung erklären läßt. Diesen Beweis vernichtet der Idealist dadurch, daß er die Erfahrung auf andere Weise erklärt, also gerade dasjenige, worauf der Dogmatismus baut, ableugnet. Das Ding ansich wird zur völligen Chimäre; es zeigt sich gar kein Grund mehr, warum man eins annehmen sollte; und mit ihm fällt das ganze dogmatische Gebäude zusammen.

Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich die absolute Unverträglichkeit beider Systeme, indem das, was aus dem einen folgt, die Folgerungen aus dem zweiten aufhebt; dementsprechend die notwendige Inkonsequenz ihrer Vermischung zu Einem. Allenthalben, wo so etwas versucht wird, passen die Glieder nicht aneinander, und es entsteht irgendwo eine ungeheure Lücke. - Die Möglichkeit einer solchen Zusammensetzung, die einen stetigen Übergang von der Materie zum Geist, oder umgekehrt, oder, was ganz dasselbe heißt, einen stetigen Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit, müßte derjenige nachweisen, der das soeben behauptete in Anspruch nehmen wollte.

Da, soviel wir bis jetzt einsehen, in spekulativer Rücksicht beide Systeme von gleichem Wert zu sein scheinen, beide nicht beisammen stehen, aber auch keines von beiden etwas gegen das andere ausrichten kann, so ist es eine interessante Frage, was wohl denjenigen, der das einsieht - und es ist ja so leicht einzusehen, - bewegen möge, das eine dem anderen vorzuziehen, und wie es kommt, daß nicht der Skeptizismus, als gänzliche Verzichtleistung auf die Beantwortung des aufgegeben Problems, allgemein werde.

Der Streit zwischen dem Idealisten und dem Dogmatiker ist eigentlich der, ob der Selbständigkeit des Ich die Selbständigkeit des Dings, oder umgekehrt, der Selbständigkeit des Dings die des Ich aufgeopfert werden soll. Was ist es denn nun, das einen vernünftigen Menschen treibt, sich vorzüglich für das Eine von beiden zu erklären?

Der Philosoph findet auf dem angegebenen Gesichtspunkt, in welchem er sich notwendig stellen muß, wenn er für einen Philosophen gelten soll, und in welchen beim Fortgang des Denkens der Mensch auch ohne sein wissentliches Zutun über kurz oder lang zu stehen kommt, nichts weiter,  als daß er sich vorstellen müsse,  er sei frei, und es seien außer ihm bestimmte Dinge. Bei diesem Gedanken ist es dem Menschen unmöglich, stehen zu bleiben; der Gedanke der bloßen Vorstellung ist nur ein halber Gedanke, ein abgebrochenes Stück eines Gedankens; es muß etwas hinzugedacht werden, das der Vorstellung unabhängig vom Vorstellen entspricht. Mit anderen Worten: die Vorstellung kann für sich allein nicht bestehen, sie ist nur mit einem anderen verbunden etwas, und für sich nichts. Diese Notwendigkeit des Denkens ist es eben, die von jenem Gesichtspunkt aus zu der Frage treibt: was ist der Grund der Vorstellungen, oder, was ganz dasselbe heißt, was ist das ihnen entsprechende?

Nun kann allerdings die Vorstellung von der Selbständigkeit des Ich, und der des Dings, nicht aber die Selbständigkeit beider selbst, beieinander bestehen. Nur eins kann das erste, anfangende, unabhängige sein: das, welches das zweite ist, wird notwendig dadurch, daß es das zweite ist, abhängig vom ersten, mit welchem es verbunden werden soll.

Welches von beiden soll nun zum ersten gemacht werden? Es ist kein Entscheidungsgrund aus der Vernunft möglich; denn es ist nicht von der Anknüpfung eines Gliedes in der Reihe, wohin allein Vernunftgründe reichen, sondern vom Anfang der ganzen Reihe die Rede, welches, als ein absolut erster Akt, lediglich von der Freiheit des Denkens abhängt. Er wird daher durch Willkür, und da der Entschluß der Willkür doch einen Grund haben soll, durch  Neigung  und  Interesse  bestimmt. Der letzte Grund der Verschiedenheit des Idealisten und Dogmatikers ist demnach die Verschiedenheit ihres Interesses.

Das höchste Interesse und der Grund alles übrigen Interesses ist das  für uns selbst.  So beim Philosophen. Sein Selbst im Raissonnement nicht zu verlieren, sondern es zu erhalten und zu behaupten, das ist das Interesse, welches unsichtbar all sein Denken leitet. Nun gibt es zwei Stufen der Menschheit; und im Fortgang unseres Geschlechts, ehe die letztere allgemein erstiegen ist, zwei Hauptgattungen von Menschen. Einige, die sich noch nicht zum vollen Gefühl ihrer Freiheit und absoluten Selbständigkeit erhoben haben, finden sich selbst nur im Vorstellen der Dinge; sie haben nur jenes zerstreute, auf den Objekten haftende, und aus ihrer Mannigfaltigkeit zusammen zu lesende Selbstbewußtsein. Ihr Bild wird ihnen nur durch die Dinge, wie durch einen Spiegel zugeworfen; werden ihnen diese entrissen, so geht ihr Selbst zugleich mit verloren; sie können um ihrer selbst willen den Glauben an die Selbständigkeit derselben nicht aufgeben: denn sie selbst bestehen nur mit jenem. Alles, was sie sind, sind sie wirklich durch die Außenwelt geworden. Wer in der Tat nur ein Produkt der Dinge ist, wird sich auch nie anders erblicken, und er wird recht haben, solange er lediglich von sich und seinesgleichen redet. Das Prinzip der Dogmatiker ist der Glaube an die Dinge um ihrer selbst willen: also mittelbarer Glaube an ihr eigenes zerstreutes und nur die Objekte getragenes Selbst.

Wer aber seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit von allem, was außer ihm ist, sich bewußt wird, - und man wird dies nur dadurch, daß man sich, unabhängig von allem, durch sich selbst zu etwas macht, - der bedarf der Dinge nicht zur Stütze seines Selbst, und kann sie nicht brauchen, weil sie jene Selbständigkeit aufheben, und in einen leeren Schein verwandeln. Das Ich, das er besitzt, und welches ihn interessiert, hebt jenen Gedanken an die Dinge auf; er glaubt an seine Selbständigkeit aus Neigung, ergreift sie mit Affekt. Sein Glaube an sich selbst ist unmittelbar.

Aus diesem Interesse lassen sich auch die Affekte erklären, die sich in die Verteidigung der philosophischen Systeme gewöhnlich einmischen. Der Dogmatiker kommt durch den Angriff seines Systems wirklich in Gefahr sich selbst zu verlieren; doch ist er gegen diesen Angriff nicht gewappnet, weil in seinem Inneren selbst etwas ist, das es mit dem Angreifer hält; er verteidigt sich daher mit Hitze und Erbitterung. Der Idealist kann sich im Gegenteil nicht wohl enthalten, mit einer gewissen Nichtachtung auf den Dogmatiker herabzublicken, der ihm nichts sagen kann, als was der erstere schon längst gewußt und als irrig abgelegt hat; indem man, wenn auch nicht durch den Dogmatismus selbst, doch zumindest durch die Stimmung dazu zum Idealismus hindurchgeht. Der Dogmatiker ereifert sich, verdreht, und würde verfolgen, wenn wenn die Macht dazu hätte: der Idealist ist kalt, und in Gefahr, den Dogmatiker zu verspotten.

Was für eine Philosophie man wählt, hängt demnach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebt, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat. Ein von Natur schlaffer oder durch Geistesknechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben.

Man kann dem Dogmatiker die Unzulänglichkeit und Inkonsequenz seines Systems zeigen, wovon wir sogleich reden werden: man kann ihn verwirren und ängstigen von allen Seiten; aber man kann ihn nicht überzeugen, weil er eine Lehre, die er nicht ruhig und kalt zu hören und zu prüfen vermag, was er schlechthin nicht ertragen kann. Zum Philosophen - wenn der Idealismus sich als die einzig wahre Philosophie bewähren sollte - zum Philosophen muß man geboren sein, dazu erzogen werden, und sich selbst dazu erziehen: abe man kann durch keine menschliche Kunst dazu gemacht werden. Darum verspricht auch diese Wissenschaft sich unter den  schon gemachten  Männern wenige Proselyten; darf sie überhaupt hoffen, so hofft sie mehr von der jungen Welt, deren angeborene Kraft noch nicht in der Schlaffheit des Zeitalters zugrunde gegangen ist.


6.

Aber der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und das entscheidet über seine Untauglichkeit.

Er soll die Vorstellung erklären, und erdreistet sich, sie aus einer Einwirkung des Dings ansich begreiflich zu machen. Nun darf er, was das unmittelbare Bewußtsein über die erstere aussagt, nicht ableugnen. - Was sagt es denn nun über sie aus? Es ist nicht meine Absicht, hier in einen Begriff zu fassen, was sich nur innerlich anschauen läßt, noch dasjenige zu erschöpfen, für dessen Erörterung ein großer Teil der Wissenschaftslehre bestimmt ist. Ich will bloß ins Gedächtnis zurückrufen, was jeder, der nur einen festen Blick in sich geworfen, schon längst gefunden haben muß.

Die Intelligenz, als solche,  sieht sich selbst zu;  und dieses sich selbst Sehen geht unmittelbar auf alles, was sie ist. - Und in dieser  unmittelbaren  Vereinigung des Seins und des Sehens besteht die Natur der Intelligenz. was in ihr ist, und was sie überhaupt ist, ist sie  für sich selbst;  und nur, inwiefern sie es für sich selbst ist, ist sie es, als Intelligenz. Ich denke mir dieses oder jenes Objekt: was heißt denn das, und wie erscheine ich mir denn in diesem Denken? Nicht anders als so: ich bringe gewissen Bestimmungen in mir hervor, wenn das Objekt eine bloße Erdichtung ist; oder sie sind ohne mein Zutun vorhanden, wenn es etwas wirkliches sein soll;  und ich sehe jenem Hervorbringen, diesem Sein, zu.  Sie sind in mir nur, inwiefern ich ihnen zusehe: Zusehen und Sein sind unzertrennlich vereinigt. - Ein Ding dagegen soll gar mancherlei sein; aber sobald die Frage entsteht:  für Wen  ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muß noch eine Intelligenz hinzugedacht werden,  für  welche es sei; da hingegen die Intelligenz notwendig für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu werden braucht. Durch ihr Gesetztsein, als Intelligenz, ist das, für welches sie sei, schon mitgesetzt. Es liegt sonach in der Intelligenz - daß ich mich bildlich ausdrücke - eine doppelte Reihe, des Seins und des Zusehens, des reellen und des idealen; und in der Unzertrennlichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch); da hingegen dem Ding nur eine einfache Reihe, die des reellen (ein bloßes Gesetztsein), zukommt. Intelligenz und Ding sind also geradezu entgegengesetzt: sie liegen in zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke gibt.

Diese Natur der Intelligenz überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen will der Dogmatismus durch den Satz der Kausalität erklären: sie soll bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe sein.

Aber der Satz der Kausalität redet von einer  reellen  Reihe, nicht von einer doppelten. Die Kraft des wirkenden geht über auf ein anderes, außer ihm liegendes, ihm entgegengesetzes, und bringt in ihm ein Sein hervor, und weiter nichts; ein Sein für eine mögliche Intelligenz außer ihm und nicht für dasselbe. Gebt ihr dem Gegenstand der Einwirkung auch nur eine mechanische Kraft, so wird es den erhaltenen Eindruck fortpflanzen auf das ihm zunächst liegende, und so mag die vom ersten ausgegangene Bewegung hindurchgehen durch eine Reihe, so lang ihr sie machen wollt; aber nirgends werdet ihr ein Glied in derselben antreffen, das in sich selsbt zurückgehend wirkt. Oder gebt dem Gegenstand der Einwirkung das höchste, was ihr einem Ding geben könnt, gebt ihm Reizbarkeit, so daß es, aus eigener Kraft, und nach den Gesetzen seiner eigenen Natur, nicht nach dem ihm vom Wirkenden gegebenen Gesetz, wie in der Reihe des bloßen Mechanismus, sich richte: so wirkt es nun zwar auf den Anstoß zurück, und der Bestimmungsgrund seines Seins in diesem Wirken liegt nicht in der Ursache, sondern nur die Bedingung, überhaupt etwas zu sein; aber es ist und bleibt ein bloßes, einfaches Sein: ein Sein für eine mögliche Intelligenz außerhalb desselben. Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt, deren Verbindung mit jenem von ihr unabhängigen Sein zu erklären, euch schwer ankommen möchte. - Die Reihe ist und bleibt, nach dieser Erklärung, einfach, und es ist gar nicht erklärt, was erklärt werden sollte. Den Übergang vom Sein zum Vorstellen sollten sie nachweisen; das tun sie nicht, noch können sie es tun? denn in ihrem Prinzip liegt lediglich der Grund eines Seins, nicht aber des dem Sein entgegengesetzten Vorstellens. Sie machen einen ungeheuren Sprung in eine ihrem Prinzip ganz fremde Welt.

Diesen Sprung suchen sie auf mancherlei Weise zu verbergen. Der Strenge nach - und so verfährt der konsequente Dogmatism, der zugleich Materialismus wird - müßßte die Seele gar kein Ding, und überhaupt nichts, sondern nur ein Produkt, nur das Resultat der Wechselwirkung der Dinge unter sich sein.

Aber dadurch entsteht nur etwas in den Dingen, aber nimmermehr etwas von den Dingen abgesondertes, wenn nicht eine Intelligenz hinzugedacht wird, die die Dinge beobachtet. Die Gleichnisse, die sie anführen, um ihr System begreiflich zu machen, z. B. das von der Harmonie, die aus dem Zusammenklang mehrerer Instrumente entsteht, machen gerade die Vernunftwidrigkeit desselben begreiflich. Der Zusammenklang und die Harmonie ist nicht in den Instrumenten; sie ist nur im Geist des Zuhörers, der in sich das mannigfaltige in Eins vereinigt; und wenn nicht ein solcher hinzugedacht wird, ist sie überhaupt nicht.

Doch, wer könnte es dem Dogmatismus verwehren, eine Seele als eines von den Dingen ansich anzunehmen? Diese gehört dann unter das von ihm zur Lösung der Aufgabe postulierte, und dadurch nur ist der Satz von einer Einwirkung der Dinge auf die Seele anwendbar, da im Materialismus nur eine Wechselwirkung der Dinge unter sich, durch welche der Gedanke hervorgebracht werden soll, stattfindet. Um das undenkbare denkbar zu machen, hat man das wirkende Ding, oder die Seele, oder beide, gleich so voraussetzen wollen, daß durch die Einwirkung Vorstellungen entstehen könnten. Das  einwirkende Ding  sollte so sein, daß seine Einwirkungen Vorstellungen würden, etwa wie im BERKELEYschen System  Gott.  (Welches System ein dogmatisches, und keineswegs ein idealistisches ist.) Hierdurch sind wir um nichts gebessert; wir verstehen nur eine mechanische Einwirkung, und es ist uns schlechthin unmöglich, eine andere zu denken; jene Voraussetzung also enthält bloße Worte, aber es ist in ihr kein Sinn. Oder die Seele soll von der Art sein, daß jede Einwirkung auf sie zur Vorstellung würde. Aber hiermit geht es uns ebenso, wie mit dem ersten Satz; wir können ihn schlechterdings nicht verstehen.

So verfährt der Dogmatismus allenthalben und in jeder Gestalt, in der er erscheint. In die ungeheure Lücke, die ihm zwischen Dingen und Vorstellungen übrig bleibt, setzt er statt einer Erklärung einige leere Worte, die man zwar auswendig lernen und wieder hersagen kann, bei denen aber schlechthin noch nie ein Mensch etwas gedacht hat, noch je einer etwas denken wird. Wenn man sich nämlich bestimmt die Weise denken will,  wie  das vorgegebene geschieht, so verschwindet der ganze Begriff in einen leeren Schaum.

Der Dogmatismus kann sonach sein Prinzip nur wiederholen, und unter verschiedenen Gestalten wiederholen, es sagen, und immer wieder sagen; aber er kann von ihm aus nicht zum zu erklärenden übergehen, und es ableiten. In dieser Ableitung aber besteht eben die Philosophie. Der Dogmatisus ist sonach, auch von Seiten der Spekulation gesehen, gar keine Philosophie, sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung. Als einzig mögliche Philosophie bleibt der Idealismus übrig.

Das hier aufgestellte wird es nicht mit den Einwürfen des Lesers zu tun haben: denn es ist schlechterdings nichts dagegen aufzubringen, wohl aber mit der absoluten Unfähigkeit Vieler, es zu verstehen. Daß alle Einwirkung mechanisch ist, und daß durch Mechanismus keine Vorstellung entsteht, kann kein Mensch, der auch nur die Worte versteht, leugnen. Aber gerade da liegt die Schwierigkeit. Es gehört schon ein Grad der Selbständigkeit und Freiheit des Geistes dazu, um das geschilderte Wesen der Intelligenz, worauf sich unsere ganze Widerlegung des Dogmatismus gründete, zu begreifen. Viele sind nun einmal mit ihrem Denken nicht weiter gekommen, als zum Fassen der einfachen Reihe des Naturmechanismus; sehr natürlich fällt ihnen nun auch die Vorstellung, wenn sie dieselbe doch denken wollen, in diese Reihe, die einzige, welche in ihrem Geist gezogen ist. Die Vorstellung wird ihnen eine sonderbare Täuschung; wovon wir bei den berühmtesten philosophischen Schriftstellern Proben finden. Für diese ist der Dogmatismus ausreichend; für sie gibt es keine Lücke, weil die entgegengesetzte Welt für sie gar nicht da ist. - Man kann sonach den Dogmatiker durch den geführten Beweis nicht widerlegen, so klar er auch ist; denn er ist nicht an denselben zu bringen, weil ihm das Vermögen fehlt, womit seine Prämisse aufgefaßt wird.

Auch verstößt die Weise, wie hier der Dogmatismus behandelt wird, gegen die milde Denkart unseres Zeitalters, welche zwar in allen Zeitaltern ungemein verbreitet gewesen ist, aber sich erst in dem unsrigen zu einer in Worten ausgedrückten Maxime erhoben hat: man müsse nicht so streng sein im Folgern, es sei in der Philosophie mit den Beweisen nicht so genau zu nehmen, wie etwa in der Mathematik. Wenn diese Denkart nur ein paar Glieder der Kette sieht, und die Regel, nach welcher geschlossen wird, erblickt, so ergänzt sie sogleich den übrigen Teil in Bausch und Bogen durch die Einbildungskraft, ohne weiter nachzuforschen, woraus er besteht. Wenn ihnen etwa ein ALEXANDER von JOCH sagt: Alle Dinge sind durch Naturnotwendigkeit bestimmt, unsere Vorstellungen hängen von der Beschaffenheit der Dinge ab, unser Wille aber von den Vorstellungen, mithin ist alles unser Wollen durch die Naturnotwendigkeit bestimmt und unsere Meinung von der Freiheit unseres Willens ist Täuschung: so ist ihnen dies ungemein verständlich und einleuchtend, ungeachtet dessen, daß kein Menschenverstand darin ist, und sie gehen überzeugt, und erstaunt über die Schärfe dieser Demonstraion von dannen. Ich muß erinnern, daß die Wissenschaftslehre aus dieser milden Denkart weder hervorgeht, noch auf sie rechnet. Wenn auch nur ein einziges Glied in der langen Kette, die sie zu ziehen hat, an das folgende nicht streng anschließt, so will sie überhaupt nichts erwiesen haben.


7.

Der Idealismus erklärt, wie schon oben gesagt wurde, die Bestimmungen des Bewußtseins aus dem Handeln der Intelligenz. Diese ist ihm nur tätig und absolut, nicht leidend; das letzte nicht, weil sie seinem Postulat zufolge erstes und höchstes ist, dem nichts vorhergeht, aus welchem sich ein Leiden desselben erklären ließe. Es kommt ihr aus dem gleichen Grund auch kein eigenliches  Sein, kein Bestehen  zu, weil dies das Resultat einer Wechselwirkung ist, und nichts da ist, noch angenommen wird, womit die Intelligenz in Wechselwirkung gesetzt werden könnte. Die Intelligenz ist dem Idealismus ein  Tun und absolut nichts weiter; nicht einmal ein  Tätiges  soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas bestehendes gedeutet wird, welchem die Tätigkeit beiwohnt. So etwas anzunehmen aber hat der Idealismus keinen Grund, indem es nicht in seinem Prinzip liegt, und alles übrige erst abzuleiten ist. Nun sollen aus dem Handeln dieser Intelligenz  bestimmte  Vorstellungen abgeleitet werden, die von einer Welt, einer ohne unser Zutun vorhandenen, materiellen, im Raum befindlichen Welt usw., welche bekanntermaßen im Bewußtsein vorkommen; aber von einem unbestimmten läßt sich nichts bestimmtes ableiten. Die Formel aller Ableitung, der Satz des Grundes, findet da keine Anwendung. Mithin müßte jenes zugrunde gelegte Handeln der Intelligenz ein  bestimmtes  Handeln sein, und zwar, da die Intelligenz selbst der höchste Erklärungsgrund ist, ein  durch sie selbst  und ihr Wesen, nicht durch etwas außer ihr, bestimmtes Handeln. Die Voraussetzung des Idealismus wird sonach dieses sein: die Intelligenz handelt, aber sie kann vermöge ihres eigenen Wesens nur auf eine gewisse Weise handeln. Denkt man sich diese notwendige Weise des Handelns abgesondert vom Handeln, so nennt man sie sehr passend die Gesetze des Handelns; also es gibt notwendige Gesetze der Intelligenz. - Hierdurc ist dann auch zugleich das Gefühl der Notwendigkeit, welches die bestimmten Vorstellungen begleitet, begreiflich gemacht: die Intelligenz fühlt dann nicht etwa einen Eindruck von außen, sondern sie fühlt in jenem Handeln die Schranken ihres eigenen Wesens. Inwiefern der Idealismus diese einzig vernunftmäßige bestimmte, und wirklich erklärende Voraussetzung von notwendigen Gesetzen der Intelligenz macht, heißt er der  kritische,  oder auch der  transzendentale.  Ein transzendentaler Idealismus würde ein solches System sein, welches aus dem freien und völlig gesetzlosen Handeln der Intelligenz die bestimmten Vorstellungen ableitete; eine völlig widersprechende Voraussetzung, indem ja, wie soeben erinnert wurde, auf ein solches Handeln der Satz des Grundes nicht anwendbar ist.

Die anzunehmenden Handelnsgesetze der Intelligenz machen selbst, so gewiß sie in dem Einen Wesen der Intelligenz begründet sein sollen, ein System aus; das heißt: daß die Intelligenz unter dieser bestimmten Bedingung gerade so handelt, läßt sich weiter erklären, und daraus erklären, weil sie unter einer Bedingung überhaupt eine bestimmte Handlungsweise hat; und das letztere läßt sich abermals erklären aus einem einzigen Grundgesetz. Sie gibt im Verlaufe ihres Handelns sich selbst ihre Gesetze; und diese Gesetzgebung geschieht selbst durch ein höheres notwendiges Handeln oder Vorstellen. Zum Beispiel das Gesetz der Kausalität ist nicht ein erstes ursprüngliches Gesetz, sondern es ist nur eine von mehreren Weisen der Verbindung des Mannigfaltigen, und läßt sich aus dem Grundgesetz dieser Verbindung ableiten; und das Gesetz dieser Verbindung des Mannigfaltigen läßt sich, so wie das Mannigfaltige selbst, abermals aus höheren Gesetzen ableiten.

Dieser Bemerkung zufolge kann nun selbst der kritische Idealismus auf zweierlei Art zu Werke gehen. Entweder er leitet jenes System der notwendigen Handlungsweisen, und mit ihm zugleich die dadurch entstehenden objektiven Vorstellungen wirklich von den Grundgesetzen der Intelligenz ab, und läßt so unter den Augen des Lesers oder Zuhörers den ganzen Umfang unserer Vorstellungen allmählich entstehen: oder er faßt diese Gesetze etwa so, wie sie schon unmittelbar auf die Objekte angewendet werden, also auf ihrer tiefsten Stufe (man nennt sie auf dieser Stufe Kategorien) irgendwoher auf, und behauptet nun: durch diese würden die Objekte bestimmt und geordnet.

Dem Kritiker von der letzten Art, der die angenommenen Gesetze der Intelligenz nicht aus dem Wesen derselben ableitet, woher mag ihm doch auch nur die materielle Kenntnis derselben, die Kenntnis, daß es gerade diese sind, das Gesetz der Substantialität der Kausalität, herkommen? Denn ich will ihn noch nicht mit der Frage belästigen, woher er weiß, daß es bloße immanente Gesetze der Intelligenz sind. Es sind die Gesetze, die unmittelbar auf die Objekte angewandt werden: und er kann sie nur durch Abstraktion von diesen Objekten, also nur aus der Erfahrung geschöpft haben. Es hilft nichts, wenn er sie etwa durch einen Umweg aus der Logik hernimmt; denn die Logik selbst ist ihm nicht anders, als durch Abstraktion von den Objekten entstanden, und er tut nur mittelbar, was unmittelbar getan uns zu merklich in die Augen fallen würde. Er kann daher durch nichts erhärten, daß seine postulierten Denkgesetze wirklich Denkgesetze, wirklich nichts als immanente Gesetze der Intelligenz sind: der Dogmatiker behauptet gegen ihn, es seien allgemein, im Wesen der Dinge begründete Eigenschaften derselben, und es läßt sich nicht einsehen, warum wir der unbewiesenen Behauptung des einen mehr Glauben schenken sollten, als der unbewiesenen Behauptung des anderen. - Es entsteht bei diesem Verfahren keine Einsicht, daß und warum die Intelligenz gerade so handeln muß. Zur Beförderung einer solchen müßte in Prämissen etwas aufgestellt werden, das nur der Intelligenz zukommen kann, und aus jenen Prämissen müßten vor unseren Augen jene Denkgesetze abgeleitet werden.

Besonders sieht man bei diesem Verfahren nicht ein, wie denn das Objekt selbst entsteht; denn, wenn man auch dem Kritiker seine unbewiesenen Postulate zugeben will, so wird durch sie doch nichts weiter als die  Beschaffenheiten  und  Verhältnisse  des Dings erklärt; daß es z. B. im Raum ist, sich in der Zeit äußert, seine Akzidenzen auf etwas Substantielles bezogen werden müssen, usw. Aber woher den das, welches diese Verhältnisse und Beschaffenheiten hat; woher denn der Stoff, der in diese Formen aufgenommen wird? In diesen Stoff flüchtet sich der Dogmatismus, und ihr habt nur Übel ärger gemacht.

Wir wissen es wohl, das Ding entsteht allerdings durch ein Handeln nach diesen Gesetzen, das Ding ist gar nichts anderes, als -  alle diese Verhältnisse durch die Einbildungskraft zusammengefaßt,  und alle diese Verhältnise miteinander sind das Ding; das Objekt ist allerdings die ursprüngliche Synthesis all jener Begriffe. Form und Stoff sind nicht besondere Stücke; die gesamte Formheit ist der Stoff, und erst in der Analyse bekommen wir einzelne Formen. Aber das kann der Kritiker nach der angegebenen Methode auch nur versichern; und es ist sogar ein Geheimnis, woher er selbst es weiß, wenn er es weiß. Solange man nicht das ganze Ding vor den Augen des Denkers entstehen läßt, ist der Dogmatismus nicht bis in seinen letzten Schlupfwinkel verfolgt. Aber das ist nur dadurch möglich, daß man die Intelligenz in ihrer ganzen, nicht in ihrer geteilten Gesetzmäßigkeit handeln läßt.

Ein solcher Idealismus ist demnach unerwiesen und unerweislich. Er hat gegen den Dogmatismus keine anderen Waffen, als die Versicherung, daß er recht hat; und gegen den höheren vollendeten Kritizismus keine anderen, als ohnmächtigen Zorn, und die Behauptung, daß man nicht weiter gehen kann, die Versicherung, daß über ihn hinaus kein Boden mehr sei, daß man dann  ihm  unverständlich wird, und dergleichen; welches alles gar nichts bedeutet.

Schließlich werden in einem solchen System nur diejenigen Gesetze, nach welchen durch die lediglich subsumierende Wechselkraft nur die Objekt der äußeren Erfahrung bestimmt werden, aufgestellt. Aber das ist bei weitem der kleinste Teil des Vernunftsystems. Auf dem Gebiet der praktischen Vernunft und der reflektierenden Urteilskraft tappt daher dieser halbe Kritizismus, da es ihm an der Einsicht in das ganze Verfahren der Vernunft fehlt, ebenso blind herum, als der bloße Nachbeter, und schreibt, ebenso unbefangen, ihm selbst völlig unverständliche Ausdrücke nach. (3)

Die Methode des vollständigen transzendentalen Idealismus, den die Wissenschaftslehre aufstellt, habe ich schon einmal an einem anderen Ort ganz klar auseinander gesetzt. (4) Ich kann mir nicht erklären, wie man jene Auseinandersetzung nicht habe verstehen müssen; genug es wird versichert, man habe sie nicht verstanden.

Ich bin sonach genötigt, das Gesagte wieder zu sagen, und erinnere, daß auf das Verständnis desselben in dieser Wissenschaft alles ankommt.

Dieser Idealismus geht aus von einem einzigen Grundgesetz der Vernunft, welches er im Bewußtsein unmittelbar nachweist. Er verfährt dabei folgendermaßen. Er fordert den Zuhörer oder Leser auf, mit Freiheit einen bestimmten Begriff zu denken; werde er dies, so wird er finden, daß er genötigt sei, auf eine gewisse Weise zu verfahren. Es ist hier zweierlei zu unterscheiden: der geforderte Denkakt; dieser wird durch Freiheit vollzogen, und wer ihn nicht mit vollzieht, sieht nichts von dem, was die Wissenschaftslehre zeigt: - und die notwendige Weise, wie er zu vollziehen ist; diese ist in der Natur der Intelligenz gegründet, und hängt nicht ab von der Willkür; sie ist etwas  notwendiges,  das aber nur in und bei einer freien Handlung vorkommt; etwas  gefundenes,  dessen Finden aber durch Freiheit bedingt ist.

Insoweit weist der Idealismus im unmittelbaren Bewußtsein nach, was er behauptet. Bloße Voraussetzung aber ist, daß jenes Notwendige das Grundgesetz der ganzen Vernunft ist, daß aus ihm das ganze System unserer notwendigen Vorstellungen, nicht nur von einer Welt, wie ihre Objekt durch subsumierende und reflektierende Urteilskraft bestimmt werden, sondern auch von uns selbst, als freien und praktischen Wesen unter Gesetzen, sich ableiten läßt. Diese Voraussetzung hat er zu erweisen durch die wirliche Ableitung, und darin eben besteht sein eigentliches Geschäft.

Hierbei verfährt er auf folgende Weise.  Er zeigt, daß das zuerst als Grundsatz aufgestellte und unmittelbar im Bewußtsein nachgewiesene nicht möglich ist, ohne daß zugleich noch etwas anderes geschieht, und dieses andere nicht, ohne daß zugleich etwas Drittes geschieht; so lange, bis die Bedingungen des zuerst aufgewiesenen vollständig erschöpft, und dasselbe, seiner Möglichkeit nach, völlig begreiflich ist.  Sein Gang ist ein ununterbrochenes Fortschreiten vom Bedingten zur Bedingung. Die Bedingung wird wieder ein Bedingtes, und es ist ihre Bedingung aufzusuchen.

Ist die Voraussetzung des Idealismus richtig, und ist in der Ableitung richtig gefolgert worden: so muß als letztes Resultat, als Inbegriff aller Bedingungen des zuerst aufgestellten, das System aller notwendigen Vorstellungen, oder die gesamte Erfahrung herauskommen; welche Vergleichung gar nicht in der Philosophie selbst, sondern erst hinterher angestellt wird.

Denn der Idealismus hat nicht etwa diese Erfahrung als das ihm schon vorher bekannte Ziel, bei welchem er ankommen muß, im Auge; er weiß bei seinem Verfahren nichts von der Erfahrung, und sieht auf sie überhaupt nicht; er geht von seinem Anfangspunkt nach seiner Regel fort, unbekümmert, was am Ende herauskommen wird. - Der rechte Winkel, von welchem aus er seine gerade Linie zu ziehen hat, ist ihm gegeben; bedarf er wohl noch eines Punktes, nach welchem er hinzieht? Ich meine, alle Punkte seiner Linie sind ihm zugleich mitgegeben. Es ist auch eine bestimmte Zahl gegeben. Ihr vermutet, daß sie das Produkt aus gewissen Faktoren sei. So habt ihr nur, nach der euch wohlbekannten Regel, das Produkt dieser Faktoren zu suchen. Ob es mit der gegebenen Zahl übereinstimmt, wird sich hinterher, wenn ihr das Produkt erst habt, schon finden. Die gegebene Zahl ist die gesamte Erfahrung; die Faktoren sind, - jenes im Bewußtsein Nachgewiesene und die Gesetze des Denkens; das Multiplizieren ist das Philosophieren. Diejenigen, welche euch anraten, beim Philosophieren immer auch ein Auge mit auf die Erfahrung gerichtet zu haben, raten euch, die Faktoren ein wenig zu ändern, und ein wenig falsch zu multiplizieren, damit doch ja übereinstimmende Zahlen kommen: ein Verfahren das so unredlich, wie seicht ist.

Inwiefern man jene letzten Resultate des Idealismus ansieht, als solche, als Folgen des Raisonnements, sind sie das  a priori,  im menschlichen Geist; und inwiefern man eben dasselbe, falls Raisonnement und Erfahrung wirklich übereinstimmen, ansieht, als in der Erfahrung gegeben, heißt es  a posteriori  [im Nachhinein - wp]. Das  a priori  und das  a posteriori  ist für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie antizipiert die gesamte Erfahrung,  denkt  sie sich nur als notwendig, und insofern ist sie, im Vergleich mit der wirklichen Erfahrung,  a priori. A posteriori  ist die Zahl, inwiefern sie als gegebene betrachtet wird;  a priori  dieselbe Zahl, inwiefern sie als Produkt aus den Faktoren gezogen wird. Wer hierüber anders meint, der weiß selbst nicht, was er redet.

Stimmen die Resultate einer Philosophie mit der Erfahrung nicht überein, so ist diese Philosophie sicher falsch: denn sie hat ihrem Versprchen, die gesamte Erfahrung abzuleiten und aus den notwendigen Handeln der Intelligenz zu erklären, nicht Genüge geleistet. Entweder ist dann die Voraussetzung des transzendentalen Idealismus überhaupt unrichtig, oder er ist nur in der bestimmten Darstellung, welche nicht leistet, was sie sollte, unrichtig behandelt worden. Da die Aufgabe, die Erfahrung aus ihrem Grund zu erklären, einmal in der menschlichen Vernunft liegt, da kein vernünftiger annehmen wird, daß in ihr eine Aufgbe liegen kann, deren Auflösung schlechterdings unmöglich ist; da es nur zwei Wege gibt, sie zu lösen, den des Dogmatismus, und den des transzendentalen Idealismus, und dem ersten ohne weiteres nachzuweisen ist, daß er nicht leisten kann, was er verspricht: so wird der entschlossene Denker immer für das letztere, daß man sich bloß im Schließen geirrt hat, und die Voraussetzung ansich wohl richtig ist, entscheiden, und durch keinen mißlungenen Versuch sich abhalten lassen, es wieder zu versuchen, bis es endlich doch einmal gelingt.

Der Weg dieses Idealismus geht, wie man sieht, von einem im Bewußtsein, aber nur zufolge eines freien Denkaktes, Vorkommenden zur gesamten Erfahrung. Was zwischen beiden liegt, ist sein eigentümlicher Boden. Es ist nicht Tatsache des Bewußtseins, gehört nicht in den Umfang der Erfahrung; wie könnte so etwas je Philosophie heißen, da ja diese den Grund der Erfahrung aufzuweisen hat, aber der Grund notwendig außerhalb des begründeten liegt. Es ist ein durch freies, aber gesetzmäßiges Denken hervorgebrachtes. - Dieses wird sogleich ganz klar werden, wenn wir die Grundbehauptung des Idealismus noch etwas näher ansehen.

Das schlechthin postulierte ist nicht möglich, erweist er, ohne die Bedingung eines zweiten, dieses zweite nicht, ohne die Bedingung eines dritten usw.; also, es ist unter allem, was er aufstellt, gar keins einzeln möglich, sondern nur in der Vereinigung mit allen ist jedes einzelne möglich. Sonach kommt, seiner eigenen Behauptung nach, nur das Ganze im Bewußtsein vor, und dieses Ganze ist eben die Erfahrung. Er will es näher kennen lernen, darum muß er es analysieren, und zwar nicht durch ein blindes Herumtappen, sondern nach der bestimmten Regel der Komposition, so daß er unter seinen Augen das Ganze entstehen sieht. Er vermag dies, weil er zu abstrahieren vermag; weil er im freien Denken allerdings das Einzelne allein aufzufassen vermag. Denn es kommt im Bewußtsein nicht bloß die Notwendigkeit der Vorstellungen, sondern auch eine Freiheit derselben vor: und diese Freiheit wiederum kann entweder gesetzmäßig oder nach Regeln verfahren. Das Ganze ist ihm auf dem Gesichtspunkt des notwendigen Bewußtseins gegeben; er findet es, so wie er sich selbst findet. Die durch die Zusammensetzung dieses Ganzen entstandene Reihe nur wird durch die Freiheit hervorgebracht. Wer diesen Akt der Freiheit vornimmt, der wird sich derselben bewußt, und er legt gleichsam ein neues Gebiet in seinem Bewußtsein an: wer ihn nicht vornimmt, für den ist das durch ihn Bedingte gar nicht da. - Der Chemiker setzt einen Körper, etwa ein bestimmtes Metall, aus seinen Elementen zusammen. Der gemeine Mann sieht das ihm wohlbekannte Metall; der Chemiker die Verknüpfung des Körpers und der bestimmten Elemente. Sehen denn nun beide etwas anderes? Ich dächte nicht; sie sehen dasselbe, nur auf eine ander Art. Das des Chemikers ist das  a priori,  er sieht das Einzelne: das des gemeinen Mannes ist das  a posteriori,  er seiht das Ganze. - Nur ist dabei dieser Unterschied: der Chemiker muß das Ganze erst analysieren, ehe er es komponieren kann, weil er es mit einem Gegenstand zu tun hat, dessen Regel der Zusammensetzung er vor der Analyse nicht kennen kann; der Philosoph aber kann ohne vorhergegangene Analyse komponieren, weil er die Regel seines Gegenstandes, die Vernunft, schon kennt.

Es kommt demnach dem Inhalt der Philosophie keine andere Realtität zu, als die des notwendigen Denkens, unter der Bedingung, daß man über den Grund der Erfahrung etwas denken will. Die Intelligenz läßt sich nur als tätig denken, und sie läßt sich nur als auf diese bestimmte Weise tätig denken, behauptet die Philosophie. Diese Realität ist ihr völlig hinreichend; denn es geht aus dieser Philosophie hervor, daß es überhaupt keine andere gibt.

Den jetzt beschriebenen vollständigen kritischen Idealismus will die Wissenschaftslehre aufstellen. Das zuletzt Gesagte enthält de Begriff derselben, und ich habe über diesen keine Einwürfe zu hören; denn was ich tun will, kann niemand besser wissen, als ich selbst. Demonstrationen der Unmöglichkeit einer Sache, die realisiert wird, und zum Teil schon realisiert ist, sind nur lächerlich. Man hat lediglich sich an die Ausführung zu halten, und zu untersuchen, ob sie leistet, was sie versprochen hat.
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Sämtliche Werke, Johann Hermann Fichte (Hg), Bd. 1, Berlin 1845
    Anmerkungen
    1) Ich habe diesen Ausdruck bisher vermieden, um nicht zur Vorstellung eines Ich als Ding ansich zu veranlassen. Meine Sorgfalt war vergeblich: ich nehme ihn daher jetzt auf, weil ich nicht mehr einsehe, wen ich zu schonen hätte.
    2) Daher kommt es, daß KANT nicht verstanden wurde und die Wissenschaftslehre keinen Eingang gefunden hat und ihn wohl sobald nicht finden wird. Das Kantische System und das der Wissenschaftslehre sind, nicht im gewöhnlichen, unbestimmten, sondern in dem soeben angegebenen Sinn des Wortes  idealistisch;  die modernen Philosophen aber sind insgesamt  Dogmatiker,  und sind fest entschlossen, es zu bleiben. KANT ist bloß darum geduldet worden, weil es ihm möglich war, ihn zum Dogmatiker zu machen; die Wissenschaftslehre, mit der sich eine solche Verwandlung nicht vornehmen läßt, ist diesen "Weltweisen" notwendig unausstehlich. Die schnelle Verbreitung der Kantischen Philosophie, nachdem sie gefaßt wurde, wie sie gefaßt wurde, ist nicht ein Beweis von der Gründlichkeit, sondern von der Seichtigkeit des Zeitalters. Teils ist sie in dieser Gestalt die abenteuerlichste Mißgeburt, welche je von der menschlichen Phantasie erzeugt wurde, und es macht dem Scharfsinn ihrer Verteidiger wenig Ehre, daß sie dies nicht einsehen: teils läßt sich leicht nachweisen, daß sie sich nur dadurch empfahl, weil man durch sie alle ernsthafte Spekulation auf die Seite gebracht, und sich mit einem Majestätsbrief versehen glaubte, den beliebten, oberflächlichen Empirismus weiter zu pflegen.
    3) Ein solcher kritischer Idealismus ist von Herrn Prof. BECK in seinem "Einzig möglichen Standpunkt der kritischen Philosophie" aufgestellt worden. Ungeachtet dessen, daß ich nun in dieser Absicht die oben gerügten Mängel finde, so soll mich das doch nicht abhalten, dem Mann, der aus der Verworrenheit des Zeitalters sich selbständig zur Einsicht erhoben hat, daß die Kantische Philosophie keinen Dogmatismus, sondern einen transzendentalen Idealismus lehrt, und daß nach ihr das Objekt weder ganz noch halb gegeben, sondern gemacht werde, die gebührende Hochachtung öffentlich zu bezeugen, und es von der Zeit zu erwarten, daß er sich noch höher erhebe. Ich halte die angeführte Schrift für das zweckmäßigste Geschenk, das dem Zeitalter gemacht werden konnte, und empfehle sie denen, welche aus meinen Schriften die Wissenschaftslehre studiren wollen, als die beste Vorbereitung. Sie führt nicht auf den Weg dieses Systems; aber sie zerstört das mächtigste Hindernis, das denselben so vielen verschließt. - Man hat sich durch den Ton jener Schrift beleidigt finden wollen, und noch neuerlich fordert ein wohlvornehmer Rezensent in einem berühmten Journal mit deutlichen Worten:  crustula, elementa velit ut discere prima  [Zuckerwerk gibt er, denn er will, daß sie erst die Anfangsgründe lernen. - wp]; ich für meine Person finde ihren Ton nur noch zu milde: denn ich sehe wahrhaftig nicht ein, welchen Dank man gewisen Schriftstellern noch dafür haben soll, daß sie ein Jahrzehnt, und darüber, die geistvollste und erhabenste Lehre verwirrt und herabgewürdigt, und warum man sich erst ihre Erlaubnis erbitten solle, um Recht haben zu dürfen. - Wegen der Eilfertigkeit, mit wlecher derselbe Schriftsteller in einer anderen Gesellschaft, für welche er viel zu gut ist, über Bücher herfällt, von welchen sein eigenes Gewissen ihm sagen mußte, daß er sie nicht verstehe, und daß er doch nicht recht wissen könne, wie tief die Sache gehen möge, kann ich ihn nur um seiner selbst willen bedauern.
    4) In der Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre", Weimar 1794