B. Belzervon HartmannO. Plümacher | ||||
Der Wertbegriff und der Lustwert
1. Der Wertbegriff Der Wille wird von den Dingen und den Seelenvorgängen verschieden affiziert, je nachdem sie den von ihm erstrebten Zielen fördrelich oder hinderlich, oder auch teils förderlich, teils hinderlich sind. Die Lust- und Unlustempfindungen in ihren verschiedenen Graden oder Mischungen dienen als Kennzeichen oder Index für den Wert der sie erzeugenden Ursachen, weil und insofern sie als Kennzeichen und Index dafür dienen, ob und in welchem Maß dieselben den Willenszweck förderlich oder hinderlich sind (1). Betrachtet man das Gefühl als etwas für sich Selbständiges, vom Willen Abgelöstes, so scheint es die Werte zu schaffen, die es tatsächlich nur anzeigt. Stellt der Wille die Entstehung von angenehmen Gefühlen als Zweck des Lebens und des Daseins auf und wird auf diesen zwecksetzenden Willen nicht weiter reflektiert, so erscheinen die Gefühle als unmittelbar gegebener, an sich selbstverständlicher Selbstzweck und Endzweck des Daseins, nach welchem alle sonstigen Mittelzwecke sich richten müssen. Die Gefühle scheinen dann alle diese Mittelzwecke von sich aus zu setzen und zu bestimmen und müssen demgemäß auch als Schöpfer aller Werte erscheinen. Nun ist aber weiterhin das Wollen als solches schlechthin unbestimmt, leer und damit unwirklich; bestimmtes, inhaltvolles und damit auch wirkliches Wollen wird es erst durch das erstrebte Ziel, das noch nicht wirklich ist, also zunächst nur ideell oder als Vorstellung ist. So ist gerade das am Wollen, was einen Zweck bestimmt, nicht Wollen sondern Vorstellen, und das Wollen ist nur dasjenige, was diesen zunächst bloß ideellen Zweck realisiert oder doch zu realisieren strebt. Damit fällt aber die ganze inhaltliche Bestimmtheit des Zwecks auf die Seite der Vorstellung. Auch das Gefühl, wenn es mehr als völlig unbestimmte Lust- oder Unlustempfindung sein soll, muß Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines inhaltlich bestimmten Wollens sein, ist also mit von der Vorstellung abhängig, die den Inhalt des befriedigten oder nichtbefriedigten Wollens ausmacht. Ebenso ist weder das Wollen noch das Fühlen imstande darüber zu urteilen, was die äußere oder innere Ursache der Befriedigung oder Nichtbefriedigung ist, und wie sich diese Ursache zu einem empirisch gegebenen Gefühl verhält. Dies ist aber nötig, um den graduellen Wert oder Unwert der betreffenden Ursache zu bestimmen. Das Gefühl ist ein Index; aber die Folgerungen, die aus dem Stand des Zeigers zu ziehen sind, zieht nicht mehr das Gefühl, sondern der Verstand. Man spricht wohl von Gefühlsurteilen und Gefühlsschlüssen, bedient sich dabei aber einer ungenauen Ausdrucksweise; es handelt sich in solchen Fällen um unbewußte Denktätigkeit, deren Ergebnisse nur in gefühlsmäßiger Verhüllung zu Bewußtsein kommen. Das teleologische Verhältnis von Mittel und Zweck ist ein wesentlich logisches Verhältnis und kann deshalb auch nur logisch reproduziert werden. Es ergibt sich hieraus, daß jeder der drei Faktoren zum Zustandekommen einer Wertbestimmung unentbehrlich ist. Ohne die logische Vorstellungsfunktion wäre die Wertbestimmung oder das Werturteil unmöglich, weil eine logische Beziehung nicht anders als logisch nachgebildet werden kann; aber diese Seite der geistigen Tätigkeit entzieht sich häufig ganz oder teilweise dem Bewußtsein und geht als unbewußtes Vorstellungsergebnis unbewußter Denkoperationen in das Gefühl als färbende Bestimmtheit desselben ein. Ohne das Gefühl fehlte es dem Werturteil an einem empirisch gegebenen Index, aus welchem das teleologische Verhältnis des zu Beurteilenden zum Willenszweck erschlossen werden könnte. Ohne den zwecksetzenden Willen bliebe die Bestimmtheit des Zwecks eine rein ideelle, ein logisches Schema für eine mögliche, eventuelle Zwecksetzung, aber nicht ein wirklich gesetzter Zweck als praktische Realisierungstendenz. Erst die Einheit der drei Momente, des Willens mit seinen Affektionen einerseits und der logischen Vorstellungsverknüpfung andererseits, ermöglicht eine wirkliche Wertbestimmung. So verschieden die Zwecke, so verschieden sind auch die Maßstäbe, nach denen Werte bestimmt werden können. Unter dem Gesichtspunkt eines ethischen Zweckes ergeben sich andere Wertbestimmungen für alle Dinge und Seelenvorgänge als unter dem Gesichtspunkt des ästhetischen, religiösen, eudämonistischen [glücklichkeitstechnische - wp], intellektulistischen. Dieselbe Tätigkeit, die für das Individuum und die von seinem Eigenwillen gesetzten Zwecke einen negativen Wert als übel gelohnte Plage und Mühsal hat, kann für die von der Gesellschaft gesetzten sozialen Zwecke einen positiven Wert als unentbehrliches Mittel haben. Was für die Sonderzwecke einer bestimmten Familie äußerst schädlich ist (z. B. die Einkerkerung des verbrecherischen Familienhauptes), kann für die politischen Zwecke des Staates von höchstem Wert sein. Was für ganz Völker und Rassen das denkbar Schlimmste ist, der Untergang, kann für den Menschheitsfortschritt und die Kulturentwicklung äußerst wertvoll sein, wenn höhere Völker und Rassen an ihre Stelle treten. Wenn man also von Wertbestimmungen redet, so muß man vor allen Dingen den Maßstab derselben angeben, d. h. den Zweck, auf den hin man die Förderlichkeit oder Hinderlichkeit des einzelnen prüfen und abschätzen will. Letztenendes müssen ja freilich alle solche Zwecke bloße Mittelzwecke für den absoluten Weltzweck sein, und ihre relative Bedeutung, ihr Wertverhältnis untereinander und das Wertverhältnis der aus ihnen abgeleiteten Werturteile muß aus ihrer teleologischen Stellung zum Endzweck, aus ihrer größeren oder geringeren Wichtigkeit für ihn, bestimmt werden. Aber gerade diese Aufgabe ist die allerschwierigste und kann nur dann auf Gelingen hoffen, wenn man zuvor jedes Wertgebiet für sich gründlich untersucht hat. Solange eine Einigung über den absoluten Weltzweck noch in weiter Ferne liegt, ist es umso nötiger, die verschiedenen Wertmaßstäbe der Unterzwecke sorgfältig auseinanderzuhalten, um jedem die Berechtigung innerhalb seines Gesichtskreises zu wahren und ungehörige Verwechslungen, Vermengungen und Übergriffe zu vermeiden. Hiermit ist durchaus nicht gesagt, daß die Gebiete, innerhalb deren die verschiedensten Gesichtspunkte geltend zu machen sind, durch unübersteigliche Grenzen getrennt und geschieden sind. Im Gegenteil, sie durchkreuzen sich auf das Mannigfachste und umfassen großenteils dieselben Gegenstände. Man kann die Welt und das Leben bald unter diesem, bald unter jenem Gesichtspunkt betrachten, deren jeder seine relative Berechtigung hat. Nicht die Gegenstände sind zu sondern, die unter den verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden, sondern die Vermischung der Gesichtspunkte, und das Überspringen aus dem einen in den anderen ist zu vermeiden. Die Gegenstände bleiben in der Hauptsache dieselben, aber ihre Bewertung wird eine ganz verschiedene, je nachdem sie in ihrem teleologischen Verhältnis zu verschiedenen Zwecken betrachtet werden. Der ästhetische Wert eines Kunstwerkes kann sehr hoch sein, während sein sittlicher Wert sehr zweifelhaft ist; eine ästhetisch wertlose Dichtung kann dagegen sehr erbaulich wirken. Gute Menschen können schlechte Musikanten sein und umgekehrt. Man kann das eine und das andere zugeben, gerät aber sofort in eine fehlerhafte Wertbestimmung, wenn man den Wert, den eine Sache unter einem bestimmten Gesichtspunkt hat, dadurch zu erhöhen oder herabzusetzen versucht, daß sie unter einem ganz anderen Gesichtspunkt und für einen ganz anderen Zweck einen viel höheren oder geringeren Wert aufweist. Selbst die verschiedenen Zwecke, die alle letzten Endes Mittelzwecke des absoluten Endzwecks sind, stehen außerdem auch in teleologischer Beziehung zueinander. So kann der eudämonistische Zweck als ein Mittel angesehen werden, um dem Menschen das Leben so weit erträglich zu machen, daß er überhaupt befähigt bleibt, seine sittlichen Aufgaben zu erfüllen. Der sittliche Zweck kann wiederum als ein Mittel aufgefaßt werden, durch das der Mensch für die Erfüllung seines religiösen Zwecks vorbereitet und erzogen wird; umgekehrt kann aber auch die religiöse Vervollkommnung als Mittel für die fortschreitende Versittlichung betrachtet werden. Der Schönheitszweck kann in eine dienende Beziehung zu sittlichen und religiösen Zwecken gesetzt werden, insofern die Kunst als Mittel zu Katharsis, die Bühne als moralische Erziehungsanstalt, Dichtung und Musik als Mittel zur Erweckung von religiöser Andacht oder sittlicher Erhebung oder patriotischer Erregung verwertet wird. Ebenso kann die Wahrheitsforschung der Religion, Kunst und Wissenschaft zur Förderung dienen, während umgekehrt die religiösen, ästethischen und sittlichen Postulate der Wahrheitsforschung den Weg weisen und zur Bestätigung dienen können. Alle Betätigung im Dienst religiöser, sittlicher, ästhetischer und intellektueller Zwecke führt wiederum Gefühlserregungen mit sih, die mit einem eudämonistischen Maßstab gemessen werden können und müssen, so daß jene Zwecke zugleich eine teleologische Beziehung zum Glückseligkeitszweck haben und sich der Ring der teleologischen Beziehungen schließt. Alle diese Beziehungen sind nicht willkürlich aufgestellt oder bloß durch subjektive Reflexion hinzugebracht, sondern sie sind in der Erfahrung des Lebens als Tatsachen gegegeben. In ihnen liegt die Möglichkeit begründet, daß jeder dieser Gesichtspunkte als der maßgebende betrachtet werden kann, dem alle andern als Mittel untergeordnet sind. Sobald dies aber geschieht, wird der Fehler begangen, die Wechselseitigkeit dieses teleologischen Verhältnisses zu übersehen und ein einziges willkürlich auszuwählen. In Wahrheit haben sie alle gleiche tatsächliche Berechtigung, wenn auch daraus noch nicht gleiches Recht dem Wert nach folgt. Es ist ein Gewaltstreich der subjektiven Willkür, einen einzelnen dieser Maßstäbe zum absoluten zu erheben und alle anderen ihm als bloß dienende Mittel unterzuordnen, während doch die Förderung oder Hemmung überall eine wechselseitige ist. Der relative Wert dieser verschiedenen Maßstäbe läßt sich nicht dadurch feststellen, daß man sie an einem von ihnen mißt, sondern nur dadurch, daß man sie sämtlich als Mittel auf einen höheren Zweck bezieht und erwägt, in welchem Maß sie diesen zu fördern geeignet sind, d. h. in dem man sie als Glieder der einen teleologischen Weltordnung betrachtet. Indem jeder dieser Mittelzwecke dem Endzweck einerseits unmittelbar auf seine eigene Weise dient, andererseits mittelbar durch die Förderung aller übrigen, betätigt er eine doppelte Zweckmäßigkeit. Dem System der Mittel entspricht ein System der Werte, insofern die Mittel als Mittel, d. h. in ihrer teleologischen Zweckdienlichkeit aufgefaßt werden, und das verschlungene Netz der teleologischen Beziehungen ist zugleich ein ebenso verwickeltes System von Wertverhältnissen. Gibt es keine objektiven Zwecke, so gibt es auch keine objektiven Werte. Ohne eine objektive teleologische Weltordnung keine objektive Wertordnung. Objektive Zwecke kann es nach dem oben Gesagten nur geben, wenn es ein objektiv Logisches gibt, das sich zur objektiven Teleologie entfaltet, und einen objektiven Willen, der die ideellen logischen Zweckbeziehungen realisiert. Dagegen bedarf es keines objektiven Gefühls, um objektive Werte anzuerkennen. Denn Werte sind, was sie sind, an und für sich, ohne es erst durch eine Anerkennung zu werden und ohne einer solchen zu bedürfen; sie sind, weil sie durch Wille und Vorstellung als zweckdienliche Mittel gesetzt sind, ganz gleichgültig, ob sich jemand findet, der das auch anerkennt, oder nicht. Für uns machen sich die so gesetzten Werte dadurch bemerkbar, daß das Gefühl ihre Gemäßheit zum zwecksetzenden Willen anzeigt; aber weder ihre Existenz noch ihr Wert ist davon abhängig, daß sie sich uns als Werte bemerkbar machen. Einerseits gibt es auch viele Werte, deren wir uns nicht bewußt werden, teils weil sie nicht dazu gelangen, unseren Willen zu affizieren, teils weil die durch sie bewirkte Willensbefriedigung uns nicht zu Bewußtsein gelangt, teils weil unser Wollen sich zeitweilig nicht im Einklang sondern im Widerstreit mit dem objektiven, zwecksetzenden Wollen befindet. Andererseits kann die gedankliche Reflexion des Menschen sich zu einer solchen Höhe erheben, daß die Gefühle zu schattenhaften Reminiszenzen verblassen und die Wertanerkennung vom logischen Denken durch eine Beurteilung des Wertobjekts nach seiner teleologischen Stellung im Weltganzen erfolgt. Gibt es keinen objektiven Weltwillen und keine objektive Weltidee, die objektive Zwecke setzen könnten, so kann nur noch von subjektiven Werten die Rede sein, d. h. von der Zweckmäßigkeit der Dinge für subjektive Zwecke, die vom subjektiven Willen und der subjektiven Vorstellung gesetzt sind. Daß es solche subjektiven Zwecksetzungen und Wertmaßstäbe gibt, ist zweifellos, und auch auf ihrer Grundlage kann sich ein System von Zweckbeziehungen und Wertverhältnissen entfalten, deren Glieder eine doppelte Wirksamkeit in direkter und indirekter Weise entfalten. Alle Systeme, die eine objektive Teleologie leugnen, müssen mit subjektiven Zwecksetzungen und Wertbestimmungen auszureichen versuchen, um die tatsächlich gegebene religiöse, sittliche, ästhetische und sonstige Wertschätzung zu erklären. Die Schwierigkeit liegt dann nur darin, durch eine subjektive Setzung auch solche Zwecke begreiflich zu machen, die über die Sphäre des Subjekts hinausgehen. Schon bei der eudämonologischen Wertbestimmung gelingt es nicht, aus individual-eudämonistischer Zwecksetzung die tatsächliche Anerkennung sozial-eudämonistischer Werte zu erklären, die mit den individuellen Interessen in Widerspruch stehen und ihnen Opfer auferlegen, ohne sie auf Umwegen voll zu vergüten. Noch weniger gelingt die Erklärung bei Wertschätzungen, die einen anderen als den eudämonistischen Maßstab anlegen, z. B. der Sittlichkeit, soweit sie auch über den Sozialeudämonismus hinausgeht und sich mit diesem in Widerstreit setzt. Im allgemeinen sucht man diese Schwierigkeiten zu ignorieren oder zu umgehen und ihrer ungeachtet alle Maßstäbe dem eudämonistischen unterzuordnen, weil dieser Zweck für die Subjektivität der nächstliegende und natürlichste scheint, auch in diesem Punkt am ehesten eine formelle Übereinstimmung aller individuellen Zwecksetzungen vorausgesetzt werden darf. Hierin liegt der Grund, warum alle anti-teleologischen System in einen offenen oder versteckten Eudämonismus münden müssen. Wer hingegen objektive Zwecke und Werte annimmt, wird zu erwägen haben, wie die unzweifelhaft vorhandenen subjektiven Zwecksetzungen und Wertbestimmungen sich zu jenen verhalten. Es ist hierbei im allgemeinen ein dreifaches Verhältnis möglich: Übereinstimmung, gleichgültiges Nebeneinanderbestehen und Widerstreit. Da alle Sonderwillen nur Strahlen eines absoluten Willens sein können, wenn man einmal einen solchen annimmt, so scheint auch die Übereinstimmung zunächst als das natürliche Verhältnis, da die teleologische Willenseinheit der Wesenseinheit am meisten zu entsprechen scheint. Erwägt man jedoch, daß den Individualwillen, gerade damit sie ihr Aufgabe in der teleologischen Weltordnung erfüllen können, ein gewisser Spielraum gelassen werden muß, um sich nach bewußten Motiven zu bestimmen, so zeigt sich alsbald, daß sie ihre Eigenart und Selbstbestimmung auch in solchen Zwecksetzungen üben müssen, die, für die objektiven Zwecke unmittelbar genommen, indifferenz sind. Da nun aber die bewußte Motivation den Irrtum und die Verirrung einschließt, so ist es auch teleologisch unausweichlich, daß die subjektive Zwecksetzung sich in Widerstreit mit der objektiven setzen kann, freilich nicht, um in ihm zu verharren, sondern um überwunden zu werden. Die Übereinstimmung der subjektiven Zwecksetzung mit den objektiven Zwecken enthüllt sich in der echten religiösen, sittlichen, ästhetischen und intellektuellen Wertbestimmung; sie ist darum auch das Ziel, auf das der Prozeß hinführt. Die unmittelbar gleichgültigen Wertbemessungen zeigen sich in fingierten, konventionellen oder launenhaften Zwecksetzungen, wie wir sie in den Spielen, den sogenannten "Steckenpferden" und in verschiedenen Grillen und harmlosen Wunderlichkeiten der Menschen vor Augen haben. Aber in extremen Fällen können auch diese schon zum Widerstreit mit objektiven Zwecken führen, wenn z. B. jemand um seiner Liebhabereien willen seine Pflichten versäumt oder sich seinen Hausgenossen lästig macht, oder wenn gar die Sammelwut zum Diebstahl verleitet. Der Widerstreit wird offenbar, wo ein Individuum einer bestimmten Individuationsstufe sich gegen die Zwecke der Individuationsstufen höherer Ordnung auflehnt, denen es eingegliedert ist und deren Zwecke es stört, z. B. in der Erkrankung des Organismus durch Überwucherung einzelner Organe, oder im Bösen. Im ersten Fall ist das, was dem Individuum nach dem Maßstab seiner subjektiven Zwecksetzung als das Wertvolle erscheint, in der Tat zugleich ein objektiv Wertvolles, im zweiten Fall ein unmittelbar Wertloses, wenngleich Unschädliches, im dritten Fall etwas Schädliches, nicht sein Sollendes vom Gesichtspunkt der objektiven Zweckmäßigkeit. Es kommt alles darauf an, daß das Individuum diese drei Arten subjektiver Zwecksetzung unterscheiden lernt und seine Wertbestimmungen mit den objektiven Zwecken in einen möglichsten Einklang bringt. Wenn ihm etwas als subjektiv wertvoll erscheint, was objektiv verwerflich und zweckwidrig ist, so mußß es zur Überwindung seiner objektiv verkehrten Zwecksetzung gelangen; wenn es Wert legt auf Dinge, die objektiv gleichgültig sind, so muß es darauf sehen, daß eine solche ansich harmlose Neigung innerhalb des Spielraums bleibt, der ihr von der objektiven Zweckordnung offen gelassen wird. Ein Individuum samt allen seinen subjektiven Zwecksetzungen und Wertschätzungen wird ein objektiv umso wertvolleres Glied des Weltganzen, je mehr es diese Wertschätzungen im Einklang mit der objektiven Zweckordnung zu setzen vermag. Das kann es aber nur, wenn es eine solche gibt; wenn nicht, so ist jedes Individuum samt allem, was es bezweckt und wertschätzt, objektiv zwecklos und wertlos, ein bloßes gleichgültiges Faktum. Es ist dann auch objektiv ganz gleichgültig, nach welchen subjektiven Zwecksetzungen es seine subjektiven Wertschätzungen eingerichtet hat; man kann es dann ruhig jedem überlassen, wohin ihn sein Geschmack und seine Neigung zieht, und es liegt gar kein Grund mehr vor, daß die Wissenschaft sich mit den gleichgültigen subjektiven Wertbemessungen der Menschen beschäftigt. Die Wissenschaft befaßt sich mit den subjektiven Wertschätzungen der Menschen nur, um ihr Verhältnis zur wirklichen und wahrhaft objektiven Wertschätzung zu ermitteln; wenn es aber eine solche gar nicht gäbe, so hätte die Konstatierung der objektiv wertlosen Reihe von subjektiven Tatsachen gar keinen Sinn mehr. Wenn es keine objektivreale, für alle Bewußtseine gemeinsame und darum auch für alle erkenntnistheoretisch transzendente Welt gibt, so stehen die subjektiven Erscheinungswelten der verschiedenen Bewußtseine beziehungslos und zusammenhanglos nebeneinander, und es von einer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung ihres Inhalts kann wegen fehlender Vergleichsmöglichkeiten gar nicht mehr gesprochen werden; es ist dann für jedes derselben ganz gleichgültig, was in allen anderen vorgeht. In demselben Sinne ist es auch, wenn es keine objektiven Werte gibt, für jedes Individuum ganz gleichgültig, welche Wertschätzungen in anderen Individuen bestehen; jedes hat nur mit den seinigen zu tun und braucht sich um die der übrigen nicht zu kümmern, außer sofern es sie der seinigen dienstbar machen kann. Lust und Unlust sind, wie oben gezeigt, ein Index für die Befriedigung und Nichtbefriedigung des zielstrebigen Wollens und damit zugleich für die Gemäßheit oder Widrigkeit der sie erzeugenden Ursachen zu den jeweiligen Willenszielen. Sie messen zwar nicht alle Werte, sondern nur diejenigen, bei denen ihr Verhältnis zum zwecksetzenden Wollen zu Bewußtsein gelangt; aber wo sie vorhanden sind, zeigen sie auch das Vorhandensein von Werten an. Es kann nun die Frage aufgeworfen werden, ob und in welchem Sinne Lust und Unlust selbst einer Wertschätzung unterworfen werden können. Ohne Zweifel sind sie reale Seelenvorgänge, die selbst wieder in ein teleologisches Verhältnis zu zielstrebigen Wallungen gesetzt werden können, und in diesem Sinne kann sehr wohl vom Wert der Gefühle in Bezug auf bestimmte Zwecke die Rede sein. Man kann den Wert von Lust und Unlust, Freude und Leid, Angenehmem und Unangenehmem für die sittlichen, religiösen, ästhetischen und intellektuellen Zwecksetzungen des Menschen erörtern. Über diesen sittlichen, religiösen, ästhetischen und intellektuellen Wert oder Unwert der Lust- und Unlustgefühle dürfte im Prinzip kein Streit sein. Schwieriger dagegen wird die Sache, wenn man nach einem rein eudämonistischen Wert derselben fragt, weil sich hier leichter die Gesichtspunkte verwirren. Zunächst könnte es scheinen, als ob von einem Wert der Lust und Unlust in eudämonologischer Hinsicht überhaupt nicht die Rede sein kann, oder als ob ihr Wert sich nach Vorzeichen und Grad genau mit ihrem Empfindungsgehalt deckt. Die Empfindung ist ja nur dadurch Index für die Bewertung der Empfindungsursachen, daß sie deren Verhältnis zum jeweiligen Wollen konstatiert, die Thermometerskala, welche die Wärme des Quecksilbers im Thermometer anzeigt, ist weder warm noch kalt. Will man sagen, daß die Lust als solche das dem Willen zu allermeist Gemäße und die Unlust das ihm allermeist Widerstrebende ist, so kann man allerdings beide auch als positive oder negative Werte im Verhältnis zum Willen ansehen; ihr Wert fällt dann aber auch unmittelbar mit ihrem Empfindungsgehalt zusammen. Sieht man jedoch genauer zu, so bemerkt man, daß hierbei entweder der eudämonistische Gesichtspunkt verlassen, oder aber unvermerkt eine neue Voraussetzung mit hineinbezogen ist, nämlich die, daß die Erlangung und Festhaltung der Lust und die Abwehr und Abkürzung der Unlust Ziel und Zweck jedes Wollens ist. Nimmt man das Wollen mit seinem konkreten Inhalt von mannigfacher Beschaffenheit, so findet man die Lust und Unlust in ihm umso weniger als bewußtes Ziel enthalten, je instinktiver, naiver, unreflektierter das Wollen ist. Dies gilt nicht bloß für ein auf sittliche, religiöse, ästhetische oder intellektuelle Ziele gerichtetes Wollen, sondern auch für die ganz gewöhnlichen Handlungen des täglichen Lebens. Das unreflektierte, natürliche Wollen betätigt sich so, wie es sich unter den gegebenen Umständen nach den verschiedenen Charakteranlagen betätigen muß. Tritt als Erfolg Lust oder Unlust ein, so sind das akzidentielle Nebenerscheinungen des instinktiven Wollens, aber nicht wesentliche Bestandteile seines bewußten Zweckinhalts. Dem bestimmten Wollen kam es nur auf die Erreichung seines bestimmten konkreten Zieles an, und die Lust fällt ihm nur nebenbei zu; man kann deshalb auch nicht sagen, daß in einem solchen Fall die Lustzugabe in teleologischer Beziehung zu demjenigen Wollen steht, welchem sie zugefallen ist, und darum auch nicht von einem Wert der Lust in Bezug auf dieses Wollen reden. Der Wert der die Willensbefriedigung herbeiführenden Ursachen wird freilich an dieser Lust gemessen; aber er ist darum noch kein eudämonistischer Wert, sondern ein religiöser, sittlicher, ästhetischer, intellektueller oder natürlicher, je nachdem wie der bewußte Willenszweck beschaffen war. Eudämonistisch wird die Wertbemessung erst dann, wenn der Vorstellungsinhalt des Wollens die Erlangung von Lust und Abwehr von Unlust als wesentlichen Bestandteil und als eigentlichen Zweck des Wollens einschließt. Da nun ein solches Wollen immer bereit ist hervorzubrechen, gleichsam beständig als latentes auf der Lauer liegt, so kann es auch durch den Nebenerfolg der Lust oder Unlust bei andersartigem Wollen jederzeit geweckt werden, d. h. es kann jederzeit eine soeben eintretende Lust oder Unlust auf ein eudämonistisches Wollen teleologisch bezogen werden, das vorher gar nicht ins Bewußtsein fiel, aber durch den Eintritt des Gefühls ins Bewußtsein gerufen wird. Insofern nun auf ein solches eudämonistisches Wollen reflektiert wird, kann auch von einem eudämonistischen Wert der Lust- und Unlustempfindungen die Rede sein. Aber es ist wohl zu beachten, daß hierbei ein zweites Wollen zu demjenigen hinzutritt, das sie zunächst befriedigten oder nicht befriedigten, und daß eine zweite reflektierte Lust aus der Befriedigung des eudämonistischen Wollens zur ersten unreflektierten Lust aus dem konkret bestimmten Wollen hinzutritt. Diese zweite, reflektierte Lust ist der Index für den eudämonistischen Wert, den die erste konkrete Lust für die Befriedigung des zweiten hinzutretenden Wollens hat. In Wirklichkeit mischen sich beide in den verschiedensten Verhältnissen je nach dem Grad der Deutlichkeit und Klarheit, den die bewußte Reflexion auf den eudämonistischen Zweck erlangt. Da stets beide Empfindungen zu einem komplexen Gefühl verschmelzen, bedarf es schon besonderer Selbstbeobachtung, um das Vorhandensein beider festzustellen. Dies wird zunächst am leichtesten in den extremen Fällen eines starken Hervortretens der Reflexion auf den eudämonistischen Willenszweck gelingen, dann aber nach einiger Übung auch in solchen Fällen, wo die reflektierte eudämonistische Lust nur eine relativ schwache Beimischung zur unmittelbar konkreten bildet. Das eudämonistische Wollen braucht aber nicht erst im Nachhinein durch das wirkliche Auftreten der konkreten Lust geweckt zu werden, sondern kann schon vorher aus der Latenz herausgetreten sein, wozu allerdings das Vorangehen einer mehrfachen Erfahrung erforderlich ist. In diesem Fall kann der natürliche konkrete Motivationsprozeß durch die Einmengung eines eudämonistischen Motivationsprozesses kompliziert werden, indem die Reflexion auf den eudämonistischen Wert der akzidentiell eintretenden konkreten Lust für die Entschließung mitbestimmend wird. Für das konkrete Wollen ist der bestimmte Inhalt der Ziele entscheidend, nicht die Lust, die dabei herauskommt, und am wenigsten die reine Größe der Lust unter Abstraktion von ihrer konkreten Bestimmtheit. Für das eudämonistische Wollen hingegen ist nur die abstrakte Lustgröße entscheidend, und die konkrete Beschaffenheit der zu erwartenden Lust kommt nur insofern in Betracht, als sie nach Maßgabe der eigenen Charakteranlage von mittelbarem Einfluß auf die Lustgröße ist (2). Die eudämonistische Wertbemessung der konkreten Lust kann verschieden ausfallen, je nachdem der Zweck des hinzutretenden eudämonistischen Willens beschaffen ist. Solange der Wille bloß hedonistisch ist, setzt er den Zweck in die Stärke und Dauer der einzelnen Lust; an diesem Zweck bemessen, kommt es nur auf Intensität und Nachhaltigkeit des augenblicklichen Genusses an, wie dies dem Leichtsinn der Jugend und jugendlicher Völker entspricht. Aber diese bedingungslose Beschränkung auf den Augenblick ist nicht durchzuführen, weil der augenblickliche Gefühlsinhalt sich nicht isolieren, nicht schlechthin von den vergangenen, noch nachklingenden Gefühlszuständen absperren läßt, und weil die vergleichende Reflexion nicht abzuwehren ist, wenn auch ihr Gebiet noch so beschränkt bleibt. Darum entwickelt sich schon bei den Tieren und Naturvölkern ganz ungesucht eine eudämonistische Bewertung der Lust, die nicht mit dem Grad und der Dauer der augenblicklichen Lust zusammenfällt, sondern durch die Stellung derselben im Zusammenhang der zeitlich und assoziativ benachbarten Gefühlszustände modifiziert ist. Es ist dabei zu beachten, daß Lust nicht Willensbefriedigung schlechthin, sondern ein Bewußtwerden der Willensbefriedigung ist, und daß zwar die Nichtbefriedigung des Willens durch sich selbst bewußt wird, die Befriedigung aber nur bedingungsweise. Der eudämonistische Wert der Willensbefriedigung steigt also mit der Deutlichkeit und Vollständigkeit ihres Bewußtwerdens, und diese hängt einerseits wesentlich vom Vorhandensein eines funktionsfähigen Bewußtseinsorgans und andererseits von einem die Reflexion weckenden Kontrast ab. Der Kontrast kann ein zweifacher sein, entweder im Vergleich zu positiven Schmerzen und zur Unlust, die durch Willensrepression von seiten willenswidriger Gegenstände und Zustände erregt wird, oder im Vergleich zur Unlust des wegen Mangel an Befriedigungsmitteln zeitweilig unbefriedigten Begehrens. Das Begehren oder der erregte Trieb, oder das aus der Latenz herausgetretene Bedürfnis ist Unlust, solange es fortbesteht, ohne durch geeignete Mittel befriedigt zu werden, auch dann schon, wenn es nicht durch widrige Gegenströmungen reprimiert [gehemmt - wp] wird. Das unbefriedigte Sehnen und Verlangen ist aber in der Regel nicht reine Unlust, sondern ein gemischtes Gefühl, insofern einerseits die Hoffnung und Erwartung auf demnächstige Befriedigung eine antizipierte Lust hinzufügt, und andererseits die Betätigung in vorbereitenden Handlungen oder die Arbeit an der Herbeischaffung von Befriedigungsmitteln eine Befriedigung des körperlichen Bewegungstriebes, des Selbstgefühls in Bezug auf Kraft und Klugheit usw. mit sich führt. Abgesehen von diesen Beimischungen aber ist das unbefriedigte Begehren reine Unlust, wie sich dies zeigt, wenn einem Trieb jede Hoffnung auf Befriedigung abgeschnitten und jede Möglichkeit der vorbereitenden Betätigung versagt ist. Keine Unlust ist größer als hoffnungslose Liebe, ohnmächtige Wut oder Rachsucht, vergebliches Sehnen nach Zurückerlangung eines unwiederbringlich Verlorenen, oder die Verzweiflung des zum Verhungern und Verdursten Eingemauerten. Hier erst zeigt das unbefriedigte Begehren seine wahre Natur; auch wenn eigentliche positive Schmerzen gar nicht oder nur in geringem Maß mit ihm verknüpft sind, kann es doch zu einer Seelenmarter werden, die schlimmer ist als alle Schmerzen. Wenn der Mensch sich in einer Lage befindet, die ihm der Regel nach fortdauernde Anlässe zur Unlust bietet, so wird er die in diese Reihenfolgen schmerzlicher Erfahrungen eingestreuten Lichtblicke durch den Kontrast umso deutlicher als Annehmlichkeiten auffassen und ihnen einen höheren eudämonistischen Wert beimessen, als wenn er in einer Lage lebt, die ihm die Unlust möglichst fern hält und sein Leben zu einer Kette von Lustempfindungen macht. Wer täglich mehrere üppige Mahlzeiten einzunehmen gewohnt ist, wird der Lust, die ihm eine einfache Kost aus Fleisch und Brot bereitet, geringeren Wert beimessen, als jemand, der aus Armut oder in einer unwirtlichen Gegend oder in einer belagerten Festung längere Zeit hindurch von schlechten und unzusagenden Speisen zu leben gewohnt war. Sklaven, die täglich unter schwerer Arbeit, Prügeln und Mißhandlungen leiden, schätzen einen Feiertag, an dem sie frei von Arbeit und Strafe sind, eudämonistisch weit höher, als freie Menschen, die sich auch an Werktagen nach ihrem Belieben beschäftigen können und die von keinem geplagt und geschunden werden. Wie die einzelne Lust durch den Kontrast mit vorhergehenden Schmerzen gehoben wird, so wird auch die einzelne Unlust durch den Kontrast mit einer Reihe hervorragender Freuden verschärft. Ein und dieselbe Unlust wird viel schwerer empfunden, je nachdem der Mensch durch die Mißhandlungen des Schicksals abgehärtet oder durch eine relativ glückliche Lebenslage verwöhnt ist. Eine gar nicht oder wenig unterbrochene Reihe von Lust und Freude f+jrt durch Abstumpfung zunächst zur Gleichgültigkeit und dann zum Überdruß; die Gleichgültigkeit hebt den Wert der einzelnen Lust auf, der Überdruß verkehrt ihn in sein Gegenteil. "Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen" (GOETHE). "Aus Freuden sehn' ich mich nach Schmerzen" (RICHARD WAGNER, Tannhäuser). "Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde" (GOETHE). Der Kontrast der Schmerzen und der Stachel des noch unbefriedigten Begehrens ist es erst, der der Lust Wert verleiht. Durch den Kontrast mit der Unlust wird selbst der Zustand der Gefühlsindifferenz eudämonistisch wertvoll; durch den Kontrast mit einer noch nicht abgestumpften Lust, die man festhalten möchte, erhält das Aufhören der Lust einen negativen eudämonistischen Wert. Denn im ersten Fall befriedigt der Eintritt der Schmerzlosigkeit das Begehren nach dem Aufhören der Unlust, im letzteren Fall widerspricht der Eintritt des indifferenten Gefühlszustandes dem Verlangen nach Fortdauer der Lust. Die ganze Erscheinung der Kontrastlus und Kontrastunlust ist aus dem bestimmten konkreten Wollen nicht zu erklären, da hier jede Empfindung nur durch ihr Verhältnis zum Wollen bestimmt sein kann. Sie wird erst verständlich dadurch, daß zu dem auf den konkreten Zweck gerichteten Wollen ein auf die Erlangung von Lust und Abwehr von Unlust gerichtetes Wollen hinzutritt; denn erst aus der Befriedigung und Nichtbefriedigung dieses letzteren entspringt jene hinzukommende Lust und Unlust, die wir als Kontrastempfindung bezeichnen. Die Erwartung auf die in der Zukunft bevorstehende Lust oder Unlust wirkt in ähnlicher Weise kontrastierend auf die gegenwärtige, wie die vergangene es tat. Der Wert einer Lust, die uns in den Schoß fällt, wenn wir resigniert genug waren, auf eine fortdauernde überwiegende Leiderfahrung zu rechnen, wird viel höher geschätzt, als der Wert der gleichen Lust, wenn wir sie als etwas Selbstverständliches, nicht anders zu Erwartendes hinnehmen. Dagegen wird der negative Wert einer Unlust stärker empfunden, wenn sie uns wider Vermuten und im Gegensatz zu unseren vermeintlich berechtigten Erwartungen aufgedrängt wird, als wenn wir sie als etwas Selbstverständliches hinnehmen, auf das wir längst gefaßt waren. Hierin liegt es begründet, daß unter sonst gleichen Verhältnissen der Pessimist jeder Lust einen höheren Wert beimißt als der Optimist, jede Unlust aber geringer veranschlagt als dieser; der Pessimist hat es infolgedessen leichter als der Optimist, die Freuden des Lebens als ein unverhofftes Glück dankbar zu schätzen und sich über seine Leiden mit guter Art als über etwas gar nicht anders Erwartetes hinwegzusetzen. Der Optimist hingegen ist durch seine übertriebenen Erwartungen in Gefahr, die Freuden des Lebens unachtsam hinzunehmen und seinen Leiden zuviel Gewicht beizulegen. Die entgegengesetzte Wertschätzung des gesamten Lebens führt auch zu einer entgegengesetzten Wertschätzung des gegenwärtigen Gefühlszustandes, aber im umgekehrten Sinn, so daß der theoretische Pessimist es viel leichter hat, mit der Gegenwart zufrieden zu sein, und der Gefahr, in einen Situationspessimismus und Stimmungspessimismus zu verfallen, weit mehr entrückt ist als der Optimist. Es ergibt sich hieraus, daß für den eudämonistischen Wert der Lust den nächsten empirischen Maßstab die Unlust bildet, mit welcher sie kontrastiert, sowohl die tatsächlich vorhergehende, als auch die vorher für die Gegenwart zu erwartende, als auch die für die Zukunft vorausgesetzte. Die Lust ist, was sie ist, als isolierte, aber ihr Wert wird bestimmt durch ihre Stellung in der Kette von vergangenen und zukünftigen Leiden und Freuden. Betrachtet man die Lust als einzeln hervorstechendes Empfindungsglied in einer verhältnismäßig indifferenten Gefühlsumgebung, so tritt der Kontrast zur Unlust des Begehrens oder des noch unbefriedigten Bedürfnisses in den Vordergrund. Hier erscheint dann die Lust umso wertvoller, je heftiger das Begehren schon vorher bestand und je stärker die Unlust des unbefriedigten Begehrens sich dem Bewußtsein aufgedrängt hatte. Der Wert der Lust, den eine Mahlzeit bereitet, wird geschätzt nach dem Appetit, den man mitbringt; um den Wert dieser Kontrastlust zu erhöhen, richtet der Koch seine Kunst darauf, durch Vorgerichte und Getränke den Appetit zu reizen und ihn durch eine verlockende äußere Herrichtung der Speisen rege zu erhalten. Man sagt: beim Essen kommt der Appetit, und das ist für gewöhnlich richtig, insofern durch die sinnliche Geschmackswahrnehmung selbst die latente Eßbegier erregt wird. Aber wenn aus irgendwelchen Gründen auch durch das Kosten und Essen der Appetit nicht erregt wird, dann ist auch das Essen, falls es aus abstrakten Motiven doch fortgesetzt wird, keine Lust, sondern eine Last und Unlust, die Selbstüberwindung erfordert. Auch in der Liebe wird die Lust der Befriedigung umso höher geschätzt, je mehr durch Hindernisse der Vereinigung, die erst überwunden werden mußten, das Begehren gesteigert war. Auch die Kurtisanen wissen es wohl, daß das, was sie zu bieten haben, umso höher bewertet und bezahlt wird, je besser sie das Begehren zu reizen vermögen, und daß da, wo die Erregung der Begierde fehlschlägt, statt der Lust nur der Ekel übrig bleibt. Diese Beispiele zeigen recht deutlich, daß es keine Lust gibt, die nicht an die Befriedigung eines Begehrens geknüpft wäre, wenn auch das Begehren unter Umständen erst durch die Wahrnehmung seiner Befriedigungsmittel geweckt und erregt wird. Diejenigen Arten sinnlicher Lust, die von jeder geistigen Begierde unabhängig scheinen, spielen im menschlichen Leben eine höchst untergeordnete Rolle und sind dann stets auf relativ unbewußte Begehrungen mittlerer und niederer Nervenzentra zu beziehen, die für die Erhaltung und das Gedeihen des Organismus nötig oder nützlich sind. Wenn ich zwei Brote zur Sättigung meines jetzigen Hungers brauche und nur eines besitze, so wird zwar die Lust aus dem Verzehren des einen Brotes bedeutend kleiner sein als die Lust aus dem Verzehren zweier Brote sein würde; aber der Wert der Lust aus dem Verzehren eines Brotes wird bedeutend größer sein, wenn ich Hunger für zwei Brote habe, als wenn mein Hunger nur halb so groß gewesen wäre, und ebenfalls größer als der Wert der Lust, die mir jetzt aus dem Erlangen und Verzehren eines zweiten Brotes erwachsen würde. Wenn ein Liebender die lebenslängliche Vereinigung mit der Geliebten verlangt, so wird zwar die Lust aus ihrem einmaligen Besitz in einer einzigen Zusammenkunft sehr viel kleiner sein als die Lustsumme aus der lebenslänglichen Vereinigung, aber der Wert der Lust dieser einen Zusammenkunft wird von ihm viel höher veranschlagt werden, wenn er weiß, daß es die erste und zugleich letzte ist, die ihm vom Schicksal vergönnt ist, als wenn er sie als eine von ungezählten Freuden genießt. In beiden Fällen bleibt die Lust sich selbst gleich, aber der Wert der Lust wird verändert, wenn die Reflexion hinzukommt, daß sie eine bloße Abschlagszahlung ist, die als Befriedigung im Mißverhältnis steht zur Heftigkeit des Begehrens, die aber als Abschlagszahlung doch geeignet ist, der Unlust des ganz unbefriedigten Begehrens seinen schärfsten Stachel abzubrechen. Die Lustgröße wächst mit der Stärke des Begehrens und mit dem Grad der Sättigung durch die vorhandenen Befriedigungsmittel; je voller das bestehende Begehren befriedigt wird, desto größer ist die Lust. Die Lustgröße ist also proportional dem Produkt aus der Stärke des Begehrens und dem Sättigungsgrad, da sie jedem der beiden Faktoren proportional ist. Der eudämonistische Wert der Lust ist natürlich in erster Linie abhängig von der Lustgröße, aber ihr nicht proportiona; denn er kann bei gleicher Lustgröße verschieden sein. Bei gleicher Lustgröße ist nämlich der Lustwert umso höher, je größer die Unlust des noch unbefriedigten Begehrens ist, mit welcher die Lust kontrastiert, d. h. je größer in dem die Lustgröße bestimmenden Produkt der Faktor der Begehrungsstärke und je kleiner demgemäß der andere Faktor, d. h. der Sättigungsgrad ist. Wird die Erreichbarkeit der Befriedigungsmittel und mit ihr das Maß des zu befriedigenden Teils des Begehrens als konstant vorausgesetzt, so hängt der Lustwert ganz von der Qual des noch unbefriedigten Bedürfnisses ab, und die Unlust des Strebens selbst erscheint als alleiniges Maß des Lustwertes, da sich nach ihr auch die Lusterwartung aus der erhofften Befriedigung richtet und beide als die wichtigsten Anzeichen dienen, aus denen die Stärke des an und für sich stets unbewußt bleibenden Wollens zu erschließen ist. Wird dagegen die Intensität des Begehrens als konstant vorausgesetzt, so hängt der Lustwert allein vom Sättigungsgrad des Begehrens ab, und dieser ist wieder bedingt durch das Maß, in welchem die Befriedigungsmittel erreichbar sind. Der für die Befriedigungsmittel willig gezahlte Seltenheitspreis ist der sicherste Beweeis dafür, daß der Lust ein umso höherer Wert beigelegt wird, je spärlicher sie zu erlangen ist, und je weiter sie von der vollen Befriedigung des Bedürfnisses entfernt bleibt. Blumen und Früchte außerhalb der Jahreszeit, in der sie häufig sind, werden sehr viel höher bezahlt, ebenso Nahrungsmittel in einer belagerten Festung; daraus ist zu schließen, daß der Lustgröße, die man sich durch solche Befriedigungsmittel verschaffen kann, ein höhrer Wert beigelegt wird, wenn sie nur selten, oder nur für wenige Menschen erreichbar ist. Der Seltenheitswert der Lust kann aber auch noch durch andere Ursachen, als durch die Seltenheit oder schwierige Erreichbarkeit der äußeren Befriedigungsmittel bedingt sein, nämlich durch die innere Ursache einer abnehmenden Genußfähigkeit, wie sie durch Erkrankung oder Alter eintreten kann. Die Lustgröße, die aus einem Glas Wein zu schöpfen ist, wird in der Jugend und im Alter ziemlich gleich zu veranschlagen sein, wenn man sie nicht in der Jugend, wo alles besser zu schmecken pflegt, höher veranschlagen will. Der Lustwert aber, den man dieser Lustgröße beimißt, wird in der Jugend, wenn man den Wein noch flaschenweise vertragen kann, erheblich geringer sein, als im Alter, wenn man sich mit einem Glas auf einmal begnügen muß. Lebemänner, die in der Jugend mit vollen Zügen alle Freuden des Lebens genossen haben, ohne viel darauf zu achten, legen im Alter mit abnehmender Genußfähigkeit den höchsten Wert auf die Genüsse, die ihnen noch übrig bleiben, bringen zur Erlangung eines solchen willig weit größere Opfer und sinnen vorsorglich darauf, sich ja keinen entgehen zu lassen. In diesem Beispiel verbindet sich sogar die steigende Bewertung der Lust mit abnehmender Lustgröße, wie sie aus der Abnahme der Genußfähigkeit folgt. Das erscheint zunächst paradox, wird aber sofort verständlich, wenn man sich daran erinnert, daß die Lustgröße von der Stärke des bestimmten konkreten Begehrens, der Lustwert aber von der Stärke des abstrakten Strebens nach Lust abhängig ist. Mit der Abschwächung der natürlichen Triebe und Bedürfnisse und mit der Abstumpfung der jugendlichen Frische, Nervenkraft und Genußfähigkeit werden die bestimmten konkreten Begehrungen schwächer. Das Verlangen nach Lust aber entzündet sich umso heißer an der Angst, daß sie bald ganz entschwinden könnte, und die reflektierte Lust aus der Befriedigung dieses Verlangens, welche den der konkreten Lust beizumessenden Wert bestimmt, wächst proportional. Der Wunsch nach Lust kann sogar die Fähigkeit, sie zu empfinden, überdauern; das eudämonistische Begehren zeigt sich in seiner häßlichsten und widerwärtigsten Gestalt als impotente Lüsternheit. Das abstrakte Verlangen nach der Lust ist hier gesteigert, während das bestimmte konkrete Wollen zur ohnmächtigen Velleität [bloße Willensregung ohne Ausführung - wp] verflüchtigt ist; demgemäß wird der der vorgestellten Lust beigemessene Wert hier ein Maximum, während die Lust zur Null herabgesunken ist. Was oben über die Änderung des Lustwertes durch die Stellung der Lust im Kontrast zu vorhergehenden und nachfolgenden Unlustempfindungen gesagt ist, gilt in seiner Reinheit nur unter der Voraussetzung, daß die vorhergehenden und nachfolgenden Unlustempfindungen sowieso ertragen werden müssen und in keiner kausalen Verknüpfung mit der gegen sie kontrastierenden Lust stehen. Wir haben nun den anderen Fall zu betrachten, daß die Lust abhängig ist von der freiwilligen Übernahme vorhergehender oder nachfolgender Unlust, die zu vermeiden ist, wenn auch auf die Lust verzichtet wird. Alsdann bleibt zwar die Steigerung der Lust durch den Kontrast mit der Unlust bestehen, aber sie tritt in Konkurrenz mit der Steigerung des negativen Werts der Unlust durch den Kontrast mit der Lust und mit dem Streben nach Vermeidung der Unlust. Wenn die Unlust, mit der die Lust bezahlt werden muß, größer ist als die durch sie zu erlangende Lust, so wird im allgemeinen der positive Wert der der Lust beigemessen wird, durch den negativen der Unlust überwogen; der Gesamtwert der miteinander verknüpften Empfindungen sinkt unter Null, und die Folge ist der Verzicht auf die Lust, die nur um diesen allzu teuren Preis zu erlangen ist. Wenn man z. B. die Lust aus dem Verzehren eines guten Apfels nur genießen darf unter der Bedingung, daß man sich der Unlust unterzieht, auch einen faulen Apfel zu kauen und herunterzuschlucken, so wird man gern auf die erstere Lust verzichten. Diese so einfache Bilanz des Lustwertes wird verwickelter, wenn die zu übernehmende Unlust eine mit aktiver Betätigung verknüpfte ist; denn alsdann muß die Lust aus der Betätigung der Kraft, die Lust aus dem Selbstgefühl durch eine siegreiche Überwindung von Hindernissen, die Lust aus dem Kampftrieb, aus dem befriedigten Ehrgeiz usw. in Gegenrechnung gestellt werden gegen die Unlust, die mit den Hindernissen und ihrer Überwindung verknüpft ist. Diese hinzukommende Lust kann leicht größer werden als die Unlust, insbesondere bei tatkräftigen, kampflustigen und ehrgeizigen Charakteren und durch ihren Überschuß den Wert der erstrebten Lust erhöhen. Besteht dagegen der Kaufpreis für die erstrebte Lust in einer bloß passiv zu erduldenden Unlust, so fällt diese hinzukommende Lust weg, und an ihre Stelle kann sogar eine hinzukommende Unlust aus einer beschämenden Depression des Selbstgefühls treten. Hätte LEANDER, statt den Hellespont zu durchschwimmen, eine tüchtige Tracht Prügel von Sklavenhänden über sich ergehen lassen müssen, ehe er zu seiner HERO Zutritt erlangte, so würde er schwerlich dieses Eintrittsgeld ein zweites Mal bezahlt haben, auf die Gefahr hin, dabei totgeschlagen zu werden. Aber auch den Hellespont würde er nicht mehr sehr oft durchschwommen haben, wenn es ihm beim zweiten Mal geglückt wäre; denn die Lust aus dem Selbstgefühl durch die kühne Überwindung dieses Hindernisses hätte sich noch schneller abgestumpft als seine Begierde nach HEROs Umarmung und der Wert der aus ihr erwarteten Lust; aber die Unlust der gefährlichen und lästigen nächtlichen Schwimmfahrt wäre mit jeder Wiederholung gewachsen. Schon beim Kontrast mit einer so wie so unvermeidlichen Unlust ist es für die Steigerung des Lustwertes nicht gleichgültig, ob die Unlust oder die Lust vorhergeht; denn der Nachklang der unmittelbar vergangenen oder die frische Erinnerung einer erst kürzlich durchlebten Empfindung hat eine größere sinnliche Lebhaftigkeit als die Vorstellung einer noch bevorstehenden. Geht also die Unlust voran, so wird der positive Wert der nachfolgenden Lust durch den Kontrast mit der vorhergehenden Unlust mehr gesteigert als der negative Wert der vorangehenden Unlust durch den Kontrast mit der Lusterwartung. Geht die Lust voran, so ist es umgekehrt. Schon durch diesen Umstand wird die Bilanz der Wertbemessung zwischen zwei zeitlich zusammengehörigen entgegengesetzten Empfindungen nach derjenigen Seite hin verschoben, der die zeitlich nachfolgende Empfindung angehört; der Gesamtwert der zeitlich zusammenhängenden Empfindungsgruppe erscheint höher, wenn die Unlust vorangeht, als wenn sie nachfolgt. Der Einfluß der zeitlichen Folge auf den Gesamtwert wird aber noch weit größer bei kausal zusammenhängenden entgegengesetzten Empfindungen. Geht die zu überwindende Unlust als Bedingung für die zu erreichende Befriedigung des konkreten Wollens voran, so wirkt die daneben bestehende Unlust des noch unbefriedigten Wollens, die sich mit der anderen Lust addiert, als ein den Kontrast verstärkender Zusatz; die andere Unlust aber, die als Kaufpreis für die Willensbefriedigung vorweg bezahlt werden muß, wirkt als ein das konkrete Begehren steigernder Reiz, insbesondere dann, wenn sie mit energischer Betätigung verknüpft ist. Mit der Steigerung des Kontrasts wächst aber der Lustwert unmittelbar; mit der Steigerung des konkreten Begehrens wächst die erwartete Lustgröße und proportional mit dieser der Wert der erwarteten Lust durch eine Vermittlung des gesteigerten eudämonistischen Begehrens nach der Erlangung dieser Lust. Der Mensch ist deshalb bereit, einen verhältnismäßig hohen Kaufpreis an unlustbringenden Mühsalen und Opfern im Voraus für eine noch zu erwartende Lust zu entrichten, weil der Wert, den er ihr in der Erwartung beilegt, sich durch den Kaufpreis selbst steigert. Wenn dagegen die Unlust der Lust als ihre Wirkung nachfolgt, so liegt die Sache anders. Das Konkrete Begehren ist, zumindest für diesen Einzelfall, durch die Befriedigung erloschen und kann durch nachfolgende Unlust nicht mehr gesteigert werden. Der Genuß ist verrauscht, aber der Kaufpreis dafür ist in Gestalt der Unlust noch zu erbringen. Die Lusterwartung stand unter dem Kontrast der Unlust des noch unbefriedigten Begehrens; dieser Kontrastwert ist aber mit der Befriedigung des Begehrens verschwunden, und in der Erinnerung haftet nur die Lustgröße ohne den Zusatz dieses Kontrastwertes. Dagegen wird die noch zu erleidende Unlust durch den Kontrast mit der vorhergehenden Lust verschärft und ihr negativer Wert nun höher bemessen als in der Erwartung. So kehrt sich die verhältnismäßige Wertschätzung von Lust und Unlust in der Erinnerung gegen die in der Erwartung gehegte um; "ein andres Antlitz eh' sie begangen, ein andres zeigt die vollbrachte Tat." Die Wertbilanz der Erwartung, aufgrund deren man sich zur Übernahme der kausal zusammenhängenden Gruppe entgegengesetzter Empfindungen entschlosen hat, stellt sich nachher anders dar als vorher, und da man mit seinen gegenwärtigen Urteilen immer im Recht zu sein glaubt, so erscheint nun die für das Handeln bestimmend gewordene vorherige Wertbemessung als eine irrtümliche. Wiederholt sich jedoch ein ähnlicher Fall, so erscheint wiederum die Wertschätzung nach der Tat als die irrtümliche und die der Erwartung als eine wohlbegründete. In Wahrheit sind beide psychologisch gleich richtig, sofern sie auf einer psychologisch gleich notwendigen Wertbestimmung der Lust und Unlust beruhen, und beide gleich unrichtig, insofern sie Gefühlsmomente, die ihrer Natur nach vorübergehende sind, als dauernde in Betracht ziehen. Ansich ist die Gefühlsstimmung und Wertbemessung des Rausches wie des Katzenjammers gleich wahr, indem sie die tatsächlich vorhandenen Gefühlsmomente berücksichtigten; widerspruchsvoll und unwahr werden sie nur dadurch, daß sie die augenblicklich wohlbegründeten Gefühlsstimmungen in unkritischer Weise als dauernd wohlbegründete behandeln und mit ihnen die Empfindungsbilanz für Zeiträume mit wechselndem Stimmungsgehalt festzustellen unternehmen. Ansich ist es kein Widerspruch, daß man unter verschiedenen Erregungszuständen des Begehrens und unter abweichenden Kontrasteinflüssen zu verschiedenen Wertbemessungen der Lust- und Unlustkomplexe gelangt; sondern dies ist eine widerspruchslose psychologische Notwendigkeit. Der Widerspruch kommt erst dadurch in die verschiedenen Wertbemessungen desselben Empfindungskomplexes hinein, wenn man ihren tatsächlichen zeitweiligen Bestand in Gefühlsform zu Urteilen umwandelt und diesen Urteilen eine über den Augenblick hinausgehende Geltung beilegt. Gerade das tut man aber unwillkürlich, wenn man dieser eudämonistischen Wertbemessung der Lust nach dem augenblicklichen Stand der Gefühle einen maßgeblichen Einfluß auf den Motivationsprozeß und auf die Entschließung zum Handeln einräumt. In diesem Fall erscheint das Werturteil, das sich auf den Gefühlszustand im Stadium der Erwartung stützt, als Jllusion, wenn es nachher mit dem anderen Werturteil verglichen wird, das sich auf den Gefühlszustand im Stadium des Rückblicks stützt. Soll nun über den ganzen Empfindungskomplex mit zeitlich aufeinanderfolgenden Gliedern ein widerspruchsloses Gesamturteil gebildet werden, so darf weder die Erwartungsstimmung die Erfahrung früherer Rückblicke ignorieren, noch die Rückblicksstimmung von sich aus die Erwartungsstimmung meistern, sondern das Denken muß in einem stimmungsfreien Augenblick alle diese Gefühlsurteile zusammenfassen. Es geht nicht an, die realen Gefühle der Lustbewertung, die sich auf einem eudämonistischen Begehren und seinen Kontrasten aufbauen, einfach wieder auszuscheiden und auf die reine Lustgröße, soweit sie aus dem konkreten Wollen entspringt, zurückzugreifen; sondern man muß allen realen Gefühlen Rechnung tragen, aber sie alle in ihrer realen Gegensätzlichkeit in die Empfindungsbilanz des betreffenden Gefühlskomplexes einstellen. Alsdann ergibt sich eine denkende Wertbemessung, die allen Momenten der Realität zugleich gerecht wird; sie wird zwischen der Lustüberschätzung der Rauschstimmung und der Lustunterschätzung der Katzenjammerstimmung die richtige Mitte innehalten. Die letztere hat eine Korrektur nicht so nötig wie die erstere, weil man in der Enttäuschung nach gebüßter Lust seltener zu wichtigen Entschlüssen kommt als in der Jllusion der Erwartung. Die Korrektur wird in der Bildung eines Reduktionskoeffizienten gesucht werden müssen, der das Mittel aus vielen verschiedenen Erfahrungen darstellen muß. Tritt dann wiederum ein Anlaß ein, sich im Stadium der Erwartung nach Maßgabe der Bewertung eines Komplexes entgegengesetzter Empfindungen zum Handeln zu entscheiden, so wird man diesen Reduktionskoeffizienten an den gefühlsmäßig bestimmten Lustwert anlegen, um sich vor der Bitternis der Enttäuschung zu bewahren. Ob dies in einem Individuum und in einem bestimmten Fall gelingt, hängt natürlich davon ab, erstens ob die Reflexion entwickelt genug ist, um aus mehreren unliebsamen Erfahrungen einen solchen Reduktionskoeffizienten für die Lustbewertung im Erwartungszustand zu bilden, und zweitens ob die gedankliche Motivation durch reflektierte Abstraktionen die hinreichende Kraft hat, um mit der gefühlsmäßigen Motivation durch sinnliche und anschauliche Vorstellungen den Wettstreit aufzunehmen. In der Regel wird dies in geringerem Maße der Fall sein, als der Mensch im Zustand einer gefühlsfreien Beurteilung wünscht. Wenn überhaupt eine Reduktion der Wertschätzung im Erwartungsstadium aufgrund früherer Erfahrungen und abstrakter Einsicht stattfindet, so wird sie doch unter dem Einfluß der Gefühlsgewalten hinter den gefaßten Vorsätzen zurückbleiben. In einer solchen Lage fühlt der Mensch mehr oder minder deutlich den Widerspruch zwischen der gefühlsmäßigen und der verstandesmäßigen Bewertung des fraglichen Empfindungskomplexes; er möchte seinem Vorsatz treu bleiben und fühlt sich doch der übermächtigen Gewalt der Gefühlsbewertung gegenüber außerstande, dies durchzusetzen. Er fühlt nun seine bessere Einsicht überwältigt von einem Gefühlsablauf, der keine Vernunft annehmen will; er sieht voraus, daß er wieder einmal der Geprellte sein wird, und ist doch zu schwach, sich gegen seine, als falsch durchschaute Gefühlsbewertung motivatorisch zu wehren. Damit ist aber ein Moment der Unlust hinzugetreten, das die unbefangene Hingabe an den Rausch der Lusterwartung stört und wie ein heimlicher Stachel wirkt. Gelingt aber die Reduktion in einem motivatorisch ausreichendem Grad, dann bleibt die Unlust bestehen, daß man mit Lusterwartungen behaftet ist, die nur dazu da sind, um bekämpft und unterdrückt zu werden. Muß die Hoffnungslust des Erwartungsstadiums als ein Hauptteil der Lebenslust gelten, so wird die naive Freude durch das vorsorgliche Mütterchen Weisheit vergällt. Die Täuschung im Erwartungsstadium wird noch durch einen anderen Umstand erhöht. Je heftiger ein konkretes Begehren ist, desto fester glaubt es unwillkürlich an seine Dauer, desto weniger läßt es sich davon überzeugen, daß mit der Zahl der erreichten Befriedigungen die Heftigkeit des Begehrens, und damit auch die Lustgröße fernerer Befriedigungen abnimmt. Dies gilt für alle Triebe und Leidenschaften, die, um nicht die Unlust der Nichtbefriedigung zu bereiten, immer neuer Befriedigung bedürfen, z. B. Liebe, Ehrgeiz, Ruhmsucht. Werden nun Opfer gebracht, deren Unlustgröße auf die gleichmäßige Dauer des Begehrens und der Lust berechnet ist, so ist mit der Zeit eine Enttäuschung und intellektuelle Reue unausbleiblich. Denn sobald die Befriedigung des durch eine wiederholte Sättigung abgestumpften Begehrens nur noch geringere Lust verschafft, müssen die unter der irrtümlichen Voraussetzung gebrachten Opfer zu groß erscheinen. Noch größer ist die Enttäuschung, wenn man gewähnt hatte, durch die einmalige Befriedigung eines leidenschaftlichen Begehrens ein für allemal einer dauernden Lust teilhaftig zu werden, z. B. durch die Befriedigung von Rachsucht. Die erhoffte dauernde Glückseligkeit erweist sich dann als eine Fata Morgana, da die gesättigte Begier bald ganz erlischt und die einmalige Lust ihrer Sättigung rasch genug verklingt. Soll man nun aus dieser Sachlage folgern, daß das Leben als eine Prellerei veranlagt ist, weil wir durch psychologisch notwendige Jllusionen genarrt, u einer falschen Wertschätzung der Lust- und Unlustkomplexe verführt, in Motivationsprozesse hineingedrängt werden, die unserem eigentlich eudämonistischen Streben zuwiderlaufen, und die unverschuldete Verblendung mit Enttäuschungen, Katzenjammer, Beschämung, Verdruß und Reue bezahlen müssen? Wer die eudämonistische Wertbemessung der Lust als die allein berechtigte ansieht, der wird kaum umhin können, zu diesem Urteil zu gelangen; der eudämonistische Wertmaßstab führt notwendig zu einem pessimistischen Endergebnis (3). Alle Einwürfe, die dagegen von einem eudämonistischen Standpunkt gemacht sind, erweisen sich als nicht stichhaltig; denn die Jllusionen führen zu überwiegender Unlust, trotzdem die in ihnen wurzelnden Lustempfindungen reale Gefühle sind und als solche in die Empfindungsbilanz eingestellt werden (4). Sie führen deshalb dazu, erstens weil die Enttäuschung mehr Unlust bereitet als die Täuschung Lust, zweitens weil die Kenntnis von der in eudämonistischer Hinsicht widerspruchsvollen Beschaffenheit der illusorischen Triebe selbst die Lust im Stadium der illusorischen Erwartung vergällt und vergiftet, drittens weil diese Kenntnis bei zunehmender Bildung und Reflexion sich in immer weitere Kreise ausbreiten und immer mehr Einfluß auf den Motivationsprozeß gewinnen muß. Es ist also richtig, daß man zu diesem pessimistischen Endergebnis über den Wert der Lust unter Berücksichtigung aller ihrer eudämonistischen Folgen gelangen muß, wenn man ihren Wert ausschließlich aus einem eudämonistischen Gesichtspunkt beurteilt. Es ist ferner richtig, daß diese eudämonistische Wertbemessung der Lust eine natürliche und naturgemäße, psychologisch unvermeidliche Folge der fortschreitenden Entwicklung der Reflexion ist und daß in diesem Sinne von der Natur wirklich eine eudämonistische Prellerei der Individuen betrieben wird. Aber es ist nicht richtig, daß die eudämonistische Wertschätzung der Lust das ursprünglich Bestimmende und Entscheidende im Motivationsprozeß ist; das ist vielmehr die blindnotwendige Reaktion der Triebe auf motivierende Vorstellungen ohne alle Rücksicht auf die von der Durchsetzung des Wollens zu erwartende Lust, und diese primär natürliche, voreudämonistische Motivation bleibt auch nach der Entwicklung einer eudämonistischen Reflexion die urwüchsige Naturgrundlage, zu der diese letztere nur als mitwirkender Faktor hinzutritt. Es ist auch nicht richtig, daß die eudämonistische Wertbemessung der Lust das letzte Wort der Reflexion bildet, über das nicht hinauszugelangen ist; vielmehr läßt eben das pessimistische Ergebnis der eudämonistischen Wertbemessung erkennen, daß es wohl einen höheren Gesichtspunkt geben muß, unter dem sich die Sache anders darstellt. Wer sich auf den Standpunkt stellt, daß alle anderen Wertbemessungen erst aus der eudämonistischen abgeleitet werden müssen, für den bedeutet allerdings der eudämonologische Pessimismus die Vernichtung aller Lebenswerte und er muß sich auf das Äußerste gegen die Anerkennung desselben sträuben. Er kann das aber nur auf zwei Wegen: entweder indem er sich mit den vorgeführten Tatsachen der inneren Erfahrung, oder indem er sich mit seinem Prinzip in Widerspruch setzt. Praktisch wird das in der Regel so vereinigt, daß man einerseits an den Tatsachen etwas abzuhandeln und wegzudeuten und andererseits den noch verbleibenden Rest durch Inkonsequenz gegen das eudämonistische Prinzip zu überwinden versucht. Diese Inkonsequenz besteht darin, daß man ethische, religiöse, ästhetische und intellektuelle Wertschätzungen anstelle der eudämonistischen setzt, unbekümmert darum, daß diese nach der gemachten Voraussetzung doch erst aus der eudämonistischen abgeleitet werden sollen. Diese Gegner beweisen damit nur, daß sie in demselben Maß, wie sie den eudämonologischen Pessimismus überwinden wollen, tatsächlich ihr eudämonistisches Prinzip aufgeben müssen, d. h. sie beweisen damit gerade dasjenige, was ich durch die Ausführung des Pessimismus habe beweisen wollen. Wer hingegen auf einem anti-eudämonistischen Standpunkt steht, der pflegt den eudämonologischen Pessimismus deshalb anzugreifen, weil er fürchtet, daß der eudämonologischen Wertbemessung damit zuviel Ehre angetan wird, wenn man sie einer so ausführlichen Betrachtung würdigt. Diese Gegner leugnen entweder, daß die eudämonistische Reflexion natürlich ist und lassen nur die Motivation der Triebe durch Vorstellungen ohne Rücksicht auf Lustergebnisse als natürlich gelten, oder sie geben zwar ihre Natürlichkeit zu, bestreiten aber dieser natürlichen Wertbemessung jedes Recht und jeden Wert. Sie halten den eudämonologischen Pessimismus nicht eigentlich für falsch, sondern nur für gleichgültig, nicht der Mühe wert, insbesondere einer philosophischen Betrachtung unwürdig. Sie fürchten, daß die eudämonologische Untersuchung des Lustwertes und der Empfindungsbilanz gerade das bewirken möchte, was sie vermieden wünschen, die Aufmerksamkeit auf die eudämonistische Wertschätzung hinlenken. Ich glaube im Gegenteil, daß nichts weiter unter der Würde der philosophischen Untersuchung, am wenigsten eine natürliche psychologische Entwicklung. Ich glaube auch nicht, daß die eudämonistische Wertbemessung, die in der alten Philosophie einen so breiten Raum einnahm und seit der Renaissance wieder in den Vordergrund der praktischen Philosophie gerückt ist, sich als schlechthin unnatürlich oder völlig gleichgültig wegdekretieren läßt. Ich meine vielmehr, daß sie gründlich untersucht werden muß, und daß man diese Untersuchung umso weniger scheuen und beiseite schieben darf, wenn sie, zuende geführt, zu einer Selbstaufhebung dieser Durchgangsphase und zu ihrem Umschlag in eine höhere Entwicklungsstufe führt. Ich bin also mit den anti-eudämonistischen Gegnern des Pessimismus einig im Ziel (der teleologischen Wertbemessung sowohl der Lust wie aller übrigen Lebensfaktoren), und uneinig nur im Weg, der mir durch die pessimistische Selbstzersetzung der eudämonistischen Wertschätzung der Lust hindurchzuführen scheint, während jene sich damit begnügen, im Widerspruch mit dem natürlichen Gefühl die Lust für etwas schlechthin Gleichgültiges und Wertloses zu erklären. Der Mensch, sowohl als einzelner wie als Menschheit, muß alle drei Phasen der Entwicklung durchmachen, die sich im Besonderen mannigfach mischen: erstens die naive Motivation ohne Rücksicht auf Lust, zweitens die reflektierte Motivation nach der eudämonistischen Bewertung der aus dem Handeln zu erwartenden Lust- und Unlustkomplexe, und drittens die Unterordnung des Eigenwillens unter eine objektive Teleologie nach Maßgabe der teleologischen Bewertung der Ziele des Handelns. Auf der ersten Stufe ist der Mensch noch das blinde Werkzeug der psychologischen Gesetze; von einer Prellerei desselben kann hier deshalb keine Rede sein, weil er noch gar nicht aufgrund von Lusterwartungen handelt. Auf der zweiten Stufe ist er der Geprellte der Natur, weil diese ihn ebensosehr nötigt, falsche eudämonistische Bewertungen als Motive in seine Entschließungen einzustellen, wie sie ihn nachher fühlen läßt, daß er ein Narr war, seiner natürlichen Erwartung Glauben zu schenken. Aber diese Prellerei ist nur subjektiv eine solche in Bezug auf die eudämonistischen Ziele, die der Mensch als reflektierender naturgemäß seinem Streben gesetzt hat. Objektiv betrachtet ist es vielmehr die List der höchsten Wahrheit der Natur. Denn der zur eudämonistischen Reflexion erwachte Mensch würde sich der objektiven Teleologie weit mehr noch, als es auch so schon der Fall ist, entziehen, wenn nicht die Jllusionen ihn willig machten, sich tatsächlich ihrem Dienst zu widmen, während er seinen subjektiven eudämonistischen Zwecken zu dienen glaubt. Gewinnt aber die Reflexion soweit die Oberhand über die instinktiven Jllusionen, daß die Gefahr der völligen Resignation im Handeln sich nähert, dann bewirkt die Zusammenfassung der Reflexon zum Pessimismus den Umschlag, nämlich in die Einsicht, daß die eudämonistische Wertbemessung eine untergeordnete nur subjektiv wertvolle, aber objektiv bedeutungslose ist, und daß die wahren, objektiv gültigen Wertschätzungen, auch der Lust, sich nach ganz anderen Maßstäben vollziehen. Damit hat sich dann die erste Natur des naiven Trieblebens durch die zweite Natur der eudämonistischen Reflexion hindurch zum wahrhaft geistigen Leben von selbst emporgeläutert. So wenig die erste Stufe der Motivation erlischt, wenn die zweite erreicht ist, ebensowenig die zweite, wenn die dritte erreicht ist. Aber wie zuerst die erste Stufe unter den Gesichtspunkten der zweite gerückt und alle Triebe nach ihrem Lustergebnis geschätzt werden, so wird nun die zweite Stufe unter den Gesichtspunkt der dritten gerückt und alle Lust und Unlust nach ihrem teleologischen Wert geschätzt. Wie die Unlust unter Umständen und in vieler Hinsicht teleologisch wertvoller ist als die Lust im Allgemeinen (5), so wird nunmehr auch der Wert der Lustarten, die eudämonisch im gleichen Wert stehen, teleologisch abgestuft. Dabei erscheinen dann diejenigen Lustarten, die im Erwartungsstadium aus der Erregung sozialer Triebe entspringen und bei einer eudämonistischen Schätzung als Jllusionen gebrandmarkt werden müssen, als höchst wertvoll. Damit vollzieht sich die teleologische Restitution der eudämonistisch zersetzten Jllusionen; die Lust, die es vom eudämonistischen Standpunkt klüger wäre zu meiden, wird vom teleologischen Standpunkt aus gebilligt und aufgesucht. Die Triebe werden auch jetzt durch die Reflexion reguliert, aber nicht mehr nach eudämonistischen, sondern nach teleologischen Rücksichten. Dieser Standpunkt der dritten Stufe ist natürlich bloß ein teleologisches Ideal, das in seiner Reinheit von niemandem verwirklicht wird, ebenso wie auch die ausschließlich Regulierung aller Triebe nach rein eudämonistischen Rücksichten bloß ein eudämononistisches Ideal ist, das wegen der urwüchsigen Naturgewalt der Triebe nicht zu voller Verwirklichung gelangt. Auch wer sich im Prinzip zu einer teleologischen Wertbemessung durchgerungen hat, bleibt in der Praxis doch der ersten und zweiten Natur, dem Triebleben und dem Glückseligkeitsstreben, mehr oder minder verhaftet. Darum bleibt auch die eudämonistische Wertbemessung in Kraft und ist keineswegs als etwas schlechthin Berechtigungsloses auszuscheiden. Sie sinkt nur im Vergleich zur teleologischen Wertbemessung zu etwas Untergeordnetem herab, muß im Konfliktfall hinter ihr zurückstehen und darf sich nur da und insofern ungehindert entfalten, wie diese ihr den Spielraum dazu gewährt. Dafür verliert aber auch die eudämonistische Wertbemessung den Stachel der Selbstprellerei des Individuums, sobald sie aufhört, den höchsten Gesichtspunkt für die Schätzung der Lebenswerte zu bilden; die negative Bilanz der eudämonologischen Wertbemessung, die als letztes axiologisches Ergebnis der Lebensbetrachtung das Individuum der Verzweiflung überläßt, wird durch die positive Bilanz der teleologischen Wertbemessung überwunden. Während aus dem Gesichtspunkt einer rein eudämonistischen Bewertung nur eine positive Lustbilanz als erstrebenswertes Ziel des Begehrens gelten kann, darf sich die dem teleologischen Wertmaßstab untergeordnete eudämonologische Wertbemessung innerhalb ihres verbleibenden Spielraums schon mit einer möglichst kleinen Unlustbilanz begnügen. Denn im ersteren Fall ist das Leben des Individuums schlechthin verfehlt, wenn es nicht zu positiver Glückseligkeit führt; im letzteren Fall aber erhält es die Rechtfertigung seines Daseins und seiner Fortführung aus anderen als eudämonistischen Werten und kann sich mit einer bloß relativen Maximierung seines eudämonistischen Wertes begnügen, selbst dann, wenn das erreichbare Maximum auf der negativen Seite unterhalb des Nullpunktes liegt. Wenn wir bisher die kausal zusammengehörigen Lust- und Unlustkomplexe, auf welche sich die eudämonistische Wertbemessung zu richten hat, nur als gesonderte Gruppen aufgefaßt haben, wie sie bei der Entschließung zum Handeln in einem bestimmten Fall in Betracht kommen, so ist nunmher zu erwägen, daß schließlich das ganze Leben einen solchen kausal zusammengehörigen Lust- und Unlustkomplex bildet, da die sekundären und tertiären Folgen jeder Entschließung sich oft noch in entlegenen Zeiten auf weit abgelegenen Gebieten spürbar machen. Es wird also letztenendes der eudämonistische Wert jeder einzelnen Empfindung danach zu bemessen sein, welchen Einfluß sie auf die Lust- und Unlustbilanz des gesamten Lebens übt. Der letzte Zweck allen eudämonistischen Strebens ist die Maximierung dieser Bilanz, sei es im Sinn positiver Glückseligkeit, sei es in demjenigen möglichst geringen Unlustüberschusses. Der eudämonistische Wert jeder einzelnen Lust oder Unlust wird also danach zu bemessen sein, in welchem Maß sie Mittel ist, diesen Totalsaldo zu erhöhen. Auch hier ist also die Bewertung eine teleologische, nur mit dem Unterschied, daß der Zweck ein individual-eudämonistischer oder egoistischer ist. Eudämonistischer Wert heißt: Zweckmäßigkeitsgrad des Mittels für den eudämonistischen Endzweck." Eine mathematische Formal, die den Grad der Zweckmäßigkeit eines Mittels zum Zweck ausdrückt, gibt es nicht, und alle Versuche, eine solche aufzustellen, müssen deshalb fehlschlagen (6). Die teleologische Beziehung des Mittels zum eudämonistischen Endzweck ist selbst in philosophischer Hinsicht nur eine allgemeine Formel, die zwar alle oben entwickelten eudämonistischen Wertbessungen umspannt und in sich schließt, die aber doch erst konkreten Inhalt und Lebensfülle erhält, wenn man das, was sie implizit umfaßt, sich auch gedanklich expliziert.
1) Vgl. meine Abhandlung Die Lust als höchster Wertmaßstab in "Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus", zweite Auflage, Nr. XII, Seite 277 - 288. 2) Vgl. meine Ausführungen über die Stellung und Bedeutung der Lust im Motivationsprozeß in den "Kritischen Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart", Seite 107 - 119. 3) Philosophie des Unbewußten, zehnte Auflage, Bd. II, Seite 290 - 294. 4) Vgl. "Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus", Seite 110 - 116; "Philosophische Fragen der Gegenwart", Seite 161 - 163: OLGA PLÜMACHER, "Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart", Seite 233 - 236; AGNES TAUBERT, "Der Pessimismus und seine Gegner", Seite 18 - 20. Alle diese Ausführungen über die Jllusion haben natürlich nicht verhindern können, daß immer von neuem in Büchern und Journal-Artikeln behauptet wird, mein Pessimismus gründe sich darauf, daß ich die aus Jllusionen entspringende Lust als illusorische, d. h. nicht reale behandle. 5) Vgl. "Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus", zweite Auflage, Nr. XV; "Die Bedeutung des Leids", speziell. 5. "Die providentielle Bedeutung des Leids." 6) Diesen Fehler begeht RUDOLF STEINER, wenn er in seiner "Philosophie der Freiheit", Berlin 1894, Seite 209 den Wert der Lust als einen Bruch bestimmt, dessen Zähler die Lustgröße und dessen Nenner die Summe aller Bedürfnisse ist. Mag er immerhin in einer harmonisch ausgeglichenen Befriedigung aller Lebensbedürfnisse das erreichbare Maximum der Empfindungsbilanz sehen, so kann doch das teleologische Verhältnis des Mittels zum Zweck niemals durch das mathematische Verhältnis des Zählers zum Nenner ausgedrückt werden. Der Wert eines Bruchs wächst im umgekehrten Verhältnis zu dem seines Nenners bei gleichbleibendem Zähler, so daß bei gleichbleibender Lustgröße der Wert der Lust umso größer werden müßte, je kleiner die Summe der Bedürfnisse und Begierden wird. Dieses umgekehrte Verhältnis wird von STEINER in der Tat angenommen (Seite 215), widerspricht aber, wie oben dargetan, durchaus der Erfahrung. Auch sonst enthält der XIV. Abschnitt dieses Buches "Der Wert des Lebens" viele einander widersprechende und irrtümliche Behauptungen in betreff der mir zugeschriebenen Ansichten und schwere Mißverständnisse, die im vorstehenden ihre Widerlegung und Berichtigung gefunden haben. Dagegen ist es dem Verfasser als Verdienst anzurechnen, daß er die unmittelbare Lustgröße und den mittelbaren eudämonistischen Lustwert zuerst prinzipiell unterschieden und den Lustwert, wenn auch in mißlungener Weise, zu bestimmen versucht hat. |