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REGINA ETTINGER-REICHMANN
Die Immanenzphilosophie

"Den mächtigen Einfluß, den die nachkantische Philosophie auf das geistige Leben Deutschlands in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ausgeübt hatte, büßte sich um die Mitte dieses Jahrhunderts zugunsten neuer philosophischer Strebungen ein, die vorwiegend in der Umgestaltung der deutschen Verhältnisse selbst ihre Ursache hatten. Die neuen philosophischen Bestrebungen stehen im Zeichen einer realistischen Welt- und Lebensauffassung."

"Alle Schattierungen des erkenntnistheoretischen Subjektivismus stellen das einseitige Anwenden und Durchdenken des Subjektmoments und des Prinzips der Tatsächlichkeit dar, sind eine Brechung der realistischen Tendenz der modernen Zeit im Prisma des Individualismus, zu dem das bürgerliche Denken sozialpsychologisch disponiert ist."

"Die subjektivististischen Richtungen befinden sich - im Einklang mit dem sie beseelenden philosophischen Geist - ausschließlich im Bann Humes und Kants."


Kapitel I
Die allgemeine Stellung der Immanenz-
philosophie (oder immanenten Philosophie).

Wenn wir das Wesen und den Kern der Immanenzphilosophie richtig erfassen und beleuchten wollen, so müssen wir die Fäden, die sie mit der gesamten Entwicklung der deutschen Philosophie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verknüpfen, auffinden und zu diesem Zweck die Linien dieser Entwicklung zumindest in großen Umrissen hier zeichnen.

Den mächtigen Einfluß, den die nachkantische Philosophie auf das geistige Leben Deutschlands in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ausgeübt hatte, büßte sich um die Mitte dieses Jahrhunderts zugunsten neuer philosophischer Strebungen ein, die vorwiegend in der Umgestaltung der deutschen Verhältnisse selbst ihre Ursache hatten.

Die neuen philosophischen Bestrebungen stehen im Zeichen einer realistischen Welt- und Lebensauffassung. Sie machen sich geltend unter der unmittelbaren Einwirkung des großartigen Aufschwungs der Naturwissenschaften in den 30er und 40er Jahren, welcher Handin Hand geht mit der rapiden Entwicklung der Technik und dem Anwachsen der wirtschaftlichen Produktionskräfte, mit dem auf dem Boden eines industriellen Kapitalismus immer stärker anwachsenden Bedürnisses nach einem Vertiefen und Ausbreiten des technischen Könnens, das seinerseits wiederum ein weiteres Vertiefen des naturwissenschaftlichen Wissens verursacht. Der realistisch-objektive Geist der Naturwissenschaften, der sich vorzugsweise auf Tatsachen stützte und die Richtigkeit seiner Methode durch seine großartigen experimentell-induktiv nachgewiesenen Ansichten bestätigt fand, drückte sein Gepräge auf allen Gebieten des wissenschaftlichen Denkens auf.

Neben den Naturwissenschaften, deren Aufblühen ja selbst, wie gesagt, ein Produkt der umgestaltenden wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands darstellt, waren es vor allem diese neuen wirtschaftlichen Verhältnisse mit ihren Begleiterscheinungen: der wirtschaftlichen Ungebundenheit und der ihr nachfolgenden - wenn auch unter reaktionären Rückschlägen sich durchsetzenden - politischen Freiheit, welche die realistische Welt- und Lebensauffassung förderten. Die vorangegangene Zeit der wirtschaftlichen und politischen Gebundenheit des Individuums zeitigte die entgegengesetzte Erscheinung: die in sozialer und politischer Beziehung trostlose Wirklichkeit des deutschen Lebens ließ das Denken in das Reich der selbstgesponnenen Ideale, der selbstgesetzten Schöpfungen der Vernunft sich flüchten und entfremdete es dergestalt mehr oder weniger den Tatsachen. Bezeichnend für diese Verhältnisse ist der Ausspruch FICHTEs:
    "Wird unser äußeres Wirken in hemmende Fesseln geschlagen, laßt uns desto kühner unseren Geist erheben zum Gedanken der Freiheit, zum Leben in diesem Gedanken, zum Wünschen und Begehren nur dieses einen. Laßt die Freiheit auf einige Zeit verschwinden aus der sichtbaren Welt; geben wir ihr eine Zuflucht im innersten unserer Gedanken, so lange, bis um uns herum die neue Welt emporwächst, die da Kraft hat, diese Gedanken auch äußerlich darzustellen." (1)
Indem nun die wirtschaftliche und politische Freiheit der Initiative des Einzelnen einen größeren Spielraum gewährte und die Möglichkeit gab, die soziale Wirklichkeit zu beeinflussen und zu modifizieren, war sie gerade dazu angetan, das Interesse und das Verständnis für die Wirklichkeit überhaupt zu wecken, das Tatsächliche dem Denken und Erkennen näher zu rücken, mit einem Wort: den Wirklichkeitssinn zu schärfen. (2) Auf dem Gebiet der Literatur und Kunst ist es der Übergang von der Romantik zum Realismus, der den geistigen Umschwung kennzeichnet.

Auch die Philosophie entgeht nicht, wie bereits erwähnt, dem Einfluß eines alles beherrschenden Realismus. Seit den 30er Jahren macht das philosophische Denken in Deutschland Opposition gegen die Auswüchse und Verirrungen, in welche die nachkantischen Systeme trotz all ihrer genialen Größe geraten waren. Man erklärt den Kampf der eigenmächtigen Selbstsicherheit der Spekulation, dem uneingeschränkten Übermut des reinen Denkens. Der Methode der abstrakten Begriffsdialektik wird die Berücksichtigung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen und das vorsichtige allmähliche Aufsteigen vom Einzelnen zum Allgemeinen, der Deduktion die Induktion, der Konstruktion die Erfahrung entgegengestellt. Die konkrete Wirklichkeit muß danach in erster Linie berücksichtigt werden, sie muß aus sich selbst heraus und nicht aus ihr fremden, deduktiv und willkürlich aufgestellten Prinzipien erkannt und erklärt werden. Dementsprechend tragen die wichtigsten philosophischen Strömungen der nächsten Jahrzehnte einen entschieden realistischen Charakter und streben danach, in Fühlung mit den Einzelwissenschaften zu bleiben. Dies gilt vor allem von FEUERBACH, der unter großem Energieaufwand mit der Spekulation der nachkantischen Systeme aufgeräumt und sich auf den Boden der Erfahrung und der Tatsachen gestellt hat.
    "Der ganze Prozeß der Auflösung der spekulativen Philosophie und des Wiederaufbaus einer neuen Philosophie in enger Wechselwirkung mit Natur- und Geschichtswissenschaft, in dessen Mitte wir uns heute noch befinden, liegt - nach dem zutreffenden Urteil Jodls - in Feuerbach, wie in einem großartigen Präludium, einem ausführlichen Programm vor." (3)
Und WUNDT meint mit Recht:
    "In Deutschland ist der philosophische Verkündiger dieser geistigen Bewegung der 30er und 40er Jahre ein Mann, dessen Einfluß und Bedeutung von der philosophischen Geschichtsschreibung meist allzu gering geschätzt wird: Ludwig Feuerbach." (4)
In der gleichen Richtung liegt ferner die Bedeutung der materialistischen Lehren eines MOLESCHOTT, VOGT, BÜCHNER und CZOLBE (5), ebenso wie - wenn auch mit einer bestimmten Einschränkung - die der idealistischen Systeme eines LOTZE und FECHNER.

So war es das Werk all dieser philosophischen Strömungen insgesamt, unter das Gebäude der neu erwachenden wissenschaftlichen Philosophie das Fundament gelegt und ebenso der Ende der 60er und in den 70er Jahren einsetzenden philosophischen Bewegung des Neukantianismus und Positivismus einerseits und derjenigen neuer induktiv-metaphysischer Systeme andererseits freie Bahn gemacht zu haben. Fundierung auf Tatsachen, Übereinstimmung und Einklang mit den Einzelwissenschaften bildet nunmehr das Losungswort sämtlicher philosophischer Richtungen. Erst bei der Durchführung dieser Forderung trennen sich die Wege.

Die Philosophie der 50er und 60er Jahre hatte trotz aller tief gehenden Abweichungen voneinander doch einen gemeinsamen Zug in einem sehr wichtigen Punkt: sie verfolgte nämlich in allen ihren Richtungen die Linie eines philosophischen Objektivismus. Mehr oder weniger gerecht in der oder jener Weise die Bedeutung des Subjekts oder Erkenntnisfaktors würdigend, läßt sie dabei immer das Reale die ihm gebührende Stellung einnehmen, indem sie die, ihm dem Subjekt gegenüber zukommende, selbständige und unabhängige Existenz anerkennt.

Die in den 70er Jahren auftretende Philosophie zeigt keineswegs diese Einheitlichkeit. Sie weist vielmehr zwei diametral entgegengesetzte Entwicklungslinien auf. Die objektivistische Richtung, die an die Namen von HARTMANNs, WUNDTs u. a. geknüpft ist, bildet in einem bestimmten Sinn die Fortsetzung der Philosophie der 50er und 60er Jahre.

Demgegenüber tragen der Neukantianismus (F. A. LANGE, COHEN), die verschiedenen Schattierungen des Positivismus: der Korrelativismus von LAAS, der Empiriokritizismus von AVENARIUS und die Lehre MACHs, sowie die zwischen der neukantischen Philosophie und dem Positivismus eine Mittelstellung einnehmende immanente Philosophie einen entschieden subjektivistischen Charakter. Trotz aller Versicherungen der Vertreter dieser Richtungen, die selbst teilweise gerade das Gegenteil vom Subjektivismus zu behaupten glauben, verfallen sie doch demselben. Indem die subjektivistischen Richtungen die Rolle des subjektiven Moments beim Zustandekommen der Erkenntnis: die Bedeutung der Selbstsicherheit des Bewußtseins und der eigenen Gesetzmäßigkeit des erkennenden Faktors überschätzen, das spezifisch Bewußtseinsmäßige verallgemeinern, auf alles Erkennbare übertragen und das Subjekt infolgedessen in bewußter oder unbewußter, offener oder versteckter Weise in den Vordergrun rücken derart, daß es das Objekt in irgendeiner Weise mitkonstituiert, beeinträchtigen sie oder heben sogar ganz auf die objektive Realität im Sinne einer vom erkennenden Geist unabhängigen Existenz. Wenn die genannten subjektivistischen Richtungen in manchen Punkten voneinander abweichen, so z. B. in Bezug auf den apriorischen oder aposteriorischen Charakter des Erkennens, den Begriff der Erfahrung, das Problem der Gegebenheit usw., so ist ihnen allen doch gemeinsam das Geltenlassen der Bewußtseinstatsachen allein und die Bekämpfung jeder vom Bewußtsein unabhängigen Realität, dasjenige mit einem Wort, was ich hier erkenntnistheoretischen Subjektivmus nenne, auch subjektiven Idealismus nennen könnte, und was für mich hier speziell in Betracht kommt (6).

Alle Schattierungen des erkenntnistheoretischen Subjektivismus stellen das einseitige Anwenden und Durchdenken des Subjektmoments und des Prinzips der Tatsächlichkeit dar, sind eine Brechung der realistischen Tendenz der modernen Zeit im Prisma des Individualismus, zu dem das bürgerliche Denken sozialpsychologisch disponiert ist.

Wie nun in unserer modernen Kultur überhaupt die individualistischen Tendenzen von ganz entgegengesetzten gekreuzt werden, so halten auch in rein geistiger Sphäre den subjektivistischen Denktypen die objektivistischen die Waage. Die Strömungen des Liberalismus und Individualismus auf der einen und der Einfluß der sozialisierenden Tendenzen auf der anderen Seite, welche der sozialpolitischen, in letzter Linie der ökonomischen Sphäre, den Verhältnissen der Klassengegensätze und Klassenkämpfe entstammen, finden in den subjektivistischen und objektivistischen Richtungen der Philosophie des 19. Jahrhunderts, wie übrigens auf allen anderen Gebieten des theoretischen und praktischen Lebens ihr Seitenstück, ihren mittelbaren mehr oder weniger adäquaten Ausdruck. Neben dem die Geister beherrschenden Realismus sind es so die individualistischen und die sozialisierenden Tendenzen, die sozialpsychologisch den geistigen Nährboden abgeben für das Fortbestehen und die Fortentwicklung beider geschilderten, auf uns historisch überkommenen Grundtypen des philosophischen Denkens. Der Realismus oder vielmehr das Streben nach ihm vereinigt die Richtungen, der Subjektivismus und Objektivismus trennt sie.

Die logische Kontinuität spielt natürlich auch hier mit, wie überall und immer, insofern das philosophische Denken in keiner Zeit etwa von Neuem anfängt, vielmehr in seinen Untersuchungen auf die Ergebnisse der vorangegangenen Forschung zurückgeht und dieselben zu berücksichtigen und weiterzuführen sucht. Überdies gibt es innerhalb der Erkenntnistheorie nur eine beschränkte Anzahl von Problemen, in Bezug auf welche die Geschichte des menschlichen Denkens nur einige Lösungsarten aufzuweisen hat, die, wie auch die diesbezüglichen Probleme, in erster Linie allerdings durch die Tatsachen selbst bestimmt werden. So ist die subjektivistische Erkenntnistheorie oder der subjektive Idealismus (auch der Positivismus und der Neukantianismus) - abgesehen von der Frage nach seiner wissenschaftlichen Tragfähigkeit - immerhin ein möglicher Lösungsversuch des Erkenntnis- und Seinsproblems, der durch die Tatsache des Bewußtseins und Erkennens nahegelegt wird, wie andererseits die objektivistische Erkenntnistheorie oder der kritische Realismus auch eine solche mögliche Lösungsart ist und sich auf die kausale Unabhängigkeit der Objekte vom Bewußtsein stützt.

Daß aber gewisse Richtungen auch hier, in rein theoretisch-objektiver Sphäre, deren Probleme und Lösungen vor allem durch die Tatsachen aufgestellt und bestimmt werden, nur in einer bestimmten Zeit auftauchen, und daß sie nur in bestimmten Epochen beherrschend sind, liegt am Geist der Zeit, in den sozialkulturellen Verhältnissen des Milieus. So sind auch dafür, daß die subjektivistische Erkenntnistheorie in den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts die Geister in so hohem Maß beherrschen konnte, die individualistischen Tendenzen unserer Zeit ausschlaggebend (7).
    "Besonders erweist es sich immer wieder", sagt Höffding, "wie eine philosophische Bewegung sowohl eine Denkarbeit als auch ein Zeichen der Zeit ist. Die Philosophie ist sowohl Problembehandlung als auch Symptom und heutzutage tritt sie in ausgeprägter Form auf diese zweifache Weise auf." (8)

    "Ein jeder neuer Zustand, eine jede neue Lage der gesellschaftlichen Verhältnisse wird notwendig zur Ursache nicht nur der Modifikation der überlieferten Welt- und Lebensanschauungen, sondern auch der Entstehung ganz neuer. So ist dann auch die Philosophie als Welt- und Lebensanschauung in ihrer allgemeinen Richtung in einer Zeit durch die Bedürfnisse eben dieser Zeit und der Gesellschaft darin bestimmt." (9)
Was die logische Kontinuität anbelangt, so kommt dieselbe in Bezug auf die subjektivistischen Richtungen mittelbar auch noch darin zum Ausdruck, daß ihre Vertreter die Widersprüche und Schwierigkeiten, die ihnen ihre Vorgänger, vor allem KANT und HUME, als Erbe hinterlassen haben, in irgendeiner Weise zu heben suchen, was seinerseits zu neuen Kombinationen und neuen Gestaltungen führt.

Die Individualität der Denker ist dabei natürlich nicht ohne Bedeutung. Allein
    "das Individuum ist", nach dem treffenden Ausspruch Hegels, "Sohn seines Volkes, seiner Welt. Niemand kann über seine Zeit wahrhaft hinaus, so wenig, wie aus seiner Haut. Jede Philosophie ist Philosophie ihrer Zeit, sie ist Glied in der ganzen Kette der geistigen Entwicklung." (10)
Was von der Individualität des Denkers abhängt, ist, daß sie unter den vorherrschenden verschiedenen Tendenzen die Wahl treffen kann und zwar entsprechend ihrem Naturell, dem Gedankenkreis ihres engeren Milieus usw. und daraufhin das Erwählte, was freilich mehr unbewußt als bewußt vor sich geht, in eigenartiger Weise gestalten, ausbauen und weiterführen.

Die erwähnten subjektivististischen Richtungen befinden sich - im Einklang mit dem sie beseelenden philosophischen Geist - ausschließlich im Bann HUMEs und KANTs. Demgegenüber stehen die objektivistischen Systeme vor und nach den 70er Jahren unter dem Einfluß der großen vorkantischen metaphysischen Systeme, wenn sie auch die Ergebnisse der erkenntnistheoretischen Untersuchungen HUMEs und KANTs ihren Lehren zugute kommen lassen und die letzteren erkenntnistheoretisch zu begründen suchen.

Hinter dem philosophischen Subjektivismus und Objektivismus, der die Geister trennt, steckt eigentlich die Grundfrage der Philosophie über das Verhältnis von Denken und Sein, Subjekt und Objekt, das Problem der Realität, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der alle Seiten des deutschen Lebens und Wissens im Zeichen des Realismus stehen, sich besonders zuspitzt.

Die Stellungnahme der objektivistischen Richtungen dem Problem der Realität gegenüber bedeutet: Festhalten an der vom erkennenden Geist unabhängigen Wirklichkeit und Anerkennung der induktiv fundierten Metaphysik als einer Ergänzung und Deutung der Erfahrung in dem Sinn und in der Richtung, wie sie bereits in den Einzelwissenschaften vorbereitet wird, als einer begrifflichen Bestimmung des Seienden, einer einheitlichen, alle Gebiete der Wirklichkeit umfassenden Weltansicht.

Demgegenüber läßt der Standpunkt der subjektivistischen Richtungen nur die Bewußtseinsdaten allein gelten und verwirft jede Art von Metaphysik im Sinne der Annahme und der näheren Bestimmung einer außerhalb des Bewußtseins existierenden Realität. Ich darf hier nicht außer Acht lassen, daß die realistischen Tendenzen und Elemente in den Einzelwissenschaften in dem gleichen Maß wie die realistischen Elemente der Philosophie von der subjektivistischen Erkenntnistheorie als metaphysisch beanstandet und solche Annahmen wie die der Atome, Kräfte usw. nur als Hilfsbegriffe, als heuristische Mittel zugelassen werden.

Der Kampf der metaphysikfreundlichen und metaphysikfeindlichen Richtungen dreht sich im Grunde genommen, wie wir sehen, um etwas mehr als bloß um die Rechtmäßigkeit der Metaphysik im Sinne der Erkennbarkeit und Bestimmbarkeit einer vom Bewußtsein unabhängigen Realität. Seitens der subjektivistischen Denker wird nämlich der Begriff der Metaphysik verschoben und unter denselben wird - was schon von KANT (11) vorbereitet wurde - nicht bloß das begriffliche Bestimmen der letzten Grundlagen des Seins und Geschehens, sondern das Aufrechterhalten einer vom Bewußtsein unabhängigen Wirklichkeit überhaupt verstanden. Indem der Begriff der Metaphysik hier erweitert wird, bedeutet eigentlich der Kampf um die Metaphysik den Kampf um die vom Bewußtsein unabhängige, selbständige Realität.

Aus dieser philosophischen Konstellation heraus ist die immanente Philosophie zu verstehen. In ihrer Hervorkehrung und ausschließlichen Anerkennung der Bewußtseinsimmanenz sowie in ihrem Kampf gegen die Metaphysik, gegen die über die Bewußtseinssphäre hinausliegende Realität und die begriffliche Bestimmung der letzteren, steht sie, wie wir nun sehen, keineswegs isoliert da, bildet vielmehr nur ein Glied in der Reihe der subjektivistischen modernen Richtungen. Auch werden uns die verschiedenen in ihr sich kreuzenden Tendenzen, wie dies bei der weiteren Darstellung zum Ausdruck kommen wird, dadurch verständlicher, daß wir ihre Wurzel in den soziokulturellen Eigentümlichkeiten unserer Zeit aufdecken können.

Mit den gesamten subjektivistischen Richtungen in der Erkenntnistheorie geistesverwandt, tritt die immanente Philosophie in einem sehr wichtigen Punkt, der sie speziell noch charakterisiert, nämlich in Bezug auf den Gedanken einer durchgängigen Korrelation von Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich, aussagenden Wesen und "Umgebungsbestandteilen", den positivistischen Schattierungen des Subjektivismus in den Lehren von LAAS, MACH, und AVENARIUS besonders nahe.

Die Vertreter der immanenten Philosophie sehen auch ihre nahen geistigen Beziehungen zu den subjektivistischen Erkenntnislehren selbst ein. SCHUPPE, der zeitlich erste und einflußreichste Wortführer der immanenten Philosophie, bekundet seine Abhängigkeit von KANT und daneben seine Verwandtschaft mit dem Positivismus (12). Mit Genugtuung konstatiert SCHUPPE ferner (13), daß er, trotz seines ganz anderen Ausgangspunktes und seiner von AVENARIUS abweichenden Methode, doch zu demselben Resultat gekommen ist, wie der letztere. Auch von SCHUBERT-SOLDERN bestätigt die Ähnlichkeit seines Standpunktes und somit mittelbar die der immanenten Philosophie, zu deren Vertretern wir ihn zählen müsen, mit den erwähnten subjektivistischen Richtungen (14). Neuerdings betont er noch und nicht mit Unrecht die Verwandtschaft seiner Ansichten mit denen des Pragmatismus und VAIHINGERs in seiner Philosophie des "Als Ob", insbesondere in Bezug auf den Wahrheitsbegriff ("Entgegnung auf Ettinger-Reichmanns Abhandlung: erkenntnistheoretischer Solipsismus", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 19, 1913). Aus dem Lager des Positivismus sehen wir MACH die Übereinstimmung seines Standpunktes mit der immanenten Philosophie bezeugen. Bezeichnend dafür ist bei ihm die Stelle:
    "Auch den Vertretern der immanenten Philosophie stehe ich recht nahe. Namentlich von SCHUPPE kann ich dies sagen. Ich habe in diesem Buch (Grundriß der erkenntnistheoretischen Logik) kaum etwas gefunden, dem ich nicht, vielleicht mit einer kleinen Modifikation, freudig zustimmen würde. Die Auffassung des Ich bildet allerdings einen Differenzpunkt, über den sich aber wohl eine Verständigung erzielen ließe." (15)
Und etwas später äußert er sich diesbezüglich:
    "Wenn ich hierbei das Glück hatte, mit meinem naturwissenschaftlichen Standpunkt namhaften Philosophen wie Avenarius, Schuppe, Ziehen, deren jüngeren Genossen Cornelius, Petzoldt, von Schubert-Soldern u. a., auch einzelnen hervorragenden Naturforschern recht nahe zu kommen, so mußte ich mich hiermit von anderen bedeutenden Philosophen, wie es die Natur der gegenwärtigen Philosophie notwendig mit sich bringt, wieder sehr entfernen. Ich muß mit Schuppe sagen: Das Land des Transzendenten ist mir verschlossen." (16)
AVENARIUS seinerseits gibt seine Verwandtschaft mit SCHUPPE zu (17). Das Gleiche sehen wir PETZOLDT, einen jüngeren Vertreter des Empiriokritizismus tun, der SCHUPPE neben MACH und AVENARIUS als Begründer der positivistischen Auffassung ansieht (18).

Trotz ihrer Ähnlichkeit mit den übrigen subjektivistischen Richtungen bildet doch die immanente Philosophie eine selbständige Richtung und zwar nicht bloß deshalb, weil sie eine eigenartige Gestaltung der auch in den verwandten Lehren anzutreffenden Gedanken darstellt, sondern auch deshalb, weil sie in manchen wichtigen Punkten von den genannten Richtungen abweicht. Vom Neukantianismus trennt sie die mehr oder weniger konsequente Verwerfung oder zumindest ganz erhebliche Modifizierung und Schwächung des Apriori sowie die Betonung und scharfe Ausprägung des Korrelativismus von Subjekt und Objekt. Ferner der mit dem soeben Gesagten zusammenhängende Umstand, daß für die immanente Philosophie die Objekte, die Bewußtseinsdaten etwas Gegebenes, Vorgefundenes bedeuten, während sie für die Neukantianer etwas Entstandenes, Erzeugtes sind, erarbeitete Gebilde des a priori erkennenden Geistes bilden. Von den positivistischen Richtungen unterscheidet sich die immanente Philosophie durch den von ihren einzelnen Vertretern teilweise beibehaltenden abgeschwächten Apriorismus sowie durch die Aufrechterhaltung des Ich als einer empirisch gegebenen, immanent aufzufassenden Einheit, die keineswegs in den psychischen Elementen: den Empfindungen, Gefühlen usw. als den diese Einheit angeblich zusammensetzenden Komponenten aufgeht, sondern vielmehr die Grundlage der letzteren bildet, indem sie dieselben zusammenhält und dadurch das psychische Leben, seine Kontinuität und seinen Zusammenhang ermöglicht. Überdies erhebt sie sich durch ihre fast vorwiegend durchgeführte logisch-erkenntnistheoretische Methode und die Betonung des systematischen Standpunkts speziell noch von AVENARIUS und MACH ab, die ihre Erkenntnistheorie auf biologischer Methode begründen und den genetischen Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken.

Wenn der Neukantianismus von KANT und die positivistischen Strömungen von HUME und sogar von seinem frühen Vorgänger PROTAGORAS (LAAS) ausgegangen sind, so führen die Vertreter der immanenten Philosophie, welche eigentlich eine Mittelstellung zwischen den Neukantianern und Positivisten einnimmt, ihre geistigen Abstammung sowohl von HUME als auch von KANT her, wie sie es selbst bekennen (19). Nur ist zu beachten, daß die immanente Philosophie dabei besonders die eine Seite in KANT, die empiristische, hervorhebt, nämlich: die Beschränkung der Erkenntnis auf die Erfahrung im Sinne der Bewußtseinsphänomene, die Unmöglichkeit der Metaphysik und die Auflösung der Philosophie in Erkenntnistheorie. Auch BERKELEY und FICHTE haben einen großen Einfluß auf ihren Gedankengang ausgeübt.

Wie die immanente Philosophie, im Grunde genommen, die Linie BERKELEY-HUME-KANT-FICHTE weiterführt, so ist sie auch bestrebt, kritizistische Elemente mit empiristischen zu verknüpfen. Dem realistischen Zug der Zeit folgend, bemüht sie sich zugleich, auch dem Realismus gerecht zu werden und realistische Elemente in ihre Lehre mit aufzunehmen. Daher kommt es, daß manche Stellen bei ihr - trotz ihres extremen Subjektivismus - doch realistisch zu klingen scheinen.

Zur immanenten Philosophie gehören meines Erachtens in erster Linie WILHELM SCHUPPE, JOHANNES REHMKE und RICHARD von SCHUBERT-SOLDERN als ihre bedeutendsten Wortführer, an die sich weiter noch ANTON von LECLAIR, MAX KAUFMANN u. a. anreihen (20). Alle diese Denker befolgen dieselbe Methode, gehen von demselben Ausgangspunkt aus und gelangen zu gleichen Resultaten. Wir treffen somit bei allen die gleichen Grundgedanken, wenn auch bei jedem einzelnen von ihnen in einer individuellen Brechung, wie es bei selbständigen Denkern, obwohl sie einander so nahe stehen, zu erwarten ist. Neben der individuellen Formulierung der im Grundgenommen gleichen Gedanken begegnen wir bei den einzelnen Vertretern in Bezug auf manche Punkte auch sonstigen Abweichungen voneinander. Die letzteren aber sind nur von nebensächlicher Bedeutung im Vergleich mit der Übereinstimmung dieser Denker im Hinblick auf die ausschlaggebenden und grundlegenden Fragen. Ebenso wie wir auf allen Gebieten des Wissens gleiche oder ähnliche Erscheinungen unter gemeinsame allgemeinere Begriffe bringen, d. h. dieselben klassifizieren und rubrizieren, um einerseits eine bessere Übersicht des Ganzen zu gewinnen und andererseits die gemeinsamen Beschaffenheiten und Verschiedenheiten dieser Teile des Ganzen genauer ins Auge fassen zu können zwecks besserer Erkenntnis des Wesentlichen und Typischen, so sind wir auch in der Philosophie berechtigt, die sich ganz nahe stehenden Lehren zusammenfassend zu betrachten und dieselben als zu einer bestimmten Richtung gehörend zu kennzeichnen. RICHARD von SCHUBERT-SOLDERN hat deshalb Unrecht, wenn er meint, daß "es heute schwer sein dürfte, eine Gruppe von Denkern mit ausgeprägtem gemeinsamen philosophischen Charakter von allen anderen auszusondern", da "teilweise Übereinstimmungen, scharfe Verschiedenheiten andererseits, aber auch allmähliche Übergänge" die Anhänger der einzelnen Gruppen trennen und verbinden.

Der Name "immanente Philosophie", wie es schon aus dem Titel des Organs dieser Richtung, der "Zeitschrift für immanente Philosophie" zu ersehen ist, sowie "erkenntnistheoretischer, idealistischer" oder "immanenter Monismus" wurde von einigen Vertretern dieser Richtung selbst geprägt, wodurch sie die beiden Fundamentalsätze ihrer Lehre zum Ausdruck bringen wollten (21). "Immanente Philosophie" bedeutet das Ausgehen vom unmittelbar Gegebenen, unter welchem die Bewußtseinstatsachen allein verstanden werden. Danach ist "wirklich sein" und "bewußt sein" ein und dasselbe. Der "erkenntnistheoretische Monismus" bezeichnet - im Unterschied zum erkenntnistheoretischen, d. h. kritischen Realismus mit seiner Dualität von die Realität vermittelnden psychischen Korrelaten und unabhängig von den letzteren existierender Realität - diejenige Ansicht, die als das Alleine nur die Bewußtseinsinhalte oder das Bewußtseiende gelten läßt. In den Bewußtseinsinhalten ist danach sowohl das Bewußtsein, Ich oder Subjekt, als auch die Realität-Welt, das Nicht-Ich oder Objekt enthalten.

1896 wurde ein besonderes Organ gegründet: die bereits erwähnte "Zeitschrift für immanente Philosophie", die von MAX KAUFMANN und nach dessen Tod seit 1897 von SCHUPPE herausgegeben wurde. Doch diese Zeitschrift wurde bereits nach der Herausgabe von vier Bänden 1899 eingestellt.

Die charakteristischen Grundgedanken der immanenten Philosophie lassen sich unter folgende sechs Punkte bringen:

I. Die Philosophie stellt eine selbständige Disziplin und keine bloße Zusammenfassung der Resultate der Spezialwissenschaften dar. Innerhalb der Philosophie ist es die Erkenntnistheorie (neuerdings nach REHMKE die Grundwissenschaft), die sowohl den übrigen Zweigen der Philosophie, als den einzelnen Spezialwissenschaften übergeordnet ist und denselben vorausgehen muß, indem sie das Gegebene seinem allgemeinsten Charakter nach untersucht. Die immanente Philosophie erhebt Anspruch darauf, nicht bloß eine Erkenntnistheorie, sondern auch eine Weltanschauung zu liefern und somit "alle Teile der Philosophie zu durchdringen."

II. Die bisherige Problemstellung in der Erkenntnistheorie: wie kommt das subjektive Erkennen zum Erfassen des Objekts oder wie kann das Objekt erkannt, bzw. festgestellt werden, wenn wir nur psychologische Korrelate, subjektive Zeichen vom Objekt haben, mit einem Wort: wie ist das Aneinandergeraten von den voneinander getrennten Subjekt und Objekt zu erklären, stößt auf unlösbare Schwierigkeiten. Diese Problemstellung wird aber auch gar nicht von den Tatsachen gefordert, denn nirgends treffen wir auf eine subjektive Tätigkeit für sich oder ein sich selbst genügendes Ich und ein erst nachträglich erfolgendes Ergreifen, Erfassen des Objekts mittels dieser Tätigkeit an. Ebensowenig begegnen wir irgendwo einem Objekt, das nicht bewußter Inhalt des Ich wäre. Die irrtümliche Problemstellung ist vielmehr nur das Produkt einer auf falsche Bahnen geratenen philosophischen Entwicklung. Diese letztere basierte auf dem erkenntnistheoretischen Dualismus, dem Getrenntsein von Subjekt und Objekt, dem realen Gegensatz von psychischen Korrelaten, der Innenwelt, dem Bewußtsein oder Subjekt und den von den letzteren erst festzustellenden oder zu erschließenden Dingen, der Außenwelt oder dem Objekt. Diese Trennung rührt daher, daß man auf das Verhältnis des Bewußtseins oder Subjekts zum Inhalt oder Objekt die räumliche Beziehung des Innen und Außen unbegründeterweise übertrug und sich daraufhin den Besitz der Wahrnehmungen und Vorstellungen als im Bewußtsein eingeschlossen, also vom Inhalt räumlich getrennt dachte. Wenn die Wahrnehmungen und Vorstellungen im Bewußtsein enthalten und wie durch eine räumliche Grenze vom Inhalt getrennt sind, so ist die in dieser Formulierung nicht zu beantwortende Frage begründet, wie diese Grenze überschritten und das jenseits der Grenze liegende, außerhalb des Bewußtseins befindliche Sein oder Objekt erkannt, ja überhaupt festgestellt werden kann.

III. Um das Erkenntnis- und Realitätsproblem richtig zu stellen und zu lösen, muß man auf das unmittelbar Gegebene,, das Gewisse und Sichere zurückgehen. Dieses unmittelbar Gegebene wird dem Standpunkt des naiven Realismus gleichgestellt (SCHUPPE und REHMKE früher). Die Methode, die zu dem oben genannten Ziel führt, besteht in der philosophischen Selbstbesinnung auf das Erkennen, auf dasjenige, das das Bewußtsein hat, gleichsam das unmittelbar Gegebene, und in der Analyse desselben. Diese Analyse ergibt: das Gegebene wird nur in Beziehung auf das Ich, Subjekt oder Bewußtsein vorgefunden, als dasjenige, das das Bewußtsein hat, ist also nur in Bewußtseinsdaten enthalten, ist Bewußtes. Das Gegebensein in Bezug auf das Bewußtsein bedeutet keineswegs ein räumliches Eingeschlossensein im Bewußtsein. In Bezug auf das Gegebene überhaupt ist eben kein Innen und Außen vorhanden, sondern nur ein Bedingtsein vom Bewußtsein in dem Sinne, daß das Nicht-Ich oder Objekt ohne das Ich oder Subjekt nicht feststellbar, daß das Gegebene ohne das Erkennende (REHMKE) nicht annehmbar ist, wie auch umgekehrt. Subjekt und Objekt sind die unterscheidbaren zwei Momente des Gegebenen als eines ursprünglich Ganzen, die zusammengehören, einander voraussetzen und nur in der logischen Analyse einzeln festgehalten werden können. Die Zusammengehörigkeit von Subjekt und Objekt oder die Korrelation von Bewußtsein und Inhalt, Ich und Nicht-Ich - nur REHMKEs Formulierung in der letzten Zeit weicht hiervon ab, wenn sie auch sachlich nicht über den Immanenzgedanken hinausgeht - ist der zusammenfassende Ausdruck der Vertreter dieser Richtung für den soeben näher ausgeführten Gedankengang. Sein, Existenz kann deshalb nur bedeuten: Bewußtseinsobjekt, Bewußtseinsinhalt, bewußtes Sein. Daher stellt jede transzendente Realität, die keine Beziehung auf das Bewußtsein enthält in dem Sinne, daß sie als unabhängig von demselben, d. h. selbständig existierend gedacht wird, mag diese Realität als erkennbar oder unerkennbar angesehen werden, einen undenkbaren, unannehmbaren und unvollziehbaren Gedanken, einen Widerspruch dar. Indem man die Realität denkt, ist sie eben nicht mehr vom Denken unabhängig, ist sie nicht mehr ungedachtes Sein. Jede transzendente Realität, jede erschlossene Existenz kann immer nur nach der Art der Bewußtseinsdaten gedacht werden. Der Begriff Transzendenz wird hier im Sinne des Existierens ohne Bezug auf das Bewußtsein oder Ich, als eine vom Bewußtsein unabhängig bestehende Realität aufgefaßt, bedeutet also nicht das Überschreiten der Erfahrung schlechthin, sondern bloß das Überschreiten der Bewußtseinsbeziehung. Jede Metaphysik wird programmatisch, d. h. im Prinzip verworfen, da sie sich auf transzendente Realitäten stützt. Mit der unbegründeten Übertragung der räumlichen Beziehung auf das Verhältnis von Bewußtsein und Inhalt fällt die Trennung und der reale Gegensatz derselben sowie der auf ihnen sich aufbauende erkenntnistheoretische Dualismus. Der Gegensatz von Erscheinung und Ding-ansich wird aufgehoben. Der erkenntnistheoretische Dualismus, der die Dualität von psychischen Korrelaten und einer selbständig existierenden Realität annimmt, wird durch den erkenntnistheoretischen Monismus, der die Einheit des Wahrnehmbaren und des Bewußtseins behauptet, ersetzt. Indem die Wahrnehmungen das Reale oder Wirkliche selbst ausmachen, werden die Sinnesqualitäten mit kleinen Einschränkungen als ebenso wirklich und objektiv angesehen wie die anderen Elemente des Objekts: Raum, Zeit und Bewegung.

IV. Die Außenwelt büßt dadurch, daß sie als Bewußtseinsinhalt aufgefaßt wird, nichts an ihrer Realität ein. Vom Ich oder Subjekt in dem Sinne bedingt, daß sie nur in Bewußtseinsbeziehungen gegeben ist, wird sie doch gleichzeitig als kausal unabhängig vom Bewußtsein und als ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit unterworfen anerkannt. Die Außenwelt, d. h. die Empfindungs- oder Wahrnehmungswelt besteht nicht bloß im tatsächlich Wahrgenommenen, sondern auch in einem eventuell Wahrnehmbaren, in der gesetzmäßigen Wahrnehmungsmöglichkeit.

V. Nur das eigene Ich und die Außenwelt als sein Bewußtseinsinhalt sind unmittelbar gegeben. Die Außenwelt aber als die allen Ichen gemeinsame Welt wird erschlossen (SCHUPPE und SCHUBERT-SOLDERN). Ebenso wird das fremde Ich erschlossen und zwar durch Analogie mit dem eigenen Ich, aufgrund eines Komplexes von Bewußtseinstatsachen, die dem Körper und den Ausdrucksbewegungen, an welche das eigene Ich gebunden ist, ähnlich sind.

VI. Neben der gemeinsamen Außenwelt lassen sich auch subjektive Alterationen und Modifikationen in der Auffassung derselben konstatieren, mit einem Wort: dasjenige, worin die Individuen sich voneinander unterscheiden, die individuellen psychischen Zustände.

Der Entwicklungsgang der einzelnen Vertreter der immanenten Philosophie ist nur insofern kein völlig einheitlicher, als sie in ihren späteren Schriften (22) der Metaphysik gegenüber eine veränderte Stellung einnehmen. Die verpönte und durch die eine Tür hinausgeworfene Metaphysik wird hier durch die andere Tür mehr oder weniger stillschweigend wieder hereingelassen, worin übrigens die immanenten Philosophen das Schicksal der meisten metaphysikfeindlichen Richtungen teilen.

Wenn REHMKE von vornherein eine Konzession zugunsten einer immanenten Metaphysik macht, so verfällt auch er in letzter Linie demselben Los wie seine Überzeugungsgenossen. Er bekämpft nämlich die transzendente Metaphysik, stellt aber selbst in manchen Schriften (23) metaphysische Behauptungen auf, die diejenigen der von ihm sogenannten transzendenten Metaphysik an Problematischem weit übertreffen.

Um ein getreues Bild der immanenten Philosophie zu entwerfen, lasse ich der allgemeinen Schilderung ihrer philosophischen Stellung die individuelle Formulierung ihrer Grundgedanken durch ihre einzelnen Vertreter folgen. Ich bemerke gleich, daß hier nur der theoretische Teil behandelt und der praktische nur dort herangezogen wird, wo dies zur Klärung der theoretischen Lehren notwendig erscheint. Auch möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß bereits in die Darstellung dort, wo die Sachlage es erforderte, kritische Bemerkungen eingeflochten sind.

LITERATUR Regina Ettinger-Reichmann, Die Immanenzphilosophie, Göttingen 1916
    Anmerkungen
    1) Fichte, Reden an die deutsche Nation, Reclam Seite 198.
    2) Vgl. Windelband, Die Philosophie im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts, zweite Auflage 1909, Seite 20f und 58f; F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. 2, Reclam Seite 101 und 113f.
    3) Friedrich Jodl, Ludwig Feuerbach, 1904, Seite 2 und 23-24.
    4) Wilhelm Wundt, Über den Zusammenhang der Philosophie mit der Zeitgeschichte, Seite 66, Deutsche Rundschau 1890, Bd. 62.
    5) Ich sehe hier von dem so einflußreichen und als Methode der Forschung sich bewährenden historischen Materialismus von Marx und Engels ab, da derselbe vorwiegend eine soziologische Theorie und Methode darstellt, mir aber kommt es hier speziell auf die Erkenntnistheorie und Metaphysik an. - - - So bekämpft man damals zwar keineswegs der Sache nach die Metaphysik im Sinne einer begrifflichen Bestimmung des Seienden, einer einheitlichen, alle Gebiete der Wirklichkeit umfassenden Weltanschauung, man sucht jedoch die in willkürlicher Spekulation sich verlierende Metaphysik der nachkantischen Systeme durch eine wissenschaftlich begründete, induktiv fundierte zu ersetzen. Wenn der philosophische Materialismus die Metaphysik abweist, so tut er dies - ohne sich dessen bewußt zu werden und zwar infolge mangelhafter erkenntnistheoretischer Einsicht in diesem Punkt - nur in Worten und nicht in der Tat. Seine Lehre stellt ebenso gut ein metaphysisches System dar wie alle anderen philosophischen Lehren, die, über die Erfahrung im engeren Sinne, im Sinn von unmittelbar gegebenen Bewußtseinsdata, hinausgehend, das Seiende als ein vom Erkennen und Denken unabhängig Existierendes hinstellen und dasselbe in diesem oder jenem Sinn näher bestimmen. Mit der Anfeindung der Metaphysik konnte der Materialismus von seinem Standpunkt aus eigentlich nur diejenige Art der Metaphysik treffen, die überhaupt nicht mit Tatsachen rechnet und sich in nebelhaften phantastischen Annahmen verliert. - - - Was Fechner und Lotze anbelangt, so bleiben sie zwar ihrer Forderung einer wissenschaftlich begründeten Philosophie nicht ganz treu, indem Fechner zuweilen völlig phantastischen Grübeleien verfiel und sowohl er als auch Lotze die theoretischen Erwägungen durch praktische, sei es religiöse, sei es ethische Momente verdunkelten. Ihre Philosophie vertritt jedoch im Gegensatz zur vorwiegend spekulativen Richtung der nachkantischen großen Systeme die induktiv-realistische Methode, insofern sie den Tatsachen, der konkreten Wirklichkeit in ihren Lehren den ersten Platz einräumten.
    6) Vgl. Ludwig Stein, Der Sinn des Daseins, Seite 144; Külpe, Einleitung in die Philosophie, dritte Auflage 1903, Seite 152-154 und Die Realisierung, Bd. 1, 1912, Seite 111f; Störring, Einführung in die Erkenntnistheorie, 1909, Seite 128-129; August Messer, Einführung in die Erkenntnistheorie, 1909, Seite 62, 63 und 105; Jules Suter, Die Philosophie von Richard Avenarius, 1910, Seite 159-166; Höffding, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. 2, 1896, Seite 610-612; Wilhelm Freytag, Die Erkenntnis der Außenwelt, 1904, Seite 26-27; Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen, vierte Auflage, 1903. Es heißt hier: "Heute sehe ich nun, daß eine ganze Anzahl Philosophen: Positivisten, Empiriokritiker, Vertreter der immanenten Philosophie, und auch sehr vereinzelte Naturforscher, ohne voneinander zu wissen, Wege eingeschlagen haben, welche bei aller individuellen Verschiedenheit fast in einem Punkt konvergieren" (Seite VI); Ernst Dürr, Erkenntnistheorie, 1910, Seite 158, 159 und 329; Rickert, Gegenstand der Erkenntnis, zweite Auflage 1904, Seite 14 und Viktor Kraft, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, 1912, Seite III, IV und 113, 138, 166. Was Avenarius anbetrifft, der auf den ersten Blick nicht hierher zu gehören scheint, habe ich bereits an einer anderen Stelle (Richard von Schubert-Solderns erkenntnistheoretischer Solipsismus, Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 25) meine Ansicht geäußert, daß er trotz seinem Versuch der "Ausschaltung der Introjektion" den subjektivistischen Erkenntnistheoretikern zugezählt werden muß. Denn seine "Prinzipialkoordination", nach welcher es kein Gegenglied, keine Außenwelt, keine Gegenstände ohne ein Zentralglied, die Ich-Erfahrung gibt, kommt der subjektivistischen Ablehnung der vom Bewußtsein unabhängigen Realität gleich. Im Hinblick auf unsere Zuordnung der konszientialistisch Richtungen dem subjektiven Idealismus, möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß Külpe zwischen dem subjektiven Idealismus und dem Standpunkt der Immanenz als Spielarten des empiristischen Konszientialismus unterscheidet (Die Realisierung, Seite 103), je nachdem das Bewußtsein, zum dem alle Gegenstände der Erkenntnis gehören, das individuelle, persönliche einzelner Subjekte ist oder das Bewußtsein überhaupt, die Auffassungsweise des erkenntnistheoretischen Subjekts oder die Erlebnisse darstellt. Dieser Unterschied mag einzelnen Feinheiten der verschiedenen Wendungen des Konszientialismus in einem gewissen Sinn gerecht werden, wesentlich ist er jedoch nicht, da beiderseits doch eine selbständig existierende Realität geleugnet und nur Bewußtes anerkannt wird, was in letzter Linie auf bloße individuelle seelische Erlebnisse hinausläuft.
    7) Marx und Engels waren es bekanntlich, die grundsätzlich die Abhängigkeit aller geistigen Kultur von den gesellschaftlichen Zusammenhängen, in letzter Linie von den ökonomischen Verhältnissen, behaupteten und derselben eine präzise Form und konsequente Durchführung zu geben versuchten. Die Historiker der Philosophie werden auf diese Abhängigkeit immer mehr aufmerksam, wenn sie dieselbe auch nicht ganz konsequent und einwandfrei durchführen und immer wieder noch in die rein psychologische Deutung derselben zurückverfallen.
    8) Harald Höffding, Moderne Philosophen, 1905, Seite 2.
    9) Abraham Eleutheropulos, Wirtschaft und Philosophie, 1900, Seite 16; vgl. noch Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke XIII, 1833, Seite 58-60 und 68-69; Volkelt, Vorträge zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart, 1892, Seite 167f; Wundt, Über den Zusammenhang etc. a. a. O. Seite 53 und Logik, Bd. 1, 1906, Seite 404-405 und Über naiven und kritischen Realismus, Philosophische Studien, Bd. 12, Seite 309f und 313f und Windelband, Die Philosophie im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts, Seite 3-4.
    10) Hegel, a. a. O., Seite 59-60 und 69.
    11) Kant nämlich wirft nicht bloß die Metaphysik in ihrer rationalistischen Gestalt "als eine ganz isolierte spekulative Vernunfterkenntnis, die sich gänzlich über eine Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe, wo also Vernunft selbst ihr eigener Schüler sein soll" (Kr. d. r. V., Reclam, Vorrede zur zweiten Ausgabe, Seite 16). Als abzulehnende Metaphysik auf theoretischem Gebiet - denn bekanntlich läßt er sie auf praktisch-ethischem Gebiet zu - gilt auch für Kant jedes Hinausschreiten über den Bereich der möglichen Erfahrung. "Es ergibt sich aus dieser Deduktion unseres Vermögens a priori zu erkennen, daß wir mit ihm nie über die Grenze möglicher Erfahrung hinauskommen können, welches doch gerade die wesentlichste Angelegenheit dieser Wissenschaft (der Metaphysik) ist." (a. a. O, Seite 19, auch 20, 22 und 26). Und da die mögliche Erfahrung bei Kant mit den - mittels apriorischer Erkenntnisfaktoren erarbeiteten - Bewußtseinsdaten, den Erscheinungen zusammenfällt, die gegeben sind oder gegeben werden können, so ist es klar, daß das Ding-ansich, d. h. die vom erkennenden Geist unabhängig existierende Realität auch ins Gebiet der Metaphysik rückt, der abzulehnenden transzenenten Metaphysik im Unterschied zur transzendentalen Metaphysik, als des Systems der unserer, bzw. der apriorischen Erkenntnis zugrunde liegenden Prinzipien.
    12) Wilhelm Schuppe, Die immanente Philosophie, Zeitschrift für immanente Philosophie, Bd. II, 1898, Seite 4 und "Die Bestätigung des naiven Realismus", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 17, 1893, Seite 385.
    13) a. a. O. Seite 364-365 und 384.
    14) Schubert-Soldern, Das menschliche Glück und die soziale Frage, Note Seite V und VI.
    15) Ernst Mach, Analyse der Empfindungen, vierte Auflage 1903, Seite 38; vgl. auch Seite VI.
    16) Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum, zweite Auflage, 1906, Seite VII.
    17) Avenarius, Anmerkung zur Abhandlung von Rudolf Willy, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, 1894, Seite 29
    18) Avenarius, Das Weltproblem, 1906, Seite V.
    19) Schuppe, Die immanente Philosophie, Zeitschrift für immanente Philosophie, Bd. 2, 1898, Seite 4; von Schubert-Soldern, Das menschliche Glück, Note Seite Vf, sowie ders. "Der Kampf um die Transzendenz", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 10, Seite 470 und "Grundlagen einer Erkenntnistheorie", Seite 13f.
    20) Diese Auffassung vertreten auch: Volkelt, Erfahrung und Denken, 1886, Seite 49 und 127; Wundt, Über den naiven und kritischen Realismus, a. a. O; Überweg-Heinze, Die Geschichte der Philosophie, Bd. IV, 1902, Seite 239f; Külpe, Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland, zweite Auflage 1904, Seite 16 und 17; August Messer, Einführung in die Erkenntnistheorie, 1909, Seite 62-63; Rudolf Eisler, Einführung in die Erkenntnistheorie, 1907, Seite 215 bis 217; Ludwig Stein, Philosophische Strömungen der Gegenwart, 1908, Seite 11 und 83; Frischeisen-Köhler, Die Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1906 und Ernst Dürr, Erkenntnistheorie, 1910, Seite 158 und 328-329. In Bezug auf Rehmke vgl. auch Viktor Kraft, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, 1912. Schuppe selbst betrachtet Rehmke und Leclair als Wortführer der von ihm vertretenen Richtung in der Fußnote zum Aufsatz "Was sind Ideen?", Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, 1883. Schubert-Soldern wird an dieser Stelle von Schuppe wahrscheinlich nur deshalb nicht erwähnt, weil sein Erstlingswerk "Über die Transzendenz des Objekts und Subjekts erst 1882 erschien und Schuppe vielleicht noch nicht bekannt war. Was Kaufmann anbelangt, so ist ja derselbe erst in den 90er Jahren aufgetreten. Rehmke protestiert zwar in der letzten Zeit gegen die Zuordnung seiner Lehre zur immanenten Philosophie (vgl. Dürr, Erkenntnistheorie, Seite 329 und Herbertz, Die philosophische Literatur 1912, Seite 70, auch in einem Brief an mich), aber meiner Meinung nach mit Unrecht. Denn bezüglich der Fundamentalgedanken - und das ist ja ausschlaggebend für seine Stellung in der Philosophie und für die Frage seiner Zurechnung zur Immanenzphilosophie - stand Rehmke und steht auch jetzt auf dem gleichen Boden, wie die letztere.
    21) von Schubert-Soldern findet später die Bezeichnung "immanente Philosophie" als einen "etwas unglücklichen Ausdruck" (Erwiderung auf Prof. Wundts Aufsatz "Über naiven und kritischen Realismus")
    22) Schuppe, "Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie", 1882 und "Was sind Ideen?", 1883. Schubert-Soldern, Das menschliche Glück etc. und "Die Einteilung der Wissenschaft", 1899, Zeitschrift für immanente Philosophie, Bd. IV.
    23) Johannes Rehmke, Lehrbuch der allgemeinen Psychologie, erste und zweite Auflage und "Die Seele des Menschen", erste Auflage, 1902.