ra-3BecherSprangerVolkeltBecherW. SchuppeElsenhans>    
 
JOSEF DONAT
Voraussetzungslosigkeit der Forschung

"Das Poltern mit der Voraussetzungslosigkeit ist das Werk der Halbheit und der Unehrlichkeit. Die verschiedensten Voraussetzungen, die mit Wissenschaft und Wahrheitsstreben nichts zu tun haben, läßt man unbehelligt passieren; nur sobald sich die christliche und katholische Glaubensüberzeugung anmeldet, die sich auf göttliche Autorität stützt, da verwandelt sich die Toleranz in Zetern und Schelten; erregt läßt man die Schlagbäume fallen und versperrt den Eingang in die Wissenschaft."

"Denn der Durchschnittsmensch ist ein Herdentier. Auserwählte sind es, welche die große Wahrheitsfrage in sich als ihre Herzenssorge und Lebensaufgabe empfinden, deren furchtbare Spannungen erleben und deren Geisteskämpfe im Inneren auszuringen haben ... Der Durchschnittsmensch, d. h. die Vielen, Allzuvielen ... brauchen etwas Festes - an dem sie sich halten, Personen und Lehrer, Gesetze."

"Wissenschaftliches Studium und Forschen hat die Aufgabe, diese Wahrheiten in ein helleres Licht zu setzen, das Erbe der Menschheit zu verteidigen. Aber der Pfleger der Wissenschaft darf nicht die Freiheit beanspruchen, diese sicheren Überzeugungen in sich oder anderen ignorieren, den Erbschatz der Menschheit, statt zu schützen, durch Zweifel und Angriffe gefährden zu dürfen, den Geist der Menschheit aber zu ewiger Sisyphusarbeit zu verurteilen, zum ewigen Wälzen eines Steins, der immer wieder von neuem gehoben werden muß."


Was sie ist

Im Jahre 1901-02 erregte ein Fall, ansich sehr unscheinbar, Wellen und Wogen der Aufregung in der wissenschaftlichen Welt und weit darüber hinaus. Was war geschehen? An der Universität eines größtenteils katholischen Landes, an welcher wenigstens ein Drittel der Studenten katholisch war, in Straßburg, gab es 1901 im Ganzen 72 Professoren, von denen 61 Protestanten, 6 Israeliten und nur 4 Katholiken waren (1). Das drängte die Regierung zur Erwägung, ob nicht für die Berufung der Professoren das katholische Element mehr zu berücksichtigen ist; selbst nichtkatholische Mitglieder des Bundesrates wünschten es. Da wurde eine Geschichtsprofessur vakant. Die Regierung beschloß, neben dem Protestanten, der von der philosophischen Fakultät vorgeschlagen wurde, auch einen katholischen Geschichtsprofessor anzustellen und zwar in der Person des Privatdozenten MARTIN SPAHN.

Durch die Schaffung dieser Lehrkanzel für einen katholischen Geschichtsprofessor nun glaubte man allen Ernstes die Wissenschaft gefährdet. Ein Sturm brach los. Der greise Geschichtsforscher THEODOR MOMMSEN, einst ein Freiheitskämpfer des Jahres 1848, gab das Signal. In den "Münchner Neuesten Nachrichten" erschien plötzlich eine Zuschrift von seiner Hand, die allgemeines Aufsehen erregte.
    "Es geht durch die deutschen Universitätskreise", so hebt der feierliche Protest an, "ein Gefühl der Degradierung. Unser Lebensnerv ist die voraussetzungslose Forschung, die nicht das findet, was sie nach Zweck, Erwägungen und Rücksichtnahmen finden soll und finden möchte, was anderen außerhalb der Wissenschaft liegenden praktischen Zielen dient, sondern was logisch und historisch dem gewissenhaften Forscher als das Richtige erscheint, in ein Wort zusammengefaßt: die Wahrhaftigkeit ... Ein Axtschlag (gegen diese Grundlage der deutschen Wissenschaft) ist jede Anstellung eines Universitätslehrers, dessen Forschungsfreiheit Schranken gezogen werden ... Die Berufung eines Historikers oder Philosophen, welcher katholisch sein muß oder protestantisch sein muß und welcher dieser oder jener Konfession dienstbar sein soll, heißt verpflichten, seiner Arbeit da Grenzen zu setzen, wo die Ergebnisse einem konfessionellen Dogma unbequem werden könnten."
MOMMSEN schloß mit dem hörbaren Appell an die Solidarität aller Vertreter der Wissenschaft:
    "Die Hoffnung wird vielleicht nicht täuschen, daß damit die Gesinnung unserer Kollegen zum Ausdruck gebracht wird."
Die Kundgebung des berühmten Gelehrten, abgefaßt im Temperament seiner 48er Jahre, wurde zwar bald durch eine nachfolgende zweite Erklärung bedeutend abgeschwächt, wenn nicht aufgehoben. Aber der Funke hatte gezündet. Die meisten Universitäten sandten Zustimmungen an den Verfasser, daß er so mutvoll die Ehre der Universität und der deutschen Wissenschaft gewahrt hat. Andere freilich sprachen offen ihr Bedauern über das heißspornige Vorgehen aus. Seitdem ist das Lied von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft unzählige Male in den verschiedensten Tonarten variiert worden, gewöhnlich mit dem Refrain: Also der Gläubiggesinnte, besonders der Katholik kann kein wahrer Forscher sein. Das war ja der Zentralgedanke in MOMMSENs Zuschrift; so wurde sie verstanden.

Der Deutlichkeit halber wollen wir den Gedankenkomplex in einen kurzen Schluß zusammendrängen: Voraussetzungslosigkeit d. h. jene Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, die sich nur vom Streben nach Wahrheit leiten läßt, sie ist der Lebensnerv, die Existenzbedingung der Wissenschaft. Der Gläubige, der Katholik kann aber diese Voraussetzungslosigkeit nicht haben, weil er Rücksicht nehmen muß auf Dogmen und kirchliche Vorschriften. Also fehlt ihm die wesentlichste Vorbedingung für echt wissenschaftliche Arbeit. Katholischgesinnte Universitätsprofessoren sind also eine Anomalie; sie können mit Recht eine Anstellung und Gleichberechtigung an der Stätte der voraussetzungslosen Wissenschaft nicht beanspruchen. Aus Opportunitätsgründen mag man ja auf solche Gelehrte Rücksicht nehmen müssen; aber als vollwertige Forscher können sie nicht gelten. Katholische Theologie aber, die auf dem Glauben aufbaut, ist überhaupt keine wahre Wissenschaft und gehört nicht an die Universität. Und gar eine "katholische Universität", eine Stätte wissenschaftlichen Forschens auf katholischer Grundlage, ist etwas wie ein viereckiger Kreis. Es mag ja sein, daß auch katholische Gelehrte Tüchtiges leisten. Aber jenes unentwegte Wahrheitsstreben, wie es ein Mann der Wissenschaft haben muß, kann man bei ihnen nicht suchen.

Gedanken, die sich bei vielen zum selbstverständlichen Dogma versteinert haben, mit allen Härten der Intoleranz. Wir fühlen es unschwer heraus: es ist der alte schon berührte Vorwurf, nur in etwas veränderter Form: der gläubige Forscher kann nicht frei die Wahrheit suchen, weil er durch seine Glaubenspflicht gebunden ist; die Wissenschaft aber muß frei sein; deshalb ist er für ihren Betrieb unbrauchbar. Freiheit und Voraussetzungslosigkeit der Forschung sind verwandte Begriffe und werden auch oft synonym gebracht. Wenn wir also daran gehen, an die oft gehörte Forderung der Voraussetzungslosigkeit die Sonde anzulegen, so werden uns ähnliche Gedanken begegnen, wie wir sie früher bereits entwickelt haben, nur in etwas veränderter Gestalt.

Welches ist also jene Voraussetzungslosigkeit, zu der sich die Wissenschaft bekennen muß? und kann der Katholik, der gläubige Forscher sie haben? Voraussetzungslose Forschung, "ich liebe das Wort nicht", sagt ein Vertreter der freien Forschung, "weil es ein Geschöpf jener Halbheit ist, welche dem freien Gedanken in seinem Kampf gegen die Mächte der Vergangenheit schon so viel geschadet hat." (2) Wir müssen also wohl fürchten, daß wieder die Zuversicht, mit der man dieses Schlagwort gebraucht, größer ist als die Klarheit der Gedanken, die sich daran knüpfen.

Die Wissenschaft muß voraussetzungslos sein, was soll das heißen? Ohne Zweifel dieses, daß die Wissenschaft keine Voraussetzungen machen, daß sie ohne Voraussetzungen an ihre Forschungen gehen soll. Und was ist eine Voraussetzung? Offenbar etwas , was man bei seiner Forschung als Grundlage, auf der man aufbaut, als Richtschnur und Regel, nach der man sich richtet, voraussetzt, ohne dasselbe an dieser Stelle zu beweisen. Denn was ich in einem Gedankengang eigens beweise, ist nicht mehr eine Voraussetzung für meinen Gedankenbau, sondern ein Glied desselben.

Darf also der Forscher gar keine Voraussetzung machen? Nein; das ist unmöglich. Wenn der Mathematiker seine Rechnungen anstellt, setzt er voraus, daß das Einmaleins richtig ist. Oder soll er es erst beweisen, daß zwei mal drei sechs ist? Er kann es gar nicht, weil es unmittelbar aus sich selbst klar ist. Wenn der Physiker im Laboratorium seine optischen Experimente macht, wenn er dabei aus verschiedenen Lichterscheinungen auf die Natur des Lichts Schlüsse zieht, so setzt er dabei voraus, daß er mit seinen Sinnen die Tatsachen richtig beobachten kann, daß alles seinen entsprechenden Grund hat, daß dasselbe nicht zugleich so und anders sein kann. Darf er das oder muß er es erst beweisen? Er darf es voraussetzen, weil es außer Zweifel steht und weil es auch zum Teil zumindest, gar nicht bewiesen werden kann. Auch der Astronom greift ohne Weiteres zu den Formeln des Mathematikers, ohne sie von Neuem zu untersuchen; jeder Naturforscher setzt ruhig die anerkannten Resultate seiner Kollegen und Vorgänger voraus und baut darauf weiter und er darf es, weil er nicht vernünftig daran zweifeln kann. Man macht also allgemein Voraussetzungen. Man darf sie machen, weil man von der Wahrheit derselben überzeugt ist; man muß sie machen, weil nicht alles erst bewiesen werden kann. Vieles, wie die Fähigkeit das Wahre zu erkennen, die ersten Prinzipien des Denkens, lassen sich nicht beweisen, weil sie unmittelbar aus sich selbst klar sind. Vieles andere kann deshalb nicht immer umständlich prüfen, weil ja nicht jeder Forscher mit dem Ei der Leda beginnen kann. Wer ein Gebäude aufführen will, baut auf gegebenen Grundlagen auf. Will er keine solchen annehmen, sondern alle gegebenen Grundlagen erst aufwühlen, um sie von Neuem zu legen, so wird er sich in einem ewigen Wälzen und Wühlen immer tiefer in die Erde eingraben, zu einem Bau wird es niemals kommen.

Die Wissenschaft ist voraussetzungslos, kann also nicht heißen: Sie darf gar keine Voraussetzungen machn. Welches ist also der Sinn dieser Forderung? Nur dieser: Der Forscher darf nichts als wahr voraussetzen, was falsch ist, darf nichts als sicher und bewiesen voraussetzen, was unsicher und unbewiesen ist. Wovon er aber weiß, daß es sichere Wahrheit ist, das darf er als solche behandeln und für weitere Forschungen als Grundlage und Richtschnur nehmen; und das, wovon er weiß, daß es wahrscheinlich ist, kann er ebenso als wahrscheinlich voraussetzen. Tut er das, so verfehlt er sich nicht gegen das Ideal, das ihm bei allem vorschweben soll, gegen die Wahrheit; er läßt sich ja nur von der erkannten Wahrheit leiten. Und aus Wahrem kann nur Wahres und aus Sicherem kann wieder nur Sicheres folgen. Wenn er aber Falsches und Unbewiesenes als wahr und bewiesen, Ungewisses als sicher voraussetzt, verfehlt er sich gegen die Wahrheit, das Ziel aller Wissenschaft.

Wenn also der Bibelkritiker voraussetzt, daß Wunder und Prophetien unmöglich sind, und daraus schließt, daß viele Berichte der hl. Schrift nicht authentisch sein können, sondern Legenden einer späteren Zeit sein müssen, so macht er willkürliche Voraussetzungen, er ist kein voraussetzungsloser Forscher. Wenn in ähnlicher Weise der Historiker annimmt, daß ein übernatürliches Einwirken Gottes auf die Welt unmöglich ist, und auf dieser Grundlage aufbauend folgert, daß die christliche Religion aus rein natürlichen Faktoren, aus orientalischen Anschauungen und Sagen, aus griechischer Philosophie und römlischen Staatsformen abzuleiten ist, so macht er wiederum unbewiesene Voraussetzungen. Wenn der Naturphilosoph annimmt, daß es keinen persönlichen Weltschöpfer geben kann und daraus schließt, daß die Welt also aus sich und von Ewigkeit ist, so hat er wieder keinen Anspruch darauf, ein voraussetzungsloser Forscher zu sein. Und wenn er wie immer seine eigenen Liebhaberansichten den Forschungen als Grundlage unterlegt, so verstößt er gegen die Forderung der Voraussetzungslosigkeit; die Resultate, zu denen er kommt sind nicht Forschungsresultate, sondern Amateurschöpfungen.


Voraussetzungslosigkeit
und Glaubensüberzeugung

Kann nun der christliche Forscher, der an seinem Glauben festhält, diese Voraussetzungslosigkeit haben, welche die Wissenschaft verlangt? Die Antwort kann nach allem, was bisher über das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben gesagt worden ist, nur eine bejahende sein. Dem gläubigen Christen und Katholiken steht das, was ihn Offenbarung und Kirche als Glaubenssatz lehren, als sichere Wahrheit fest. Was mir aber wahr und sicher ist, kann ich als wahre und sichere Grundlage und Norm meines Denkens nehmen. Das und nicht mehr verlangt die Voraussetzungslosigkeit.

Doch nur selten, wenn man den immensen Bereich der Wissenschaften betrachtet, nur an einigen Stellen kommt der Profanforscher in die Lage, Wahrheiten des Glaubens in dieser Weise voraussetzen zu müssen; und das auch nur als negative Norm. Wir haben früher weitläufig gezeigt, daß die Profanforschung niemals Glaubenswahrheiten als positive Grundlage nehmen darf, um darauf weiterzubauen. Nur insofern muß sie sich an den Offenbarungslehren orientieren, als sie nichts ihnen Widersprechendes lehren darf. Aber auch diese Forderung tritt selten an sie heran, weil sie eben, solange sie nicht ihr Gebiet überschreitet, nur sehr selten imt dem Glauben in Berührung kommt. Als KEPLER über seine Planetenbahnen forschte und NEWTON die Gravitation entdeckte, waren beide unabhängig von ihrer christlichen Weltanschauung, zu der sie sich bekannten; sie bildete in keiner Weise eine notwendige Voraussetzung ihrer Forschung. Als SCHEINER die Sonnenflecken fand und SECCHI seine Sternparallaxen berechnete, taten sie das nicht als Jesuiten, auch nicht als Katholiken; sie hätten ebensogut Mohammedaner oder Atheisten sein und dieselben Entdeckungen machen können. Dampfmaschinen und Eisenbahen, VOLTAsche Elektrizität, Kathoden- und Röntgenstrahlen alles, was an Erfindungen den Stolz des 19. Jahrhunderts bildet, ist direkt von keiner Weltanschauung abhängig.

Wenn sich aber der gläubige Forscher in einigen wenigen Fragen an seinem Glauben orientiert; wenn er bei seinen Forschungen über die Geschichte der christlichen Religion und Kirche voraussetzt, daß Wunder und Eingriffe Gottes nicht unmöglich sind, weil das Gegenteil gegen seinen Glauben verstößt, aber auch gegen seine gesunde Vernunft; wenn er sich bei seinem Nachdenken über die letzten Ursachen aller Dinge von dem Gedanken beeinflussen läßt, daß der Atheismus falsch, zumindest ganz unbewiesen ist - denn daß es einen Gott gibt, bezeugt ihm sein Glaube, aber auch seine Vernunft - so liegen hierin keineswegs unzulässige Voraussetzungen. Auch der Naturforscher setzt sichere Ergebnisse der Wissenschaft als wahr voraus und hütet sich mit ihnen in Konflikt zu kommen; und gelangt er zu anderen Resultaten, so korrigiert er sich. Kommt der Mathematiker zu Ergebnissen, die mit anderen Resultaten in Widerspruch stehen, so schließt er daraus, daß er sich verrechnet hat. Warum kann sich also nicht auch der gläubige Christ hie und da an seinen für ihn sicheren Glaubenswahrheiten orientieren, ohne gegen den Geist wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit zu verstoßen?

Oder darf er es nicht, weil das eben religiöse Wahrheiten sind, verbürgt durch eine übernatürliche Autorität? Nun viele derselben stehen auch durch das Zeugnis der Vernunft fest. Die eben erwähnten Beispiele zeigen es. Aber es fragt sich nicht, wie eine Wahrheit verbürgt ist, sondern es Wahrheit ist oder nicht. Steht es dem Forscher fest, daß etwas unzweifelhaft wahr ist, so schuldet er es dem Geist der Wahrhaftigkeit sie anzunehmen. Dabei wird er seiner wissenschaftlichen Methode in keiner Weise untreu; die Glaubenswahrheiten sind ihm ja keine Beweisquelle für profanwissenschaftliche Ergebnisse, sondern nur Winke, die ihn aufmerksam machen, daß gewisse Hypothesen unbewiesen, ja falsch sind.

Noch weniger ist er als Katholik in historischen Fragen verpflichtet, alles zu verteidigen und zu loben, was seiner Kirche zustatten kommt, ob es wahr ist oder nicht. Es ist also ein grobes Mißverständnis, wenn MOMMSEN in seinem erwähnten Protestschreiben meint: "Die Berufung eines Historikers oder eines Philosophen, welcher katholisch sein muß oder protestantisch sein muß, und welcher dieser seiner Konfession dienstbar sein muß, heißt doch nichts anderes, als dem protestantischen Historiker verbieten, das gewaltige Geisteswerk des Papsttums in volles Licht zu setzen, dem Katholischen die tiefen Gedanken und die ungeheure Bedeutung des Ketzertums und des Protestantismus zu würdigen", es heißt, "Verleitung zur Sünde wider den heiligen Geist." Der Katholik ist nur zur Wahrheit verpflichtet.

Oder sind etwa die christlichen Glaubenswahrheiten bedauerliche Irrtümer, mithin Voraussetzungen, die eben nicht gemacht werden dürfen? Man möge es also zeigen. Bisher ist es noch nicht gelungen. Solange man aber dem gläubigen Christen seinen Glauben nicht überzeugend widerlegen kann, solange hat er das Recht, im Namen der Wahrheit daran festzuhalten.

Oder können wir vielleicht überhaupt von religiösen Dingen keine verstandesmäßige Gewißheit haben? Sind das alles unbeweisbare Dinge eines unkontrollierbaren Gefühls? Das ist freilich sehr oft die stillschweigende oder ausgesprochene Unterschiebung, die man macht. Wäre das wahr, dann könnten allerdings Glaubenspflicht und wahre Voraussetzungslosigkeit nicht zusammen bestehen. Man wäre ja verpflichtet, Dinge als gegebene Wahrheit bleibend festzuhalten, von denen man nicht überzeugt sein kann. Aber das ist eben wieder nur eine unbewiesene Annahme, jenes Doppelwesen von Subjektivismus und Agnostizismus, jene Grundvoraussetzung der liberalen Freiheit der Wissenschaft, die wir früher bereits genügend beleuchtet haben. -

Indessen stellen wir uns wieder auf den Standpunkt jener, die sich von der Wahrheit des christlichen dogmatischen Glaubens und der katholischen Kirche nicht persönlich überzeugt fühlen. Aber der Katholik ist davon fest überzeugt; gegebenfalls würde er für diese Überzeugung Opfer bringen. Millionen haben sie gebracht. Wird man ihm verbieten wollen, nach seiner Überzeugung zu denken und zu urteilen? Wird man ihn zwingen wollen, gegen seine eigene Überzeugung zu denken, deshalb, weil man selbst anderer Meinung ist als er? Hieße das nicht in der Tat "Verleitung zur Sünde wider den heiligen Geist"? Wenn sich der Jurist oder Historiker die Überzeugung gebildet hat, daß in den geschichtlichen Fragen über das Römische Recht MOMMSEN eine Autorität ist, der man sich ruhig anschließen kann, und wenn er dann dieses tut, ohne die einzelnen Punkte nachzuprüfen, wird man darin einen Verstoß gegen die Voraussetzungslosigkeit erblicken? Wenn also der Katholik die Gewißheit hat, daß er der Offenbarung und der Kirche sicher vertrauen darf - und es gibt ja auch rein natürlich betrachtet keine Autorität auf der Erde, die ehrwürdiger dastände als sie - wird man ihm allein geistige Blindheit und Unfreiheit vorwerfen?

Oder soll vielleicht der Forscher überhaupt keine Weltanschauung haben, weil sie ihn in bestimmter Richtung beeinflussen könnte? Die Wortführer dieser Forderung werden es von sich selbst nicht zugeben, daß sie keine bestimmte Weltanschauung haben. O nein. Wir wissen sehr genau, daß gerade jene, welche am lautesten die voraussetzungslose Forschung betonen, eine sehr ausgesprochene Weltanschauung besitzen, auch für dieselbe sehr entschlossen Propaganda machen. Und doch hat man nichts dagegen, daß ein Mann der Wissenschaft Monist ist oder von einem Agnostizismus ausgeht. Nur eine Weltanschauung, die positive religiöse, scheint man ausschließen zu wollen. Doch auch diese nicht ganz. Man findet nicht, daß der Jude, der an seiner Religion festhält, für wissenschaftliche Forschung unfähig ist. Nein, gewiß nicht. Auch die protestantischen Konfessionen finden Gnade; an manchen deutschen Universitäten soll es sogar Statut sein, daß nur Protestanten Professoren werden dürfen. Weder MOMMSEN noch andere Rufer für Voraussetzungslosigkeit finden für nötig, dieselbe gegen diese Einrichtungen und Gepflogenheiten zu schützen. Sprechen wir es also offen aus, was mit dem Schlagwort der voraussetzungslosen Wissenschaft in letzter Linie gemeint ist: Der Mann der Wissenschaft darf alles sein, Skeptiker und Atheist, Heide und Hottentott - nur kein gläubiger Katholik. Ist das Billigkeit? Ist das jener Geist der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, von dem man sich ganz erfüllt zeigt?

Das Poltern mit der Voraussetzungslosigkeit ist das Werk der Halbheit und der Unehrlichkeit. Die verschiedensten Voraussetzungen, die mit Wissenschaft und Wahrheitsstreben nichts zu tun haben, läßt man unbehelligt passieren; nur sobald sich die christliche und katholische Glaubensüberzeugung anmeldet, die sich auf göttliche Autorität stützt, da verwandelt sich die Toleranz in Zetern und Schelten; erregt läßt man die Schlagbäume fallen und versperrt den Eingang in die Wissenschaft.

Es kommen die Philosophen. Jeder philosophiert nach seiner individuellenArt; FICHTE sagt es: Was für Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist. Man läßt sie passieren. Es kommen die Historiker. Von TREITSCHKE wird das Wort erzählt: "Wenn ich nicht die Geschichte von meinem Standpunt aus erzählen und frischweg beurteilen darf, so will ich lieber Seifensieder werden." Nach glaubhafter Mitteilung pflegte GIESEBRECHT, der gefeierte Historiograph der deutschen Kaiserzeit, seine Vorträge in München mit den Worten einzuleiten: "Ich bin Preuße und Protestant; danach werde ich vortragen." (3) Man hat auch dagegen nichts im Namen der Voraussetzungslosigkeit einzuwenden. "Dem Heuchler und Plagiator", sagt HARNACK, "reißt die Wissenschaft die Maske ab und wirft ihn aus dem Tempel, aber auch die sonderbarsten Voraussetzungen muß sie passieren lassen, wenn sie ihr als Überzeugungen entgegentreten und wenn die, welche sie hegen, sie mit wissenschaftlichen Mitteln darzulegen streben." Also die Überzeugungen oder, um mit den Worten HARNACKs zu sprechen, die "Vorurteile" des Katholiken, "verdienen doch wahrlich so viel Schonung und Geduld wie die Velleitäten [Willkürlichkeiten - wp] Idiosynkrasien [Abneigungen - wp] und blinden Dogmen, die wir sonst ertragen und im Kampf der Geister widerlegen müssen!" (4) "Gebundene Wissenschaft", gesteht derselbe Gewährsmann, "hat es zu allen Zeiten gegeben - unsere Nachkommen werden finden, daß auch die heutige Wissenschaft vielfach nicht durch die reine Erfahrung gebunden ist." (5)

Was soll man erst sagen von jenen schlimmeren Voraussetzungen, unbewiesen und unbeweisbar, welche überall die moderne Wissenschaft leiten, wo sie mit philosophisch-religiösen Fragen zusammentrifft - jener echt dogmatischen Ablehnung alles Überweltlichen und Jenseitigen, jener hartnäckigen Ignorierung eines persönlichen Gottes, jener Abweisung jedes Schöpfungsaktes, jedes Wunders, jeder Offenbarung; einer Voraussetzung, die geradezu zum wissenschaftlichen Prinzip erhoben wird? Man nennt es Prinzip der geschlossenen Naturkausalität. Wir werden später einen Rundgang durch manche hierher gehörige Wissensgebiete machen und klar nachweisen, wie diese Voraussetzung ganzen Wissenszweigen ihr Gepräge gibt. Jene feierlichen Versicherungen, daß man mit unentwegter Selbstlosigkeit nur die Wahrheit sucht, jene Zuversicht, mit der man Wahrheitssinn für sich allein als Monopol in Anspruch nimmt, - sie werden in einem ganz eigentümlichen Licht erscheinen, im Zwitterlich der Unehrlichkeit, wenn wir die Akten dieser liberalen Wissenschaft selbst revidieren werden. Mehr als zur Genüge werden wir sehen, wie wahr das Selbstgeständnis eines modernen Vorkämpfers der liberalen Wissenschaft ist: "Es ist bei einem früheren Anlaß das Wort von der voraussetzungslosen Forschung geprägt worden. Ich liebe das Wort nicht, weiles ein Geschöpf jener Halbheit ist, welche dem freien Gedanken in seinem Kampf gegen die Mächte der Vergangenheit schon so viel geschadet hat - weil es nicht ganz ehrlich ist. Keiner von uns geht voraussetzungslos an die Arbeit." (6) - Hier sei nur noch eine Frage berührt.



Glaubenspflicht und
wissenschaftliche Prüfung

Darf denn der gläubige Christ seine Glaubenslehren, die er unbezweifelt für wahr halten muß, nicht auch selbst zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Prüfung machen? Das muß ihm doch wohl gestattet sein, wenn er sich eine wissenschaftliche Überzeugung von denselben bilden soll. - Ohne Zweifel, ja. Alles bis zu den letzten Fundamenten kann er prüfend untersuchen, selbst die Existenz Gottes und die Erkenntnisfähigkeit seines Geistes. - Aber, wie kann er das, wenn er nicht daran zweifeln darf? Prüfen heißt doch zweifelnd forschen, heißt das, was geprüft wird, in Frage stellen. - Auch das ist richtig. Es ist einerseits Lehre der katholischen Kirche, daß jene, "die unter dem Lehramt der Kirche den Glauben angenommen haben", d. h. die durch einen geordneten Religionsunterricht mit dem wesentlichen Inhalt der Glaubenslehre und den Motiven ihrer Glaubwürdigkeit vertraut gemacht wurden, an ihrem Glauben nicht mehr zweifeln dürfen. Sie haben keinen vernünftigen Grund zu zweifeln, weil sie über die Wahrheiten ihres Glaubens Gewißheit besitzen. Wir haben diesen Punkt erörtert. (7)

Selbstreden sind nur freiwillige Zweifel ausgeschlossen, d. h. solche, bei denen man mit überlegtem Willen dem Urteil beistimmt, daß vielleicht doch nicht alles, was zum Glaubensinhalt gehört, wahr sein dürfte. Unfreiwillige Zweifel sind weder ausgeschlossen noch schuldbar. Es sind das scheinbare Gegengründe, Einwände, Schwierigkeiten gegen den Glauben, die dem Geist aufstoßen ohne daß er sie mit Überlegung approbiert. Sie sind nicht ausgeschlossen, weil die Erkenntnis der Glaubwürdigkeit der christlichen Wahrheiten wohl gewiß, aber nicht von jener anschaulichen Klarheit ist, daß Dunkelheiten und scheinbare Gegengründe unmöglich gemacht werden; die Glaubenszustimmung bleibt eben frei. Solche "Glaubenszweifel" können den Geist belästigen und wie zudringliche Insekten herumschwirren, aber sie sind schuldlos, weil sie ja die Glaubenszustimmung nicht aufheben, ebensowenig als Wolken die Sonne auslöschen, an der sie vorüberziehen. Erst im Augenblick, wo der Wille mit klarer Überlegung das Urteil approbiert, daß sie doch wohl auf Richtigkeit beruhen dürften, wird die Glaubenszustimmung aufgegeben.

Doch wie, wenn es Zweifel sind, die man nicht lösen kann? Ist man es dann nicht der Wahrheit und Redlichkeit schuldig, mit seinem Glauben bis auf weiteres zurückzuhalten?

Die Antwort liegt in der Unterscheidung einer zweifachen Lösung von Schwierigkeiten. Es ist durchaus nicht notwendig, ja auch nicht möglich, alle Einwände direkt, in sich zu lösen; es genügt, daß sie indirekt gelöst, d. h. deshalb als nichtig erkannt werden, weil der Glaube gewiß ist und deshalb alles Entgegengesetzte falsch sein muß. Ist jemand aufgrund sicherer Beweise von der Unschuld eines Angeklagten überzeugt, so mögen noch so viele Indizienbeweise gegen ihn zeugen, sie werden ihn in seiner Gewißheit nicht erschüttern. Er kann vielleicht keinen direkten Aufschluß geben, wie dieses und jenes merkwürdige Zusammentreffen von Umständen zu erklären ist; aber für ihn sind die Gegengründe indirekt widerlegt, weil ihm eben die Unschuld eine sichere Tatsache ist. So hört vielleicht auch der gläubige Christ, wie man im Brustton wissenschaftlicher Überzeugung das Wunder als Unmöglichkeit bezeichnet, weil es eine Korrektur Gottes an seinem eigenen Werk, ein Widerspruch mit sich selbst, vielleicht auch ein Vorstoß gegen das Gesetz der Erhaltung der Energie ist. Er hört von Schrecknissen der Kirchengeschichte, von Inquisition und Kulturfeindlichkeit der Kirche. Er weiß nichts zu sagen. Aber das weiß er, daß es doch eine Antwort geben muß, weil er weiß, von der treuen Gnade erleuchtet, daß sein Glaube nicht falsch sein kann.

Nirgends verlangt man zu einer sicheren Überzeugung, daß alle denkbaren Einwände direkt gelöst werden müssen. Wenn ich mit aller Welt überzeugt bin, daß ich die Wahrheit erkennen kann, muß ich noch alle Spinnfäden sorgsam auflösen, die je ein grübelndes Philosophenhirn dagegen ausgesponnen hat? Wenn ich in meinem Haus sicher gegen Regen bin, muß ich dann noch, um nicht durchnäßt zu werden, hinausgehen, um alle Regentropfen aufzufangen? Allerdings solche "Zweifel" können den ungeschulten Geist hart bedrängen, auch verwirren. Hier ist der Punt, wo die Gnade, deren Unterpfand man in der Taufe empfangen hat, durch Erleuchtung, Beruhigung, Heilung ihre Rolle spielt; wo man an sich und anderen erfahren kann, daß eben der Glaube auch eine Gnade ist.


Trotzdem ist eine wissenschaftliche Prüfung der Grundlagen und Wahrheiten des Glaubens erlaubt und gut. Fast alle theologischen und philosophischen Werke, die seit den Tagen eines JUSTINUS und AUGUSTINUS von katholischer Feder geschrieben worden sind, sind nichts als Untersuchungen dieser Art. Bei jeder Prüfung aber geht man zweifelnd und fragend voran. Das ist alles wahr. Nur darf dieser Zweifel lediglich ein methodischer, er darf kein ernsthafter sein und er braucht es nicht zu sein.

Man muß sehr wohl einen doppelten Zweifel unterscheiden. Beim ernsten Zweifel betrachte ich die Sache, die untersucht werden soll, in allem Ernst als zweifelhaft und halte mit meiner Zustimmung zurück; ich habe noch keine Überzeugung von ihrer Wahrheit. Ein solcher Zweifel, und er allein, ist Glaubenswahrheiten gegenüber unstatthaft. Beim methodischen Zweifel gehe ich so voran, als ob die Sache noch unentschieden und erst zu erhärten wäre; ich bin zwar überzeugt von der Wahrheit, aber der Gründe für dieselben bin ich mir noch nicht deutlich bewußt und ich möchte sie mir zu einem klaren Bewußtsein bringen. Dazu ist offenbar nicht nötig, daß ich nun meine bisherige Überzeugung wegwerfe und ernsthaft zu meinen anfange, die Sache sei noch keineswegs ausgemacht.

Ich bin z. B. fest überzeugt, daß eine komplizierte Ordnung nur das Werk eines Verstandes sein kann; doch ich möchte den Beweis dafür finden. Ich gehe also so voran, als ob die Wahrheit erst gefunden werden müßte. Es wäre aber offenbar eine Torheit, wollte ich unterdessen ernsthaft meinen eine wundervolle Ordnung kann auch das Produkt eines blinden Zufalls sein. Ich bin auch überzeugt, daß jedes neue Geschehnis eine Ursache haben muß. Ich will den Beweis dafür finden. Werde ich unterdessen meinen, daß vielleicht doch plötzlich eine zweite nova Persei am Himmel ohne jede Ursache entstehen könnte? Oder soll ich vielleicht, wenn ich zu untersuchen beginne, ob ich die Wahrheit zu erkennen fähig bin, unterdessen ernsthaft Skeptiker werden? Sobald ich wirklich zweifle, ob ich überhaupt etwas Wahres zu erkennen vermag, kann ich ja keinen Schritt mehr tun. KANT beginnt mit diesem Zweifel seine "Kritik der reinen Vernunft" und viele tun es ihm nach; aber nur durch offenbare Inkonsequenz können sie dann mit derselben Vernunft ihre Untersuchungen fortsetzen. Die wissenschaftliche Untersuchung besteht nicht darin, daß man die Gewißheit, die man hatte, aufgibt, um sie von Neuem zu konstruieren, sondern daß man sich die Gründe dafür zu deutlichem Bewußtsein bringt und sie genau zu formulieren sucht. Zur Untersuchung des Lichts ist es offenbar nicht notwendig, daß man es vorher auslöscht.

Der gläubige Christ kann also unbeschadet seines Festhaltens die religiösen Überzeugungen der strengsten Prüfung unterziehen und so in vollem Sinn voraussetzungslos vorgehen. Voraussetzungslosigkeit heißt eben nicht alle Gewißheit aus sich herausreißen. An der Schwelle der Weisheit sitzt nicht die Törin des Skeptizismus.


Was die
Voraussetzungslosigkeit nicht ist

Aber gerade das ist der tiefere Sinn der modernen Voraussetzungslosigkeit, das Recht, alles ernsthaft bezweifeln zu dürfen, besonders die Wahrheiten des christlichen Glaubens; dies ist die Freiheit, die man fordert. Der Skeptizismus, die Signatur unserer Zeit.

Manches Mißverständnis mag dazu beigetragen haben, diese Voraussetzungslosigkeit zu konstruieren. So das Übersehen des wichtigen Unterschieds zwischen methodischem und ernstem Zweifel.

Ein anderes ist die irrtümliche Meinung, man könne und solle überall so vorgehen wie in den Naturwissenschaften. Mit dem Fortschritt der letzteren ging teilweise parallel der Zweifel an der Richtigkeit des alten physikalisch-astronomischen Weltbildes; Stück für Stück zerfiel unter der Hand der Forschung, Neues, Wahreres wurde gefunden. In gerechter Bewunderung dieser Resultate folgert man nun: Also auf allen Gebieten des menschlichen Erkennens muß nun ähnich "geforscht" werden, auch in Religion und Weltanschauung. Auch hier muß es Sache der Wissenschaft sein, zuvor alles radikal in Zweifel zu ziehen und die Wahrheit zu entdecken. Als ob hier ähnlich, wie es vor Jahrhunderten in pyhysikalischen und astronomischen Dingen der Fall war, die ganze Menschheit die Wahrheit noch nicht besessen hätte, diese vielmehr erst durch die Forschung zu entdecken wäre.

Besonders wird dieses Recht des Zweifels den höheren Fragen der Religion gegenüber in Anspruch genommen. Hier kann es ohnehin, so lautet wieder die Voraussetzung, keine sichere Verstandeserkenntnis geben, hier also vor allem hat der Mensch das Recht und die Pflicht, sobald er zur geistigen Reife gelangt ist, durch Zweifel hindurch seine Weltanschauung, die ihm Geist und Herz befriedigen kann, sich zu bilden, zu erkämpfen; so der Einzelne, so ganze Zeiten. Nur überall Probleme sehen, keine Überzeugung haben, das ist die wahre Voraussetzungslosigkeit.

"Die Menschen müssen lernen", so wird uns gesagt, "daß es auch auf dem Gebiet des religiösen Lebens kein absolutes Wunder gibt, das an einem Punkt oder in einer Institution die Wahrheit übermenschlich darbietet, sondern daß jeder Mensch und jedes Zeitalter die Wahrheit bei aller Anlehnung an die Mächte der Geschichte doch sich selbst erobern muß, auf eigene Rechnung und Gefahr." (8) Also den Durst nach sicherer Wahrheit kann der Menschengeist nicht am gottgespeisten Born einer Offenbarung stillen; nein nur forschen und immer wieder von Neuem forschen, das ist die frohe Botschaft dieser Wissenschaft. "Unter schweren Krisen", so werden wir wieder belehrt, "setzte sich seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts ein neuer Begriff von Wissenschaft durch und unterwarf sich die Universitäten: Wissenschaft ist nicht abgeschlossene Lehre, sondern stets zu kontrollierende Forschung." (9) Forschen, ohne je zu einem sicheren Besitz der Wahrheit zu kommen, das ist nun der Sinn der Wissenschaft, speziell der Philosophie "Damit ist gegeben, daß es keine abgeschlossene und unveränderliche Philosophie geben kann, daß sie jeder Zeit bereit sein muß, jeden Punkt, der festgestellt schien, an den neuen Einsichten einer Revision zu unterziehen." "Es gibt keine Frage, die nicht gestellt, keine Frage, die nicht ansich ebensogut verneint als bejaht werden dürfte. In diesem Sinn ist die Philosophie voraussetzungslos." (10) Die höchste Leistung, zu der sie sich befähigt erklärt, ist nicht, ihren Jüngern die Wahrheit zu zeigen; sie weiß sie ja nicht: sondern: "Das erwarten wir oder sollten es doch erwarten dürfen, daß während der Studienjahre das Nachdenken auf die letzten Fragen eingestellt worden ist, daß eine ernsthafte Beschäftigung mit der Philosophie, ein wirkliches Ringen um feste Grundgedanken stattgefunden hat." Die "erste Aufgabe des Unterrichts in der Philosophie wird sein, zum Denken zu erregen und in das Verständnis der großen Meister einzuführen." Denn "die großen Pfadfinder der Weltgedanken, PLATO, ARISTOTELES, SPINOZA, KANT und wer neben ihnen eine Stellung behaupten mag, die bleiben die lebendigen Lehrer der Philosophie." (11) Also PLATOs Ideen- und Gotteslehre und SPINOZAs atheistischer Pantheismus, aristotelischer Objektivismus und kantischer Subjektivismus und was noch daneben ist, Weltgedanken verschiedenster Fasson, alle sich gegenseitig widersprechend und ausschließend, alle zweifelhaft und keiner sicher - das ist die große Erkenntnisleistung. Was wird man von einer Astronomie sagen, die nichts anderes zu tun weiß als ihren Jüngern das Fernrohr einzustellen auf die Sterne hin, mit der Ermunterung: Nun sucht euch, was ihr wollt, Gedanken von PTOLEMAEUS oder KOPERNIKUS, aristotelische Sphärentheorie oder newtonsche Gravitationslehre; für alles läßt sich etwas sagen, von keinem aber, daß es wahr ist? Man würde sie wohl ihrem Schicksal überlassen.

In den wichtigsten Punkten der Religion hat die Menschheit von jeher, auch zur Zeit des Heidentums, die Wahrheit erkannt, wenn auch unvollkommen; die allgemeine Überzeugung vom Dasein eines persönlichen Gottes und eines Jenseits, Überzeugungen, die sich historisch nachweisen lassen, sie zeigen es. Gottes Offenbarung hat dafür gesorgt, daß wir uns jetzt, alle, die glauben wollen, eines volleren Besitzes der Wahrheit erfreuen zu können; und Himmel und Erde werden vergehen, diese Worte aber werden nicht vergehen. Was aber bereits als sichere Wahrheit besessen wird, das kann nicht mehr erst durch Forschung entdeckt weren. Was gefunden ist, ist nicht mehr Gegenstand der Forschung. Traurig wäre es um die Menschheit bestellt, wenn diese voraussetzungslose Wissenschaft recht hätte; wenn sie in den wichtigsten Fragen des Lebens ewig zum quälenden Zweifel verurteilt wäre. Gottes Vorsehung hat gütiger gegen die Menschheit gewaltet.

Traurig ist es im Gegenteil um eine Wissenschaft bestellt, die nichts anderes zu bieten vermag, als ein ewiges Suchen nach der Wahrheit. Eine Wissenschaft, die oft mit so viel Selbstbewußtsein auftritt, dem Menschen Aufklärung und alles verspricht und zuletzt nichts geben kann, als einen ruhelosen Zweifel statt Wahrheit, quälende Finsternis statt erfreuenden Lichtes. Wozu dann noch die Forschung, wenn keine Wahrheit gefunden werden kann? Wozu das spähende Auge zum Himmel erheben, wenn sich nirgends Sterne zeigen? Und wo soll dann der Fortschritt sein, wenn die Wissenschaft immer nur an den Fundamenten rütteln muß? Kein Geringerer als der große AUGUSTINUS hat dieser Art von Wissenschaft bereits das Urteil gesprochen:
    "Ein solches Zweifeln verabscheut der Gottesstaat als Aberwitz, weil es von den Dingen, die wir durch Geist und Vernunft erfassen, ein Wissen gibt, das zwar beschränkt ist - wegen des die Seele niederziehenden vergänglichen Leibes, wie der Apostel sagt: Ex parte scimus - das aber volle Sicherheit hat." (12)


Eine irrige Voraussetzung

Dem eben besprochenen Irrtum, daß die wissenschaftliche Forschung den ernsten Zweifel an allem verlangt, liegt eine Voraussetzung zugrunde, die oft ausdrücklich als Prinzip aufgestellt wird, auch dem philosophisch Ungeschulten leicht plausibel erscheinen muß. Sie lautet: Es gibt nur eine Gewißheit, die wissenschaftliche; nur wissenschaftliche Forschung kann den sicheren Besitz der Wahrheit geben. Den Irrtum aus der Welt zu schaffen, so hören wir, "dazu gibt es nun einmal nur eine Weise, nämlich die wissenschaftliche Arbeit. Nur die Wissenschaft und die wissenschaftliche Wahrheit können den Irrtum beseitigen"; (13) "Wahrheit ist die wissenschaftliche Wahrheit, durch Kritik begründet; deshalb muß auch die Religion des modernen Menschen auf der kritischen Wahrheit beruhen ... Es gibt keine andere Autorität als die Wissenschaft." (14)

So hören wir es von vielen Kathedern herab, so hören wir es in anderer Form in den Schlagwörtern von Bildung und Aufklärung: was nicht Wissenschaft oder doch Bildung hat, gehört mehr oder weniger zu der gedankenlosen Masse, die keine eigene Überzeugung besitzt, sondern sich blind von Eindrücken und Autoritäten leiten läßt.

Man trifft solche ungeklärte Begriffe und ihre Folgerungen auch dort, wo man sie nicht erwarten sollte. So wenn man liest: "Was dem Durchschnitssmenschen nottat, war ein guter Hirte, war Hingebung und Hirtenliebe, die aufwärts hebt und aufwärts nötigt, war Autorität, Kirchentum, Lehrgewalt, Seelsorge. Die Kirche ist die organisierte Aufgabe des Hirtenamtes: denn der Durchschnittsmensch ist ein Herdentier. Auserwählte sind es, welche die große Wahrheitsfrage in sich als ihre Herzenssorge und Lebensaufgabe empfinden, deren furchtbare Spannungen erleben und deren Geisteskämpfe im Inneren auszuringen haben ... Der Durchschnittsmensch, d. h. die Vielen, Allzuvielen ... brauchen etwas Festes - an dem sie sich halten, Personen und Lehrer, Gesetze und Übungen." Und warum diese lieblose Scheidung zwischen Herdenmenschen und Auserwählten, daß die Kirche und ihr Lehramt fast nur für jene bestimmt zu sein scheinen? Besonders deshalb: "Ohne eine planmäßige wissenschaftliche Arbeit gibt es für den Menschen keinen Wahrheitsbesitz." (15)

So darf nun die Wissenschaft alles vor ihr Forum ziehen, niemand hat ihr etwas zu sagen; mit der Überlegenheit des Rechts auf Alleinherrschaft kann sie alles auf die Seite schieben, was ihr von außen geboten wird, von welcher Autorität auch immer. Deshalb muß sie nun auch die Freiheit besitzen, an allem zu rütteln, nichts für wahr halten zu dürfen, was sie nicht selbst geprüft und gebilligt hat. Eine fundamentale Voraussetzung der modernen Freiheit der Wissenschaft. Aber auch ein verhängnisvoller Irrtum, der zwar sehr anspruchsvoll auftritt, allein eine sehr große Unkenntnis der Eigenart des menschlichen Geistes verrät. In den meisten Dingen, gerade auch in den philosophisch-religiösen Überzeugungen haben wir gewöhnlich eine wahre Gewißheit, die nicht durch wissenschaftliche Studien erworben ist, die wir durch dieselben klären und befestigen können, die wir aber umzustoßen nicht die Freiheit haben.

Wir können nicht vermeiden, auf diesen Punkt etwas näher einzugehen.

Es gibt eine zweifache Gewißheit. Die eine, wir wollen sie die natürliche nennen, ist eine feste Überzeugung, gestützt auf sichere Erkenntnis, doch so, daß man kein deutliches reflexives Bewußtsein von den Gründen hat, auf welche sich die Überzeugung tatsächlich stützt. Der Verstand erkennt diese Gründe aber diese Erkenntnis ist nicht so deutlich, daß er sich derselben klar bewußt würde, sie genau wiedergeben und in eine wissenschaftliche Form bringen könnte. Die wissenschaftliche Gewißheit ist eine feste Überzeugung, bei der dieses deutliche Bewußtsein der Gründe vorhanden ist; deshalb kann man leicht darüber Rechenschaft geben. Die natürliche Gewißheit ist im menschlichen Leben die gewöhnliche, die wissenschaftliche ist das Privilegium weniger und auch diese haben sie nur in sehr wenigen Dingen.

Einige Beispiele mögen die Sache beleuchten. WITTSTEIN erzählt folgende Erfahrung: "Ich ließ ein Buch drucken und fand mich veranlaßt, die mir übergebene Probekolumne um zwei Zeilen nach unten zu verlängern. Als ich das Blatt neugesetzt aus der Druckerei zurückerhielt, war der Satz auch breiter geworen. Auf meine Anfrage, warum das geschehen ist, antwortete mir der Drucker: Es hat nicht schön ausgesehen. Die Nachmessung ergab genau den goldenen Schnitt." (16) Der Künstler hatte also die Schönheit der Form durchschaut, ohne sich des Grundes bewußt zu werden. So macht auch FECHNER aufmerksam, man bruache nur die Büchereinbände, Schreib- und Briefpapierbogen, Billets, Brieftaschen, auch Ziegelsteine anzusehen, um sofort das Verhältnis des goldenen Schnittes mehr oder weniger zu entdecken. Man hat also allgemein die sichere und richtige Überzeugung, daß diese Formen schön und schöner als andere sind. Aber die Wenigsten wissen, warum. Noch weniger können sie sagen, was Schönheit im Allgemeinen ist, und doch finden sie dieselbe. Eine genauere wissenschaftliche Reflexion wird sich bewußt, daß im goldenen Schnitt das Moment der Ordnung besonders hervortritt. Will sie aber weiter dringen und sich deutlich bewußt werden, was denn im Allgemeinen jenes ist, das der Geist immer als Schönheit bezeichnet, so wird man bald gewahr, wie schwierig solche Reflexionen und Begriffsanalysen für den menschlichen Geist sind und wie leicht er hier das Richtige verfehlt. Die zahllosen sich widersprechenden Begriffsbestimmungen der Schönheit zeigen es.

Jeder hat ferner eine wahre Verstandesgewißheit darüber, daß eine komplizierte Ordnung nicht durch Zufall entstehen kann und daß jedes Geschehnis eine Ursache haben muß. Aber nicht jeder wird diese Überzeugung schlagfertig beweisen können. Sucht aber der Philosoph den Beweis, so tut er das nur dadurch, daß er auf seine natürliche, direkte Erkentnis reflektiert und sich dessen bewußt zu werden sucht, was er so direkt erkannt hatte. Alle sind, um noch einige Beispiele anzuführen, von der Existenz der Außenwelt überzeugt und wer kein Idealist ist, wird diese Überzeugung eine verstandesmäßige Gewißheit nennen. Und doch werden wenige die grübelnden Fragen eines Skeptikers beantworten können. Die Sicherheit ist wieder eine natürliche, aber keine wissenschaftliche. Wie schwer auch hier der Verstand zur wissenschaftlichen Gewißheit kommt, wie leicht er in diesen Forschungen fehlgeht, zeigen die für den urwüchsigen Naturverstand so unbegreiflichen Irrtümer des Idealismus. Ich frage endlich jemand: Warum muß ich wohl sagen: Cäsar besiegte "den" Pompejus und nicht "des Pompejus? Er wird mir sagen, weil dies eine Torheit ist, vielleicht auch, daß der Genitiv doch eine andere Bedeutung hat. Frage ich aber weiter, wie sich denn also die Bedeutung des Genitiv von der des Akkusativ unterscheidet - beiden Fällen scheinen wohl ziemlich einheitliche Bedeutungen zuzukommen - so erhalte ich keine Antwort mehr. Eine Sicherheit war da, aber nur eine natürliche. Schaue ich mich dann bei modernen Sprachpsychologen oder Sprachhistorikern um, heißen sie nun WUNDT oder PAUL oder anders, so finde ich auch nichts von einer befriedigenden Antwort. Die ganze Logik der Sprache mit ihren feinen Formen und Wendungen, wie schwierig für wissenschaftliches Forschen! Und doch durchschaut sie der Geist, auch das Kind schon, und nicht nur das Kind des Europäers, auch das des Feuerländers und Australnegers, das mit seiner geistigen Kraft reichgegliederte Sprachen mit vier Numeri, vielen Modi, vierzehn Tempora usw. beherrschen kann.

Doch genug der Beispiel, mit denen sich Bücher füllen ließen. Sie zeigen uns klar eine doppelte Gewißheit. Die natürliche ist nicht dadurch von der wissenschaftlichen unterschieden, daß sie eine blinde Überzeugung auf gut Glück ist, sondern nur dadurch, daß man sich der erkannten Gründe nicht deutlich bewußt ist, während das bei der wissenschaftlichen der Fall ist. Wir sehen auch: die urwüchsige Kraft des Geistes betätigt sich vor allem in der direkten, natürlichen Erkenntnis und Sicherheit; dafür ist er zunächst gemacht. Philosophische Reflexionen sind für ihn schwer und viele haben gar kein Talent dafür. Bei der direkten Erkenntnis geht er auch in den Dingen, welche zum menschlichen Leben gehören, sicher. Hier ist er frei von jener krankhaften Zweifelsucht, der er so leicht anheimfällt, wenn er wissenschaftlich zu forschen und zu grübeln beginnt. Was er dort sicher schaute, kann er hier nicht immer deutlich finden und so fängt er an, Dinge zu bezweifeln, die ihm bisher sicher waren und oft auch gegen sein künstliches Zweifeln instinktartig sicher bleiben. So verstehen wir auch die Tatsache, daß so oft bei Philosophen Zweifel herrschen, die dem urwüchsigen Verstand als Torheit erscheinen, und daß hier eine Zerfahrenheit der Meinungen in den wichtigsten Dingen zu finden ist, während die Menschheit, von ihrer natürlichen Gewißheit geleitet, Übereinstimmung aufweist.


Diese Gewißheit ist berufen, eine verläßliche Führerin des Menschen durch das Leben zu sein. Sie geht der Wissenschaft voraus und kann auch ohne sie sein. Lange noch, bevor es Kunst- und Rechtswissenschaft gab, haben die Babylonier und Ägypter ihre Bauten aufgeführt, haben SOLON und LYKURG weise Gesetze gegeben. Und ehe noch Philosophen über Sittenlehren disputierten, haben die Menschen betreffs Tugend und Laster das Rechte gesehen (17). Dieselbe Gewißheit ist auch bestimmt, Führerin des Menschen in den wichtigsten Fragen, den Fragen der Religion und Sittlichkeit zu sein. Der Schöpfer der menschlichen Natur und ihres Berufes, der dem Tier seinen Instinkt gab, um es unbewußt in den Bedürfnissen seines Lebens zu leiten, hat auch dem Menschen das nötige Licht gegeben, das ihn die Wahrheiten sicher erkennen läßt, ohne die ein menschenwürdiges Leben unmöglich ist. In diesem Sinne gilt das Wort des Dichters: Der Mensch in seinem dunklen Drang ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

Eben diese natürliche Erkenntnis und Gewißheit ist es nun auch, die den Menschen über die göttliche Offenbarung gewiß macht, nachdem sie Gott der MEnschheit zur sicheren Leitung und Hilfe schenken wollte. Die Offenbarung sollte ja nicht nur für Dogmatiker, Bibelforscher, Philosophen und Kirchenhistoriker bestimmt sein, sondern für alle. Und er hat dafür gesorgt und er mußte sorgen, daß der Mensch auch ohne historisch-kritische und philosophische Untersuchungen genügend Beweise dafür hat, daß Gott gesprochen und daß die Kirche die autorisierte Trägerin dieser Offenbarung ist. Wir haben an anderer Stelle diese Beweise im Sinne des Vatikanischen Konzils kurz gezeichnet.

Es ist der siegreiche Bestand der Kirche und ihre Glaubenseinheit, es sind die unleugbaren Wunder, die in ihrem Schoß niemals aufhören, die großartigen Gestalten ihrer Heiligen und Märtyrer, die Tugend in den verschiedenen Ständen, die in dem Grade wächst, als jemand sich dem Einfluß der Kirche hingibt, das Schauspiel, daß alles wahrhaft Edle zum christlichen Glauben hingezogen und das Gegenteil abgestoßen wird. Dazu kommt die innere Größe und Harmonie der Glaubenswahrheiten, vor allem die einzigartige Gestalt Jesu Christi mit ihrem wundervollen Leben und Leiden, auch der ruhige Seelenfrieden, den das Leben und Denken in diesem Glauben in der Seele des Gläubigen wirkt; sie sagen ihm, daß hier der Geist Gottes, der Geist der Wahrheit weht. Das natürliche Licht seines Geistes, durch die Gnade noch erhellt, reicht aus, um ihm aufgrund dieser und ähnlicher Motive eine wahre Erkenntnisgewißheit von der Wahrheit seines Glaubens zu geben, auch ohne wissenschaftliche Studien. Die Ruhe des Geistes im Festhalten an diesem Glauben, die Gewissensbisse und die Unruhe, die nicht schweigen wollen, wenn man sich einmal von diesem Glauben abgewendet hat, beides so charakteristisch bei Katholiken, sie zeigen, daß ihr Geist im Glauben die Wahrheit auffaßt.

Es verrät als wenig philosophische Kenntnis von der Eigenart menschlichen Geisteslebens, wenn der Unglaube an den unerfahrenen gläubigen Akademiker, vielleicht sogar an den ungebildeten Arbeiter mit der aufdringlichen Versicherung herantritt, daß sein Glaube bisher nur ein blindes Fürwahrhalten, eine einsichtslose Führung durch eine fremde Autorität war, mit der vernehmbaren Mahnung, dem Glauben der Jugend den Rücken zu kehren.

Aus dem Oben Gesagten ist ersichtlich, warum es dem Katholiken nicht erlaubt ist, seinen Glauben 'ernsthaft als zweifelhaft' zu behandeln unter dem Vorwand, er müsse sich erst durch wissenschaftliche Forschung eine sichere Überzeugung bilden. Er hat sie bereits, genügenden Unterricht und normale Verhältnisse vorausgesetzt. Er kann diese natürliche Gewißheit, wenn er Zeit und Talent hat, durch Studien zu einer wissenschaftlichen erheben. Aber vom Gelingen seiner wissenschaftlichen Untersuchungen und Forschungen darf er die Glaubenszustimmung nicht abhängig machen. Er hat schon Gewißheit. Er hat kein Recht, wissenschaftliche Erkenntnis als notwendige Bedingung zu fordern, weil sie zur Sicherheit nicht notwendig ist und auch ganz jenseits der gewöhnlichen Verhältnisse des menschlichen Lebens liegt. Es wäre nur ein Abschütteln des Joches der Wahrheit. Das ist die Lehre der Kirche. "Wenn jemand sagt, die Gläubigen ("die unter dem Lehramt der Kirche den Glauben angenommen haben", also genügend unterrichtet sind) befänden sich in der gleichen Lage mit jenen, welche noch nicht zum allein wahren Glauben gelangt sind, so daß die Katholiken einen gerechten Grund haben könnten, den Glauben, welchen sie unter dem Lehramt der Kirche bereits angenommen haben, so lange mit einstweiliger Zurückhaltung ihrer Zustimmung in Zweifel zu ziehen, bis sie den wissenschaftlichen Beweis der Glaubwürdigkeit und der Wahrheit ihres Glaubens würden zu Ende geführt haben: so sei er im Bann." So ist das Vatikanum.


Wie hoch steht diese Weisheit über den beschränkten Gedanken einer sich allein weise dünkenden Wissenschaft! Wahrlich, traurig wäre es um die Menschheit bestellt, wenn nur langwierige wissenschaftliche Untersuchungen ihr die sichere Wahrheit in den wichtigsten Fragen des Lebens vermitteln könnten. Der überwiegende Großteil der Menschheit wäre für immer von der sicheren Erkenntnis, daß es einen Gott, daß es eine Ewigkeit, Freiheit, daß es unveränderliche Sittengesetze gibt, Wahrheiten, von denen der Wert, Wehe und Glück des Menschen abhängen, ausgeschlossen.

Man betrachte doch die Weisheit, die man uns vorlegt: "Um aber auch nur hierüber (über das Dasein Gottes und die Möglichkeit der Wunder) durch eigenes philosophisches Nachdenken zu einer persönlichen Stellungnahme zu kommen, was setzt das alles voraus!" So belehrt uns ein philosophischer Roman aus neuerer Zeit, der sich auch zur Aufgabe setzte zu zeigen, wie katholische Glaubenspflicht mit Geistesfreiheit unverträglich ist (18). Hier belehrt uns Prof. RHODIUS, der die Ideen des Romans in Formeln bringt: "Sie wissen, daß von bedeutsamen philosophischen Richtungen die Frage, ob wir mit unserem Erkennen über das unserer Erfahrung, ja unseren Sinnen Gegebene vordringen können, verneint wird. So müssen wir uns erst über das Wesen des menschlichen Erkennens, seine Kriterien, seine Tragweite, die Grade seiner Sicherheit bestimmte Ansichten zu bilden suchen, ehe wir an jene metaphysischen Fragen nach der Existenz eines Gottes und sein Verhältnis zur Welt herantreten können. Aber schon jene erkenntnistheoretischen Vorfragen, wie schwierig und verwickelt sind sie! Wahrscheinlich ahnen Sie jetzt noch gar nicht, in welche Fülle von Einzelproblemen sich da die Hauptfragen zerlegen und welch eine Menge von ganz verschiedenen Anschauungen da im Kampf liegen." (Seite 181)

Man mache sich klar, welche kurzsichtige Weisheit in diesen Worten begriffen liegt. Soll man also im Ernst den Bauer vom Pflug, die Köchin vom Herd, das alte Mütterchen hinter dem Ofen hervor in die Hörsäle der Universitäten führen, damit sie hier semesterlange Vorträge über Phänomenalismus und Positivismus und Idealismus und Realismus und Kritizismus hören, bis ihnen der Kopf wirbelt? Oder - sie können keine Hoffnung haben, zur Wahrheit zu gelangen? Also man glaubt im Ernst, die Wahrheit nach der jedes Menschenkind verlangt, die Wahrheit in den eigensten Lebensfragen der Menschheit soll das ausschließliche Privileg einiger Universitätsprofessoren sein? Und diese wenigen - mehr als 2400 Jahre sind seit den Tagen des PYTHAGORAS verstrichen und heute steht die moderne Philosophie noch bei der ersten Vorfrage allen Wissens, ob der Mensch etwas erkennen kann, was das Auge nicht sieht. "Verschiedene Anschauungen liegen da im Kampf miteinander." Wenn das der Weg sein soll, auf dem allein die Menschheit zur sicheren Wahrheit gelangen kann, dann sieht es traurig aus.

Wir schätzen die Philosophie, auch ihre subtileren Fragen, und wünschten von Herzen, daß unsere katholische akademische Jugend eine gründliche philosophische Schulung bekommt. Aber wenn man, in Theorien eingesponnen, derart den offenen Blick für Welt und Menschenleben verliert, daß man die "Weltweisheit" zur isolierten Stubenspekulation machen will, die sich rühmt, allein die höhere Wahrheit zu finden und dabei in neurasthenischer Skepsis hinsiecht - eine solche Weisheit überlassen wir dem verdienten Schicksal: der Unfruchtbarkeit.

Oder soll das Ideal "des protestantischen - und damit auch des modernen - Geistes" die Menschheit trösten, daß die Erkenntnis "zumindest für die uns am tiefsten berührenden Fragen: die Erkenntnis Gottes und die Erkenntnis des Guten", nur eine leitende Idee und Aufgabe bleibt, "wenn wir auch die Zuversicht haben, ihrer Lösung langsam näher zu rücken?" (Seite 188f). Also die Menschheit in den wichtigsten Fragen und Aufgaben ewig ohne Licht? Jedes Pflänzchen und Tierchen ist von der Natur mit allem ausgerüstet, was es braucht, der Mensch allein ein verfehltes Wesen? Die Triebe des Baumes streben nach Blüte und Frucht und sie erreichen sie; der Vogel sucht im Herbst die neue Heimat und er findet sie; Hunger und Durst suchen Nahrung und erhalten sie: nur das Streben des Menschengeistes soll nie erfüllt werden, er allein ewig sehnend ohne Hoffnung! - Dicentes se esse sapientes stulti facti sunt. [Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden. - wp] Wie weit stehen solche Prinzipien und die großen Gedanken des Christentums voneinander ab! So weit als Friede und ewig friedloser Zweifel, so weit als Menschenlehre und Menschenentwürdigung, als menschliche Kurzsichtigkeit und Weisheit Gottes.


Also - das ist das Ergebnis unserer Ausführungen - unabhängig von der Wissenschaft besitzt die Menschheit ihre sicheren Überzeugungen, unabhängig von der Wissenschaft findet sie hier Ruhe und Frieden in ihrem Sehnen nach Wahrheit. Wissenschaftliches Studium und Forschen hat die Aufgabe, diese Wahrheiten in ein helleres Licht zu setzen, das Erbe der Menschheit zu verteidigen. Aber der Pfleger der Wissenschaft darf nicht die Freiheit beanspruchen, diese sicheren Überzeugungen in sich oder anderen ignorieren, den Erbschatz der Menschheit, statt zu schützen, durch Zweifel und Angriffe gefährden zu dürfen, den Geist der Menschheit aber zu ewiger Sisyphusarbeit zu verurteilen, zum ewigen Wälzen eines Steins, der immer wieder von neuem gehoben werden muß.
LITERATUR: Josef Donat, Die Freiheit der Wissenschaft, Innsbruck 1910
    Anmerkungen
    1) Nach den Ausführungen des Staatssekretärs Köller in der 115. Sitzung des Reichstags vom 11. Januar 1901.
    2) Friedrich Jodl, Neue Freie Presse, 20. November 1907.
    3) Hochschulnachrichten 1901/2, Seite 30.
    4) Internationale Wochenschrift, 1908, 259f
    5) Dogmengeschichte III.
    6) Friedrich Jodl, Neue Freie Presse, 26. November 1907.
    7) "Jene", sagt das Vatikanische Konzil, "die unter dem Lehramt der Kirche den Glauben angenommen haben, können nie und nimmer einen gerechten Grund haben, eben diesen Glauben zu ändern oder anzuzweifeln." (Sess. III, c. 3.) - Damit wollte das Konzil nicht entscheiden, daß nicht ausnahmsweise ein Fall vorkommen kann, wo jemand schuldlos, sei es wegen mangelnden Unterrichts oder wegen einer natürlichen Beschränktheit oder ungewöhnlicher Ungunst der Lebensverhältnisse, in die er kommt, schuldlos von seinem Glauben abirren kann. Auch die Theologen, welche die Entscheidung ausgearbeitet hatten, bemerken, das Konzil wolle damit nicht die Meinung verurteilen, die manche alte Theologen aufstellen, "es könne ausnahmsweise in gewissen Umständen das Gewissen eines ungebildeten Katholiken derart in einen unverschuldeten Irrtum geführt werden, daß er sich ohne Sünde gegen den Glauben einer andersgläubigen Sekte anschließt." (Vgl. Granderath, Constit. Dogm. ss. oecum. Conc. Vat. 69)
    8) Ernst Tröltsch, Internationale Wochenschrift, 1908, 26.
    9) Adolf Harnack, Die Aufgabe der theologischen Fakultäten, 1901 17.
    10) Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten, 1902, 304f.
    11) a. a. O. 417f.
    12) De civit. Dei XIX 18.
    13) Theodor Lipps, Allgemeine Zeitung, 4. Juli 1908
    14) Tomâs Masaryk, V boji o nábozenstvi (Im Kampf um die Religion) 13.
    15) Herman Schell, Christus, 1900, Seite 125 und 64.
    16) Der goldene Schnitt 20. Gietmann, Allgemeine Ästhetik, 1899, Seite 178
    17) Vgl. Cicero, De oratore I, 32.
    18) Katholische Studenten. Von August Friedwalt (Pseudonym von August Messer). Eine Beleuchtung der darin niedergelegten Ideen gibt die Academia 18, 1905/06, Dezember-März.