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JOHANNES REHMKE
Philosophie als Grundwissenschaft

"Bewußtseinsbesitz  als  Gegenstand der Wissenschaft  nun nenne ich  Gegebenes,  und indem ich dem Wort  Gegebenes  diesen Sinn zuweise, fordere ich den Leser auf, in dieses Wort nichts mehr hineinzulegen, als was hier gesagt ist:  Bewußtseinsbesitz als Gegenstand der Wissenschaft oder Erkenntnis. 

Insbesondere warne ich aber, die Worte  Gegebenes  und  Wirkliches zu verwechseln und als gleichbedeutend  zu behandeln.

Wir kennen Wirkliches und kennen Nichtwirkliches: diese Tatsache schon redet deutlich genug, um zu verstehen, daß nicht nur Wirkliches, sondern auch Nichtwirkliches ein Bewußtseinsbesitz und damit  Gegebenes  ist; denn  hätten  wir nicht das, was wir  Nichtwirkliches  nennen, so könnten wir es vom Wirklichen auch nicht unterscheiden und als Besonderes ihm gegenüberstellen. Also nicht nur das  Wirkliche  ist Gegebenes, sondern zu diesem gehört in gleicher Weise das  Nichtwirkliche,  weil auch dieses zum Bewußtseinsbesitz gehört."


Vorwort

Die Weltfrage hat von jeher und in erster Stelle die Wissenschaft beschäftigt. Die Geschichte der Philosophie überliefert uns mannigfaltige Versuche, dieser Frage eine befriedigende endgültige Antwort zu finden: der eine aber steht gegen den anderen, der eine löst den anderen ab, um selbst wieder einem dritten den Platz zu räumen. So bietet die Geschichte ein buntes bewegtes Bild von "Weltanschauungen", von denen freilich keine auch nur in ihren Grundlinien eine allseitig anerkannte Antwort auf die Weltfrage zu sein sich rühmen kann.

Diese Tatsache hat seit vielen Jahrzehnten die Meinung gezeitigt, es sei das Schicksal der Philosophie, daß die Antwort auf die Weltfrage eben nicht nur von der Welt, die in Frage steht, sondern immer auch von der Eigenart des Fragenden abhängt, und man ist wohl geneigt, dem Wort FICHTEs recht zu geben: "Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist." Daraus mag auch das Interesse verständlich werden, das die jüngstvergangenen Zeiten und noch die Gegenwart an der  Geschichte  der Philosophie zeigen, so daß vielfach die Beschäftigung mit der Philosophie aufzugehen scheint in der Beschäftigung mit den Philosophen aus der Geschichte als typischen Vertretern einer besonderen Antwort. Anstatt also die Welt und somit den Gegenstand selbst zu fragen, findet man sein Genügen darin, die Philosophen nach ihren Antworten zu fragen und sich in diese zu vertiefen.

Aber mit beidem ist der Philosophie als Wissenschaft nicht gedient, denn als solche fordert sie sowohl eine fortschreitende stetige Entwicklung und kein Stehenbleiben bei einem Posten in der Geschichte, als auch ein allseitig Anerkanntes zum gemeinsamen Boden für alle, die der Philosophie weiter zu dienen beflissen sind.

Nun hat allerdings anscheinend die Gegenwart schon in einem Punkt den gemeinsamen Boden in der Weltfrage gewonnen, dank dem Studium der Geschichte der Philosophie, dank insbesondere dem Einfluß HUMEs und KANTs: die Philosophie der Gegenwart steht durchweg im Zeichen des  Phänomenalismus Aber gerade dieser ist es, der die Philosophie um allen Kredit in der Weltfrage zu bringen und als Wissenschaft außer Kurs zu setzen droht.

Wir sehen darum auch, seitdem die phänomenalistische "Weltanschauung" in der Philosophie Trumpf ist, wie die anderen Wissenschaften die Fühlung mit der Philosophie verlieren und, je mehr sie selbst eine sichere Wohnstätte in der Welt gefunden haben, umso weiter von der phänomenalistisch gezeichneten Philosophie abrücken, die selbst zwar der Meinung lebt, daß sie der Welt erst mit dem Phänomenalismus die wissenschaftlich sicheren Widerlager beschafft habe, tatsächlich aber die Welt in ihrer Wirklichkeit herabsetzt und zur "Erscheinung", ja zu einem "Schein" herabdrückt.

Schwer liegt der Phänomenalismus auf der Philosophie mit seiner Gefolgschaft, dem Relativismus und dem Subjektivismus. Solange jener aber die Philosophie beherrscht, wird dieser die  Bodenständigkeit  mangeln, ohne die ein wissenschaftliches Unternehmen schlechterdings zu keinem wissenschaftlich genügenden Ergebnis kommen kann und der sich daher auch alle Fachwissenschaften der Gegenwart ohne Ausnahme rühmen dürfen: diese alle sind in der Tat bodenständig.

Eine Wissenschaft, d. h. ein auf fraglose Klarheit seines Gegenstandes abzielendes Unternehmen ist aber bodenständig, wenn der Gegenstand  aus sich selbst  seine Erklärung findet. Die phänomenalistische Philosophie ihrerseits sucht dagegen die Welt schlechthin  aus Anderem,  das dieser "zugrunde liegt", zu erklären; die nicht bodenständige "Erklärung" ist aber allemal eine Dichtung, und mit dieser hat die Welterkenntnis nichts zu tun.

Will die Philosophie bodenständig und somit eine aussichtsvolle Wissenschaft sein, so muß sie dem Phänomenalismus und seinem Gefolge den Abschied geben; will sie, wie die anderen Wissenschaften alle, zur Weltkenntnis führen, so muß sie der Weltdichtung klipp und klar entsagen, so muß sie ihren Gegenstand nach ihm selbst allein fragen und von ihm allein sich belehren lassen, nicht aber ihrerseits ihn zu belehren suchen und meinen, sie könne in die Welt einführen, indem sie aus ihr herausführt.

Die bodenständige Philosophie ist, wie jede andere Wissenschaft, an ihren Gegenstand schlechthin gebunden und in ihm allein verankert: der Versuch einer solchen soll diese "Philosophie als Grundwissenschaft" sein.

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I. Grundlegender Teil

1. Wissen und Wissenschaft

Über den Namen "Philosophie" will ich mit niemanden rechten. Wenn ich dem, was sich als Grundwissenschaft herausstellt, den Namen "Philosophie" gebe, so wird sich dies im Verlaufe meiner Darstellung durch sich selber rechtfertigen müssen. Im übrigen, was liegt am Namen! Daß ich aber daran festhalte, ist mir begründet durch den geschichtlichen Zusammenhang des von mir als "Grundwissenschaft" entwickelten mit dem, was in der Geschichte den besonderen Namen "Philosophie" trägt.

Jedoch über das, was das Wort  "Wissenschaft meint, muß es hier gleich anfangs zur Verständigung kommen, um auf dem gewonnenen gemeinsamen Boden das Verständnis für das  grundwissenschaftliche  Unternehmen vorzubereiten.

Handelt es sich aber um eine Verständigung, so setzt dies schon voraus, daß verschiedene Meinungen von dem, über das man sich verständigen will, bestehen; und die Hoffnung auf Verständigung beruth immer darauf, daß sich in den verschiedenen Meinungen doch Gemeinsames finden muß, dessen verschiedene Besonderungen und Ausführungen in jenen verschiedenen Meinungen vorgetragen werden. Ein Meister in solcher Verständigung war SOKRATES, den Weg, den er ging, werden auch wir einschlagen.

Was immer im Besonderen unter Wissenschaft verstanden wird, daß überhaupt die Wissenschaft mit dem Wissen zu tun hat, gesteht jedermann willig zu. Mit diesem Zugeständnis ist freilich nur dies erreicht, daß nun die Frage, was man unter "Wissen" zu verstehen hat, aufkommt und zunächst ihre Erledigung fordert.

Das Wort "Wissen" ist jedermann geläufig und doch schwankt schon bei jedem der Sinn dieses Wortes, wenn wir näher zusehen. Er verwendet das Wort einmal in einem ganz allgemeinen Sinn, um von sich als Bewußtsein ein Haben auszusagen, das wohl näher als "im Bewußtsein haben" zum Ausdruck gebracht zu werden pflegt.

Wer in diesem Sinne von sich und anderen das Wissen aussagt, meint sich und die anderen als Geistwesen, als Bewußtseinswesen, und wir alle verstehen ohne weiteres dieses eigentümliche Haben, das "Wissen", weil wir alle eben Geist oder Bewußtsein sind.

Von diesem Wissen bildete unsere Sprache das Wort  "Bewußtes"  im Sinne des überhaupt vom Bewußtsein Gehabten oder des  Bewußtseinsbesitzes. 

Wir können für allgemein zugestanden erklären, daß das Wort "Wissen" in allen Fällen, in welchem besonderen Sinn es etwa auch noch gebraucht werden mag, stets einen Geist, d. h. ein Bewußtsein als das Habende voraussetzt und sich auf einen Bewußtseinsbesitz bezieht. "Wissen" kennzeichnet also das "wissende" Wesen als ein Bewußtsein. "Wissen" in diesem allgemeinen Sinn und "Bewußtes" gehören daher auf alle Fälle zusammen, mag nun das Wort "Bewußtes", das Gehabte, den Bewußtseinsbesitz, oder mag es, wie auch wohl geschieht, das Habende, den Besitzer, das Bewußtsein bezeichnen sollen. Wir aber wollen, wenn nun weiterhin von "Bewußtem" die Rede ist, darunter immer nur den Bewußtseinsbesitz, das vom Bewußtsein Gehabte, verstehen. Ich betone aber dabei, daß von mir in das andere Wort "Bewußtsein" durchaus nichts mehr hineingelegt wird als nur dieses, daß es ein Wesen bezeichnet, dem eben Wissen in jenem allgemeinen Sinn zukommt.

Mit dieser Feststellung ist nach meinem Dafürhalten ein gemeinsamer Boden geschaffen, auf den sich alle stellen können, die eine Verständigung in dieser Sache suchen.

Nun ist aber bekannt, daß in unserem Sprachgebrauch "Wissen" vielfach doch nicht das Haben schlechthin vom Bewußtsein aussagen, also nicht auf das vom Bewußtsein Gehabte, das "Bewußte" überhaupt, sich beziehen soll, so daß in solchen Fällen die Worte "Wissen" und "Bewußtes" doch nicht auf einer Linie liegen. Ich kann dies am einfachsten erläutern, wenn ich ein anderes, von "Wissen" ebenfalls abgeleitetes Wort, das "Gewußte", heranziehe und dem "Bewußten" gegenüberstelle.

"Bewußtes" und "Gewußtes", Worte, die beide vom Wort "Wissen" abgeleitet sind, decken sich ihrem Sinn nach keineswegs. Alles Gewußte ist zwar Bewußtes, aber nicht alles Bewußte ist Gewußtes; mit anderen Worten: "Gewußtes" meint zwar auch einen Bewußtseinsbesitz, aber nicht Bewußtseinsbesitz überhaupt, und "Wissen" nach dem Sinn von "Gewußtem" bezeichnet demnach gegenüber dem "Wissen" als einem Haben oder Besitzen schlechthin nach dem Sinn von "Bewußtem" ein besonderes Haben, nämlich das dauernde Haben, dementsprechend "Gewußtes" einen dauernden Bewußtseinsbesitz.

Diesen dem Wort "Gewußtes" zugrunde liegenden Sinn des Wortes "Wissen" will ich im Unterschied von jenem allgemeinen den  psychologischen  Sinn nennen. Denn, sofern es sich um ein Dauern oder Verharren eines Bewußtseinsbesitzes handelt, steht das besondere Bewußtsein, das Gegenstand der "Psychologie" ist, in Frage und die Bedingungen, unter denen ihm für das besondere Bewußtsein sein Gehabtes gesichert wird, festzustellen, ist eine psychologische Aufgabe. "Wissen" im psychologischen Sinn bedeutet ebenso viel wie "Behalten"; es steht im Gegensatz zum Vergessen. Nicht auf den Bewußtseinsbesitz überhaupt als, sondern nur auf den bleibenden, verharrenden bezieht sich hier das Wort "Wissen", "Gewußtes" bedeutet den dauernden Bewußtseinsbesitzt. Und insofern sich die Dauer des Besitzes auf das Gedächtnis und weiterhin auf das Vorstellen der Seele gründet, betrifft das Wissen im psychologischen Sinn das vorstellende Bewußtsein: "Wissen" bedeutet hier "im Gedächtnis behalten", "Gewußtes" das Behaltene oder den verharrenden Bewußtseinsbesitz.

"Wissen" in diesem Sinne weist uns also auf das Bewußtsein als besonderes Einzelwesen, als dessen Bestimmtheit es Gegenstand der Psychologie ist und das Bewußte, das wir "Gewußtes" nennen, bezeichnet als dieses eben die Besonderheit jener Bestimmtheit.

Jedoch noch in einem dritten Sinn findet sich das Wort "Wissen", ich nenne diesen den  logischen.  Auch nach dem logischen Sinn von "Wissen" reden wir nicht von "Bewußtem", sondern von "Gewußtem", und das logische "Gewußte" ist, wie das psychologische, wiederum ein besonderes Bewußtes, aber es bedeutet nicht, wie das psychologische, einen dauernden Besitz gegenüber dem vorübergehenden, sondern einen  "bestimmten"  gegenüber einem "unbestimmten" Bewußtseinsbesitz.

Der Umstand, daß sowohl im psychologischen wie auch in einem logischen Sinn des Wortes "Wissen" das in Frage kommende besondere Bewußte denselben Namen "Gewußtes" trägt, legt uns die Frage nahe, ob sich nicht ein Gemeinsames finden läßt, das etwa den Grund für die gemeinsame Benennung als "Gewußtes" abgegeben hätte. In der Tat ist das Gemeinsame in der  Sicherheit  des Habens zu finden, also daß in beiden Fällen das "Gewußte" als sicherer  Besitz  begriffen wird. Von diesem Gemeinsamen aus ergibt sich dann die Besonderheit beider Fälle daraus, daß der psychologisch sichere Besitz das im  Gedächtnis verankerte  Bewußte, ein  logisch sicherer  Besitz aber das  bestimmte  Bewußte heißt; dort geht die Sicherheit des Besitzes  auf das Gedächtnis (Seele), hier  auf ein Bestimmtsein. 

Daß in beiden Fällen die Sicherheit des Besitzes wiederum verschiedene Grade aufweisen kann, ist leicht einzusehen; die psychologische Sicherheit wiederum erscheint in ihrem besonderen Grad durch die besondere Stärke des Gedächtnisses, die logische Sicherheit durch die besondere Art des Bestimmtseins bedingt. Wir unterscheiden dort demnach stärker und schwächer "eingeprägten" und hier mehr oder weniger "bestimmten" Bewußtseinsbesitz.

Vergleichen wir in dieser Hinsicht "Wissen" im allgemeinen Sinn jenes Habens schlechthin des Bewußtseins mit dem Wissen in einem psychologischen und logischen Sinn, so unterscheidet es sich von diesen beiden dadurch, daß es von Unterschieden in sich überhaupt nichts weiß. Es gibt also wohl mehr oder weniger "Gewußtes", nicht aber mehr oder weniger "Bewußtes".

Das menschliche Bewußtsein nun ist wissendes in dem gekennzeichneten dreifachen Sinn des "Wissens", anfänglich freilich nur wissendes in einem allgemeinen Sinn, bald aber dieses zugleich auch im psychologischen und in einem logischen Sinn, und zwar ist es wissendes im psychologischen Sinn allein schon, wenn ihm noch kein logisches Wissen eigen ist. Mit anderen Worten, das menschliche Bewußtsein behält schon ein Besonderes, d. h. unterschiedenes Bewußtes, das ihm also ein psychologisch "Gewußtes" ist, bevor ihm dieses ein bestimmtes, d. h. logisch "Gewußtes" ist.

Immerhin ist das menschliche Bewußtsein schon früh in einem dreifachen Sinn ein "wissendes", daß es seinen Bewußtseinsbesitz nicht nur als Bewußtes schlechthin, sondern auch als sicheres, also als "Gewußtes" in beiderlei Sinn, aufzuweisen hat.

Für jedes einzelne menschliche Bewußtsein wird es aber immer wahr bleiben, daß ihm ohne ein Wissen im allgemeinen Sinn kein psychologisches und wiederum ohne Wissen im psychologischen Sinn kein logisches Wissen möglich ist.

Diesen Gedanken weiter auszuspinnen, ist hier nicht der Ort, denn das ist eine Sache der Logik. Unsere Aufgabe aber ist hier, uns darüber, was Wissenschaft sein soll, zu verständigen. Nur deshalb sahen wir uns genötigt, den verschiedenen Sinn des Wortes "Wissen", mit dem ja das Wort "Wissenschaft" augenscheinlich zusammenhängt, herauszukehren und festzulegen.

Daß das Wort "Wissenschaft" den Bewußtseinsbesitz trifft und sich auf Bewußtes bezieht, kann ohne weiteres zugestanden werden. Niemand wird also bezweifeln, daß "Wissenschaft" das Wissen in einem allgemeinen Sinn des Wortes als grundlegenden Begriff in sich trägt. Indessen nicht auf den Bewußtseinsbesitz schlechthin, sondern nur auf den sicheren Besitz bezieht sich das Wort "Wissenschaft". Und kommt dann wieder die Frage, ob der psychologisch sichere oder der logisch sichere Besitz gemeint sein soll, so ist unsere Entscheidung sofort zur Hand, daß nur die logische Sicherheit hier in Betracht kommen kann, die Sicherheit also, die im  Bestimmtsein  des Gewußten oder im Bewußten als Bestimmtem gegründet ist. Also nicht das psychologische, sondern das  logische  Wissen, nicht das Bewußte als dauernder Besitz, sondern als bestimmtes kommt in Frage, wenn es gilt, den Sinn des Wortes  "Wissenschaft",  das in unserer Sprache lebt, festzustellen.

Jedoch noch keineswegs jedes logische Wissen ist Wissenschaft, noch keineswegs jedes logische Gewußte oder, was dasselbe sagt, jedes bestimmte Bewußte gehört zur Wissenschaft, wenngleich, was eine Wissenschaft genannt zu werden verdient, logisches Wissen, und jegliches Bewußte, das zur Wissenschaft gehört, ein bestimmtes, also logisch Gewußtes sein muß.

Wissenschaft, können wir daher sagen, ist ein besonderes logisches Wissen und sein Bewußtes erscheint  in einem besonderen Bestimmtsein  und als ein in besonderer Art sicherer Besitz des Bewußtseins. Denn das ist es, was jedermann mit Wissenschaft zum Ausdruck bringen will, daß ihr ein bestimmtes Bewußtes ein  schlechthin sicherer Besitz  des Bewußtseins ist.

Was ber heißt ein im logischen Sinn schlechthin sicherer Besitz?

In einem psychologischen Sinn wäre es der dem Bewußtsein niemals wieder verloren gehende, aber in einem logischen Sinn, der uns Bewußtes als das  bestimmte  Gewußte verstehen läßt, kann es nur den Besitz bedeuten, der nicht noch eine andere Art des Bestimmtseins erfahren, also nicht noch weiter vom Bewußtsein bestimmt werden kann, als er es jetzt schon ist.

Bereits oben wurde die verschiedenen Arten von Sicherheit, die logischem Wissen zukommt, erwähnt und darauf hingewiesen, daß diese Verschiedenheit auf das mehr oder weniger Bestimmtsein des Bewußten hinausläuft. Wir können dies nun dahin erläutern, daß das "mehr oder weniger Bestimmtsein" gleichbedeutend ist mit dem "weniger oder mehr Unbestimmtsein" des Bewußten und daß die logische Arbeit des Bewußtseins überhaupt darin besteht, Bewußtes zu  bestimmen  und somit ein zuvor Unbestimmtes als Bestimmtes zu haben. Die logische Arbeit beginnt zunächst mit einem völlig unbestimmten Bewußten und schreitet in dessen Bestimmung dann weiter vor. Je bestimmter dem Bewußtsein aber überhaupt Bewußtes ist, desto logisch sicherer ist ihm dieser sein Besitz.

Nun können wir als solche Art von Sicherheit, da sie eben im Bestimmtsein des besonderen Bewußtseinsbesitzes begründet ist, setzen, daß dieses Bewußte  völlig bestimmt, d. h. in keiner Hinsicht mehr unbestimmtes,  also überhaupt nicht mehr weiter bestimmbares ist. Und wenn diese logische Sicherheit erreicht wird, so heißt das Wissen "Wissenschaft", sowie die Sicherheit dieses Wissens "wissenschaftliche" Sicherheit. So können wir dann sagen:  Wissenschaft ist das Ziel der bewußten logischen Arbeit am Bewußten oder, was uns nun weiterhin dasselbe sagen soll, am Gegebenen überhaupt. 

Die logische Arbeit, das Gegebene zu bestimmen und als Bestimmtes zu haben, drängt sich aber jedem menschlichen Bewußtsein auf, sobald sich das Bewußte als unbestimmtes ihm als zuständlichem Bewußtsein mit dem Gefühl der Unlust verknüpft. Wir nennen dieses besondere Unlustgefühl das Gefühl der  Unklarheit;  es tritt ein, sobald das Gegebene sich, sei es schlechthin oder doch irgendwie als unbestimmtes dem Bewußtsein aufdrängt. Dieses Gefühl der Unklarheit ist eben der Anlaß zu jeglicher logischer Arbeit am Gegebenen oder Bewußten überhaupt, sei sie nun eine bewußte oder unbewußte, das will heißen, eine willkürliche oder eine unwillküliche, eine gewollte oder eine Triebarbeit (1).

Das sichere Anzeichen und der deutliche Ausdruck für das Bestehen dieses die logische Arbeit bedingenden Gefühls der  Unklarheit  und damit eines Bewußtseinsbesitzes als schlechthin  unbestimmten  oder zumindest nicht völlig und klar, d. h.  wissenschaftlich  bestimmten, ist  die Frage,  die das Bewußtsein eben aus der Unlust der Unklarheit an das Gegebene richtet. All unser Fragen erwächst in der Tat aus dem Gefühl der Unklarheit und das heißt zugleich aus dem Unbestimmtsein des Gegebenen. Die Antwort ihrerseits, d. h. die Lösung der Frage, zeigt dann das bisher unbestimmte Gegebene als  bestimmtes  und führt das Gefühl der  Klarheit,  d. h. eine Lust am Gegebenen als  bestimmtem  mit sich.

Die logische Arbeit setzt demnach immer bei einem unklaren, also unbestimmten Bewußten ein und zielt immer auf bestimmtes, also klares Gegebenes; sie hebt, anders ausgedrückt, mit dem in Frage gestellten unbestimmten Gegebenen an und endet erst mit dem außer Frage stehenden bestimmten Bewußten. Die Unklarheit des Bewußtseins steht am Anfang dieser Arbeit, die Klarheit an ihrem Ende, und wo  Klarheit  ist, das ist  Fraglosigkeit  für das Bewußtsein, wo aber  Unklarheit  herrscht, da steht das Gegebene in Frage.

Betrachtet man nun das Bewußte oder Gegebene überhaupt, also den Besitz des Bewußtseins, so werden wir sagen, daß es im Fortgang der logischen Arbeit eine linie vom völligen Unbestimmtsein bis zum völligen Bestimmtsein und dementsprechend das Bewußtsein von völliger Unklarheit zu völliger Klarheit, von völliger Fraglichkeit zu völliger Fraglosigkeit zu beschreiben hat. Demnach wird die Stufe völliger Unklarheit und Fraglichkeit gänzlich zusammenfallen mit der Stufe völligen Unbestimmtseins. Hat doch das Kind anfänglich Gegebenes zwar als  unterschiedenes,  als als  besonderes,  aber doch als noch  völlig unbestimmtes  Bewußtes; es ist hier demnach noch in keine logische Arbeit, auch in keine unwillkürliche eingetreten, ihm steht also irgendein Bewußtes überhaupt noch nicht in Frage, es kennt überhaupt noch kein Gefühl der Unklarheit. Und andererseits zeigt sich im Bewußtseinsleben auch des Erwachsenen, daß ihm manches besondere Gegebene ein völlig unbestimmtes ist und doch kein Gefühl der Unklarheit und keine Frage auslöst. Wir können also in diesem Fall wie auch in dem des anfänglichen Kindesbewußtesins sagen, daß Fraglosigkeit in Anbetracht des besonderen Bewußten besteht, aber diese geht der Fraglichkeit des Bewußten voran, während jene, auf die unsere logische Arbeit zielt, der Fraglichkeit folgt. Die Fraglosigkeit, die dem sich einstellenden Gefühl der Unklarheit, wie jene Fälle zeigen, vorangeht, aber ihrerseits auch von keinem Lustgefühl der Klarheit begleitet ist, wie jene durch logische Arbeit erzielte Fraglosigkeit es als steten Begleiter aufweist, kennzeichnet die Bewußtseinsstufe der Unschuld des Wissens, das nur ein Wissen im allgemeinen und im psychologischen Sinn bedeutet; die Fraglosigkeit dieser Wissensunschuld oder Dummheit führt weder von der Himmelsfreude der Klarheit noch von einem Erdenschmerz der Unklarheit etwas mit sich.

Die Entwicklungslinie des Wissensstandes unseres Bewußtseins läuft demnach in Anbetracht des Gegebenen überhaupt von der Fraglosigkeit der Dummheit durch die Fraglichkeit zur Fraglosigkeit der Wissenschaft: am Anfang wird  noch nicht,  am Ende wird  nicht mehr  gefragt. Vor die Wissenschaft ist immer die Frage und die logische Arbeit, die zu einer Frage die Antwort sucht, gestellt; Wissenschaft bedeutet das logische Wissen, in dem Gegebenes in keiner Weise mehr unbestimmt, also auch in keiner Weise mehr unklar und fraglich erscheint, ein Wissen also, dessen Bewußtes gegen jede Frage schlechthin gefeit dasteht.

Diesen so festgestellten Sinn von "Wissenschaft" überhaupt wird jeder anerkennen können, was er auch sonst noch besonderes in dieses Wort hineinzulegen gewohnt ist. Ob allerdings Wissenschaft in diesem Sinne möglich ist, lassen wir einstweilen dahingestellt; genug, daß der dargelegte Sinn des Wortes sowohl bei denen, die diese Möglichkeit zugestehen, als auch bei denen, die diese Möglichkeit bestreiten oder leugnen, Geltung hat und demnach alle zustimmen, daß nur das "Wissen" Wissenschaft heißen kann, das als logisches Wissen ein Gegebenes in voller Fraglosigkeit bietet.

Wie die Frage, ob Wissenschaft möglich ist, so setzen wir auch vorerst noch die andere Frage aus, ob in der Tat alles Gegebene, um schlechthin fraglos zu sein, erst  erfragt  werden, ob, mit anderen Worten, alles schlechthin fraglose  wissenschaftlich  bestimmt worden sein muß oder ob sich Gegebenes findet, das selber gar nicht unter Frage gestellt werden kann, sondern vielmehr von vornherein dem Bewußtsein schlechthin fragloses Gegebenes sein soll, von vornherein außer Frage steht.

Es galt uns nur vorerst, den sinn des Wortes "Wissenschaft" überhaupt festzulegen. Aber wenn wir uns nun näher nach dem Gebrauch dieses Wortes umsehen, so treffen wir es nicht nur in dem Sinn, daß es  das fraglose Wissen selbst  meint, sondern vor allem auch in dem anderen, dem "Wissenschaft" die logische Arbeit ist, durch die das fraglose Wissen erzielt wird, also das fraglose Unternehmen, das sich ein besonderes Wissen zum Zweck gesetzt hat. Und ich meine, da doch schlechthin ein vollendetes Bestimmtsein  des Gegebenen insgesamt  niemals verwirklicht wird, sondern immer ein Aufgegebenes bleibt, demnach Wissenschaft als schlechthin fragloses Wissen uneineingeschränkt nicht zu finden sein wird, sondern immer eine Aufgabe bleibt, so wird, wenn wir uns für eine der beiden Anwendungen des Wortes "Wissenschaft" entscheiden sollen, die Wahl zweckmäßig sein, daß "Wissenschaft" das Unternehmen des Bewußtseins genannt wird, Gegebenes fraglos zu bestimmen. Dies empfiehlt sich umsomehr, als wir für das fraglose Wissen selbst in unserer Sprache schon das besondere Wort  "Erkenntnis besitzen. Denn mag auch dieses Wort von dem einen und dem andern noch mit diesem und jenem besonderen Sinn belastet werden, darin werden sich doch alle zusammenfinden, "Erkenntnis" bedeutet fragloses Wissen, und "Erkanntes" fraglos bestimmtes Bewußtes, also Gegebenes, das  gegen jede Frage gefeit, zu keiner Frage mehr Anlaß geben könnte. 

Darum nennen wir  Wissenschaft überhaupt das menschliche Unternehmen,  das sich zur Aufgabe gestellt hat,  Erkenntnis zu gewinnen d. h. Bewußtes oder einen Bewußtseinsbesitz fraglos zu bestimmen. 

Vielleicht wird mir der eine oder andere vorhalten, im Wort "Wissenschaft" liege doch noch etwas mehr ausgedrückt als die Aufgabe, schlechthin fragloses Wissen zu erlangen; denn, wie immer man auch das Wort "Erkenntnis" besonders deutet, so weist das Wort  Wissenschaft  noch auf ein Besonderes hin, daß sich nämlich das fraglos bestimmte Gegebene im  System  bietet. Zugegeben nun, daß, wer heute "Wissenschaft treibt", dies in der Absicht tut, nicht nur irgendein Gegebenes fraglos zu bestimmen, sondern es auch in einem System zu haben, so hat er sich dieses Ziel doch erst in seinem besonderen Fall gesetzt, weil er schon in einem anderen Fall von einem wissenschaftlichen Unternehmen erfahren hat, daß erst dann, wenn das in Frage stehende Bewußte in einem System gefaßt ist, ein fragloses Bestimmtsein eben dieses Gegebenen gewonnen ist, daß also überhaupt eine systematische Fassung des Gegebenen mit zum schlechthin fraglosen Bestimmtsein des besonderen Bewußten gehört, nicht aber etwas über dieses noch hinaus Gefordertes bedeutet.

Wir werden in der Tat später festzustellen haben, daß jegliches besondere Wirkliche nur im "System" mit anderem sich findet, woraus dann ohne weiteres ersichtlich wird, daß jedes wissenschaftliche Unternehmen, wenn es überhaupt von irgendeinem Erfolg sein soll, "ein System", d. h. ein zusammenhängendes Ganzes der Erkenntnis (2), erstreben muß.

Eine Verständigung über das Wort "Wissenschaft" im Sinne eines auf fragloses Bestimmtsein des Bewußtseinsbesitzes abzielenden Unternehmens wird aber nun erst völlig erreicht, wenn der Sinn des Wortes "Bewußtseinsbesitz" oder, was hier dasselbe sagt, "Bewußtes" gegen Mißdeutungen geschützt ist. Ich verstehe unter Bewußtseinsbesitz oder Bewußtem das, was das Bewußtsein  hat.  Diesem "Haben" des Bewußtseins aber kommt ein ganz besonderer Sinn zu, er ist vor allem nicht derjenige, in dem wir z. B. von einem Ding aussagen, daß es etwas hat. Wir sgen, das Ding hat oder besitzt eine Größe, eine Gestalt, das will sagen, eine Größe oder Gestalt  gehören zu ihm,  diesem besonderen Einzelwesen, es ist groß und gestaltet, Größe und Gestalt sind die Bestimmtheiten eines Dings. Von einem solchen Zugehören des "Gehabten" aber findet sich im Sinn des Wortes  "Haben"  nichts, wenn es jenes Besitzen bedeuten soll, das wir auch "Wissen" (im früher dargelegten allgemeinen Sinn) nennen. Auch ein Bewußtsein "hat" eine Größe, eine Gestalt; aber dieser Satz kann nicht bedeuten, das Bewußtsein habe Größe und Gestalt als seine Bestimmtheiten, es sei groß und gestaltet. Sprechen wir von ihm, daß es eine Größe und Gestalt "habe", - und wir tun dies in der Tat - so sagt dies vielmehr, eine Größe und eine Gestalt seien ihm "Bewußtes", er "wisse" eine Größe und eine Gestalt, wobei der Gedanke, diese Größe und eine Gestalt gehören zu ihm, doch schlechthin ausgeschlossen ist.

Wir können uns den Unterschied jenes und dieses "Habens", indem wir auf das Gehabte sehen, wohl am einfachsten durch die beiden Worte "Zugehören" und "Gehören" erläutern, sofern ich das richtige treffe, wenn ich sage, daß "Gehören" überhaupt nach einem feststehenden Sprachgebrauch den Sinn hat, der z. B. im gemeinen Gebrauch des Wortes "Besitz" oder "Besitztum" zur Geltung kommt.  A  besitzt einen Hof, ein Schiff usw. Wir nennen  A  den Besitzer des Hofes oder des Schiffes, sagen aber  nicht,  der Hof oder das Schiff  gehört zu A;  und ebenso, die Weide gehört zum Hof, nicht aber, die Weide gehört dem Hof, wie auch, die Gestalt gehört zum Ding, nicht aber, die Gestalt gehört dem Ding.

Sprechen wir nun von einem "Haben" des Bewußtseins, so meinen wir mit dem "Gehabten" den  Besitz  des Bewußtseins in dem Sinne, wie wir von einem Hof als Besitz des  A  reden, so daß in jenem "Haben" kein Zugehören des "Gehabten", sondern ein dem Bewußtsein Gehören des "Gehabten" gemeint ist.

Zwar will ich sofort hinzufügen, daß vom Bewußtsein nicht nur in diesem Sinn ein "Haben" auszusagen ist, sondern auch im anderen, wie wir vom Ding das Haben aussagen.

So hat das Bewußtsein ein Wahrnehmen und Vorstellen, das heißt, zum Bewußtsein gehört Wahrnehmen und Vorstellen, denn beide sind Bestimmtheiten des Bewußtseins, es ist ein wahrnehmendes und vorstellendes Einzelwesen.

Wir können demnach, während das Haben  von einem Ding stets im Sinne eines Zugehörens  des "Gehabten" zum Ding gelten kann und zu verstehen ist, vom Bewußtsein das "Haben" in beiderlei Sinn aussagen, so daß für das "Gehabte" entweder das "Zugehören zum Bewußtsein" oder aber das "dem Bewußtsein Gehören" gilt. Dabei soll noch kurz bemerkt sein, daß das, was wir das Seelische eines Menschen nennen, stets in beiderlei Sinn zugleich ein "Gehabtes" des besonderen menschlichen Bewußtseins ist, ihm also sowohl "zugehört" als auch "gehört", d. h. sein  Besitz  ist.

Ich hoffe nun klargelegt zu haben, was ich unter "Bewußtseinsbesitz" verstehe; das Wort bezeichnet mir das "von einem Bewußtsein Gehabte" im Sinne des dem Bewußtsein Gehörenden, gleichviel ob dieses zugleich auch ein dem Bewußtsein Zughöriges ist oder nicht. Die Frage nämlich, ob das dem Bewußtsein Gehörende als "Gehabtes" nicht zugleich auch in allen Fällen dem Bewußtsein Zugehöriges sein muß, soll mit jener Bestimmung "Bewußtseinsbesitz" noch in keiner Richtung mitbeantwortet sein; sie wird uns erst später beschäftigen. Gerade eben, weil diese Frage noch zunächst völlig ausgeschaltet bleiben soll, schien es mir geboten, Bezeichnungen für das "Gehabte" als das dem Bewußtsein Gehörende, die nach dem Sprachgebrauch schon immerhin in einer der beiden Richtungen eine Entscheidung dieser Frage zumindest andeuten, zu vermeiden und ein Wort zu wählen, das einzig und allein das, was hier zum Ausdruck kommen soll, vorführt, und das ist "Bewußtseinsbesitz".

Mit gutem Grund habe ich im Besonderen das gern gebrauchte Wort "Bewußtseinsinhalt"  zur Bezeichnung des Bewußtseinsbesitzes  gemieden, weil gerade dieses Wort, wie mir scheint, dem Gedanken, daß das Gemeinte, der "Bewußtseinsbesitz", auch  zum Bewußtsein gehört,  Vorschub leistet und dies vor dem anderen, das "Gehabte"  gehört dem  Bewußtsein, sei Bewußtseinsbesitz, besonders betont sein läßt. Sprechen wir aber von Bewußtseinsbesitz, so werden wir dies verstehen, ohne den Gedanken der  Zugehörigkeit  des Gehabten zu unserem Bewußtsein mit hereinnehmen zu müssen. Wer aber dies für unwahrscheinlich oder gar unmöglich hält, von dem dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß ihm bei dem Wort "Bewußtseinsbesitz" aus alter Gewohnheit das Wort "Bewußtseinsinhalt" mitklingt, so daß er "Bewußtseinsbesitz", ohne die Zugehörigkeit dieses "Gehabten" zum Bewußtsein hereinzunehmen, nicht zu verstehen sein vermag.

Ich wage dagegen zu behaupten, daß es ohne dieses Vorurteil leicht sein wird, das vom Bewußtsein "Gehabte" als "Bewußtseinsbesitz" zu verstehen, ohne es zugleich als  "zum  Bewußtsein Gehöriges" zu fassen, während andererseits sicherlich selbstverständlich ist, daß  "zum  Bewußtsein Gehöriges" zugleich auch "dem Bewußtsein Gehörendes", d. h. "Bewußtseinsbesitz" ist.

Bewußtseinsbesitz und Bewußtes haben wir als gleichbedeutende Worte gebraucht; es galt zunächst, das erste durch das zweite zu erläutern. Nun können wir das Wort "Bewußtes" fallen lassen, und tun es umso lieber, da es im Sprachgebrauch mancherlei Sinn bekommen hat.

Überdies fanden wir schon ein anderes Wort, das, ohne selbst zu mehreren Deutungen Anlaß zu geben, mit "Bewußtseinsbesitz" gleichbedeutend erscheint, nämlich  "Gegebenes". 

Als wir uns über den Sinn des Wortes "Wissenschaft" verständigten und vom "Wissen" handelten, war es uns selbstverständlich, daß Wissen in einem allgemeinen Sinn nicht nur auf ein Bewußtsein als den Besitzer, sondern auch auf den Besitz - wir nannten ihn zunächst "Bewußtes" - hinweist: Ohne Bewußtsein und ohne Bewußtes ist kein Wissen, selbst nicht in einem allgemeinen Sinn dieses Wortes, zu verstehen.

Wissenschaft nun, sagten wir, ist die logische Arbeit, die auf einen  fraglos  bestimmten Bewußtseinsbesitz ausgeht; die logische Arbeit des Bewußtseins aber ist eben das  Bestimmen,  sie setzt also Bewußtseinsbesitz  voraus.  Wer als Bewußtseins nichts besitzt, kann überhaupt nichts bestimmen. Wissenschaft, wie überhaupt alle logische Arbeit, ist für das Bewußtsein nur möglich an einem Besitz, und dessen Erkenntnis ist ihr Ziel; sie will den in Frage stehenden Besitz fraglos bestimmen. Wissenschaft selbst hat auch  nicht  zugleich noch zu ihrer Aufgabe, dem Bewußtsein einen  neuen  Besitz zu schaffen, sondern sie will nur  fragloses  Wissen von "Gehabtem", d. h. vom Besitz erzielen.

Bewußtseinsbesitz ist also überhauppt die notwendige Voraussetzung für das Unternehmen der Wissenschaft.

Wer sich an den festgelegten Sinn des Wortes "Wissenschaft" hält, wir diesem zustimmen müssen. Man verwechsel und verquicke nur nicht "Wissenschaft" und "Forschung", dann kann kein Bedenken dagegen aufkommen. "Forschung" bedeutet eine Arbeit, die auf einen neuen Bewußtseinsbesitz ausgeht; den durch die Forschung gewonnenen neuen Besitz sucht dann eben die  Wissenschaft  fraglos zu bestimmen, d. h. zu erkennen. So sind Wissenschaft und Forschung zwei besondere Unternehmungen des menschlichen Bewußtseins, wenn sie auch zueinander in eine innige Beziehung treten und zwar derart, daß die Wissenschaft in ihren Ergebnissen für die Wissenschaft neuen Besitz als Vorwurf fraglosen Bestimmens liefert.

Bewußtseinsbesitz  als  Gegenstand der Wissenschaft  nun nenne ich "Gegebenes", und indem ich dem Wort "Gegebenes" diesen Sinn zuweise, fordere ich den Leser auf, in dieses Wort nichts mehr hineinzulegen, als was hier gesagt ist: "Bewußtseinsbesitz als Gegenstand der Wissenschaft oder Erkenntnis".

Insbesondere warne ich aber, die Worte "Gegebenes" und "Wirkliches" zu verwechseln und als gleichbedeutend zu behandeln.

Wir kennen Wirkliches und kennen Nichtwirkliches: diese Tatsache schon redet deutlich genug, um zu verstehen, daß nicht nur Wirkliches, sondern auch Nichtwirkliches ein Bewußtseinsbesitz und damit "Gegebenes" ist; denn  "hätten  wir nicht das, was wir "Nichtwirkliches" nennen, so könnten wir es vom Wirklichen auch nicht unterscheiden und als Besonderes ihm gegenüberstellen. Also nicht nur das "Wirkliche" ist Gegebenes, sondern zu diesem gehört in gleicher Weise das "Nichtwirkliche", weil auch dieses zum Bewußtseinsbesitz gehört.

Abschließend sagen wir nunmehr:  "Wissenschaft heißt das Unternehmen, das Gegebene fraglos zu bestimmen, und Erkenntnis heißt das fraglos bestimmte Gegebene. 
LITERATUR - Johannes Rehmke, Philosophie als Grundwissenschaft, Leipzig und Frankfurt am Main 1910