cr-2p-4H. Schwarzvon MalottkiA. Spirvon HartmannP. Stern    
 
HERMANN SCHNEIDER
[mit NS-Vergangenheit]
Gegebenheitslehre

"Der Felsblock ist da, ein Stück Wirklichkeit, ein fester Körper an einem bestimmten Platz, wenn wir mit geschlossenen Augen oder in Gedanken an ihn anrennen, stoßen wir uns eine Beule daran. Er ist ein Stück anschauliche Bestimmtheit, er hat diese Größe und diese Gestalt, diese Ecken, Kanten und Löcher, diese Farben, grau oder rot, dieses Korn, diese Moosflecken und Erddecken, die ich vor mir sehe; er ist da und bleibt da, auch wenn ich die Augen schließe oder weggehe; wenn ich sterbe - er überlebt mich an seinem Ort, wie er da stand, lange ehe ich geboren war, ja ehe es Menschen gab vielleicht: er ist für sich da, ohne den Menschen, vor, neben, nach ihm, unabhängig davon, ob er von ihm gesehen wird, ob er Menschen oder sonst einem Wesen oder keinem gegeben ist."

"Alles, was ist, ist da und wirklich, ohne menschliches Zutun, unabhängig vom Menschen "ansich" gegeben; das Gegebene ist ohne menschliches Zutun anschaulich-bestimmt gegeben, das bedeutet der Ausdruck es ist. Es handelt sich um eine einfache Erfahrungstatsache, die jedem bekannt und vertraut ist, die jeder Mensch in jedem Augenblick an dem, was ihn eben umgibt oder was er eben vorstellt, nachprüfen und bestätigen kann."

"Der Neptun war anschaulich, ehe es Menschen gab, die ihn anschauen konnten; als es Menschen gab, war noch Jahrtausende unangeschaut, bis ihn eine kühne Berechnung suchen und finden ließ; dasselbe gilt von den Radiumstrahlen, vom Nordpol oder vom Erdinnern in seiner höchsten erreichten Tiefe."

"Der Fels ist an dieser Stelle und hart, grau, so groß und breit, ohne daß ihn ein Mensch hingestellt oder geformt hat; er bleibt hartnäckig an seinem Platz, wenn ich, der Mensch, ihn verschwinden lasse, indem ich die Augen schließe, mich abwende, oder wenn ich wünsche, befehle, er solle weg sein; wenn ich ihn verneine und weitergehe, als sei er nicht da und nicht, so renne ich mir eben den Kopf an ihm ein; er ist so und nicht anders."


Erster Teil
Die Lehre von der
Gegebenheit allgemein

Man kann die Tatsachen, die den einen Hauptteil der Metaphysik ausmachen, zusammenfassend in dem Satz aussprechen: "Die Welt, den Menschen in begriffen, ist gegeben", "ein Gegebenes".

Um aus dieser Sammlung von Tatsachen, dem "Tatsachenbündel", das "Gegebensein" als Aufschrift trägt, die einzelnen "Tatsachen der Gegebenheit" herauszulösen, die darin ungesondert stecken, fragen wir:
    "Was heißt: Etwas ist gegeben?"
Wir stellen als durch Begriffsbestimmung (Definition) fest, welche Tatsachen im Oberbegriff "Gegebensein" durch ein gemeinsames Merkmal und Wort gebündelt wurden.

"Etwas ist gegeben" enthält eine Erfahrung, in ein Bild gekleidet. Wir müssen die Erfahrungstatsachen, die gesuchten "Tatsachen der Gegebenheit", von ihrem bildlichen Ausdruck trennen.

Unsere Erfahrung lehrt uns, daß
    1. der Mensch eines Tages die Augen aufschlägt und fertig da ist in einer fertigen Welt, die da ist, wie er; er ist sich fremd und der Welt; beide sind anschaulich-bestimmt, so und nicht anders, voll von "harten Tatsachen"; der Mensch muß sich und seine Welt kennenlernen, um sein Leben erhalten und zu genießen;

    2. daß der Mensch diese fertig vorhandene, bestimmte und unbekannte Welt mit einer merkwürdigen Selbstverständlichkeit behandelt, als sei er ihr Mittelpunkt, um den sie sich dreht, ihr Zweck, auf den sie angelegt ist, ihr Herr und Besitzer, dem sie gehört, und daß der Erfolg seines Handelns ihm die Berechtigung zu diesem Herrengebaren täglich neu bestätigt, indem sich mit dieser Einstellung in der Tat alles auf das Beste überblicken und nützen läßt;

    3. daß der Mensch mit der Welt, die er erforscht, um sie zu nützen, eins und doch zwei ist, daß er ihr als Herr gegenüber und zugleich in ihr als ihr Teil steht, daß sie demnach für ihn zwei Hauptstücke hat, deren eines er selber ist;

    4. endlich, daß diese Welt und dieser Mensch bisher als Gesamtwesen behandelt, aus zahllosen Einzelwesen, -dingen und -vorgängen bestehen, daß sie geeinzelt (individualisiert), gegliedert sein.
Diese Erfahrung umkleidet einheitlich das Bild des Gebens und Empfangens.

Welt und Mensch sind eines Tages fertig da, anschaulich bestimmt und fremd, wie eine "Gabe" eines Morgens auf dem Geburtstagstisch liegt, die irgendein "Geber" hingelegt hat. Die einfache Tatsache wird bildlich ergänzt: zum "einfach daseienden" wird der "Geber", der es gebracht hat, zum "fertigen, bestimmten" der "Fertiger und Bestimmer", der es erschaffen hat, gefordert; da keier erkennbar ist, vor allem kein Mensch, muß er unsichtbar und übermenschlich sein.

Die Welt des Menschen ist "für den Menschen" da, als sei sie ausdrücklich für ihn gemacht, seinen Bedürfnissen und Wünschen angepaßt, ihm "geschenkt": der "Geber", der Welt und Mensch einfach hingestellt hat, wird zum "gütigen Schenker", der "Fertiger" zum liebenden "Vater".

Er ist es dann weiter, der den Menschen als Hauptstück über seine Schöpfung und zugleich als Teil in sie gestellt hat, er hat sein Werk gegliedert, Menschen als Einzelwesen geschaffen und überall die Fülle mannigfaltiger Einzelung verstreut.

Die Tatsachen, daß Welt und Mensch da sind, fertig, bestimmt und neue, daß sie "für den Menschen" das sind, daß der Mensch als Ganzes und als Einzelmensch ein Hauptstück der geeinzelten Welt ist, erinnern den Menschen an ähnliche Verhältnisse bei Gaben und Geschenken, die er gibt und empfängt; so kommt er dazu, von einem "Gegebensein" zu sprechen und mit den nüchternen Erfahrungstatsachen ein Bild zu verbinden, das er gegen die Erfahrung ausführt; den Schöpfer und Geber der Welt darf der Mensch fordern und glauben, als Tatsache erfahren und erweisen läßt er sich nicht.

"Gegebensein" heißt also:
    1. fertig, anschaulich-bestimmt und ohne Zutun des Menschen dasein,

    2. für den Menschen dasein,

    3. als Mensch und Nichtmensch dasein und

    4. geeinzelt dasein.
Somit ergeben sich vier Tatsachen der Gegebenheit, die in der Metaphysik zu behandeln sind:
    1. Das Gegebene ist anschaulich-bestimmt und ohne Zutun des Menschen (selbständig) gegeben.

    2. Das Gegebene ist dem Menschen (menschlich) gegeben.

    3. Das Gegebene ist als Mensch und als Nicht-Mensch gegeben.

    4. Das Gegebene ist gegliedert dem gegliederten Menschen gegeben.
Wir fassen die ersten drei Tatsachen zu einem "Ersten Teil der Gegebenheitslehre", der "Lehre von der Gegebenheit allgemein", zusammen und stellen sie der vierten Tatsache gegenüber, die in einem "Zweiten Teil der Gegebenheitslehre", "der Lehre von der Gegliedertgegebenheit" oder einfach "von der Gegliedertheit" behandelt werden soll.

Die Berechtigung dazu ergibt sich innerlich daraus, daß in Tatsache 1-3 alles enthalten ist, was man gewöhnlich unter "Gegebenheit" versteht, so daß ma diese Teil auch schlechthin als "Gegebenheitslehre" bezeichnen und der "Gegliedertheitslehre" zur Seite stellen könnte, wenn dadurch nicht verwischt würde, daß "Gegliedertheit" "Gegliedertgegebenheit" ist. Das "Wie", "für wen" und "Was" des Gegebenen ist in den ersten drei Tatsachen eingeführt.

Äußerlich kann man für die Trennung der beiden Teile anführen, daß die ersten drei Tatsachen "einfache Tatsachen" sind, untereinander gleichberechtigt und geeignet zur unmittelbaren Ableitung der Folgen für Gegenstand und Verfahren, während die vierte Tatsache ein "Tatsachenbündel" darstellt, das erst wieder in einfache Tatsachen zerlegt werden muß, um seine Stelle neben den ersten drei Tatsachen in der größeren Einheit des Tatsachenbündels "Gegebenheit" richtig einzunehmen; ferner daß die Vermischung von Tatsachen der "Gegebenheit allgemein" und der "Gegliedertheit" an der Verwirrung der Metaphysik große Schuld hat, so daß hier gar nicht weit genug getrennt werden kann; endlich, daß die Behandlung der ersten drei Tatsachen etwa denselben Raum beansprucht wie die der vierten Tatsache, so daß ein wohlgefälliges Verhältnis der Teile entsteht (1).

Daß "Gegebenheitslehre" den ganzen Hauptteil der Metaphysik und zugleich mit dem Zusatz "allgemein" (dem kein "besondere Gegebenheitslehre" für "Gegliedertheitslehre" entsprechen darf!) einen Unterteil bezeichnet, ist natürlich ein Fehler; vielleicht findet sich einmal für den Hauptteil eine bessere oder doch unmißverständlichere andere Überschrift.

Geschichtliches: Das Problem der Gegebenheit wird in seinem ganzen Umfang zuer auf der monotheistischen Stufe wissenschaftlich erfaß und einheitlich ausgestaltet; die Schöpfungsgeschichte der "Genesis" enthält alle vier Tatsachen der Gegebenheit in der für unsere Kultur klassischen Gestalt der bildlichen Ergänzung. Die Welt und der Mensch werden ohne menschliches Zutun "bestimmt", d. h. geschaffen und hingestellt, vo einer übermenschlichen Gottheit; fertig, erwachsen, schlagen Adam und Eva im fertigen Paradies die Augen auf, das für sie bereitet ist; feierlich wird der Mensch zum Herrn und Besitzer der Natur eingesetzt; er ist Mittelpunkt und Zweck der Welt, die dadurch ganz von selbst in zwei Hauptstücke, Mensch und übrige Schöpfung, zerfällt. Die Gegliedertheit des Gegebenen kommt in der Reihe der Schöpfungstage und -werke zur Darstellung.

Über der Welt des Menschen, die geschaffen und gegeben ist von Gott, steht aber ein zweites Gegebenes, ungeschaffen und ohne Geber; die Tatsache der "Gegebenheit ohne Geber" kommt doch noch zu ihrem Recht - nachdem die Erfahrung überschritten ist: die Gottheit ist das "Urgegebene", bestimmt ohne Bestimmer und ohne Zutun eines Wesens daseiend (aber nicht anschaulich bestimmt), für sicht, nicht für den Menschen gegeben, überweltlich und doch als Schöpfer der Welt und Urbild des Menschen der Welt verwandt, ungespalten, aber Persönlichkeit.

Auf der monistischen Stufe wird die Spaltung in ein Urgegebenes und ein Gottgebenes beseitigt, die Einheit des Gegebenen hergestellt; die hellenischen Monisten beseitigen die Bildelemente in der Gegebenheit, verlieren aber mit den "Allzumenschlichkeiten" auch die "Tatsache der berechtigten Menschlichkeit"; zwar stellt PROTAGORAS den Menschen als "Maß der Dinge" her, doch folgt ihm nur ein Sturm auflösender Zweifel, den SOKRATES bannen lehrt, ohne doch der Wissenschaft die verlorenen Tatsachen in abgezogener Gestalt geben zu könen; PLATON und ARISTOTELES lassen den "Schöpfer" wieder zu; die monotheistische
Gegebenheitslehre wird als Rettung aus einzelwissenschaftlicher Ratlosigkeit hergestellt. Erst KANT hat auch den Spuren von LEIBNIZ die Tatsache des "für den Menschen seins" in ihrer ganzen wissenschaftlichen Bedeutung erkannt und kritisch eine Gegebenheitslehre geschaffen, die Bild- und Tatsachenteile schied und vor allem die erste und zweite, dann die vierte Tatsache der Gegebenheit erörterte.

FICHTE hat in den drei Hauptsätzen seiner Wissenschaftslehre" der dritten Tatsache zu ihrem Recht verholfen und systematisch eine "Gegebenheitslehre" zu geben versucht; "ansich bestimmt" ist das "Ich"; "für den Menschen" sind "Ich und Nicht-Ich als vom Ich gesetzt"; "Ich und Nicht-Ich" sind die "Stücke der Gegebenheit"; die Gegliedertheit schließt der Satz vom teilbaren Ich und Nicht-Ich ein.

Wie der biblische Mythos neben den Tatsachen der Gegebenheit die übrigen Tatsachen der Metaphysik und allerlei Einzelwissenschaftliches ungesondert enthält, so ist in FICHTEs Sätzen die ganze Metaphysik und dazu die Logik untergebracht.


Die "Lehre von der Gegebenheit allgemein", als erster Teil der Gegebenheitslehre, behandelt die ersten drei Tatsachen der Gegebenheit in der Reihenfolge:
    Tatsache 1: Das Gegeben ist ohne menschliches Zutun anschaulich-bestimmt gegeben. (1. Von der Ansich-Bestimmtheit des Gegebenen.)

    Tatsache 2: Das Gegebene ist dem Menschen gegeben. (2. Von der Menschlichkeit des Gegebenen.)

    Tatsache 3: Das Gegebene ist als Mensch und Nicht-Mensch gegeben. (3. Von den Stücken des Gegebenen.)

Erstes Hauptstück
Von der Ansich-Bestimmtheit des Gegebenen

Tatsache 1. Das Gegebene ist ohne menschliches Zutun anschaulich-bestimmt gegeben.

Wenn wir einen naiven Menschen, ein größeres Kind etwa, fragen, welcher allgemeinste Zug an allen Dingen und Geschehnissen der Welt ihm auffällt, so wird die Antwort nicht sein: "daß sie gegeben sind", sondern "daß sie sind". "Die Welt ist" nicht "die Welt ist und gegeben", ist dem Naiven, wenn er zu denken beginnt, die erste und allgemeinste Tatsache der Physik; er denkt nicht daran, daß er, der Mensch, dazugehört, damit ihm, als Menschen, etwas gegeben sein kann, daß "sein" für ihn immer ein "für ihn, den Menschen sein" bedeuten muß; wenn man ihn darauf aufmerksam machen würde, so würde er doch bei seiner Auffassung bleiben: gerade daß die Welt etwas ist ohne Mensch, etwas, was gar keine Rücksicht auf Menschen nimmt, etwas, was man erst kennenlernen muß, um sich von Schaden zu hüten, dessen Bekanntschaft aber auch immer zunehmende Vorteile bringt, Möglichkeiten der Nutzung und des Genusses in unbegrenzter Fülle erschließt - das ist ihm das Wichtige und kennzeichnende Allgemeine an ihr. Wir können dem naiven Menschen hierin folgen, indem wir von "uns" im "Gegebenen" absehen, nicht naiv, wie er, sondern bewußt, zum Zweck der Erforschung der Tatsachen der Gegebenheit; wir vereinfachen die Aufgabe, wir vergessen aber nicht, daß wir sie vereinfacht, etwas weggelassen haben, und daß wir dieses Weggelassene weiterhin, wenn der Zweck der Vereinfachung erreicht ist, wieder herstellen und untersuchen müssen.

"Die Welt ist"; die Sonne, das Meer, ein Fels, eine Wolke - "sie sind". Wir stellen uns vor einen beliebigen Felsblock im Wald oder auf der Heide hin und versuchen, näher zu bestimmen, was wir meinen, wenn wir von ihm sagen: "er ist".

Der Felsblock ist "da", "ein Stück Wirklichkeit", ein fester Körper an einem bestimmten Platz, wenn wir mit geschlossenen Augen oder in Gedanken an ihn anrennen, stoßen wir uns eine Beule daran. Er ist "ein Stück anschauliche Bestimmtheit", er hat diese Größe und diese Gestalt, diese Ecken, Kanten und Löcher, diese Farben, grau oder rot, dieses Korn, diese Moosflecken und Erddecken, die ich vor mir sehe; er ist da und bleibt da, auch wenn ich die Augen schließe oder weggehe; wenn ich sterbe - er überlebt mich an seinem Ort, wie er da stand, lange ehe ich geboren war, ja ehe es Menschen gab vielleicht: er ist für sich da, ohne den Menschen, vor, neben, nach ihm, unabhängig davon, ob er von ihm gesehen wird, ob er "Menschen" oder sonst einem Wesen oder keinem "gegeben" ist.

Dasselbe gilt vom Meer; es is ein Stück flüssige Wirklichkeit, weit über den Erdball ausgedehnt, in seiner ewigen Bewegtheit gestaltlos und doch anschaulich bestimmt mit seinen blauen oder gelben Wogen und dem spritzenden Schaum, sich genug in seiner elementaren Gesetzlichkeit, sich gleich, ob es den Menschen entzückt und trägt oder ihn schreckt und verschlingt.

Der Feuerball der Sonne, heiße, helle, allbelebende Wirklichkeit, ist ein Urbild übermenschlicher Gesetzlichkeit; von ihm schweift der Blick hinaus in die Unendlichkeit der Sternenwelt, in den Bereich dessen, was ist und doch nie für uns ist, Welten wie unere Sonnenwelt, körperlich-wirklich, anschaulich-bestimmt und in festen Bahnen seit Jahrmillionen laufend, von denen uns gelegentlich ein aufleuchtender Stern oder ein Komet Kunde gibt.

Eine Wolke, die zerfließt, die Luft, unsichtbar, aber fühlbar, ein Gemisch von Gasen, die wir trennen können, sie sind "luftig" wirklich, "anschaulich-bestimmt", ohne daß sie ein Auge sehen muß; und wieder öffnet sich die Aussicht ins "Seiende, das ist und doch noch nicht für uns ist"; seit vielen Jahrtausenden "sind" Radium- und Röntgenstrahlen, Tuberkel- und Cholerabazillen; sie sind "da", "Wirklichkeit" (denn sie wirken), anschaulich-bestimmt; und doch sind sie kaum ein paar Jahrzehnte für uns da, von uns bemerkt und angeschaut.

Wir kehren aus der Natur ins Zimmer zurück; auch der Tisch und der Stuhl, das kleine Gemälde an der Wand und die Daubenschale aus Pompeji "sind", d. h. sie sind "körperlich, anschaulich-bestimmte Wirklichkeit", "ohne menschliches Zutun", obgleich von Menschen erdacht und geformt zu menschlichen Zwecken; sie "bleiben im Zimmer" wenn wir gehen, sie überleben uns, führen ein selbständiges, unabhängiges Dasein ohne uns.

Und wenn wir uns in unser Inneres wenden, zu Vorstellungen von Fels und Sonne, zu Entwürfen von Tischen und Bildsäulen, die erst körperlich ausgeführt werden sollen, zu Träumen und abgezogenen Gedanken - sie alle "sind"; sie sind "da" und "wirklich", nicht körperlich, aber anders, "denklich-wirklich"; sie sind "anschaulich-bestimmt", stehen vor dem "inneren Auge", vielleicht ärmer an Zügen, als entsprechende Körper, deshalb "unbestimmter im Vergleich mit diesen", aber "bestimmt", selbst durch einen Zug, "anschaulich", selbst ganz abgezogen; sie sind "ohne unser Zutun" da, obgleich wir sie "erzeugen", wahrnehmend und vorstellend, obgleich wir sie "erzeugen", wahrnehmend und vorstellend, obgleich sie an unser Bewußtsein und unser Leben gebunden sind; sie haben eine Selbständigkeit; unsere "Anlage" bestimmt sie, "es denkt und klingt in uns", wir haben "Einfälle" und werden von Zwangsvorstellungen gequält; das Verhältnis darf wohl dem zur Körperwelt angeglichen werden, wie es im Bild des "Zuschauerseins" den eigenen Vorstellungen gegenüber geschieht.

Alles, was "ist", ist "da" und "wirklich", "anschaulich-bestimmt" und "ohne menschliches Zutun, unabhängig vom Menschen "ansich" gegeben; das *Gegebene ist "ohne menschliches Zutun anschaulich-bestimmt gegeben", das bedeutet der Ausdruck "es ist" in diesem Fall.

An Beispielen aus der täglichen Erfahrung jedes Menschen haben wir das gezeigt; es handelt sich um eine einfache Erfahrungstatsache, die jedem bekannt und vertraut ist, die jeder Mensch in jedem Augenblick an dem, was ihn eben umgibt oder was er eben vorstellt, nachprüfen und bestätigen kann.

Sie wird dementsprechend von niemandem geleugnet oder bestritten, wenn sie nur ganz genau und vollständig klargestellt wird; die Einwände gegen die Tatsache gelten nicht ihr, sondern einseitigen und zu engen Fassungen von ihr, denen in den Beispielen vorgebeugt werden sollte; durch eine genaue Bestimmung der Bedeutung der Worte in unserem "Grundsatz der Ansich-Bestimmtheit" soll ihnen allgemein begegnet werden.

"das Gegebene ist bestimmt gegeben" heißt: der Fels, das Meer, die Sonne, die Wolke und die Luft, unbekannte Sterne und Strahlen, Tisch und Gemälde, Vorstellungen und Gedanken, Träume und Wahnideen sind als Fels und Meer, als Tisch und Gemälde, als Vorstellungen und Träume von Fels und Tisch, als nichts anderes bestimmt.. "Bestimmtsein" gilt also gleichmäßig von Körperwirklichem aller Art, Festem, Flüssigem und Gasförmigem, Natürlichem und Künstlichem, wie vom Denkungswirklichen aller Art: wir sehen von allen Unterschieden in der Bestimmtheit ab, die wir sonst verwerten, um Körperwirkliches und Denkungswirkliches, zwei Wirklichkeitsarten, oder verschiedene Körperarten und Denklichkeitsarten (fest, flüssig, gasförmig; eine Vorstellung, eine Erinnerung, einen Traum), voneinander zu sondern, indem wir eins im Vergleich mit dem anderen "bestimmt", das andere "unbestimmt", weil er "zerfließt"; ein "Tisch" ist bestimmt neben der "Vorstellung eines Tisches", weil er allen zugänglich, greifbar und hart ist und mehr Züge hat; ein "Traum" ist unbestimmt neben einer Vorstellung im Wachen, weil er weniger Züge hat und weniger in der Erinnerung haftet: all diese "Bestimmtheitsunterschiede", Unterschiede in der Klarheit und Deutlichkeit des Gegebenen, die durch die ausschließende Entgegensetzung vergleichend hervorgehoben werden, liegen innerhalb der allgemeinen Bestimmtheit des Gegebenen ; selbst das Unentdeckte, von dessen bestimmten Zügen im Einzelnen wir gar nichts wissen, kann als vielleicht einmal entdeckbar "bestimmt" heißen. (Die Radiumstrahlen z. B. waren ohne Frage "als Gegebenes bestimmt", ehe wir ihre Merkmale kannte.)

Es kann also gar nichts "Unbestimmtes" im Gegensatz zu diesem "Bestimmten" geben; das ist der Sinn des Satzes "das Gegebene ist bestimmt gegeben"; "gegeben sein" ist "bestimmt sein", "unbestimmt sein" ist "nicht-gegeben sein", "nicht-sein"; die Bildung eines Gegensatzes "nicht-bestimmt-" "unbestimmt-gegeben sein" zu "bestimmt-gegeben sein" ist sinnlos und widerspruchsvoll, weil "gegeben = bestimmt" ist. Da wir aber im Alltag von Teilen des Gegebenen als "bestimmt" reden, im Vergleich mit anderen, die wir "unbestimmt, nicht-bestimmt" nennen, so scheint die Gegensatzbildung auch mit Bezug auf das Gegebene als Ganzes, das immer bestimmt ist, erlaubt; wir bekommen einen doppelten Sprachgebrauch, bei dem "bestimmt" bald alles bezeichnet, was miteinander verglichen "bestimmter und unbestimmter" heißen darf, bald nur einen Teil davon, das "Bestimmtere"; man kann, dadurch verwirrt, die Bestimmtheit alles Gegebenen leugnen, umso leichter, als die "Wirklichkeitsunterschiede", "die Bestimmtheitsunterschiede innerhalb der allgemeinen Bestimmtheit", Unterschiede in der Art des Gegebenen oder der Zahl der Züge, praktisch wichtiger, daher sprachlich früher geprägt, und reicher an Vorstellungsgehalt sind als die "allgemeine Bestimmtheit des Gegebenen"; sie gehören auch in die Metaphysik, aber in die "Gegliedertheitslehre".

Das "Bestimmtsein" des Gegebenen einzeln als "Erfahrungstatsache" zu erfassen, hat Schwierigkeiten; tausend bestimmte Gegenstände und Vorstellungen schweben als Erfahrungsbeispiele vor; sie zerfließen aber vollständig, wenn wir an allen zusammengenommenen oder an einem Einzelnen die "reine Bestimmtheit" erfahren wollen: wir bekommen immer nur die Erfahrung eines "Anschaulich-Bestimmten"; "Bestimmtsein" ist "anschaulich-bestimmtsein"; nimmt man die anschaulichen Züge weg, so bleibt nicht "reines Bestimmtsein", sondern nichts; das sogenannte "reine Bestimmtsein" besteht aus einer Mindestzahl anschaulicher Züge, die wir als unanschaulich anzusehen belieben.

"Das Gegebene ist bestimmt gegeben" heißt dasselbe wie "das Gegebene ist anschaulich gegeben"; wir sagen darum "das Gegebene ist anschaulich-bestimmt gegeben".

"Anschaulich" ist ursprünglich, was das Auge anschaut, was es anschauen kann, was als Gesichtseindruck gegeben ist. Vom "Sichtbaren" wird der Begriff dann ausgedehnt auf Hör-, Schmeck-, Riech- und Fühlbares, auf das ganze Gebiet der "äußeren Sinne", weiter auf das Gebiet der "inneren Sinne", die zum Teil dieselben sind wie die äußeren, nur nicht an der Körperoberfläche sitzen (Drucksinn, Wärmesinn im Darm zu Beispiel), zum Teil ihnen vergleichbar sind und arbeiten (zum Beispiel Organgefühle, Hunger, Bewußtsein und ähnliches); damit heißt "anschaulich" alles, was sinnlich wahrgenommen wird in der "Außenwelt" und im eigenen Körper, alles "Wahrnehmbare" und "Körperwirkliche".

Der Gegensatz dazu ist das "Vorstellbare" und "Denkwirkliche" - das müßte eigentlich "unanschaulich" heißen; in der Tat wird "anschauen" = "sinnlich wahrnehmen" in einen Gegensatz zu "denken" = "nicht anschaulich Gegebenes empfangen" gestellt. Aber die Sprache selbst läßt diesen Gegensatz nicht bestehen: auch dies ist ihr "anschaulich", zumindest zum Teil; das "Vorgestellte" steht vor dem "inneren Auge" und wird von ihm "wahrgenommen", "angeschaut", wie die Außenwelt vom äußeren Auge; der "innere Sinn" vermittelt nun nicht nur Wahrnehmungen vom eigenen Körperinneren, er wird erweitert, dient dem bildlichen Ausdruck der Tatsache, daß auch "Denkungen" "anschaulich gegeben" sind, in "Bildern", die noch den sinnlichen Wahrnehmungen gleichen, denn sie entstammen, von "Bildresten" als "anschauliche Elemente" "begleitet".

Die Psychologie hat versucht, "anschauliche" Denkungen, "Vorstellungen", von "unanschaulichen" "Gedanken", getrennt zu halten, den Gegensatz von "Wahrnehmmung" und "Vorstellung", der ihr als Grundunterscheidung der zwei Wirklichkeitsarten wesentlich ist, nicht verwischen zu lassen und doch dem Unterschied der verschieden anschaulichen Denkungen (ferner der allgemeinen Anschaulichkeit des Gegebenen) gerecht zu werden; sie spricht von "anschaulich = sinnlich Wahrgenommenem" und von "Vorgestelltem", das eigentlich "nicht-anschaulich, nicht sinnlich", nur "von sinnlichen Bildern begleitet" ist; sie entlarvt den "inneren Sinn", der "Vorstellungen" "anschaut", als eine wertlose bildliche Redeweise, verwirt ihn als unbrauchbar, irgendetwas zu "erklären", und hat ganz recht von ihrem Standpunkt aus.

Aber was der Psychologie wertlos ist, ist der Metaphysik wertvoll; der Ausdruck "innerer Sinn" in seiner bildlichen Meinung ist eine vorbereitende Begriffsbildung der Metaphysik; unter dem Bild einer Entsprechung von inneren und äußeren "Augen" wird als wesentlich hingestellt, daß alles "anschaulich" gegeben ist, daß der Unterschied von "Wahrnehmungen" und "Vorstellungen" daneben vernachlässigt werden soll. (Die Metaphysik nimmt ihn in der "Gegliedertheitslehre" gesondert wieder auf; die Psychologie kann ihn nie vernachlässigen!) Die Tatsache, daß alles "anschaulich" gegeben ist, gibt also die Grundlage für zwei Begriffsbildungen ab, für eine psychologische (einzelwissenschaftliche) und für eine metaphysische; bei der psychologischen wird sie zugegeben, aber neben dem Unterschied der beiden Wirklichkeitsarten in der psychologischen Form von "Wahrnehmung" und "Vorstellung" durch eine Wertung und Deutung (als "begleitend, sekundär, unwesentlich" bei "Vorstellungen") in den Hintergrund geschoben; bei der metaphysischen tritt sie beherrschend hervor in der "allgemeinen Gegebenheitslehre", während die Unterschiede der Wirklichkeitsarten als "Körper- und Denkwirklichkeit" und (getrennt davon!) als "Wahrnehmung und Vorstellung" in der "Gegliedertheitslehre" zu behandeln sind.

Wenn nennen also "anschaulich gegeben" nicht nur alles, was sinnlich wahrgenommen wird, außer und in uns (Gefühle!), sondern auch alles, was vorgestellt wird, und zwar sowohl Vorstellungen, bei denen das "Anschaulichsein" so stark und bewußt ist, daß wir ganze Bilder "sehen", als "abgezogene" Vorstellungen, die man als "Gedanken" wohl im Gegensatz zu den ersten stellt, bei denen nur Zeichen oder einzelne Züge oder Gruppen von Vorstellungen unbestimmt "angeschaut" werden: der Fels und das Meer, die Sonne, die Wolke und die Luft, der Tisch und das Gemälde sind "anschaulich gegeben" wie "Allgemeinbegriffe" von ihnen.

Alles, was gegeben ist, ist in diesem Sinn "anschaulich gegeben"; alles, was "ist", ist "anschaulich". Ein Klopfgeist, dem Auge unsichtbar, nur durch sein Klopfen bemerkbar und erkennbar, wäre ebenso "anschaulich", wie es die Geruchsspuren einer Fährte sind, die nur eine Hundenase, kein Mensch wahrnimmt, oder der Ultrateil des Spektrums und die Röntgenstrahlen, die wir uns mit allerlei Hilfen "bemerkbar" machen müssen; der Gedanke im Kopf eines anderen ist "anschaulich gegeben", nicht mir, aber dem anderen; "anschaulich" ist selbst ein unentdeckter Stern oder eine unentdeckte Strahlenart - wenn auch noch nicht, vielleicht niemals von Menschen "angeschaut"; wir könnten von "grundsätzlich anschaulich" sprechen, für den Fall "anschaubar", daß sich das Hilfsmittel findet, das die Brücke zu unseren Sinnen schlägt.

"Anschaulich gegeben" ist also keineswegs "anschaubar gegeben" oder "von Menschen angeschaut" - in der Regel fällt das zusammen, nicht durchweg: der Neptun war "anschaulich", ehe es Menschen gab, die ihn anschauen konnten; als es Menschen gab, war noch Jahrtausende "unangeschaut", bis ihn eine kühne Berechnung suchen und finden ließ; dasselbe gilt von den Radiumstrahlen, vom Nordpol oder vom Erdinnern in seiner höchsten erreichten Tiefe.

Da "anschaulich-gegeben" nicht "sinnlich gegeben" allein bedeutet und "sinnlich" gegeben nicht gleich "Schein, Trug" ist, obgleich gelegentlich Sinne "trügen", darf "anschaulich-gegeben" ja nicht gleich "allzu menschlicher Schein" einem "übermenschlichen Sein oder Wesen" gegenübergestellt werden; auch nicht in der erweiterten Gestalt, daß alles "Vorgestellte", als an menschliches Leben und Bewußtsein gebunden, "allzu menschlich" genannt und dem "Schein" zugezählt wird.

Darauf, daß nicht alles "Anschauliche" (der Möglichkeit nach) auch wirklich "angeschaut" und für Menschen "anschaubar" ist, und daß alles "Anschauliche" "Sinnenschein", mindestens sinnlich erworben, und "menschlich" ist, berufen sich diejenigen, die die "Anschaulichkeit" alles Gegebenen leugnen - sie weisen richtig darauf hin, daß es "verborgene Wirklichkeitsteile" geben muß, die jederzeit, aber auch nie, entdeckt werden könnten, die "da sind" ohne "anschaulich zu sein, weiter daß nicht alles "Gegebene" sinnlich anschaulich ist, entweder als "vorgestellt", "gedacht" oder als ein Bewußtseinsinhalt, der nicht durch Sinne dem Menschen zugekommen (2) ist, "angeborene Ideen", LEIBNIZ' "Nihil est in intellectu, quod non antea fuerit in sensu, nisi intellectus ipse." [Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war, außer der Verstand selbst. - wp], KANTs "a priori"; eine Lehre vom "menschlichen Schein", und vom "unanschaulichen Sein" als denkerkennbarem "Wesen" oder unerkennbarem "Ding ansich" knüpft daran an. (3)

Nach unserer Erläuterung von "anschaulich-gegeben" sind diese Einwände nicht aufrechtzuerhalten; wir geben ein "noch nicht angeschautes", vielleicht nie anschaubares Wirkliches zu, behaupten aber, es sei "grundsätzlich anschaulich", wei das Angeschaute; und wir nennen "anschaulich gegeben" alles, Wahrgenommenes und sinnlich und abgezogen Vorgestelltes.

Alles Gegebene ist "anschaulich gegeben", nichts "ist", was "gegeben", aber "nicht anschaulich gegeben" wäre; ein "unanschaulich" "Gegebenes" ist ebenso ein Widerspruch in sich wie ein "unbestimmtes" Gegebenes, denn "gegeben sein" ist "anschaulich sein", wie es "bestimmt sein" ist. Nur ein Doppelsinn im Gebrauch des Wortes "anschaulich", bald für alle Wahrnehmungen und Vorstellungen, bald für eins im Unterschied vom anderen, kann diese Grundtatsache verwirren.

Das "Anschaulich-sein" des Gegebenen scheint einzelne leichter als Erfahrungstatsache zu erfassen als das "Bestimmtsein"; das kommt daher, daß wir gewöhnlich nicht versuchen, ein "reines Anschaulichsein" ohne Bestimmtsein vorzustellen (allenfalls könnte dabei ein bunter Schleier vorschweben, der aber immer "Bestimmtheit" als "bunt" und "Schleier" besäße); in der Tat ist "Anschaulichsein" immer zugleich ein "Bestimmtsein" - "das Gegebene ist anschaulich- bestimmt gegeben" heißt nicht: "es hat zwei untrennbare tatsächliche Eigenschaften", sondern es hat eine; "bestimmt sein" heißt "anschaulich sein", ist ein und dasselbe damit; unsere Unterscheidung zerlegt das eine Anschaulich-bestimmte, indem sie einem Teil desselben die Anschaulichkeit abspricht, ihn im Gegensatz zum Übrigen "nichtanschaulich", also "nur bestimmt" nennt; dieses Vorgehen findet seinen Halt in der Unterscheidung sinnlicher Eindrücke in "eigentlich anschauliche" (Auge, Ohr) und "unanschauliche" (Gestalt), die dazu noch "festen, bestimmten Körpern" zukommen, und im "gegebensein nicht angeschauter Teile in der Wirklichkeit" - die sinnlichen Eindrücke sind für uns alle "anschaulich", die "nicht angeschauten Teile" dürfen nicht als "bestimmt, aber nicht anschaulich" gelten, sondern müssen entweder "weder bestimmt noch anschaulich" oder "grundsätzlich bestimmt und anschaulich" heißen.

"Das Gegebene ist ohne Zutun des Menschen gegeben" heißt "es ist unabhängig vom Menschen, selbständig da", es ist "so und nicht anders" da, ohne daß der Mensch es so gemacht hat oder anders machen kann; es ist da auch "ohne den Menschen", wo kein Mensch ist und wo kein Mensch es sieht; es ist "ansich-bestimmt", nicht durch den Menschen bestimmt, "etwas für sich" nicht nur etwas "für den Menschen".

Der Fels ist an dieser Stelle und hart, grau, so groß und breit, ohne daß ihn ein Mensch hingestellt oder geformt hat; er bleibt hartnäckig an seinem Platz, wenn ich, der Mensch, ihn verschwinden lasse, indem ich die Augen schließe, mich abwende, oder wenn ich wünsche, befehle, er solle weg sein; wenn ich ihn verneine und weitergehe, als sei er nicht da und nicht, so renne ich mir eben den Kopf an ihm ein; er ist so und nicht anders, nicht von mir gemacht und bestimmt (obgleich ich ihn umgestalten kann), nicht von mir zu vernichten (obgleich ich ihn verpulvern kann) (4). Beim Beispiel von Meer und Sonne tritt dieses "ansich", "ohne menschliches Zutun so sein" noch stärker ins Bewußtsein; die Sonne läuft ihre Bahn unabänderlich, das Meer verschlingt den Menschen, ein wehrloses Nichts. Der Tisch und das Gemälde, als Typen des "ohne menschliches Zutun seins", sollen recht fühlbar machen, daß "Formen, Bilden" eines Stoffes durch den Menschen nicht "Zutun" sein sollen; der Tisch, das Gemälde, einmal geformt, ist etwas "ansich Bestimmtes", Selbständiges, wie ein Fels oder die Sonne; wir hätten auch ein Kind als Beispiel anführen können, um das "körperliche Zeugen" auszuschalten. Auch bei Vorstellungen, schöpferischen Einfällen, Plänen, Träumen und anderem soll davon abgesehen werden, daß wir sie "machen", "geistig erzeugen", indem wir Wahrnehmungen herbeiführen oder bei geschlossenen Augen etwas aus dem Nichts hervorsteigen und wieder in Nichts versinken lassen (Urbild des Schaffens aus Nichts und des Vernichtens), daß wir Vorgestelltes umformen und neuformen können; sie sollen als "ansich so" gelten, wie Fels oder Meer, wie der Stoff zu Tischen und Gemälden. Zur "anschaulichen Bestimmtheit" kommt neu hinzu, daß sie eine Selbständigkeit besitzt, keine menschliche Bestimmtheit ist, die uns etwa schon bekannt wäre. Immer aber soll eine "Bestimmtheit für Menschen" gemeint sein.

Der Fels ist aber auch "ohne Menschen" da - bevor es Menschen gab, vielleicht noch nachdem sie ausgestorben sind; die Meeresfläche dehnt sich endlos in Räume, die nie ein Mensch befahren hat; die Rückseite des Mondes, das Innere der Erde ist uns ewig verborgen; Sterne laufen in festen Bahnen unendlich weit außerhalb des Bereichs unserer Fernrohre; selbst der Tisch ist selbständig genug, uns zu überleben; unser eigener Körper hat ein Vorleben in Keimzellen und deren Ahnen geführt und überlebt uns als unorganische Masse. Unsere Vorstellungen fliegen zwar nicht frei herum im Raum (als denkwirkliche Seelen oder Bilder), sie sind nicht "ohne Menschen", aber selbständig in uns, bald da, bald verschwunden. Das Gegebene ist etwas "für sich", "etwas, das ohne den Menschen ist" (mindestens als Körperwirkliches), nicht nur etwas, solange es der Mensch anschaut, solange und soweit es "dem Menschen gegeben" ist. Es kann deshalb über den Menschen hinausreichen, "sein", ohne "für den Menschen zu sein", bevor es Menschen gibt, und nachdem sie ausgestorben sind (5), neben den Menschen, ihnen verborgen, außerhalb der Reichweite und Fassungskraft ihrer Glieder und Sinne (6).

Und es kann das nicht nur, es ist es in der Tat. Wir erleben fortwährend, wie Gegebenes um und in uns "uns entschwindet" (wenn wir uns z. B. abkehren) und wieder "offenbar wird" (bei den Vorstellungen kann man allerdings wieder nur im Bild, das nach der Körperwelt gemacht ist, behaupten, das "Entschwundene" "ist"); wir haben alle Erweiterungen unseres Gegebenen durch die Entdeckung verborgener Teile des Gegebenen erlebt.

Die Radiumstrahlen, der "Planet Neptun", der Nordpol vor ihrer "Entdeckung" waren "für sich", das heißt "ohne dem Menschen bekannt, gegeben zu sein", ihm verborgen, aber sie waren "wirklich", "vorhanden" ohne jede Frage. Und sie waren so vorhanden, wie sie dann "entdeckt" wurden, "so bestimmt, nicht anders", mit dieser Wellenlänge und dieser Vor-Geschichte, mit dieser Größe und Bahn um die Sonne, mit dieser Vereisung und diesem Meer. Wir können nicht zweifeln, daß es mehr derartiges Unentdecktes gibt - manches ist halb entdeckt, z. B. bestimmte Krankheitserreger, die wir wirken sehen, ohne sie fassen zu können, anderes kann täglich ein Zufall aufdecken (wie die Röntgenstrahlen); bis jetzt "ist es" und ist doch für uns "noch gar nicht", kann man sagen.

"Das Gegebene ist zum Teil nicht gegeben, ja nie gegeben; das Seiende kann nicht-sein, ist nicht, das Nichtseiende "ist", ist wirklich; nicht nur was ist, ist, sondern auch was nicht ist, ist; das Sein erstreckt sich weit ins Nichtsein." So könnte man in Wortspielen die Tatsache ausdrücken, daß nicht alles Gegebene immer "offenbar" ist, sondern daß es "zeitweise verborgen" sein kann, daß etwas "gegeben sein kann ohne Menschen", daß etwas "vorhanden sein", "sein" kann ohne noch, oder jemals "für Menschen vorhanden zu sein", "für Menschen zu sein". An Beispielen erläutert, ist das eine ganz einfache, unbestrittene Erfahrung; im tägigen Leben arbeiten wir sicher mit ihr und den Worten, die sie bezeichnen ("dasein, vohandensein", das nicht "für Menschen dasein" ist); im reinen Gedankenspiel aber entsteht Verwirrung: "Gegebensein, sein" kann doch für uns als Menschen nur "dem Menschen gegeben sein", sein - wie kann es da "für Menschen" ein "sein" geben, das nicht "dem Menschen gegeben", nicht "für Menschen" ist?

Den Widerspruch löst uns die Erfahrung; "gegeben" ist nicht nur, was der Mensch in einem bestimmten Augenblick irgendwo eben wahrnimmt und vorstellt, sondern auch was er wahrgenommen hat oder wahrnehmen und vorstellen kann, wenn er will; wir müssen, um "das Gegebene" zu bezeichnen, den Begriff so weit fassen, daß er nicht nur einen Augenblicksausschnitt eines Einzelnen oder zahllose derartige Ausschnitte aller Einzelmenschen enthält, sondern auch das, was neben diesen Ausschnitten liegt, was augenblicklich von keinem gesehen wird, aber schon gesehen war oder wieder gesehen werden kann, was entdeckt ist, und was noch entdeckt werden kann. Umd dieses Bild vom "Gegebenen als Ganzem" zu bekommen, müssen wir das, was im Augenblick nicht "offenbar", nicht wahrgenommen oder vorgestellt von Menschen ist, als "zufällig verborgen, aber eigentlich gegeben" behandeln; wir führen ein Bild ein: auf einem Tisch liegen viele Gegenstände, einige offen, andere mit einer Decke zugedeckt; so ist es mit dem "Gegebenen", einiges ist "augenblicklich gegeben, offenbar", das Übrige ist "augenblicklich dem Menschen nicht gegeben, verborgen, aber doch gegeben, denn es ist da, nur zugedeckt"; wenn ich die Decke wegnehme, die Augen darauf richte, hingehe, um es anzusehen, wenn die Decke zufällig herunterfällt, wird es "augenblicklich gegeben, offenbar". Die Tatsache, daß etwas "ohne uns" gegeben sein kann, daß wir nicht "allwahrnehmend und allvorstellend" sind, sondern nur einiges zur Zeit wahrnehmen und vorstellen (7) können, daß unsere Erfahrung durch "Entdeckungen" erweiterungsfähig ist, wird dadurch erfaßt; die Vorstellungen werden dabei dem Körperwirklichen angeglichen, indem das augenblicklich nicht Vorgestellte, aber Vorstellbare, dem augenblicklich nicht Wahrgenommenen, aber jederzeit Wahrnehmbaren entsprechend, als "daseiend" (in einem geistigen Raum, unter der Schwelle, nur "verborgen") angesehen wird; den "Entdeckungen" in der Natur werden die "schöpferischen Einfälle" zur Seite gestellt.

Der Gebrauch des Bildes von "offen" und "verdeckt Gegebenem" ist zur Erweiterung des Begriffs der "Gegebenheit" umso mehr zulässig, als es nicht nur im Hauptzug, sondern auch in Nebenzügen das Wesentliche des Verhältnisses enthält. Wie die Gegenstände neben und unter dem Tuch einerlei Art haben, so ist das jeweils "offenbar" und "verborgen" Gegebene gleichartig, bis zur vollen Selbigkeit sogar, denn ich kann durch Wegsehen und Wiederhinsehen dieselben Dinge jetzt "offenbar", dann "verborgen" sein lassen; "gleichartig" ist auch das noch Unentdeckte mit dem Entdeckten (die Sprache selbst gebraucht das Bild von der "Decke"!), Radiumstrahlen, Neptun, Nordpol sind neue Stücke derselben Art, wie sie Physik, Astronomie, Erdkunde besitzen, wertvoll, aber nicht allein wertvoll, neben dem vorher Bekannten (auch "Wertloses" wird fortwährend "entdeckt", nur vernachlässigt). Wie die Gegenstände unter der Decke "für Menschen anschaulich bestimmt" liegen, so sind die "verborgenen Teile" des Gegebenen anschaulich-bestimmt für uns, vorstellbar, soweit sie "offenbar" waren, grundsätzlich so zu denken, soweit sie noch unentdeckt sind; "anschaulich-bestimmt" ist das Meer, auch wo es augenblicklich kein Mensch sieht; "anschaulich-bestimmt" waren Neptun und Nordpol schon bevor sie ein Mensch gesehen hatte; "anschaulich bestimmt" ist das Unentdeckte, wenn auch wir nicht sagen können, wie es aussieht, was es ist. (Es ist "noch nicht für uns", heißt eben "es ist nicht", nicht da, nicht wertvoll, bis wir erkennen, es ist gewesen, indem es "für uns etwas wird".)

Das "verborgen Gegebene" ist "für Menschen anschaulich bestimmt", wie das "offenbar Gegebene"; das ganze Gegebene, offenbar und verborgen, mit dem Menschen als Empfänger und ohne ihn, ist "für Menschen anschaulich bestimmt"; daß es (ebenfalls im ganzen Umfang, verborgen und offenbar!) "ansich bestimmt", d. h. "ohne menschliches Zutun bestimmt" ist, will nicht heißen, es ist "nicht für den Menschen" oder "nicht anschaulich bestimmt", sondern es ist "für den Menschen anschaulich-bestimmt", nur nicht "durch den Menschen bestimmt", "ansich bestimmt" ist dasselbe wie "für den Menschen anschaulich bestimmt", nur wird neu hinzugefügt, daß nicht der Mensch Bestimmer ist, d. h. daß das Gegebene ihm fremd ist, wie "für sich-gegeben" hinzufügt, das "Anschaulich-Bestimmte für Menschen" könne auch "verborgen", "ohne Menschen" sein; keinesfalls darf das "Verborgene" = dem "ansich Bestimmten", nicht "anschaulich Gegenenen", das "Offenbare" dem "für den Menschen Anschaulich-Bestimmten" gleichgesetzt werden. (8)

Dahin kommt man leicht, wenn man die Tatsache nicht ganz scharf im Auge behält. Das "verborgen Gegebene", besonders als "nicht Entdecktes", ist "nicht vom Menschen angeschaut"; es ist aber zweifellos "vorhanden, wirklich" und zweifellos "bestimmt", das beweist sein "offenbar-, entecktwerden"; "nicht angeschaut" wird nun leicht als "nicht anschaulich" gesetzt; man vergißt, daß das "Unentdeckte", wie die Entdeckung nachträglich ebenfalls beweist, nicht nur "bestimmt", sondern "anschaulich-bestimmt" war und konstruiert ein "rein Daseiendes", das "ohne menschliches Zutun" und "bestimmt", aber nicht "anschaulich" und deshalb "Menschen verborgen" ist, und ein "für Menschen Daseiendes", das "anschaulich-bestimmt", "Menschen offenbar", aber "allzumenschlich" ist (9).

Das "ohne Menschen gegeben sein" stellen wir einzeln vor, indem wir eine Landschaft, etwa eine Meeresfläche oder ein Stück Himmelsmechanik, oder ein Zimmer leer, ohne Menschen darin und dabei, denken, oder indem wir ein "Unentdecktes" durch das Bild einer Decke mit etwas daraunter, einer grauen Fläche, eines unbestimmten Etwas versinnbildlichen.

Die erste Versinnbildlichungsart gibt immer das Anschaulich-Bestimmtsein mit; auch die zweite beweist nichts für die Abtrennbarkeit der Tatsache des "Ohne-Zutun-gegebenseins" von der "des Anschaulich-bestimmtseins". In der Tat handelt es sich um ein und dieselbe einheitliche und einfache Tatsache, die wir nur verschieden benennen, um Mißverständnisse auszuschließen; das "Anschaulich-Bestimmte" ist "nicht vom Menschen bestimmt", kommt auch "ohne den Menschen", ihm verborgen, vor; das muß von ihm gesagt werden, weil alles Gegebene "dem Menschen gegeben" ist und daraus falsche Schlüsse gezogen werden, Tatsachen übersehen werden könnten. Für die einheitliche Tatsache haben wir auch ein einheitliches Wort: "das Gegebene ist ohne menschliches Zutun und anschaulich-bestimmt gegeben" kann kurz ausgedrückt werden: "das Gegebene ist", "ist ansich", "ist da", "existiert". "Das Sein ist" war die erste Form, in der die Tatsache eine wissenschaftliche Prägung fang - die Mißverständnisse, die sich an sie schlossen, ergaben die Notwendigkeit, sie zu zerlegen, sie von verschiedenen Seiten zu beleuchten; "bestimmt sein", "anschaulich sein", "ohne Zutun des Menschen sein" sind Ergebnisse dieser Zerlegung; "es ist" wäre eine zu weite Formel (sie enthält auch Tatsache 2!), "es ist ansich" und "es ist da" eine zu enge für die Tatsache, die wir somit heute wissenschaftlich nicht mehr in einem Wort aussprechen können, obgleich sie einheitlich.

LITERATUR - Hermann Schneider, Metaphysik als exakte Wissenschaft, Leipzig 1919
    Anmerkungen
    1) Dagegen wäre falsch, für die Trennung geltend zu machen, daß die ersten drei Tatsachen vom Gegebenen als Ganzem, die letzte von ihm als Summe von Einzelnen gelten; das Gegebene ist als Ganzes gegliedert (individuiert), wie es als Ganzes bestimmt oder für den Menschen ist; die Einzelnen entstehen erst durch die Gegliedertheit des Ganzen.
    2) Hier spielt eine weitere Tatsache der "Gegliedertheitslehre" herein; alles ist "sinnlich" als durch Sinnespforten eingegangen, nicht nur als "äußeren" und "inneren" Sinnen gegeben.
    3) vgl. Tatsache 2.
    4) vgl. "Gegliedertheitslehre".
    5) vgl. "Gegliedertheitslehre".
    6) Die "Grenzen" des Gegebenen durch die Einzelung des Gegebenen und des Menschen (örtliche Anwesenheit, zeitliche Gegenwart, Bewußtsein usw.) gehören in die "Gegliedertheitslehre".
    7) Vgl. Tatsache 2. Das Gegebene "ohne Mensch" ist nicht "dem Mensch gegeben", d. h. nicht "menschlich"; das wird mit dem "nicht vom Menschen bestimmt sein" (= ansich sein) des Gegebenen vermengt, als könne es eine Zusammensetzung des Gegebenen aus einem menschlichen Element und einem nicht-menschlichen für Menschen geben; die Tatsache, daß es ein "dem Menschen verborgenes Gegebenes" gibt, wird verwendet, eine "Tatsache" "Ding ansich" (= nicht dem Menschen gegeben) vorzuspiegeln; "das Gegebene ohne Menschen" ist aber für uns immer "ohne menschliches Zutun anschaulich bestimmt für Menschen", wie das "Menschen offenbare Gegebene"; das "ansich" und "für sich gegebensein" schließt das "den Menschen gegebensesin" keineswegs aus.
    9) vgl. Tatsache 2.