p-4MFKUphuesSimmelUlriciMFKEnochVernonSchultz     
 
MAX FRISCHEISEN-KÖHLER
Die Lehre von der Subjektivität
der Sinnesqualitäten und ihre Gegner

[1/2]

"Für die Gegenstände der Sinneswahrnehmung liegt der volle Beweis ihrer Falschheit vor. Denn die einzelnen Sinnesinhalte miteinander verglichen zeigen Konflikte, welche deutlich beweisen, daß ihnen eine wirkliche Existenz nicht zukommen kann. Indem die Naturwissenschaft allein an den Erscheinungen das Meßbare heraushebt, gelangt sie zur Konstruktion eines widersprüchlichen Zusammenhangs der Erfahrungen, dem gegenüber die Qualitäten als  subjektiv und  irreal angesprochen werden müssen."

Für das wissenschaftliche Denken der Gegenwart liegt die Frage nach dem Realitätswert derjenigen sinnlichen Empfindungen, die wir als Eigenschaften den Dingen der Außenwelt zuzuschreiben gewohnt sind, im allgemeinen außerhalb der Diskussion. Gewiß wird es als ein berechtigtes, ja als ein zentrales Problem der Erkenntnistheorie oder Metaphysik anerkannt, zu untersuchen, was unseren Sinneseindrücken objektiv entspricht. Aber zunächst scheint es doch, als könne diese Aufgabe erst methodisch in Angriff genommen und einer Auflösung näher gebracht werden, wenn zuvor das Recht begründet ist, überhaupt von einer Realität zu sprechen, die als eine objektive und vom Bewußtsein unabhängige Wirklichkeit den Inbegriff unserer Erfahrungen fundiert. Demgemäß hängt aller Fortgang zu weiteren Erörterungen davon ab, daß über die Annahme einer Außenwelt eine Einigung erzielt wird. Erst wenn es dem noch immer ungeschlichteten Streit der Schulen gegenüber zur Gewißheit gebracht ist, daß die Außenwelt in der Totalität unseres Bewußtseins nicht nur als Phänomen gegeben ist, tritt in der Ordnung der Fragen das Problem hervor, was von diesem Dasein, das als ein wirkliches den Erscheinungen unterliegt, als seine näheren Bestimmungen ausgesagt werden kann. Und hier wiederum liegt vor allem das Schwergewicht in der Ermittlung der Bedeutung, welche den Begriffen der theoretischen Wissenschaften von der Natur für die Erkenntnis des Wirklichkeitsganzen zukommt. Aber selbst wenn, wie es wohl von der realistischen Anschauung unserer Tage zumeist angenommen wird, diese Vorstellungen von Quantitäten und rationalen, vom Satz des Widerspruchs und des Erkenntnisgrundes bestimmten Zusammenhängen keine absolute oder zumindest keine ausschließliche Gültigkeit beanspruchen können, wenn also dem Seienden noch andere Prädikate zugeschrieben werden, als sie das menschliche Weltbild enthält, so ist doch darüber fast eine durchgängige Übereinstimmung vorhanden, daß diese nicht-mechanischen oder mehr-als-mechanischen Eigenschaften keinesfalls mit den Qualitäten, die die Sinneswahrnehmung uns an den Dingen zeigt, identisch oder auch ihnen nur analog sind. Denn ihre Subjektivität, wie sie einmal immer nur in Relation zu unserem Bewußtsein und unseren Sinnesorganen gegeben sind, scheint über jeden Zweifel hinaus erwiesen. Diese Einsicht gilt als gesichertes Ergebnis philosophischer und naturwissenschaftlicher Analyse und ist gleichmäßig angesehen und anerkannt sowohl in Anbetracht der zahlreichen Gründe, auf welche sie sich stützt, als auch der Permanenz, mit der sie sich vom frühesten Beginn der Entwicklung des philosophischen Geistes im Wandel der Zeiten und Systeme erhalten hat.

Dennoch, trotz dieser weitgehenden, historisch wie sachlich wohl begründeten Anerkennung, dessen sich die Lehre von der phänomenalen Existenz der sinnlichen Eigenschaften in den Kreisen der Philosophen und Naturforscher erfreut, sind viele Stimmen laut geworden, welche ihre Berechtigung und Haltbarkeit oder doch zumindest ihre traditionelle Selbstverständlichkeit aus Motiven verschiedenster Art in Zweifel gezogen haben und geradezu im Gegensatz zur mechanischen Naturanschauung für eine Rehabilitierung des natürlichen bunten und mit allen Qualitäten ausgestatteten Weltbildes eingetreten sind. Und zwar ist eine Oppositioin dieser Art nicht nur in unseren Tatgen hervorgetreten, wo, wie es scheint jeder Glaube und jede Lehrmeinung sich wieder hervorragen darf: vielmehr hat eine solche auch zu alten Zeiten bestanden, seitdem die Lehre von der reinen Subjektivität der Sinnesempfindungen aufgestellt worden ist. Wenn die historische Forschung diese Gegenströmung im allgemeinen bisher weniger berücksichtigt, oder man kann geradezu sagen: vernachlässigt und unterschätzt hat, so ist das erklärlich durch das so weit verbreitete Vorurteil, welches in jener Theorie eine definitive Wahrheit, in jeder Auflehnung dagegen eine Rückständigkeit oder Velleität [Willensschwäche, kraftloses Wollen - wp] erblickt. Seitdem jene Lehre aber insbesondere in neuester Zeit von den verschiedensten Standpunkten aus angefochten und in der entschiedensten Weise bestritten worden ist, kann die Geschichte sich nicht länger der Pflicht entziehen, auch hier an die Stelle einer einseitigen Beurteilung oder vielmehr Verurteilung abweichender Auffassungen ihrer gerechten Würdigung die Wege zu ebnen.

Und zugleich möchte aus einem solchen geschichtlichen Verständnis dem systematischen Denken das Recht erstehen, das Problem der Empfindungen auch einmal zuerst und unabhängig von den Fragen in Angriff zu nehmen, welche sich auf die Existenz einer objektiven Außenwelt im allgemeinen und auf die Funktion der Begriffe und Methoden der theoretischen Naturwissenschaft im besonderen beziehen. Während des 17. Jahrhunderts ist die Aufgabe einer Grundlegung der Philosophie durch das Bedürfnis bestimmt, die Realität der Erscheinungen, welche nach der Methode der mathematischen Naturwissenschaft konstruiert werden, aus dem von DESCARTES aufgestellten Prinzip des Bewußtseins abzuleiten. Im Zeitalter der Aufklärung drang im Gegensatz zu diesem synthetischen Verfahren, das gleichmäßig die Struktur der Systeme von DESCARTES, HOBBES, SPINOZA und LEIBNIZ bestimmte, seit LOCKE eine analytische Methode der Betrachtung siegreich vor, welche in einer kritischen Zergliederung des Wahrnehmungsvorgangs einerseits durch die empirische Schule, des Denkens andererseits durch die rationale Schule, die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis untersuchte und am Ende verneinte. Aber in beiden Formen des systematischen Denkens bildet die Lehre von der Subjektivität der Empfindungen eine gegebene Voraussetzung von entscheidender Bedeutung. Wie sie historisch der Ausbildung der Erkenntnistheorie im engeren Sinne vorausgegangen ist, so liegt sie ihr als eine Annahme zugrunde, welche in ihr wohl entwickelt, aber doch auch unabhängig von deren besonderen Ausgestaltungen diskutiert werden kann. Bestehen die Bedenken, welche gegen ihre Triftigkeit erhoben worden sind, zu Recht, so ergibt sich folgerichtig daraus die Forderung einer Nachprüfung dieser Bedenken. Daß die Empfindungen zunächst nur als meine Zustände gegeben sind, ist keine a priori einleuchtende Wahrheit; vielmehr ist sie eine Hypothese, die sich auf sehr verschiedene Daten stützt und daher jederzeit der Kontrolle durch diese Daten unterworfen bleibt.

Der folgende Versuch kann und will nun nicht den Anspruch erheben, auf diesem Weg eine neue Behandlung des Wahrnehmungsproblems oder seine Lösung zu erstreben. Auch nicht einmal als Vorarbeit hierzu darf er gelten. Weder gestattet der Bestand der Quellen, die unter dem angedeuteten Gesichtspunkt noch kaum oder doch nur in sehr geringem Umfang der kritischen Durchsicht unterzogen worden sind (1), eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung der Entwicklung der Sinneslehren, noch dürften vor allem unsere bisherigen physiologischen Kenntnisse, deren Unzulänglichkeit gegenüber der außerordentlichen Komplikation der wirklichen Verhältnisse die fortschreitende Forschung immer deutlicher erkennt, schon jetzt eine Entscheidung ermöglichen (2)-. So beschränkt sich diese Skizze auf den Nachweis, daß die Frage nach dem Realitätswert der Empfindungen überhaupt ein Problem ist, das nicht mehr kurzerhand abgewiesen werden und als erledigt gelten kann. Sie möchte, allerdings auf geschichtlicher Grundlage, über die wesentlichsten Gründe orientieren, welche für und dann hauptsächlich gegen die Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten aufgestellt worden sind.


I.

Seitdem die Griechen begonnen hatten, die Grundlagen der Erkenntnis einem schärferen Nachsinnen zu unterwerfen, waren sogleich die Tatsachen hervorgetreten, welche die Sicherheit jedes auf die Wahrnehmung gestützten Wissens in Frage stellen. In den Beobachtungen über Sinnestäuschungen, über pathologische Zustände und die Abhängigkeit der Empfindungen von den Organen des Empfindenden lag der Ausgangspunkt der sophistischen Kritik der Erkenntnis. Den hier entscheidenden Gründen konnten weder PLATO noch DEMOKRIT ihre Zustimmung versagen. Wenn sie auch die mächtige skeptische Bewegung, die von der Einsicht in die Relativität der Wahrnehmungsurteile aus in der Schule des PROTAGORAS und dann besonders in der der Cyrenaiker zu einem allgemeinen Relativismus fortschritt, durch die Ausbildung eines methodischen Denkens zum Stehen brachten: daß die Sinnenwelt in ihrer beständigen Veränderung keiner sicheren Erkenntnis fähig ist, daß das Objekt der Wahrnehmung nur für den Wahrnehmenden, weil nur im Akt der Wahrnehmung besteht, galt auch ihnen. So bildete die Einsicht von der Abhängigkeit der Empfindungen vom empfindenden Subjekt gleichmäßig als Ferment im Aufbau des atomistischen wie des platonischen Systems.

Denn die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Aussagen der Sinne wurden zugleich durch Erwägungen gestützt, welche unter dem Gesichtspunkt einer szientifischen Verwertung der Tatsachen der sinnlichen Wahrnehmung für die Erkenntnis des Wirklichkeitsganzen ihre Realität in Zweifel zog. In dieser Hinsicht waren die Lehren der Eleaten epochemachend gewesen, welche aus den in den Erscheinungen enthaltenen logischen Widersprüchen ihre gänzliche Unwirklichkeit gefolgert hatten. Ihre große Schule entwickelte so den methodischen Grundsatz, nach welchem das und nur das als Realität gesetzt werden darf, was den Bedingungen des wissenschaftlichen, des reinen Denkens gemäß als ein Seiendes anerkannt werden kann. So drängte der Fortgang des Erkennens auch von dieser Seite zur Ausscheidung der wandelbaren und flüchtigen Qualitäten, welche die Sinnenwelt als ein immer Werdendes und Vergehendes und ein Unbestimmtes und Unbestimmbares der Anschauung darbietet. Den Höhepunkt dieser Richtung bildete die Wahrnehmungslehre des DEMOKRIT, welche es in einer Verbindung mit der Argumentation des PROTAGORAS unternahm, den subjektiven Anteil an der Bildung der Wahrnehmungsvorstellungen näher abzugrenzen. Und diese kritischen Ansichten wurden dann zumindest nach ihrer negativen Seite hin in der skeptischen Schule weitergeführt und von ihr in einer für das Altertum abschließenden Weise dargestellt. Die erhaltenen Reste ihrer Lehrschriften enthalten eine systematische Widerlegung jeder Erkenntnis der Außenwelt, und namentlich die Zergliederung des Wahrnehmungsvorgangs gibt ein nahezu erschöpfendes Inventar aller Gründe, welche das Altertum für die allgemeine Formel der Relativität der Sinneseindrücke aufgestellt hat.

Freilich vermochte das aristotelische System diese kritischen Strömungen mit der Gewalt einer großen positiven Weltanschauung doch zu verdrängen und einen Objektivismus zu begründen, der während eines Zeitraums von fast 2000 Jahren das abendländische Denken beherrscht hat. Aber die seit dem Beginn der Renaissance einsetzende Auflösung desselben entschied zugleich über das Geschick des Wirklichkeitsglaubnes, der seine Grundlage bildete. Zwar konnte die erstarkende antike Tradition, sowie die eindringende Kritik der Nominalisten zunächst nur die Schwierigkeiten bloßlegen und die kunstvolle Theorie der Spezies zerstören, zu welcher das Mittelalter die peripatetische Wahrnehmungslehre fortgebildet hatte. Neue Vorstellungen für die Aufklärung des Empfindungsvorgangs waren in diesem Kreis von Anschauungen nicht enthalten, und so blieb die Opposition auf jene allgemeine Skepsis eingeschränkt, welche den Aussagen der Sinne grundsätzlich mißtraut, ohne den Grad ihrer Gültigkeit und Wahrheit irgendwie zu bestimmen. Die Einzelwissenschaften der Optik und Akustik konnten dadher von hier aus keine Anregungen positiver Natur empfangen; KEPLERs Untersuchungen der Licht- und Schallphänomene stehen noch vollständig unter der Annahme der Wirklichkeit der sinnlichen Qualitäten.

Aber noch in derselben Generation von Denkern bereitete sich die Umwälzung der Wahrnehmungslehren vor, durch welche die Einsicht in die bloß phänomenale Existenz all dessen, was uns als Inbegriff sinnlicher Erscheinungen gegeben ist, wiederhergestellt wurde. GALILEI zuerst (3) sprach es als eine fundamentale Voraussetzung seiner Naturforschung aus, daß im Begriff der  Materie  nur die Merkmale ihrer räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit aufzunehmen sind, während alle übrigen Eigenschaften dagegen als bloße Wirkungen jener in einem empfindenden Körper gedacht werden müssen. Aber die lebhafte Polemik, in welche er gerade in Bezug auf diesen Punkt mit dem Pater GRASSI, dem Anwalt des kirchlichen, des aristotelischen Glaubens, verwickelt wurde, bewies, wie notwendig es war, die gelegentlichen und sehr vorsichtigen Ausführungen durch eine allseitige Begründung zu ergänzen. Diese Aufgabe wurde durch die Arbeiten von MERSENNE, DESCARTES und HOBBES (4) gelöst. Ihre grundlegenden Publikationen, die noch nicht den Zeitraum zweier Jahrzehnte umspannen, führten erst den Sieg der neuen Erkenntnis herbei. Und zwar liegt der wesentliche Fortschritt, mit welchem diese Männer über eine bloße Erneuerung der Position DEMOKRITs hinausgingen, vor allem im Verhältnis, in welchem bei ihnen die Lehre von der Subjektivität der sinnlichen Qualitäten zu den positiven Erfahrungswissenschaften erscheint.

Die Einsicht, welche sie ausspricht, bildet zunächst den Abschluß der Besinnung über die fundamentalen Prinzipien, welche die wahre physikalische Forschung konstituieren. Die Eleminierung der sinnlichen Qualitäten aus dem objektiven Naturgeschehen tritt so als ein Korrelat der mechanistisch-mathematischen Naturbetrachtung auf; indem, was als unfaßbare qualitative Änderung in der Außenwelt erscheint, gleichsam in das Innenleben der empfindenden Organismen geschoben wurde, während draußen das System unveränderlicher, eigenschaftslosesr Substanzen verharrt, wurde die Konstruktion eines einheitlichen und widerspruchsfreien Zusammenhangs von Erfahrungen möglich, welche sich in der Darstellung der Mannigfaltigkeit von variablen Erlebnissen in konstanten, lediglich quantitativen Bestimmungen vollzieht.

Hierin ist die mechanische Weltansicht in dem engeren Sinn des Wortes, in welchem sie die hypothetische Übertragung der für die Bewegung der Massen gefundenen Gesetze auf die Molekularphysik einschließt, allerdings noch nicht enthalten. Aber die physikalische Analyse der Tonphänomene führte sogleich, nachdem einmal die allgemeinen Ziele der neuen Methode ausgesprochen waren, zu einer Reduktion dieser Sinnesqualitäten auf die Bewegungsvorgänge, welche erfahrungsgemäß als ihre Begleiterscheinungen gegeben sind.

Und zwar tritt gerade hier besonders deutlich hervor, wieviel weniger in den Tatsachen selbst als vielmehr in den großen Gesichtspunkten, unter denen sie nun gefaßt und gedeutet wurden, die Nötigung gegeben war, einen Teil von ihnen der Subjektivität zu überweisen. Es ist immerhin beachtenswert, daß die naive Anschauung so lange auch auf dem Gebiet festgehalten wurd, wo das Verhältnis von Qualitäten und mechanischen Prozessen anscheinend offen zutage liegt und schon sehr früh in seiner Tragweite erkannt wurde (5). Die antike Musiktheorie hatte es schon förmlich ausgesprochen, ARISTOTELES hatte es in seine Psychologie aufgenommen, dem Mittelalter war es durch VITRUV ein geläufiger Satz, daß das Auftreten und Wandern von Tönen stets mit Lufterzitterungen und Erschütterungen des tönenden Körpers verbunden ist. Gleichwohl hat keiner der nacharistotelischen oder scholastischen Philosophen aufgrund dieser Einsicht die Möglichkeit in Erwägung gezogen, der Ton sei nur ein seelischer Nachhall, eine Antwort der Sache auf die ankommenden Bewegungen. Ob er Substanz oder Akzidenz, ob er körperlich, ausgedehnt oder teilbar oder immateriell ist, ob er als eine ruhende Qualität den schallenden Körpern, den Instrumenten eigen und nur durch die Erschütterung aus ihnen herausgelockt oder unmittelbar durch die Luftwelle erzeugt ist: das sind die Fragen, die gleichmäßig die Schulen, in denen Naturphilosophie getrieben wurde, die Stoiker und die Epikureer und dann vor allem die Peripatetiker [Schule des Aristoteles - wp] beschäftigten. Noch für KEPLER ist, wie angedeutet, der Ton, auch wenn er den Erkenntniswert des Quantitativen an ihm jederzeit hervorhebt und damit die Grundlage seiner methodischen Bearbeitung schafft, gleichwohl wie das Licht und die übrigen Qualitäten eine  species immateriata [Keplers Vorstellung von einer Kraft, die Trägheit der Planeten überwindet und sie in ihrer Bahn trägt und leitet - wp], die nach seiner ausdrücklichen Erklärung (6) von der Luftbewegung geschieden werden muß, da diese nur den Ton dem Ohr zuführt. Und ebenso bezeichnet BACO die Erschütterung der Luft beim Ton nur als eine notwendige Bedingung seiner Erzeugung (7); an der Tatsächlichkeit der Qualitäten als eines objektiven Bestandes hat er immer festgehalten. Erst GORLÄUS und GALILEI, vor allem aber MERSENNE (8) haben die reine Subjektivität der Töne ausgesprochen und begründet.

Von dieser Einsicht aus lag aber dann der Schritt nahe, zur Erklärung qualitativer Änderungen und Wirkungen auch dort Bewegungen und Schwingungen kleinster Teilchen anzunehmen, wo solche direkt nicht erkennbar sind. In diesem Zusammenhang war die Dioptrik des DESCARTES epochemachend, die auf der Grundlage einer derartigen Hypothese zuerst eine exakte Ableitung der Gesetze der Strahlungsvorgänge unternahm; sie gestattete vor allem eine rationale Konstruktion der Gesichtswahrnehmung nach ihrer physikalischen Seite und beseitigte damit für immer das Gewimmel der "geflügelten Bildchen" - wie HOBBES sich ausdrückte - welche die Luft bei den Scholastikern erfüllten, ohne auf die primitiven Hilfsannahmen zurückzugreifen, welche die antike Atomistik zu ihrer Erklärung ersonnen hatte. Hiermit trafen die Beobachtungen über die Bedingungen überein, unter denen die tatsächlichen Leistungen der Sinnesorgane stehen. Indem DESCARTES und HOBBES die Erfahrungen verallgemeinerten, die ihnen das Auftreten von Licht- und Farbenbildern bei Erschütterungen des Auges darboten, ergänzten sie zugleich das mechanische Weltbild durch eine Untersuchung des Ortes und der Art des Daseins der Qualitäten, die aus ihm ausgeschieden waren. Und damit war auch die Grundlage einer neuen Psychologie gegeben, welche im Studium der Perzeptionsvorgänge in der Zerlegung der Sinneswahrnehmung in ihre elementaren Inhalte und Verbindungen vermöge erworbener oder angeborener Anlagen zuerst zu einer wirklichen Analyse seelischer Geschehnisse vordringen sollte.

So erwies sich der Satz von der Subjektivität der Sinnesempfindungen als eine Einsicht von zentraler Bedeutung, die, wie sie getragen wurde von den neuen Methoden der Physik, Physiologie und Psychologie, auch ihrerseits wesentlich zur schärferen Formulierung der Probleme in diesen Disziplinen und zur Auflösung derselben durch eine Klarstellung der letzten Ziel beigetragen hat. Freilich schränkte sich diese Einwirkung zunächst auf die allgemeine Forderung der Durchführung der mechanischen Naturbetrachtung ein. In den engeren Kreisen der Philosophie allerdings fand dieses Postulat sofort unbeschränkte Anerkennung, galt im Prinzip seine Durchführung gesichert. Die umfangreichen Auseinandersetzungen etwa, in welchen BOYLE (9) und MALEBRANCHE (10) die scholastische Theorie der Qualitäten und Spezies bekämpfen, sind getragen von dem sieghaften Bewußtsein der Allgewalt der neuen Methode der Naturerkenntnis, sie bilden gewissermaßen nur ein Nachhutsgefecht. Und gar die Lehre des LOCKE von den primären, sekundären und tertiären Eigenschaften der Körper kann nur als eine abschließende Zusammenfassung gemeingültiger Ansichten angesehen werden; es ist bezeichnend, daß sie in seiner Darstellung, die in der Argumentation wie Ausführung sich engstens an BOYLE anlehnt, nur einen Bestandteil in einer allgemeinen Untersuchung über die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes bildet und somit in der Beweisführung für die Subjektivität der sinnlichen Qualitäten gerade von der Beziehung auf die physikalische und physiologische Forschung absieht, in welcher für GALILEI, DESCARTES und HOBBES die Entscheidung gelegen hatte. Der Rückgang auf die Fruchtbarkeit und den Erklärungswert der mechanischen Naturbetrachtung wird bei ihm durch ein abstraktives Verfahren ersetzt.

Diesem Sachverhalt entspricht, daß der eigentliche Gegenstand der philosophischen Untersuchung während des 17. und 18. Jahrhunderts das mechanische Weltbild ar, wie es sich nach Abzug aller sinnlichen Qualitäten dem wissenschaftlichen Denken darstellt. Aus der Auffassung der Natur als einer ungeheuren Maschine, in welcher allein Ausdehnung, Körper und Bewegung  real  sind, entsprangen die metaphysischen Probleme nach der Stellung des Geistes in diesem System bewegter Massen, nach dem Verhältnis der göttlichen Intelligenz zu dieser Art von Wirklichkeit. Und als nun die erkenntnistheoretische Analysis dazu überging, in Raum und Zeit und Substanz und Veränderung nur die Denkmittel des konstruierenden Verstandes zu erblicken, welche die Herstellung eines rationalen Zusammenhanges der Erfahrungen mittels der Unterordnung der gegebenen Sinnesdaten unter evidente Sätze ermöglichen, lag die Voraussetzung hierfür in der Annahme der Irrealität dieser gegebenen Daten. So bedienen sich sowohl BERKELEY, wie LEIBNIZ und KANT des Satzes von der Subjektivität der sinnlichen Empfindungen als einer entscheidenden aber allgemein zugestandenen Prämisse, die eines besonderen Beweises nicht weiter bedürftig ist. Ja gelegentlich bezeichnet KANT (11) seine Lehre von den Anschauungsformen geradezu als eine direkte Fortführung jener Richtung auf eine Unterscheidung der körperlichen Eigenschaften nach ihrem Realitätswert, als deren Hauptvertreter ihm LOCKE gilt.

Dagegen vermochten die Einzelwissenschaften bei der ungeheuren Füle des empirischen Materials nur zögernd und allmählich dieses Ideal der mechanischen Weltbetrachtung, das die Denker des 17. Jahrhunderts in kühnen Antizipationen entworfen hatten und das in einem solchen Maß die philosophische Spekulation bestimmte, zu verwirklichen. Die Vorstellungen von objektiv transportablen Lichtmengen war mit der Optik NEWTONs, wie sie in allen Hypothesen sich die größte Restriktion auferlegte, durchaus verträglich (12). Erst die Entdeckung der Periodizität der Lichterscheinungen, der Sieg der Undulationstheorie hat diese Annahmen aufgehoben. Und ähnlich schwanden die unklaren Vorstellungen von Wärmemengen, mit denen alle Physiker des 18. Jahrhunderts operierten, erst mit der Durchführung der mechanischen Wärmetheorie. Andererseits hat die Physiologie die kühnen Verallgemeinerungen, welche DESCARTES und HOBBES auf der Grundlage einiger weniger Beobachtungen wagten, erst in den Untersuchungen von JOHANNES MÜLLER bestätigt. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse der Forschung, den glänzenden Voraussagen der theoretischen Optik, der Experimente, auf welchen die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien beruth, hat nun, wie es scheint, die Behauptung der bloßen Subjektivität der Sinnesempfindungen diejenige Sicherheit gewonnen, deren sie bedarf, um als Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen dienen zu können.

Für die Gegenwart kann sie daher als diejenige philosophische Einsicht bezeichnet werden, über welche am meisten Einstimmigkeit bei sonst völlig abweichenden Grundansichten vorhanden ist: sie ist wohl ein Gemeingut der überwiegenden Anzahl von Standpunkten. Fast möchte es entbehrlich erscheinen, die Tatsache besonders zu belegen. Aber schränkt man sich nicht nur auf die Nachfolge anerkannter Autoritäten ein - und jedes Zeitalter hat die Pflicht, die Grundlagen des von ihm übernommenen Wissenszusammenhangs aufs Neue selbständig zu prüfen - so müssen doch die Argumente hervorgehoben werden, durch welche in unserer Zeit die Lehre von der reinen Subjektivität der sinnlichen Qualitäten gestützt wird. Und zwar lassen sie sich, wie sie in der Literatur dargelegt und entwickelt werden, leicht in drei voneinander deutlich scheidbare Reihen zerlegen.

Die erste derselben gipfet in dem Räsonnement [Argument - wp], das in der Tat der Begriff der Naturwirklichkeit, welchen die positiven Wissenschaften erarbeitet haben, die Annahme einer auch qualitativ bestimmten Objektwelt ausschließt. Seitdem das 17. Jahrhundert gegenüber der bloßen Naturbeschreibung des Altertums, gegenüber den phantastischen Natursystemen der Renaissance das Ideal einer erklärenden Erkenntnis des Naturzusammenhangs entworfen hat, das alsdann in seinen dauernden Leistungen das Recht seiner Existenz erwies, genügt es vielen, auf eben dieses Idea des naturforschenden Geistes zu verweisen, um den Anspruch der Empfindung auf Objektivität zu verneinen. Die Frage, ob das Wirkliche auch Eigenschaften enthält, welche in irgendeinem Grad dem subjektiv Empfundenen ähnlich sind, gilt als aufgelöst, aufgelöst durch den Fortgang des Erkennens selbst, der in den Ergebnissen der Wissenschaften von der Natur niedergelegt ist. Der Fortschritt des Wissens während der Jahrhunderte seit GALILEI und DESCARTES, die vielen und so außerordentlichen Ergebnisse haben stets aufs Neue die Berechtigung dieser Hypothese der physikalischen Forschung erwiesen. So spricht es WUNDT (13) als die Überzeugung der Naturwissenschaft aus:
    "daß der Satz von der Subjektivität der Farben, gerade so wie schon längst der von der Subjektivität der Töne nicht mehr Hypothese, sondern notwendige Folgerung aus den Beobachtungen ist. Ja diese Folgerung ist so zwingend", fährt er fort, "daß selbst dann, wenn man irgendwann einmal auf dem Gebiet der Molekularphysik die Voraussetzungen der mechanischen Naturanschauung verlassen oder durch irgendwelche Hilfshypothesen verändern sollte, dadurch an der Auffassung der Sinnesqualitäten nichts Wesentliches geändert werden könnte. Wir wissen z. B. ganz bestimmt, daß dem Licht objektive Eigenschaften zukommen, die wir nicht empfinden, aber auf objektivem Weg nachweisen können; und wir wissen ebenso bestimmt, daß das Licht, ehe es auf irgendwelche Nervenapparate, deren Erregung von Licht- und Farbempfindungen begleitet ist, einwirkt, Transformationen erfährt, infolge deren es Licht im physikalischen Sinn nicht mehr genannt werden kann. Wenn wir aber dann weiterhin diese Transformationen erfährt, infolge deren es Licht im physikalischen Sinn nicht mehr genannt werden kann. Wenn wir aber dann weiterhin diese Transformationen untersuchen, so sind diese Vorgänge, die sich für die objektive Analyse in chemischen Prozesse auflösen, deren physische Beschaffenheit wir wiederum aus der Empfindung nicht zu erkennen vermögen, ebensowenig wie wir umgekehrt, wenn uns nur diese fotochemischen Prozesse in ihrer objektiven Beschaffenheit gegeben wären, daraus jemals auf die entsprechende Sinnesqualität zurückschließen könnten. Darum ist nun aber auch ein etwaiger Zweifel an der Richtigkeit der mechanischen Naturanschauung nicht mehr in dem Sinne möglich, daß man von ihr aus etwa zur aristotelischen Farbenlehre zurückkehren oder zu irgendeiner anderen Auffassung übergehen könnte, welche die Sinnesqualitäten wieder zu objektivieren unternähme."
Und mit diesem Ergebnis treffen die allgemeinen seit LOCKE immer wiederholten Überlegungen zusammen, welche die Realität der Sinnesqualitäten deshalb in Zweifel ziehen, weil sie objektiv einander widersprechen müßten. Es sei kein körperliches Substrat denkbar, dem sie ohne zu Widersprüchen zu führen zugeschrieben werden könnten. In diesem Sinne summiert etwa BRENTANO kurz: "Für die Gegenstände der Sinneswahrnehmung liegt der volle Beweis ihrer Falschheit vor." Denn die einzelnen Sinnesinhalte miteinander verglichen zeigen Konflikte, welche deutlich beweisen, daß ihnen eine wirkliche Existenz nicht zukommen kann (14). Indem die Naturwissenschaft allein an den Erscheinungen das Meßbare heraushebt, gelangt sie zur Konstruktion eines widersprüchlichen Zusammenhangs der Erfahrungen, dem gegenüber die Qualitäten als subjektiv und irreal angesprochen werden müssen.

Eine zweite Reihe von Argumenten nimmt ihren Ausgang von den physiologischen Tatsachen und Theorien. Und hier ist es insbesondere die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien, welche als die stärkste Stütze der Auffassung von der Irrealität der Qualitäten ins Feld geführt wird. Aber auch von dieser abgesehen, reicht für viele schon die allgemeine Einsicht von der Abhängigkeit der Empfindungen von den Organen aus, um den Schluß auf ihre Subjektivität zu begründen. HELMHOLTZ z. B. definiert (15) die Empfindungen geradezu als
    "Wirkungen, welche durch äußere Ursachen in unseren Organen hervorgebracht werden" und ihm genügt eine "leichte Überlegung", um darzulegen, "daß in Wahrheit die Eigenschaften der Naturobjekte trotz dieses Namens gar nichts den einzelnen Objekten an und für sich eigenes bezeichnen, sondern immer nur eine Beziehung zu einem zweiten Objekt (einschließlich unserer Sinnesorgane) bezeichnen."
Demgemäß kann die Empfindung nur als ein Zeichen der äußeren Einwirkung, nicht als ein Abbild gelten. Denn
    "wie eine solche Wirkung sich äußert, hängt natürlich ganz wesentlich von der Art des Apparates ab, auf den gewirkt wird."
Die letzte Reihe der Argumentationen entspringt aus der unmittelbaren Besinnung mittels des Rückgangs auf die Abhängigkeit der Empfindungen von unserem Bewußtsein. Diese Einsicht, die historisch am spätesten für die Lösung des Empfindungsproblems verwertet wurde, ist nur ein Teil eines umfassenden Theorems, das allgemein als Prinzip des Bewußtseins ausgesprochen werden kann. Es wurde zuerst im Zusammenhang der Begründung einer neuen Erkenntnistheorie von DESCARTES entwickelt und kann daher als Prinzip des DESCARTES bezeichnet werden. Auch LEIBNIZ und andererseits BERKELEY ging von ihm aus. Und seitdem KANT den Unterschied zwischen empirischem Bewußtsein und "Bewußtsein überhaupt" in die Formen der Transzendentalphilosophie eingeführt hat, seitdem MAIMON, BECK und vor allem FICHTE diese Begriffe weiter gebildet und in den Vordergrund der Wissenschaftslehre gestellt haben, gehört der Satz des Bewußtseins zum festen Bestandteil aller Erkenntnistheorie. Im Bewußtsein oder dem Wissen um Bewußtseinsvorgänge liegt der Ausgangspunt aller Erfahrung. Aber wie es zunächst durchaus problematisch ist, ob eine vom Bewußtsein unabhängige Wirklichkeit existiert, ist es das Grundproblem der theoretischen Philosophie, vom Standpunkt des Bewußtseins aus sich den Weg zu einer bewußtseinsfremden, transzendenten Wirklichkeit zu bahnen, welche als das objektive Substrat der im Bewußtsein auftretenden Bilder angesehen werden kann. Demgemäß erhebt sich die allgemeine Frage nach der Relation der Empfindungen zum Bewußtsein. Sind diese nur Tatsachen des Bewußtseins, Phänomene und etwa Zeichen eines von ihnen verschiedenen und vielleicht nicht erkennbaren Seins, oder können sie selbst als ein Etwas aufgefaßt werden, dem ein Sein auch ohne die Beziehung auf das Bewußtsein zukommt?

Die Antwort erscheint Vielen zweifellos, über jede Debatte erhaben und in sich selbst einleuchtend. Es genügt, die Frage aufzuwerfen, um sie zu verneinen. So hat etwa der Hinweis auf diese Tatsache der Relation jeder empfundenen Qualität zu einem Bewußtsein, das empfindet, für LOTZE vollgültige Beweiskraft.
    "Es ist gar nicht mehr bei der Rede von einem Glanz zu denken, den durchaus niemand leuchten sähe, vom Klang eines Tones, den niemand hört, der Süßigkeit, die niemand kostet; sie sind alle so unmöglich, wie ein Zahnschmerz, den niemand hat. Alle diese Inhalte haben nur einen Ort ihres möglichen Daseins: das Bewußtsein eines empfindenden Wesens, und nur eine Art des Daseins: das Empfundenwerden durch dieses Wesen." (16)
Noch weiter geht, in einer Fortsetzung der Schlußweise BERKELEYs, ALEXANDER BAIN. Die realistische Anschauung, so meint er (17),
    "enthält einen Widerspruch. Man verlangt von uns in demselben Augenblick, wir sollten das Ding wahrnehmen, und wir sollten es nicht wahrnehmen. Wir kennen die Berührungsempfindung von Eisen, aber es ist nicht möglich, daß wir die Berührungsempfindung, abgesehen von der Berührungsempfindung kennen."
Ganz ähnlich folgert BERGMANN (18). Nach ihm läßt sich nicht einmal die Möglichkeit, daß den Dingen ansich sinnliche Qualitäten zukommen, die in unseren Empfindungsinhalten abgebildet werden, aufrechterhalten. Denn die Empfindungsinhalt sind mit dem Empfinden nicht bloß äußerlich verknüpft, so daß man einen Inhalt ohne ein Empfinden oder ein Empfinden ohne einen Inhalt denken könnte, sondern in der Weise, daß von ihnen nichts übrig bleibt, wenn man ihre Beziehung zum Empfinden, die wir mit dem Wort "Inhalt-sein" bezeichnen, wegdenkt. Solange daher unter Farben und Tönen dasjenige verstanden wird, was man bisher mit diesen Worten bezeichnet hat, können dieselben nur als Bestimmtheiten eines wahrnehmenden (empfindenden) Bewußtseins existieren. Wir können eine sinnliche Qualität gar nicht anders vorstellen als zugleich mit einem wahrnehmenden Bewußtsein, dessen Inhalt sie ist, und daher können wir eine sinnliche Qualität nicht anders wahrnehmen als zugleich mit dem eigenen Wahrnehmen, dessen Inhalt sie ist, und daher können wir eine sinnliche Qualität nicht anders wahrnehmen als zugleich mit dem eigenen Wahrnehmen, dessen Inhalt sie ist. Dieses Wesen des Wahrnehmens, wonach es sich in allen seinen Objekten selbst mit wahrnimmt, macht es schlechterdings unmöglich, die Qualitäten als unabhängig vom Wahrnehmungsakt und vom Bewußtsein zu denken.

Am schärfsten und umsichtigsten hat auf diesen Standpunkt des Bewußtseins NATORP die Lehre von der Subjektivität der sinnlichen Qualitäten verteidigt. Indem er im Anschluß an die KANT-COHENsche Erkenntniskritik die Gegensätze von objektiv und subjektiv ganz und gar in ihrer methodischen Bedeutung unter strenger Ausscheidung jeder metaphysischen Interpretation entwickelt, gelangt er zu einer ganz eigenartigen tiefen Formulierung dieser Theorie. Nach ihm ist der Inbegriff der gegebenen Erscheinungen zunächst neutralen Charakters. Sie stehen ursprünglich alle auf einer gleichen Stufe, sofern sie alle gleichmäßig einer doppelten Beziehung, zum Bewußtsein und zum Gegenstand, unterliegen. Die Phänomene des Bewußtseins sind mit den Phänomenen, welche die Wissenschaft auf die Einheit der Natur bezieht, ganz und gar identisch.
    "Es sind überhaupt nicht zwei selbständig gegebene Reihen von Phänomenen, welche erst nachträglich zueinander in Beziehung zu setzen wären, sondern es ist nur  ein Gegebenes, welches auf zweierlei Art betrachtet wird, einerseits als bloß erscheinend, d. h. nur im Bewußtsein gegeben, andererseits in Bezug auf den darin erscheinenden Gegenstand." (19)
Demgemäß gibt es keine eigene, etwa von Naturwissenschaft unabhängig zu begründende Theorie der psychischen Erscheinung. Der physische Ton, den ich höre, und der Ton der Empfindung ist dasselbe. Der vermeintliche Dualismus zwischen Innen- und Außenwelt löst sich auf in einen allerdings unaufhebbaren Dualismus der Erkenntnisbedingungen, nämlich in das Wechselverhältnis von Erscheinung und objektiver Wahrheit, oder von Phänomen und Gesetz.
    "Physisches und Psychisches sind nicht zwei gesonderte Gebiete zu erklärender Tatsachen, sondern alles psychisch Gegebene ist zugleich als Erscheinung oder Symptom auf ein äußeres, mithin physisches Geschehen, auf die objektive Einheit der Natur zu beziehen."
Alles Erscheinende muß daher, sofern überhaupt eine Erklärung und Wissenschaft möglich sein soll, auf ein Seindes, Objektives zurückgedeutet werden, denn Bestimmung  überhaupt  begriffliche Fixierung, Reduktion auf Einheiten ist Voraussetzung allen Begreifens. "In dem Maß, wie eine jede Erscheinung identisch fixierbar ist, hat sie teil an Objektivität". (20) Im Charakter der Erscheinungen liegt es, daß sie einer fortschreitenden Reduktion auf begriffliche Einheiten fähig ist; und zwar ohne Grenzen, aber auch ohne Abschluß. Denn die Objektivierung der Erscheinungen ist eine unendliche Aufgabe. So arbeitet die wissenschaftliche Erklärung der Erscheinungen lediglich an ihrer Objektivierung zum Naturvorgang. Und wenn eine bedingungslose Erkenntnis des Empirischen, eine restlose Auflösung der Erscheinung in die Objektivität nicht möglich ist, so beruth das auf der fundamentalen Ungleichartigkeit zwischen der Empfindung und dem reinen mathematischen Begriff. In diesem können nur immer diejenigen Empfindungen erfaßt werden, die eine sinnliche Schätzung von Zeit- und Raumgrößen enthalten. Die Qualitäten hingegen wollen sich nur fassen und zum Begriff erheben lassen aufgrund der schon vollzogenen Begriffsfassung der räumlich-zeitlichen Relationen; weil sie nur mittelbar, durch Quantitätsbestimmungen, die mit ihnen in Beziehung stehen, eines gesetzmäßigen Ausdrucks fähig sind. Unter diesem Gesichtspunkt der Begründung der wissenschaftlichen Erkenntnis der Phänomene allein ist die Lehre von der Subjektivitäät der Qualitäten klar zu verstehen.
    "Nur in der Hinsicht ist das subjektiv Empfundne nichts  ansich, in welcher es um den Aufbau einer wissenschaftlichen Erkenntnis auf streng einheitlichen, der mathematisch-logischen Behandlung fähigen Grundhypothesen handelt; nur in  der Bedeutung sind Körper und Bewegung das allein Reale, daß sie die unumgängliche Grundlage ausmachen, auf der alle Erkenntnis des kausalen Zusammenhangs der Erscheinungen fußen muß." (21)
Quantitäten und Qualitäten stehen so nicht als  zwei  Arten von Wirklichkeiten gegenüber, ein metaphysischer Ort von ihnen läßt sich nicht angeben. Denn ihr ganzer Gegensatz reduziert sich zu einem Unterschied der subjektiven Gültigkeit des bloß Erscheinenden und der objektiven des empirisch Realen.

LITERATUR - Max Frischeisen-Köhler, Die Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten und ihre Gegner, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 30, Leipzig 1906
    Anmerkungen
    1) Von wirklich die Einsicht fördernden historischen Arbeiten in deutscher Sprache wüßte ich nur die verschiedenen Abhandlungen NATORPs ("Descartes Erkenntnistheorie", 1882, Kapitel VI; "Galilei als Philosoph", Philosophische Monatshefte, 1882, Seite 193f und 573f über GASSENDI; "Forschungen zur Geschichte des Erkenntnisproblems im Altertum", 1884) und das BUCH von HERMANN SCHWARZ, "Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode", 1895, zu nennen. Es scheint übrigens beiden entgangen zu sein, daß bereits HAMILTON in den Noten zu seiner Ausgabe der Werke REIDs, 1863, viel historisches Material zusammengestellt hat. So findet sich schon dort (Bd. II, Seite 831, Note D) im Anschluß an MAMIANI eine ausführliche Darstellung, sie sie im  Saggiatore GALILEIs entwickelt ist.
    2) Die eingehendste systematische Behandlung des Wahrnehmungsproblem hat im Anschluß an RIEHL und vor allem UPHUES im Sinne eines kritischen Realismus HERMANN SCHWARZ, "Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkt des Physikers, des Psychologen und des Philosophen, 1891, gegeben. Vgl. dazu die Schrift des gleichen Verfassers, "Was will der kritische Realismus?", 1894, sowie die Abhandlung über die Zwiespältigkeit der naturwissenschaftlichen Wahrnehmungslehre, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 20.
    3) GALILEI, il. saggiatore, No. 48, 1623
    4) Das geschichtliche Verhältnis der Arbeiten dieser Männer zueinander ist noch gar nicht geklärt; vor allem ist die Bedeutung, welche die Person und die Lehre des MARIN MERSENNE beanspruchen darf, völlig im Dunkeln. Ist es doch bis jetzt noch unbekannt, daß dieser stille Denker, dessen Name von dem seines größeren Freundes stets überstrahlt wird, auch für die Entwicklung des Wahrnehmungsproblems in Frage kommt. Die Publikationszeiten sind: MERSENNE, Harmonie universelle, Paris 1636; DESCARTES, Essais philosphiques, Leyden 1637; HOBBES, Tractatus opticus, veröffentlicht durch MERSENNE in dessen "Cogitata Physico-Mathematica", Paris 1644.
    5) Ich betone diesen Punkt besonders, da über ihn weit verbreitete falsche Anschauungen herrschen. Nach WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, 1900, Seite 330 sollen z. B. VIVES, MONTAIGNE, SANCHEZ, CAMPANELLA darin einig gewesen sein, daß Farben, Töne usw. nicht wirkliche Eigenschaften der Dinge, sondern nur Zeichen für solche im Geiste sind. In Wahrheit sind diese Denker einverstanden in der Einsicht von der Relativität der sinnlichen Qualitäten; aber von der Erklärung ihrer Irrealität sind sie so weit entfernt, daß etwa CAMPANELLA noch 1637 in seiner Metaphysik einen umfassenden förmlichen Beweis für die Objektivität der sensiblen Welt vorlegt.
    6) KEPLER, Op. ed. FRITSCH, V 445.
    7) BACO von VERULAM, Natural history, century III, § 211.
    8) MERSENNE, Harmonie universelle, zweite Auflage, 1636, II 3f.
    9) BOYLE vor allem in dem Werk "Considerationes et experimenta de origine qualitatum et formarum", Genf 1688.
    10) MALEBRANCHE, De la recherche de la vérité, Buch II, 1675.
    11) KANT, Prolegomena § 13, Anmerkung 2.
    12) Der Kampf, den vor allem HEGEL (in gewisser Weise aber auch GOETHE) gegen NEWTONs Farbenlehre führt, steht unter der Annahme, daß den Farben Objektivität zukommt. NEWTON selbst allerdings erklärte, daß streng genommen die Strahlen nicht gefärbt sind. (Vgl. "Optik", 1,OSTWALDs Klassiker, Nr. 96, Seite 80)
    13) WUNDT, Über naiven und kritischen Realismus, Philosophische Studien, Bd. XII, Seite 348f.
    14) FRANZ von BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. 1, 1874, Seite 122.
    15) HERMANN von HELMHOLTZ, Physiologische Optik, Seite 586
    16) LOTZE, Metaphysik, Seite 507f
    17) BAIN, Mental Science, dritte Ausgabe, Seite 198
    18) JULIUS BERGMANN, Vorlesungen über Metaphysik, 1886, Seite 58f
    19) NATORP, Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, 1888, Seite 73.
    20) NATORP, a. a. O., Seite 89
    21) NATORP, Descartes' Erkenntnistheorie, Seite 145.