ra-1LockeF. MauthnerH. J. StörigK. VorländerG. StörringE. Bernauer    
 
HUGO SPITZER
Nominalismus und Realismus
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"Fichte, welcher durch die Beseitigung des dem Ich gegenüberstehenden Ding-ansich den Kritizismus zu vollenden gedachte, legte damit den Grund zu jener unkritischen Identifizierung des Subjektiven und Objektiven, welche in der deutschen Philosophie nach Kant Platz griff und welcher es zuzuschreiben ist, daß die realistische Vorstellungsweise noch in unserem Jahrhundert ein ganz außerordentliches Übergewicht erlangen konnte. Durch Fichte wurde die Identitätsphilosophie eigentlich erst möglich gemacht."

"Im Absoluten von Schellings Identitätsphilosophie besaßen das wahrhaft Reale, Ich und Nicht-Ich gleichviel oder gleichwenig Realität, Subjekt und Objekt waren eins und wurden als Vernunft bestimmt, jedoch als Vernunft, welche nicht wie unsere gewöhnliche Vernunft den Charakter der Subjektivität an sich trägt, sondern eine Vernunft ohne Ich, also vor allem ohne besonderen sinnlichen Träger, d. h. eine kopflose Vernunft war."

"Hegel gelangte zu dem Ergebnis, daß sich das Absolute in einer fortschreitenden Begriffsentwicklung darstellt. In Hegels Philosophie feierte die realistische Vorstellungsweise ihren glänzendsten Triumph: die ganze Welt ruhte auf Begriffen und der Weltprozeß war nichts anderes als die Bewegung der Begriffe, die ineinander übergehen. Durch die gänzliche Hinwegnahme der von Kant so scharf fixierten Grenze zwischen Real und Ideal, Ding und Vorstellung hatte man freies Spiel erhalten, Ideen zu Realitäten, Begriffe zu Dingen zu machen."

"Weil die Natur das Absolute darstellen soll, ist es ihr nur um die Gattung, nicht um die Individuen zu tun, sind ihr diese nur Mittel, während ihr jene Zweck ist; ja ist ihr das Individuelle sogar zuwider. Wo ein Begriff als das Wesen der Welt erscheint, müssen die Einzeldinge natürlich allen Wert verlieren."

Mit den Worten Nominalismus und Realismus werden zwei entgegengesetzte Vorstellungsweisen über das Verhältnis der Begriffe zu den individuellen Dingen einerseits und dem Intellekt andererseits bezeichnet, welche in zwei wesentlich verschiedenen Erfahrungsweisen des Denkens wurzeln, deren Gegensatz sich durch die ganze Geschichte der Philosophie hindurchzieht und öfter als einmal im Streit verschiedener Richtungen zutage getreten ist. Der Realismus läßt die Begriffe vor den Dingen bestehen (universalia ante rem), faßt sie somit ihrer Abgezogenheit von den Individuen, an denen sie zur Erscheinung kommen, als reale, außerhalb des Intellekts existierende Wesenheiten auf ("universalia sunt res extra intellectum"), während der Nominalismus diese im Unterschied von den einzelnen Dingen gedachten Universalien für ein subjektive Gebilde ("idea non habet aliquid rei"), bloße Namen: nomina oder flatus vocis [Lufthauch - wp] erklärt, die der Verstand nur von individuellen Gegenständen abstrahiert, daher sie auch die Anschauung dieser letzteren zur unerläßlichen Voraussetzung haben (universalia post rem [Allgemeinbegriffe kommen nach den Dingen - wp]) Die realistische Vorstellungsweise ist kaum irgendwo reiner als in der platonischen Ideenlehre vertreten. Hier ist das Allgemeine, der Begriff, ein unabhängig von den einzelnen Gegenständen und wirklich vor denselben Bestehendes, ja es kommt sogar der Welt der Ideen eine höhere Realität zu als den Individuen des kosmos oratos [sichtbare Welt - wp], welche in den Ideen ihre Vorbilder besitzen. - Als nominalistischer Gegensatz zum Realismus der platonischen Philosophie muß nicht bloß der Sensualismus des Protagoras, auf den PLATO vorzugsweise Bezug nahm, angesehen werden, sondern darf auch die Atomistik von LEUKIPP, DEMOKRIT und EPIKUR unter den Systemen des Altertums als Beispiel eines metaphysisch durchgeführten Nominalismus gelten. In der Atomistik sind nämlich die letzten Prinzipien, die Gründe allen Seins und Werdens individuelle, körperliche Dinge und die Übereinstimmung von Naturwesen stellt sich lediglich als Resultat ihrer übereinstimmenden Zusammensetzung nicht als Folge einer in sie versenkten, sie gestaltenden Idee dar. So macht sich schon in der griechischen Philosophie vor ARISTOTELES die Bedeutung jener beiden grundverschiedenen Vorstellungsweisen geltend.

Wenn gleichwohl in den Darstellungen der Geschichte der Philosophie die Gegensätze von Nominalismus und Realismus nur bei Gelegenheit der Scholastik abgehandelt zu werden pflegen, so findet dieses Verfahren seine Rechtfertigung darin, daß dieselben allerdings in der scholastischen Periode sich ganz besonders in den Vordergrund gedrängt und auch ihre Benennung erst in dieser Periode erhalten haben. Mit der dem mittelalterlichen Denken eigenen, aus dem Abhängigkeitsverhältnis, in welchem sich die Vernunft befand, gar wohl zu erklärenden Spitzfindigkeit wurden die Untersuchungen über die Realität der Allgemeinbegriffe gepflogen, und neben den sich schroff entgegenstehenden, durch die Namen ROSCELLIN und ANSELM bezeichneten Extreme kamen bald vermittelnde Richtungen auf, von denen eine, als Konzeptualismus unterschieden und hauptsächlich vertreten in der früher zumeist PETER ABÄLARD zugeschrieben Schrift "de generibus et speciebus", das Allgemeine im Einzelnen, die Idee in den Dingen für wirklich erklärte, während eine andere, die Richtung der Schule des DUNS SCOTUS zwar eine reale Existenz der Ideen annahm, dem Nominalismus jedoch das Zugeständnis machte, daß der Erkenntnis der Universalien die sinnliche Wahrnehmung der Einzeldinge vorhergehen muß ("idea est species, sive conceptus universalis, formatus ab intellectu ex re, sensibus percepta"). Nun leidet es aber keinen Zweifel, daß der Konzeptualismus, konsequent durchgesetzt, zum Nominalismus führen muß, ja, daß die Differenz beider im letzten Grund auf einen bloßen Wortunterschied hinausläuft. Und was die Einräumung der Scotisten betrifft, so ist es sonnenklar, daß sie das eigentliche Problem gar nicht berührt, indem nur die psychologische Frage nach der Entstehung, aber nicht die metaphysische oder gnoseologische nach der Geltung der Allgemeinbegriffe durch sie erledigt wird. Somit bleibt der Gegensatz von Nominalismus und Realismus in seiner ursprünglichen Gestalt aufrecht.

Bei dem innigen Zusammenhang zwischen Philosophie und positiv-kirchlicher Dogmatik, welcher jene ganze Periode charakterisiert, darf es nicht befremden, daß auch der Streit zwischen ANSELM und ROSCELLIN in eine unmittelbare Beziehung zu theologischen Fragen gebracht und die nomalistische Auffassung insbesondere mit dem Trinitätsdogma zusammengehalten wurde. Zunächst nun, weil sie die Probe an diesem wichtigen Glaubenssatz der Kirche nicht bestand, da ROSCELLIN mit völliger Konsequenz den Tritheismus lehrte, müßte sie als heterodox [von der herrschenden Kirchenlehre abweichend - wp] erscheinen; aber der Theologie mochte wohl ein ahnendes Bewußtsein vorschweben, daß ihr Gegensatz zum Nominalismus tiefer lag und daß mehr als ein Dogma auf dem Spiel stand, wenn sich allenthalben diese Vorstellungsweise Bahn brechen sollte. So wurde dann kirchlicherseits die realistische Richtung auf das Nachdrücklichste unterstützt.

Als mit dem Wiedererwachen der Naturwissenschaften die unbedingte Autorität des ARISTOTELES und mit ihr die Scholastik ein Ende nahm, als die Philosophie nach einer langen, trostlosen Zeit der Knechtschaft und Gebundenheit zum ersten Mal wieder versuchte, sich selbständig über die Welt zu orientieren, als sich das Interesse des Denkens von Neuem der Natur zuwandte, die ihm mehr als ein Jahrtausend hindurch nur in dem Zerrbild, welches der Spiritualismus des Mittelalters von ihr entworfen hatte, oder höchstens im Schema der aristotelischen Physik, aber nicht in ihrer Wirklichkeit Gegenstand gewesen war, - da trat der langwierige Streit zwischen Nominalismus und Realismus zurück vor anderen Problemen, deren Lösung sich die Philosophie der neueren Zeit als Aufgabe setzte. Wenn aber jene Gegensätze nun gleich nicht mehr so ausdrücklich die philosophische Forschung beherrschten, wie in der soholastischen Periode, so hörten sie doch nicht auf, tatsächlich ihren Einfluß auszuüben. Es ist undenkbar, daß sich eine Philosophie, außer etwa des Skeptizismus und des reinen Idealismus in FICHTE'scher Fassung, ihnen vollkommen entzieht, jede muß, ob sie sich dessen bewußt wird oder nicht, zu ihnen Stellung nehmen und durch diese Stellungnahme wird die Gestaltung des ganzen Systems wesentlich bedingt sein. Nicht selten wird sich auch die interessante Erscheinung darbieten, daß neben einer mehr oder weniger nominalistischen Erkenntnistheorie eine ganz realistische Metaphysik einhergeht, d. h. daß die Realität des Allgemeinbegriffs außerhalb des Intellekts wohl in der Theorie geleugnet, in der tatsächlichen Auffassung des Systems der Dinge jedoch Universalien als reale Potenzen betrachtet werden, wofür der antike Stoizismus das schönste Beispiel ist. - Wie es keine Weltanschauung geben kann, die nicht, selbst ohne darauf zu reflektieren, die Frage nach der Idealität oder Realität der Erscheinungswelt in einem bestimmten Sinne beantwortet, so gibt es auch keine, welche nicht eine bestimmte Beantwortung der Frage um die bloß subjektiv-, oder auch objektiv-reale Geltung der Allgemeinbegriffe involviert. Und wie das Verhältnis einer Metaphysik zu jenem vorzüglichsten Problem der modernen Erkenntnistheorie von fundamentaler Wichtigkeit für sie ist, so beansprucht auch ihr Verhältnis zur alten Streitfrage der scholastischen Logiker die höchste Bedeutung. Die Geschichte der neuesten deutschen Philosophie liefert einen sprechenden Beweis dafür, welche wichtige Rolle "Realismus" und "Nominalismus" spielen, wie tief sie in die Bildung der philosophischen Systeme eingreifen, wenn sie auch nicht, in Person, an deren Oberfläche zum Vorschein kommen und nur, sozusagen, hinter den Kulissen stehen.

FICHTE, welcher durch die Beseitigung des dem Ich gegenüberstehenden Ding-ansich den Kritizismus zu vollenden gedachte, legte damit den Grund zu jener unkritischen Identifizierung des Subjektiven und Objektiven, welche in der deutschen Philosophie nach KANT Platz griff und welcher es zuzuschreiben ist, daß die realistische Vorstellungsweise noch in unserem Jahrhundert eine ganz außerordentliche Präponderanz [Übergewicht - wp], wenn auch nur für kurze Dauer, erlangen konnte. Durch FICHTE wurde die Identitätsphilosophie eigentlich erst möglich gemacht: indem er nicht allein die Erscheinung des Dings, sondern das Ding selbst als ein ansich außerhalb des Ich Bestehendes aufhob und in eine Vorstellung verwandelte, das Bewußtsein also zum Sein selbst machte, vernichtete er den Gegensatz von Idealem und Realem, welcher eben die Basis war, auf der sich das Gebäude des kantischen Kritizismus aufgebaut hatte. Das Reale fiel nun mit dem Idealen, das Objektive mit dem Subjektiven zusammen, und wenn schon FICHTE den Identitätspunkt beider ins Subjektive verlegt hatte, so ließ sich doch von hier aus leicht der Übergang zu der sensu strictiori sogenannten Identitätsphilosophie finden, welche in einem indifferenten, zwischen Subjektivem und Objektivem mitten inneliegenden Gebiet den einen gemeinsamen Quell sah, dem beide entspringen. In der Tat ist FICHTE von HEGEL geradezu als Identitätsphilosoph aufgefaßt worden, jedoch mit der Einschränkung, daß er das Prinzip der Identität nicht zum Prinzip des Systems zu machen und als solches festzuhalten vermocht hatte.
    "Die Identität", sagt Hegel (Vergleichung des Schellingschen Prinzips der Philosophie mit dem Fichteschen) "die Identität hat sich im Fichte'schen System nur zu einem subjektiven Subjekt-Objekt konstituiert. Dies bedarf zu seiner Ergänzung eines objektiven Subjekt-Objekts; so daß das Absolute sich in jedem der beiden darstellt, vollständig sich nur in beiden zusammenfindet, als höchste Synthese in der Vernichtung beider, insofern sie entgegengesetzt sind, - als ihr absoluter Indifferenzpunkt beide in sich schließt, beide gebiert, und sich aus beiden gebiert."
Die SCHELLING'sche Identitätsphilosophie trat somit als die notwendige "Ergänzung" des FICHTE'schen Idealismus auf. Ihr Absolutes, in Bezug auf welches, als das wahrhaft Reale, Ich und Nicht-Ich gleichviel oder gleichwenig Realität besaßen, in welchem Subjekt und Objekt eins waren, wurde von ihr zwar als Vernunft bestimmt, jedoch als Vernunft, welche nicht wie unsere gewöhnliche Vernunft den Charakter der Subjektivität an sich trägt, sondern eine Vernunft ohne Ich, also vor allem ohne besonderen sinnlichen Träger, d. h. eine kopflose Vernunft ist. In welchem Verhältnis steht nun aber diese allgemeine Vernunft zu den einzelnen Dingen, d. h. zu ihren einzelnen Empfindungen und Vorstellungen - denn auch die materiellen, körperlichen Gegenstände waren auf diesem Standpunkt nur gleichsam erstarrte Empfindungen und Vorstellungen, die ganze Natur eine "erstarrte", "gefrorene" Intelligenz -; wie wird die Fülle der einzelnen Gedanken-Dinge in jenem universellen Denken erzeugt? Die Beantwortung dieser für die Identitätsphilosophie so bedeutungsschweren Frage ließ sich insbesondere HEGEL angelegen sein; ihm genügte es nicht, zu beweisen, daß alles Endliche aus dem Absoluten entspringt: er wollte die Art dieses Ursprungs aus dem Absoluten klarstellen und gelangte auf diesem Weg zu dem Ergebnis, daß sich das Absolute in einer fortschreitenden Begriffsentwicklung darstellt. In HEGELs Philosophie feierte die realistische Vorstellungsweise ihren glänzendsten Triumph: die ganze Welt ruhte auf Begriffen und der Weltprozeß war nichts anderes als die Bewegung der Begriffe, die ineinander übergehen.

Es ist offenbar: der Realismus der HEGEL'schen Philosophie weist auf FICHTE als auf seinen ersten Begründer und Urheber zurück; durch die gänzliche Hinwegnahme der von KANT so scharf fixierten Grenze zwischen Real und Ideal, Ding und Vorstellung hatte man freies Spiel erhalten, Ideen zu Realitäten, Begriffe zu Dingen zu machen. Die Philosophie FICHTEs hat also jedenfalls ein mittelbares Verhältnis zur realistischen Vorstellungsart; aber auch für sich betrachtet, steht sie mit derselben in einem gewissen Zusammenhang. Zunächst verlor die Behauptung des Nominalismus, daß individuelle Dinge allein wirklich, Allgemeinbegriffe dagegen stets bloß gedacht sind, von ihrem Standpunkt aus jeden Sinn. War nämlich das Nicht-Ich, die Welt, die Natur ein vom Ich Gesetztes, das Produkt einer aus einem unbegreiflichen "Anstoß" erfolgenden Selbstbeschränkung des Ich, verdankte also das Objekt seine Realität nur der Realität des Subjekts, so war die unausfüllbare Kluft zwischen der transzendentalen Wirklichkeit des Dings-ansich und der wirklichen Existenz im Bewußtsein verschwunden, das Sein koinzidierte [zusammenlaufen - wp] mit dem Gedachtsein, die Realität des Gegenstandes ansich mit der Realität des Gegenstandes im Ich, und wenn noch ein Zwiespalt zwischen Ich und Nicht-Ich, Subjektivem und Objektivem, bestimmendem und bestimmtem Ich bestand, so war derselbe vermittelt durch den Begriff der Quantität und Substanzialität des Ich, wodurch das Subjekt, welches ein Objekt außerhalb von sich hat, als ein partielles und akzidentielles Subjekt erschien. Was nun die Realität der Begriffe im Verhältnis zu derjenigen der individuellen Außendinge betrifft, so mußte die nominalistische Unterscheidung der bloß subjektiven Wirklichkeit der ersteren von der objektiven, in KANTs Sprache transzendentalen Realität der letzteren in Nichts zusammenfallen; die Einzeldinge hatten nicht mehr Realität als die Begriffe; die einen so wenig als die andern waren res extra intellectum [Wirklichkeit außerhalb des Verstandes - wp]; beide Wirklichkeit war nur von der Wirklichkeit des Ich erborgt, und standen insofern beide auf einer Stufe. Dieses FICHTEsche Ich aber, diese unendliche, allein wirkliche Substanz - wenn man die Bezeichnung "Substanz" auf das Prinzip reiner Tätigkeit überhaupt anwenden darf - scheint selbst ein realisierter Allgemeinbegriff zu sein, nämlich das in unzähligen individuellen Köpfen existierende Ich als ein einziges Subjekt gedacht, wenn man erfärt, daß "alle Individuen in der einen großen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen" sind. Gleichwohl wäre diese Auffassung des Prinzips von FICHTEs Philosophie entschieden unrichtig; denn wenn man auch mit WINDELBAND den Idealismus FICHTEs, gleich demjenigen SCHELLINGs und HEGELs, einen "objektiven" nennen und dem SCHOPENHAUERschen als einem subjektiven Idealismus entgegensetzen will, so wrid man doch kaum übersehen können, daß die Basis der Konzepton des Ich einzig nur das subjektive Bewußtsein ist, das eigene Ich des Denkers, und daß jedes andere Ich erst von diesem aus und durch dessen Vermittlung Realität erhält. FICHTEs Ich ist also nicht etwa von allen empirischen Individualitäten abstrahiert und verschlingt diese nachher mit der ganzen übrigen Welt: es ist vielmehr seinem Ursprung nach ein schlechthin Einzelnes und nimmt erst später einen universellen Charakter an. Diese Universalität des absoluten Subjekts steigerte sich allerdings in der zweiten Periode von FICHTEs Philosophieren so sehr, daß es gar nicht mehr Ich heißen durfte, sondern den Namen "Gott" erhielt, damit sein Gegensatz zur "vernichtbaren Hülle" des empirischen Ich dadurch recht deutlich hervortreten konnte. Der Idealismus gestaltete sich so zu einem eigentümlichen Monopneumatismus
[Lehre von der Wirklichkeit als Erscheinungsform des Geistes - wp], welcher hinsichtlich der Lehre von der Kontinuität der einzelnen Denksubjekte fast ein wenig an den Monopsychismus [die Realität ist psychischer Natur - wp] des AVERROES erinnerte.

Wenn bei allen indirekten Beziehungen FICHTEs zum Realismus das Prinzip seiner Philosophie in einer Sphäre gesucht werden muß, in welche die hier maßgebenden Gegensätze noch nicht hineinreichen, so erscheint hingegen bereits SCHELLING als ein Vertreter des unzweideutigen Realismus, welcher mit HEGEL seine Vollendung fand. Der Unterschied SCHELLINGs von FICHTE liegt hauptsächlich in der höheren Bedeutung, welche er der Natur gab. Was bei FICHTE als totes Sein gegolten hatte, erhielt nun Seele und Leben, und diese Differenz konnte dadurch keineswegs aufgehoben werden, daß es zu Anfang noch der Geist war, von welchem die Natur alles Leben empfing. War einmal ein Tätigkeitsprinzip in der Natur anerkannt, so war auch schon der Standpunkt des reinen Idealismus verlassen, wenngleich die Natur noch als Produkt des Ich erschien, also auch ihr Leben, ihre Tätigkeit nur dem Ich entstammte. Denn das Ich, welches sich ebensowohl in den Kräften der Materie, in physischen Attraktions- und Repulsionserscheinungen [Anziehung und Abstoßung - wp] als im Erschaffen einer ideellen Welt und im freien Handeln offenbart, welches sich in der bewußtlosen Produktivität der Natur nicht weniger als in der bewußten Produktion des Geistes betätigt, ist schon nicht mehr das reine, idealistische Ich, dem nur das Bewußtsein Wahrheit und die äußere Welt in ihrer Totalität ein nach außen geworfener Schein der Beschränkung ist, durch welche das Bewußtsein sich selber in seiner Tätigkeit einhält. Dieses Ich ist nicht mehr das exklusive Subjekt aus FICHTEs Philosophie; es ist selbst schon die Indifferenz des Subjektiven und Objektiven, welche von SCHELLING bald ausdrücklich zum Prinzip erhoben wurde, und nun den eigentümlichen Charakter seines Identitätssystems darstellt. SCHELLING hatte sich jetzt gänzlich von FICHTEs Idealismus losgesagt: er bestimmte das Absolute weder einseitig als Ich, Geist, Subjekt, noch lediglich als Nicht-Ich, Natur, Objekt; nur die reine Identität des Subjektiven und Objektiven war die absolute Vernunft, welche durch das Organ der intellektuellen Anschauung aufgefaßt werden konnte. Die Philosophie SCHELLINGs in diesem Stadium, welches als das für ihre Beurteilung vorzugsweise maßgebende betrachtet werden darf, läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie auf durchaus realistischer Grundlage ruht. Ihre absolute Vernunft, die totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven ist eine als reales Wesen hypostasierte [einer Vorstellung gegenständliche Realität unterschieben - wp] Abstraktion, nämlich das allgemeine Sein, in welchem Natur und Geist zusammentreffen, als ein im Unterschied von beiden für sich bestehendes Sein, als das wahre Ding-ansich, das Wesen aller Dinge gefaßt.

Bei einer solchen Fassung des Absoluten war es notwendig, daß in allen endlichen Dingen, welche als reale, natürliche oder als ideale, geistige erscheinen, auch ein Ineinander beider Momente angenommen und bezüglich derselben nur eine quantitative Differenz, in einem Plus der Subjektivität oder Objektivität bestehend, aber kein qualitativer Gegensatz eingeräumt wurde. Da sich nun aber das Absolute als die reine Identität in allen Dingen darzustellen bestrebt ist, so mußte sich jene Ungleichheit, jenes Überwiegen des einen Momentes über das andere in einer bestimmten Sphäre der Endlichkeit, dadurch ausgleichen, daß das Absolute beständig zu einer anderen Sphäre überging, in welcher das Verhältnis von Subjektivem und Objektivem ein anderes wurde. Dieser Grundanschauung gemäß konstruierte SCHELLING die Natur. In der Natur, welche im Allgemeinen durch das Übergreifen des Objektiven bestimmt ist, bricht doch allmählich auch das Subjektive durch, und zwar lassen sich nach dem Verhältnis, in dem beide Momente zueinander stehen, drei Stufen der Naturentwicklung unterscheiden: der mechanische, der dynamische und der organische Naturprozeß. Im mechanischen Prozeß überwiegt das Objektive am meisten; hier herrscht die Materie und die Schwerkraft (A1). Eine höhere Regung des Subjektiven bekundet schon der dynamische Prozeß, welcher von der Potenz des Lichts (A2) beherrscht wird; jedoch erst in den vitalen Erscheinungen verliert die Materie ihre Selbstrealität und wird dem Subjekt, welches nun eintritt, dem Geist des Lebens (A3), dienstbar. Das Subjekt oder der Geist der organischen Natur wirkt nun mit jenen Potenzen, mit Licht und Materie, als den seinigen.
    "Dabei kommt also die Materie nicht mehr als Substanz in Betracht; in der Tat ist der Organismus nicht durch die materielle Substanz, die beständig wechselt, sondern nur durch die Art oder Form seines materiellen Seins - ist er Organismus. Das Leben hängt an der Form der Substanz, oder für das Leben ist die Form das Wesentliche geworden. Die Tätigkeit des Organismus hat daher auch nicht unmittelbar die Erhaltung seiner Substanz zum Zweck, sondern die Erhaltung der Substanz in dieser Form, in welcher sie eben Form der Existenz der höheren Potenz (A3) ist."

    "Der Organismus hat eben davon seinen Namen, daß was zuvor um seiner selbst willen zu sein schien, in ihm nur noch Werkzeug, als Organ eines höheren ist. In einem früheren Prozeß - behauptet die Materie ihr Selbstsein und nimmt jene Tätigkeitsformen, die wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus bezeichnet haben, nur als Akzidenzen [Merkmale - wp] in sich auf. Ein unorganischer Körper kann im elektrischen Zustand sein oder nicht, ohne Nachteil für ihn selbst, dagegen sind ihr die Tätigkeitsformen der organischen Materie wesentlich; ein Muskel z. B. ohne Kontraktions- und Expansionsvermögen oder ohne Irritabilität gedacht, wäre eigentlich auch kein Muskel mehr."

    "Während des Prozesses, durch den die organische Natur selbst entsteht, verhält sich jenes höhere, das wir durch (A3) bezeichnet haben, noch immer zum Teil subjektiv, denn noch ist es nicht ganz verwirklicht. Die Stufen, durch welche es bis zu seinem vollkommenen Objektivwerden hindurchgeht, sind durch die verschiedenen Organisationen bezeichnet."
SCHELLING konzipierte also nicht allein das oberste Prinzip realistisch, sondern ging auch im Einzelnen so zu Werke. Die allgemeinen Formen des Naturgeschehens wurden ihm zu selbständigen, die Materie sich unterwerfenden Potenzen, die als platonische Ideen im Schoß des Absoluten schlummern und sich, jede zu einer bestimmten Zeit, in Erscheinung treten. Auf diesem sukzessiven Hervortreten der substanziellen Formen beruth alle Entwickelung des Naturdaseins, zumal auch diejenige des organischen Lebens, dessen aufsteigende Gliederung darin begründet ist, daß das "Subjekt der organischen Natur", welches sich in die Materie hineinbildet, indem es den Widerstand des Objektiven erst allmählich besiegen kann, in seinem Objektivierungsprozeß eben jene Stufen zurücklegt, welche "durch die verschiedenen Organisationen bezeichnet sind". In SCHELLINGs Naturphilosophie tritt demnach die von der heutigen Biologie ganz verlassene vitalistische Ansicht in ausgeprägtester Weise hervor, während sich andererseits die Keime einer Deszendenztheorie [Abstammungslehre - wp] in ihr finden, welche namentlich von OKEN eine weitere Ausbildung erfahren haben. Aber es darf nicht übersehen werden, daß bei SCHELLING auch diese Keime einer Deszendenzanschauung durchaus dem vitalistischen Boden entsprossen sind, da der Naturphilosophie zufolge keine Organisationsstufe von selbst in eine höhere übergeht, so wenig wie sich die Materie von selbst organisiert, vielmehr Anfang wir Fortsetzung des organischen Lebens nur durch den Hinzutritt eines in den vorhergehenden Entwicklungsstadien noch nicht objektivierten Subjekten möglich sind. Der Hinzutritt dieses neuen Subjektes selbst jedoch hat seinen Grund im Wesen des Absoluten, auf dessen Gegensatz zu jeder einzelnen, endlichen Produktion sich in letzter Instanz der ganze physische Entwicklungsprozeß und jene "Duplizität der Prinzipien", welche in einem beständigen Schweben der Natur zwischen Produktivität und Produkt liegt, zurückführen läßt. Eo ist also das Absolute der eigentliche Grund von SCHELLINGs Deszendenzvorstellungen; aber dieses realistische Grundprinzip ist auch der Quelle des Vitalismus, überhaupt allen Realismus in der Naturphilosophie.

Weil die Natur das Absolute darstellen soll, ist es ihr nur um die Gattung, nicht um die Individuen zu tun, sind ihr diese nur Mittel, während ihr jene Zweck ist; ja ist ihr das Individuelle sogar "zuwider". Wo ein Begriff als das Wesen der Welt erscheint, müssen die Einzeldinge natürlich allen Wert verlieren.

An dieser Stelle soll noch eine Bemerkung betreffs SCHELLINGs Identitätsphilosophie Platz finden, welche einem nahe liegenden Mißverständnis vorzubeugen beabsichtigt. Die Ansicht eines in allen Dingen ohne Ausnahme vorhandenen Beisammenseins von Subjektivem und Objektivem, Idealem und Realem, einer steten Vereinigung beider Momente, sowie einer allmählich in der Natur stattfindenden Steigerung des Subjekten, welche in der Geburt des Menschen ihren Gipfelpunkt erreicht, womit eine neue Welt beginnt, nämlich die Welt des Geistes, - diese Ansicht könnte leicht den Schein einer tieferen Verwandtschaft mit jener modernen Auffassung erzeugen, welche die durchgängige Koexistenz des Psychischen und Mechanischen, die im animalischen Organismus erfahrungsgemäß nachweisbar ist, auf die ganze Natur ausdehnt und schon den primitiven, die Materie konstituierenden Elementen eine gewisse Innerlichkeit, Bewußtseinsanalogien oder psychische Qualitäten zuschreibt, deren Summierung im menschlichen Gehirn das Phänomen des Geisteslebens ergibt. Dieser Schein verschwindet jedoch sogleich, wenn man in Erwägung zieht, daß bei SCHELLING das Subjektive als ein der Materie Jenseitiges erscheint, von außen, d. h. aus dem Absoluten an sie herantritt und in seiner Vereinigung mit derselben sich als das sie gestaltende, formgebende Prinzip manifestiert, woraus sich dann erhellt, daß das Subjektive in SCHELLINGs Sinn und das Psychische der modernen Anschauung keinesweges Wechselbegriffe sind, daß somit auch eine Übereinstimmung der Naturphilosophie mit dem von Naturforschern der Gegenwart vertretenen Hylozoismus [die Fähigkeit der Selbstbewegung ist eine Fähigkeit der Materie - wp] durchaus nicht angenommen werden darf. Jene bei BRUNO und zumal bei SPINOZA ohne Zweifel zulässige Deutu]ng würde, auf die Identitätsphilosophie SCHELLINGs angewendet, alle Berechtigung verlieren und hier auf das Entschiedenste abzuweisen sein.

Wenngleich SCHELLING in seinem BRUNO den ANSELMO sagen ließ: "alles wahrhafte Sein ist in den ewigen Begriffen allein oder in den Ideen der Dinge", so war es ihm doch niemals Ernst, das der Idee gegenüberstehende Reale, die Materie oder das alogische Sein völlig zu beseitigen; er ließ stets eine passive Existenzsphäre zu, eine gegenbildliche Welt, in welcher sich die idealen Vorbilder ausprägen und realisieren, und wollte daher auch, namentlich in seiner späteren Periode, die Frage nach dem quod [warum - wp] von derjenigen nach dem quid [was - wp] der Dinge getrennt wissen. Hier liegt der fundamentale Unterschied zwischen ihm und seinem Nachfolger HEGEL, mit dessen Panlogismus verglichen, SCHELLINGs Realismus immerhin noch gemäßigt erscheint. In der Philosophie HEGELs gibt sich die realistische Vorstellungsweise so handgreiflich kund, daß es nicht darum zu tun sein kann, dieselbe überhaupt nachzuweisen, sondern nur ihre besondere Eigentümlichkeit zu zeichnen. HEGEL ist der Realist kat exochen [schlechthin - wp]; er kennt gar keine andere Realität als die des Begriffs, er macht selbst das Einzelne, das sinnlich Individuelle aufgrund der Allgemeinheit des Wortes zu einem Allgemeinbegriff.
    "Wenn ich sage, das Einzelne, dieses Einzelne, hier und jetzt, so sind dies alles Allgemeinheiten; alles und jedes ist ein Einzelnes, dieses, auch, wenn es sinnlich ist, hier und jetzt."
Diese Reduktion des Individuellen auf den Begriff hat HEGEL im ersten Kapitel der "Phänomenologie des Geistes", über die sinnliche Gewißheit oder das Dieses und das Meinen", weiter ausgeführt.
    "Als ein Allgemeines", erläutert er hier, "sprechen wir auch das Sinnliche aus; was wir sagen - ist dieses, d. h. das allgemeine dieses, oder: es ist; d. h. das Sein überhaupt. Wir stellen nun dabei freilich nicht das allgemeine dieses, oder das Sein überhaupt vor, aber wir sprechen das Allgemeine aus; oder wir sprechen schlechthin nicht, wie wir es in der sinnlichen Gewißheit meinen. Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das wahrhafteres; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung, und da das Allgemeine das Wahre der sinnlichen Gewißheit ist, und die Sprache nur dieses Wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, daß wir ein sinnliches Sein, das wir meinen, je sagen können."

    "Wird von etwas", heißt es zum Schluß, "weiter nichts gesagt, als daß es ein wirkliches Ding, ein äußerer Gegenstand ist, so ist es nur als das Allerallgemeinste, und damit ist vielmehr seine Gleichheit mit allem, als die Unterschiedenheit ausgesprochen. Sage ich ein einzelnes Ding, so sage ich es vielmehr ebenso als ganz Allgemeines, denn Alle sind ein einzelnes Ding; und gleichfalls dieses Ding ist alles, was man will. Genauer bezeichnet, als dieses Stück Papier, so ist alles und jedes Papier ein dieses Stück Papier, und ich habe nur das Allgemeine gesagt. Will ich aber dem Sprechen, welches die göttliche Natur hat, die Meinung unmittelbar zu verkehren, zu etwas anderem machen, und so sie gar nicht zu Wort kommen lassen, dadurch nachhelfen, daß ich dieses Stück Papier aufzeige, so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit in der Tat ist; ich zeige es auf, als ein hier, das ein hier anderer hier, oder an ihm selbst ein einfaches Zusammen vieler hier, d. h. ein Allgemeines ist, ich nehme es so auf, wie es in Wahrheit ist und statt ein Unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr."
So geht die unmittelbare Gewißheit, indem sie das "dieses" nehmen will, von selbst in die Wahrnehmung über, welche das, was ihr "das Seiende ist", als Allgemeines nimmt. In HEGELs Philosophie gibt es also eigentlich nur Allgemeines, nur Begriffe; da sie den Grundsatz aufstellt, "daß der Gedanke eben dies ist, daß er Er selbst und sein Anderes ist, über dieses übergreift und daß nichts ihm entflieht", wird die haecceitas [Diesheit - wp] des DUNS SCOTUS durch sie zu neuen Ehren gebracht.

Aber trotz aller Versicherung, daß der Begriff die gesamte Wirklichkeit in sich faßt und außerhalb des Begriffs nichts ist, bleibt doch auch für HEGEL noch ein Rest von Wirklichkeit übrig, welcher nicht fortzuschaffen ist und sich der ideellen Auffassung entzieht. Denn wenn auch die Existenz selbst zu einer Idee oder einem Begriff gemacht wird, so kann doch diese abstrakte Existenz, welche nichts anderes als der Begriff der Existenz überhaupt ist, die in der einzelnen Sinnesanschauung sich offenbarende Realität niemals erschöpfen. Hier also muß eine nichtbegriffliche Wirklichkeit anerkannt werden. Da nun aber auf der anderen Seite nur das Begriffliche als real vorausgesetzt wurde, so ist HEGEL genötigt, zwischen einer doppelten Wirklichkeit, einer wahrhaften und einer bloßen Scheinrealität zu unterscheiden. Diese letztere kommt den wirklichen Dingen zu, insofern sie mit der Idee nicht kongruieren [übereinstimmen - wp].
    "Diejenige Realität, welche dem Begriff nicht entspricht, ist bloße Erscheinung, das Subjektive, Zufällige, Willkürliche, das nicht die Wahrheit ist."
Denn "etwas hat nur Wahrheit, insofern es Idee ist." Man würde aber gänzlich irre gehen, wenn man annehmen wollte, daß bei HEGEL diese Scheinrealität erst mit dem Intellekt entsteht, der die wahre und volle Wirklichkeit der Dinge nicht widerzuspiegeln vermag; daß also die Erscheinung eines Wesens nur für ein Bewußtsein, welchem das Wesen erscheint, möglich ist. Der Gegensatz von Wesen und Erscheinung ist vielmehr ein fundamentaler, in der transzendentalen Realität, im Ding ansich begründeter und längst vorhanden, ehe sich noch mit dem Zurückkehren der Idee aus ihrer Entäußerung das Phänomen des Bewußtseins erzeugt hat. Unabhängig von aller Vorstellung ist "das Dasein zum Teil Erscheinung und nur zum Teil Wirklichkeit." Für HEGEL existiert mithin ein "Subjektives" ohne Subjekt; er bildet sich den Begriff einer objektiven "Erscheinung". Diese Konzeption wird ihm zur unausweichlichen Notwendigkeit, da einerseits sein extremer Realismus ihm die absolute Realität der individuellen Existenzen, der Dinge nach der Seite "der Handgreiflichkeit und des sinnlichen Außersichseins" anzuerkennen verbietet, andererseits jedoch sein Objektivismus ihn hindert, die Inkongruenz zwischen dem Gegenstand und dem Begriff auf Rechnung des die Wirklichkeit nicht rein und ungetrübt auffallenden Bewußtseins zu setzen. Ein arges Mißverständnis jedoch wäre es, mit dieser objektiven Erscheinung bei HEGEL den Begriff des Phänomens zu identifizieren, wie er der modernen Naturwissenschaft und dem Positivismus geläufig ist. Wohl sprechen auch die Naturwissenschaft und die positive Philosophie, ohne kritisch auf die Subjektivität der Erkenntnis zu reflektieren, von Phänomenen oder Erscheinungen; aber sie würden die Zumutung mit aller Entschiedenheit zurückweisen, daß man es bezüglich solcher Erscheinungen mit etwas "Richtigem", "Willkürlichem", "Unwahrem" zu tun hat; die Phänomene gelten hier als ein durchaus Reales und nur das Wort selbst könnte Anlaß zu einer Täuschung im Hinblick auf den Sinn seines Gebrauches geben. Dagegen findet sich der Begriff der "objektiven Erscheinung", in derselben Bedeutung wie bei HEGEL, bei zahlreichen idealistischen Philosophen der Gegenwart, namentlich spielt er in der "Philosophie des Unbewußten" eine Rolle, deren Verfasser auch jene eben zurückgewiesene Identität desselben mit dem modernen Begriff des Phänomens behauptet, um den Schein einer Übereinstimmung seiner Metaphysik mit der naturwissenschaftlichen Auffassungsweise zu erzeugen.

Wenn nun aber auch in HEGELs Philosophie der Zwiespalt zwischen der Realität des Begriffs und derjenigen des Individuellen nicht beseitigt oder überwunden werden kann und sie daher zur Konzeption der objektiven Erscheinung die Zuflucht zu nehmen genötigt ist, um ihren Grundsatz von der Alleinwirklichkeit der Idee aufrechterhalten zu können, so darf man doch nicht außer Acht lassen, daß dieses Dissidium [Grundform - wp] nur innerhalb der natürlichen Welt stattfindet, während es in einer höheren Sphäre des bewußten Lebens allerdings verschwindet. Das natürliche Individuum stirbt aus sich selbst, weil es "als einzelnes eine endliche Existenz ist."
    "Seine Unangemessenheit zur Allgemeinheit ist seine ursprüngliche Krankheit und der angeborene Keim des Todes."
Es erscheint demnach der natürliche Tod, welchem das Individuum anheimfällt, als das "Aufheben des formellen Gegensatzes der unmittelbaren Einzelheit und der Allgemeinheit der Individualität", als die "erreichte Identität mit dem Allgemeinen", jedoch nur nach ihrer abstrakten, negativen Seite hin. Die positive Seite, welche nicht in der Aufhebung des Endlichen, sondern in der Setzung oder Verwirklichung des Begriffs liegt, stellt hingegen der Geist, die Idee im Zurückkommen aus der Natur zu sich selbst, dar.
    "Die Subjektivität ist in der Idee des Lebens der Begriff, sie ist so ansich das absolute Insichsein der Wirklichkeit und die konkrete Allgemeinheit; durch das aufgezeigte Aufheben der Unmittelbarkeit ihrer Realität ist sie mit sich selbst zusammengegangen; das letzte Außersichsein der Natur ist aufgehoben und der in ihr nur ansich seiende Begriff ist damit für sich geworden. - Die Natur ist damit in ihre Wahrheit übergegangen, in die Subjektivität des Begriffs, deren Objektivität selbst die aufgehobene Unmittelbarkeit der Einzelheit, die konkrete Allgemeinheit ist, so daß der Begriff gesetzt ist, welcher die ihm entsprechende Realität, den Begriff zu seinem Dasein hat, - der Geist."
Der "konkrete Begriff" fordert notwendig die "an und für sich selbst reelle Individualität", welche sich in der Tat ihm zugesellt, sobald das Selbstbewußtsein die reine Kategorie zu seinem Gegenstand hat oder die ihrer selbst bewußt gewordene Kategorie ist. Das Individuelle, d. h. Endliche der bewußten Individualität erstreckt sich also nicht auf alle Handlungen derselben, sondern findet an der Vernunftbetätigung seine Grenze, jenseits welcher der Gegensatz von Allgemeinem und Einzelnem seine Gültigkeit verliert. Diese Ansicht hat eine klassische Darstellung in LUDWIG FEUERBACHs Abhandlung "de ratione una, universali, infinita" gefunden, welche, durchaus in HEGELs Geist gehalten, derselben eine große Scheinbarkeit zu verleihen weiß. - Jedenfalls ist die Lehre vom konkreten Begriff und von der an und für sich selbst reellen Individualität für HEGELs Philosophie von ganz besonderer Wichtigkeit, da sie das Absolute als Idee, wenn auch nicht in allen einzelnen Momenten des dialektischen Prozesses, so doch im Resultat desselben, im Geiste, vollkommen realisiert erscheinen läßt. Nur im Geist also ist Wahrheit; die Natur, "der entäußerte Geist, ist in ihrem Dasein nichts als die ewige Entäußerung ihres Bestehens und die Bewegung, die das Subjekt herstellt."
LITERATUR - Hugo Spitzer, Nominalismus und Realismus in der neuesten deutschen Philosophie mit Berücksichtigung ihres Verhältnisses zur modernen Naturwissenschaft, Leipzig 1876