TeichmüllerErdmannStumpfMFKDrossbach | |||
Erscheinungen und Gedanken [3/3]
Kapitel IV Weiteres zur näheren Bestimmung von Gedanken § 21. Wie analysieren wir "Gedanke" psychologisch nicht logisch Es ist, wie bereits oft betont, für die Gedanken charakteristisch, daß sie unserem Denken leicht in ihrer Verschiedenheit klar werden, daß aber - weil Erscheinungen fehlen - eine "phänomenologische" Klassifikation eigentlich unmöglich ist! Wir mögen die Zahl 1763 denke; der Gedanke Freiheit, Kamel, Wunder, Kategorie mag gegeben sein - was wir anschaulich vorfinden sind Begleiterlebnisse, Gefühle, Bewußtseinslagen oder Aufmerksamkeitserscheinungen; aber etwas für jeden einzelnen dieser Gedanken Charakteristisches und Anschauliches finden wir nicht. Nichtsdestoweniger weist der gedankliche Vergleich deutliche Verschiedenheiten auf. Was uns nun zum Verschiedenheitsurteil bringt, ist der eigentlich erst mit Hilfe sekundärer Prädikationsprozesse klar feststellbare Inhalt. Also die Unterschiede des vom Gedanken bei der Explikation angeregten Mechanismus ermöglichen eine Klassifikation. Wir scheinen damit in einen Fehler zu verfallen, wir bestimmen den Gedankeninhalt nach seinen Folgen: wir erschließen ihn. - Hier greift jedoch die eigentümliche Seite der Bewußtheiten ein, daß sie vielfach enorm entwickelt sind - und doch, wie ACH sagt: in nuce [im Kern - wp] gegeben sind; in einem Augenblick steht uns ein ganz langer Gedankengang vor Augen, ohne daß wir Einzelheiten daran beobachten. - Hier läßt uns die nachträgliche Analyse erst völlig klar werden, was wir gedacht haben; dieses zergliedernde Sich-voll-bewußt-werden meint BINET, wenn er vom devenir pleinement conscient [voll bewußt werden - wp] spricht. Für die Zuverlässigkeit unserer Analysen kommt schließlich der Umstand in Betracht, daß wir stets die Frage stellen können: Haben wir das gedacht, was wir nachher in Worte gefaßt haben? oder nicht?, und weiter der Umstand, daß wir dann aufgrund der Evidenz des Unmittelbar-Erlebten (25) Ja oder Nein antworten können. Mit diesem Kriterium ist bewiesen, daß wir doch im Bereich des Unmittelbaren geblieben sind. Wir bestimmen somit das Unmittelbar-Vorgefundene an etwas anderem, gleichfalls unmittelbar Vorgefundenem (dem formulierten Gedanken, einer Einheit aus Gedanken und Erscheinungen). Dieses letztere ist ausgelöst durch das erstere, also bedingt von ihm - ist ihm aber qualitativ, d. h. im gedanklichen Gehalt gleich. Da nun das Vorgefundene und Bestimmte durch das Kriterium der Evidenz des Unmittelbar-Erlebten als Unmittelbar gegeben bewiesen wird, ist unsere Aufgabe der Bestimmung des Gedankens gelöst. - Wir müssen nun dazu übergehen, eine bestimmte Fragestellung zu finden, um den eben erlebten aktuellen gedanklichen Gehalt eines Bewußtseinsquerschnittes oder einer Bewußtheit näher zu bestimmen. Man sollte meinen, es wäre die Frage des Logikers hierfür die einzig richtige. Er fragt: Wie bestimmen wir scharf und eindeutig das Gedachte? Dies ist für uns falsch - denn wir denken fast nie eindeutig, zumindest sind unsere Gedanken so gut wie nie absolut scharf gegliedert und klar abgegrenzt! Vielmehr ist das absolut begriffsklare Denken ein äußerst seltender Fall, zumindet ein Kuriosum, richtiger ein Ideal, denn man sieht dabei von individuellen Dispositionen und historischen Einflüssen nahezu und vom zeitichen Einfluß der Gedanken ab (daß historische Einflüsse hierbei nicht ganz auszuschließen sind, dürfte die zu verschiedenen Zeiten verschiedene Anerkennung allgemeinster Sätze als Axiome, die mit dem Anspruch auf diese Natur aufgestellt worden sind, beweisen, z. B. des Satzes: "Aus nichts wird nichts.") Wir müssen vielmehr psychologisch fragen: "Wie hat dieser einzelne Beobachter hic et nunc [hier und jetzt - wp] gedacht?" Wir stellen wir nun "psychologisch" bei den einzelnen Gelegenheiten fest, was wir gedacht haben? Oder wie wir sagen können: Was war der aktuelle Umfang der Gedanken? - In vielen Fällen finden wir scheinbar gar nichts vor. "Was hast Du gedacht, als Du die Zahl 874 entdeckt hast?" - "Was hast Du gedacht, als Du ihn gesehen hast?" Hier will uns gar keine rechte Antwort einfallen. In dieser Schwierigkeit kann uns am ehesten die Frage weiterhelfen: "Was hättest Du aufgrund der empirischen und logischen Zusammenhänge gedacht haben können, und was hast Du davon wirklich gedacht? Und was hast Du davon nicht gedacht?" Mit anderen Worten: Was vom logischen Sinn dieses Gedankens war im Einzelfall gegeben? Die Antwort lautet in vielen Fällen sehr bestimmt, teils positiv, teils negativ, nicht selten aber ist sie auch ganz zweifelhaft. Hiermit läßt sich der psychologisch aktuelle Begriffsinhalt sowohl positiv als auch negativ abgrenzen. Aber eine Zweifelszone wird oft bleiben. - Aktuell heißt es also hier: daß im Fall des Einzeldenkens nicht alle Komponenten des Gedankens, wie sie die Logik zutage fördern würde, unmittelbar gegeben sind. Es ist damit nicht ausgeschlossen, daß im Unbewußten noch andere gedankliche Faktoren teils latent ruhen, teils tätig sind. Dies ist deshalb wichtig, weil sich in einigen Fällen erst während der Protokollgabe Bestimmungen über den Gedankeninhalt, bisweilen in sehr großer Anzal einstellen. Diese Bestimmungen, meint dann die Versuchsperson, waren ursprünglich gar nicht gegeben, und doch ist es ihr angesichts der Protokollangaben, als hätte sie dieselben gedacht; es ist ihr, als brauchte sie bei diesem Prüfen die Wirksamkeit jener Gedanken nicht zu erschließen, sondern als fühlte sie sich zu ihnen in der eben bestimmten eigentümlichen Beziehung der unmittelbaren Evidenz. Dies sind die Fälle, in denen allerdings häufig die Grenze des Unmittelbaren zweifelhaft sein wird. Neben diesen Fällen stehen wieder andere, in denen auch während des Protokolls nichts derartiges einfällt, und wo wir doch sagen müssen, daß wir aus den Komponenten der Gedanken, die wir nach der bisherigen Methode der Angabe des unmittelbar Erlebten festgestellt haben, nicht das gefundene Produkt ableiten können. In diesen Fällen müssen wir also noch besondere Faktoren annehmen, die nicht ausdrücklich gedacht waren, die aber doch dagewesen sein müssen. Mit ihrer Feststellung sind wir aus dem Gebiet der unmittelbar vorgefundenen Bewußtseinsinhalte in das der mittelbar festzustellenden gelangt. Ein derartiger Gedankengang ist dem Denken des Alltagsmenschen ganz geläufig. Es folgert z. B.: "Ja, wie ich dazu gekommen bin, weiß ich nicht; es mag da der Gedanke, daß ich das eine hätte tun können und vielleicht auch der andere Gedanke, daß ich das andere hätte lassen können, mitgespielt haben; sicher bin ich hier nicht; aber etwas Besonderes muß jedenfalls hinzugekommen sein". So nimmt der Vorwissenschaftler unbewußte Gedanken an. - Ein besonders günstiges Beispiel ist die Aufgabe oder die Pause. Dieser Sprachgebrauch bereitet uns eine neue Schwierigkeit, die nun zu überwinden ist. Das Kriterium der Unanschaulichkeit kommt sowohl unmittelbar Vorgefundenem (Bewußtheiten oder Gedanken) als mittelbar Vorgefundenem, Erschlossenen zu. Wir müssen uns dann entschließen, entweder Bewußtheit im Sinne eines unanschaulichen Unmittelbargegebenen zu gebrauchen und das Wort Gedanken wegen der Tatsache der unbewußten Gedanken ganz aufzugeben. Oder wir müssen beide synonym gebrauchen und uns der Möglichkeit einer weiter umfassenden Anwendung auch im Sinne von unbewußten, erschlossenen Gedanken bewußt bleiben. - Hier mag die Zukunft entscheiden. Wir sehen hieraus zugleich, daß die Grenze von Beschreibung und Erklärung in vielen Fällen schwer einzuhalten ist, und daß der Versuchsleiter bei der Aufnahme des Protokolls die Versuche zugleich analysieren und erklären muß, soweit das geht, wenn sein Protokol einigermaßen auf Vollständigkeit Anspruch erheben will. In diesen Fällen gibt es noch eine besondere Schwierigkeit. Sie besteht darin, daß Versuchspersonen, die gewöhnt sind, ihre Gedanken sicher und klar und leicht darzustellen, unvermerkt dazu übergehen, die Sachlage des Gedachten zu beschreiben. Es kommt dann zu der Wirkung der Aufgabe, das Erlebnis zu beschreiben, unvermerkt die Aufgabe hinzu, die weiteren Zusammenhänge dieses Erlebnisses klarzulegen. Diese beiden Aufgaben zu scheiden, dürfte oft direkt unmöglich sein. Von besonderer Bedeutung ist die Bewußtseinsleere. Sie ist die gedankliche Konstatierung dessen, daß kein Gedanke als Bewußtseinsinhalt da ist. - Damit ist nicht gesagt, daß überhaupt kein Gedanke (im weiteren Sinn) im betreffenden Menschen da war: Gerade wenn wir in eine Situation kommen, wo wir von der Fülle der Eindrücke "perplex" [baff - wp] sind, kann eine ausgesprochene Bewußtseinsleere herrschen - und doch zeigt uns der weitere Verlauf, daß eine Menge von Gedanken sich in dem Augenblick "angesponnen" haben müssen, ohne bereits bewußt zu werden; sie waren noch nicht unmittelbar wahrnehmbar, wohl aber wirksam. Ebenso ist es oft beim Besinnen, einem der besten Fälle von Bewußtseinsleere. So heißt Bewußtseinsleere gelegentlich: Fehlen von bewußten Gedanken aufgrund einer Überzahl von wirksamen, sich gegenseitig hemmenden Gedanken. oder Krüppelformen von Erscheinungen. Bevor wir zur Klassifikation der Bewußtheiten übergehen, ist noch eine Abgrenzung auszuführen, die sich am besten hier einfügen läßt. Denn es ist dazu die Kenntnis der §§ 18 und 21 nötig. Ersterer zeigt uns, wie Erscheinungen undeutlich sein können, während die ihnen zugehörigen Gedanken klar sind - und umgekehrt. Der zweite zeigt uns mehr, was mit der Klarheit von Gedanken gemeint ist. - Wir sehen also, daß Klarheit und Deutlichkeit sowohl bei Erscheinungen als auch bei Gedanken vorkommen. Nun besteht aber schon lange eine Freude vieler Psychologen an der Dunkelheit mancher Vorstellungen. Denn sie erlaubt uns angeblich, eine Ähnlichkeits- und Quantitätsreihe aufzustellen, deren Endglieder absolute Gegensätze sind: nämlich unbewußt und bewußt. Uns gilt es nun nicht, diese Lehre kritisch darzustellen, sondern nur Mißverständnisse auszuschließen: Gedanken sind nicht genetische Vorstufen für Erscheinungen. Daß beide ganz verschieden sind, gilt es uns zu zeigen! Wenn vorhin gesagt wurde, wir sind oft unsicher, ob wir Gedanken oder Erscheinungen vor uns haben, so heißt das nur: die Konstatierung und Unterscheidung beider ist schwer; ihre Ntaur ist aber zu verschieden, als daß wir zwischen beiden irgendwelche Übergangsformen hätten. Ebenso sollen die folgenden "Erscheinungen" nicht Übergangsformen sein, sondern eben nichts als undeutliche, keim- und krüppelhafte Erscheinungen. Es ist nicht so, daß ein Gedanke, je klarer oder je machtvoller er wird, umso mehr Erscheinungscharakter bekommt; sondern der Gedanke bleibt Gedanke, und hinzu treten Erscheinungen - und um besonders undeutliche Erscheinungsformen soll es sich uns hier handeln. - Sprachgebräuchlich wendet man bei der Schilderung derartiger Erscheinungen etwa folgende Ausdrücke an: "Es ist wie ... wie wenn ..." usw. - "Es erinnert an ..." - "Man denkt unwillkürlich dabei ..." "Ich bin geneigt, zu sagen ..." - "Ich spüre etwas, wie wenn ..." - "Es geht über die Möglichkeit hinaus ..." - "Es ist eine deutliche Neigung da, z. B. die zwei Reize zu einer Gruppe zusammenzufassen, aber ich habe es nicht getan." - Auch Deutlichkeitsgrade dieser Neigung lassen sich beobachten: "Es ist allerdings nicht so deutlich, wie das Bild es sagt, aber es war doch etwas davon drin." Das sind die Äußerungen, die uns in der Untersuchung dieser Erscheinung leiten müssen. Bei Wortbildern z. B. ist der bekannte Zustand gegeben: "Das Wort liegt mir auf der Zunge" - oder: "Es klingt wie prar oder rar oder drar" - oder: "Ich kann es nicht genau sagen, wie er es gesagt hat, ich entsinne mich nur noch einiger Silben und eines undeutlichen Gemurmels" - oder: "Die syntaktische Fügung ist nicht ganz klar". - Im § 18 ist gelegentlich der Untersuchung der Selbständigkeit gedanklicher Gebilde manch ähnliches Beispiel gebraucht worden. Es zeigte sich, daß es oft unmöglich ist, "von den Reproduktionserscheinen den Sinn abzulesen"; erst der Geanke machte ihr Verständnis möglich. Diese Undeutlichkeit führt uns dazu, daß wir, um uns über solche Eindrücke klar zu werden, sie wiederholt auf uns wirken lassen oder uns besinnen und sie wiederholt vorstellen, bis sie klar geworden sind. Man kann so von seinem Prozeß der Verdeutlichung sprechen, der teils durch Wiederholung, teils durch Reproduktion und auch durch Fragen zum Ziel führt. Diese oft höchst undeutlichen Erscheinungen verdienen einen selbständigen Namen, weil ihre Analyse besonders betrieben werden muß. Ich möchte sie, weil sie so rudimentär, spur- oder keimartig sind, als Keim- oder Krüppelform von voll entwickelten Erscheinungen bezeichnen. Die Undeutlichkeit ist bildlich im Wort Keim oder Krüppel angedeutet; die genetivische Beziehung soll ihren Zusammenhang der Ähnlichkeit und der Gleichheit der auslösenden Ursachen und Reize hervorheben. Ich verweise hier auf die Analysen des Strebens und der Hemmung in einer demnächst erscheinenden Arbeit, weil diese Erscheinungen mir besonders charakteristisch als Keimformen verständlich zu sein scheinen. Für die Beurteilung dieser seelischen Gebilde müssen wir davon ausgehen, daß sie wirkliche Erscheinungen sind, denn wir können mit Sicherheit von ihnen aussagen, daß sie Erscheinungscharakter haben. Ebenso können wir ihr Fehlen konstatieren. Fraglich ist darum zunächst, wie sind sie zu klassifizieren? Wir können sie nicht einfach außer acht lassen, oder wir machen stillschweigend die Voraussetzung, die der Biologe macht, wenn er undeutliche Fälle und schlechte Präparate ununtersucht wegwirft und sagt: natürlich sind sie den guten Fällen gleichgeartet. Jedenfalls können wir in der Psychologie jede dort wohlberechtigte Voraussetzung nicht ohne weiteres auch für uns als gültig hinnehmen. Wir klassifizieren sonst aufgrund der Ähnlichkeit. Diese Gebilde aber sind so undifferenziert, daß es uns eigentlich unmöglich erscheint, sie zu vergleichen, wie man das mit anderen Erscheinungen tut. Zweifellos ist aber, daß wir bei ihrer Betrachtung an andere Erscheinungen erinnert werden, und zwar an rech differenzierte und verwickelte Gebilde. Während wir sonst bei der Feststellung von Ähnlichkeiten durch den Nachweis einzelner Struktureigentümlichkeiten dieselben im einzelnen beweisen können, ist das hier unmöglich, weil bei diesen Keim- und Krüppelformen Einzelheiten nicht nachweisbar sind. Wir müssen uns auf die bloße Tatsache des Erinnertwerdens verlassen. Hier kommen uns nun sonst wohlbekannte Tatsachen zu unserer Rechtfertigung zu Hilfe. Wenn wir über irgendeine Erscheinung, sei es über ihre Zusammensetzung oder über ihre Qualität, im Unklaren sind, so kommen wir durch die Wiederholung des Reizes, bisweilen nur durch eine sehr oftmalige Wiederholung, zur Klarheit. Der Unterschied zwischen geübten und ungeübten Beobachtern beruth auf der Beeinflussung durch diesen Prozeß. Die früheren Erfahrungen wirken im Beobachter wie durch eine Art Fragestellung nach und verhelfen ihm in ungleich kürzerer Zeit als dem Ungeübten zu den gleichen Beobachtungsresutaten. Diese Übereinstimmung im Ergebnis bei der Klärung der Eindrücke durch die übende Wiederholung und durch die Fragestellung überhaupt beweist einen natürlichen Zusammenhang zwischen undeutlichen und verdeutlichten Erscheinungen. Ein zweites Mittel der Verdeutlichung ist die Innenkonzentration (26). Wie weit nun diese Methoden, deren Zweck es ist, den Zusammenhang undeutlicher und deutlicher Erscheinungen von Keim und Krüppelformen auf der einen Seite und volldifferenzierter Gebilde auf der anderen Seite nachzuweisen, berechtigt sind, ist in gewissem Sinne Glaubenssache, weil die Voraussetzungen wenig kontrollierbar sind. Nichtsdestoweniger scheint mir diese Methode fruchtbar zu sein und direkt unentbehrlich für die Analyse der sogenannten Bewußtseinslagen. Zweifellos bleiben auch bei der Anwendung dieser Methoden Einzelfälle ungeklärt. Wenn wir z. B. sagen: "ich weiß nicht, ob die begleitende Vorstellung optisch oder akustisch war", so kann die Methode der Verdeutlichung nicht stets etwas ausrichten. Vielleicht wird man sich oft sogar irren, wenn man Klarheit erzwingen will. Wir müssen in diesem Fall damit zufrieden sind, die Einordnung der Keimformen zumindest im Großen und Ganzen vollzogen zu haben, z. B. als Vorstellunsinhalte. Wir sind dann wenigstens sicher, daß keine Gefühle und keine Gedanken vorliegen. Hieraus ergibt sich eine wesentliche Forderung für die Auslese unseres Materials für Analysen. Für die Anfangsanalysen können wir nur klar und einfache Fälle mit deutlichen Komponenten gebrauchen, erst später kann man die unklaren Fälle untersuchen. Die Gefahren einer falschen Interpretation sind sonst zu groß. Einteilung der Gedanken (bzw. Bewußtheiten) § 23. A. Anschauungsloses Denken ist oft bloß ein unanschauliches Reaktivieren von Erscheinungsresiduen Von vornherein findet eine große Anzahl von Bewußtseinsfällen ihr Verständnis in der sehr bekannten Tatsache, daß wir an etwas denken können, ohne es uns vorzustellen. Wenn wir z. B. eine Geschichte erzählen, so "fließen uns oft die Worte nur so heraus" - aber wir haben nur selten anschauliche Erinnerungsbilder des Erlebten, die mehr oder weniger deutlich in unseremphänomenalen Raum lokalisiert wären. Es ist nichts Anschauliches da, und doch wissen wir, daß wir an Anschauliches gedacht haben, und daß unsere Erzählung richtig war. Ja, es kommt vor, daß wir eben eine interessante, sinnlich stark eindrucksvolle Erscheinung wahrgenommen haben und an sie denken, ohne sie uns vorzustellen! Wir können vo ihr erzählen und über sie Angaben machen, ohne eine sie repräsentierende Erscheingung zu erleben. Es ist wohl kein Zweifel, daß wir hierfür keine besonderen Substrate annehmen dürfen als die sonst anerkannten Erinnerungsspuren. Das Problem ist nur das: wie können Gedächtnisspuren von Erscheinungen reaktiviert werden und sogar zu Bewußtsein kommen, ohne daß Erscheinungen dabei ausgelöst werden? Mit anderen Worten: eine Anzahl von Bewußtheiten erklären sich durch einen Ausfall der Erscheinungen bei der Reproduktion. - ACHs Ausführungen über Bewußtheiten scheinen darauf hinauszuführen, daß man die seelischen Mechanismen unseres intellektuellen Lebens auf assoziative Zusammenhänge von Erscheinungen und deren Gedächtnisspuren zurückführen kann. Soweit ich sehe, hat er sich noch nicht nach allen Richtungen bindend erklärt. Jedenfalls ist dieser Gedanke diskussionsfähig. Nur in diesem Sinne wende ich mich gegen ihn; denn im Grunde ist er der der Assoziationspsychologie und des Konszientalismus. Es gibt nichts als Erscheinungen und Erscheinungszusammenhänge. Man gibt teilweise nur noch zu: wir können zu ihnen in eigentümlichen Beziehungen stehen - in der der Intention auf das Vergangene: dann ist die Erscheinung selbst zwar nicht da, aber sie ist uns sonst irgendwie gegeben. Dies aber ist alles; etwas anderes als Erscheinungen und Erscheinungszusammenhänge gibt es nicht. Soweit ich nun sehe, kann man den ungemein verwickelten Mechanismus unseres Denkens nicht allein durch ein Geschehen auf dem Gebiet der Erscheinungsresiduen erklären, sondern eine große Fülle von Tatsachen weist darauf hin, daß eine Anzahl besonderer Elemente angenommen werden muß, die Begriffe. Ich komme damit zu dem gleichen Ergebnis, wie es OTTO LIEBMANN (27) schon in den siebziger Jahren ausgesprochen hat. Um hier zu einem Resultat zu kommen, scheint es mir am besten, analytisch vorzugehen. Als Beispieol möchte ich die Gegenstandsfrage wählen, wie sie sich im Auge des Naiven darstellt, und von ihr aus zunächst eine Gruppe von Begriffe entwickeln, die ich als Scheinsubstanz bezeichnen will. - Darauf werde ich einen weiteren Begriff, den "Wirklichkeitscharakter", herausheben. Damit ist es möglich, eine Anzahl von einheitlichen Gebilden aus einer Scheinsubstanz und einem Wirklichkeitscharakter zu verstehen. Um die Begriffsnatur der Scheinsubstanz zu entwickeln, ist es nötig, sie mit dem Begriff des Gegenstandes zu vergleichen; dabei zeigt sich, daß man eins in das andere überführen und so besonders von einer Verdinglichung der Begriffe reden kann. Die Wirklichkeitscharaktere sind bereits Merkmalsbegriffe; es fügt sich naturgemäß an, eine Einteilung dieser zweiten Hauptgruppe von Begriffen zu geben, der Merkmalsbegriffe. Damit ist die Grundlage für die Analyse der komplexen begrifflichen Gebilde Urteil, Aufgabe etc. gegeben. einer Klasse von Begriffen am Beispiel der "Gegenstandesfrage in der Auffassung des Naiven". Gegenstand ist im allgemeinen das, was mir gegenübersteht, was von mir aufgefaßt, gemeint und beurteilt werden kann, und alles, was dem gleichartig ist. - So können Erscheinungen und Gedanken und Dinge-ansich Gegenstände sein. Es wird hierin zunächst nichts über das Wesen des Gegenstandes ausgesagt, sondern nur über seine wirklichen oder möglichen Beziehungen zu mir. - Erst die zweite Hälfte der Definition spricht über das Wesen der Gegenstände, aber rein formal. Nun können und müssen wir als Psychologen die Frage der Transzendent im kantischen Sinn völlig außer acht lassen. Wir dürfen zumindest hier nicht fragen, worin unsere Beziehungen zu den Dingen ansich bestehen. Sondern wir haben bloß die Prozesse unseres Denkens zu erklären und fragen: Wie können wir Gegenstände denken? Nach welchem Mechanismus läuft dieser Prozeß ab? Welche einzelnen Arten von seelischen Faktoren (außer den Erscheinungen) gibt es hierbei? - Die Antwort sagt: diejengen Gegenstände, über die wir nachdenken, müssen durch besondere Glieder in unseren individuellen Gedankereihen vertreten sein. Wir versuchen der Lösung dieser Frage nahezutreten, indem wie die Auffassung der Gegenstandsfrage im Gedankenkreis des vorwissenschaftlichen Menschen zu bestimmen suchen. In ihm lassen sich all die Elemente nachweisen, die sich in der Weltanschauung des "Wissenschaftlers" finden. - Sie ist uns im Sprachgebrauch gegeben; naturgemäß mit vielen Vagheiten, aber das ist in allem psychologischen Denken der Fall. "Das ist ein Tisch. Das ist nicht bloß eine Erscheinung, es ist ein wirklicher Tisch: er ist hart! Er ist auch da, wenn ich ihn nicht wahrnehme!" - "Ich nehme den Tisch wahr, ich habe nicht bloß eine Erscheinung; ich träume nicht, ich halluziniere nicht!" - So sagt der Naive. Es ist ihm also, wie wenn das Ding-ansich selbst da ist. So beweisen auch unsere Urteil vielfach, daß wir gleichsam in Dingen zu denken gewohnt sind, daß es ist, als wären die Dinge Glieder unseres Gedankenprozesses. "Ich habe mir die Sache so zurechtgelegt." - "Wie verhalten sich für Sie Sonne und Erde zueinander?" - "Im Verlauf der Überlegung hat sich die Lage der Dinge geklärt." usw. - Diese Sätze klingen, als wären die Dinge in einem engen Zusammenhang miteinander, ja psychologisch gesprochen: als wirkten sie aufeinander und beeinflußten einander im Denken und Reden, als wären sie Glieder in einem Gedankenzusammenhang. In anderen Fällen ist der Sprachgebrauch durchaus nicht unfähig, scharf zwischen der individuellen Auffassung und deren Gegenstand zu scheiden. Das Wort "wirklich" bezieht sich auf den Gegenstand. Das Wort "wahr" auf unsere Auffassung von ihm. So ist die Auffassung, in der wir uns den Gegenstand so denken, wie er ist, wahr - der Gegenstand aber ist "wirklich". Letztenendes aber ergibt sich, daß dasjenige Glied unseres Denkens, das die Prädikation bedingt: "der Gegenstand so wie er ist" - nichts anderes als ein Repräsentant des eigentlich gemeinten Gegenstandes ist, also auch nur ein Auffassungsprodukt, auf das somit in diesem Zusammenhang die Prädikation adäquat = wahr angewendet werden müßte. (Ob dies mit Recht geschehen kann, ist eine besondere Frage.) Weniger scharf ist diese Scheidung im Wort Urteil. "Urteil" ist ein sehr vielfach gedeuteter Begriff: die Bedeutungen Urteilsakt und Urteilsbestand liegen darin. "Das Urteil lautet dahin, daß es so ist"; "das Urteil sagt, es ist so"; "ich spreche mein Urteil aus" - dies sind Fälle, in denen die subjektive Seite hervorgehoben ist. - Das Urteil "der Löwe ist gelbt", klingt mehr, als wenn die objektive Seite gemeint wäre. Man kann darin aber auch schon eine Unklarheit der Scheidung bemerken. In einem ähnlichen Sinn ist auf den Unterschied der Begriffe Geltung und Gültigkeit, Nötigung und Notwendigkeit, ferner Gefahr und Möglichkeit und schließlich in diesem Sinn auch Der "gesunde Menschenverstande" nimmt also unausgesprochener- und unklarerweise an, daß die Dinge-ansich in den Zusammenhang unseres Denkens, Wahrnehmens und seelischen Lebens überhaupt selbst eingreifen; er weiß oder beachtet nicht, daß sie dies nur durch den höchst verwickelten Weg des Sinneswahrnehmung und Gedächtnisspuren zu tun vermögen. Hiergegen wendet sich nun die Erfahrung: zumal die Tatsachen der spezifischen Sinnesenergie haben in die Frage der primären und sekundären Qualitäten helle Streiflichter geworfen. Die psychiatrischen Erfahrungen zwingens uns mehr als irgendwelche Tatsachen, mit aller Schärfe an der subjektiven Natur des Denkens festzuhalten und den Schein, daß die Dinge-ansich in ihm gegeben wären, als einen Schein aufzufassen und ihn so "erklären", wie man andere psychologische Erscheinungen und Tatsachen erklärt! Wie wir früher sahen, daß die Erscheinungen subjektive, von Individuum zu Individuum wechselnde Gebilde sind, so müssen wir auch die Bewußtheiten als subjektive Gebilde erkennen. Wir müssen die Auffassung des einzelnen Individuums, wie sie hic et nunc ist, bestimmen und aus den jenes Individuum zusammensetzenden Komponenten kausal erklären! Die scheinbare Dingnatur unserer Wahrnehmungen wurd uns nur als psychologische Tatsache voll verständlich! Deshalb möchte ich zunächst für das Plus an Bewußtseinsinhalt, das neben der Erscheinung in der äußeren Wahrnehmung von Dingen gegeben ist, einen besonderen Namen vorschlagen, um ihn sogleich eingehender zu analysieren. Ich möchte es "Scheinsubstanz" nennen! Es ist damit eine erste Gruppe von Bewußtheiten gegeben, die "Scheinsubstanzen". Dieser Ausdruck stimmt vielleicht überein mit dem, was MEINONG als pseudo-existenten Gegenstand bezeichnet. Eine derartige Scheinsubstanz ist etwas unmittelbar Vorgefundenes, und damit hätten wir das Recht zu sagen: diese Scheinsubstanz ist ein Erlebnis. Unser Sprachgebrauch widerspricht dem, wiewohl die Benennung richtig ist: auch eine Empfindung "Rot" können wir nicht dem Sprachgebrauch entsprechend ein Erlebnis nennen - und doch geschieht es bei manchem Psychologen. In demselben Sinn ist die Scheinsubstanz ein Erlebnis: um aber dem Sprachgebrauch nicht Gewalt anzutun, nennen wir diese Scheinsubstanz ebenso wie den Empfindungsinhalt "Rot" am besten Bewußtseinsinhalt und heben damit ihren Erlebnischarakter genügend heraus. Von diesem Standpunkt aus dürfte es keine Schwierigkeit mehr machen, von einer doppelten Repräsentation des Ansich-Existierenen zu sprechen: der Sinnesinhalt und die Scheinsubstanz, beide gehen in den Wahrnehmungsinhalt ein, und sie sind die beiden Repräsentanten. - Dem Naiven scheint nun diese Scheinsubstanz eine absolute Existenz zu besitzen. Ihm ist das Ansich überhaupt im strengen Sinn noch nicht bekannt. Dies fördert erst der Erkenntnistheoretiker zutage. In der Erkenntnis dessen, was in den so geschaffenen Einzelfällen Existenz heißt, liegen die größten Probleme der Philosophie; - der Psychologe hat Teil an der Lösung dieser Probleme: er hat die Aufgabe, den psychologischen Bestand festzustellen und zu erklären, soweit er in einem Menschen gegeben ist, der diese Probleme denkt. Dies will ich in den nächsten Abschnitten zu tun versuchen. Die erste wichtige Bestimmung der Scheinsubstanzen ist die, daß sie das gleiche sind, mögen sie sich mit Wahrnehmungsinhalten oder mit Erinnerungsbildern vereinheitlichen; psychologisch gleichwertig ist es, ob die verblasenen Erscheinungen, denen sie sich zugesellen, durch einen einfachen reproduktiven Reiz auf die Gedächtnisspur einer Sinneswahrnehmung ausgelöst - oder ob sie durch die kombinatorische Tätigkeit der Phantasie bedingt sind. Stets ist es die gleiche Art von gedanklichen Gebilden die hier belebend zum Sinnesinhalt hinzutritt. - Und ebenso ist es, wenn wir eine Scheinsubstanz, einen Gegenstand "denken": dann fehlt die sinnliche, sei es frische, sei es verblasene Begleiterscheinung. der Wirklichkeitscharaktere Als zweite Frage ergibt sich die: können wir die Seite in der Auffassung der Scheinsubstanzen etwas näher bestimmen, die ihnen das oben beschriebene naiv-wunderliche Gepräge der absoluten Existenz gibt? Ich meine, daß das Eigentümliche dieser Scheinsubstanzen in den Eigenschaften liegen muß, mit denen der Naive ohne weiteres und unvermerkt die Erscheinungen ausbaut. Wenn er z. B. den Wahrnehmungsinhalten eine Dingnatur zuschreibt, so heißt das, sie bestehen für ihn ohne ausdrücklichen Nachweis, ohne weiteres, unabhängig von seiner Wahrnehmung. Dies geht so weit, daß auch bei Sinnesreizen, die von unserem Körper ausgehen, und die nach außen projiziert werden, und deren subjektive Natur nicht ohne weiteres klar ist, sofort dingliche Interpretationen hinzutreten. Wenn man nachts auf einer hellen Landstraße geht, glaubt man gelegentlich einen großen Streifen am Himmel zu sehen. Man wundert sich, kann ihn nicht erklären, bsi sein Schwinden bei längerer Betrachtung, seine Bewegung bei Bewegungen des eigenen Auges,, die Wiederkehr nach einem längeren Blick auf die Landstraße und die Ähnlichkeit dieser Wahrnehmung mit der des Streifens die Dingnatur desselben widerlegt und ihn als positives Nachbild ausweist. Hier zeigt sich, daß der Erscheinung eine Scheinsubstanz zugeordnet wurde, der zunächst eine Dingnatur oder der Charakter von objektiver Wirklichkeit zukam. Durch andere Erlebnisse wurde dann dieser Wirklichkeitscharakter aufgehoben und an seine Stelle trat das Prädikat der psychologischen Wirklichkeit; dies wurde näher als positives Nachbild präzisiert. - Wir sprechen auch von Begriffen oft wie von Dingen: "der Löwe ist gelb"; "der Hund ist ein Säugetier". Dies sagen wir, ohne daran zu denken, daß es "ein Säugetier", "einen Löwen schlechthin" überhaupt nicht gibt; wir wissen es, denken aber nicht daran, daß Typen etwas rein gedanklich Konstruiertes sind. Und wie mit allen Artbegriffen von Dingen und Lebewesen ist es mit vielen abstrakten Begriffen: "die Gerechtigkeit ist eine Tugend"; "Neun ist eine Zahl"; "der Stoiker ist der Typ des römischen Philosophen"; "der Kentaur ist ein Wesen, halb Pferd, halb Mensch" usw. So erscheinen dem nicht reflektierenden Vorwissenschaftler diese von Individuum zu Individuum, von Fall zu Fall wechselnden Produkte gedanklicher Tätigkeit wie Dinge. Sie erscheinen ihm genau wie konkrete Einzeldinge, als Glieder unseres Denkens. Und wenn wir das Bild eines Phantasiewesens wahrnehmen oder vorstellen, so gilt für ihre Wahrnehmung das gleiche: wir nehmen dabei neben der Erscheinung noch einen immanenten Gegenstand wahr, und er besitzt eine wenn auch nicht jedesmal ausdrücklich gedachte und vergegenwärtigte, so doch ihm eng anhaftende Eigenschaft, die sich auf das Verhalten zu unserer Wahrnehmung und zum Denken bezieht, und die wir als Phantasienatur bezeichnen. Somit haben wir auch hier das Recht, von Scheinsubstanzen zu sprechen. Deren Zahl ist jedoch noch nicht vollständig. Es gibt noch andere Gruppen von Scheinsubstanzen, denen gleichfalls derartige Eigenschaften zukommen. Diese sind nicht stets ausdrücklich bewußt, aber wirken doch oft unvermerkt bestimmend auf uns ein. Bei den historischen Gegenständen ist es eigentümlich: einmal weiß der Naive recht wohl, daß ihnen das Prädikat "vergangen" zukommt; aber dabei wird diese wohlbewußte tatsächliche Vergangenheit des Entschwundenen gar nicht recht bewußt, denn diese Gegenstände wirken auf uns wie gegenwärtige Dinge. Am stärksten ist das wohl mit den Vorstellungen und Gedanken, in denen uns Verstorbene gegeben sind, nahestehende Freunde und Verwandte (also eine besondere Gruppe von historischen Gegenständen). Sie sind um uns und uns gegeben, wie wenn sie leben würden. Man kann hier von einer besonderen Form der Jllusion sprechen. Ganz eigenartig verhalten sich die mathematischen Größen, sie scheinen etwas Absolutes zu sein, frei und unabhängig vom menschlichen Denken. Sie sind dieselben, wie sie die alten Griechen dachten, oder wie LEIBNIZ sie dachte, und sie werden dieselben bleiben. Sie haben keine Wirklichkeit und sich doch da, zeitlos, ewig! Weitere "Gegenstände" sind Raum und Zeit. Beide sind gedachte Größen, aber keine Substanzialitäten von Ausdehnung oder Undurchdringlichkeiten, eine "Dinge-ansich", sondern einheitlich geordnete Systeme von möglichen Merkmalen, rein gedachte Gegenstände. Wenn wir uns sagen, der phänomenale Raum des Psychologen und der reale Raum des Astronomen ist wesentlich derselbe, so ist das eine unvermeidliche Redeweise, mit bestimmten Folgerungen für die Veranschaulichungen bei unserem Denken, ohne die wir nicht denken können. Es geht hieraus hervor, daß der Naive allen Gegenständen unwillkürlich eine besondere Form der Wirklichkeit zuordnet (ob mit Recht oder Unrecht, ist eine erkenntniskritische, aber keine psychologische Frage). Auch den wissenschaftlich Gebildeten geht es so; und oft kann er sich von einem (erkenntnistheoretisch unberechtigten) psychologischen Zwang, dies zu tun, nicht ganz frei machen. - Die Wissenschaft hat diese Begriffe mehr und mehr geklärt und so (entsprechend dem Verhalten der Gegenstände zur Wahrnehmung, Denken und Erwartung) verschiedene Begriffe geprägt und definiert. Sie spricht von einer realen, psychologischen, historischen, mathematischen und Phantasie-Wirklichkeit - von Transzendenz überhaupt, den Ausdruck "wirklich" hat sie für einige Fälle in "gültig" umgeformt. Diese Begriffe gehören offenkundig zu den Merkmalsbegriffen und stehen so in einem deutlichen Gegensatz zu den Gegenstandsbegriffen. Ihre psychologische Untersuchung kann hier nicht näher verfolgt werden. Nur darauf sei hingewiesen, daß diese Eigenschaftsbegriffe zweifellos ihre Geschichte haben. Wie ihre Anfänge beim Kind sind, wissen wir nicht; ob dort etwas von jener Scheindingnatur den Erscheinungen anhaftet, entzieht sich jeder Beobachtung. Wir müßten fordern, daß von Anfang an eine reine Erscheinung ohne jede gegenständliche Interpretation gegeben ist. (Daß übrigens früh Erwartungen auf das Anhalten einer Wahrnehmung oder auf ihre Wiederkehr bestehen, bedarf wohl zu seiner Erklärung anderer Mechanismen als solcher Begriffe.) - Wollte man nun den naiven Sinn des Wortes "seiend", wie das der Konszentialist will, auf "Erwartung des Wiedereintritts der betreffenden Wahrnehmung bei Erneuerung der Bedingungen" reduzieren, so würde man den Fehler begehen, den erkenntnistheoretisch zunächst haltbaren Sinn zu verwechseln mit der im Individuum gegebenen Bedeutung! Daß "Sein" nicht jene Erwartung ist, ist jedem Naiven klar: ihm ist "Sein" - eben "Sein", wie ihm 1 1 ist und 2 2, solche schwierigen Begriffe hat er, kann sie aber nicht definieren; er kann sie nur mit anderen Begriffen und Begriffsbestimmungen vergleichen und als verschieden, d. h. als richtig oder falsch erkennen! Scheinsubstanzen. Diese sind verdinglichte Gegenstandsbegriffe. Von diesen Scheinsubstanzen scheiden wir sprachgebräuchlich ohne weiteres die Begriffe des einzelnen Menschen, des Einzelwesens, des Säugetiers überhaupt; des Hundes, des Enzyklopädisten, des Kentauren und der Neun. - In beide Faktoren nun, in Begriffe und Scheinsubstanzen, gehen dieselben Komponenten ein, und es steht in unserem Belieben, Scheinsubstanzen als Begriffe zu fassen - sobald wir wollen - und umgekehrt. Demnach muß eine Ähnlichkeit zwischen ihnen bestehen. - Dies liegt dem Gedankengang des Vorwissenschaftlers nicht fern, denn es passiert ihm oft, daß er sich selbst besinnend fragt: Was ist eigentlich eine Zahl, eine historische Persönlichkeit? Nichts als ein Begriff, ein Gedanke! antwortet er sich selbst. Er erkennt also, daß das konkret Erscheinende oft eigentlich nur ein Begriff, ein von ihm geschaffenes seelisches Gebilde ist. Wir können somit die Scheinsubstanzen unter die gedanklichen Gebilde klassifizieren und müssen sie den Begriffen nahestellen. Es ist weiter die Aufgabe zu sagen, wie es möglich ist, daß wir Begriffe von Scheinsubstanzen bilden, bzw. das Begriffliche an den Scheinsubstanzen hervorheben oder Scheinsubstanzen als Begriffe auffassen können. (Bis zu einem gewissen Grad können wir somit diesen Gegensatz von Scheinsubstanz und Begriff mit dem der abstrakten und konkreten Begriffe identifizieren.) Wen nun nichts täuscht, sind Scheinsubstanzen und Begriffe die gleichen gedanklichen Gebilde, nur verschieden durch die Auffassungsform. Nämlich: wenn man das, was man von einem Menschen weiß und kennt, zusammenfaßt und sich in einem Akt denkt, so kann man diese Einheit entweder als Begrif, d. h. als Produkt meiner Zusammenfassung oder als Substanz, d. h. für sich Bestehendes, auffassen, man fügt nur den (eben besprochenen) Charakter der begrifflichen Natur oder der realen Existenz ausdrücklich zu und verdeutlicht beide! Wir können diese eigentümliche Auffassungsweise der Begriffe - als einen besonderen psychologischen Prozeß - als Verdinglichung der Begriffe fassen und hätten in den Scheinsubstanzen nichts anderes als "verdinglichte Begriffe". Damit wäre es auch verständlich, daß "Gegenstände", z. B. Pflanzen, "bestimmen" und Begriffe definieren - psychologisch nahe verwandte Prozesse sind! Zergliederungen des Inhalts - nichts weiter. Die dem Inhalt zugewiesene Rolle bedingt die Einzelheiten der Prozesse, nicht der hier und dort verschiedene Wirklichkeitscharakter! Damit wird dann noch weiter klar, daß diese Scheinsubstanzen und ihre Begriffe eine größere Bedeutung und Selbständigkeit besitzen, als bisher aufgefallen war: wir können sie denken, ohne daß wir (merklich) die Erscheinung dazu nötig haben! Wir denken einen Gegenstand, heißt somit: wir sind mit einer Scheinsubstanz, d. h. mit einem verdinglichten Begriff in einer unanschaulichen Tätigkeit beschäftigt. Durch das Hinzutreten von Scheinsubstanzen, Begriffe, Gedanken zur Erscheinung wird der Verständnisprozeß, die gedankliche Auffassung, Beseelung und Apperzeption der Erscheinung erklärt; dadurch wird es zumal klar, daß gute und schlechte, farbige und farblose, vergrößerte und verkleinerte und flächenhafte und plastische Wiedergaben desselben "Gegenstandes" als derselbe Gegenstand erscheinen: der Grund ist der, daß die gleiche Scheinsubstanz reaktiviert und mit der Erscheinung vereinheitlicht wird. Hierdurch auch und besonders durch den Wirklichkeitscharakter (also ein psychologisches Gebilde von transzendentalem Schein möchte ich sagen) wird die ungeheure Jllusionskraft von Idealen und Phantasien, von Gespenstern, Dämonen, Göttern, Penaten und Verstorbenen verständlich. Hiermit sind zwei außersinnliche Faktoren unseres seelischen Lebenszusammenhanges nachgewiesen: die unmittelbar vorgefundenen Wirklichkeitscharaktere und die erschlossenen Scheinsubstanzen und deren Begriffe. - Beide sind unanschaulich; gedanklicher Natur; entstanden; reproduzierbar und vom Ernährungszustand des Gehirns abhängig. Mit anderen Worten, es kommt beim Prozeß des Denkens die Frage der Realität oder der Irrealität des Gedachten, z. B. des Ding-ansich, in keiner Weise in Betracht. Wir erfüllen damit also die Forderung, aus rein individuell gegebenen Faktoren den Denkprozeß zu erklären! für die Frage nach der Einteilung der Wissenschaften. Es schließen sich an diese bereits im Vulgärdenken gegebenen Bewußtseinseinheiten, Begriffe, Scheinsubstanzen und Merkmale weitere Aufgaben an, besonders die, den haltbaren Sinn dieser Begriffe zu bestimmen; hierauf beruth die Einteilung der Wissenschaften: ist einem Gegenstand sein Wirklichkeitsprädikat zugeordnet (tierisch, pflanzlich, seelisch), so ist er von der entsprechenden Wissenschaft aus zu behandeln und von keiner anderen! Damit ist es verständlich geworden, daß vom Mond - wie ja das auch sonst geschieht - als von einer Begriffsbildung gesprochen wird! Ob er noch mehr als das ist, bestimmt die Erkenntnistheorie; - uns Psychologen interessiert der Prozeß im "Kopf" des Astronomen: wie kann der Mensch so sprechen und denken, als wäre ihm der Mond selbst gegeben? als dächte er über den Mond selbst nach? Weiter ist der Unterschied nun klar zwischen Psychologie und Naturwissenschaften und Mathematik. Die Psychologie behandelt sowohl Erscheinungen als auch Gedanken oder Bewußtheiten: Scheinsubstanzen, Begriffe von Gegenständen, Merkmale. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß sie durch die große Verschiedenheit der zusammengefaßten Gegenstände zu anderen Resultaten kommt als die Astronomie, die nur die Begriffsbildungen und Scheinsubstanzen zusammenfaßt und in gesetzmäßige Beziehungen bringt, die das Prädikat Weltenkörper bekommen haben. - Und so ist die Psychologie keine Zoologie, keine Mathematik, nicht Jurisprudenz - obwohl das Material der Zoologie, der Mathematik, der Jurisprudenz, wie es der Zoologe, der Mathematiker unmittelbar verarbeitet, d. h. in seinem "Kopf" hat, der Psychologie angehört. Neben den schon besprochenen Wirklichkeitscharakteren, die wir als Merkmalsbegriffe fassen mußten, sind zunächst die Qualitätsmerkmale, die Eigenschaftsbegriffe im engeren Sinn, zu nennen. Auch sie sind für den Vorwissenschaftler nicht deutlich und ohne weiteres etwas von der Erscheinung Verschiedenes: Das Gold ist in der Tasche ebenso golden wie in der Hand, wo es blinkt. Der Schnee ist weiß, auch wenn er im Abendrot rot und im Mittagsschatten blau aussieht. Daß Schnee blau sein kann, ist ihm eine Entdeckung; der naive Maler aber malt dementsprechend, was er weiß, nicht was er sieht! Der Naive nimmt so eigentlich nicht Erscheinungen, sondern Begriffe wahr! Erst bei ausdrücklichem Nachdenken ändert sich so der Eigenschaftsbegriff. Eigentlich ist ja das Weiß immer - denkt er im Stillen -, aber es ist doch im Dunkeln dunkel, im gelben Licht gelb usw. So wird ihm unvermerkte der Begriff ein Erfahrungszusammenhang. Wenn er sich dieses Problem weiter überlegt, will ihm die Eigenschaft vorkommen wie eine diffus in dem zu bestimmenden Körper oder in einer größeren Partie oder an seiner Oberfläche ausgebreitete, mehr oder weniger selbständige Substanz (28). Nehmen wir z. B. das Rot, Gelb oder Grün der Apfelschale, das Weiß des Apfels. Ganz ähnlich ist es mit der Eigenschaft der Schönheit, die zumal den unselbständigen und skeptischen und suggestiv veranlagten Naiven so unverrückbar eine Eigenschaft des Dinges ist, wie die physikalische Farbe: für ihn ist ein Kunstwerk schön, auch wenn es ihm nicht gefällt; und er sucht das Schöne daran zu finden. Wir müssen hieraus schließen, daß die Eigenschaften, soweit sie Glieder unseres Denkens sind, darin durch Glieder repräsentiert sein müssen, die sich von den Erscheinungen grundsätzlich unterscheiden. Ein besonders deutlicher Beweis für diese Auffassung scheint mir der Umstand zu sein, daß wir angesichts derselben Erscheinung mehrere Begriffe unterscheiden können. Zum Beispiel können wir sagen: "das Gelb dieser Zitrone ist eine malerisch höchst interessante Erscheinung, oder es ist ein Durchgangsstadium zwischen dem Grüngelb der unreifen und dem Braungold der überreifen Zitrone (29). - Wir meinen mit dem Wort Gelb und gelb wohl die gleiche seite der wirklichen Zitrone. Die Gedankengänge sind aber so verschieden, daß man Gelb in den verschiedenen Fällen nicht ohne weiteres vertauschen kann: die Zitrone ist "das Gelb dieser Zitrone" wäre Unsinn. Die substantivierte Eigenschaft ist ein Begriff ganz eigener Art. Eine Scheinsubstanz, ähnlich den bereits genannten, verschieden wieder von der eigentlichen Eigenschaft; beide aber sind keine Erscheinungen. Mit der Auffassung der Eigenschaft als Gegenstand, scheinbar als Ding, ist für das erlebende Subjekt ein ganz anderer Bestand gegeben als mit dem Verharren seiner Aufmerksamkeit bei der unselbständigen Eigenschaft. Den Eigenschaften schließen sich die Tätigkeiten und Zustände an. Das Schreiben, Reden, Gehen ist gedanklich mit einer scheinbaren Unselbständigkeit gegeben, die den Blick für das Tatsächliche vermissen läßt. Zweifellos lassen sich diese Gedanken des Vorwissenschaftlers nicht logisch durchdenken, aber nicht, was ist, fragt es sich hier, sondern wie sich der Vorwissenschaftler seine Welt denkt, soweit er sie gedacht hat. Schließlich reihen sich den Scheinsubstanzen und Merkmalen als eine besondere Gruppe die Relationen an. Sie sind eine besondere Gruppe von Merkmalen, die man als Gesamtmerkmale bezeichnen kann, insofern sie stets zwei oder mehreren Gegenständen zugleich zukommen. Auch sie sind, soweit sie als Glieder unserer Gedanken gelten, gedankliche Produkte eigener Art und entweder unter Gegenstandsbegrife oder gelegentlich unter Eigenschaftsbegriffe einzureihen. (Bei ihnen kommen wir naturgemäß zu derselben Unterscheidung wie beim Ding-ansich und der Erscheinung: zum Unterschied von gedachter und wirklicher Relation. Eine nähere Ausführung ist hier nicht am Platz.) Urteil, Frage, Aufgabe usw. Wenn ich über ein Wahrgenommenes eine Aussage mache, also ein Urteil darüber fälle, so brauche ich bei der hierzu nötigen Analyse des Wahrnehmungsbestandes keine neue selbständige Komponente in derselben einzuführen. Wenn ich z. B. sage: "Dieses Papier ist weiß" - so finde ich den verdinglichten Gegenstandsbegriff in seiner individuellen Gegebenheit und seiner weißen Farbe vor. Damit ist nichts anderes gegeben, als schon in der Wahrnehmung enthalten ist, vorausgesetzt, daß das Weiß überhaupt mit als Eigenschaft aufgefaßt ist. Eine Verschiedenheit liegt nur vor, insofern die Zuordnung des Weiß zu diesem Papier hervorgehoben wird: es ist der Merkmalsbegriff dem verdinglichten Gegenstandsbegriff, bzw. der Scheinsubstanz entgegengestellt, von ihr abstrakt losgelöst und als ihm inhärent [innewohnend - wp] aufgefaßt! Diese Betonung der Relation von Gegenstands - und Merkmalsbegriff scheint mir das Charakteristische des Urteilsbestandes zu sein. Diese Relation ist schon in der Wahrnehmung gegeben, obgleich nicht ausdrücklich gedacht; das Urteil hebe sie heraus und betont sie. - Das Urteil als Urteilsakt hingegen (dies ist der zweite Sinn des Wortes Urteil) ist der Prozeß der Sonderung, Gegenüberstellung und Zusammenfassung der zwei genannten Begriffsarten. Es kann an dieser Stelle nicht meine Aufgabe sein, diesen Mechanismus als für alle Urteile charakteristisch nachzuweisen. Bloß andeutend darf ich bemerken, daß uns die sprachliche Umformung des Urteils zu dieser Behauptung zu berechtigen scheint. "Wenn A ist, ist B", heißt dasselbe wie: "Das Gegebensein von A ist so geartet, daß es B bedingt". Das Deutsch darin ist nicht schön, zeigt aber die typische Urteilsstruktur und gibt den Sinn. Finde ich so eine Urform des Urteils, so kann ich andere Formulierungen als psychologische Spielarten nachweisen - denn der Gedankengang ist derselbe, seine sprachliche Verkleidung ist ja Nebensache! Denken ist nicht Wortschwall. An dieser Stelle kann auch eine oft diskutierte Frage mit Hilfe der Gesichtspunkte, die wir über den aktuellen Begriffs- oder Gedankenumfang entwickelt haben, verständlich beantwortet werden. Mitunter können wir von einer gesehenen Erscheinung nur sagen, daß wir sie "als Mensch" oder nur "als Mann" aufgefaßt haben. Dann ist kein Individual-, sondern ein Allgemeinbegriff hinzugetreten und hat den Verständigungsprozeß ermöglicht. - Bisweilen aber ist die Auffassung noch weniger speziell gewesen; die Erscheinung ist nur als "jemand" oder "etwas" als "es" aufgefaßt worden (mitunter sinnvoll, bisweilen sinnlos): das hinzutretende gedankliche Gebilde war ein sehr allgemeiner Begriff. Dies ist, wie ich sehe, der Sinn der Impersonalien und der impersonalen Urteile: es donnert, es läutet. Wir kommen damit über eine bloße Redewendung, einen bloßen Wortschwall hinaus (Sigwart vertritt diese, im Übrigen sehr glückliche Auffassung, gegenüber den Versuchen eines übertriebenen Logisierens) und treten damit der psychologischen Tatsache wirklich nahe. Wie wir von Wahrnehmung und Vorstellung zum Urteil gelangten - geführt durch die Begriffe Bewußtheit und Erscheinung -, so können wir auch leicht vom Urteil zu verwandten Auffassungsarten gelangen; zu Frage und Befehl, Annahme und Aufgabe. Der Satz: die VP sucht einen Oberbegriff zu XY, läßt sich umformen in den: die VP soll einen Oberbegriff zu XY suchen! - Wie diese Umformung im Einzelnen geschieht, dies darzulegen ist augenblicklich nicht unsere Aufgabe. Daß diese zwei Gebilde auf das Engste verwandt sind, scheint mir kein Zweifel, ebensowenig, daß nichts als gedankliche Elemente sich dabei ändern. Besonders fruchtbar scheint diese Auffassung sich auf dem Gebiet der Aufgabe erwiesen zu haben, auf deren psychologische Bedeutung wohl zuerst WATT mit großem Nachdruck hingewiesen hat. Er weist ihren Einfluß auf den Ablauf der Reaktion nach. Die Reizwirkungen führen ohne Aufgabenstellung, bei freier Reaktion zu anderen Reproduktionen, als unter der Einwirkung der Aufgabe (bei der sogenannten gebundenen Reaktion). Ist man in einer Aufgabe genügend geübt, so wird man sich ihrer nicht mehr bewußt. Bei der vergleichsweise geringen Übung der VP im Laboratoriumsexperiment bracht die Aufgabe bald weder während des Versuchsablaufs, noch während der Zwischenzeit oder bei der Protokollgabe bewußt zu werden. WATT hat dafür sehr schöne Beispiele gebracht. - Die hohen Grade der beruflichen Übung (z. B. Geld zählen und zusammenrechnen bei Kassierern) führen zum vollständigen Zurücktreten der Aufgae. Erst wenn man einen Fehler oder eine Versäumnis begangen hat, wird einem bewußt, daß man etwas tun soll. Das gleiche Geldstück ruft unmerklich unter dem Einfluß der beruflichen Aufgabe ein ganz andere Handlung hervor, als unter der Richtung des heiteren Verkehrs, der häuslichen Pflicht usw. Indessen muß von diesen mehr oder weniger unreinen Fällen, in denen die Automatisierung des psychischen Geschehens eine tief eingreifende Rolle spielt, hier zunächst abgesehen werden. Derartige Fälle müssen nur als die Endpunte der Ähnlichkeitsreihe von Aufgabenwirkung angeführt werden, damit die verschiedenen Möglichkeiten der Beurteilungen klar vor Augen stehen. Dagegen, daß die Aufgabe so selten bewußt wird, darf man nicht den Einwand machen, daß hier die VP nicht aufgefordert worden ist, auf die Aufgabe zu achten. Wäre das der Fall gewesen, so wäre eine neue Bedingung eingefügt. Hier handelt es sich um die unkomplizierten Reaktionen mit eindeutiger, durch die Aufgabe bestimmter Richtung. Neben dem Fehlen von Symptomen der außerbewußt wirksamen Aufgabe ist für den Nachweis unserer Behauptung auch die Art ihrer Erscheinung entscheidend. WATT gibt hierüber in seinen Protokollem manche anschaulichen Fälle. Einmal die wörtliche Wiederholung, teils in abgekürzter, teils in ausführlicher Formulierung ("untergeordneten Begriff suchen" - "du sollst einen untergeordneten Begriff suchen" - dann in allgemeiner Form "du sollst deine Pflicht tun" - "was sollst du jetzt tun?"). Auch als Impuls oder Behauptung kann sie bewußt werden. Die Deutlichkeitsgrade der Erscheinung können hierbei in allen Abstufungen bis zu fast sinnlicher Klarheit vorliegen. - Weiter können nach meinen Erfahrungen und in gut denkbarer Analogie zu BINETs und WATTs Fällen von wortlosem Denken Fälle von reinem, symptomlosen Denken an die Aufgabe vorkommen. Das Wesen der Aufgabe wäre nun natürlich nicht im Geringsten damit erschöpft, daß man die mannigfaltigen, mehr oder weniger deutlich nachweisbaren Formulierungen anführte, sondern wir müssen auch anderweitige "Erfahrungen", die als Aufgabe wirken und an die syntaktische Form gar nicht gebunden zu sein scheinen, hier anführen: das Studium einschlägiger Fragen in Büchern, in den alltäglichen und experimentellen Beobachtungen, Diskussionen und Unterhaltungen, die gleichfalls Gedanken enthalten und dadurch anregend und bahnend wirken, genau wie die Aufgabe. Hat man z. B. zur Zeit von akustischen Versuchen viel von Ryhtmus gehört oder gelesen, so ist man geneigt, bei den Beobachtungen willkürlich und unwillkürlich derartigen Erscheinungen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Gerade in diesem Beispiel ändert sich mit schlagender Deutlichkeit der sinnliche Eindruck infolge des Denkens an den Rhythmus bisweilen vollständig. Hieraus geht hervor, daß man den Begriff der Aufgabe nicht zu eng fassen darf als formulierte Aufgabe, sondern daß die "Vorbereitung" und der "Gesichtspunt", das richtunggebende Moment, die Denkrichtung, die Leitvorstellung (KRAEPELIN) im weiten Sinn damit dem Gebiet der Bewußtheiten, somit den Begriffen und Erfahrungszusammenhängen eingeordnet! Ferner ist eine dritte Gruppe von Fällen hier zu nennen: es sind das die Begriffe, die von anderen Begriffen abgeleitet sind. Vom Begriff Eins kann ich die weiteren Begriffe Einheit, einheitlich, Einheitlichkeit, einheitlichkeitbringend und veruneinigend ableiten. Es setzt mit solchen in das Zahllose vermehrbaren Fällen eine Riesenarbeit für den Psychologen ein, bei der die Frage der "Erscheinung" das Nebensächlichste ist! Das sind alles Bewußtheiten, gedankliche Prozesse. Es wird uns damit klar, daß das ganze unendlich verwickelte Getriebe syntaktischer Fügungen und Ordnungen begrifflicher Natur ist, also ein Gebiet, auf dem alle Hirnmechanik und alle Sinnespsychologie völlig versagt - und das Psychologie im engsten Sinne des Wortes ist! Schließlich ist das ganze Gebiet unserer Phantasietätigkeit hier zu nennen. Weil die Erscheinungen hier etwas deutlicher in den Vordergrund treten, hat man gemeint, auf sie den ganzen Mechanismus zurückführen zu können. Das wird sich wohl als irrig erweisen: Bildung von Wahnideen, Irrtümer, wissenschaftliche Forschung, religiöse Ideale werden sich vorwiegend von Begriffen aus verstehen lassen, nicht von Erscheinungen. Selbst die künstlerische Konzeption scheint sich als "abstrakte" Tätigkeit, d. h. als Mechanismus von Bewußtheiten oder Begriffen, zu erweisen. Die "Anschaulichkeit" ist hier nur eine Begleiterscheinung; das Wesentliche ist der tiefe, große Zwang der Zusammenordnung, die immanente Notwendigkeit der Gedanken, der Begriffe. Wenn wir sie erfassen, erleben wir Offenbarungen. Am stärksten ist darin vielleicht die Musik, die unanschaulichste und abstrakteste der Künste! Vermutungen über das Wesen der Begriffe Wenn die bisherigen Ausführungen mit ihrer Klassifikation der Gedanken im engeren Sinn in Gegenstands- und Merkmalsbegriffe und deren Komplexionen vielleicht annehmbar erscheinen, weil sie dem üblichen Denken des Psychologen und Logikers nahe stehen, so glaube ich, bei den folgenden Behauptungen, zumal von physiologischer Seite, mich auf heftigen Widerspruch gefaßt machen zu müssen. Ich bitte darum, meine eigene Stellung zu diesen Gedanken so zu betrachten, daß ich die Untersuchungen für Sondierungen und Diskussionen von Möglichkeiten halte. Ich bin rein psychologisch vorgegangen und habe kausal zzu erklären versucht. Diese Erfahrungen müssen sich mit den physiologischen und pathologischen Tatsachen in Einklang bringen lassen. Vorläufig ist das nicht möglich - außer man nimmt ein Unbewußtes mit eigener Gesetzmäßigkeit an; in ihm gilt Kausalität, aber nicht das Gravitations-, das Kohäsionsgesetz und andere Daten des Physikers, sondern eine psychologische, z. B. die ganz eigenartigen der Abstraktion. Bei dieser "metaphysischen" Theorie wende ich mich gegen eine andere "metaphysische" Theorie (denn beide finden das, was sie zur Erklärung heranziehen, ihre Erfahrungszusammenhänge, nicht vor) - und zwar gegen die Assoziationspsychologie, die glaubt, mit Gedächtnisspuren und deren Assoziationen auszukommen. Ich meine, Assoziationen erklären nur zeitliche Ordnungen und zwar nur den Eintritt von Bewußtseinsinhalten, aber das, was Begriffe bedeuten, wie sie sich zusammenordnen im Urteil, und wie ihre Zusammenordnung als denknotwendig erscheint, das vermögen sie nicht zu sagen. Es sei mir erlaubt, nur den Anfang der hier einschlägigen Fragen zu diskutieren. bei ihrer Entstehung maßgebenden Erlebnisse. Zum Verständnis einer Zahl kommen wir zweifellos am besten durch die Einübung von Zählakten in möglichst anschaulicher Form. Deshalb legen wir dem Kind Äpfel oder Steine vor, bauen ihm eine Rechenmaschine und machen ihm daran klar, was 1, 2, 3 und 4 ist usw. Wenn wir nun den Zahlbegriff, wie wir ihn als Erwachsene haben, analysieren, so finden wir nichts von solchen Erlebnissen vor. Es wird uns ohne sehr schwierige logische Erwägungen sogar zur Unmöglichkeit zu sagen, worin der Zahlbegriff, der aufgrund jener Erlebnisse entstanden ist, besteht. Man frage Studenten im ersten Semester ihres logischen Seminars danach, was eine Zahl ist. Soweit nicht zufällig bestimmte (meist auswendig gelernte) Definitionen reproduziert werden, ist große Unklarheit und Unsicherheit vorhanden; und doch können diese Leute sehr gut mit Zahlen rechnen und in Zahlen denken. Jedenfalls geben sie nicht die Erlebnisse an, die sie selbst einst in der Volksschule und später bei der Erwerbung ihrer Zahlbegriffe gehabt haben. Weiterhin kommt in Betracht, daß die Erinnerungsspuren von unserer Kinderzeit so schwach sind, daß wir sie kaum mehr reproduzieren und nur zum geringsten Teil wiedererkennen. Wenn wir ein Schulklassenbild aus jener Zeit sehen, so erkennen wir manchen unserer Mitschüler nur mit Mühe wieder. Soll man nun glauben, den Zahlbegriff denken heißt jene Wahrnehmungen wiederdenken? (Denken in dem Sinn, wie wir eine eben gesehene leuchtende Wolke denken, ohne sie vorzustellen.) Die Wahrnehmungen, an denen wir die Zahlbegriffe einst gelernt haben, von denen wir viel weniger wissen als von den viel konstanteren und anschaulicheren und häufigeren Wahrnehmungen, in denen unsere Mitschüler uns gegeben waren - sie sollen den Sinn der Zahl ausmachen? Unsere unmittelbare und mittelbare Selbstbeobachtung bestreitet das unbedingt. Diejenigen Handlungen und Zusammenhänge, die bei der Aufgabe, die Zahl zu definieren, von der VP angegeben werden, in der Absicht, die Bedeutung zu entwickeln, sind dem einst auswendig Gelernten wohl ähnlich, aber nicht gleich. Es sind fingierte Erlebnisse und Handlungen, die ich ausführen könnte, um einem Menschen, die die Zahl nicht kennt, klar zu machen, was er nicht weiß. Die Zahl selbst, das was den Zusammenhang zwischen den Sätzen bedeutet, ist nicht gegeben. Die Zahl könnte vielleicht auch aus den Spuren der Erlebnisse bestehen, die wir bei ihrem häufigen Gebrauch hatten. Sicher wird ja die Verwendung der Zahlen leichter und klarer, je mehr wir uns üben; aber gerade diese Erlebnisse sind noch flüchtiger, denn Erinnerungen in gewohnter Tätigkeit pflegen auffallend schnell zu verwehen. - Weiter spricht gegen die Möglichkeit, daß das Denken von Zahlen und von allgemeinen Begriffen überhaupt nichts als die Reproduktion der Erlebnisse ist, die zu ihrer Bildung führten - der Umstand, daß selbst, wenn solche fundierende Erlebnisse gedacht würden, wir nicht erklären könnten, wie eine Begriffsklarheit zustande kommen sollte. Denn die gleichen Erlebnisse können wir zur Bildung verschiedener Begriffe (Gedanken und Vermutungen) verwerten. So können wir z. B. vom gleichen Erlebnis einen Individual-, Art- und Eigenschaftsbegriff ableiten. Am Beispiel der Zitrone ist das weiter oben angedeutet worden, ebenso können wir z. B. aufgrund eines Lustgefühls die Begriffe schön, Schönheit, diese schöne Einzelgelegenheit, schönes Erlebns usw. bilden. Wenn wir, um einen Begriff zu denken, die fundierenden Erlebnisse zu denken hätten, so würden wir aufgrund des assoziativen Zusammenhangs der Gedächtnisspuren der Erscheinung viele andere Begriffe mitdenken müssen, weil sich ja auf die gleichen Erscheinungen andere Begriffe reduzieren lassen müßten. Die Entstehung einer Begriffsschärfe und Begriffsklarheit aus assoziativen Mechanismen scheint mir somit unmöglich. Gehen wir nun von der Zahl zu den abstraktesten Begriffen, die wir besitzen, weiter. Sie sind uns in den Konjunktionen gegegben, die wir fast in jedem Augenblick gebrauchen. Die Begriffe und, aber, denn, von, weil, wenn, trotzdem usw. wenden wir mit unglaublicher Geschwindigkeit und Sicherheit an, ihre Definition hingegen setzt ungemeine Schwierigkeiten in den Weg. Psychologisch ist es, daß wir eben die Zahl, die Begriffe "denken"; aber selten nur machen wir von den Definitionen und den Erscheinungen, die wir zu ihrer Bildung nötig hatten, Gebrauch. Es wäre eine absolute Verschiebung des Problems aus der Beschreinung in die Genese, wenn wir die Fragen: was denken wir uns, wenn wir einen Begriff denken? und: wie sind wir zu einem Begriff gekommen? identifizieren würden. Ein besonderer Fall von allgemeinen Begriffen sind die Artbegriffe. Wir sprechen von den Begriffen des Hundes, des Menschen usw. Von vornherein können wir in Analogie zum eben Dargestellten sagen, daß die Artbegriffe nicht dasselbe sind, wie die Einzelerscheinungen, an denen wir sie haben bilden lernen. Im Besonderen aber berechtigt uns der Umstand dazu, daß wir keine Erscheinung bilden können, die alle Merkmale des Begriffes erschöpfend zeigt. Wir können "dem Hund" keine alle Hunden gemeinsame Größe oder Schwere, keine allen Hunden gemeinsame Größe oder Schwere, keine allen Hunden gemeinsame Kopfform, Hautfarbe, Darmlänge und Knochenbildung geben. Alle noch so typische Formung bleibt individuell oder nur auf ganz wenige Fälle adäquat anwendbar; sie erreicht höchstens eine Durchschnittsform, in der das Ähnlichkeitsmaß zu allen Einzelformen möglichst groß ist. Allen gleich sein kann sie nie. Die Begriff ist aber nur dehnbar und fehlerlos anwendbar, er hat seine Allgemeinheit, die nicht bloß Ähnlichkeit ist: im Herausheben des Gemeinsamen liegt seine absolut einzigartige Funktion, die in der Erscheinung nie möglich ist. Er ermöglicht, daß wir uns etwas denken können, ohne daß es anschaulich vorstellbar ist, eben das Allgemeine. Am bekanntesten hierfür sind die üblichen Beispiele des Tausendecks, der Gerechtigkeit, √-x. Diese Gründe scheinen mir zwingend zu sein, für die allgemeinen Begriffe besondere Faktoren des seelischen Lebens anzunehmen. Eben die Gedanken, die sich bilden aufgrund von Erscheinungen, und die sich in ihnen symptomatisieren, die aber nie mit ihnen identisch sind. Eine ganz besondere Gruppe von Begriffen dürften die negativen Faktoren sein. Wir können das Fehlen von Erscheinungen feststellen. Die Pause oder leere Zeit wird in diesem Sinne am Schlußabschnitt meiner Arbeit: "Beiträge zur Analyse des Zeitbewußtseins" eigehender behandelt werden. Ebenso ist es mit dem Begriff der Lücke, des Loches, des Abstandes, des Nichts. Sie sind positive gedankliche Faktoren, insofern sie in unserem Lebenszusammenhang wirksam sind; negativ insofern sie das Fehlen von Erscheinungen begreifen oder meinen; konkrete Begriffe, insofern sie den für die Wahrnehmungen eigentümlichen Substantialitätscharakter besitzen:: die Pause ist ebensogut ein wahrgenommenes Etwas wie der wahrgenommene Gegenstand. Sie dauert, wirkt, bestimmt uns usw. und Individualscheinsubstanzen teilweise Begriffsbildungen sind. Zunächst ist leicht festzustellen, daß diese Gebilde nicht dasselbe sind wie die reproduzierte historische oder ontogenetische Reihenfolge der Erscheinungen, in denen uns der individuelle Gegenstand bekannt geworden ist. Wir kommen in eine neue Stadt, durchschreiten sie nach allen Richtungen und kreuzen an einigen Punkten bekannte Straßen. Bald wissen wir nichts mehr von der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] der Erscheinung; je besser der Gesamtkomplex bekannt ist, umso mehr tritt die ontogenetische Reihenfolge der wahrgenommenen Erscheinungen zurück, umsomehr ordnet sich das Gebilde ganz von selbst in ein assoziatives Ganzes, das schließlich wie eine Landkarte vor uns zu liegen scheint. Dieser psychologische Prozeß ist bisher nicht oder wenig untersucht worden. Es ist aber auf ihn als ein höchst wunderbares, offenliegendes Problem aufmerksam zu machen; denn z. B. die Zusammenordnung unserer Wahrnehmungen des menschlichen Körpers, unserer Wohnung, ja unseres Weltganzen zum heliozentrischen Standpunkt ist nur durch ihn möglich gewesen. Ist nun eine Stadt für uns nichts als eine eigenartige assoziative Zusammenordnung von Erscheinungen und Reproduktionstendenzen? - Vor allem ist von vornherein der gegnerischen Ansicht zuzugeben, daß nicht selten der Nachweis von einem Plus gegenüber den Komponenten des Individuums, so weit es uns repräsentiert ist, schwer sein wird. Der Sprachgebrauch sagt, ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht, keinen Begriff zurechtgelegt. Es wird besonders bei gelegentlichen und flüchtigen und seltenen Beobachtungen über eine individuelle Größe für die Analyse nicht viel mehr als ein unvollkommen reproduzierbarer Erscheinungszusammenhang und dies vielleicht nur in der ursprünglichen Form einer Sukzession nachweisbar sein. Aber für viele Fälle müssen wir doch echte Begriffe annehmen, denn sonst würden sich die erkenntnistheoretisch haltbaren Prädikationen nicht über die Dauer und Identität eines individuellen Gegenstandes, sofern er zu zwei verschiedenen Zeiten erblickt ist, erklären lassen Wir sind im allgemeinen im Urteil über die Gleichheit und Verschiedenheit von Erscheinungen äußerst empfindlich; es wäre deshalb eigentümlich, wenn wir beim Wiedererkennen (also einem dem Vergleich von Erscheinungen sehr nahestehenden Prozeß) bei oft stark voneinander verschiedenen Erscheinungen einer Gleichheit von Gegenständen sprechen, noch dazu von numerischer Gleichheit. Ebenso wären die Aussagen über die Dauer unverständlich; die Erscheinung hat nur kurze Zeit gewährt, während der Gegenstand (in unserer Terminologie die Scheinsubstanz) lange Zeit da war. Daß das ein Urteil langer Dauer nicht auf Wirkungen der Gedächtnisspuren von Erscheinungen zurückzuführen ist, scheint mir eines besonderen Beweises nicht zu bedürfen. Diese Prädikationsprozesse wären bei der sonstigen Feinheit dieser Mechanismen, wie sie das Sprachgefühl beweist, ganz unverständlich, wenn mit den einzelnen Erscheinungen und mit ihrem so unscharf abgegrenzten assoziativen Zusammenhang alles gegeben wäre. das Gleichheits-, bzw. Identitätsurteil scheint sich mir nur aus der Annahme von Scheinsubstanzen zu erklären. Weiterhin dürfte auch hier der Gedanke anwendbar sein, daß sich angesichts derselben Erscheinung die verschiedensten Begriffe unterscheiden lassen: Individualbegriff, Artbegriff und Eigenschaftsbegriff. Begriffsklarheit und Begriffsschärfe einfach mit Hilfe der Reproduktion früher erlebter Erscheinungen zu erklären, will mir unmöglich erscheinen. - Allein die Frage der Abstraktion (im Sinne der Begriffsbildung) darf nicht in dieser Arbeit behandelt werden. Zweifellos sind wir hier weit in den Bereich der Vermutung gekommen; allein - nicht viel weniger als in der Naturwissenschaft, soweit es sich bei ihr um die Annahme von Konstanten handelt: wir können in der Psychologie so gut wie gar nicht mit Quantitäten rechnen, wir brauchen ein Urteil über Qualitäten - und diese sind in der Naturwissenschaft nicht weniger wichtig. Will man sie überblicken, so sieht man nicht, warum man alle die mathematischen Berechnungen macht: nur um die Zusammenhänge zwischen den Konstanten als möglichst zwingend darzustellen. Alle Konstanten aber in Quantitäten auflösen zu wollen - ist mehr als ein Ideal, ist Wahn, eitler, schöner Wahn! Wir kommen so zu spezifisch psychologischen Mechanismen, die sich gleichfalls zu einer großen Automatie entwickeln können. So stellt sich auch der Wahrnehmungsprozeß teilweise als ein hoch komplizierter Vorgang dar. Ein Beispiel anzuführen, sei mir erlaubt. Wenn man im Juni in Norditalien in einer warmen Sommernacht das herrliche Schauspiel des Leuchtens zahlloser Glühwürmchen genießt, ergibt sich leicht die Täuschung eines ungemein raschen Schwirrens und Fliegens dieser Würmchen. Jetzt leuchtet es hier, jetzt da auf und im nächsten Moment schon wieder an einer anderen Stelle. Es bleiben gewissermaßen die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Punkten, an denen das "fliegende Objekt" gegeben war, unsichtbar. Zu seiner Verwunderung stellt man ein sehr langsames Fliegen der Tiere fest. Die Täuschung erklärt sich dadurch, daß man das momentane Aufleuchten vieler Tiere nacheinander bemerkt, aber es unvermerkt als das Leuchten desselben Tieres deutet. (In Deutschland ist dies nur ganz ausnahmsweise zu beobachten, weil unsere Glühwürmchen meist anhaltend, zumindest für eine halbe oder mehrere Minuten leuchten. Ähnliches kann man auch beim Meerleuchten sehen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß man dies fast regelmäßig nachts an der Abflußstelle des Kondenswassesrs der Dampfmaschine, wenn auch in schwachem Maß, beobachten kann.) Am hart funkelnden winterlichen Sternenhimmel fehlt diese Täuschung, weil man weiß, daß Sterne sich nicht bewegen, aber Ansätze zu dieser Täuschung können sehr wohl vorkommen. Die Täuschung ist - psychologisch gesprochen - dadurch bedingt, daß mehrere sukzessive Lichterscheinungen unberechtigterweise der gleichen Scheinsubstanz zugeordnet werden -, und daß sich daraus der Eindruck schnellster Bewegung derselben Scheinsubstanz ergibt (d. h. eine Relation und ein Merkmalsbegriff gebildet wird!). Wie sich hier ein Wahrnehmungsphänomen nur durch einen unbemerkt ablaufenden begriffliichen Prozeß erklärt, so werden sich auch vielleicht die Prozesse einer syntaktischen Fügung als vielfach hochkomplizierte, aber völlig automatisierte begriffliche Vorgänge erweisen. Es ist hier vom Studium pathologischer Sprachstörungen manches zu erwarten - vielleicht auf eine wesentliche Korrektur dieser Hypothesen: hier ist vielleicht zum ersten oder höchstens zweiten Mal (ich denke nur noch an die Fragen der "Psychophysik") Gelegenheit zu einem in Einzelfragen berechtigterweise eingreifenden Kampf zwischen den Wissenschaften von "Leib und Seele" gegeben. - Schlußbemerkungen § 32. Erkenntnistheoretische Abgrenzung von Gedanken und Gedachtem. Wir hatten dargestellt, daß der Naive Dinge wahrzunehmen und vorzustellen und in Dingen zu denken meint! Demgegenüber galt mit unbedingter Härte und Konsequenz die Lehre von der Abgeschlossenheit des subjektiven Erlebens, von der Abgeschlossenheit unseres Wahrnehmens, Denkens, Fühlens oder Wollens. Nur durch Sinnesreize können die Dinge uns beeinflussen, nur durch somatische Impulse können wir (motorische, sekretorisch und nutritorisch) auf die Dinge wirken. Sonst ist die uns unmittelbar gegebene Welt ein Getriebe von Bewußtheiten und Erscheinungen. Daß uns die Welt als wirklich, unser Denken als wahr, das Gegebene schöne, und der Wille gut erscheint, ist eine Wirkung individuell gegebener Bedingungen. Wäre da nicht die Konsequenz zu fragen: ist alles Gegebene Bewußtheit, gibt es nichts als Bewußtheiten? Man antwortet: die Annahme der Außenwelt ist nichts als eine Arbeitshypothese von großer Bequemlichkeit. Mir scheint sie mehr zu sein: die Lösung eines Widerspruchs! - Ich sagte, wir ordnen der Scheinsubstanz Eigenschaften zu. Die Form, in der wir das aussprechen, ist gewöhnlich die Urteilsform: das Ding-ansich ist ausgedehnt. Dies klingt so, als enthielte das Wort "ist" eine Identitäts- oder Inhärenzrelation. Daraus würde folgen: die Scheinsubstanz (der seiner Natur nach begriffliche, der Funktion nach dem Gedankengang zugrunde liegende Repräsentant) selbst ist ausgedehnt. Daran ist natürlich nicht zu denken. Scheinsubstanz und Ding-ansich sind nicht identisch, sondern sie werden irrtümlich in der Benennung als identisch gesetzt. Dieser Irrtum ist so wichtig, weil wir nicht umhin können, so zu sprechen, wie wenn es so wäre - wenn wir überhaupt urteilen wollen. Hier reicht unsere Sprache nicht aus. Wie ziehen wir uns aber als Erkenntnistheoretiker nun aus der Schlinge? Gegenstands- und Merkmalsbegriff hatten sich von Erscheinungen bestimmter Art aus entwickelt. - Hierauf wurden sie zusammengeordnet. - Der Naive nun untersucht diesen Mechanismus nicht, sondern unterliegt ihm; ihm ist ja - infolge einer Täuschung - die Verschiedenheit von Ding-ansich und begrifflichem Repräsentanten noch nicht aufgegangen. Für ihn scheint die Zusammenordnung zu stimmen und richtig zu sein. Anders der Psychologe und Erkenntnistheoretiker. Er bildet von anderen Erscheinungen und anderen Gesichtspunkten aus weitere Eigenschaftsbegriffe und will sie gleichfalls einer Scheinsubstanz zuordnen. Jetzt ergibt sich natürlich ein zwingender Widerspruch: zum gedanklichen Produkt "Scheinsubstanz Zitrone" soll er zuordnen: einmal physikalische und biologische Eigenschaften, dann aber auch psychologische. Das geht nicht! - Diesen Widerspruch kann er nur dadurch lösen, daß er einen neuen Gegenstand annimmt. Und zwar muß derselbe so geartet sein, daß auf ihn sinnvoll die Eigenschaften des Physiker und Biologen angewendet werden können, während der zuerst gefundenen Scheinsubstanz die Prädikation gedanklicher Entstehung, die der Psychologe gefunden hat, zukommt! Allein diese Notwendigkeit erweist sich bald als unmöglich, als unerfüllbar; denn wir sind Menschen, und was wir da zur Lösung des Widerspruchs einsetzen, kann stets nur ein gedankliches Gebilde sein: wir kommen zu einem unendlichen Regreß! Dies wollen wir nun mit dem Ausdruck MEINEN bezeichnen! oder mit der Scheidung von Gedanken und Gedachtem. "Meinen" hat eine mehrfache Bedeutung. Ich blicke zusammen mit einem Bekannten auf die Straße: "Siehst Du diesen Mann mit der Brille?" "Welchen meinst Du?" - Hier ist der Sinn des Wortes "meinen": Ich weiß nicht, auf welchen ich achten soll, es fehlt meiner Aufmerksamkeit die bestimmte Richtung, weil der Gegenstand derselben nicht genügend bestimmt ist. - Ähnlich ist es, wenn wir von mehreren Möglichkeiten, also rein gedanklichen Faktoren sprechen Ich meine die zweite, nicht die erste! Wenn auch aus einer gemeinsamen Wurzel entspringend, so doch recht verschieden hiervon ist die Bedeutung des Meinens, die wir beim Ding-ansich vorfinden. Wir meinen es, weil wir es selbst nicht erfassen können. Es liegt in der Unfähigkeit unserer Seele, Faktoren außerhalb derselben zu erfassen. Sie kann wohl auf dem Weg der Sinneswahrnehmung von ihnen affiziert werden, sie kann ferner auf sie mit Hilfe der motorischen und sekretorischen Funktionen unseres Körpers wirken. Ja, diese selbst können von ihr beeinflußt werden. Aber in sich aufnehmen, sie unmittelbar beachten und zum Gegenstand machen, zu ihnen in eine unmittelbare Beziehung treten, kann sie nicht. "Meinen" heißt somit Verschiedenes. Wir wollen es nur für den Fall der Wahrnehmung eines Dinges ansich durchführen!
2) Beim Erkenntnistheoretiker ist es
b) dem psychologischen Mechanismus nach die denkende Beschäftigung mit und die Richtung auf eine Scheinsubstanz, bei der davon abstrahiert wird, daß diese nur ein Repräsentant ist. Meinen ist somit als psychologischer Prozeß die Funktion einer Bewußtheit (des Ichs), die in der Beziehung auf eine zweite Bewußtheit besteht (die Scheinsubstanz, Ding-ansich genannt, bei der von ihrem eigentlichen Wesen abgesehen, und deren eigentliche Funktion, über sich hinauszuweisen, etwas zu bedeuten, hervorgehoben wird). Dem Sinn nach aber ist es ein nie durch Menschen realisierbares Ideal: das Erfassen des Dings-ansich, nicht bloß des Hilfspunktes, bzw. der Scheinsubstanz, die zu einem Benennungsprozeß führt, in dem die Wortlaute "Ding ansich" dieser Scheinsubstanz, als ihr scheinbar vollberechtigt zukommend, zugeordnet werden, sondern des tatsächlichen Zielpunktes, ein Hinausgehen über sich selbst! - Meinen ist dasselbe wie Denken: Gedanke ist die Bewußtheit - Gedachtes ist dem Wesen nach gleichfalls eine Bewußtheit, der Bedeutung nach aber ein Unerfaßbares. - Es ist nicht möglich, diese Folgerung hinsichtlich des Meinens für alle Formen von Gegenstandsbegriffen hier durchzuführen. Das hieße die Gegenstandsfrage darstellen. Nur einige Fragen dürfen noch im Grundriß klargestellt werden. Wahrheit ist Widerspruchslosigkeit und Übereinstimmung mit dem Gegenstand. Was heißt das für uns? Widerspruchslosigkeit bezieht sich auf die Vorgänge der Begriffsentwicklung, die wir oben dargestellt haben. Eine Übereinstimmung mit dem Gegenstand aber kann nicht wirklich eine erwiesene Übereinstimmung mit einem außerhalb des seelischen Lebenszusammenhanges Liegenden sein. Das ist unmöglich. Wohl aber kann man den gefundenen Begriff des Gegenstandes mit dem Begriff des Gegenstandes zur Deckung bringen, den man bei einer erneuten Ableitung dieses Begriffs von den gemachten Erfahrungstatsachen findet. Ist diese Deckung sachlich bedingt, so ist der Begriff richtig gewesen - so ist unsere Auffassung wahr gewesen! Hiermit wird auch eine besondere Seite des Begriffs der Wahrheit verständlich, die man in der Anwendbarkeit der logischen Gesetze auf einen Gedankengang sieht! Der Unterschied, der uns nun hier beschäftigt, ist der zwischen psychologischen und logischen Gesetzen. Jene sind Naturgesetze, diese sind Sätze! Jene wirken psychokinetisch, diese nicht! Sie sind vielmehr abstrakte Sätze, die man im Verlauf der Erfahrung aus vielen Einzelerlebnissen abgeleitet hat, und zwar erscheinen sie wie ein Ideal! Aufgrund dieser Entstehung besitzen sie aber zwei Eigenschaften, die nur aus ihrer Natur allgemeiner begrifflicher Gebilde verständlich sind: sie besitzen die Überzeugungskraft der vielen Erfahrungen, aufgrund deren sie gebildet sind - und sie sind anwendbar auf viele Einzelfälle und verleihen ihnen damit eine große Kraft und Eindringlichkeit, indem sie auf sie die eigene Überzeugungskraft übertragen! Worauf diese Tatsachen letzten Endes beruhen, ob ein Parallelismus des Denkens und Seins wirklich vorliegt, führt zu weit über unsere Frage hinaus. Es genügte, diese Andeutungen zu geben, um die Richtungen zu kennzeichnen, in die meines Erachtens eine Psychologie des Denkens leiten muß! Anhangsweise muß noch einmal auf den Begriff der Wahrnehmung zurückgegriffen werden. Wahrnehmung war als das einheitliche Gebilde aus Sinnesinhalt und Scheinsubstanz (und eventuell einem oder mehreren Merkmalsbegriffen) dargestell. Jetzt wird es uns noch mehr verständlich, daß wir meinen, das Ding-ansich, den von uns unabhängigen Gegenstand wahrzunehmen. Und wenn der Naive meint, er beweist die Existenz des Dings-ansich, das er eben erblickt, dadurch, daß er es erfaßt oder daran stößt, so ist dieser psychologische Prozeß nichts als das Erzwingenwollen eines Identitätsurteils, das durch die tatsächlich numerisch gleiche "Scheinsubstanz" ermöglicht wird, die in die taktile Wahrnehmung so gut eingeht wie in die optische. Wenn ich nun versuche, die Ergebnisse der bisherigen Arbeit in einigen Punkten zusammenzufassen, so drängt es mich, folgende Punkte hervorzuheben:
2) die Einteilung der Bewußtheiten in einfache und zusammengesetzte: Gegenstands- und Merkmalsbegriffe, bzw. deren Komplexionen, besonders Urteil und seine Verwandten. 3) Als Grundelement des Denkens ist daher der Begriff dargestellt. Dessen Entstehung ist das Hauptproblem; es ist im Wort Abstraktion als Heraushebung des Gemeinsamen (und vielleicht auch des Besonderen) altbekannt. 4) Was es heißt, ich denke die Welt: - Reales und Ideales erscheint dem Naiven gleichwirklich - ist im Grundzug dargestellt. LITERATUR - Friedrich Emil Otto Schultze, Einige Hauptgesichtspunkte der Beschreibung in der Elementarpsychologie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 8, Leipzig 1906
25) vgl. § 12. 26) Vgl. hierzu die Arbeit über Wirkungsakzente, a. a. O., § 12, Seite 339-384. 7) OTTO LIEBMANN, Die Analysis der Wirklichkeit, 1876 28) Ein Beleg für diese Auffassung können wir in der Vorstellung der Stoiker von der Eigenschaft sehen: ZELLER sagt (in seinem Grundriß der Geschichte der griechischen Philosophie, Leipzig 1905, Seite 212), daß ihnen die Eigenschaften der Dinge in etwas Körperlichem, in Luftströmungen (pneumata) bestanden haben. 29) Wir fassen an dem gelben Farbfleck also einmal den Gegenstand der Zitrone, dann die Eigenschaft gelb und schließlich die substantivierte Eigenschaft Gelb auf! |