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GUSTAV STÖRRING
Zur Lehre von
den Allgemeinbegriffen


"Von allgemeinen Vorstellungen redet man zuletzt da, wo eine Vorstellung aufgrund ihrer Unbestimmtheit auf eine Reihe differenter Wahrnehmungsobjekte Anwendung findet, ohne selbst aus der Beziehung differenter Wahrnehmungen oder Vorstellungen hervorgegangen zu sein."

I.

Wenn wir über Begriffe und speziell über Allgemeinbegriffe handeln wollen, wird es zweckmäßig sein, dieselben zunächst den Allgemeinvorstellungen und Einzelbegriffen gegenüber abzugrenzen.

Man hat bekanntlich angenommen, daß aus einer Reihe ähnlicher Vorstellungen die Vorstellung des Gemeinsamen, ein schematisches Totalbild, durch assoziative Beziehungen zur Entwicklung komme. In diesen schematischen Totalbildern einer Reihe von ähnlichen Wahrnehmungen sollten zugleich die Begriffe für die betreffenden ähnlichen Wahrnehmungen gegeben sein, wobei man unter einem Begriff die Summe der gemeinsamen Merkmale zusammengehöriger Wahrnehmung verstand. Den betreffenden Autoren trug zugleich jeder Begriff den Charakter der Allgemeinheit, alle Begriffe sind Allgemeinbegriffe, da jeder Begriff eine ganze Reihe von Wahrnehmungen unter sich begreift. Hier sind dann also die Allgemeinvorstellungen identisch mit den Allgemeinbegriffen.

Die Polemik, welche BERKELEY gegen diese Theorie der Allgemeinvorstellungen gerichtet hat, besteht völlig zu Recht. Es gibt keine Vorstellung von einem Dreieck, "welches weder schiefwinklig noch rechtwinklig, welches weder gleichseitig noch ungleichseitig, noch gleichschenklig, sondern dies alles und doch zugleich nichts von dem ist". Derartige Allgemeinvorstellungen sind also Fiktionen, sie existieren im psychischen Leben nicht, sie sind intellektualistisch in den gegebenen Tatbestand hineingegeben. Wenn wir einen Begriff denken, so können wir dabei allerdings eine einzelne Vorstellung im Bewußtsein konstatieren, aber diese trägt nicht den postulierten allgemeinen Charakter, den Charakter eines schematischen Totalbildes. WUNDT sucht den Charakter solcher Vorstellungen auf folgende Weise zu bestimmen: "Sobald wir einen Begriff denken, steht zunächst das ihn bezeichnende Wort im Vordergrund unseres Bewußtseins; eine Vorstellung, die als Bild der unter dem Begriff enthaltenen Dinge gelten könnte, fehlt entweder ganz oder sie ist so dunkel, daß wir etwas bestimmtes über sie nicht auszusagen imstande sind. Aber ursprünglich muß dies notwendig anders gewesen sein, da, wie innig man sich auch die Verbindung zwischen Begriff und Wort denken mag, ein Anfang der Begriffsentwicklung gegeben sein mußte, bevor der bezeichnende Laut sich feststellte. Schon die zahlreichen Synonyma, die, wie die Geschichte der Sprache lehrt, in den Anfängen der Sprachentwicklung für jeden Begriff auftauchten und allmählich erst einem einzigen oder einigen wenigen Platz machten, weisen auf eine minder feste Verbindung zwischen Wort und Begriff hin, bei der zugleich das sprachliche Symbol im Verhältnis zur bezeichneten Vorstellung eine geringere Stärke besitzen mußt. Es gibt vielleicht nur einen einzigen Fall, wo sich unser Bewußtsein noch jetzt in dieser  einen  Beziehung in einem ähnlichen Zustand befinden kann, wie er  vor  der Sprache vorauszusetzen wäre: wenn wir uns nämlich an einen gegenständlichen Begriff erinnern, ohne uns auf das gehörige Wort zu besinnen. Beim Wort "Lokomotive" z. B. steht dieses im Blickpunkt des Bewußtseins und nebenbei befindet sich in den dunkleren Regionen desselben ein Bild des Gegenstandes. Wenn wir uns jedoch den Letzteren ins Gedächtnis rufen, ohne an das Wort zu denken, so steht jenes Bild in deutlicheren Umrissen vor uns. Aber nichts unterscheidet dieses auf den allgemeinen Erfahrungsbegriff bezogene Bild von irgendeiner anderen Erinnerungsvorstellung: weder bemerkt man eine besondere Unbestimmtheit der Umrisse, noch ein Zerfließen in eine Reihe einzelner Vorstellungen." (1)

Wir haben es hier also mit einer Einzelvorstellung zu tun; sie kann nur dadurch im entwickelten Bewußtsein direkter und unbestimmter als andere Einzelvorstellungen sein, weil sie von der Wortvorstellung beiseite gedrängt wird. Diese mehr oder minder bestimmte Einzelvorstellung ist es also, die intellektualistisch für eine Allgemeinvorstellung angesprochen wurde. Welche Rolle diese Einzelvorstellung beim Denken eines Begriffs in Wirklichkeit spielt, werden wir später genauer zu erörtern haben.

Vorher haben wir noch von allgemeiner Vorstellung in anderem Sinne zu sprechen und sie zu den Begriffen in Beziehung zu setzen. Man kann eine bestimmte Vorstellung insofern allgemein nennen, als sie für eine Reihe gleicher Vorstellungsobjekte Geltung hat. Von dieser Art der Allgemeinheit der Vorstellungen unterscheidet sich, wie man leicht sieht, die Allgemeinheit der Begriffe so, daß sie für  differente  Vorstellungen oder Vorstellungsobjekte gelten.

Von allgemeinen Vorstellungen redet man zuletzt da, wo eine Vorstellung aufgrund ihrer Unbestimmtheit auf eine Reihe differenter Wahrnehmungsobjekte Anwendung findet, ohne selbst aus der Beziehung differenter Wahrnehmungen oder Vorstellungen hervorgegangen zu sein. So tragen beim Kinde die von Einzelwahrnehmungen stammenden reproduzierten Vorstellungen einen sehr unbestimmten Charakter. Wird ein Wahrnehmungsobjekt benannt, so sehen wir aufgrund der Unbestimmtheit der entsprechenden reproduzierten Vorstellung in der Folge diese Benennung bei einer Reihe mehr oder minder differenter Wahrnehmungen auftreten. Die betreffende reproduzierte Vorstellung verschmilzt eben mit den Wahrnehmungen, die mit der ursprünglichen auch nur ganz entfernte Ähnlichkeit haben (natürlich nicht etwa aufgrund der  erkannten  Ähnlichkeit), und veranlaßt dadurch die Benennung wesentlich differenter Wahrnehmungen mit gleichem Namen. Man sieht diese Erscheinung auch bei Idioten auftreten und zwar sind da die Differenzen der gleichbenannten Wahrnehmungsobjekte um so größer, je niedriger die Idioten stehen.

Diesen beiden Arten von allgemeiner Vorstellung gegenüber charakterisiert sich der Allgemeinbegriff so, daß er auf differente Größen Anwendung findet, die zugleich als different aufgefaßt werden. Sodann trägt derselbe, besonders der zuletzt besprochenen Allgemeinvorstellung gegenüber, den Charakter der Konstanz. Die ersteren Bestimmungen betreffen die Allgemeinheit des Allgemeinbegriffs, die letztere betrifft den Begriffscharakter des Allgemeinbegriffs.

Wir möchten nun den  Einzelbegriff  gegenüber dem Allgemeinbegriff abgrenzen. Einen Einzelbegriff nennen wir jeden Vorstellungsinhalt und jede von uns gesetzte konkrete Beziehung, wenn dieselben als konstante Größen in unseren Denkprozessen behandelt werden. So stellen die Einzelbegriffe die letzten Elemente unseres Denkens dar.

II.

Wir hatten oben konstatiert, daß im Gedanken eines bestimmten Allgemeinbegriffs eine Einzelvorstellung eine gewisse Rolle spielt. Wir werden uns nun klar zu machen haben,  welche  Rolle die Einzelvorstellung beim Denken des Allgemeinbegriffs übernimmt.

Wir können zunächst kurz sagen: die Einzelvorstellung wird aufgefaßt als Stellvertreterin des Allgemeinbegriffs, d. h. wir verbinden mit der betreffenden Einzelvorstellung den Gedanken, daß sie nur stellvertretenden Wert hat, daß wir sie, durch eine andere Vorstellung einer mit ihr zusammengehörenden Reihe von Vorstellungen ersetzen können, ohne unseren logischen Gedankenverlauf zu modifizieren. (2) Es fragt sich nun, wie dieser Nebengedanke zustande kommt. In einer Kritik der WUNDTschen Logik äußert sich LIPPS (3) über die Bedingungen für die Entstehung dieses Gedankens folgendermaßen: "Dem Wahlakt, durch den die repräsentative Vorstellung ins Bewußtsein gehoben wird, ist das begleitende Bewußtsein wesentlich, daß eine andere Handlung statt der vollzogenen möglich gewesen wäre." Nun kann dieses begleitende Bewußtsein sicher auf keine andere Weise zustande kommen, als dadurch, daß neben der repräsentativen Vorstellung  A1,  wenn auch nur für einen Augenblick, eine beliebige andere Vorstellung  A2  oder  A3,  wirklich von mir vollzogen wird und ich mir zugleich bewußt bin, daß dieser Wechsel für das, worauf es mir ankommt, nichts verschlägt". So plausibel diese Entwicklung auch erscheinen mag, so glaube ich doch zeigen zu können, daß es nicht richtig ist, daß, wo jener Nebengedanke auftritt, auch die angegebene Erfahrung gemacht werden muß.

Nach WUNDT charakterisiert sich eine Vorstellung dadurch als eine repräsentative, daß sie sich mit einem  Begriffsgefühl  (4) verbindet. WUNDT sagt darüber: Es verbindet sich mit jeder solchen Vorstellung "das in der Regel nur in der Form eines Gefühls zum Ausdruck kommende Bewußtsein der bloß stellvertretenden Bedeutung. Dieses Begriffsgefühl läßt sich wohl darauf zurückführen, daß dunklere Vorstellungen, die sämlich die zur Vertretung des Begriffs geeigneten Eigenschaften besitzen, sich in der Form wechselnder Erinnerungsbilder zur Auffassung drängen".

Ich werde diese im Hintergrund des Bewußtseins stehenden Vorstellungen später noch genauer zu bestimmen suchen - ich glaube im Sinne von WUNDT, wenn er die betreffenden Bestimmungen auch nicht selbst macht - vor der Hand möchte ich die Frage nach der Auffassung des Begriffsgefühls von Seiten des betreffenden Individuums näher ins Auge fassen. Da meine ich nun, daß nicht unmittelbar durch dieses Begriffsgefühl sich die von ihm begleitete Vorstellung als repräsentativ charakterisieren kann, sondern daß das nur in mittelbarer Weise möglich ist; anders ausgedrückt, ich meine, nicht im Begriffsgefühl ist der Gedanke der Stellvertretung gegeben, sondern es kann sich nur der Gedanke des stellvertretenden Werts der Vorstellung mit dem Begriffsgefühl aufgrund einer Deutung des Begriffsgefühls verbinden.

Es würde also hier zwischen dem Begriffsgefühl und dem Bewußtsein der stellvertretenden Geltung eine ähnliche Beziehung bestehen, wie ich sie zwischen dem Wiedererkennungsurteil, (5) zwischen dem Erinnerungsgefühl und dem Erinnerungsurteil, (6) zwischen Identitäts- und Differenzgefühl und dem Identitäts- und Differenzurteil (7) nachzuweisen gesucht habe.

Für eine solche Deutung des Begriffsgefühls würde man nun wohl die Erfahrung in Anspruch zu nehmen haben, daß die im Hintergrund des Bewußtseins stehenden Vorstellungen für das, worauf es ankommt, ganz dasselbe leisten, wie die zuerst gedachte Vorstellung. Diese Erfahrung kann natürlich nur gemacht werden, wenn solche im Hintergrund des Bewußtseins stehende Vorstellungen in einzelnen Fällen aus dem Hintergrund des Bewußtseins hervortreten und die Stelle der ersteren Vorstellung einnehmen. So kann dann eine Deutung des Begriffsgefühls stattfinden und also die Idee des bloß stellvertretenden Werts einer Vorstellung auftreten, ohne daß, wie LIPPS meint, "neben der repräsentativen Vorstellung  A1,  wenn auch nur für einen Augenblick, eine beliebige Vorstellung  A2  oder  A3  wirklich von mir vollzogen wird", sodaß es mir dadurch bewußt wurde, daß dieser Wechsel für das, worauf es ankommt, nichts verschlägt.

 Was setzt nun aber die Erfahrung voraus,  daß für eine Vorstellung  A1  eine andere  A2  oder  A3  ohne Störung des Gedankengangs eingesetzt werden kann? Sie setzt voraus, daß die Vorstellung  A1  die Funktion einer repräsentativen Vorstellung eines Allgemeinbegriffs ausübt, bevor sie als repräsentative Vorstellung aufgefaßt wird. Zu dieser Funktion einer repräsentativen Vorstellung verhilft ihr also nicht der Gedanke des bloß stellvertretenden Werts. Wie sollte er das auch anfangen?

 Wie kommt denn nun aber die Vorstellung A1 zu dieser Funktion eines Allgemeinbegriffs?  so wollen wir der Kürze halber sagen. Ohne Zweifel durch ihre Beziehung zu  A1, A2, A3  usw. Man wird vielleicht zunächst sagen: Die Ähnlichkeit dieser Vorstellungen bedingt ein Hervortreten derjenigen Vorstellungsinhalt in der Gesamtvorstellung  A1,  welche gleiche oder ähnliche Merkmale enthalten. Mit dieser Auskunft würden wir aber nicht weit kommen. Es würden auf diese Weise sicherlich nicht bei Vorstellungen, die zu einem Gattungsbegriff gehören, die durch Urteilsprozesse aus den Vorstellungen heraushebbaren gleichen oder ähnlichen Merkmale herausgehoben werden.

Aber auch mit der Heraushebung der gleichen oder ähnlichen Vorstellungsinhalte wären wir noch nicht am Ziel.

Der Gedanke der Dreizahl der Seiten eines Dreiecks ist nicht im  Vorstellungsinhalt  der repräsentativen Dreiecksvorstellung gegeben, der Vorstellungsinhalt veranlaßt uns, die Dreiecksseiten als drei zu  denken;  allerdings vollziehen sich die hier vorausgesetzen Setzungen mit dem Bewußtsein, daß sie vom Vorstellungsinhalt abhängig, durch ihn determiniert sind. Das Identische in verschiedenen Dreiecken liegt als nach dieser Richtung hin in der  Identität der in die Vorstellungsinhalte hineingedachten Beziehungen. 

So haben wir das  urteilende Denken  in doppelter Weise für das Zustandekommen des gedachten Tatbestandes in Anspruch zu nehmen. Gehen wir auf diese Leistungen des urteilenden Denkens noch etwas näher ein. WUNDT hat hervorgehoben, daß bei Gewinnung der gleichen oder ähnlichen Merkmale zusammengehöriger Vorstellungen nicht etwa, wie man gewöhnlich glaubt, Gleichheitsurteile primär in Betracht kommen, sondern Urteile, welche verwandte komplexe Vorstellungsinhalte  A1, A2, A3  in ihre Bestandteile zerlegen, (8) also Urteile der Art:  A1  hat die Merkmale  M1, M2, M3, M4; A2  hat die Merkmale  M1, M2, M3, M4; A3  hat die Merkmale  M1, M2, M3, M4  usw. Dann würden erst sekundäre Gleichheits- oder Ähnlichkeitsurteile in Frage kommen, welche die  M1 M2 M3  in  A1  mit den  M1 M2 M3  in  A2  usw. gleich oder ähnlich setzen.

Hat das urteilende Denken verwandte Vorstellungskomplexe nun so bearbeitet, daß die gleichen oder ähnlichen Vorstellungsinhalte und die gleichen Beziehungen herausgehoben, respektive hineingedacht sind, so wird etwa ein Vorstellungskomplex  A1  zur Funktion eines Allgemeinbegriffs auf diese Weise gelangen können, daß die im Hintergrund des Bewußtseins stehenden Vorstellungen  A2 A3 A4  usw. die gleichen oder ähnlichen Vorstellungsinhalte in  A1  und die gleichen in sie hineingedachten Beziehungsgedanken in  A1  hervorheben, so daß in Folge dieser assoziativen Beziehung zu den wie  A1  durch das Denken bearbeiteten Vorstellungskomplexen  A2 A3 A4  die Vorstellung  A1 als Allgemeinbegriff im Denken wirken  kann.

Es erwächst uns aber eine Schwierigkeit aus der Berücksichtigung einer Komplikation, die sich in den gegebenen Tatbeständen vorfindet. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß  A1  als repräsentative Vorstellung für verschiedene Allgemeinbegriffe funktionieren kann. Sie kann das eine Mal repräsentative Vorstellung für den niedrigsten Artbegriff sein, dem sie untergeordnet ist, das andere Mal für eine höhere Gattung. Ursprünglich mag sie etwa nur repräsentative Vorstellung für den niedrigsten Artbegriff sein. Später wird sie, nehme ich an, repräsentative Vorstellung für Allgemeinbegriffe von verschiedenen Graden der Allgemeinheit dadurch, daß die  Wortvorstellung  bestimmend wirkt auf die Reproduktion der im Hintergrund des Bewußtseins stehenden Vorstellungskomplexe; so variieren dieselben mit den Wortvorstellungen und von dieser Variation hängt dann wieder, wie man sieht, ein Wechsel in der Hervorhebung gleicher oder ähnlicher Teilvorstellungsinhalte und gleicher Beziehungsgedanken ab.

III.

 Die wissenschaftliche Bestimmung  des Allgemeinbegriffs setzt dann außer den oben erwähnten Inhärenz- und Gleichheits- respektive Ähnlichkeitsurteilen, deren Resultat sich in die Worte fassen läßt: die und die Merkmale ( M1 M2 M3 ) des komplexen Vorstellungsinhalts oder Vorstellungsobjekts  A1  finden sich auch bei einer ganzen Reihe anderer Vorstellungsinhalte, anderer Vorstellungsobjekte - noch Urteile negativer Natur voraus. Denn mit diesem zusammenfassenden Urteil ist noch nicht genug gesagt für die wissenschaftliche Fixierung eines Begriffs. Die obigen Bestimmungen verlangen eine Ergänzung in der Weise, daß wir sagen können: die und die Merkmale ( M1 M2 M3 ) des komplexen Vorstellungsinhaltes oder Vorstellungskomplexes A1 finden sich auch bei einer ganzen Reihe anderer Vorstellungsinhalte oder Vorstellungsobjekte  und  keine anderen.

Der in der letzten Bestimmung liegenden Forderung werden wir gerecht durch Urteile negativer Art: die und die Merkmale sind diesen Vorstellungsinhalten, diesen Vorstellungsobjekten nicht gemeinsam. Dadurch werden wir zu dem Urteil geführt: von den Eigenschaften  A1  sind nur  M1 M2 M3  ihm mit einer Reihe anderer Vorstellungsinhalte, anderer Vorstellungsobjekte gemeinsam. - Es ergibt sich also, daß eine ganze Reihe verschiedener Arten von Urteilen nötig ist, wenn wir einen Allgemeinbegriff bis zu Ende denken wollen.

IV.

Übrigens haben wir bis jetzt auch nicht von den einfachsen Allgemeinbegriffen gesprochen. Wenn wir versuchen wollen, uns Klarheit über die  verschiedenen Arten von Allgemeinbegriffen  zu verschaffen, wird es zweckmäßig sein, zu fragen, welche Elemente etwa überhaupt in unseren Urteilsprozessen vorkommen. Da werden wir sagen müssen, daß wir es bei unserem Denken mit Vorstellungsinhalten und Beziehungen zu tun haben: Vorstellungsinhalte werden aufeinander bezogen. Das Geltungsbewußtsein, welches sich mit unseren Denkakten verbindet, stellt selbst eine Beziehung dar. Diese Bestimmung scheint aber doch auch Beziehungen zwischen Vorstellungs objekten  (wobei wir unter Objekten die als unabhängig von unserer Wahrnehmung existierend gedachten Größen verstehen); so wenn wir z. B. eine Aussage über ein räumliche Beziehung von Objekten machen; oder wir setzen Beziehungen, welche  ein  Vorstellungsobjekt betreffen, so wenn wir eine Eigenschaft oder Tätigkeit von einem Ding aussagen. In Wirklichkeit haben wir es hier natürlich auch nur mit Vorstellungsinhalten zu tun. Die zwischen unseren Vorstellungsinhalten gesetzten Beziehungen werden als für die Objekte gültig aufgefaßt (mit welchem Recht das geschieht, danach hat man weiter als Erkenntnistheoretiker zu fragen). Wir haben es also zu tun mit Vorstellungsinhalten, respektive Vorstellungsobjekten und Beziehungen. Unsere  Allgemeinbegriffe  können also auch nur diese betreffen. Wir hätten dann  Allgemeinbegriffe von komplexen oder einfachen Vorstellungsinhalten oder Vorstellungsobjekten, von Allgemeinbegriffen von komplexen oder einfachen Beziehungen  zu unterscheiden. Bis jetzt sprachen wir von Allgemeinbegriffen von komplexen Vorstellungsinhalten oder Vorstellungsobjekten.

Die Allgemeinbegriffe, welche einfache Vorstellungsinhalte betreffen, sind Allgemeinbegriffe von einfachen Eigenschaften und Tätigkeiten. Sie setzen für ihre Entwicklung, wie man leicht sieht, nicht wie die oben besprochenen Allgemeinbegriffe, negative Urteile voraus, sondern nur Urteile, in denen diese Eigenschaften oder Tätigkeiten aus einzelnen Vorstellungsganzen herausgehoben werden und sodann entsprechende Ähnlichkeitsurteile.

Für die Entstehung der einfachen Beziehungsbegriffe sind dementsprechend vorauszusetzen: einmal Urteile, in denen die Beziehungen gleicher Art gesetzt werden und sodann Identitätsurteile, welche diese gesetzten Beziehungen betreffen. Hierhin gehören die einfachen räumlichen, die zeitlichen Beziehungen, die Eigenschafts- und Tätigkeitsbeziehung, die logische Abhängigkeitsbeziehung, die Vergleichungsbeziehungen: nämlich die Beziehung der partiellen und totalen Identität und die Beziehung der Ähnlichkeit (die Ähnlichkeit läßt sich nicht immer auf partielle Identität zurückführen, man denke an die Ähnlichkeit verschiedener Farben).

Von besonderem Interesse sind noch diejenigen Allgemeinbegriffe, welche solche komplexe Verhältnisgedanken betreffen, die eine Synthese von verschiedenen Arten von Beziehungen darstellen. Wir meinen die  abstrakten Allgemeinbegriffe.  WUNDT charakterisiert dieselben in folgender Weise. "Der Sprachgebrauch weist ... zunächst auf ein  äußeres  Merkmal der abstrakten Begriffe hin, das seinen Ausdruck im  Verhältnis des Begriffs zu seiner repräsentativen Vorstellung  findet. So lange die letztere nicht bloß im Wort, sondern außerdem noch in einer sinnlichen Anschauung bestehen kann, nennen wir den Begriff  konkret.  Sobald dagegen das gesprochene oder geschriebene Wort das einzige Zeichen für ihn bleibt, ist er abstrakt. Abstrakt sind also diejenigen Begriffe, denen eine  adäquate  stellvertretende Vorstellung nicht entspricht und für die daher in unserem Denken nur noch ein äußerliches und scheinbar willkürliches Zeichen gewählt wird." (9) Nach seinen  inneren  Eigenschaften wird der abstrakte Begriff folgendermaßen bestimmt: um die alte Ansicht über die logische Bildung abstrakter Begriffe zu berichtigen, "müssen wir davon ausgehen, daß jeder Begriff aus Elementen besteht, die selbst wieder Begriffe sind, welche zu ihm in den verschiedensten logischen Beziehungen stehen und wobei die Beziehungen ihren Ausdruck in einer Reihe von Urteilen finden können. Sobald wir nun aus gegebenen konkreten Begriffen  abstrakte  bilden wollen, lösen wir bestimmte unter jenen Beziehungen aus den Verbindungen, in denen sie sich befinden. An dieses analytische Verfahren schließt sich dann als zweite Stufe ein synthetisches an, welches darin besteht, daß verschiedene auf solche Weise isolierte Beziehungen miteinander verbunden werden. So werden wir z. B. annehmen dürfen, daß der Begriff des  Dings  zunächst hervorgegangen ist aus der Lostrennung des in zahlreichen Einzelbegriffen wiederkehrenden Elementes einer Verbindung von Sinneswahrnehmungen, die unserem Willen entzogen ist. Hierzu tritt das wiederum vielen Einzelbegriffen gemeinsame eines teils beharrenden, teils stetig veränderlichen Komplexes von Eigenschaften; und als dritte wird endlich der räumlich zeitliche Zusammenhang dieser Eigenschaften nicht fehlen dürfen. Durch letzteres tritt aber der Begriff des Dings zugleich in eine Beziehung zu unserem sich unmittelbar bei allem Wechsel als eine dauernde Einheit empfindenden Selbstbewußtsein. (10)

So haben wir es bei abstrakten Begriffen mit einer Synthese von allgemeinen Beziehungsbegriffen zu tun. Bei ihnen kommen Vorstellungsinhalte als Merkmale des Allgemeinbegriffs in Wegfall. Damit hängt aber die nähere Beziehung der in die Synthese eingehenden allgemeinen Beziehungsbegriffe zur Wortvorstellung zusammen. Die Beziehungen werden, wie wir sahen, zunächst in die betreffenden Vorstellungsinhalte hineingedacht, so daß der Gedanke der Beziehungen von diesen aus reproduziert wird. Verlieren aber die Vorstellungsinhalte ihre Bedeutung für den Allgemeinbegriff, so kommt diejenige assoziative Beziehung zur Geltung, in der sie zur Wortvorstellung, der akustischen, motorischen und visuellen Wortvorstellung, stehen. Dann werden von dieser aus die Beziehungsgedanken reproduziert.

V.

Zum Schluß möchte ich noch eine Auffassung kritisieren, die zu den vorstehend entwickelten Anschauungen im Gegensatz steht. Wir haben unter anderem versucht, anzugeben, welche Urteil wir zu vollziehen haben, um unsere Allgemeinbegriffe bis zu Ende zu denken. Nach VOLKELT ist es unmöglich, einen Allgemeinbegriff bis zu Ende zu denken, dazu wäre ein intuitiver Verstand nötig. Hören wir darüber VOLKELT: "Das Allgemeine ist und bleibt der direkte Gegenstand des Begriffs, doch muß zu ihm die  Beziehung auf die unbestimmte Totalität des Einzelnen  als notwendig hinzugedacht werden". (11) Welch eine Leistung des Denkens wäre aber hierzu nötig? "Erstlich müßten wir, indem wir das Allgemeine mit voller Bestimmtheit als eigentlichen Gegenstand dächten, unmittelbar zugleich die individuelle Gestaltung des Allgemeinen anschaulich vor uns haben; diese Anschauung wäre freilich nicht der Zielpunkt und Gegenstand des Denkens, wohl aber müßte im Gedanken des Allgemeinen die Beziehung auf sie implizit mitgedacht sein. Es wäre also ein Bewußtsein nötig, das, indem es das Allgemeine dächte, im selben ungeteilten Akt zugleich die dazu gehörige Anschauung vollzöge; als ein  intuitives Denken.  Doch damit wäre jene an die Spitze gestellte Forderung noch nicht erfüllt. Dieses intuitive Denken müßte nämlich ferner ein unendliches, absolutes, zeitloses sein ... Das Allgemeine soll zwar in seiner Einzelgestaltung mit vollkommener Deutlichkeit angeschaut werden; trotzdem aber soll diese vollkommen angeschaute Einzelheit nur die Einzelheit  überhaupt,  nur die unbestimmte Totalität der Einzelnen sein. Dies ließe sich nun von einem intuitiven Denken leisten, das die unendliche Totalität des Einzelnen, die zahllose Gesamtmenge der artbildenden und individualisierenden Merkmale mit einem Schlag übersähe. ... Soll der Gedanke des Allgemeinen kein Ungedanke sein, so muß der Nebengedanke hinzugedacht werden, daß das Allgemeine immer nur als ein dem Einzelnen Allgemeines, als ein im Einzelnen sich bald so, bald so Verwirklichendes existiere."

Ich möchte dagegen einwenden: wie sich das Allgemeine im Einzelnen verwirklicht, darauf kommt es mir beim Ausdenken des Allgemeinbegriffs nicht an! Weshalb soll ich denn die Totalität des Einzelnen  anzuschauen  mich versucht fühlen? Dazu liegt keine Indikation vor.

Der Begriff stellt aber noch weiter insofern eine unvollziehbare Forderung, als der Gedanke des Allgemeinen selbst (im Unterschied vom damit verbundenen "Nebengedanken") sich nicht ausdenken läßt. "Der als allgemein zu denkende Inhalt ist nicht als verwirklichter Gedanke, sondern als  Richtung  des Denkens und zwar als eine positiv bestimmte, in uns gegenwärtig". Was wir an die Einzelvorstellung knüpfen, sind die bestimmten  Zielpunkte,  auf die hin wir unser Denken zu richten haben. Will ich z. B. den Begriff des Kreises denken, so ist durch den Gedanken "derjenigen krummen Linie, deren sämtliche Punkte von einem gegebenen Punkt gleichweit entfernt sind" dem Denken sein Ziel in bestimmter Weise vorgeschrieben, sein Inhalt positiv hingestellt, ohne daß es jedoch imstande wäre, diesen Inhalt in sich zur vollen Gegenwart zubringen." (12)

Ich meine dazu: durch diese Bestimmung über den Kreis ist nicht die  Richtung  des  Denkens  für die Erfassung des Begriffs angegeben, sondern die  Richtung  für die Entwicklung der anschaulichen Vorstellung des Kreises. Für das Denken des Begriffs des Kreises, welches in Urteilen geschieht, ist nicht bloß die  Richtung  bestimmt, das Denken des Begriffs des Kreises ist gänzlich vollzogen.

So erkennen wir diese Schranken unseres Verstandes als bloß vermeintlich und befreien unser begriffliches Denken von einem mysteriösen Hintergrund.
LITERATUR - Gustav Störring, Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen, Philosophische Studien 20, 1902
    Anmerkungen
    1) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 45
    2) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 47
    3) THEODOR LIPPS, Philosophische Monatshefte, Bd. 17
    4) WUNDT, Physiologische Psychologie II, Seite 477; WUNDT, Menschen- und Tierseele, Seite 351f; WUNDT, Grundriss der Psychologie, Seite 323
    5) STÖRRING, Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung für die normale Psychologie, Seite 257f
    6) STÖRRING, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 119, Seite 99f
    7) STÖRRING, Die Erkenntnistheorie von Tetens, Seite 121
    8) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 106 und 107
    9) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 111 und 112
    10) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 112 und 123
    11) JOHANN VOLKELT, Erfahrung und Denken, Seite 344
    12) JOHANN VOLKELT, Erfahrung und Denken, Seite 355