p-4 ra-2Die FernkraftCarl DuprelJoseph Ennemoser    
 
CASPAR ISENKRAHE
Über die Fernkraft
und das durch Paul Dubois-Reymond
aufgestellte dritte Ignorabimus


"Paul Dubois-Reymond konkludiert so: Die Stoßtheorie ist genötigt, wenn sie etwas der Newtonschen Gravitation Äquivalentes hinstellen will, von vornherein mit  puren unendlichen Größen  zu rechnen und muß dieselben voneinander substrahieren. Das kann aber nie und nimmer zu einem  bestimmten  Resultat führen.  Die Kraft bleibt völlig unbestimmt;  also ist die Stoßtheorie als Ersatz der Attraktion unbrauchbar."

"Die nach einem Punkt hin konvergierenden Ätherteilchen, welche einen Körper durchdringen, der den Punkt anziehen soll, lassen im Körper Ätherteilchen zurück, deren Menge die Anziehung darstellt. Sie ist im Verhältnis zu der den Körper durchdringenden Äthermenge so klein, daß ihr Ausfall bei einem zweiten etwa zwischen dem angezogenen Punkt und dem anziehenden Körper befindlichen Zwischenkörper gar nicht mehr zu spüren ist. Nun ich meine, dies ist nur ein anderer Ausdruck für die Tatsache der Anziehung, der sie in Worte kleidet, die nur scheinbar eine Konstruktion enthalten, nur scheinbar eine Vorstellung erwecken, in Wahrheit aber ebenso dunkel sind."

1. In weiten Kreisen haben die während der letzten drei Jahre veröffentlichten Experimental-Untersuchungen von Prof. HERTZ Aufsehen erregt, weil sie neue, schwerwiegende Gründe beibringen für die Ansicht, daß die elekrtischen Erscheinungen auf einer Ursache beruhen, welche weder momentan noch unvermittelt, sondern mit meßbarer Geschwindigkeit und mit Benutzung von verschiedenen, in verschiedener Weise dienenden Medien ihre scheinbaren Fernwirkungen hervorbringen. In der Tat lassen die Beweise von der Periodizität dieser Wirkungen, von der Möglichkeit, ihre Ausbreitung durch Reflexion und Refraktion aus der geraden Linie wegzulenken, sie an gewissen Punkten zu sammeln, sie durch passende Vorrichtungen zu absorbieren usw. keine Luft mehr übrig für den Glauben an eine wirkliche  actio in distans  auf diesem Gebiet. Ist dem so, dann bleiben auf der Liste der physikalischen Fernkräfte nur noch zwei Nummern übrig, einerseits die in periodischem Wechsel ebenso heftig angegriffene, wie enthusiastisch gepriesene NEWTONsche Gravitation - von welcher wenigstens das  Gesetz  feststeht - andererseits die dunklen, vielgestaltigen Molekularkräfte, deren Gesamtheit keinem bisher bekannten Gesetz gehorcht.

Nun ist aber auch bezüglich der Gravitation vor kurzem, und zwar von Prof. PAUL DUBOIS-REYMOND, der Versuch gemacht worden, neues Licht auf die Sache zu werfen und das alte, spröde Problem dadurch in ein wesentlich neues Stadium zu bringen.

Zuerst in einer vor der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin im vorigen Jahr gehaltenen Rede, dann in einer Veröffentlichung der "Naturwissenschaftlichen Rundschau" (1), brachte Herr PAUL DUBOIS-REYMOND diesen Versuch öffentlich zur Kenntnis.

Wenn einen Anlaß nehme, denselben im Folgenden eingehender zu besprechen, so geschieht es, abgesehen von der dem Gegenstand ansich schon innewohnenden großen physikalischen und philosophischen Bedeutung, auch mit einem gewissen persönlichen Recht. Denn unter all den zahlreichen in letzter Zeit über die Gravitation erschienenen Schriften hat PAUL DUBOIS-REYMOND nur eine von den meinigen ausdrücklich zitiert, hat dabei freundlicherweise das "entschiedene Interesse", womit er dieselbe gelesen hat, erwähnt, aber auch die Bemerkung hinzugefügt, daß er mit manchem meiner "Urteils-" und mit meinen Hauptergebnissen" nicht übereinstimme.

Ich kann nicht hier schon darauf eingehen, die Gründe dieser Nichtübereinstimmung - insofern sie aus dem veröffentlichten Text zu entnehmen waren - nun auch meinerseits zu beleuchten, aber ich hoffe, in den folgenden Erörterungen hinlängliches Material zu bieten, um über die Grundlage der angefochtenen "Hauptergebnisse" und über die Beweiskraft der DUBOIS-REYMONDschen Schlüsse ein klares Urteil zu ermöglichen.

Diese letzteren in ihrer eigentlichen Bedeutung und Tragweite genau darzulegen, wird aber kaum angehen, ohne wenigstens eine kurze Übersicht über den Weg vorauszuschicken, welchen die Entwicklung der Gravitationsfrage bis dahin zurückgelegt hatte.

2. Als NEWTON in den Kreis der physikalischen und kosmischen Bewegungsursachen seine Gravitation einführte, schien der damit getane Schritt sehr vielen seiner Zeitgenossen eher ein Rück- als ein Fortschritt zu sein. Dies rührte am meisten von jener tiefen Verachtung her, mit welcher man namentlich seit DESCARTES auf die sogenannten  "natürlichen Eigenschaften"  der Körper herabzusehen sich gewöhnt hatte.

Wenn ehedem Erscheinungen, wie etwa daß der eine Körper steigt, der andere fällt, der dritte kreist, einfach als "natürlich" erklärt, und damit alle weiteren Forschungen kurzerhande abgewiesen wurden, so hatte man doch damals schon begriffen, daß durch ein solches Verfahren die ganze Mechanik zu ewiger Stagnation verurteilt sein würde.

Und es war ja auch so schöne, wie die Cartesianische Physik mit dem ganzen Wust jener "natürlichen Eigenschaften" aufgeräumt, nur zwei derselben, nämlich Ausdehnung und Trägheit, übrig gelassen hatte, und dennoch alle möglichen Kraftwirkungen auf die anschaulichste Art aus diesen beiden zu deduzieren wußte.

Da trat NEWTON auf und legte, wie es schien, der Materie wiederum eine "natürliche Eigenschaft" bei, welche die alten, glücklich über Bord geworfenen, an Wunderlichkeit, Unglaubwürdigkeit und Unanschaulichkeit womöglich noch übertraf. Die Sonne sollte ohne Vermittlung noch die Handhabe auf eine Entfernung von vielen Millionen Meilen die Erde an sich ziehen. Jedes noch so kleine Körperchen, lebend oder tot, sollte wie ein beseeltes Wesen zu jedem anderen hinstreben, und zwar beim Fehlen etwaiger Hindernisse  auch mit dem Erfolg einer tatsächlichen Annäherung! 

Diese Bewegungsursache erschien den Cartesianern als eine  qualitas occulta  von unverkennbar peripatetischem [aristotelischem - wp] Gepräge, und mit aller Entschiedenheit glaubten sie sich gegen diesen Rückfall in alte überwundene Irrtümer verwahren zu müssen. HUYGENS namentlich und einige Zeit später LEONARD EULER hoben dies scharf hervor, und letzterer stellte die Theorie NEWTONs allen Ernstes neben jene Erklärungsversuche der "alten Philosophen", wo sie z. B. sagten: das  Opium  besitze eine  qualitas occulta,  welche es fähig mache, den Schlaf zu erregen, und damit der Sache bis auf den letzten Grund gekommen zu sein glaubten.

Ich will mich nicht dabei aufhalten, über diesen Streit, bei welchem zur Zeit sogar nationale Eifersüchteleien ins Spiel kamen, ausführlicher zu reden, will auch die schwankende Haltung NEWTONs, auf die ich doch später noch einmal zurückkommen muß, hier übergehen und nur erwähnen, daß von jener Zeit an bis auf den heutigen Tag nicht die Versuche aufgehört haben, diese mit dem Namen der Fernkraft, Attraktion, Gravitation usw. bezeichnete  qualitas occulta  zu beseitigen, oder, wie PAUL DUBOIS-REYMOND sich ausdrückt, sie "mit Hilfe uns durchaus befriedigender oder doch uns vertrauterer Mechanismen zu konstruieren". Immer ging das Streben dahin, die  actio in distans  durch etwas zu ersetzen, was man  vis a tergo  [Kraft von hinten - wp] genannt hat. Dieses Letztere war dabei von sehr verschiedener Art; es trat als Zug oder Druck oder Stoß, als Rotationsbewegung oder als wellenförmige Bewegung fester, flüssiger oder luftförmiger Substanzen auf.

Das Gesamtresultat all dieser Bemühungen läßt sich auf folgende Weise sehr kurz und einfach darlegen:

Zwei Hauptgesetze sind es, deren Deduktion die Gravitationserklärer als ihre Aufgabe vor sich sehen: erstens das Gesetz, daß die gegenseitige Einwirkung zweier gravitierender Körper proportional ist dem reziproken [gegenseitigen - wp] Quadrat des Abstandes, zweitens das Gesetz, daß die Einwirkung unabhängig ist vom Vorhandensein und der Lage irgendwelcherh anderer Körper, selbst wenn diese letzteren sich genau zwischen den beiden ersteren befinden. Dieses zweite Gesetz kann auch in anderer Weise ausgesprochen werden, z. B. in der Form: die Gravitationswirkung ist proportional dem Massenprodukt, oder: alle Körper sind für die Gravitation vollkommen permeabel [durchlässig - wp], oder: die Materie ist vollkommen "diabar" usw.

Das erste Gesetz über den Einfluß der Entfernung hat die Gravitation mit anderen physikalischen Kräften gemein, das zweite Gesetz, soviel man weiß, mit keiner. Das erste Gesetz durch eine mechanische Konstruktion zu begründen ist sehr leicht und auf mancherlei Weise erreicht worden; das zweite Gesetz in seiner vollen Schärfe abzuleiten ist bisher noch niemandem gelungen. Es sind vielmehr in dieser Beziehung nur Annäherungen erzielt worden, über deren Wert man verschiedener Meinung sein kann.

3. So also lag die Frage, als PAUL DUBOIS-REYMOND sie aufgriff und, wie vorhin erwähnt, den Versuch machte, sie in ein wesentlich neues Stadium zu fördern. Er selbst äußert sich über die Bedeutung dieses Fortschritts folgendermaßen (2):
    "Bei dergleichen Grundproblemen, namentlich solchen, die, auf ihre letzten Elemente zurückgeführt, wirklich nicht zusammengesetzter (3) Natur sind, geht man schwerlich fehl, wenn man die Frage aufwirft, ob ihre  Ungelöstheit  nicht auf  Unlösbarkeit  beruhe. In der Mathematik z. B. gelang die Auflösung der Gleichungen sehr früh bis zum vierten Grad. Der fünfte Grad wollte sich keinem ... Mathematiker ... beugen, bis ABEL erkannte, daß der Grund davon im Unvermögen algebraischer Ausdrücke liegt, die Eigenschaften darzustellen, welche der Wurzel einer Gleichung fünften Grades im Allgemeinen zukommen mußten. So wurde die transzendente Natur des ... Problems der Quadratur des Kreises durch Herrn LINDEMANNs scharfsinnige Benutzung HERMITEscher Resultate gezeigt. So wurde die Verwirklichung ... des Traums eines  Perpetuum mobile  ... durch die allgemeinen Prinzipien DANIEL BERNOUILLIs ... als unmöglich erwiesen."
Einen solchen Unmöglichkeitsbeweis kündigt nun PAUL DUBOIS-REYMOND bezüglich der Konstruktion der Fernkraft an und vindiziert demselben eine hinreichende Kraft und Bündigkeit, um "zweifellos" ein neues "Ignorabimus" zu motivieren,  ein drittes,  wie er Seite 13 ausdrücklich sagt,  zu den berühmten beiden Ignorabimus in meines Bruders Grenzen des Naturerkennens". 

Niemand wird leugnen, daß ein solcher Beweis, wenn er stringent ist, für Physik und Philosophie eine Errungenschaft von großem Wert darstellen würde, und die Kenntnisnahme und Prüfung desselben erscheint daher als eine Sache von hohen wissenschaftlichem Interesse. -

Zur Orientierung schickt PAUL DUBOIS-REYMOND seinen Beweis eine allgemeine Charakteristik voraus, welche lautet (4): "Ein Beweis für die Unbegreiflichkeit der Fernkraft läßt sich nicht, wie der einer mathematischen Behauptung erbringen. Der Natur unserer Behauptung nach ist ein Beweis für sie nur kasuistisch zu führen, und zwar, wie es genannt wird,  per exclusionem,  d. h. man muß die Gedankenfolgen, durch die man vernünftigerweise zur mechanischen Konstruktion der Fernkraft zu gelangen versuchen oder auch nur hoffen könnte, ordnen und einer genauen Prüfung unterziehen. Wenn die Möglichkeit, auf diesen Wegen das Ziel zu erreichen, ausgeschlossen ist, so ist es überhaupt unerreichbar."

4. Als mechanische Hilfsmittel, durch welche man bis auf PAUL DUBOIS-REYMOND die Gravitation zu "konstruieren" versucht und gehofft hat, wurden vorhin schon genannt: Zug, Druck, Stoß, Rotations- und Wellenbewegung fester, flüssiger und luftförmiger Körper. Unter diesen will ich den  Stoß  zunächst ins Auge fassen, einerseits weil er mich, da ich an den diesbezüglichen Versuchen wesentlich mitschuldig bin (5), am nächsten angeht, andererseits, weil auch PAUL DUBOIS-REYMOND ihm unter allen bei weitem die meiste Beachtung schenkt. -

Gestützt auf die Tatsachen, erstens daß wir Sonne, Mond und Sterne  sehen,  zweitens daß die Lichterscheinungen bisher durch wellenförmige Bewegungen irgendeines Mediums am befriedigendsten haben erklärt werden können, macht die Optik bekanntlich die Annahme, daß im Weltraum ein Medium vorhanden sei. Von dieser Hypothese geht auch die zur Erklärung der Gravitation erfundene "Stoßtheorie" aus, fügt aber noch die besondere Annahme hinzu, das hierbei ins Spiel kommende Medium, der sogenannte Gravitations-Äther, sei ein Gas. (6)

Nach der herrschenden Ansicht über die Konstitution der Gase oder luftförmigen Körper besagt diese zweite Hypothese weiter nichts, als daß jener Äther aus kleinen Körperchen bestehe, die in außerordentlich großer Zahl und mit außerordentlich großer Geschwindigkeit nach allen möglichen Richtungen durch den Raum fliegen. Genauso hat man ja auch das, was schlechtweg eine  "ruhige  Luft" (7) heißt, nach KRÖNIG-CLAUSIUS-MAXWELL sich vorzustellen und tut es bekanntlich in der heutigen Physik durchweg. Demgemäß unterschiede sich der Äther von unserer Erdenluft - da der Stoff der betreffenden Projektile ganz außer Betracht bleibt - bloß durch deren Kleinheit, Häufigkeit und Geschwindigkeit.

Denken wir uns in einem allseitigen Hagel von Ätheratomen zwei große Körper einander gegenüberstehen, so können wir bei ihnen die abgewandten oder Außenseiten und die zugewandten oder Innenseiten unterscheiden. Ist es nun auf irgendeine Weise glaubhaft zu machen, daß der Stoßeffekt auf den Innenseiten geringer ist als auf den Außenseiten, so ergibt sich offenbar, daß die Körper dem letzteren nachgeben, als einander  näher kommen  müssen. Die Differenz der Stoßeffekte, oder, was dasselbe besagt, der Überdruck von außen stellt dann eine mechanische Ursache dar, deren Wirkung mit der Wirkung der NEWTONschen Attraktion gleichgerichtet sein würde. Die  actio in distans  wäre durch eine  vis a tergo  ersetzt. -

Nun sieht man leicht, worauf bei dieser Theorie alles ankommt.

Zunächst muß offenbar ein plausibler Grund vorgebracht werden,  warum  der Stoßeffekt auf den Innenseiten geringer ist, als auf den beiden Außenseiten. Der gegenseitige Schutz, die gegenseitige "Beschattung" muß mechanisch motiviert werden.

Dann aber ist ferner darzutun, daß die durch die Differenz der Stoßeffekte verursachte Pseudo-Attraktion den beiden früher erwähnten NEWTONschen Gesetzen gehorcht.

In der Tat sind diese drei Ziele auf mancherlei voneinander verschiedenen Wegen erstrebt worden (8), und wenn jemand die Unmöglichkeit einer Konstruktion durch die Stoßtheorie nachweisen will, so muß er dartun, daß mindestens eines derselben unerreichbar sei.

5. Bezüglich des ersten Punktes nun gibt PAUL DUBOIS-REYMOND zu, daß der Stoßeffekt auf den Innenseiten "notwendigerweise" geringer als auf den Außenseiten sein muß, wenn die Oberfläche der gravitierenden Körper unelastisch oder auch nur unvollkommen elastisch ist. (9) Legt man also die Gesetz des nicht vollkommen elastischen Stoßes zugrunde, so ist das erste Ziel sofort erreicht. Allein Herr PAUL DUBOIS-REYMOND wendet ein, daß man sich in diesem Fall  entweder  einen beständigen Verlust an lebendiger Kraft sich gefallen lassen müsse,  oder  voraussetzen, daß durch die Schwere "beständige molekulare Veränderungen in der Körpern vor sich gingen, die aber, trotzdem sie von der Erschaffung der Welt an bis jetzt dauerten, die Körper nicht zerstört hätten, auch an so alten Gebilden, wie Bergkristall und Diamant durch keine Spuren sich verrieten."

Was nun speziell das  "entweder"  angeht, so bemerkt PAUL DUBOIS-REYMOND bloß, diese Annahme "gehe dem Physiker wider den Mann."

Das ist für die Gegenwart zweifellos richtig, aber was ist damit bewiesen? - Wieviele Dinge sind im Entwicklungsgang physikalischer und kosmischer Erkenntnis dem Physiker nicht schon "wider den Mann gegangen", und er hat sie schließlich doch akzeptieren müssen! Ich brauche hier nur an die Leidenschaft zu erinnern, mit welcher in vergangener Zeit angekämpft wurde gegen das Stillstehen der Sonne, gegen die Antipoden, gegen die Lehre vom Schwersein der Luft, die da aussagte, daß unser Körper unaufhörlich mit einem Druck von mehr als dreizehn Pfund auf jeden Quadratzoll seiner Oberfläche belastet sei usw.

Und ging denn nicht, wie wir vorhin sahen, eben die fernwirkende Gravitation selber den alten Physiker sehr energisch "wider den Mann"? (10) Ein solcher Umstand  entscheidet  also noch nichts, weil er nicht beweist, daß die betreffende Zumutung auch  dem Manne wider die Vernunft geht.  Daher hat der intendierte Unmöglichkeitsbeweis an dieser Stelle noch keine baufähige Unterlage gewonnen hat.

Fassen wir jetzt das obige "oder" ins Auge, so sagt PAUL DUBOIS-REYMOND, man  müsse  in diesem Fall voraussetzen, daß durch die Schwere  "beständige"  molekulare Veränderungen in den Körpern vor sich gingen, von Erschaffung der Welt an bis jetzt "dauernde". Die hätten aber dann doch wohl die Körper "zerstören", oder wenigstens an "so alten Gebilden, wie Bergkristall und Diamant sich durch  Spuren  sich verraten müssen."

Ich will nicht fragen, ob denn etwa irgendwo noch ein intakter Urdiamant existiert, mit welchem die übrigen verglichen worden sind zwecks Konstatierung der Tatsache, daß sei Erschaffung der Diamanten bis heute keine "Spur" von Veränderung mit ihnen vorgegangen ist, aber ich möchte doch wohl wissen, warum wir denn  gezwungen  sein sollen zu der Annahme, daß die durch die Schwere absorbierte Energie gerade in molekulare Veränderungen umgewandelt werden, und besonders, warum die Veränderungen "beständige", "dauernde" sein müssen.

Bekanntlich gründen sich mehrere Gravitationstheorien auf die Annahme, daß beim Anprall der Ätheratome auf die Moleküle der gravitierende Körper ein Teil von der lebendigen Kraft der ersteren umgesetzt werde in andere Energieformen, sei es in Wärme, sei es in elektrische oder optische Schwingungen, sei es in irgendetwas Sonstigem.

Läßt man einen kleinen Kiesel auf einen großen Prellstein fallen, so geht sicherlich ein Teil lebendiger Kraft verloren. Daß die diese in Form von Wärme, Schall, ja auch wohl von Licht auftreten könne, wird jeder Physiker geneigt sein zu glauben. Ob aber auch "beständige" und "dauernde" molekulare Veränderungen dabei vor sich gehen, mag ihm eher fraglich erscheinen. Wenn nun PAUL DUBOIS-REYMOND die ersteren Verwandlungsarten ganz außer Betracht läßt und von der letzteren allein behauptet, wir müßten sie annehmen, so wäre hier die Beifügung von Gründen (11) doch sehr erwünscht gewesen.

Nun aber gibt es zu den beiden behandelten Alternativen: Verlust an lebendiger Kraft ohne Ersatz und Verlust an lebendiger Kraft mit Ersatz durch andere Energieformen auch noch eine dritte, welche den Fall voraussetzt, daß der Zusammenstoß ein vollkommen elastischer sei, daß also die Ätheratome durch ihren Anprall an den gravitierenden Massen von ihrer lebendigen Kraft gar nichts verlören.

Im elften Kapitel meines Buches habe ich die Konsequenzen dieser Annahme untersucht und gefunden, daß dieselbe für die Gravitation unfruchtbar sei. Außerdem wies ich an einem bestimmten Beispiel, nämlich an der von SCHRAMM aufgestellten Theorie (in welcher vollkommen elastische Stöße für die Gravitation verwendet werden) den Ort nach, wo der Fehler in die Rechnung hineingekommen ist.

Im elften Kapitel meines Buches habe ich die Konsequenzen dieser Annahme untersucht und gefunden, daß dieselbe für die Gravitation unfruchtbar sei. Außerdem wies ich an einem bestimmten Beispiel, nämlich an der von SCHRAMM aufgestellten Theorie (in welcher vollkommen elastische Stöße für die Gravitation verwendet werden) den Ort nach, wo der Fehler in die Rechnung hineingekommen ist.

PAUL DUBOIS-REYMOND aber scheint dem elastischen Stoß doch wenigstens noch die  Möglichkeit  eines Erfolges zuerkennen zu wollen. Er sagt zwar nicht, worauf diese beruhe, oder etwa, wo in meinem elften Kapitel ein Versehen stecke, sondern begnügt sich mit der kurzen Bemerkung, daß "mit dem vollkommen elastischen Stoß ...  vermutlich  die gewünschte Konstruktion überhaupt unmöglich" sei, fügt aber für den Fall, daß diese Konstruktion dennoch gelingen sollte, den Einwand hinzu, dann sei offenbar "der elastische Stoß selbst zu konstruieren", und dies  "könne nur durch Fernkräfte gelingen". 

Wenn  diese Behauptung wahr ist, so würde allerdings eine auf diesem Weg gelungene Konstruktion der Schwere nichts weiter sein als die Zurückführung einer Fernkraft auf eine andere Fernkraft, aber  warum  sie wahr sei, das ist nicht beigefügt. Ich meinerseits gestehe offen, nicht zu wissen, warum die Elastizität  nur  durch Fernkräfte konstruierbar sei, und habe demgemäß meine Motive gegen die Anwendung der Elastizität als mechanischen Erklärungsgrund für die Schwere auf ganz anderer Basis aufgebaut. -

Stellen wir nun in Bezug auf den in diesem Abschnitt behandelten Punkt die Schlußfrage: Ist von PAUL DUBOIS-REYMOND ein stringenter Beweis erbracht worden, daß es der Stoßtheorie  unmöglich  sei, für die Existenz eines geringeren Stoßeffektes auf den einander zugekehrten Seiten zweier gravitierender Körper plausible Gründe anzugeben oder noch aufzufinden? so glaube ich, daß die Antwort in einem verneinenden Sinn ausfallen muß. Ich sehe nicht ab, wie in den bis jetzt besprochenen Aufstellungen für sein "Ignorabimus" schon ein genügendes Fundament gelegt sein könnte.

6. Die zweite von den vorhin angeführten Aufgaben der Stoßtheorie bestand in der Deduktion des Satzes, daß die gegenseitige Einwirkung der Massen abnimmt, wie das Quadrat der Entfernung zunimmt. Daß dies möglich sei, hat PAUL DUBOIS-REYMOND gar nicht in Abrede gestellt, dafür aber umso energischer an den dritten Punkt seine Hebel angelegt.

Kann die Stoßtheorie dartun, daß die von einem Körper ausgeübte Attraktion seiner Masse proportional sei?

Gegen diese Möglichkeit führt PAUL DUBOIS-REYMOND zunächst eine mechanisch-mathematische Erwägung ins Feld, deren Rückgrat in einer Gleichung von der Form:

 a b = c - d 

besteht. Zwar sieht diese bei PAUL DUBOIS-REYMOND so einfach nicht aus, allein wir brauchen uns auf die dort angewandte komplizierte Form nicht einzulassen, ebensowenig wie auf die Herleitung der Gleichung; denn die ganze Argumentation beruth einzig und allein auf dem Umstand, daß links ein Produkt und rechts eine Differenz steht. Ersteres ist der Gravitationseffekt, wie er sich zufolge des NEWTONschen Gesetzes sich ergibt, letztere der Gravitationseffekt, wie er nach der Stoßtheorie herausstellt, und das zwischen beiden stehende Gleichheitszeichen ist der mathematische Ausdruck für die von PAUL DUBOIS-REYMOND angefochtene Behauptung, daß ersterer durch letzteren ersetzbar sei.

Das Produkt der linken Seite enthält natürlich die  Masse  als Faktor in sich, allein durch die passende Wahl der  Form  des anziehenden Körpers und des Punktes, auf welchen die Wirkung ausgeübt werden soll, läßt sich leicht erzielen, daß statt der Masse auf der linken Seite ein Ausdruck auftritt, welcher einer eindimensionalen Raumgröße proportional ist, einer  Strecke  also.

Die von PAUL DUBOIS-REYMOND benutzte Körperform ist die eines abgestumpften Kegels mit parallelen sphärisch gekrümmten Bodenflächen, der Zielpunkt der Anziehung ist der gemeinschaftliche Mittelpunkt dieser beiden Kugelflächenstücke, und als diejenige Strecke, welcher in diesem Fall die Gravitation proportional ist, tritt die  Höhe  des abgestumpften Kegels, oder, was dasselben besagt, die Differenz der Kugelradien auf. Wir setzen daher in unserer obigen Gleichung statt  b  die Differen  R - r  ein und erhalten:

 a (R - r ) = c - d. 

Nun wird die Größe  R  auf der linken Seite der Gleichung in Bewegung gesetzt. Herr PAUL DUBOIS-REYMOND macht sie variabel und läßt sie allmählich anwachsen bis ins  Unendliche.  Hierdurch nimmt natürlich das auf der linken Seite stehende Produkt ebenfalls einen unendlich großen Wert an. Weil diesem Produkt aber die auf der rechten Seite stehende Differenz gleich sein und natürlich unter allen Umständen auch gleich bleiben soll, so muß auch diese einen unendlich großen Wert annehmen  können.  - Ist das aber möglich?

Setzen wir mit PAUL DUBOIS-REYMOND in den gemeinsamen Mittelpunkt der vorhin erwähnten beiden Kugelflächen oder in unmittelbare Nähe dieses Mittelpunktes als Objekt der von dem beschriebenen Kegelstumpf ausgeübten Attraktion ein kleines Körperchen hin, etwa auch wieder ein Kegelstümpfchen, so müssen wir an diesem letzteren zwei Seiten, eine abgewandte und eine zugewandte unterscheiden. Die Totalwirkung der auf die erstere während einer gewissen kleinen Zeit aufprallenden Ätheratome wird durch  c,  die entsprechende Wirkung auf der zugewandten Seite mit  d  bezeichnet.

Nun ist offenbar  c  eine Größe, die bei wachsendem  R  nicht mitwächst, die überhaupt konstant und sogar davon unabhängig ist, ob der anziehende Kegelstumpf überhaupt existiert oder nicht.

Die Größe  d  hingegen nimmt mit zunehmendem  R  immer mehr ab, aus demselben Grund, wie z. B. auch unter einem Laubdach die Beleuchtung immer mehr abnimmt, je mehr Zweige man oben drauf legt.

Infolge dieses stets abnehmenden Subtrahenden bei konstantem Minuenden wird allerdings die Differenz  c - d  stets größer und größer; aber  bis ins Unendliche  wachsen kann sie offenbar nur unter der Voraussetzung, daß  c  von vornherein und unter allen Umständen an sich schon eine unendliche Größe sei. Weiter folgt dann durch eine kurze Überlegung, daß auch  d  unendlich groß angenommen werden muß, und nun konkludiert PAUL DUBOIS-REYMOND so: Die Stoßtheorie ist also genötigt, wenn sie etwas der NEWTONschen Gravitation Äquivalentes hinstellen will, von vornherein mit "puren unendlichen Größen" zu rechnen und muß dieselben voneinander substrahieren. Das kann aber nie und nimmer zu einem  bestimmten  Resultat führen. "Die Kraft bleibt völlig unbestimmt"; also ist die Stoßtheorie als Ersatz der Attraktion unbrauchbar.

Diese, wie es scheint, mathematisch unanfechtbare Schlußreihe erregte mir zunächst folgenden Gedanken:

Würde jemals in dem fast zweitausendjährigen Zeitraum von ARISTOTELES bis GALILEI ein kühner Mann den Versuch gemacht haben, das Aufsteigen des Wassers in die Pumpenrohre nicht mehr durch einen  horror vacui,  sondern durch den Luftdruck zu erklären, d. h. so, wie es heutzutage allgemein geschieht, so hätte man dem gegenüber genau nach dem Muster des eben dargelegten PAUL DUBOIS-REYMONDschen Beweises auf leichte Art zeigen können, daß der Luftdruck als Ersatz des  horror vavui  ganz und gar untauglich sei. Man brauchte nur statt des Kegelstumpfes das Pumpenrohr in Gedanken allmählich zu verlängern bis ins Unendliche, so war die Sache sofort evident. Und bei all den Unzähligen, welche auf des Stagiriten [Aristoteles - wp]  "unbegrenztes Widerstreben  der Natur" (12) gegen das Vakuum gläubig vertrauten, hätte dieser Beweis auch nicht eher aufgehört, völlig stringent zu erscheinen, als bis GALILEI auftrat und mit seinen 18 Braccien [etwas über 10 Meter - wp] ein ungefähres Maximum für jenen  horror  feststellte. -

Nun aber mag der Unterschied zwischen der Annahme eines unbegrenzten  horror vacui  und einer unbegrenzten NEWTONschen Attraktion manchem vielleicht so wesentlich dünken, daß er die erstere verwirft und zugleich die letztere für ganz vernünftig ansieht. PAUL DUBOIS-REYMOND fügt sogar, wo er von dem möglichen Einwand spricht, daß die Größe  R  etwa nur sehr, aber nicht unendlich groß angenommen werden dürfe, daß also vielleicht die Schwerkraft "über gewisse endliche Entfernungen hinaus erlöschen" könnte, das Gegenargument bei:  "Mißlich  wäre es jedenfalls ... so  gewagte  Voraussetzungen über eine Kraft zu machen, welche die unseren Beobachtungen zugänglichen  Himmelsfernen  beherrscht." (13)

Allein in diesem Gegenargument steckt ein Fehler, der sich leicht aufdecken läßt.

Ich denke hier nicht daran zu sagen, daß die beobachteten Himmelsfernen, also etwa die Strecke von der Erde bis zu irgendeinem kleinen Nebelfleck, noch nicht groß genug sei, um mit  unendlich  Großem vertauscht zu werden. Auch will ich nicht fragen, woher PAUL DUBOIS-REYMOND denn  weiß,  daß das NEWTONsche Gesetz diese Fernen beherrscht. - In der Tat folgt ja aus dem Umstand, daß man gewisse an Doppelsternen beobachteten Erscheinungen mit Zuhilfenahme von Attraktion erklärt hat, noch keineswegs in aller Strenge, daß dasjenige Gesetz, welches früher unter dem Namen des zweiten NEWTONschen ausgesprochen wurde, auch wirklich zwischen diesen Massen "herrsche". - Ich wille ferner nicht davon reden, daß, wenn auch in Wirklichkeit zwischen dem Sirius und seinem dunklen Begleiter oder bei irgendeiner anderen kosmischen Gruppe das Gesetz als herrschend nachgewiesen wäre, dann doch entfernt noch nicht bewiesen sein würde, daß es auch  von hier aus bis  zum Sirius herrsche.

Allein angenommen, Herr PAUL DUBOIS-REYMOND könnte Tatsachen angeben, welche einen Einfluß etwa des Orionnebels auf unsere Erde oder gar auf einen Körper, der am Himmelsgewölbe ihm diametral gegenübersteht, unzweifelhaft nachwiesen, und überdies nachwiesen, daß dieser Einfluß dem NEWTONschen Gesetz exakt gehorcht, dann würde  auch das  seinem Beweis noch nicht aufhelfen können, denn dieser setzt  noch mehr  voraus, als eine solche Bestätigung des Gesetzes.

In der vorhin erwähnten Differen  R - r  nämlich hat PAUL DUBOIS-REYMOND den Subtrahenden  r  konstant, den Minuenden  R  endlos wachsen lassen, aber zugleich die materielle Kontinuierlichkeit und die Dichte des Kegelstumpfes unverändert beibehalten. Das heißt, er hat von dem festen Abstand  r  an immer neue und größere Scheiben gleichen Stoffes auf die alten gelegt, hat Masse auf Masse gehäuft und ist mit dieser konisch sich erweiternden Massenanhäufung bis zu den äußersten Himmelsfernen, von wo noch ein Sternchen sein Licht herabschickt, und noch darüber hinaus bis ins Unendliche unverzagt fortgeschritten.  Das  ist der eigentliche physikalische Sinn der einfachen mathematischen Substitutioin:

 R - r = ∞ 

Hätte PAUL DUBOIS-REYMOND in seinem Beweis weiter nichts getan, als den attrahierenden Körper in die  Ferne  geschoben, wenn auch bis in unendlichek so würde trotz der Voraussetzung einer in dieser Beziehung unbeschränkten Geltung des NEWTONschen Gesetzes die linke Seite seiner Gleichung niemals unendlich groß geworden sein. Was nützt es also, wenn in seinem oben zitierten Gegenargument die (mehr oder minder beglaubigte) Herrschaft der Gravitation bis in alle zugänglichen "Himmelsfernen" betont wird? Ist das nicht ein Pflaster neben der Wunde? -

Herr PAUL DUBOIS-REYMOND hat seinen Baum bis in den Himmel wachsen lassen; er hat einen soliden Massenkegel konstruiert, dessen etwas abgestumpfte Spitze hier irgendwo festliegt, und der sich von diesem Ort aus stets breiter und breiter werdend hindurchzieht durch das Weltall. Auf dieser Fiktion hat er seinen Beweis basiert. Wer nun sagt: daß auch für dieses Unendliche das NEWTONsche Gesetz noch gültig sei, das nehme ich gläubig an, für den mag der Beweis triftig sein. Wer aber sagt: ich will es annehmen, sobald genügend Vernunft- oder Erfahrungsgründe hinzugefügt werden, für den ist das, was PAUL DUBOIS-REYMOND vorgetragen hat, noch nicht stringent.

Nun ist ja an die Beschaffung der eben bezeichneten Gründe wohl kaum zu denken, daher schiebt nun auch PAUL DUBOIS-REYMOND von dieser Stelle ab seinen Beweis in einem anderen Geleis weiter.

7. Wenn gezeigt werden könnte, daß auch bei einer  endlich  ausgedehnten Massen von der vorhin beschriebenen Form eines Kegelstumpfes die Stoßtheorie nicht imstande ist, die Proportionalität der Pseudo-Attraktion mit der Strecke  R - r  darzutun, so würde das ein Argument sein, welches von dem vorhin beanstandeten Regress aufs Unendliche frei wäre. Auf dieses Ziel steuert jetzt PAUL DUBOIS-REYMOND hin und zwar mit Hilfe einer neuen Rechnung.

Indem wir diese selbst und die Voraussetzungen, auf welchen sie beruth, vorderhand ohne jede Bemerkung hinnehmen, wollen wir nur das Resultat derselben ins Auge fassen. Dieses besteht in einer Gleichung, welche, wie PAUL DUBOIS-REYMOND richtig hervorhebt, ein anderes Gesetz ausspricht, als das NEWTONsche. Allein er setzt selber schon hinzu: "Denkt man sich (den Absorptionskoeffizienten)  k,  mithin auch  K  unendlich klein,  μ' K (R - r)  heraus", und dieser Ausdruck entspricht völlig dem NEWTONschen Gesetz.

Ferner sagt er: "Unter jener Voraussetzug, daß  k  verschwindend klein ist, ergäbe sich auch, wie leicht einzusehen ist, die Einflußlosigkeit von Zwischenkörpern (zwischen dem anziehenden Körper)  A  und (dem angezogenen)  a."  Das ist auch wieder das NEWTONsche Gesetz!

Und etwas später setzt er noch hinzu: "Allerdings, teilt man den anziehenden Körper in kugelige Schichten mit dem angezogenen Punkt als Mittelpunkt, so ist die von jeder Schicht abgelenkte Teilchenmenge proportional dem Gesichtskegel, unter dem sie von diesem Punkt aus erscheint, ähnlich wie die Anziehungen der Schwerkraft längs der Strahlen dieses Kegels, ihre Resultante kann ebenso gebildet werden, und die verschiedenen hintereinander gelegenen Schichten verhalten sich gegeneinander, als wären sie für jede die anderen nicht vorhanden - ganz wie bei der Schwerkraft (nach dem NEWTONschen Gesetz)."

In diesen drei Sätzen liegt das offene Zugeständnis vor, daß die Ätherstoßtheorie den Anforderungen des NEWTONschen Gesetzes  entspricht  für den Fall, daß man den Absorptionskoeffizienten "unendlich klein" oder "verschwindend klein annimmt.' Allein nach der Tendenz der Ausführungen von PAUL DUBOIS-REYMOND war zu erwarten, daß hinterher ein kräftiges  Aber  käme, welches etwa den Gedanken brächte: Diese Annahme ist unmöglich, denn für die  Kleinheit  des Absorptionskoeffizienten muß die und die - mehr oder weniger bestimmte -  Grenze  eingehalten werden aus den und den Gründen.

In der Tat ist auch an jeden der drei zitierten Sätze ein Widerpart angehängt, allein keiner von diesen letzteren bringt in der bezeichneten Richtung einen präzisen Einspruch. Der erste sagt aus, wenn  k  "nur  sehr  (aber nicht verschwinden) klein gedacht wird, so ... kommt das obige ganz andere Gesetz zum Vorschein". -

Freilich! das wußte man ja schon. Aber bei welchem negativen Exponenten von 10 hört denn eine Zahl auf "nur sehr klein" zu sein und wird statt dessen "verschwindend" oder gar "unendlich" klein? - Un wo ist denn nun ein Grund, der den Ätherstoßtheoretiker verhindern könnte, bezüglich des Absorptionskoeffizienten diese angebliche Gebietsgrenze zwischen dem "nur sehr" und dem "verschwinden" Kleinen nicht nach Belieben zu über- oder unterschreiten?

Der erste "Aber"-Satz bringt einen solchen Grund augenscheinlich nicht; tut es etwa der zweite?

Dieser lautet in ganzer Vollständigkeit also: "Doch fragt sich, was man damit erreicht hätte. Die nach einem Punkt hin konvergierenden Ätherteilchen, welche einen Körper durchdringen, der den Punkt anziehen soll, lassen im Körper Ätherteilchen zurück, deren Menge die Anziehung darstellt. Sie ist im Verhältnis zu der den Körper durchdringenden Äthermenge so klein, daß ihr Ausfall bei einem zweiten etwa zwischen dem angezogenen Punkt und dem anziehenden Körper befindlichen Zwischenkörper gar nicht mehr zu spüren ist. Nun ich meine, dies ist nur ein anderer Ausdruck für die Tatsache der Anziehung, der sie in Worte kleidet, die nur scheinbar eine Konstruktion enthalten, nur schein eine Vorstellung erwecken, in Wahrheit aber ebenso dunkel sind."

Ich gesteh, daß es mir nicht gelungen ist einzusehen, was PAUL DUBOIS-REYMOND mit diesem Gedanken an dieser Stelle will. Wenn überhaupt der  Stoß  zweier Körper  ein  mechanischer Vorgang ist, welcher bei ihm keine "Vorstellung erweckt", wenn derselbe ihm "ebenso dunkel" vorkommt, wie die unvermittelte  actio in distans,  dann ist das eine Abweichung von  prinzipieller  Bedeutung, und ich kann den vorstehenden Einwand am Platz finden, wenn er da steht, wo von der Stoßtheorie im Allgemeinen die Rede ist.

Hier aber handelt es sich gar nicht darum, den Stoßtheoretiker davon zu überzeugen, daß er sich in Bezug auf die Anschaulichkeit des mechanischen Vorgangs, welchen man Stoß nennt, in einem prinzipiellen Irrtum befinde, sondern der Beweis steht an dem Punkt, wo speziell gezeigt werden soll, daß die Stoßtheorie nicht imstande ist, das NEWTONsche Gesetz, soweit es die Massen angeht, aus sich heraus zu deduzieren. Das ist der Nagel, und der Kopf desselben wäre das eben bezeichnete kleine  k.  Nicht einmal der Nagel, geschweige der Kopf wird von PAUL DUBOIS-REYMONDs Einrede getroffen.

Bezüglich der letzteren möchte ich aber noch folgende Bemerkung anfügen.

Wenn  überhaupt der Zusammenstoß zweier Körper ein vorstellbarer Vorgang ist, so sind  x - Zusammenstöße ebensoviele vorstellbare Vorgänge, ganz gleichgültig, ob  x  klein oder groß ist. Und wenn die Stöße sich im Innern der gravitierenden Materie zutragen, und wenn die stoßenden Körper kleine Kügelchen sind, denen man die Namen "Ätherteilchen" und "Atome" beigelegt hat, so sehe ich nicht, wie der  Stoß ansich  dadurch etwa weniger vorstellbar würde, als wenn es sich um Billardkugeln oder Seeschiffe handelte.

Was ferner die "in den Körpern zurückgelassenen Äthertheilchen" betrifft, "deren Menge die Anziehung darstellt", so scheint mir darin eine Ungenauigkeit zu liegen, von der nachher noch zu reden sein wird.

Und endlich, was soll man von den Worten:  "nur ein anderer Ausdruck  für die  Tatsache  der Anziehung" eigentlich halten? - Wenn jemand statt des früheren Satzes: die Körper  ziehen sich an  den neuen hinstellt: Nein, sie werden vom Äther gegeneinander  gestoßen,  so ist das doch offenbar etwas wesentlich anderes, und nicht etwa,  "nur  ein anderer Ausdruck" für dieselbe Sache. - Wie aber kommt die "Anziehung zum Titel einer "Tatsache"? Soviel ich weiß, ist bei der Schwere nur die  Annäherung  eine Tatsache, die  Anziehung  aber nichts als eine Hypothese, welche zur Erklärung der ersteren aufgestellt worden ist. Hätte wirklich jemand die Tatsächlichkeit der  Anziehung  ermittelt, so brauchte er nur kundzugeben,  wie  er das gemacht hat, dann wäre damit das alte "eherne Problem" definitiv gelöst, und es bedürfte weder unendlicher Massenkegel, noch endlicher Absorptionskoeffizienten, um die Stoßtheorie zu beseitigen. -

Indem ich mich nun zum dritten und letzten "Aber" wende, bemerke ich kurz, daß auch darin, wie früher schon angedeutet, der Kopf des Nagels nicht getroffen wird. Was PAUL DUBOIS-REYMOND dort vorbringt, sind keine Gründe gegen die dem Stoßtheoretiker erwünschte Kleinheit von  k,  sondern andere Erwägungen, die an und für sich einen neuen selbständigen Einwand bilden, und die ich daher auch in einem besonderen Abschnitt vorführen will. Als Resultat des gegenwärtigen aber glaube ich folgendes hinstellen zu dürfen:

Herr PAUL DUBOIS-REYMOND hat aus der Stoßtheorie heraus eine Formel abgeleitet, welche, obschon statt eines bloßen Produktes eine Exponentialfunktion darin auftritt, dennoch dem NEWTONschen Gesetz umso mehr angenähert werden kann, je kleiner der Absorptionskoeffizient gewählt wird, und er hat  keinen  Grund beigebracht, welcher uns verhindern könnte, diesen Koeffizienten so klein anzunehmen, als man nur will. Da nun aber die im NEWTONschen Gesetz ausgesprochene Proportionalität zwischen Anziehung und Masse ein aus der  Erfahrung  abstrahierter Satz ist, so bürgt für seine Richtigkeit nichts anderes als eine Reihe von  Beobachtungen,  welche in Bezug auf ihre Genauigkeit natürlich an irgendeine Grenze gebunden sind. Wo diese liegen mag, ist für die schwebende Frage gleichgültig; denn solange die Wahl von  k  ganz freigelassen ist, kann der Stoßtheoretiker diesen Koeffizienten stets so klein wählen, daß die Abweichung seiner Formel von der NEWTONschen kleiner wird als die Folgen der noch so geringen Genauigkeitsmängel, welche irgendein Physiker oder Astronom seinen Beobachtungen zugestehen mag.

Aus diesem Grund halte ich das Urteil für berechtigt, daß auch das auf die Exponentialfunktion gestützte Argument PAUL DUBOIS-REYMONDs nicht stringent sei. Ich bin der Meinung, daß durch dasselbe die Ätherstoßtheorie keineswegs beseitigt ist, und stehe ich mit dieser Meinung auch nicht allein.

Dieselbe Exponentialfunktion ist nämlich von Prof. ADALBERT RYSANECK ebenfalls abgeleitet und veröffentlich worden in einer Abhandlung, welche im 24. Band von EXNERs Repertorium der Physik unter der Überschrift: "Versuch einer dynamischen Erklärung der Gravitation" erschienen ist. Jene "dynamische Erklärung" ist nichts anderes als die alte Stoßtheorie mit Voraussetzung einer unvollkommenen Elastizität, und die auf Seite 100 der genannten Abhandlung entwickelte Exponentialfunktion stimmt im Wesentliche mit der von PAUL DUBOIS-REYMOND entwickelten überein, wird aber keineswegs als ein Widerspruch oder auch nur als ein irgendwie ungeünstiges Ergebnis behandelt, sondern im Rahmen der Theorie weiter verwertet, namentlich auch zu dem Zweck, um für den "Radius der Wirkungssphäre zwischen Körper und Ätheratom eine obere Grenze" zu ermitteln.

LITERATUR - Caspar Isenkrahe, Über die Fernkraft und das durch Paul Dubois-Reymond aufgestellte dritte Ignorabimus, Leipzig 1889
    Anmerkungen
    1) PAUL DUBOIS-REYMOND, Naturwissenschaftliche Rundschau, dritter Jahrgang, Nr. 14
    2) P. DUBOIS-REYMOND, a. a. O. Seite 11
    3) Ist das nicht eine bloße Tautologie? Hat man die "letzten Elemente" in der Hand, sei es eines chemischen Stoffes, sei es eines Problms, so können dies ja  per hypothesin  nicht mehr "zusammengesetzter Natur" sein. Übrigens aber fehlt jeder Beweis dafür, daß das Gravitationsproblem "wirklich nicht zusammengesetzter Natur" sei, und diesen Beweis zu erbringen dürfte wohl auch recht schwer fallen, namentlich deshalb, weil im NEWTONschen Gesetz die  Masse  eine wesentliche Rolle spielt.
    4) P. DUBOIS-REYMOND, a. a. O. Seite 15
    5) Vgl. meine Schrift: "Das Rätsel von der Schwerkraft", Braunschweig 1878.
    6) In der HUYGENSschen Stoßtheorie ist allerdings noch eine dritte Hypothese zwar nicht ausdrücklich aufgestellt, aber  implizit  mitbenutzt worden. Allein diese ganze Theorie ist, insofern sie auf der dritten Annahme beruth, aufgrund triftiger Argumente als völlig beseitigt zu betrachten. Vgl. "Rätsel der Schwerkraft", Kapitel 8 und PAUL DUBOIS-REYMOND, a. a. O. , Seite 21
    7) Bei  bewegter  Luft, Wind, Sturm etc. sind gewisse Bewegungs richtungen  vor den anderen mehr oder weniger vorherrschend. Würden sich einmal  alle  Luftteilchen in nahezu gleicher Richtung vorwärts bewegen, so würde dies einen Orkan vorstellen von einer Stärke, wie sie auch nicht annähernd jemals beobachtet worden ist, nämlich von beinahe 500 Meter Geschwindigkeit per Sekunde. Nach OVERBECK beträgt die Geschwindigkeit des stärksten Wirbelsturms nur 116 Meter.
    8) Vgl. Rätsel der Schwerkraft, Kapitel 6 bis 10
    9) P. DUBOIS-REYMOND, a. a. O. Seite 22
    10) Der hier behandelte Einwand trifft speziell meine Gravitationstheorie, soweit ich die Literatur übersehe, auch  nur  diese. Da ich denselben aber als einen naheliegenden und unausweichlichen voraussah, habe ich schon  gleich in der Vorrede  meines Buches zu dieser Sache Stellung genommen und kann mich auf meine dort geltend gemachten Günde immer noch berufen, weil P. DUBOIS-REYMONDs Bemerkung sie gar nicht anficht. Im Übrigen weiß ich wohl, daß manche der Meinung sind, sie könnten das Gesetz von der Erhaltung der Kraft aus irgendwelchen allgemeinen Denkgesetzen rein deduktiv ableiten, aber ich glaube, daß dabei das eigentliche Demonstrandum nicht scharf genug ins Auge gefaßt wird. Natürlich ist hier der Ort nicht, irgendwie tiefer auf die Sache einzugehen, und nur im Vorübergehen will ich eben auf den bekannten Satz hinweisen, welcher in jenem Demonstrandum einen sehr wesentlichen Punkt bildet und aussagt, daß bei allen Kraftübertragungen der  Tauschwert  der Energie eines Körpers, dessen Masse  m,  und dessen Geschwindigkeit  c  ist, proportional sei dem Produkt  m c c,  daß also die Masse nur  einmal,  die Geschwindigkeit aber  zweimal  als  Faktor  in Rechnung kommen müsse. Demgemäß steckt z. B. in 100 gleichen und gleich schnellen Flintenkugeln nicht mehr Energie, als in einer einzigen ebensolchen, die nur zehnmal so rasch fliegt. Hat nun schon jemand gezeigt, wie das bloß aus Denkgesetzen erschlossen werden könne?
    11) Herr PAUL DUBOIS-REYMOND spricht ausdrücklich von der Benutzung des "unelastischen  oder nicht vollkommen elastischen  Stoßes. Aus diesem Zusatz schließe ich, daß er hier als Grund für die "beständigen Veränderungen" nicht etwa das Zusammenbleiben der Körper nach dem Stoß ins Auge gefaßt hat, denn dieses tritt bekanntlich nur dann ein, wenn der Stoß genau zentral und zugleich  völlig unelastisch  ist. Übrigens wird von diesen Stößen und ihren Folgen im weiteren noch ausführlich die Rede sein.
    12) Vgl. ROSENBERGER, Geschichte der Physik II, Seite 32
    13) P. DUBOIS-REYMOND, a. a. O. Seite 26 und 27