001 "Ich sah eine schöne Frau mit verbundenen Augen auf den Stufen einen Marmortempels. Eine große Menschenmenge ging an ihr vorbei und blickte flehend zu ihr hinauf. Sie trug ein Schwert in der Linken. Sie hob das Schwert, erschlug hier ein Kind, dort einen Arbeiter, jetzt eine Frau, die sich ihr zu entziehen versuchte, dann einen Wahnsinnigen. In ihrer Rechten trug sie eine Waage. Diejenigen, die von ihren Schwertstreichen verschont bleiben wollten, warfen Goldstücke in die Waagschale. Ein Mann in einer schwarzen Toga verlas ein Papier. "Blicke keinem ins Angesicht." Dann sprang ein junger Mann herbei und riß ihr die Binde von den Augen. Ihre Wimpern waren zerfressen, ihre Augenlider verwest, die verbrannten Pupillen schwammen in milchigem Schleim. In ihr Antlitz war der Wahnsinn einer sterbenden Seele geschrieben. Doch die Menge sah, warum sie eine Binde trug."
011 "So wie Gott ohne Warum wirkt und kein
Warum kennt, - ganz in der gleichen Weise, wie Gott
wirkt, so auch wirkt der Gerechte ohne Warum, und so, wie das Leben
nun seiner selbst willen lebt und kein Warum sucht,
um dessentwillen es lebe, so auch kennt der Gerechte kein Warum, um dessentwillen
er etwas tun würde."
020 Die menschliche Würde
zu verteidigen, im Notfall gegen sich selbst, das ist Gerechtigkeit.
021 Gerechtigkeit wird nicht durch Konsens ermittelt, sondern ist jedem vorgegeben.
022 Die grundlegende Eigenschaft der menschlichen Vernunft
ist der Begriff der Gerechtigkeit.
023 "Justitias Blindheit ist nicht die des Propheten, nicht die des Dichters, nicht die der großen und zornigen Güte, sondern die der willentlichen Abstraktion; sowohl dem Bereich des unmittelbaren Lebens wie dem der absoluten Idee angehörend, verquickt sie - niemand tut dies außer ihr - unaufhörlich das eine mit dem andern, greift mit dem Abstrakten ins Leben ein, verwandelt das Leben ins Abstrakte, und das gibt ihr einen dämonischen Aspekt, den keine andere Sozialsphäre neben ihr hat." - Hermann Broch, Massenwahntheorie, Ffm 1979, Seite 475
024 "Heute manifestieren sich die Gesamtgruppierungen in sozialen Klassen, die den Gesamtgesellschaften Konkurrenz machen. Die Klasse ist ein Makrokosmus von Gruppen und Schichten, die sich wegen ihrer Suprafunktionalität niemals in einer einzigen Organisation (und eben nicht in einer Pluralität von ihnen) ausdrücken läßt. Nun hat aber eine Klasse, soweit sie konstituiert ist, eine feste Struktur und wird zu einem normativen Fakt, der eine spezifische Rechtsordnung hervorbringt. Diese Rechtsordnung drückt sich in einem unorganisierten Recht aus, welches auf das Klassenbewußtsein gegründet ist und sich in spontaner Weise durch Gewohnheit, Präzendenzfällt, Deklarationen, freirechtliche intuitive Findung usw. manifestiert. Dieses aber vermindert nicht die große Wirksamkeit der Klassenrechtsordnung, die mit der Staatsrechtsordnung und eben mit der Rechtsordnung der Nation in einen offenen Kampf tritt. Auch die Klassenrechtsordnung über das System der Rechtsordnungen der Nation obsiegen, als auch die Staatsrechtsordnung beherrschen, um mit neuen juristischen Klassenrahmenwerken in Konflikt zu geraten. Dafür liefern bäuerliches Recht, proletarisches Recht, bourgeoises Recht besonders auffällige Beispiele. Im Kampf zwischen bäuerlichem, proletarischem und bourgeoisem Recht haben wir nicht nur einen Konflikt zwischen drei verschiedenen Rechtsordnungen, die das innere Leben der drei betreffenden sozialen Klassen regeln, vor uns, sondern auch einen Konflikt zwischen divergierenden Weltanschauungen, in denen juristische Werte impliziert sind, und zwischen sehr verschiedenen Interpretationen der Gerechtigkeit." - Georges Gurvitch, Grundzüge der Soziologie des Rechts, Darmstadt und Neuwied 1974, Seite 158f
025 Der Gesellschaft muß daran gelegen
sein gerecht zu sein.
026 "Es ist entsetzlich, sich vorzustellen, daß die Menschheit zum großen Teil noch heute mit der völlig chimärischen Vorstellung von einer objektiven Gerechtigkeit als theoretischer Grundlage für ihre wichtigsten praktischen Entscheidungen operiert. Nicht zum mindesten im Völkerrecht spielt diese Wahnvorstellung noch eine bedeutende praktische Rolle. Die Gefahr besteht darin, daß die unfruchtbare Gerechtigkeitsideologie das Denken irregeleitet und den Blick für die wirkliche Bedeutung und praktische Relevanz unserer individuellen und sozialen Handlungen abstumpft. Jeglicher Aberglaube, darunter auch der Glaube an eine Gerechtigkeit bedeutet Finsternis und Irrlichter, die, ungeachtet welche Ziele wir auch immer verfolgen mögen, uns nur hemmen und uns von ihnen ableiten können. Das Gerechtigkeitsbewußtsein und seine ewigen Gesetze sind im Großen und Ganzen nichts weiter als ein Produkt der überlieferten positiven Rechts- und Gesellschaftsordnung, eine Rationalisierung der herrschenden Wertungen und Einstellungen. Es ist deshalb seinem Wesen nach konservativ und ein Hindernis für eine geschmeidige Anpassung an die Verhältnisse, wie sie nun einmal sind." - Alf Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, Kopenhagen und Leipzig 1933, Seite 383
028 Zwei verschiedene Begriffe von Gerechtigkeit in
Bezug auf Strafe und Verteilung.
029 "Die
Verteilung des Reichtums ist eine rein menschliche
Institution. Sie ist von den Gesetzen
und Sitten der Gesellschaft
abhängig. Die Regeln der Verteilung werden von den Meinungen
und Gefühlen des herrschenden
Teils der Gesellschaft bestimmt und sind zu verschiedenen Zeiten und in
den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sein, wenn es der Menschheit
beliebte."
030Verteilungsgerechtigkeit ist die ursprüngliche
Form der Gerechtigkeit.
031Autorität hat, selbst wenn sie der
Gerechtigkeit entspricht, die Tendenz das Wesen der Gerechtigkeit abzuschwächen.
033 "Das von Christensen formulierte Äquivalenzprinzip geht darauf aus, bei allen allen sozialen Beziehungen Leistung gegen Gegenleistung so abzuwägen, daß sie sich gegenseitig im Wert entsprechen und derart, daß das Ergebnis ein solches wird, daß jeder sein (durch gleiche Leistung erworbene) Eigentum bekommt und behält. Es ist ja nämlich klar, daß, damit von gleichem Tausch die Rede sein kann, im voraus gegeben sein muß, was dein und was mein ist, oder wie Christensen es nennt, das ethische Eigentum. Dieses soll das ursprüngliche Recht am Arbeitserzeugnis sein. Wenn Christensen glaubt, dieses Gesetz wiederum aus dem Austauschgesetz (die Produktion muß hier als Austausch zwischen Arbeiter und Natur aufgefaßt werden) ableiten zu können, so ist das natürlich vollkommener Unsinn. Es müßte in diesem Fall schon vor dem Austausch feststehen, woran der Arbeiter und woran die Natur Eigentum habe usw. ad infinitum. Das Äquivalenzprinzip setzt notwendigerweise ursprüngliche, irreduzierbare Rechte und obendrein objektive Werte als Maß für die Gleichheit der Leistungen voraus." - Alf Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, Kopenhagen und Leipzig 1933, Seite 388f
081 Das Endziel aller Politik kann nur
Recht und Gerechtigkeit sein.
082 Durch Ablösung des Besitzprivilegs
durch das Leistungsprivileg entsteht auch nicht
mehr Gerechtigkeit.
083 "Der Mammon ist einmal ungerecht,
das liegt in seiner Natur."
084 "Der gerechte Mensch dient
weder Gott, noch den Kreaturen; denn er ist frei,
und je näher er der Gerechtigkeit ist, desto mehr ist er die Freiheit selber."
085 Praktisch bestimmt der Marktautomatismus
was gerecht und was ungerecht ist.
086 Gerechtigkeit schätzt die Menschen nach Verdienst und Würdigkeit,
Liebe und Gnade jedoch bedeuten Bejahung ohne
Rücksicht auf ihren Wert oder Unwert.
087 "Was die Gerechtigkeit nur fordert, das leistet ohne Zwang
die Freiheit."
096 "Die Dezentralisation der wirtschaftlichen
und politischen Macht muß auch eine Umverteilung
von Produktion und Wohlstand einbeziehen."
097 In einem Krieg jeder gegen jeden kann es am Ende keine Gerechtigkeit geben.
098 "Zu allen Zeiten hat es manche empfängliche Gemüter gegeben;
und es ist schwerlich ein Zufall, daß es doch eben die christlichen
Länder sind, in denen endlich, wenn auch erst nach anderthalb Jahrtausenden,
wenn auch erst mit dem beginnenden Zerfall der kirchlichen Formen und Dogmen,
eine geordnete Armenpflege aufkam, und in denen sich weiterhin der Gedanke
entwickelte, daß das Elend der Massen eine Schande der Menschheit ist,
und daß alles daran gesetzt werden muß, um es gründlich zu beseitigen. Man
darf sich nicht dadurch irremachen lassen, daß in der Blütezeit der äußeren
Kirche die Armut gleichsam künstlich gepflegt wurde, um der Zeremonie der
Almosenspende zu genügen, daß die Völker unter keinem Joch so schwer geseufzt
haben als unter dem der Priester; man darf sich nicht durch die Bemerkung
blenden lassen, daß die spezifisch Frommen sich nur gar zu leicht mit der
Moral abzufinden wissen, und daß es vielfach die
Freidenker, ja, die Feinde des so bestehenden
Kirchentums sind, welche ihr ganzes Denken und Handeln der unterdrückten
Menschheit gewidmet haben, während die Diener der Kirche an den Tafeln der
Reichen sitzen und den Armen Unterwürfigkeit
predigen."
099 "Wer die absolute Gerechtigkeit auf Erden mit Gewalt
herstellen will, der bedarf dazu der Gefolgschaft: des menschlichen Apparates."
100 Die Pflicht zur Gerechtigkeit ist eine Forderung der Ethik.
101 "Was sind die irdischen Staaten, da
die Gerechtigkeit aus ihnen sich zurückgezogen hat, anderes als große Räuberhöhlen?"
108 Jeder, der die Prinzipien der Gerechtigkeit verneint, ist unmoralisch.
109 "Auch durch die Gerechtigkeit werden Probleme der Leidenschaften
kaum gelöst werden können. Die Leidenschaft ist an und für sich ungerecht.
Die Gerechtigkeit distanziert sich von den Persönlichkeiten,
sie ist unpersönlich; die Leidenschaft ist nur individuell.
Hier liegt der Ausweg nicht im Gericht, sondern
in einer menschlichen Entwicklung der einzelnen Persönlichkeit in dem man
sie an der Entwicklung der gemeinsamen Interessen
teilhaben läßt."
110 Theoretisch hat man in einem gerechten Krieg
das Recht, alle Mittel
anzuwenden, die den Sieg erleichtern.
111 "Demokratie ist eine gerechte Staatsform,
weil diese Staatsform individuelle Freiheit
sichert. Das heißt aber, daß Demokratie eine demokratische Staatsform nur
unter der Vorraussetzung ist, daß die Wahrung individueller Freiheit der
höchste Zweck ist. Wenn anstatt individueller Freiheit wirtschaftliche
Sicherheit als höchster Zweck vorausgesetzt wird,
und wenn bewiesen werden kann, daß diese unter einer demokratischen Staatsform
nicht gewährleistet wird, dann kann nicht mehr Demokratie, dann muß eine
andere Regierungsform als gerecht angesehen
werden."
116 "Der Gerechte, der der Gerechtigkeit dient, liebt
sie mehr als sich selbst, so daß, wenn das Gerechte
die Hölle oder den Teufel in sich trüge,
er es lieben, es ihm schmecken, es ihn erfreuen würde und andererseits:
Wenn das Ungerechte das Paradies mit sich führte, ja Gott
selbst, so würde es ihm nicht schmecken."
118 "Die Gerechten haben überhaupt keinen Willen;
was Gott will, das gilt ihnen alles gleich,
wie groß das Ungemach auch sei."
125 Es gibt zwei grundlegende soziale Forderungen:
Gerechtigkeit und Menschenliebe.
126 Im Lebensgenuß
wird immer ein Unrecht empfunden.
127 "Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen
Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit,
der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz
gibt ihnen (der Regierung) die Macht, Ideen, die
ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten."
130 Die Gerechtigkeit wird nach dem Prinzip der Gleichheit organisiert.
131 Gerechtigkeit ist ihrem innersten Wesen nach ein freiwilliger
Gewissensakt.
132 "Man mache ein Gesetz und schon ist
mehr Gerechtigkeit bewirkt. Dies ist ein Irrglaube, weil papierne Gesetze
als solche ein Nichts sind. Über Wert und Unwert entscheidet die Praxis,
die, wenn sie die Gesetze nicht umzusetzen vermag, bei allem gesetzlichen
Gerechtigkeitsstreben größtes Unrecht gerade wegen
solcher Gesetze bewirken muß."
145 "Die Gerechtigkeit ist ohnedies schon ein Prinzip der Abstufung;
indem sie jedem das Seine gibt - sei es vergeltend,
als Strafe oder als Lohn."
146 "Denkst du, daß du kein Unrecht tust, wenn du für
dich behältst, was als Lebensunterhalt für viele dienen könnte? Es ist
das Brot der Hungrigen, das du nimmst, die Kleidung der Nackten, jenes Geld,
das die Erlösung der Armen darstellt."
150 "Die Ideologie der Leistungsgerechtigkeit
der bürgerlichen Produktivitätsideologie das,
was sie singen, gleiche Rechte, freie Gesellschaft , keine Herren mehr und keine Knechte, das lockt uns nicht!
- wir halten es schlechterdings nicht für wünschenswert, daß das Reich der
Gerechtigkeit und Eintracht auf Erden gegründet werde (weil es unter allen
Umständen ein Reich der tiefsten Vermittelmäßigung und Chineserei sein
würde.)"
151 Im Güteraustausch
hat das Prinzip der Gerechtigkeit seinen Ursprung.
152 Es gibt keinen Grund, warum irgendwer mehr
Rechte haben sollte, als ein anderer.
155 "Nicht gewaltsame neue Verteilung,
sondern allmähliche Umschaffung des Sinnes tun not, die Gerechtigkeit muß in allem größer werden, der gewalttätige
Instinkt schwächer."
156 Billigkeit als Anwendung der Umstände eines jeden.
Hinweis: Bei den nicht näher gekennzeichneten Textstellen handelt es sich um Passagen, die in verschiedenen Quellen mehr oder weniger sinngleich auftauchen, so daß nicht klar ist, wer von wem abgeschrieben hat.