p-4cr-2Ch. SchwandtkeA. MartyH. CorneliusO. A. FriedrichsJ. Bahnsen    
 
KARL GEBERT
Bemerkungen zur Theorie
des Existentialsatzes

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"Während der Erwachsene aufgrund seiner durch die Erfahrung erworbenen Kenntnisse weiß, daß ein Gegenstand, welcher auf diesen oder jenen Sinn unangenehm wirkt, zu diesem oder jenem Zweck unbrauchbar ist, doch auf einen anderen Sinn angenehm wirken, für einen anderen Zweck brauchbar sein kann, und er deshalb den Gegenstand nicht beiseite wirft, sondern nur beiseite stellt, so ist dem ganz unter dem Eindruck des Augenblicks stehenden Kind eben dieser momentane Sinneseindruck der Repräsentant des Dings in seiner Totalität. Für die Erkenntnis des Kindes folgt aus diesem gänzlichen Aufgehen in der Gegenwart, daß ihm bei seiner Geistestätigkeit jedes Kriterium der Wahrheit abgeht. Wahrnehmungen wie Vorstellungen überhaupt gelten im Augenblick des Auftauchens vor dem Bewußtsein nach der kindlichen Logik der Selbstverständlichkeit als Korrelate real existierender Dinge; verschwinden sie aus dem Bewußtsein, dann ist auch jede Spur von ihnen verschwunden. Die Welt ist dem Kind in jedem Augenblick so, wie sie sich in eben diesem Augenblick darstellt; es kennt nur eine Welt des Soseins, nicht eine Welt des Andersseins."

Hat KANT durch ein Besinnen auf die Bewußtseinsformen der Aufgabe der Philosophie im Allgemeinen eine neue Richtung gewiesen, so gilt dies in besonderem Grad von derjenigen philosophischen Disziplin, welche von altersher als das Organon der übrigen bezeichnet wurde, nämlich von der Logik, im weiteren Sinn des Wortes. Allerdings zeigt dieser Philosoph, wie es ja für einen mehr bahnbrechenden als abschließenden Geist charakteristisch ist, seine Lehre nicht in der Gestalt durchsichtiger und widerspruchsloser Abgeklärtheit, sondern in störender Weise durchsetzt von rudimentären Elementen seiner sich wesentlich in formalistisch-dogmatischem Ideengang bewegenden Entwicklung.

Man sollte nun glauben, daß in unseren Tagen, also in einer Zeit, welche in ihrem wissenschaftlichen Betrieb dem tiefgründenden Nährboden kantischer Denkweise so manche kostbare Frucht verdankt, die Vertreter der Logik sich einmütig angelegen sein ließen, die erkenntnistheoretischen Probleme KANTs sorgsam aus ihrer andersartigen Umhüllung herauszuschälen und weiter zu bilden. Allein während in der Tat ansehnliche Logiker mit erfreulichem Erfolg bemüht sind, das erkenntnistheoretische Prinzip in ihren Arbeiten zum leitenden zu machen, verharren andere, wenn auch vereinzelt, auf dem Standpunkt des ARISTOTELES und LEIBNIZ, und wieder andere erwählen FICHTE und HERBART zu ihrem logischen Patron.

Es erscheint demnach ziemlich unmöglich, die Ansichten dieses vielsprachigen logischen Kollegiums auf eine gemeinsame Form zu bringen. Diese beziehungslose Dissonanz verschiedener logischer Systeme äußert sich in verdichteter und greifbarer Gestalt bei derjenigen Frage, welche geradezu den Hauptpunkt des menschlichen Denkens trifft, nämlich bei der Frage nach dem Wesen und der Bedeutung des Existenzbegriffs. Vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, auf kantischer Basis die wichtigsten Lehren der heutigen Logiker über letzteren Begriff kritisch zu untersuchen.


I.
Psychologische und historische Vorfragen


a) Attributivurteil und Existentialsatz in
ihrem psychogenetischen Verhältnis

Bevor wir in die logische Untersuchung eintreten, empfiehlt es sich einen Blick zu werfen auf das rein psychologische Verhältnis des Existenzbegriffs zu den übrigen Bewußtseinsfunktionen. Wir gehen hierbei passend von einem Satz der Erkenntnislehre SPINOZAs aus, welcher besagt, daß jeder Bewußtseinsinhalt ein seiner Stellung im Bereich der Bewußtseinsfunktionen entsprechendes Kriterium der Wahrheit unmittelbar in sicht trägt. Die zweite und dritte Stufe der bei SPINOZA nach Wertprinzipien geordneten Vorstellungsreihe (ratio und intuitiva cognitio) involvieren in ihren Erkenntnissen eine absolute Gewißheit, da hier  idea cum ideato convenit  [die Idee mit dem Objekt übereinstimmt - wp]. Ähnlich involviert die niederste, auf Wahrnehmung beruhende Erkenntnisstufe (imaginatio) die Existenz des Gegenstandes, aber weder ausdrücklich, noch mit dem Stempel absoluter Gewißheit; die Gewißheit ist hier keine Irrtumslosigkeit, bloß ein subjektives Sichberuhigen, ein Nichtzweifeln. (1)

Die Frage nach der Richtigkeit dieser spinozistischen Lehre bildet in diesem einleitenden Kapitel den Gegenstand der Untersuchung. Ist, fragen wir, der Existenzbegriff auf der untersten Stufe wirklich nichts anderes als jenes Sichzufriedengeben des Wahrnehmenden mit dem Wahrnehmungsinhalt?

Der Weg, welcher zur Entscheidung dieser Frage führt, ist zunächst der psychogenetische. Dabei ist es für uns Angehörige einer fortgeschrittenen Kultur allerdings sehr schwer, bei der Gelegenheit der Besinnung auf das Entstehen einer Erscheinung des Seelenlebens den Anteil des Individuums von dem der Gattung zu sondern. Im großen Gegensatz zum materiellen herrscht im geistigen Leben ein friedlicher, mehr oder minder unbewußt sich aufdrängender Kommunismus des Eigentums. Nicht bloß von der dichterischen Konzeption, sondern vom geistigen Leben überhaupt gelten die Worte des jungen GOETHE, daß es einen "geheimen Punkt" gibt, "in dem das Eigentümliche unseres Ich, die prätendierte Freiheit unseres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt". Diesen Schwierigkeiten entgehen wir am einfachsten bei einem Rekurs auf die Psyche des Kindes. Die Armut des Kindes an Vorstellungen und Bedürfnissen und die relative Einfachheit der Verhältnisse, welche die Gefahren der komplizierten Erfahrung ausschließt, endlich die Übereinstimmung der allgemeinen Prozesse in allen Individuen sichern einer besonnenen Deutung in jedem Fall einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit.

Das zeitliche Verhältnis des Kindes zur Außenwelt ist das einer ständigen Gegenwart; eine Vergangenheit kennt es nicht, um eine Zukunft kümmert es sich nicht, kurz, sein geistiges Dasein gleicht jenem Zustand, den SCHOPENHAUER als beneidenswertes Vorrecht der Tiere preist. In ähnlicher Einfachheit zeigt sich dem Kind die Form der Räumlichkeit. Beim Erwachsenen sind es nur Gesicht und Getast, welche ihre Qualitäten in eine räumlich-substantielle Formung bringen; dagegen die Qualitäten der anderen Sinne stehen zum Gegenstand in einer freieren, trennbaren Beziehung. Diese Unterscheidung macht das Kind noch nicht; es setzt vielmehr die Wirkungen, welche irgendein Objekt in Gestalt der mit den Empfindungen verbundenen sinnlichen Gefühle in irgendeinem Sinn ausübt, sogleich als objektive Qualität des Gegenstandes selbst. Es kann sich nicht genug wundern über das tönende Wunderding einer Spieldose oder über die klangvollen und wohltuenden Töne, welche Musiker ihren verschieden geformten Instrumenten zu entlocken wissen. Ein garstig klingendes Instrument flößt ihm Schrecken ein. Ähnlich ist es bei der Geschmacksqualität; diese ist so sehr das Ding selbst, daß je nach dem Befund derselben, zu deren Prüfung das Kind bekanntlich jeden Gegenstand in Mund führt, das Ding entweder gewollt oder zurückgewiesen wird.

Die Reaktion des Kindes auf die so gestaltete Welt seiner Umgebung ist geleitet von jener passivsten und dunkelsten Seite des psychischen Gesamtdasein, welche auch bei erlangtem Selbstbewußtsein nicht völlig erhellt ist, vom Trieb- und Gefühlssystem. Mehr fühlend als wissend lebt das Kind in spielendem Verkehr mit den Dingen, deren Verhältnis es als ein schlechthin selbstverständliches auffaßt, und der Erwachsene freut sich mit Recht über die naive Zuversicht und Arglosigkeit, wie es mit den Gegenständen verkehrt, als stünde es mit ihnen in einer Art geistigen Rapports.

Eine interessante Parallele zu dieser naiven kindlichen Hingabe bildet das Schaffen des mit der Natur sich eins fühlenden dichterischen Genius. Zwar zeigen die mehrfachen Redaktionen ein und desselben Werkes, daß es in der Werkstätte des Dichters doch nicht so ganz reflexionslos zugeht. Es hieße aber den der Kunst wesentlichen Begriffen der Intuition und der Stimmung eine  contradictio in adiecto  [Widerspruch in sich - wp] beifügen, wollte man annehmen, daß jede Vorstellung, welche der schöpferischen Phantasie des Dichters entsteigt, mit dem Bewußtsein der Existenz verknüpft wäre. Denn der Existenzbegriff würde als bewußte Geistesfunktion die schaffende Phantasie in ihrer freien Bahn stören und hemmen, ja das stete Vorschweben der nüchternen Wirklichkeit würde ihre Tätigkeit ganz aufheben. Welch' rationalistisch-nüchterne, an den  sens du réel  [Realitätssinn - wp] des modernen französischen Naturalismus gemahnende Auffassung vom Wesen der Kunst wäre die notwendige Folge, wenn es nach SPINOZA ginge, und das dichterische Phantasiegebilde eines Flügelrosses mit der Behauptung identisch wäre, das Pferd habe Flügel, oder, es existiert ein geflügeltes Pferd! (2) Wenn das Schaffen des Künstlers sich nicht vor allem darin erschöpft, getrennt liegende Vorstellungen aus dem Reichtum seines Bewußtseins nach Gesetzen, die er sich selbst gibt, auf den Schwingen der Phantasie in eine neue Welt emporzuheben und hier zu einem Gebilde aus  einem  Guß zu verknüpfen, wenn seine erzeugende Tätigkeit darauf beschränkt bleibt, Objekte der Wirklichkeit mit ebenfalls der Wirklichkeit entnommenen Epithetis [Beifügung - wp] zu schmücken - dann freilich kann die Lehre nicht befremden, daß den Produkten der Einbildungskraft ebenso wie den Vorstellungen überhaupt eine Bejahung oder Existenzaussage innewohnen soll. Allein selbst das künstlerisch nachempfindende Bewußtsein stellt die von HESIOD und OVID geschaffene Phantasiegestalt des Quellrosses  Pegasus  sich nicht auf so hausbackene Weise vor, daß es sich zuerst das Bild des Pferdes vergegenwärtigt, dann die Vorstellung von den Flügeln, welche es ihm zuspricht, sondern als untrennbare Gesamtvorstellung, als Verkörperung einer Idee.

Es ist eine psychologische Grundtatsache, daß den Menschen zunächst nicht das Sein der Dinge, sondern ihr Etwassein, nicht die Dinge, sondern ihre Eigenschaften interessieren. Denn die Unterscheidung dieser beiden Momente im Vorstellungsmechanismus setzt bereits einen gewissen Fonds dauernder Erinnerungsvorstellungen voraus, wie er bei einem Kind, dessen geistige Tätigkeit sich in der Auffassung gegenwärtiger qualitativ bestimmter Vorstellungen erschöpft, nicht zu finden ist. Die dem entwickelten Bewußtsein so geläufige Trennung von Ding und Eigenschaft ist dem ersten Stadium der kindlichen Entwicklung unbekannt, diese beiden Seiten der Sache verschmelzen vielmehr bei ihm zu einer ungeteilten Gefühlswirkung.

Daraus erklärt sich folgende Erscheinung. Während der Erwachsene aufgrund seiner durch die Erfahrung erworbenen Kenntnisse weiß, daß ein Gegenstand, welcher auf diesen oder jenen Sinn unangenehm wirkt, zu diesem oder jenem Zweck unbrauchbar ist, doch auf einen anderen Sinn angenehm wirken, für einen anderen Zweck brauchbar sein kann, und er deshalb den Gegenstand nicht beiseite wirft, sondern nur beiseite stellt, so ist dem ganz unter dem Eindruck des Augenblicks stehenden Kind eben dieser momentane Sinneseindruck der Repräsentant des Dings in seiner Totalität. Der Erwachsene sieht in einem schöne und kostbaren Bild nur den Zweck ästhetischen Genusses und sucht dasselbe vor allen anderen Verwendungen, zu denen es vermöge seines Materials allenfalls tauglich wäre, sorgsam zu bewahren. Das Kind läßt sich durch dessen Farben anziehen, um in nächsten Augenblick durch das Zerreißen eine Probe seiner Festigkeit zu machen. Für die Erkenntnis des Kindes folgt aus diesem gänzlichen Aufgehen in der Gegenwart, daß ihm bei seiner Geistestätigkeit jedes Kriterium der Wahrheit abgeht. Wahrnehmungen wie Vorstellungen überhaupt gelten im Augenblick des Auftauchens vor dem Bewußtsein nach der kindlichen Logik der Selbstverständlichkeit als Korrelate real existierender Dinge; verschwinden sie aus dem Bewußtsein, dann ist auch jede Spur von ihnen verschwunden. Die Welt ist dem Kind in jedem Augenblick so, wie sie sich in eben diesem Augenblick darstellt; es kennt nur eine Welt des Soseins, nicht eine Welt des Andersseins.

So in der ersten Zeit des kindlichen Daseins. Bald jedoch treten Vorgänge zutage, welche nur durch Assoziation und Reproduktion erklärbar sind. Im weiteren Verlauf seiner Entwicklung merkt das Kind, daß mancher Vorstellung, die es als selbstverständlich hinnahm, ein dauerndes Gegebensein nicht zukommt, und dieses negative erkenntnistheoretische Moment wird mit derartigen Vorstellungenn fortan verbunden bleiben. Aus der Summe der Erscheinungsweisen ein und desselben Dings schlägt sich allmählich der erste Grundstock einer konstanten Form im Bewußtsein nieder: als Dauerndes im Wechsel, als Ding im Gegensatz zu den Eigenschaften. Das Kind erlangt die Fähigkeit, den sinnlichen Repräsentanten dieser begrifflichen Vorstellung in der Wahrnehmungswelt wiederzuerkennen: so entsteht das Benennungs- oder Rekognitionsurteil. Die Ursache des Wechsels der Erscheinung ein und desselben Dings sucht es in der Verschiedenartigkeit seiner Eigenschaften; mit andern Worten: es kommt ihm die Kategorie der Inhärenz zu Bewußtsein und diese findet ihren Ausdruck im Attributivurteil. Endlich gewahrt das Kind, daß nicht nur die Erscheinungen wechseln, sondern daß auch eine selbstverständliche Beziehung auf die Wahrnehmung zuschrieb, in Wahrheit das wahrnehmbare Gegenbild fehlte; so entsteht als neue psychische Funktion die des Existentialsatzes, dessen Inhalt für diese Stufe auf Aussagen über Wahrnehmbarkeit oder Nichtwahrnehmbarkeit dem Sinn nach beschränkt bleibt. Der Existentialsatz ist demnach ein Ausfluß des menschlichen Wahrheitsstrebens und ein Prohibitivmittel des Irrtums und hat dem Vorstellungsmechanismus, wenn er Gefahr läuft, der momentanen Anschauung zuviel nachzugeben, die Strenge des Denkens entgegenzuhalten.

Aus dieser psychologischen Betrachtung geht hervor, daß die Existenz - im Gegensatz zu SPINOZA - nicht jedem Bewußtseinsinhalt als solchem unmittelbar innewohnt, sondern das Ergebnis einer hinterherkommenden besonderen Bewußtseinsfunktion ist; mit anderen Worten der Existenzbegriff ist ein Reflexionsprädikat. Da dem Subjekt der Gegensatz von erinnerbarer Vorstellung und Wahrnehmung zu Bewußtsein kommt, handelt es sich im Existentialsatz nicht mehr um eine Unterscheidung naiv hinzugenommener Qualitäten, wie in den bisherigen Urteilen von der Form: die ist ein soseiendes Ding, sondern die neue Funktion hat den neuen Zweck, über die objektive Realität der Träger dieser Eigenschaften zu entscheiden. Wenn der Existentialsatz in der Bestimmtheit, welche er im kindlichen Bewußtsein erlangt hat, bloß eine Etappe auf dem Forschungsweg nach Wahrheit ist, so zeigt er doch schon ein besonders philosophisches Gepräge, weil er hinter dem Sosein der Erscheinung das Kriterium des Seins überhaupt sucht; er ist ein Produkt des Zweifels am Selbstverständlichen. Den Fragen nach dem  Wie  und dem  Daß  setzt er die Frage nach dem  Ob  entegen, und später soll die nach dem  Woher  folgen.

Ist der Existentialsatz eine kritische Funktion, so ist damit nicht gesagt, daß er die ursprüngliche Funktionsweise des Bewußtseins, welche die Voraussetzung seiner Tätigkeit bildet, in allen Fällen stören oder einengen müßte. Das gereiftere populäre Bewußtsein verändert auch nach dem Entstehen des wesentlich anders gearteten Existentialsatzes im Grunde keineswegs den Bestand des kindlichen Unterscheidungsurteils, sondern das Attributivurteil von der Form "S ist P" bedeutet in dieser ausdrücklichen und entwickelten Form nichts anderes als die Analysis jener ursprünglichen mehr gefühlsmäßigen Bewußtseinsfunktion. Das Bewußtsein zerlegt das in der Anschauung gegebene Beziehungsverhältnis in seine zwei Bestandteile, nämlich in den für den Sprechenden selbstverständlichen des Dinges, als des Trägers der Eigenschaft, und in den für die Erkenntnis neuen, den der Eigenschaft. Das frühere unmittelbare Beziehungsverhältnis zum Bewußtsein wird auf diese Weise - es liegt dies in der Natur des letzteren, denn das Bewußtsein trennt, um zu verbinden - zum Beziehungsverhältnis seiner beiden Faktoren untereinander. Entscheidet der Existentialsatz über die Art des Gegebenseins eines geschlossenen Vorstellungskomplexes, eines Bewußtseinsausschnittes von Beziehungen, so handelt es sich im Attributivurteil um die qualitative Abgrenzung schlechthin gegebener Vorstellungskomplexe.

Der psychogenetische Entstehungsprozeß des Attributivurteils läßt sich etwa in folgender Weise schematisieren. Das Urteil "Die Rose ist rot" hat folgende Vorstufen:
    1. Was mir anschaulich gegenüber ist, stellt sich dar als etwas Rotes oder als ein (angenehm wirkendes) rotes Ding.

    2. Das rote Ding heißt Rose; durch seine Umgebung ist dem Kind der Name des Dings beigebracht worden, an welchen sich die Unterscheidung von Ding und Eigenschaft anknüpft.

    3. Die Rose ist ein rotes Ding (3).

    4. Die Rose ist rot.
Die Eigenschaften werden einerseits, sofern sie wechseln, als das an den Dingen wechselnde und andererseits, sofern sie konstant bleiben, als sich voneinander unterscheidende erkannt.

Ein analoger Werdegang läßt sich aufzeigen bei denjenigen Attributivurteilen, deren Prädikatsnormen ein Substantiv von allgemeiner Bedeutung ist, wie Mensch, Vogel und dgl. Derartige Urteile finden nicht nur ihre psychologische Erklärung, sondern auch ihre logische Bedeutung im Streben des Menschen, die einfache Prädikation in eine Subsumption zu verwandeln, d. h. den Subjektsbegriff als Exemplar einer Gattung zu fassen. Das Entscheidende liegt hier in der Tatsache, daß die Allgemeinbegriffe ursprünglich nicht Abstraktionen, nicht Gattungsmerkmale, sondern Namen für konkrete, in ihrer Erscheinungsweise gleichartige Objekte sind, wie ja das gewöhnliche Bewußtsein vielfach, nach einem Gattungsbegriff befragt, mit der Aufzählung von dessen empirischem Umfang antwortet. (4)

Die Einsicht in die Verschiedenheit von Attributivurteil und Existentialsatz läßt klar erkennen, daß die Frage nach der Existenzbedeutung der Kopula falsch gestellt ist, und daß es methodisch ganz verkehrt ist, wenn BRENTANO (Psychologie vom empirischen Standpunkt, Leipzig 1874, Seite 283) aus der Bedeutungslosigkeit der Kopula die Bedeutungslosigkeit des Existenzwortes folgern will. Die wesentlich als grammatische Flexionsform zu erklärende Kopula hat mit dem sprachlich gleichlautenden Seins- bzw. Existenzwort der kritischen Funktion des Existentialsatzes nichts als den Namen gemein. Aber woher, könnte man fragen, diese Gemeinsamkeit des Namens, sollte diese rein zufällig sein? Darauf wäre zu erwidern: die Funktion des Existentialsatzes ist insofern auch für das Attributivurteil nicht fruchlos geblieben, als letzteres
    1. meist auf solche Gegenstände zielt, deren Realität in der Regel vorausgesetzt wird (vgl. SIGWART, Logik I, Seite 126f)

    auch in den Fällen, wo diese Voraussetzung auf den ersten Blick nicht zuzutreffen scheint, doch für seine Prädikation einer Norm der Geltung bedarf,
und diese Norm gibt ihm der Subjektsbegriff durch sein Bezogensein auf eine gewisse Realität, welche jedoch nicht, wie SIGWART die Existenz auffassen will, auf die außerpsychische der Wahrnehmbarkeit beschränkt bleibt.

In dem Satz "der Pegasus ist geflügelt" liegt die Realität des Subjektworts nicht in der Wahrnehmbarkeit wie etwa bei Pferd, Löwe und dgl., sondern in der historisch beglaubigten Tatsache, daß jene Vorstellung ein Bestandstück des Bewußtseins des hellenischen Volkes war. Diese stete Beziehung auf eine Realität mag psychologisch für die Wahl gerade dieses "Formelements" entscheidend gewesen sein. Möglich auch, daß die Tatsache, daß die verschiedenen Existenzarten in der Regel ihren logischen und erkenntnistheoretisch indifferenten und sprachlich gleichlautenden und kurzen Ausdruck in Sätzen von dern "S ist" finden, dazu verleitet hat, in diesem "Ist" eine Beziehung schlechthin zu finden und in gleicher sprachlicher Einförmigkeit das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Attributivurteil auszudrücken. Diese sprachliche Auffassung der Sache würde auch ein erklärendes Licht werfen auf jene "Inhaltlosigkeit" des Verbums Sein, von der SIGWART, Logik I, Freiburg 1889, Seite 127) spricht, und welche rein logisch betrachtet nicht recht einleuchten will.

Wie dem auch sei, Tatsache ist jedenfalls, daß dem entwickelten Bewußtsein, wenn es ein Attributivurteil ausspricht, von all diesen Erwägungen, soweit es auf die Kopula ankommt, nichts gegenwärtig ist, daß überhaupt die Kopula im Gegensatz zum Seinsverbum weder logisch noch sprachlich-inhaltlich, sondern nur grammatisch-formell zu beurteilen ist. Ist somit die Kopula grammatisch eindeutig, von anderen Gesichtspunkten her aber überhaupt nicht zu deuten, so liegt in dem Umstand, daß das Subjekt des Attributivurteils bald ein wahrnehmbarer Gegenstand ist wie  Delphin  im Urteil "der Delphin ist ein Säugetiert", bald eine bloße Vorstellung wie  Pegasus  im Urteil "der Pegasus ist geflügelt", absolut keine Inkonsequenz für die Funktionsweise der Kopula; man hat daher keine Veranlassung mit JOHN STUART MILL von einer "Zweideutigkeit" (5) der Kopula zu reden, weil letzterer ja überhaupt eine auf die Existenzweise des Subjektswortes rückwirkende erkenntnistheoretische Bedeutung nicht beiwohnt. Wir können zum Schluß - mit der angedeuteten Einschränkung - SIGWART zustimmen, wenn er sagt: "Das Urteil "der Pegasus ist geflügelt" läßt tatsächlich die Existenz für denjenigen unentschieden, der nicht weiß, ob er es mit dem Namen eines wirklichen oder eines fingierten Wesens zu tun hat; ... nirgends aber ist darüber anderswo etwas abzunehmen als aus der Bedeutung der Wörter, sei es der Subjekts- oder Prädikatswörter." ( a. a. O., Seite 124f). "Nirgends hat ein Urteil von der Form  A  ist  B  dadurch, daß das Subjekt und Prädikat durch "Ist" verknüpft sind, die Kraft, das Urteil "A existiert" einzuschließen und mitzubehaupten; in vollkommen gleicher Weise fungiert dieses "Ist", ob von existierenden oder nichtexistierenden Dingen, ob von einzeln vorgestellten oder allgemein gedachten Subjekten, ob von Prädikaten die Rede ist, die einem existierenden zukommen können, oder von solchen, welche durch ihre Bedeutung die Existenz aufheben" (Seite 120f). "In dem Urteil  Gold ist gelb  kommt gelb demjenigen zu, was ich mir unter dem Subjektswort vorstelle; der Satz behauptet aber nicht das Sein eines einzelnen Dings" (Seite 125). "In dem Urteil  Zinnober ist rot  fügt das Verbum Sein dem Sinn nach nichts hinzu, was nicht schon in "rot" der Wortgattung nach läge. "Rotsein" sagt nicht mehr als "rot", Rotes und Rotseiendes als Konkreta, Rotsein und Röte als Abstrakta sind schlechterdings dasselbe; es wird nur ausdrücklich angedeutet, daß "rot" nicht für sich abstrakt gedacht, sondern von einem bestimmten Subjekt prädiziert werden soll. ... So ist auch Mensch und Menschsein dem Sinn nach dasselbe" (Seite 118f) (6)

Es zeigt sich also als psychologisches und logisches Ergebnis dieses Abschnitts Folgendes: Erst allmählich lernt das Kind zu unterscheiden zwischen Vorstellung und realem Gegenstand und zwar zunächst zwischen immanenter Vorstellung und wahrgenommener Vorstellung. So ergibt sich die wesentlich auf praktischer Erfahrung beruhende erkenntnistheoretische Scheidung der seienden Dingen von Nichtseiendem schlechthin, des Seienden vom Eingebildeten. Allein die Entwicklung schreitet noch weiter. Die Daten der Wahrnehmung genügen dem Verstand für die Dauer nicht; er sucht die Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit der seienden Dinge auf eine einheitliche Form zu bringen. So entsteht der Begriff des Wesens oder des wahren Seins im Gegensatz zum falschen Sein, Sein und Nichtsein, wahres Sein und falsches Sein sind die Etappen, in welchen sich der Reihe nach die logisch-erkenntnistheoretische Entwicklung des Existenzbegriffs im Bewußtsein darstellt. Die erste Etappe ist, weil rein psychologisch zu beurteilen, logisch und erkenntnistheoretisch indifferent; die zweite hat ihren Schwerpunkt in der Beziehung zur Sinnlichkeit, im räumlich-zeitlichen Gegebensein; die dritte in der Selbsttätigkeit des Denkens. Dieser schematischen Zeichnung entspricht im Großen und Ganzen - natürlich in ungleich komplizierteren Verhältnissen und schärferer Zuspitzung der Gegensätze - der Entwicklungsgang dieser Frage in der Geschichte der Philosophie.


b) Der Existenzbegriff in
der Geschichte der Philosophie

Gleich die Anfänge der griechischen Philosophie sind darauf gerichtet, eine Weltansicht zu erwerben, die Verschiedenartigkeit der Dinge der Außenwelt mit den Forderungen des Denkens in Einklang zu bringen, mit einem Wort, die Außenwelt zu begreifen. Hierin zeigt sich, wie oben ausgeführt, zunächst ein allgemein-menschlicher Zug in der Entwicklung des Bewußtseins, nämlich das Streben hinter der Welt des Soseins die des Seins zu suchen, und es lag in der Natur der Sache, daß das Denken ein erkenntnistheoretisches Übergewicht bekommen mußte über die gewöhnlichen Vorstellungen des wahrnehmenden Bewußtseins. Dieses allgemein-menschliche psychologische Grundverhältnis fand seine schärfste metaphysische Ausprägung bei den Eleaten. Allein dadurch daß ihre Philosophie die Abstraktion der Raumerfüllung für das einzige und wahre Sein erklärte, ließ sie sich in jugendlicher Überstürzung zum dem Fehlschluß verleiten, daß die sinnenfällige Welt überhaupt nicht existiert und konstatierte so den absoluten Gegensatz von einer Welt des Seins und einer Welt des Scheins. Wie das ganz in der Wahrnehmung befangene kindliche Bewußtsein, wenn es einmal zur Unterscheidung von Sein und Nichtsein gelangt, ersteres ausschließlich den wahrnehmbaren Dingen zuschreibt, ähnlich führte die noch in den Kinderschuhen steckende philosophische Spekulation zu einer Überschätzung des Denkens, und da sich die eleatischen Philosopheme durch diese logische Einseitigkeit selbst der Möglichkeit eine Welterklärung zu liefern enthoben, so wird es begreiflich, wie PROTAGORAS bezüglich der Verstandeserkenntnis einen absoluten Skeptizismus vertreten und die nur subjektiv gültigen Sinnesqualitäten für die einzige Quelle des Wissens erklären konnte. Vereinigt und einer Prüfung unterzogen finden wir all diese vorsokratischen Denkmotive in jenem platonischen Dialog, welcher so recht das nie befriedigte Ringen des Menschengeistes nach Wahrheit vorführt, im  Theätet.  Hier erfährt die populäre und in ihren Grundzügen auch von den Eleaten vertretene Annahme, daß ein Nichtseiendes Vorstellungsinhalt sein kann, ihre Anfechtungen (Theaitetos 188D; 189B). Man sieht, daß PLATON das Nichtseiende, welches noch die Atomisten als erklärende Voraussetzung ihrer physikalischen Theorie ohne logische Begründung angenommen hatten, logisch zu begreifen sucht. Derjenige, wird weiter ausgeführt, welcher einen Irrtum begeht, hat Nichtseiendes vorgestellt, möge man unter letzteren ein Einzelding oder einen Gattungsbegriff verstehen. Denn wie der, welcher etwas hört oder betastet, etwas Seiendes und zwar etwas bestimmt Seiendes hört oder betastet, so daß jede Vorstellung ihren bestimmten Inhalt hat. Der Irrtum besteht vielmehr in der Verwechslung von Vorstellungs- und Wahrnehmungsbildern oder von Vorstellungsbildern untereinander, was PLATON im Einzelnen durch die berühmten Gleichnisse von der Wachstafel und dem Taubenschlag illustriert. Mehr dialektisch gewendet erscheint diese Frage im "Sophisten". Hier wird gezeigt, daß man das Nichtseiende nicht aussprechen, ja nicht einmal bestreiten kann, ohne daß man demselben Prädikate des Seienden, also Widersprechendes beilegt. Und dieser Dialog faßt das Resultat so zusammen (Sophistes, 239A): "Und indem ich es ein Unerklärliches nannte und Unbeschreibliches und Unaussprechliches, richtete ich doch meine Rede so ein als ob es Eins wäre."

Wie überhaupt in seiner Philosophie gestaltete sich für PLATON auch in dieser Frage das metaphysische Problem von vornherein nach dem ethischen Postulat, es müsse Wahrheit geben; die Begriffe des Seins oder Nichtseins werden identifiziert mit denen des Wahrseins und Falschseins. Wenn man einmal naiv der Überzeugung lebt, daß immanente Vorstellungen das transzendente Sein der Dinge erfassen, aber dabei die Einsicht gewonnen hat, daß die Sinneswahrnehmung und die Verbindung ihrer Elemente im beziehenden Denken (Theaitetos 201E) irrtumslose Wahrheit nicht garantieren können, so ist es nur ein weiterer Schritt auf derselben Bahn, und es bedurfte dazu nur des idealen Sinnes PLATONs, daß er das wahre Sein der Dinge für unsere Erkenntnis in einem von den Sinneseindrücken unberührt gebliebenen Bewußtseinsakt, in einem Wiederschauen der Ideen, zu finden glaubte. Das Wissen von diesen ewigen Seinswahrheiten konnte, sowie es unabhängig von der Erfahrung zustande kam, auch die Kontrolle seiner Richtigkeit nicht in der Erfahrung suchen. Einzig die Erhabenheit des Inhalts bürgt dem Denken dafür, daß ihm ein reales Gegenbild entspricht. So entstand der große Gegensatz zwischen Sinnes und Verstandeserkenntnis, zwischen der Welt der seienden Dinge und des wahren Seins, ein Gegensatz, welchen die spätere Zeit begrifflich vertiefte und zur Grundlage ihrer religiösen Metaphysik machte. Die Stufen der Notwendigkeit des Vorstellens werden identifiziert mit denen metaphysischer Priorität (vgl. WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, Seite 238), die Welt des Seienden gerät in ein erkenntnistheoretisches und metaphysisches Abhängigkeitsverhältnis von der Welt des Seins. Am deutlichsten und am folgenschwersten zeigt sich diese philosophische Grundansicht im ontologischen Beweis vom Dasein Gottes, welcher lehrt, daß dem Begriff Gottes, als des allerrealsten Wesens, die Existenz als Merkmal innewohnt. Alles, was sonst seiend heißt, trägt seine Existenz nicht in sich, sondern leitet sich in absteigender Reihenfolge von Gott her.

Diese Erkennbarkeit des Übersinnlichen und zugleich der außerpsychischen Realität überhaupt wird zuerst zum Problem bei den Stoikern. Nicht mehr ausschließlich Sinneserkenntnis und Verstandeserkenntnis, sondern vor allem Bewußtsein und Außenwelt, Körperlichkeit und unkörperlicher Vorstellungsinhalt (vgl. WINDELBAND, a. a. O., Seite 156f) sind die Gegensätze, welche den erkenntnistheoretischen Studien dieser Schule die Motive lieferten. Den Angelpunkt ihrer Untersuchungen bilden die Erörterungen über die  phantasia kataleptike  [erkennende Phantasie - wp]. Es handelt sich hierbei um die Kontroverse, ob das verbale Adjektiv dieser Verbindung aktiven oder passiven Sinn hat, mit anderen Worten, ob das Kriterium der Wahrheit wesentlich eine Selbsttat des Geistes oder lediglich ein Ergriffenwerden desselben von der Wirklichkeit darstellt. Die Resultate der Forschungen neuesten Datums zeigen eine entschiedene Neigung - wie mir scheint, mit Recht - den ersten Teil der Frage zu bejahen. Nach den überzeugenden Darlegungen BONHÖFFERs (7) (Epiktet und die Stoa, Stuttgart 1890, Seite 288f), der seine Ansicht mit Glück gegen ZELLER und STEIN verteidigt, dürfte sich die Sache bei den Stoikern so darstellen: Das Wort  kriterion  wird von diesen bald in objektiver bald in subjektiver Bedeutung gebraucht. Als objektive Kriterien figurieren  aisthesis  [Wahrnehmung - wp] und  logos  [Denken - wp]. Sie sind  kanones, metra,  also Erkenntnis mittel.  Obgleich sie ursprünglich Tätigkeiten, teils der Sinnlichkeit, teils des Verstandes, sind, hat sie der letztere sich selbst als substantielle Normen gegenübergestellt. Da nun in der Konformität der Wirklichkeit mit diesen objektiven Maßstäben die wahre Erkenntnis besteht, so setzt letztere das Anlegen des Maßstabes voraus und das positive befriedigende Ergebnis hieraus ist die  phantasia kataleptike.  Dieselbe ist also das subjektive Kriterium, "der subjektive Reflex der tatsächlich stattgehabten Prüfung", sie ist ein Erkenntnis zeichen.  Da ofmals wegen der zeitliche Koinzidenz der beiden Faktoren eine reale Unterscheidung unmöglich ist, übersieht man den freien Akt in der kataleptischenn Vorstellung, die  synkatathesis  [Zustimmung - wp], und die menschliche Erklärungsweise nimmt das in die Sinne fallende, passiv gegeben scheinende Wahrnehmungsbild fälschlich als Inbegriff der Wahrnehmung.

Das stoische Problem verschwindet daraufhin, von anderen Denkantrieben in den Hintergrund gedrängt, für viele Jahrhunderte von der Bildfläche, bis in die Zeiten des mittelalterlichen Nominalismus und Terminismus. Nachdem dann die großen metaphysischen Systeme eines DESCARTES und SPINOZA und verwandter Richtung sich mit der Überwindung jenes Dualismus vergebens abgemüht haben, wurde derselbe durch den englischen Empirismus auf seine psychologische Form gebracht. In der vom Nominalismus und Terminismus vorgezeichneten Bahn weiter schreitend, gelangt HUME, wie vor ihm bereits LOCKE, zu dem Ergebnis, daß keine Behauptung über die Außenwelt demonstrierbar ist, also auch die Existenz nicht analytisch bewiesen werden kann.

In eine ganz andere Phase gelangte die Entwicklung dieser Frage durch KANT. Auch er hält es dem Realismus des Mittelalters und der dogmatischen Philosophie seiner unmittelbaren Vorgänger gegenüber mit HUME, daß die Existenz nicht demonstrierbar ist. Schon in der  Nova dilucidatio  (Werke I, HARTENSTEIN, Teil 2, Abschnitt VI, Seite 375) warnt er vor der Verwechslung der  notio entis  mit  ens  und erklärt den Satz:  existentiae suae rationem aliquid habere in se ipso  [Die Gründe für die Existenz einer Sache liegen in der Sache selbst. - wp] für falsch. Doch bleibt er nicht bei der einfachen Negation stehen, sondern zeigt schon in dieser Schrift, daß es einer Demonstration gar nicht bedarf, da die Existenz ein schlechthin Gegebenes ist. Diesem Standpunkt ist er auf der Höhe seiner Entwicklung treu geblieben, wenn auch dessen Begründung an Selbständigkeit und Originalität gewonnen hat. "Sein", heißt es in seinem Hauptwerk, "ist bloß die Position eines Dings oder gewisser Bestimmungen an sich selbst ... Nehme ich das Subjekt  Gott  mit allen seinen Prädikaten zusammen und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriff von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zum Begriff, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das Mindeste mehr als hundert mögliche . . . Aber in meinem Besitzstand ist mehr bei hundert wirklichen Talern als beim bloßen Begriff derselben (d. h. ihrer Möglichkeit)" (Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe KEHRBACH, Seite 472f). Das Sein ist also offenbar kein reales Prädikat, d. h. ein Begriff von irgendetwas, was zum "Begriff eines Dings hinzukommen könne". Es enthält als Prädikat keine Bestimmung, welche "über den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn vergrößert", ist also in diesem Sinne kein synthetisches Prädikat. Der Existentialsatz ist aber darum nicht etwa ein analytisches Urteil: denn setze ich einen Triangel und hebe die drei Winkel desselben auf, so habe ich ein widerspruchsvolles analytisches Urteil; "aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade ebenso ist es mit dem Begriff eines absolut notwendigen Wesens bewandt ... Wenn ihr sagt, Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgendein anderes seiner Prädikate gegeben, denn sie sind allesamt dem Subjekt aufgehoben, und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch" (Kr. d. r. V., Seite 470). Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Existentialsatz ist demnach kein analytisches nach dem Satz des Widerspruchs zu beurteilendes, sondern ein synthetisches; das Prädikat setzt "den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff." (8)

Vom Sein gilt also das, was nach KANT von den Kategorien der Modalität überhaupt gilt: daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im Mindesten verwehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken (Kr. d. r. V., Seite 202). Der Inhalt des Begriffs wird durch das Existenzprädikat nicht berührt; aber die Stellung dieses Inhalts zum erkennenden Bewußtsein wird dadurch eine wesentlich andere, daß das Existenzprädikat zu dem gedanklich immanenten Beziehungsverhältnis eines Gedankendings zum Bewußtsein noch das der Anschauung in der wahrnehmbaren Wirklichkeit fügt, also zum Gedachtenn den sinnlichen Repräsentanten. KANT hat der dogmatischen Philosophie die Tatsache vor Augen gestellt, daß sie auf der Höhe ihrer Spekulation trotz der großen Energie des Denkens doch schließlich denselben Fehler und mit der gleichen Naivität verfallen sei, wie das kindliche Bewußtsein, welches eine Wahnvorstellung für real hält. Die kantische Philosophie hat den in der Welt des "transzendentalen Scheins" umherirrenden Geist jählings zurückgeworfen auf den einzig wahren Ausgangspunkt jeglicher Forschung, auf die Welt der Anschauung. Seine dogmatischen Vorgänger hatten das Hysteronproteron [Das Spätere als Früheres - wp] begangen "aus der abstrakten Vorstellung die anschauliche entspringen zu lassen, während in Wahrheit alle abstrakte Vorstellung aus der anschaulichen entsteht" (SCHOPENHAUER, Fragmente zur Geschichte der Philosophie, § 12 in "Parerga und Paralipomena I").

Weder Wahrnehmung allein, noch die Verstandesbegriffe allein, noch ihre Verbindung vermag - so läßt sich die Stellung KANTs dem Sensualismus und Rationalismus seiner Vorzeit gegenüber präzisieren - die Außenwelt unmittelbar zu erfassen; doch gewährt ihre Verbindung - und damit müssen wir uns begnügen - wenigstens eine widerspruchslose Auffassungsweise.


II.
Die logische Bedeutung des "Ist" im Existentialsatz

KANT hat also, wie die angeführten Stellen beweisen, ein für allemal gezeigt, daß das Existenzwort zwar kein Merkmal aus dem Subjektbegriff heraushebt, bzw. demselben zufügt, daß dasselbe aber nichtsdestoweniger ein Prädikat ist und zwar, weil es "ein Verhältnis zum Erkenntnisvermögen" ausdrückt, ein modales Prädikat.

Offenbar als eine Überspannung dieser rein logischen Bedeutung des Existenzprädikats erscheint es, wenn SCHUPPE (vgl. Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878, Seite 502 und Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 16, 1886, Seite 249f) letzteres für eine Gattung erklärt. Dieser Logiker stellt sich (Logik Seite 506) die Frage, was denn im Existentialsatz dem Subjektbegriff hinzugefügt wird und gibt darauf die Antwort: "die ausgesagte Existenz wird in der Weise der Subsumption als eine Gattung des Subjektbegriffs ausgesagt". Abgesehen davon, daß es gar keinen Sinn hat, Verschiedenartiges (wie Tugend, Fleisch, Baumaterial) unter einen allgemeinen Begriff, also auch unter den des Seins zu subsumieren (9), würde diese Lehre einen Rückfall in den Eleatismus und Spinozismus bedeuten; denn das Sein des PARMENIDES und die Substanz SPINOZAs waren ja in logischer Hinsicht nichts anderes als das letzte und höchste Allgemeinprädikat der Dinge. Wir müssen die Merkmaltheorie nicht bloß halb, sondern vollständig aufgeben; es wird im Existentialsatz überhaupt nichts "hinzugefügt", weder ein sachliches noch ein logisches Merkmal.

An einer anderen Stelle desselben Werkes (Seite 634) ist SCHUPPE anderer Ansicht. Hier heißt es: "Der bloße Begriff  Existenz  ist überhaupt gar keine eigentliche Gattung, ist als solche gar nicht verwendbar, sondern erhält Sinn und Verwendbarkeit erst durch die, meist selbstverständlich und deshalb nicht beachtete, ergänzende spezifische Bestimmung, als die und die Existenzart. Es scheint mir keinem Zweifel unterworfen zu sein, daß das Prädikat "Existenz" einem Subjekt nur beigelegt werden kann in der Reflexion auf das, was im Subjekt schon enthalten vorgefunden wird" (10), - eine Auffassung, welche sich mit der unsrigen sehr nahe berührt, im übrigen aber über eine rein logische Betrachtung bereits hinausweist (vgl. unten).

Die negative Seite der kantischen Lehre verfolgt einseitig BRENTANO. KANT hat dem Seinswort den Charakter der Aussage eines Merkmals abgesprochen; BRENTANO erscheint - trotz KANT - Merkmalaussage und Prädikation für identisch, und da er das Merkmal  Existenz  logisch nicht zu rechtfertigen weiß, wagt er den Schritt über KANTs "unklare und widerspruchsvolle Halbheit" hinaus: er leugnet den logischen Wert des Existenzwortes und lehrt,  Sein  ist kein Prädikat. "Wenn wir sagen", wird hier gelehrt (Psychologie vom empirischen Standpunkte, Seite 276f), "A ist", so ist dieser Satz nicht, wie viele glauben, eine Prädikation, in welcher die Existenz als Prädikat mit "A" als Subjekt verbunden wird. Nicht die Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit "A", sondern "A" selbst ist der Gegenstad, den wir anerkennen." Um klar darüber zu werden, wie BRENTANO dies meint, empfiehlt es sich auf eine Stelle in der  Metaphysik  des ARISTOTELES, der wichtigsten Autorität BRENTANOs, zurückzugehen. Diese Stelle, welche von ihm zweimal zitiert wird (a. a. O. Seite 281 und in der Schrift "Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles, Freiburg 1862, Seite 27). ARISTOTELES spricht: "Was bedeutet nun aber bei dem Unzusammengesetzten (asyndeta) Sein und Nichtsein, Wahr und Falsch? Denn dies ist ja nicht zusammengesetzt, so daß es also wäre, wenn es verbunden, nicht wäre, wenn es getrennt wäre, wie dies bei dem weißen Holz oder der inkommensurablen Diagonale der Fall ist, und so wird auch Wahrheit und Unwahrheit hier nicht in dem Sinne stattfinden wie bei jenen." (Metaphysik, Θ 1051b, 17). ARISTOTELES spricht also hier von einer gewissen Spezies von Urteilen, deren Subjekt auf den Urteilenden so wirkt, daß dessen Reaktion nicht ein Bejahen oder Verneinen, sondern lediglich ein Jasagen ist. Dieses letztere erscheint als das notwendige Zutagetreten eines Berührungsaktes, als des einzigen Kriteriums von wahr und falsch. Fragt man zunächst, was mit den  Asyndeta  gemeint sei, so kann man im ersten Augenblick versucht sein, im Sinne der allgemeinen Tendenz der aristotelischen Metaphysik an die reine Aktualität der göttlichen Substanz zu denken. Allein der Plural und ganz besonders die sinnliche Bedeutung des Verbums  thigganein  [berühren - wp], sowie schließlich die aristotelische Lehre vom Urteil überhaupt, nötigen unter dem Inhalt des Berührenden die Totalität der Erscheinungsweise der empirischen Einzelsubstanzen zu verstehen. Zudem paßt ja die zunächstliegende Übersetzung jenes Wortes, nämlich "Unverbundenes", ganz gut auf das diskrete Dasein der Einzeldinge, wie es sich der ersten Anschauung darstellt. ARISTOTELES behauptet also, daß das Urteil, welches das Vorhandensein eines in der Wahrnehmung sich aufdrängenden Gegenstandes behauptet, seinem Wesen nach verschieden sei von den übrigen Urteilen, die eine auf Verbindung und Trennung beruhende Bejahung oder Verneinung aussprechen.

Der griechische Philosoph identifiziert somit den Existenzialsatz mit der Wahrnehmung, woraus gewiß niemand, wenn man den damaligen Stand der Psychologie in Betracht zieht, dem großen Denker einen Vorwurf machen wird, und BRENTANO, dem die Lehre KANTs, wonach der Existentialsatz in einem Sinn ein synthetisches Urteil ist, in einem andern nicht ist, "unklar" erscheint, kommt ARISTOTELES' Anschauung sehr gelegen; er findet darin ein einfaches Mittel zu der Radikalkur, dem Existenzbegriff jede Bedeutung der Prädikation abzusprechen.

Um seine Lehre plausibler zu machen, greift BRENTANO noch zu einem anderen Auskunftsmittel. Er will gegen
JOHN STUART MILL
beweisen, daß auch das Sein des Existentialsatzes nichts anderes ist, als ein als Zeichen der Prädikation dienendes Wort wie die Kopula, und sucht (Psychologie Seite 283f) an Beispielen zu zeigen, daß jeder kategorische Satz ohne irgendeine Änderung des Sinns in einen Existentialsatz übersetzt werden kann.
    "Der kategorische Satz  irgendein Mensch ist krank,  sagt BRENTANO, "hat denselben Sinn wie der Existentialsatz  ein kranker Mensch ist  oder  es gibt einen kranken Menschen". 

    "Der kategorische Satz  kein Stein ist lebendig  hat denselben Sinn wie der Existentialsatz  ein lebendiger Stein ist nicht  oder  es gibt keinen lebendigen Stein". 

    "Der kategorische Satz  irgendein Mensch ist nicht gelehrt  hat denselben Sinn wie der Existentialsatz  ein ungelehrter Mensch ist  oder  es gibt einen ungelehrten Menschen". 

    "Der kategorische Satz  alle Menschen sind sterblich  hat denselben Sinn wie der Existentialsatz  ein unsterblicher Mensch ist nicht  oder  es gibt keinen unsterblichen Menschen".  (11)
"Da in den vier Beispielen", fügt BRENTANO erläuternd hinzu, "die sämtlichen vier Klassen von kategorischen Urteilen, welche die Logiker zu unterscheiden pflegen, vertreten sind, so ist die Möglichkeit der sprachlichen Umwandlung der kategorischen Sätze in Existentialsätze dadurch allgemein erwiesen; und es ist deutlich, daß das "ist" und "ist nicht" des Existentialsatzes nicht als ein Äquivalent der Kopula, also kein Prädikat und für sich allein genommen, gänzlich bedeutungslos ist."

Von WINDELBAND, (Beiträge zur Lehre vom negativen Urteil, Straßburger Abhandlungen zur Philosophie, 1884, Seite 183f) darauf aufmerksam gemacht, daß Substanzen und immanente Beziehungsverhältnisse in verschiedener Weise "sind" und daß man bei der tatsächlichen Durchführung von BRENTANOs Theorie Gefahr läuft in einen bedenklichen Hyperrealismus zu geraten, schafft sich BRENTANO in seiner Schrift "Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis" (Leipzig 1889, Seite 57f) dadurch eine Hintertür, daß er den Begriff der kategorischen Urteile spaltet in einfache, streng einheitliche kategorische Urteile, wie sie die formalen Logiker mit  a, e, i, o  bezeichnen, welche alle auf die existentiale Formel zurückgeführt werden können und in Urteile von kategorischem Bau, welche, weil zusammengesetzt nicht auf die Existentialformel gebracht werden können. Die zusammengesetzten Urteile enthalten nach BRENTANO, "wie es die Vieldeutigkeit sprachlicher Wendungen mit sich bringt", eine Vielheit von Urteilen, und in diesem Fall kann die Existentialformel wohl der Ausdruck eines dem zusammengesetzten Urteil äquivalenten, einheitlichen Urteils, nicht aber des zusammengesetzten Urteils selbst werden. Auf die Frage nach der Natur des äquivalenten Urteils gibt BRENTANO keine Antwort; ja er gesteht sogar: "Nicht jeder zusammengesetzte Urteilsakt kann in lauter einfache Elemente aufgelöst werden, wie ja Ähnliches auch bei so manchen Begriffen gilt." (12)

Da also BRENTANO teils im Singular von einem äquivalenten Urteil spricht, über dessen Beschaffenheit aber keinen Aufschluß gibt, teils wiederum von einfachen "Elementen" redet, in welche der zusammengesetzte Satz auflösbar ist, diese Auflösbarkeit aber geheimnisvoll beschränkt, so läßt sich nicht behaupten, daß durch diese neueren Erklärungen seine Verwandlungstheorie klarer geworden ist.

Ja selbst über die Stellung BRENTANOs zur Vorfrage, welches die entscheidenden Kriterien der Unterscheidung des einfachen und zusammengesetzten Urteils sind, läßt sich keine klare Einsicht gewinnen. So bezeichnet er das Urteil "die Rose ist eine Blume" (a. a. O. Seite 59) als ein zusammengesetztes Urteil, das Urteil "irgendein Mensch ist krank" (Psychologie, Seite 285) dagegen als ein einfaches. Das erstere setzt die Anerkennung des Subjekts voraus, also einen Existentialsatz, in welchem die Existenz des Subjekts behauptet wird. Eine unmögliche Zumutung nennt er es aber, wenn man mit HERBART dieses Prinzip auf alle Urteile anwenden will und z. B. sagt, das Urteil "irgendeine Mensch ist krank" enthält stillschweigend die Voraussetzung "wenn es nämlich Menschen gibt". Man vermißt hier, wie man sich auch zur Frage stellen mag, den Aufschluß über die verschiedene Behandlung der Subjekte beider Urteile. Wenn BRENTANO dann schließlich behauptet - es handelt sich um das Urteil "kein Stein ist lebendig" - wenn es keine Steine gäbe, so wäre es sicher ebenso richtig, daß es, wie das "einfache" Urteil besagt, keine Steine gibt, als jetzt, da Steine existieren, so scheint ihm die Blöße der aristotelischen Urteilslehre (13), welche darin besteht, daß sie "die Negation als ein fertiges Faktum naiv aus dem Sprachschatz aufrafft" (PRANTL, Geschichte der Logik im Abendland, Bd. 1, Seite 153) entgangen zu sein (14).

Wenn wir nun im Folgenden die Lehre BRENTANOs über die logische Bedeutung des Seinswortes im Existentialsatz und im Attributivurteil einer Prüfung unterziehen, so beginnen wir am besten mit der Frage, war es nötig und ist es logisch gerechtfertigt, dem Existentialsatz die Alternative zu stellen: entweder ein synthetisches Urteil mit Merkmalaussage oder aber - wenn dies nicht der Fall ist - überhaupt kein kategorisches Urteil? BRENTANO will das "Ist" des Existentialsatzes mit "anerkennen" interpretieren. Rechtfertigt vielleicht dieses "Anerkennen" jene Auffassung, so daß auf grund der aristotelischen Unterscheidung von  kataphasis  [Bejahung - wp] und  phasis  [Erscheinung - wp] die Urteile etwa einzuteilen wären in verstandesmäßige und tatsächliche? Unter den ersteren wären dann solche zu verstehen, bei deren Zustandekommen der Verstandesfunktion eine den Dingen mindestens ebenbürtige und ihnen gegenüber selbständige Bedeutung garantiert ist. Die tatsächlichen hingegen wären solche, bei denen jene subjektive Spontaneität relativ auf Null zusammengeschrumpft wäre.

Der Sprachgebrauch des Wortes "anerkennen", welchen wir zunächst zu Hilfe ziehen, ist für die Bejahung obiger Frage nicht günstig. Einige Beispiele aus Wissenschaft und Praxis mögen dies zeigen. Wenn einem Forscher auf dem Gebiet der sogenannten exakten Wissenschaften eine negative Instanz entgegentritt, so wird er doch, so wenig dieselbe auch zu der bereits bei ihm feststehenden wissenschaftlichen Erkenntnis stimmen will, und so weit sie auch den Trieb redlichen Forschens auf seiner Bahn zurückwerfen mag, die Tatsache - unwillkürlich kommt einem der Ausdruck auf die Zunge - "anerkennen" müssen. Aufgabe der nächsten Zukunft wird es sein, das isolierte Faktum mit dem vorhandenen wissenschaftlichen Bestand in einen erklärbaren Zustand zu bringen. Anerkennen bezeichnet in diesem Fall ein unfreiwilliges Sichbeugen des zum Abschluß drängenden Verstandes unter die Macht der unfertigen Kenntnis der Wirklichkeit. - Ein Lehrer findet die Fortschritte eines Schülers ungenügend, muß aber den Fleiß desselben "anerkennen". In diesem Fall wohnt der Gegensatz in der Brust des Individuums. - Wenn ein Parlamentarier von entgegengesetzter Parteifärbung die politischen Maxime des leitenden Staatsmanns im Grunde des Herzens mißbilligt, gegen die vor aller Augen liegenden Erfolge sich aber nicht verschließen kann, vielmehr dieselben "anerkennen" muß, so ist das offene Ja der Gesamtmeinung in das Aber des Parteimannes getaucht.

Der Untergrund, auf dem sich die Sätze mit "anerkennen in der Regel abspielen, ist demnach eine Interessenkollision (15), und zwar sind die miteinander in Antagonismus liegenden Gegner von ungleicher Stärke, das eine der rivalisierenden Interessen hat gegenüber dem anderen bereits die Oberhand gewonnen oder steht wenigstens im Vordergrund. Der schwächere Gegner erpreßt dem stärkeren wider Willen das Geständnis der Geltung seines Interessenkreises, der letztere jedoch läßt, als gälte es sich für ein erlittenes Unrecht zu rächen, mit allem Nachdruck einer gefühlsmäßigen Erregung seinen Satz mit "aber" auf dem Fuße folgen. Es ist somit klar, daß Sätze mit "anerkennen" - so sehr es auf den ersten Blick scheinen mag - nicht das bloße Resultat einer von außen aufgezwungenen Tatsache, vielmehr die Entscheidung eines im menschlichen INnern ausgerungenen Streites darstellen, also spontaner Natur sind.

Übersetzen wir diesen psychologischen Tatbestand ins Logische, so ergibt sich Folgendes: In den Sätzen mit "anerkennen" nötigt der theoretische Trieb nach Wahrheit, welche Rücksichten auch entgegenstehen mögen, das Bewußtsein zum Bekenntnis, daß eine Tatsache vorhanden ist. Es gibt keine Tätigkeiten des Bewußtseins, in denen der normative Charakter des Denkens und das Aufsichselbstgestelltseins des Wahrheitstriebes deutlicher zutage träte, als in Sätzen mit "anerkennen". Weit entfernt davon, ein kritikloses Jasagen zu einer vom Bewußtsein unabhängigen Wirklichkeit darzustellen, zeigen sie vielmehr den Triumph des theoretischen Wissenstriebes über Gefühls- und Willensrichtungen. Und fassen wir mit RICKERT (Gegenstand der Erkenntnis, Seite 55f) die Anerkennung des logischen Gewissens als charakteristische Funktion jeden Urteils, so bleibt dem Existentialsatz der Charakter des Urteils und dem "Ist" der Charakter des Prädikats gewahrt, und das "Anerkennen" ist somit für BRENTANO zum Verhängnis geworden. (16)

Auf das Charakteristische der Prädikation des Existentialsatzes gegenüber der des Attributivurteils soll erst später eingegangen werden. Nur dies sei hervorgehoben, daß der praktische Bestandteil des Urteils, "die Anerkennung eines Wertes", im Existentialsatz nicht eine Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat beurteilt, sondern die direkte Beziehung der Subjektsvorstellung zum Bewußtsein. Das Sein ist also ein Relationsprädikat.

Von den Logikern stehen unserer Auffassung SIGWART und BERGMANN am nächsten. Auch SIGWART faßt, ebenfalls von KANT ausgehend, das Sein als modales Relationsprädikat auf. (Logik I, Seite 80f) Da er jedoch das positive Existentialurteil wie jedes positive Urteil überhaupt lediglich als eine theoretische Beziehung nimmt, die wertende Tätigkeit des kritischen Verstandes für ihn also nicht in Betracht kommt, so ist es gerade das schlagendste Moment zum Beweis der Prädikation des Existenzwortes, welches seiner Lehre mangelt.

BERGMANN ist der erste, der neben der Vorstellungsbeziehung im Urteil ein "kritisches Verhalten" konstatiert und dadurch die Verwandtschaft wieder aufgezeigt hat, die zwischen den Funktionen des Urteilens und denen des Gefühls und Willenslebens bestehen. Attributivurteile und Existentialsätze sind ihm zwar verschiedene aber "analoge" Weisen des Denkens. "Wie wir", heißt es in dessen "Reiner Logik" (Berlin 1879, Seite 157f), "wenn wir entscheiden wollen, ob ein von uns gesetztes Merkmal  P  mit Recht gesetzt ist, im Gegenstand  S,  auf welchen wir uns beziehen, nach ihm suchen, z. B. nach dem Merkmal "schwer" in einem Stück Blei, als dessen Merkmal wir es vorgestellt haben, so suchen wir, wenn es sich um die Gültigkeit der Setzung eines Gegenstandes  S  handelt, nach ihm in der Welt (bzw. was wir dafür halten)" (vgl. auch BERGMANNs "Grundprobleme der Logik", Berlin 1882, Seite 17).

Wenn jedoch die Unterscheidung von Vorstellung und Urteilsakt BERGMANN zu der Ansicht veranlaßt, "das Sein, dessen Prädizierung in den Existentialurteilen in einer der drei Modalitäten für gültig oder für ungültig erklärt wird, bedeute nichts anderes als die Substantialität (Dingheit, Gegenständlichkeit,  ousia)"  (Reine Logik, Seite 148), so ist darauf zu erwidern: So wenig das Sein etwa nach der Theorie der Abbildlichkeit des naiven Realiskus eine verdoppelung der Wirklichkeit darstellt, oder etwa im aristotelischen Sinne mit der Wahrnehmung unmittelbar zu identifizieren ist, ebensowenig ist es etwas, was in der Subjektsvorstellung oder "in der Anschauung" "vorausgesetzt" wird (vgl. a. a. O. Seite 142); es ist keine bloße kritische Wiederholung der Kategorie der Substanz, sondern etwas ganz neues, etwas, was nicht schon da ist, sondern durch das Urteil erst wird (17). Das Subjekt hat ansich keine Beziehung zu Realität und Phänomenalität, wie BERGMANN (a. a. O. Seite 98) lehrt, man denke nur an historische Persönlichkeiten (z. B. AUGUSTUS), welche empirische nicht mehr erfahrbar sind und für welche also eine solche Scheidung sinnlos ist. Die einzige Voraussetzung ist die psychische Realität des Subjektsbegriffs; es ist dies die Realität im Sinne eines schlechthinnigen Gegebenseins, wie sie auch in KANTs Kategorientafel unter der  Qualität  (18) erscheint. Mit Unrecht polemisiert BERGMANN gegen KANT, weil dieser unter den Kategorien der Modalität statt derjenigen der Wirklichkeit die des Daseins aufzählt (a. a. O. Seite 144f); denn durch die modale Funktion des Existentialsatzes wird die schlechthin gegebene Vorstellung, wie unten noch auszuführen sein wird, dadurch für die Erkenntnis erst fruchtbar gemacht, daß ihre Daseinsweise bestimmt wird.

Schließlich mutet BERGMANN dem modalen Charakter des Seinsprädikats zuviel zu, wenn er in demselben auch die Kategorien der Möglichkeit und Notwendigkeit wirksam sein läßt. Es beruth dies offenbar auf einer Verwechslung der Urteilsfunktion als solcher mit dem ihr zugrunde liegenden Inhalt. Bei letzterem allerdings kommen jene Kategorien in Betracht, doch auch nicht im Existentialurteil selbst, sondern bei der nachkommenden erkenntnistheoretischen Beurteilung.

Gehen wir nun über zu der Frage nach der Möglichkeit einer Verwandlung des Attributivurteils in einen Existentialsatz, wie sie BRENTANO aufstellt, so bleibt uns nur noch, den Gedanken BRENTANOs vom allgemein logischen Gesichtspunkt aus zu prüfen, da wir ja mit der speziellen Durchführung, welche derselben bei seinem Entdecker gefunden hat, uns bereits beschäftigt haben.

Hält man sich nochmals den Hauptunterschied von Attributivurteil und Existentialsatz vor Augen, daß sich bei ersterem der geschlossene Kreis von Beziehungen in der Subjektsvorstellung öffnet, um ein bekanntes und für die Erkenntnis zu fruktizierendes Merkmal heraus- bzw. ein neues hereintreten zu lassen, während bei letzterem die Subjektsvorstellung, wie sie sich gerade im Bewußtsein findet, als geschlossenes Ganzes genommen wird, bedenkt man ferner, daß die Sprache der Ausdruck der Gedanken ist und daß im Großen und Ganzen bestimmte Gedanken auch in bestimmte organische Formen gekleidet auftreten, so macht diese Lehre von BRENTANO von vornherein den Eindruck des Willkürlichen, Mechanischen, Schablonenhaften. Die Funktionsweisen des Attributivurteils und des Existentialsatzes verlaufen inhaltlich vollständig getrennt; die Kopula hat als solche mit dem Begriff der Existenz nichts zu tun. Allerdings bildet - wir berufen uns auch hier auf früher Gesagtes - in jedem Attributivurteil die Existenzweise des Subjektsbegriffs implizit den erkenntnistheoretischen Unterbau, auf dem die Geltung des Urteils beruth. In jedem Attributivurteil ist also ein Existentialurteil vorausgesetzt, nicht aber mitbehauptet. Diese mitgedachte Existenz wird nun, solange man es mit normalen Menschen und mit Wahrnehmungsurteilen, also mit jedermann bekannten Objekten zu tun hat, sprachlich nicht herausgestellt. Nur etwa einem Blinden gegenüber müßte man das Urteil "die Veilchen sind blau" so verdeutschen: es gibt wahrnehmbare Blumen, Veilchen genannt, welche blau sind. Dadurch ist aber nicht das Attributivurteil in einen Existentialsatz verwandelt worden, vielmehr ist dessen Charakter ganz unverändert geblieben; wir haben es eben mit  zwei  Urteilen zu tun,  vor  das Attributivurteil ist der Existentialsatz getreten. Ersterem ist seine Funktionsweise, welche es, wenn es nach BRENTANO ginge, verlieren müßte, ungeschmälert erhalten geblieben. Nicht ein blaues Veilchen wird als existierend bezeichnet, sondern einem existierenden Veilchen wird die Eigenschaft  blau  zugesprochen.

Häufiger als bei Wahrnehmungsurteilen findet sich die existentiale Beziehung des Subjektbegriffs sprachlich ausgeführt bei begrifflichen Urteilen. Begriffe finden ja, wie sie einerseits Stützpunkte des Denkens sind, andererseits ihre logische Stütze nur im Denken, und der irrtumsfähige Mensch empfindet das Bedürfnis diese Normen der geistigen Tätigkeit in kategorischer Fassung sich gegenüberzustellen, zu betonen, daß in der widerspruchslosen denknotwendigen Existenzweise des Subjekts das Prädikat seinen logischen Halt findet. Zum Beispiel hat das Quadrat zwei gleiche parallele Seitenpaare, es gibt kein Quadrat, welches nicht zwei gleiche parallele Seitenpaare hätte, die begriffliche Existenz des Quadrats schließt das kontradiktorische Gegenteil des Prädikats aus. Das Gleiche gilt von empirisch allgemeinen Urteilen, sowie überhaupt von allen, welche im Dienst der Begriffsbildung stehen. Auch bei diesen bildet nicht die unmittelbare Wahrnehmung, sondern durch Enumeration [Aufzählung - wp] erworbene Erfahrungserkenntnis, also ein vorzugsweise geistiges Moment die Bedingung für die Richtigkeit des Prädikats. Zum Beispiel: Alle katzenartigen Raubtiere sind schlau = es gibt keine katzenartigen Raubtiere, welche nicht schlau wären. Einige Quellen sind schwefelhaltig = es gibt schwefelhaltige Quellen oder Schwefelquelle (im Gegensatz zu Stahlquellen). Aber auch von diesen existentialen Formulierungen ist zu bemerken, daß sie nur logisch fundiertere, eindringlichere, zur Warnung für Unkundige aufgestellte Ausdrucksweise des ursprünglichen Attributivurteils sind, dessen spezifischer Charakter unangetastet bleibt.

LITERATUR: Karl Gebert, Bemerkungen zur Theorie des Existentialsatzes, Straßburg 1893
    Anmerkungen
    1) SPINOZA, Ethik, Teil II, Proposition 49: Um dies klar zu verstehen, wollen wir uns einen Jungen denken, der sich ein geflügeltes Pferd vorstellt und sonst nichts weiter wahrnimmt. Da diese Vorstellung die Existenz des Pferdes in sich schließt und der Junge nichts wahrnimmt, was die Existenz des Pferdes aufhebt, wird er zwangsläufig das Pferd als gegenwärtig betrachten; und er wird an dessen Existenz nicht zweifeln können, obwohl er ihrer nicht gewiß ist.
    2) SPINOZA, Ethik, Teil 2, Prop. 49: Denn was ist ein geflügeltes Pferd wahrzunehmen anderes, als vom Pferd Flügel zu bejahen? Wenn der Geist außer dem geflügelten Pferd nämlich nichts weiter wahrnähme, würde er es als gegenwärtig betrachten und hätte keinen Anlaß an seiner Existenz zu zweifeln.
    3) Welche von beiden (2. oder 3.) zuerst stattfindet, involviert keinen logischen, sondern nur einen psycho-genetischen Unterschied.
    4) Wie allgemein menschlich dieser Zug von Verwandlung der entwickelten Sprache, so in Sätzen wie: es ist etwas Schweres, in den Wechselfällen des Lebens stets Gleichmut zu bewahren, statt: es ist  schwer  etc. Das Urteil: dies ist ein Roter, statt: dieser ist rot, zeigt eine eigenartige Vermischung der zwei eben behandelten Entwicklungsgänge. Din dem Satz: Dies ist Franz, verlangt der Begriff der Identität des Individuums mit sich selbst eine Abgrenzung der Gesamtheit seiner Merkmal gegen die Gesamtheit der Merkmale eines andern, schließt also eine Entwicklung im obigen Sinne von vornherein aus. - Zum Schluß mag hier nicht unbemerkt bleiben, daß der gegenwärtige Sprachgebrauch überhaupt die in Rücksicht auf die logische Auffassung des Urteils bedenkliche Tendenz zeigt, die subsumtive Prädikatisform an die Stelle der rein prädikativen zu setzen, z. B. die Wirkung dieses Dramas ist eine erhebende, statt ... ist erhebend.
    5) JOHN STUART MILL, System der deduktiven und induktiven Logik I, Seite 84f (Ausgabe SCHIEL, 4. Auflage)
    6) Ähnlich nennt MILL die Kopula ein "als Zeichen der Prädikation dienendes Wort". - Konsequenterweise macht SIGWART (Seite 124, Anmerkung) darauf aufmerksam, daß auch eine ausdrückliche Betonung der Kopula (wie in dem Beispiel  A ist  der Täter) die Existenz des  A  nicht im mindesten berührt.
    7) Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, Seite 163f.
    8) Vgl. zu der ganzen Frage auch die Abhandlung KANTs "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (Werke II, Ausgabe HARTENSTEIN, Seite 115f).
    9) Allerdings denkt man, wenn man vom Seienden, d. h. der Welt als dem Inbegriff aller Dinge redet, an das Verschiedenartigste. Allein hierbei handelt es sich um "das als seiend Beurteilte oder zu Beurteilende", also um das Subjekt, nicht, wie überall in dieser Untersuchung, um das Prädikat (vgl. auch RICKERT, Der Gegenstand der Erkenntnis, Freiburg, 1892, Seite 82).
    10) Wenn SCHUPPE (Logik Seite 507) bemerkt, im Attributivurteil stehe das Prädikatsnomen zum Begriff der Existenz im Verhältnis der Unterordnung, es sei "eine Spezies dieser Gattung  Existenz  oder der gemeinten Existenzart", so glauben wir oben gezeigt zu haben, daß im Attributivurteil die Existenzart des Subjektbegriffs wohl vorausgesetzt, dessen Prädikat aber in seiner Funktionsweise von derselben völlig unabhängig ist, also nur die Subjektsvorstellung, nicht deren Existenzart determiniert.
    11) Es fällt mir schwer, nicht der Verwunderung Ausdruck zu geben über das Nichtssagende der in diesen Urteilen sich offenbarenden Alltagsweisheit. Mit solchen Beispielen läßt sich allerdings - freilich nicht zum Ruhm der Logik - eben weil sie nichts sagen, alles sagen. Besonders gilt dies von den partikularen Urteilen mit "irgend", die, will man bei ihnen überhaupt etwas denken, nur als Oppositionsurteile zu allgemeinen mit entgegengesetzter Qualität, nicht aber, was ausdrücklich hätte bemerkt werden sollen, als Vorstufe zu allgemeinen zu betrachten sind.
    12) Der Wiener Gelehrte irrt jedoch, wenn er Röte (rote Farbe) für einen zusammengesetzten Begriff hält, der nicht in einen einfachen aufgelöst werden kann. Der Grund der Unauflösbarkeit dieses Empfindungsinhaltes liegt vielmehr gerade in seiner Einfachheit. Farben gehören zu jenen einfachen Bewußtseinselementen, welche deshalb nicht definierbar sind, weil das  genus proximum  sich zu einem Namen für die Summe der einzelnen  specifica  verflüchtigt.
    13) Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, Γ 2, 1003b, 10: "Daher sagen wir auch ein Nichtseiendes  sei  nicht seiend. .
    14) Es ist nicht uninteressant, auch hier dem Gedanken nachzugehen, inwieweit ARISTOTELES die Verwandlungstheorie BRENTANOs, wenn nicht verschuldet, so doch veranlaßt hat. - - - Metaphysik θ IX, 1051b 6: "Wann existiert das, was man das Wahre oder das Falsche nennt, und wann nicht?" Hieraus erhellt sich zunächst die bekannte Tatsache, daß die Logik des ARISTOTELES nicht war, was nachher die Schultradition aus ihr gemacht hat, nämlich eine rein formale Wissenschaft; daß sie vielmehr durchgängig von einer Anzahl erkenntnistheoretischer Voraussetzungen über das Seiende und das Verhältnis des Denkens zu demselben durchsetzt und beherrscht ist, deren oberste etwa zu formulieren wäre: "die Identität der Formen des begreifenden Denkens mit den Beziehungsformen der Wirklichkeit" (WINDELBAND, Geschichte der alten Philosophie, MÜLLERs "Handbuch der Altertumswissenschaft", Bd. V, Seite 261). Das Seiende bildet nach ARISTOTELES eine der absoluten Aktualität zustrebende progressive Reihe metaphysischer Realitäten, deren Wesen der menschliche Verstand in der Wissenschaft dadurch erfaßt, daß er in analoger Weise das Besondere vom Allgemeinen, von der Gattung, abhängig sein läßt, unter diese subsumiert. Die Logik hat die Aufgabe Regeln dafür aufzustellen, daß der innere Prozeß der Vorstellungen mit dem Sein der Dinge übereinstimmt, ihr adäquates Abbild darstellt. Da die Unterordnung unter das Allgemeine sich in Urteilen vollzieht, das Wesen der letzteren aber nach ARISTOTELES in der richtigen Verbindung bzw. Trennung der Subjekts- und Prädikatsbegriffe besteht, so ist eine Behauptung wahr, d. h. es entspricht derselben eine reales Korrelat, wenn die Verbindung oder Trennung im Urteil richtig vollzogen ist. - - - Daraus folgt, daß der Begriff der Wahrheit bei ARISTOTELES in doppelter Gestalt - wenn man will, in ursprünglicher und abgeleiteter - vertreten ist, einmal als unwandelbare metaphysische Norm und dann sekundär im menschlichen Geist, wobei sie in letzterer Gestalt auch verfehlt werden kann. Es hat daher keineswegs prinzipielle, sondern nur eine formelle Bedeutung, wenn der Stagirite [Aristoteles - wp] bald die eine und bald die andere Seite dieses korrelativen Vorgangs mehr betont und das Wahre und Falsche im Urteil das eine Mal mehr als Ausfluß des beurteilenden Verstandes auffaßt, das andere Mal, dem metaphysischen Faktor das Übergewicht lassend, diese Wertprädikate dem "Ist" oder "Ist nicht" unmittelbar innewohnend betrachtet, wobei der Einfluß der Sprache einen nicht zu unterschätzenden Faktor bildet. Man vergleiche die zwei folgenden Stellen "Metaphysik" E 4, 1027b 18: "Was aber im Sinne des Wahren als  seiend  bezeichnet wird und was im Sinne des Falschen als  nicht seiend,  das beruth auf Zusammensetzung und Zerlegung, beides zusammen aber auf einer Teilung des Widerspruchs." und "Metaphysik" Δ 7, 1017a, 31: "Weiter bezeichnet  sein  und  ist,  daß etwas wahr sei, aber das Nichtsein, daß etwas nicht wahr sei, sondern falsch bei Bejahungen ebenso wie bei Verneinungen." - Vgl. hierzu BRENTANO (Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles, Seite 33f). Mit Recht sagt PRANTL, a. a. O. Seite 133f: "Steht Bejahung und Verneinung in eben jener Beziehung zum Wahrsein und Falschsein, welche am objektiven Bestand einer Verbindung oder Trennung gemessen wird, so liegt hierin schon von selbst, daß es zwischen Wahrsein und Falschsein und hiermit zwischen Bejahung und Verneinung nichts Mittleres geben kann, und es fällt daher bei Aristoteles das sogenannte  principium exclusi fertii  [Satz vom ausgeschlossenen Dritten - wp] völlig mit dem sogenannten  principium identitatis et contradictionis  [Satz von der Identität und vom Widerspruch - wp] zusammen." - - - Mit dem Inhalt der angeführten Stellen des ARISTOTELES stimmen nun, rein äußerlich betrachtet, folgende Sätze BRENTANOs fast wörtlich überein: "Die Begriffe der Existenz und Nichtexistenz sind Korrelate der Begriffe der Wahrheit (einheitlicher) affirmativer und negativer Urteile. Wie zum Urteil das Beurteilte, zum affirmativen Urteil das affirmativ, zum negativen das negativ Beurteilte gehört: so gehört zur Richtigkeit des affirmativen Urteils die Existenz des affirmativ Beurteilten, zur Richtigkeit des negativen die Nichtexistenz des negativ Beurteilten; und ob ich sage, ein affirmatives Urteil ist wahr, oder sein Gegenstand ist existierend: ob ich sage, ein negatives Urteil ist wahr, oder sein Gegenstand ist nicht existierend; in beiden Fällen sage ich ein und dasselbe. Ebenso ist es darum wesentlich ein und dasselbe logische Prinzip, wenn ich sage, in jedem Fall ist entweder das (einheitliche) affirmative oder negative Urteil wahr, oder, jegliches ist entweder existeren oder nichtexistierend" (Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis, Seite 76). - - - Trotz dieser äußeren Ähnlichkeit des Standpunktes von BRENTANO mit dem seines großen Gewährsmannes würde man doch irren, wenn man letzteren für die Theorie des ersteren verantwortlich machen wollte. Eine genauere Prüfung zeigt, daß BRENTANO die metaphysische Seite der aristotelischen Lehre auf Kosten der logischen einseitig berücksichtigt und in den Vordergrund geschoben hat. Denn abgesehen von der Heranziehung des nacharistotelischen Elements der Beurteilung hat er zu wenig beachtet, daß ARISTOTELES scharf unterscheidet zwischen Urteilen, wo das  Sein  Kopula ist und solchen, wo es Existenz bedeutet. Die letzteren sind trotz ihrer Form von Attributivurteilen ihrem Wesen nach Existentialurteile; sie bezeichnen, daß ein Ding mit einer Eigenschaft  realiter  zusammenbesteht, bzw. - mit realer Wertung der Negation - ein Ding von einer Eigenschaft realiter fern zu halten ist. Auf diese Urteilte überträgt BRENTANO auch das Wahrheitsprädikat, welches ARISTOTELES nur den Urteilen der Verbindung und Trennung, also den Urteilen mit der Kopula, zuerkennt. ARISTOTELES hat wohl, von der Sprache irregeleitet, neben der logischen Fassung eine metaphysische aufgestellt, letztere aber zur herrschenden zu machen, ist ihm nicht eingefallen.
    15) Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn die streitenden Interessen nicht derselben Betrachtungssphäre, sondern das eine dem theoretischen, das andere dem ethischen Gebiet angehört.
    16) Wenn SIGWART (Die Imponderabilien, Freiburg 1888, Seite 62f) darauf hinweist, daß es bei einem in der Wahrnehmung vorliegenden Gegenstand ebensowenig Sinn hat von "anerkennen" zu sprechen, wie einen Existentialsatz zu gebrauchen, denn der Gegenstand sei einfach da, Objekt des Bewußtseins, ich möge wollen oder nicht, so hat er insofern gewiß recht, als der Existentialsatz wie jedes andere Urteil nur dann eintritt, wenn etwas neues behauptet werden soll oder das Alte zweifelhaft geworden ist. Doch könnte diese Stelle zu dem Mißverständnis verleiten, als ob es sich in dem Fall, wo einmal ein Existentialsatz oder ein Satz mit "anerkennen" gebraucht wird, nur um die Konstatierung eines Bewußtseinsobjekts handelt. Wir müssen uns an dieser Stelle begnügen, vor diesem Mißverständnis zu warnen (vgl. auch weiter unten).
    17) ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, 1139a21; De Anima 431a9
    18) Zeiturteil, als Hauptrepräsentanten der Existentialsätze gefaßt, könnten allerdings auf den ersten Blick dieser Auffassung BERGMANNs einen Schein von Berechtigung geben; vgl. jedoch unten.