p-4F. HillebrandNatorpH. SchmidJerusalemGoedeckemeyer    
 
THEODOR LIPPS
Subjektive Kategorien
in objektiven Urteilen

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"Die Arten des Vorstellens, die den subjektiven Kategorien ihren Sinn und Inhalt geben, sind nichts anderes und können nichts anderes sein als Arten der Setzung."

"Ebensowenig wie Einheit und Mehrheit finden wir Teile im Gegebenen vor, sondern wir machen sie durch die teilenden Setzungen oder durch unser Teilen."


Ein Kapitel über "die subjektiven Kategorien in objektiven Urteilen" sollte ursprünglich in meinen jüngst erschienenen "Grundzügen der Logik" seine Stelle finden. Es wurde dann, weil es zu sehr ins Einzelne zu führen schien, ausgeschieden, bzw. durch einige wenige Sätze ersetzt. Ich gebe nun dieses Kapitel im Folgenden und zwar der Hauptsache nach in seiner ursprünglichen Form. Ich erlaube mir nur einige einleitende und erweiternde Bemerkungen hinzuzufügen, die es nach Möglichkeit für sich verständlich machen sollen. Daß dieselben nicht viel mehr sein können als Wiederholungen aus dem bezeichneten Buch, liegt in der Natur der Sache.


I. Voraussetzungen

1. Das Urteil. Das (vollständige) Urteil ist das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit der Zuordnung eines Bewußtseinsobjektes zu einem anderen. Das Objekt, dem zugeordnet wird, ist das Subjekt, dasjenige, das diesem zugeordnet wird, das Prädikat. Sofern das Subjekt die Zuordnung des Prädikats fordert oder uns nötigt, das Prädikat zu denken, ist das Subjekt (zureichender) Grund des Prädikats, dies seine Folge. Die Beziehung zwischen Urteilssubjekt und Urteilsprädikat oder die im Urteil stattfindende logische Relation, ist also die Beziehung zwischen Grund und Folge. Es kann zugleich hinzugefügt werden, daß es außer der Beziehung zwischen Grund und Folge überhaupt keine spezifisch logische Relation gibt. Auch die kausale Beziehung und die Beziehung der "Inhärenz", die sich bei genauerer Betrachtung als rein logische Relationen darstellen, sind nichts als Arten der Beziehung zwischen Grund und Folge. - Vgl. Gr. d. L. (= Grundzüge der Logik) Seite 32 - 36: Kap. XXf.

2.  Logisches Subjekt.  Nicht das  ganze  Subjekt oder der ganze Inhalt der Subjektsvorstellung braucht Grund des Prädikates zu sein; die Subjektsvorstellung kann auch den Grund des Prädikates nur  in sich enthalten.  Zum Grund des Prädikates gehört nur, was dazu beiträgt, die Prädizierung notwendig zu machen oder was "Bedingung" der Prädizierung ist; der Grund des Prädikates eines Urteils ist die Einheit der Bedingungen der Prädizierung in diesem Urteil. Nun steht dasjenige, was zur Notwendigkeit der Prädizierung nichts beiträgt, ebendamit überhaupt in keiner spezifisch logischen Beziehung zum Prädikat; es gehört also auch nicht zum Urteil als eigentlich logischem Gebilde; es ist nicht Bestandteil des eigentlich logischen, sondern nur des "psychologischen" Subjekts. Das logische Subjekt fällt mit dem Grund des Prädikates zusammen; das eigentliche (logische)  Urteil  reicht so weit, als die Beziehung zwischen Grund und Folge reicht. - Vgl. Gr. d. L. Seite 82 - 84.

3.  Aktuelle und potentielle Urteile.  Jedes aktuelle Urteil ist ein Akt des bewußten (wirklichen oder vermeintlichen) Erkennens. Aber nicht alle Erkenntnis, die wir besitzen, kommt uns in jedem Augenblick in solchen Urteilen zu Bewußtsein. An sich betrachtet besteht unsere Erkenntnis nur in solchen psychischen Tatbeständen, die,  falls  sie zu Bewußtsein kommen, sich als Urteile oder kurz in potentiellen Urteilen darstellen. Solche potentielle Urteile sind insbesondere alle objektiv notwendigen, obzwar im gegenwärtigen Augenblick nicht als objektiv notwendig dem Bewußtsein sich darstellenden Vorstellungsverknüpfungen. Aktuelle Urteile können beliebig viele potentielle Urteile in sich schließen oder voraussetzen. - Vgl. Gr. d. L. Seite 44.

4.  Einfache und mehrfache Setzung.  Voraussetzung allen Urteilens ist die Möglichkeit, ein Mannigfaltiges, das dem Bewußtsein gleichzeitig gegenwärtig ist, zum Gegenstand einer einfachen Setzung zu machen, andererseits die Möglichkeit, eine Mehrheit inhaltlich gesonderter (nicht in einander übergreifender) Setzungen als solche gleichzeitig im Bewußtsein zu haben. Was wir hier "Setzung" nennen, kann auch als einzelner Denkakt oder Akt der Aufmerksamkeit, der Auffassung, der Apperzeption bezeichnet werden. Unserem Bewußtsein stellt sich die Setzung als Beziehung eines Willens- oder "Tätigkeitsgefühls auf ein im Bewußtsein Gegebenes dar, wodurch dieses zusammengefaßt, herausgehoben, in gewisser Art verselbständigt wird. Durch das Bewußtsein solcher Setzungen entstehen für uns erst die selbständigen Objekte des Denkens." - Vgl. Gr. d. L. Seite 129.

5.  Disjunktion.  Eine weitere Tatsache, die hier gleich erwähnt werden muß, besteht darin, daß es Bewußtseinsinhalte gibt, die sich wie  P  und  non-P  zueinander verhalten, d. h. so, daß der eine einem  S  nicht als Prädikat zuerkannt werden kann, ohne daß der andere dem in jeder Hinsicht völlig gleich bestimmten  S  ebendamit aberkannt wird. Solche Bewußtseinsinhalte pflegen als  disjunkt  bezeichnet zu werden. Sie könnten richtiger  disjungierend  heißen. Sie disjungieren, d. h. sie nötigen, falls sie als Prädikate auftreten, zur mehrfachen Setzung eines Subjektes oder nötigen den Subjektsgegenstand in eine Mehrheit auseinandergehen zu lassen. In dieser Nötigung besteht die Tatsache der "Disjunktion".

6.  Disjunktion und Einteilung.  Auch zur Bezeichnung einer Klassen von  Urteilen  verwendet die Logik den Begriff der Disjunktion. Während sie aber, wo sie von disjunkten Vorstellungen redet, unter Disjunktion oder Disjunktheit nur jene Ausschließlichkeit versteht, bezeichnet sie als disjunktive Urteile solche Urteile oder Gefüge von Urteilen, in denen nicht nur eines von mehreren Prädikaten alle anderen ausschließt, sondern auch umgekehrt immer eines der Prädikate gefordert ist, falls die anderen ausgeschlossen sind. Diese Inkonsequenz wollen wir im Folgenden nicht mitmachen, sondern unter Disjunktion nur eben jene Ausschließlichkeit oder Notwendigkeit der Mehrheit von Setzungen verstehen. Die "Disjunktion" im "disjunktiven" Urteil dagegen bezeichnen wir als Einteilung, das "disjunktive" Urteil selbst als divisives oder Einteilungsurteil.


II. Allgemeines

7.  Kategorien.  Unter "Kategorien" verstehen wir hier die Prädikabilien, d. h. die möglichen Urteilsprädikate. Sie sind objektive oder subjektive. Objektive Kategorien sind die möglichen Elemente oder Bestimmungen in oder an vorgestellten Objekten. Subjektive Kategorien dagegen sind Bestimmungen unserer Art Objekte vorzustellen; sie sagen nicht, wie d. h. als was, sondern wie, d. h. in welcher Weise wir Objekte vorstellen oder vorstellen müssen. Hierhin gehören die Kategorien der Einheit, Mehrheit, Ganzheit; der Einzigkeit, Menge, Allheit (Anzahl); der Identität und numerischen Verschiedenheit; der Gleichheit und Ungleichheit (Ähnlichkeit und Unähnlichkeit).

8.  Die subjektiven Grundkategorien.  Die Arten des Vorstellens, die den subjektiven Kategorien ihren Sinn und Inhalt geben, sind nichts anderes und können nichts anderes sein als Arten der "Setzung". Hinsichtlich dieser "Setzung" aber gibt es zunächst nur die beiden Möglichkeiten: daß  eine  und daß eine Mehrheit von Setzungen stattfindet. Die eine Setzung macht das, was wir Einheit von Objekten, die Mehrheit von Setzungen das, was wir Mehrheit in oder von Objekten nennen. Einheit und Mehrheit müssen danach als die subjektiven Grundkategorien bezeichnet werden. In der Tat besagt die "Identität" einer Person mit einer anderen nichts als das, daß die beiden "eine" sind, die numerische Verschiedenheit, daß sie "mehrere" seien; die Gleichheit zweier Gegenstände, etwa hinsichtlich der Farbe, daß die Gegenstände, falls von allen sonstigen Bestimmungen derselben (einschließlich des räumlichen und zeitlichen Außereinander) abgesehen wird, für unser Vorstellen in "einen" zusammenfallen; die Ungleichhit, daß sie auch dann noch auseinandergehalten werden können und müssen, als für unser Vorstellen "mehrere" bleiben.

9.  Subjektivität der subjektiven Kategorien.  Gegen die behauptete Subjektivität der "subjektiven" Kategorien könnte eingewandt werden, es sei doch ein Mannigfaltiges, also eine Mehrheit und es seien nicht minder Einheiten, aus denen es bestehe, dem Bewußtsein unmittelbar gegeben. Indessen nicht darum handelt es sich hier, ob Einheiten und ob eine Mehrheit unmittelbar gegeben sind, sondern worin das  Bewußtsein  der Einheit und Mehrheit besteht. Einheiten und eine Mehrheit sind gegeben, d. h. es sind mögliche Gegenstände des Einheits- und Mehrheitsbewußtseins gegeben; und dies wiederum heißt: es ist etwas gegeben, das ich zum Gegenstand einer, bzw. mehrerer Setzungen machen kann. Was ich nicht in einen gesonderten Akt des Denkens fassen kann, ist für mich niemals eine Einheit; was ich nicht "unterscheiden" oder teilen, d. h. dem gegenüber ich keine mehrfache Setzung vollziehen kann, ist keine Mehrheit, es mag noch so sehr an sich, d. h. für ein anderes Bewußtsein, eine Einheit oder Mehrheit sein. Irgendwo sonst, etwa an den Objekten selbst, als ein Merkmal derselben neben anderen Merkmalen (der Gestalt, Farbe, des Geruchs etc.), die Einheit oder Mehrheit, die Identität oder Verschiedenheit etc. entdecken wollen, hieße Unmögliches versuchen. Auch die räumliche oder zeitliche "Einheit", die "Einheit", die mit der Zusammengehörigkeit gleichbedeutend ist, sind in Wirklichkeit nur Arten der Einheit, die gegenteiligen Bestimmungen Arten der Mehrheit oder Verschiedenheit, sofern sie zur einfachen oder mehrfachen Setzung (gedanklichen Zusammenfassung oder Sonderung) Anlaß geben oder nötigen.

10.  Zwei Gattungen subjektiver Kategorien.  Das oben über die subjektiven Grundkategorien Gesagte hindert nicht, daß die subjektiven Kategorien in zwei wesentlich verschiedene Gattung zerfallen. Ihr Unterschied ist oben schon angedeutet. Die Kategorien der einen Gattung sagen, daß eine einfache oder eine mehrfache Setzung stattfindet, die der anderen, daß sie stattfinden muß, falls wir Bewußtseinsobjekte in bestimmter Weise aneinander messen. Zu jener Gattung gehören die Kategorien der Einheit, Mehrheit, Ganzheit; der Einzigkeit, Menge, Allheit (Anzahl); zu dieser die Kategorien der Identität und numerischen Verschiedenheit; der Gleichheit und Ungleichheit (Ähnlichkeit und Unähnlichkeit). Jene könnten schlechtweg Kategorien der "Setzung", diese Kategorien der "Vergleichung" heißen.

11.  Subjektive Kategorien - I. als rein psychologische.  Dieser Unterschied der Kategorien ist zugleich ein Unterschied der möglichen Anwendung derselben. Die Anwendung der Kategorien der ersten Gattung ist zunächst Sache der Willkür oder des zufälligen Vorstellungsverlaufs. Ich kann die Sterne am nächtlichen Himmel als einzelne Sterne betrachten oder zu diesen oder jenen Figuren zusammenfassen, ohne daß sie darum für mich andere Sterne werden oder die wechselseitigen räumlichen Verhältnisse für mein Bewußtsein sich ändern. Der Unterschied liegt lediglich an meiner zufälligen oder willkürliche Art der Setzung und damit gegebenen Zusammenfassung oder sondernden Heraushebung. Ebenso ist eine Linie für mich  eine  Linie oder ein Aneinander von zwei, drei, vier Linien, je nachdem ich angesichts des meinem Bewußtsein gegebenen räumlichen Mannigfaltigen eine einzige oder mehrere Setzungen vollziehe.

12.  Subjektive Kategorien - II. als ästhetische und praktische.  Die subjektiven Kategorien der ersten Gattung sind dann weiter Bedingungen und damit zugleich Faktoren meines ästhetischen (wertschätzenden) und praktischen (wollenden) Verhaltens. Das Wohlgefallen an der Melodie kann ich nicht in meinem Bewußtsein auf die Melodie beziehen, ohne die Folge von Tönen, aus der sie besteht, in einen Akt der Vorstellung (Setzung) zu vereinigen. Die Melodie ist dann insofern eine ästhetische Einheit. Ebenso ist das Mannigfaltige, das ich zur Einheit eines  Zweckes  vereinige, ebendamit eine  praktische,  bzw. ethische Einheit. In beiden Fällen ist die Art der Setzung nicht willkürlich oder braucht es nicht zu sein; aber sie ist noch rein subjektiv, weil durch meine ästhetische oder praktische Anteilnahme an Bewußtseinsobjekten bedingt oder begründet. Man könnte auch sagen: sie ist nicht sowohl "begründet" als auch "motiviert".

13.  Subjektive Kategorien - III. in subjektiven Urteilen.  Im Gegensatz zu den Kategorien der "Setzung" sind die Kategroen der "Vergleichung", überall wo sie auftreten, mit dem Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit verbunden. Ich kann zwei vorgestellte Objekte, falls ich sie aneinander messe, d. h. sie mir gleichzeitig vergegenwärtige und dabei jedes für sich und zugleich beide mit allen Bestimmungen, die ich ihnen einmal in meiner Vorstellung geliehen habe, festhalte, nicht beliebig oder aus Gründen eines ästhetischen oder praktischen Interesses jetzt identifizieren oder in "eines" zusammenfallen lassen, jetzt auseinanderhalten oder als eine Mehrheit betrachten; sondern ich weiß mich in solchem Identifizieren oder Auseinanderhalten durch die verglichenen Objekte jedesmal schlechthin bedingt. In eben diesem Bewußtsein nun besteht das subjektive Urteil der Identität oder der numerischen Verschiedenheit. Es ist ein  Urteil weil ein Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit und ein  subjektives  Urteil, weil eine subjektive Kategorie sein Prädikat ausmacht.

14.  Subjektive Kategorien - IV. in objektiven Urteilen.  Aber auch hierbei ist die subjektive Kategorie, so lange ich nur willkürlich den Objekten Bestimmungen leihe und sie als mit diesen Bestimmungen vershen aneinander messe, noch nicht durchaus objektiv begründet; sie besitzt noch nicht eigentlich "objektive Bedeutung". Das Dasein eines Identischen oder numerisch Verschiedenen für mein Bewußtsein haftet unter der gemachten Voraussetzung noch an subjektiven Bedingungen; "ich mache" noch das Identische oder numerisch Verschiedene. Es kann aber auch die Anwendung einer subjektiven Kategorie durchaus objektiv begründet, d. h. unabhängig von aller Willkür und zugleich von jeder Art der subjektiven Anteilnahme an vorgestellten Objekten gefordert sein. Dies ist der Fall und zugleich einzig der Fall, wenn subjektive Kategorien Bedingungen der Prädizierung in objektiven Urteilen sind, d. h. wenn Objekte oder Bestimmungen von Objekten, unabhängig von jedem subjektiven Verhalten, als daseien gedacht werden müssen, zugleich aber nicht als daseiend gedacht werden können, es sei denn, daß das zugehörige Subjekt Gegenstand einer bestimmten Art der Setzung ist. Dabei können die objektiven Urteile aktuelle oder potentielle sein. - Das eben Gesagte gilt nicht allein von den "Kategorien der Setzung", sondern von allen hier in Rede stehenden subjektiven Kategorien überhaupt. Indem die subjektiven Kategorien in der bezeichneten Art in die objektive Erkenntnis als Elemente eingehen, nehmen sie selbst in gewisser Weise an der Objektivität Teil. In diesem Sinne reden wir im Folgenden von objektiver Einheit, Mehrheit etc.


III. Die Kategorien "der Setzung".

15.  Einheit und Einzelheit.  Der Begriff der Einheit ist zunächst doppelsinnig. Die Einheit ist qualitative oder quantitative Einheit. Die Einheit des oder eines  Menschen  ist qualitative, die Einheit  eines  Menschen ist eine quantitative Einheit. Jene ist Einheit im engeren Sinne oder Einheitlichkeit; diese Einzelheit oder Einzigkeit. Wir bezeichnen jene Einheit als qualitative, weil sie sagt,  wie  ein Mannigfaches des Bewußtseins gedacht oder gesetzt wird, nämlich einheitlich oder zusammenfassen; wir bezeichnen die Einheit der zweiten Art als quantitative, weil sie jenes "wie" der Setzung, als die einfache (zusammenfassende) Setzung eines Mannigfaltigen oder das Dasein eines einheitlichen Objektes für uns Bewußtsein voraussetzt und sagt,  wie oft  diese Setzung oder die Setzung dieses Objekts geschehe, nämlich einmal. Ein qualitativ Eines oder Einheitliches (als Konkretum) ist ein bestimmtes Mannigfaltiges, das oder sofern es in einen Akt der Setzung vereinigt ist; die Frage, wie oft diese Setzung stattfindet, hat damit nichts oder noch nichts zu tun. "Der Mensch" bleibt dasselbe einheitliche Objekt, wie oft er auch irgendwo als daseiend gedacht werden mag. Das quantitativ Eine oder Einzelne (als Konkretum) dagegen ist das in eine Setzung vereinigte bestimmte Mannigfaltige, also das bestimmte einheitliche Objekt, sofern die Setzun für sich vollzogen oder das Objekt für sich festgehalten wird, nicht andere Setzungen mit ihm zugleich im Bewußtsein gegenwärtig sind. Die Zusammenfassung des Mannigfaltigen zur Einheit des Objekts kommt hier, als vorausgesetzt,  nicht mehr  in Frage.  Ein  Mensch, so kann ich nur sagen, wen es einen  Menschen,  dieses einheitliche Objekt, für mich bereits gibt. Der Unterschied der qualitativen und der quantitativen Einheit läßt sich noch kürzer so bezeichnen: die qualitative Einheit ist die einfache Setzung  angesichts  eines bestimmten Mannigfaltigen; die quantitative Einheit die einfache Setzung  eines  bestimmten Mannigfaltigen. Jene bilde dem entsprechend den Gegensatz zur Mehrheit von Setzungen  angesichts  eines Mannigfaltigen oder zur Mehrheitlichkeit - z. B.: Der Mensch, nicht als Einheit, sondern als Zusammen von Teilen betrachtet -; diese den Gegensatz zur Mehrheit von Setzungen  eines  Mannigfaltigen, d. h. zur Menge, - z. B.: Mehrere Menschen.

16.  Mehrheit und Menge.  Damit ist schon ein dem Doppelsinn der "Einheit" entsprechender Doppelsinn der "Mehrheit" angedeutet. Auch die Mehrheit ist qualitative oder quantitative. Jene ist die Mehrheit im engeren Sinne oder die Mehrheitlichkeit, diese die Menge oder Vielheit. Die qualitative Mehrheit sagt, wie ein Mannigfaltiges des Bewußtseins gesetz wird, nämlich nicht zumal oder in einem Akt, sondern in mehreren sukzessiven, zugleich doch im Bewußtsein neben einander festgehaltenen Akten; die quantitative Mehrheit sagt, wie oft ein Mannigfaltiges von gegebenem Inhalt gesetzt wird, nämlich wiederholt oder mehrmals. Jene ist die Mehrheit  in  einem Mannigfaltigen, so wie es dem Bewußtsein gegeben ist oder die mehrfache Setzung gegenüber einem Mannigfaltigen oder angesichts eines solchen; diese ist die mehrfache Setzung  des  oder  eines  Mannigfaltigen. Ein Beispiel jener ist die verschiedenfarbige Fläche oder auch die Fläche überhaupt, sofern ich, was an der Fläche diese und was an ihr jene Farbe trägt, bzw. was in ihr diesen und was jenen Ort einnimmt, für sich setze oder im Bewußtsein verselbständige; ein Beispiel dafür sind: mehrere oder drei, vier Flächen. "Die Fläche" ist für sich ein mögliches Mannigfaltiges des Bewußtseins; der gesamte Vorstellungsinhalt dagegen, der dem "mehrere Flächen" entspricht, kann im Bewußtsein für sich nicht vorkommen. Ich müßte die Flächen in meiner Vorstellung in irgendwelche räumliche Beziehung setzen; davon aber liegt in den "mehreren Flächen" nichts. Das Mehrheitliche (als Konkretum) enthält demnach mehr, als die Inhalte der Mehrheit von Setzungen zusammengenommen, nämlich außerdem noch die Art, wie diese Inhalte im Mannigfaltigen verbunden sind. Dagegen haben die "mehreren" oder "vielen" damit nichts zu tun. Die qualitative Mehrheit setzt das Mannigfaltige, dem die Inhalte der einzelnen Setzungen  angehören,  voraus; die quantitative Mehrheit dagegen setzt das Mannigfaltige, das den Inhalt der einzelnen Setzungen  bildet  und zugleich die Zusammenfassung dieses Inhaltes in einem Akt der Setzung voraus. Sie sagt, daß eine solche Setzung öfter stattfindet Durch die wiederholte Setzung  entsteht  hier erst ein Gesamtinhalt der Setzungen. Die qualitative Mehrheit als Abstraktum ist die gleiche, wenn Setzungen von gleicher Verschiedenheit des Inhalts vollzogen werden; die quantitative Mehrheit als Abstraktum ist die gleiche, wenn die gleiche Folge von Akten der Setzung vollzogen wird. So ist ein Wald zwar nicht das gleiche Mehrheitliche, wohl aber eignet ihm eine gleich Mehrheitlichkeit, wenn in ihm Eichen und Buch zehn- und wenn sie hundertmal miteinander wechseln: dagegen wäre die Vielheit der Bäume dieses Waldes im letzteren Fall zehnmal so groß als im ersten.

17.  Theilung.  Der Gegensatz der qualitativen und der quantitativen Mehrheit kann noch in anderer Weise näher bezeichnet werden. Jede der gesonderten Setzungen, die innerhalb oder angesichts eines im Bewußtsein gegebenen Mannigfaltigen vollzogen wird, ist eine Teilsetzung, der Inhalt derselben ein "Teil". Ebensowenig wie Einheit und Mehrheit finden wir "Teile" im Gegebenen vor, sondern wir  machen  sie durch die teilenden Setzungen oder durch unser Teilen. Aus einem gegebenen Mannigfaltigen wird für uns ein Mehrheitliches durch unsere Teilung. Dagegen ensteht die Menge durch Addition, d. h. Wiederholung der Setzung eines Objekts. Da Teile ewtas voraussetzen, dessen Teile sie sind, so kann im strengen Sinne nur bei der qualitativen Mehrheit, bei er, wie gesagt, das Mannigfaltige, das geteilt wird, vorausgesezt ist, von Teilen die Rede sein, nicht bei der Menge, bei der vielmehr die wiederholt zu setzenden Einheiten das Ursprüngliche sind. Erst nachträglich, d. h. mit Rücksicht auf die vollogene Folge von Setzungen kann hier, im uneigentlichen Sinne, von Teilen gesprochen werdne. Dann aber sind nicht die Inhalte der einzelnen Setzungen Teile, sondern die Setzungen; uns sie sind nicht Teile eines inhaltlich Mannigfaltigen, sondern eben Teile der Folge von Setzungen. Ein einzelner Mensch ist nicht ein Teil vieler Menschen, sondern nur von der Einheit kann und auch das nur im ungenauen Sprachgebrauch, gesagt werden, sie ei ein Teil der Vielheit.

18.  Ganzheit und Allheit (Anzahl).  Wie die qualitative Einheit und Mehrheit zur quantitativen  Totalität Wir bezeichnen jene als Ganzheit, diese als Allheit. Die Ganzheit ist das abgeschlossene Zusammen von Teilen; die Allheit die abgeschlossene Folge von Setzungen eines bestimmten Objekts. Das Ganze als Konkretum entsteht für unser Bewußtsein, wen in einem Mannigfaltigen oder angesichts eines solchen, eine Mehrheit von Teilsetzungen stattfindet, der Art, daß die Teilsetzungen das Mannigfache erschöpfen, also weder zu einer weiteren Setzung Raum lassen, noch über das Mannigfaltige hinausgehen oder mit einem Wort, wenn ein gegebenes Mannigfaltiges durch Teilsetzungen aufgeteilt oder "eingeteilt" wird. Das setzt voraus, daß das Mannigfaltige zugleich zur Einheit zusammengefaßt, also Gegenstand  einer  Setzung ist. Das Ganze, so können wir demnach auch sagen, ist das Eine oder Einheitliche aus Teilen. Dagegen entsteht die Allheit als Konkretum für unser Bewußtsein, wenn ein bestimmtes Objekt mehrmals gesetzt oder die ein bestimmtes Mannigfaltiges zusammenfassende Setzung mehrmals vollzogen wird und das Bewußtsein hinzutritt, es sei damit die Folge von Setzungen desselben ausgeschlossen. Dabei ist wiederum vorausgesetzt, daß diese Folge von Setzungen zugleich zur Einheit zusammengefaßt sei. Beim Ganzen ist der Gesamtinhalt des Ganzen vorausgesetzt, er  wird  nur  zum "Ganzen"  (aus Teilen) durch die einteilenden Setzungen. Bei der Allheit (als Konkretum) dagegen ist der Inhalt der einzelnen Setzungen vorausgesetzt; es wird daraus die Allheit durch die abgeschlossene Folge von Setzungen. Damit  wird  auch erst der  Gesamtinhalt  der Setzungen. Das Ganze ist immer mehr als die Teile, aus denen es besteht, d. h. es ist außerdem die Art, wie sich innerhalb des Mannigfaltigen die Teile zusammenfügen. Die Allheit als Konkretum dagegen ist  nicht  mehr, sondern ebensoviel als die Einheiten, aus denen sie - genau genommen  besteht,  sondern -  entsteht.  Das Ganze ist das gleiche Ganze, wenn das eingeteilte Mannigfaltige das gleiche ist und die Einteilung nach den gleichen Gesichtspunkten geschieht. Die (konkrete) Allheit ist die gleiche, wenn die gleiche abgeschlossene Folge von Setzungen des gleichen Inhaltes stattfindet.

19.  Allheit und Anzahl.  Die Allheit als Konkretum ist gleichbedeutend mit der Anzahl (im Sinne der  abgeschlossenen  Menge). Die Vorstellung von drei Menschen ist nicht die Vorstellung einer Anzahl, wenn dahingestellt bleibt, ob die Folge von Setzungen (eines Menschen) fortgesetzt werden kann. Dagegen ist die Vorstellung dreier und  nur  dreier Menschen eine Anzahl. Andererseits ist der  Begriff  "drei Menschen" jederzeit ein Anzahlbegriff. Das  Wort  "drei Menschen" fordert ja eben allemal die Setzung dreier und nur dreier Menschen; sein Sinn fordert diese Setzungen und schließt weitere Setzungen aus. Ebendamit bezeichnet dieser Begriff wie jeder Anzahlbegriff eine Allheit: drei Menschen, das sind alle die Menschen, die der Begriff umschließt oder zu setzen fordert. Umgekehrt ist jede konkrete Allheit eine Anzahl; eine im Bewußtsein vollziehbare, soweit die Allheit im Bewußtsein vollziehbar ist. "Alle Menschen überhaupt" sind keine im Bewußtsein vollziehbare Allheit, darum auch kein bewußt vollziehbare Anzahl. Die Allheit ist hier, wie in allen Fällen der  generellen  Allheit, nur der Ausdruck für eine Gesetzmäßigkeit. Alle Menschen sind sterblich, d. h. mit dem Inhalt des Begriffs  Mensch  ist das Merkmal der Sterblichkeit notwendig gegeben. Dafür wäre der logisch richtigere Ausdruck: Der Mensch ist sterblich. Die Allheit - "alle" Menschen - kommt im Bewußtseinsinhalt, den jenes Urteil repräsentiert, tatsächlich nicht vor. Dagegen sind die Menschen, die jetzt in diesem Saal versammelt sind, eine wirkliche Allheit oder Anzahl (abgeschlossene Menge). Ob eine zahlenmäßig oder zahlbegrifflich fixierte Anzahl, das hängt davon ab, ob sie so fixiert, d. h. ob sie gezählt worden ist. Ich habe das Bewußtsein der fraglichen Anzahl, wenn ich Mensch für Mensch im Saal mir vergegenwärtige oder zum Gegenstand einer Setzung mache, wenn ich diese sukzessiven Setzungen im Bewußtsein behalte und es schließlich erlebe, daß keine weitere Setzung dieser Art mehr möglich ist. Versteht man unter einer Anzahl nur die zahlbegrifflich fixierte oder die bezeichnete Anzahl, dann ist das eine speziellere Anwendung des Begriffs der Anzahl, als wir sie hier voraussetzen.


IV. Qualitative Einheit, Mehrheit, Allheit, in objektiven Urteilen.

20.  Die objektive Einheit und das logisch einfache Urteil.  Wir bezeichnen nach dem oben Gesagten die (qualitative) Einheit als objektive, wenn sie durchaus objektiv gefordert oder begründet ist (vgl. 14). Und das ist der Fall, wenn ein Mannigfaltiges Subjekt ist in einem objektiven Urteil, zugleich aber die Zusammenfassung dieses Mannigfaltigen zur Einheit für die Prädizierung notwendige Voraussetzung oder Bedingung ist. Ein solches Urteil nennen wir ein  logisch einfaches Urteil.  Ein Beispiel ist das einfache Benennungsurteil: Dies ist ein Baum. Es ist ein  logisch  einfaches Urteil, weil die Einheit des Subjekts, eben als Bedingung der Prädizierung, mit zum eigentlichen Urteilsakt gehört; wir könnten auch sagen, weil sie ja zum logischen Subjekt gehört, wie oben gesagt, was das Prädikat mitbedint. Der Name  Baum  wird in jenem Urteil dem Mannigfaltigen, das durch das "Dies" bezeichnet ist, mit dem Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit zuerkannt, aber nur dem Mannigfaltigen als Einheit. Die Einheit des Mannigfaltigen des Baumes ist hier eine durch die Benennung oder allgemeiner durch die objektive Tatsache des Sprachgebrauchs geforderte oder geschaffene. Sie ist insofern selbst eine objektive Tatsache; nämlich von der Objektivität, wie sie dem Sprachgebrauch eignet. Daß die Einheit des Baumes auch noch eine andere Art der Objektivität besitzt, ist damit nicht ausgeschlossen.

21.  Das psychologisch einfache Urteil.  Den bezeichneten logisch einfachen Urteilen stellen wir die psychologisch einfachen entgegen. Im psychologisch einfachen Urteil ist das Subjekt nicht minder eine objektive Einheit, aber es wird dazu nicht durch das Prädikat, sondern durch eine im Subjekt schon enthaltene Bestimmung: Das Urteil, "Diese Kugel ist weiß", ist ein einfaches Urteil lediglich darum, weil die Teile der Kugel, denen das Prädikat zukommt, durch den Begriff "Kugel" oder "diese Kugel" zur Einheit verbunden sind. Das Urteil ist logisch kein einfaches, sondern ein mehrfaches: Dieser, jener Punkt der Kugel etc., sie alle sind weiß. Indem das Wort "Kugel" die Punkte zur Einheit zusammenfaßt, vereinigt es zugleich die vielen  Urteile.  Diese Vereinigung hat aber für den Urteilsakt, d. h. die Notwendigkeit der Prädizierung, keine Bedeutung, sondern ist nur eine zu ihm hinzutretende Tatsache. Wir könnten das logisch einfache Urteil auch als  vereinheitlichendes,  dieses psychologisch einfache als (im Subjekt bereits)  vereinheitlichtes  bezeichnen.

22.  Einfache Urteile als Bedingung der objektiven Einheit.  Die Zusammenfassung des Subjektinhalts zur Einheit ist nach dem eben Gesagten Bedingung jedes einfachen Urteils. Sie ist im  logisch  einfachen Urteil Bedingung des  Prädikates.  Umgekehrt ist die Möglichkeit eines logisch einfachen Urteils  Bedingung der objektiven Einheit:  objektive Einheit ist immer Einheit des Subjekts eines möglichen logisch einfachen Urteils. Nur soweit es objektive Prädikate oder Prädikate in objektiven Urteilen gibt, die die Zusammenfassung eines Mannigfaltigen zur Voraussetzung haben, können wir zu dieser Zusammenfassung objektiv oder durch objektive Tatsachen genötigt sein. So ist auch im erörterten  psychologisch  einfachen Urteil: Diese Kugel ist weiß, die Einheit des Subjekts - der Kugel - eine objektive, nur weil dieses Subjekt das potentiell logisch einfache Urteil in sich schließt: Dies ist eine Kugel. Das Prädikat dieses Urteils, der Begriff "Kugel", nötigt mich die Teile der Kugel, die in diesem "Dies" bezeichnet sind, zur Einheit zusammenzufassen; und nur weil es so ist, sind sie für mich eine objektive Einheit. - Es ergibt sich hieraus zugleich, daß objektive Einheit in Urteilen so oft vorkommt, als in ihnen potentielle logisch einfache Urteile enthalten sind. Und das kann in beliebigem Umfang der Fall sein.

23.  Die objektive Mehrheit und das disjungierende Mehrheitsurteil.  Die (qualitative) Mehrheit wird zur objektiven im angegebenen Sinne, wenn die Prädizierung in einem objektiven Urteil eine Teilung oder mehrfache Setzung im Mannigfaltigen des zugehörigen Subjektgegenstandes zur notwendigen Voraussetzung oder Bedingung hat und insofern durch die Prädizierung die mehrfache Setzung "objektiv begründet" ist. Dies geschieht im logisch disjunktiven oder kurz: im disjungierenden Mehrheitsurteil, z. B. diese Fläche ist weiß und rot; wobei dahingestellt bleibt, ob die Fläche außerdem noch andere Farben hat. Das Prädikat des Urteils nötigt mich, sofern es unverträgliche oder disjunkte Bestimmungen in sich vereinigt, zur mehrfachen Setzung im Subjekt oder zur Teilung, noch nicht zur Einteilung -, des Subjektgegenstandes. Mit der Prädizierung, also im Urteilsakt selbst, ist in solchen Urteilen die "Disjunktion" im Subjekt notwendig gegeben. Darum heißen die Urteile "disjungierende". Sie heißen  logisch disjunktive,  weil die Disjunktion im Subjekt Mitbedingung der Prädizierung ist, weil sie also zum logischen Subjekt des Urteils mit dazu gehört.

24.  Das disjungierte Mehrheitsurteil.  Eine ebensolche Disjunktion kann aber auch im Subjekt eines Urteils schon vor dem Vollzug des Urteils, also unabhängig von der Prädizierung und dennoch gleichfalls völlig objektiv gegeben sein. Dann ist das Urteil ein psychologisch disjunktives oder kurz ein disjungiertes Mehrheitsurteil, z. B.: Jene in gewissen Teilen leuchtende Fläche ist die bewegte Meeresfläche. Dort hebt das Prädikat für unser Bewußtsein Teile aus dem Subjekt heraus, hier sind die Teile vor der Prädizierung gegeben. Aber auch im letzteren Falle ist die qualitative Mehrheit nur eine objekte, weil das Subjekt des Urteils - die in gewissen Teilen leuchtende Fläche - ein potentielles disjungierendes Urteil in sich schließt. Die Fläche hat für mich objektive Teile, weil sie sich ausschließende Bestimmungen in sich vereinigt und ich davon weiß. So ist überhaupt die objektive (qualitative) Mehrheit jederzeit notwendige Mehrheit im Subjekt eines aktuellen oder potentiellen disjungierenden Mehrheitsurteils; wie umgekehrt die Kategorie des qualitativen Mehrheit Bedingung jedes disjunktiven Mehrheitsurteils überhaupt ist.

25.  Die Ganzheit und das einteilende Mehrheitsurteil.  Die Ganzheit ist eine "objektive", wenn angesichts eines Mannigfaltigen eine mehrfache, dieses Mannigfaltige einteilende oder aufteilende Setzung (die jedesmal zugleich die einheitliche Setzung dieses Mannigfaltigen voraussetzt) durch das Prädikat eines objektiven Urteils gefordert ist. Das Mannigfaltige ist dann  als  eingeteilte Einheit oder  als  Ganzes logisches Subjekt des Urteils. Solche Urteile nennen wir logisch divisive oder kurz: einteilende Mehrheitsurteil, z. B.: Diese Fläche (oder: Dies hier) ist teils weiß, teils rot.

26.  Das eingeteilte Mehrheitsurteil.  Von den logisch divisiven Mehrheitsurteilen unterscheiden wir wieder die  psychologisch  divisiven oder kurz die (im Subjekt bereits) eingeteilten Mehrheitsurteile, in denen die (objektive) Einheit aus Teilen oder das (objektive) Ganze nicht durch das Prädikat für unser Bewußtsein gefordert wird, also nicht zum logischen Urteilssubjekt gehört, sondern abgesehen von der Prädizierung, also vom Urteilsakt, im Subjekt vorliegt, z. B.: Das Ganze der Farben in diesem Gemälde ist heiter. Wiederumg kann hier der Subjektsgegenstand für mich ein objektives Ganzes sein, nur sofern im Subjekt ein potentielles logisch einteilendes Mehrheitsurteil enthalten ist, sofern also objektive Bestimmungen (die tatsächliche Beschaffenheit des Gemäldes) mich nötigen, verschiedene Farben für sich zu setzen und diese als die Gesamtfärbung erschöpfend anzuerkennen. Die objektive Ganzheit ist also jederzeit notwendige, d. h. vom Prädikat vorausgesetzte Ganzheit oder eingeteilte Einheit in einem möglichen logisch divisiven Mehrheitsurteil. Umgekehrt ist die Kategorie der Ganzheit oder qualitativen Totalität, d. h. die Möglichkeit der einteilenden Setzung angesichts eines Mannigfaltigen, Bedingung jedes divisiven Urteils überhaupt.

27.  Urteile der Einheit, Mehrheit, Ganzheit.  Von den oben einander gegenübergestellten logisch und psychologisch einfachen Urteilen oder den vereinheitlichenden und den (im Subjekt) vereinheitlichten Urteilen, sind noch drittens die Urteile der Einheit, d. h. die Urteile, in denen die Einheit Prädikat ist zu unterscheiden. Wiederum ist dabei unter der Einheit die objektive Einheit verstanden, d. h. die Einheit als abgesehen von jeder Willkür des Vorstellens und jeder Art der subjektiven Anteilnahme an einem Vorgestellten für uns bestehende Tatsache. Da, wie wir sahen, die objektive Einheit jederzeit notwendige, d. h. vom Prädikat geforderte Einheit des Subjekts eines logisch einfachen Urteils ist, so entsteht das Urteil der Einheit und es entsteht nur, indem in einem solchen logisch einfachen Urteil das Prädikat als Bestimmung in das Subjekt aufgenommen wird. In völlig analoger Weise entstehen die Urteile der Mehrheit und Ganzheit, d. h. sie entstehen durch eine entsprechende Umwandlung der logisch disjunktiven bzw. der logisch divisiven Mehrheitsurteile. Zum Beispiel: Dies ist ein Baum:  Dies  ist als Träger des Namens  Baum  eine objektive, d. h. in diesem Fall: durch den Sprachgebrauch gegebene Einheit. Diese Fläche ist weiß und rot: Diese Fläche ist als weiße und rote eine qualitative Mehrheit. Diese Fläche ist teils weiß, teils rot: Diese Fläche, soweit sie weiß und diese Fläche, soweit sie rot ist, oder: die weißen und roten Teile dieser Fläche sind die ganze Fläche.

28.  Begriffliche und sachliche (reale) Einheit etc.  Endlich kann noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß die "objektive" Einheit, bzw. Mehrheit und Ganzheit einen anderen Sinn gewinnt oder einer anderen Sphäre der Objektivität angehört, je nach der Sphäre, der das Urteil angehört, innerhalb dessen sie für unser Bewußtsein ihr Dasein hat. Zunächst könnte hier der Gegensatz der "formalen" oder intuitiven und der "materialen" oder Erfahrungsurteile in Betracht gezogen werden. Das Urteil, das dem Dreieck die Winkelsumme = 2 R zuerkennt, ist ein "formales". Die Einheit des Dreiecks, die hier für das Prädikat vorausgesetzt ist, könnte demgemäß selbst eine formale heißen. Wichtiger indessen ist uns hier die Einteilung der materialen Urteile in Namens- oder Begriffsurteile und in Sachurteile. Die objektive Einheit, ebenso die objektive Mehrheit und Ganzheit kann selbst eine begriffliche oder eine sachliche genannt werden, je nachdem sie Einheit des Inhaltes eines Begriffes oder des Trägers eines Namens oder aber Einheit des Subjektes sachlicher Bestimmungen ist. Wir dürfen sie speziell als reale Einheit bezeichnen, wenn sie Einheit des Realgrundes ist, d. h. der Ursache oder des Substrates von Wirkungen, Eigenschaften, Tätigkeiten. Wie der Realgrund nichts ist, als ein besonderer Fall des logischen Grundes, die kausale Beziehung oder Beziehung der Inhärenz nichts, als ein besonderer Fall der logischen Beziehung oder der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat im Urteil, so ist auch die reale Einheit nichts als eine Art der logischen Einheit, d. h. der durch das Prädikat eines Urteils geforderten Einheit oder einfachen Setzung des Mannigfaltigen des zugehörigen Subjektes. Ein Beispiel einer rein begrifflichen Einheit ist das "Jahrhundert", solange nicht eine Eigenschaft oder eine Leistung aufgezeigt ist, die nur dem Jahrhundert als Einheit zugeschrieben werden darf; andere Beispiele sind: ein Liter, ein Kilometer etc. Eine begriffliche Mehrheit, freilich zugleich durch die einheitliche Bezeichnung zur Einheit zusammengefaßt, liegt im Begriff der historischen Entwicklung (überhaupt) enthalten, sofern dieser Name mich jederzeit nötigt, eine Mehrheit zeitlich und qualitativ unterschiedener Momente oder Phasen der Entwicklung zu unterscheiden. Ein begriffliches Ganzes ist die abgeschlossene Folge der Entwicklungsphasen eines Menschen; womit nicht ausgeschlossen ist, daß sie zugleich eine sachliche Einheit sei. Begriffliche Einheiten oder Zusammenfassungen in die Einheit des Sinnes eines Wortes haben immer umso höheren Wert und sind umso "natürlichere" begriffliche Einheiten, je mehr der begrifflichen Einheit eine sachliche und schließlich "reale" entspricht. Der Mensch, das Volk, der Staat, sind sachliche und genauer reale Einheiten und sie sind es nicht nur in ihrem jetzigen Dasein, sondern zugleich in ihrer Geschichte, soweit ihnen Attribute zukommen, die nicht in einzelnen Elementen des Menschen, des Volkes, des Staatskörpers, noch auch in einzelnen Momenten ihrer Geschichte, sondern in allen diesen Elementen und Momenten zusammengenommen ihren mit Rücksicht auf diese Attritbute  unteilbaren  Realgrund haben, so daß sie erst aus dem Zusammenwirken der Elemente und der ganzen Gegenwart und Vergangenheit der Objekte verständlich werden. Sie sind für mich zugleich ein reales Ganzes oder eine reale Totalität aus Teilen oder Elementen, wenn ich genötigt bin,  die einzelnen voneinander verschiedenen Elemente  im Leben des Menschen, des Volkes, des Staates auf verschiedene Teile oder Faktoren in dem, was ich Mensch, Volk, Staat nenne, als ihre Realgründe zurückzuführen und ich zugleich weiß, daß diese Faktoren das Mannigfaltige, das dir fraglichen Namen bezeichnen, ohne Rest zu konstituieren. Sie sind für mich beides zugleich und in und miteinander, ein reales einheitliches Ganzes oder eine reale gegliederte Einheit, wenn ich, was der Mensch, das Volk, der Staat ist oder leistet, als durch die relativ selbständige Wirksamkeit von Elementen als bedingt erkenne und zugleich bedingt durch das Zusammenwirken aller Elemente oder das Wirken aller Elemente nicht als eines bloßen (abgeschlossenen) Nebeneinander, sondern als einer Einheit oder eines unteilbaren Realgrundes. Solche Erkenntnis wird uns nur in sehr umfassenden Urteilszusammenhängen zu Bewußtsein kommen können. Immer aber sind es Urteile, die diese reale Einheit und Ganzheit für uns zustande kommen lassen. Auch sie ist nichts als eine Weise, wie wir uns in Urteilen zu vorgestellten Objekten vorstellend verhalten müssen. Sie ist die Notwendigkeit, um logischer Relationen willen, zusammenzufassen und zugleich zu teil und einzuteilen.
LITERATUR - Theodor Lipps, Subjektive Kategorien in objektiven Urteilen, Philosophische Monatshefte, Bd. 30, Leipzig 1894