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CHARLES KAY OGDEN (1889-1957)
IVORY ARMSTRONG RICHARDS (1893-1979)
Gedanken, Wörter und Dinge
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Die Macht der Wörter
Die Theorie der Definition
Zeichen in der Wahrnehmung
Symbolismus
  "Wir wollen näher ans Feuer gehen, damit wir sehen können, was wir sagen."
- Die Bubi auf Fernando Poo

Vorbemerkung
Das Buch von OGDEN und RICHARDS, 1923 erstmals erschienen, ist eine Pionierarbeit auf dem Gebiet, das heute, je nach Blickpunkt und Blickweite, Semiologie oder Semiotik, Theorie der Zeichen, der Symbole oder der Kommunikation genannt wird. Die Autoren selbst sprechen von der "Wissenschaft des Symbolismus", deren theoretische wie praktische Hauptaufgabe es sei, den Einfluß der Sprache auf das Denken zu untersuchen.

Der Einfluß der Sprache auf das Denken hat Weise wie Dummköpfe beschäftigt, seit Laotse vor langer Zeit zu dem Schluß kam:
"Wer weiß, spricht nicht; wer spricht, weiß nicht."
In der Tat haben sich auf diesem Gebiet zuweilen die Weisen als die Törichtesten erwiesen. Hat nicht der große BENTLEY, Master des Trinity College zu Cambridge, Erzdiakon von Bristol und Inhaber zweier Pfarreien, erklärt:
"Aufgrund der Personen- und Ortsnamen, die in der Heiligen Schrift vor der Sintflut erwähnt werden, wissen wir - von anderen Argumenten ganz zu schweigen - mit Sicherheit, daß Hebräisch die Ursprache der Menschheit war."
Auf der gegenüberliegenden Seite sind andere Bemerkungen über das Problem von Sprache und Bedeutung zusammengestellt, die, ob klug oder töricht, zumindest Fragen aufwerfen, die früher oder später eine Antwort finden sollten. In jüngerer Zeit wurde auch allgemein zugegeben, daß dieses Problem der Bedeutung existiert und wichtig ist, aber durch unglückliche Umstände wurden die Gelehrten, die sich um eine Lösung bemühten, nur allzuoft dazu gezwungen, ihre Bemühungen aufzugeben - sei es durch hohes Alter, wie LEIBNIZ oder durch Armut, wie C.S. PEIRCE, oder auch durch beides.

Selbst die Methoden, das Ziel anzugehen, sind im Bereich des Zweifels geblieben. Jede wissenschaftliche Disziplin neigte dazu, diese unangenehme Aufgabe an eine andere Disziplin zu delegieren. Mit den Irrtümern und Versäumnissen der Metaphysiker werden wir uns in der Folge ausführlich beschäftigen, und auch die Philologen haben ihren Teil an der Schuld. Und doch war es ein Philologe, der in jüngerer Zeit vielleicht am klarsten die Notwendigkeit eines weiter ausgreifenden Ansatzes erkannte.

"Im Lauf der gesamten Geschichte der menschlichen Rasse", schrieb POSTGATE, "gab es keine Fragen, die mehr Gewissensbisse, Tumulte und Verheerungen verursacht haben, als die der Entsprechung von Wörtern und Fakten. Die bloße Erwähnung von Wörtern wie Religion, Patriotismus und Eigentum genügt, um diese Wahrheit zu beweisen. Nun ist die Untersuchung des Wesens der Entsprechung zwischen Wort und Faktum, um diese Begriffe im weitesten Sinne zu verwenden, das eigentliche und höchste Problem der Wissenschaft von der Bedeutung.

Daß jedes lebendige Wort in Fakten unseres geistigen Bewußtsein und unserer Geschichte wurzelt, ist schlechterdings nicht zu bestreiten; etwas ganz anderes ist es aber, herauszufinden, welches diese Fakten sind. Die primitive Vorstellung ist zweifellos die, daß der Name ein Ding bezeichnet oder beschreibt. Woraus sofort folgen würde, daß man aus dem Vorhandensein eines Namens auf die Existenz des Dinges schließen kann. Das ist die einfache Vorstellung des Wilden."
Bei seiner Betonung der Notwendigkeit einer klaren Analyse der Beziehung zwischen Wörtern und Fakten als des Kerns einer Theorie der "Bedeutung" war sich POSTGATE selber völlig im klaren, daß es an einem bestimmten Punkt kein Ausweichen vor den philosophischen und psychologischen Aspekten dieser Theorie gibt. Als er (im Jahre 1896) seine Gedanken niederlegte, war die Hoffnung nicht abwegig, daß die Semantik einiges dazu beitragen würde, die Kluft zu überbrücken. Aber wenngleich BRÈALs Forschungen die Aufmerksamkeit auf eine Reihe faszinierender Phänomene in der Sprachgeschichte lenkten und neues Interesse an den erzieherischen Möglichkeiten der Etymologie wachriefen, war das Gesamtergebnis doch enttäuschend.

Daß die Enttäuschung unvermeidlich war, wird deutlich, wenn wir die Einstellung zur Sprache betrachten, wie sie in einem Zitat wie dem nachfolgend angeführten zum Ausdruck kommt. Die Verwendung von Wörtern, als sei ihre Bedeutung feststehend, die fortwährende Heranziehung vager Metaphern, die Hypostasierung [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] maßgeblicher Termini: all das zeigt eine Einstellung, die für eine methodische Untersuchung der Frage ungeignet ist:

"Substantive sind Zeichen, die Dingen angeheftet werden; sie enthalten genau den Betrag an Wahrheit, den ein Name enthalten kann, einen Betrag, der im Verhältnis zur Wirklichkeit des Objektes notwendigerweise klein ist. Seinem Objekt am meisten gemäß ist das abstrakte Hauptwort, da es eine einfache geistige Operation darstellt. Verwende ich die beiden Wörter Komprimierbarkeit, Unsterblichkeit, so findet sich alles, was in der Idee zu finden ist, auch in dem Wort.

Nehme ich hingegen eine wirkliche Entität, ein in der Natur existierendes Objekt, so kann die Sprache unmöglich in das Wort alle Ideen einbringen, welche diese Entität, dieses Objekt im Geist wachruft. Die Sprache ist deshalb gezwungen, zu wählen. Von all den Ideen kann sie nur eine einzige auswählen; sie schafft damit einen Namen, der binnen kurzem zu einem bloßen Zeichen wird.

Damit dieser Name akzeptiert wird, muß er zweifellos ursprünglich ein nach der einen oder andern Seite wahres und auffallendes Charakteristikum besitzen; er muß den Geist derer zufriedenstellen, denen der Name zuerst vorgelegt wird. Aber diese Bedingung ist nur zu Beginn zwingend. Ist der Name einmal akzeptiert, so löst er sich schnell von seiner etymologischen Signifikation; andernfalls könnte diese zu einer unbequemen Last werden.

Viele Objekte tragen einen unzutreffenden Namen, sei es infolge der Unwissenheit der ursprünglichen Benenner, sei es durch eine später eingreifende Veränderung, welche die Harmonie zwischen dem Zeichen und dem bezeichneten Ding stört. Trotzdem erfüllen die Wörter den gleichen Zweck, wie wenn sie von fehlerloser Genauigkeit wären. Niemand kommt auf den Gedanken, sie zu revidieren. Sie werden in einem stillschweigenden Einverständnis akzeptiert, dessen wir uns nicht einmal bewußt sind." (BRÉAL, Semantics)
Was soll man damit anfangen: Substantive, die Wahrheit "enthalten", "den Betrag an Wahrheit, den ein Name enthalten kann"? Wie kann sich "alles, was in der Idee zu finden ist, auch in einem Wort" finden? Die Vorstellung, daß die Sprache "gezwungen ist, eine Idee auszuwählen", und damit "einen Namen, der binnen kurzem zu einem bloßen Zeichen wird", schafft, ist höchst seltsam; und "Genauigkeit" und "Harmonie" bedürfen dringend einer genauen Erläuterung, wenn man sie für die Benennung bzw. für das Verhältnis zwischen Zeichen und Ding verwendet.

Das ist keine bloße Krittelei. Die beanstandeten Wendungen verhüllen gerade die Fakten, deren Aufklärung der Sprachwissenschaft obliegt. Die wirkliche Aufgabe, vor der diese Wissenschaft steht, kann nicht mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden, wenn man sich der Gefahren solch unpräzisen Sprachgebrauches nicht sehr viel kritischer bewußt ist.

Es ist unmöglich, einen wissenschaftlichen Gegenstand mit so metaphorischen Begriffen zu behandeln, und die Ausbildung der Philologen trägt in der Regel nicht zu einer besseren Beherrschung der analytischen und abstrakten Sprache bei. Der Logiker würde in dieser Hinsicht über ein viel besseres Rüstzeug verfügen, wäre da nicht der Haken, daß seine Beherrschung der Sprache ihm häufig verbirgt, worüber er eigentlich spricht, und ihn dazu verleitet, rein linguistische Konstruktionen, die für seine speziellen Zwecke durchaus dienlich sind, als letzte Aussagen zu akzeptieren.

In der ganzen westlichen Welt herrscht die übereinstimmende Meinung, daß die Menschen häufig zusammenkommen sollten und daß es nicht nur angenehm ist, zu sprechen, sondern daß es ein einfaches Gebot der Höflichkeit ist, etwas zu sagen, selbst wenn kaum etwas zu sagen ist. "Jeder zivilisierte Mensch", sagt MAHAFFY, dessen Principles of the Art of Conversation wir diese Beobachtung verdanken, "empfindet diese Pflicht oder sollte sie empfinden; es ist die universelle Fertigkeit, die alle üben müssen"; wer darin versagt, den bestraft die Gesellschft durch Abneigung oder Nichtbeachtung.

Zweifellos ist es eine Kunst, etwas zu sagen, wenn nichts zu sagen ist, aber ebenso sicher ist es eine - und zwar nicht weniger wichtige - Kunst, klar zu sagen, was man sagen möchte, wenn Stoff in Überfülle vorhanden ist; und Konversation wird selten auch nur das Niveau eines geistigen Zeitvertreibs erreichen, wenn nicht auch zureichende Methoden der Interpretation verfügbar sind.

Symbolismus ist die Untersuchung der Rolle, die die Sprache und Symbole aller Art im Leben der Menschen spielen, und insbesondere des Einflußes auf das Denken, der von ihnen ausgeübt wird. Er befaßt sich speziell damit, auf welche Weise Symbole uns beim Nachdenken über Dinge helfen oder behindern.

Symbole lenken und organisieren, registrieren und teilen mit. Wenn wir feststellen wollen, was sie lenken und organisieren, registrieren und mitteilen, müssen wir stets zwischen Gedanken und Dingen unterscheiden. (1) Was gelenkt und organisiert wird, ist der Gedanke (oder, wie wir gewöhnlich sagen werden, der Bezug (reference), und der Gedanke ist es auch, der registriert und mitgeteilt wird.

Aber genauso, wie wir wissen, daß der Gärtner den Rasen mäht, obgleich wir wissen, daß es in Wirklichkeit der Rasenmäher ist, der das Gras schneidet, sagen wir auch, daß die Symbole Geschehnisse aufzeichnen und Fakten mitteilen, obwohl wir wissen, daß die unmittelbare Beziehung der Symbole die mit dem Gedanken ist.

Durch die Auslassung wesentlicher Elemente der Sprachsituation schaffen wir leicht Probleme und Schwierigkeiten, die verschwinden, wenn die ganze Transaktion im einzelnen genauer betrachtet wird. Wie heute jedermann weiß, "bedeuten" Wörter als solche nichts, obwohl der Glaube, sie täten es, früher einmal genauso allgemein akzeptiert wurde. Erst wenn ein Denkender sich ihrer bedient, stehen sie für etwas und haben, in einem bestimmten Sinn, eine "Bedeutung". Sie sind Instrumente.

Aber außer dieser bezugnehmenden Verwendung, die bei jedem reflektierenden, geistigen Gebrauch der Sprache absolut vorrangig sein sollte, haben Wörter auch noch andere Funktionen, die man zusammenfassend emotionale nennen kann. Sie lassen sich am besten untersuchen, wenn der Rahmen des Problems der strikten Aussage und der geistigen Mitteilung festgelegt ist. Die Bedeutung der emotionalen Aspekte der Sprache wird damit nicht vermindert, und jeder, der sich überwiegend mit der Volkssprache oder der primitiven Sprache befaßt, könnte leicht geneigt sein, diese Reihenfolge umzukehren.

In der Tat zwingen uns viele Schwierigkeiten, die sich - selbst unter Wissenschaftlern - aus dem Verhalten von Wörtern im Gespräch ergeben, schon im Anfangsstadium dazu, diese "nicht-symbolischen" Einflüsse zu berücksichtigen. Aber für die Analyse der verschiedenen Sinne von "Bedeutung", mit denen wir hier in der Hauptsache befaßt sind, ist es wünschenswert, daß wir mit den Beziehungen zwischen Gedanken, Wörtern und Dingen beginnen, wie wir sie in den Fällen reflektierter Rede antreffen, die nicht durch emotionale, diplomatische oder sonstige Störungen kompliziert werden; und hinsichtlich dieser Fälle ist die Indirektheit der Beziehungen zwischen Wörtern und Dingen das Merkmal, das zuerst unsere Aufmerksamkeit verdient.

Es mag unnötig erscheinen, zu betonen, daß zwischen, sagen wir, dem Wort "Hund" und gewissen häufig auf unseren Straßen anzutreffenden Objekten kein direkter Zusammenhang besteht, und daß der einzige wirkliche Zusammenhang darin besteht, daß wir dieses Wort verwenden, wenn wir das Tier meinen. Wir werden jedoch feststellen, daß die Vereinfachung, für welche diese früher allgemein akzeptierte Theorie der direkten Bedeutungsbeziehungen zwischen Wörtern und Dingen typisch ist, der Ursprung fast aller Schwierigkeiten ist, auf die das Denken stößt.

Wie sich später noch zeigen wird, ist es weitgehend auf die Bedingungen der Kommunikation zurückzuführen, daß derartige Vereinfachungen die Macht haben, Konfusionen und Behinderungen hervorzurufen. Die Sprache muß, soll sie für den Gebrauch tauglich sein, ein leicht verwendbares Instrument sein. Handlichkeit und leichte Anwendbarkeit einer Wendung sind dafür, ob sie in weitem Umfang genutzt wird, stets entscheidender als ihre Genauigkeit. So wird ein Kürzel wie das Wort "bedeutet" fortwährend so angewendet, als ob es eine direkte, einfache Beziehung zwischen Wörtern und Dingen, Phrasen und Situationen gäbe.

Könnte man solche Beziehungen zugeben, dann gäbe es natürlich kein Problem hinsichtlich des Wesens der "Bedeutung", und die große Mehrheit der bisher mit diesem Problem Befaßten, die sich auf eine diesbezügliche Erörterung nicht einlassen wollten, hätte recht. Aber durch die Ablehnung der allgemein üblichen Symbolisierungen und die Versuche, genauere Bezeichnungen an ihre Stelle zu setzen, sind so viele interessante Entwicklungen in der Wissenschaft in Gang gekommen, daß die naive Theorie, "Bedeutung" sei eben einfach nur "Bedeutung", gegenwärtig keinen Anklang mehr findet.

In der Regel braucht es neue Fakten, die in auffallendem Widerspruch zu den akzeptierten Erklärungen anderer Fakten stehen, bevor solche kritischen Analysen von Vorstellungen unternommen werden, die allgemein als einfach und befriedigend angesehen werden. Das war bei den Revolutionen in der Physik in jüngerer Zeit der Fall. Aber ferner bedurfte es eines nachhaltigen Widerstands dagegen, etwas notwendigerweise Unentdeckbares zu postulieren, bevor beispielsweise die einfache, natürliche Vorstellung der Gleichzeitigkeit als einer zweigliedrigen Beziehung in Frage gestellt wurde.

Einem solchen In-Frage-Stellen jedoch ist die Relativitätstheorie zu verdanken. Die nämlichen beiden Motive - neue, diskrepante Fakten und die Abneigung obskure Entitäten einzusetzen, um mühsam Erklärungen auszudividieren - haben auch in der Psychologie Unruhe hervorgerufen, obwohl hier die erforderlichen Neuformulierungen bisher noch fehlen. Bis jetzt hat noch keine kopernikanische Revolution stattgefunden, obwohl mehrere solcher Revolutionen fällig sind, wenn die Psychologie mit den Nachbardisziplinen gleichziehen will.

Es ist jedoch bemerkenswert, daß die neueren Bewegungen in der Psychologie sich hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, mit Fühlen und Wollen befaßten. Der Erfolg, den die Psychoanalyse in der Öffentlichkeit hat, lenkte die Aufmerksamkeit von dem älteren Problem des Denkens ab. Aber insofern ein Fortschritt auf diesem Gebiet Folgen für alle anderen Wissenschaften und für die ganze Methodik der Psychologie selbst hat, ist dieses zentrale Problem des Wissens oder der "Bedeutung" vielleicht ein lohnenderer Forschungsgegenstand und führt eher zu neuen Orientierungen als alle anderen Probleme. Und wie die Behavioristen sehr richtig dargelegt haben, ist diese Frage eng mit dem Gebrauch von Wörtern verknüpft.

Das Problem der Bedeutung jedoch verlangt, weit mehr als andere Probleme wie etwa die der Physik, eine gründliche Erforschung der Sprache. Jeder große Fortschritt in der Physik geschah auf Kosten einer allgemein akzeptierten metaphysischen Erklärung, die in einem bequemen, allgemein verwendeten symbolischen Kürzel wie in einem Schrein eingeschlossen war. Aber die Verwirrung und Behinderung aufgrund solcher Kürzel-Ausdrücke und der naiven Theorien, die von ihnen geschützt und am Leben erhalten werden, ist in der Psychologie und besonders in der Wissenstheorie größer als auf anderen Gebieten; weil kein anderes Problem so sehr mit sogenannten metaphysischen Schwierigkeiten behaftet ist - die hier, wie stets, darauf zurückgehen, daß man eine Frage mit Hilfe von Symbolen angeht, ohne deren Funktionen zuvor erforscht zu haben.

Wir müssen nun genauer untersuchen, welche Ursachen und Wirkungen Symbole haben. Welche Dienste auch die Symbolisierung, neben dem Bewahren und Festhalten, sonst noch leisten mag: alle Erfahrung zeigt, daß sie auch Schaden stiftet. Die gröberen Formen verbaler Konfusion sind seit langem erkannt; den subtileren und häufigeren Formen dagegen wurde bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

In den folgenden Kapiteln werden wir viele Beispiele dafür anführen, großenteils aus dem Bereich der Philosophie, weil hier derartige Konfusionen im Laufe der Zeit am deutlichsten sichtbar werden. Wir werden die Wurzel des Übels auf den Aberglauben zurückverfolgen, Wörter seien irgendwie ein Teil der Dinge oder implizierten stets ihnen korrespondierende Dinge, und werden historische Beispiele für diesen noch immer mächtigen, instinktiven Glauben aus vielen Quellen beibringen.

Worte sind, soweit sie sich nicht unmittelbar mit Gesten verbünden und auf sie stützen können, gegenwärtig ein sehr unvollkommenes Kommunikationsmittel. Selbst im privaten Denken ist der Gedanke häufig bereit hervorzutreten und wird nur durch die Unzuverlässigkeit seines natürlichen Symbolismus zurückgehalten; und was die Unterhaltung angeht, wird die erworbene Spielbreite fortwährend allen deutlich, die den ernsthaften Versuch machen, Meinungen zu vergleichen.

Wir haben hier nicht die üblicheren und bekannteren Formen der Täuschung durch Worte im Auge. In einem späteren Kapitel, wo die Funktion der Sprache als Instrument zur Verfolgung bestimmter Zwecke im Gegensatz zur ihrer Funktion als Mittel zur Symbolisierung von Bezügen ausführlich erörtert wird, werden wir sehen, wie die Absicht des Sprechers die Situation komplizieren kann.

Voll ausgeschöpft wurden diese Möglichkeiten zu allen Zeiten durch Interpreten der Heiligen Schrift, die am Besten beider Welten teilhaben wollten. Hier zum Beispiel ein Musterstück der Exegetik des seligen Dr. LYMAN ABBOTT, Pastor, Publizist und Redakteur, das dank UPTON SINCLAIR bereits klassisch geworden ist. Verdammt das Christentum die Praktiken der Hochfinanz des 20. Jahrhunderts? Zweifellos gibt es da ein paar unbequeme Worte in den Evangelien, aber mit ein bißchen "Interpretation" schafft man das leicht.

"Jesus sagte nicht: "Sammelt keine Schätze auf Erden." Er sagte: "Sammelt keine Schätze auf Erden, wo die Motten und der Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und sie stehlen." Und kein vernünftiger Amerikaner tut das. Motten und Rost gelangen nicht an die Ölquellen Mr. Rockefellers, und nur selten gelingt es Dieben, durch Einbruch eine Eisenbahn zu stehlen. Was Jesus verdammte, war die Hortung von Reichtümern."
Jede Geldanlage, jeder weltliche Erwerb muß deshalb, einem der führenden Theologen der Neuen Welt zufolge, nach Lage des Falles gesondert beurteilt werden. Es gibt keine Pauschalregel. Wenn einmal Motten und Rost durch die wissenschaftlichen Errungenschaften ausgeschaltet sein werden, wird es für den christlichen Geldanleger vermutlich kein Problem mehr geben; bis dahin jedoch kommt offenbar Kampferöl den Erfordernissen der Evangelien am nächsten. Die Einbrecher hegen keine Vorliebe dafür; Motten meiden es wie die Pest; und das Risiko des Rostens ist vollkommen ausgeschaltet.

Eine andere, damit sehr verwandte Variante verbaler List ist die bewußte Verwendung von Symbolen, um den Hörer irrezuführen. Allgemein bekannt sind die Entschuldigungen für ein solches Vorgehen im Falle des Irren, dem wir verheimlichen wollen, wo sein Rasiermesser ist; aber auch eine umfassendere Rechtfertigung ist unternommen worden.

In der christlichen Ära hören wir von "Urkundenfälschungen, Erfindung von Legenden und sonstigen Fälschungen aller Art, die die katholische Kirche geradezu zu einem Sitz der Lüge machten." (WESTERMARCK) Ein Wortspiel, bei dem der Sprecher selbst den einen Sinn meint, das aber nach seiner Absicht vom Hörer im andern Sinn aufgefaßt werden soll, war erlaubt. ALFONSO de LIGUORI, der im 19. Jahrhundert seliggesprochen wurde, unterschied sogar drei Arten von Zweideutigkeiten, die angewandt werden dürften, wenn ein guter Grund vorliege; als guter Grund galt dabei "jedes ehrenhafte Ziel, wie etwa das, unsere geistlichen und weltlichen Güter zu behalten."

Im 20. Jahrhundert hat die Erstarkung des militanten Nationalismus weitere "gute Gründe" beigebracht; der militärische Kodex versteht alle Transaktionen mit feindlichen Nationen und Einzelpersonen als Teil des Prozesses, geistliche und weltliche Güter zu bewahren. Im Krieg werden Worte zu einem normalen Bestandteil des Täuschungsapparates; Lord WOLSELEY hat die ethischen Regeln dieser Situation treffend zusammengefaßt:

"Wir werden nicht müde werden, zu verkünden, daß Ehrlichkeit die beste Politik ist und daß am Ende immer die Wahrheit siegt. Diese wohlklingenden Sätze sind für das Merkheft eines Schulkindes sehr geeignet, aber der Mann, der im Kriege nach ihnen handelt, würde besser sein Schwert für immer in die Scheide stecken lassen."
Die Griechen waren, wie wir noch sehen werden, in mancher Hinsicht nicht weit von der Einstellung des Primitiven zu Worten entfernt. Und es überrascht nicht, wenn wir lesen, daß nach dem Peloponnesischen Krieg die Wortmaschinerie des Friedens völlig aus den Fugen geraten war und - wie THUKYDIDES sagt - nicht wieder zum Funktionieren gebracht werden konnte:
"Die Bedeutung der Worte hatte nicht mehr die gleiche Beziehung zu den Dingen, sondern wurde von den Menschen nach ihrem Gutdünken verändert."
Die Griechen waren machtlos, mit einer solchen Situation fertig zu werden. Wir in unserer Weisheit haben, so scheint es, Institutionen geschaffen, die uns noch machtloser machen. (2)

In weniger gigantischem Maßstab läßt sich die Technik der bewußten Irreführung mit Nutzen studieren, um Gegenmaßnahmen treffen zu können. Bei seiner Besprechung von NEWMANs Grammar of Assent hatte Dr. E.A. ABBOTT Gelegenheit, den Prozeß der "Lubrikation" zu schildern, die Kunst, den Fortgang von den Prämissen zur Schlußfolgerung zu "schmieren", derer sich sein oben zitierter Namensvetter so geschickt bedient. Um gut zu "schmieren", sind verschiedene Qualifikationen notwendig:

"Als Erstes eine differenzierte Unterscheidung von Wörtern, die es erlaubt, leicht und natürlich eine große Zahl von subtil abgestuften Feststellungen vorzubringen, die in Abschattierungen gewissermaßen von der Behauptung X ist weiß bis zu der Behauptung X ist schwarz fortschreiten. Als Zweites seine überzeugte und absolute Verachtung der Logik und der Worte ... Und was sind Worte anderes als Spielzeuge und Süßigkeiten für groß gewordene Kinder, die sich Männer nennen?"
Aber selbst dort, wo die tatsächlichen Bezugsobjekte nicht zweifelhaft sind, wird kaum hinreichend erkannt, wie verbreitet die Übung ist, die Macht der Worte nicht nur für bona-fide Kommunikation zu benutzen, sondern auch als Methode der Irreführung; und so wie die Welt heute ist gerät der naive Interpret leicht in die Gefahr, bei vielen Anlässen irregeführt zu werden, wenn er die Existenz dieses unerfreulichen Zuges übersieht, der in allen Klassen und Schichten - ohne Unterschied der Rasse und Religion, des Geschlechts und der Farbe - so stark ausgeprägt ist.

Aber wenn unsere sprachliche Ausrüstung auch unzuverlässig ist, so ist sie nichtsdestoweniger unentbehrlich; und eine andere komplette Ausrüstung würde nicht notwendigerweise eine Verbesserung bedeuten, selbst wenn sie zehnmal so umfangreich wäre. Nicht immer sind es neue Wörter, die notwendig sind, sondern ein Mittel, sie als Symbole unter Kontrolle zu halten, ein Mittel, ohne weiteres zu erfassen, worauf in der Welt sie jeweils, wenn sie benutzt werden, bezogen sind - und eben das sollte eine zulängliche Theorie der Definition bereitstellen.
weiter
LITERATUR - C.K. Ogden / I.A. Richards, Die Bedeutung der Bedeutung (Eine Untersuchung über den Einfluß der Sprache auf das Denken und über die Wissenschaft des Symbolismus), Ffm 1974
    Anmerkungen
  1. Das Wort "Ding" ist für die hier unternommene Analyse ungeeignet, weil es im allgemeinen Sprachgebrauch auf materielle Substanzen beschränkt ist - ein Umstand, der die Philosophen bewogen hat, die Termini Entität, ens oder Objekt als allgemeine Bezeichnung für alles, was ist, zu bevorzugen. Es erschien deshalb wünschenswert, einen terminus technicus einzuführen, der für alles steht, woran wir denken oder worauf wir Bezug nehmen. Objekt hat, obwohl das seine ursprüngliche Verwendung ist, eine unglückliche Geschichte gehabt. Wir haben deshalb das Wort Referent (Bezugsobjekt) gewählt, obgleich seine etymologische Form fragwürdig ist, wenn sie in Beziehung zu anderen Partizipialformen wie Agent oder Kontrahent gesehen wird.
  2. Wie C. E. Montague sehr treffend sagt: "Das einzig Neue an der Täuschung im Krieg besteht darin, daß der moderne Mensch über vollendetere Mittel dazu verfügt. In seiner Hand ist sie zu einer Trompete geworden, die selbst die Gideons an Wirksamkeit übertrifft... Als Gegenstück zum Maschinengewehr, mit dem er jetzt seine Kugeln abfeuert, hat er die Presse zur Hand, mit der er den Feinden mit Breitseiten von nicht existierenden Dingen eindeckt."
    War das nur eine vorübergehende Anwendung der modernen Technik der Irreführung, und verschwindet diese Gewohnheit mit der Rückkehr zum Frieden wieder? Das ist nicht der Fall, sagt Montague. "Jede Waffe, die man im Krieg anwendet, läßt eine Rechnung offen, die im Frieden beglichen werden muß, und die Propagandawaffe kostet ihren Preis wie jede andere". Die Rückkehr der Techniker der Wortmaschine auf ihre zivilen Posten ist eine Rückkehr im Triumph, und ihre Wirkungen werden noch auf viele Jahre in all den Ländern zu spüren sein, in denen die Macht des Wortes über die Massen alles andere überragt.