ra-1CohenMauthnerCassirerM. MendelssohnH. Czolbe     
 
KURT GEISSLER
Identität und Gleichheit
[mit Beiträgen zur Lehre von den Mannigfaltigkeiten]

"Fügt man die Null als Summanden hinzu, so ist es mathematisch gleichgültig, ob man sie wieder fortläßt, keineswegs aber wenn man sie als Faktor hinzufügt;  a - 0 = a,  aber  a · a = 0,  nicht gleich  a.  Man könnte versucht sein zu sagen: bei der Addition oder Subtraktion ist das Fortlassen von Null ähnlich als wenn man sonst irgendetwas fortläßt, was da war z. B. den Gedanken an einen Menschen, die Empfindung Rot, beim Multiplizieren und Dividieren aber nicht."

"In der bloß formalen Logik führt der Satz der Identität eine Existenz, die in ihrer Art berechtigt ist und ziemlich einfach erscheint. Aber man darf nicht so schlechthin von einer Anwendung dieses Grundsatzes auf die betreffende Mannigfaltigkeit sprechen. Das ist ein sehr flüchtiger Ausdruck. Es ist diese Anwendung kein Hinübertragen aus einer Stube in die gleichstehende andere, sondern gewissermaßen ein Hinauf- oder auch Hinuntertragen in ein anderes Stockwerk, auf eine andere Stufe des Seins im Geiste."

Es ist ein Vorzug der reinen Logik, die Gesetze, nach denen wir denken, einzeln und gesondert als Tatsachen hinzustellen, sie entweder empirisch aufzusuchen und nach Art der reinen Empiriker auch als nur durch Empirie aufsuchbar hinzustellen, oder ihre Auffindung als zuerst und in erster Linie bewirkt durch apriorisches Vorhandensein dogmatisch zu behaupten. Letztere Auffassung würde sich darauf stützen, daß man z. B. von Identität überhaupt nicht sprechen, auf sie gar nicht kommen könnte, ohne dabei schon Identität anzuwenden. Man gelangt andererseits durch allerlei Betrachtungen und Erfahrungen leicht zu der Meinung, es ließe sich eine losgelöste, absolute Existenz der Grundgesetze im Geist gar nicht denken. Soviel ist gewiß, daß ein solcher Grundatz in der Form (!) eines Satzes nämlich erst vorhanden ist, wenn man den Satz als solchen bildet und als solchen im Bewußtsein hat; aber das, was dem Satz zugrunde liegt, ihn erst ermöglicht, mag es nun apriorisch verwendet werden oder etwa erst während des Entstehens der Satzbildung mitentstehen und also mit einem gewissen Recht "rein empirisch gefunden" genannt werden, das könnte man versuchen eine Grundlage ohne "Satzform" oder "Gesetzesform" zu nennen und ihm eine logisch streng von anderen Grundlagen zu trennende Wesenheit zuzuschreiben. Bekannt ist es, daß manche Logiker den Satz der Identität und ähnlich den verwandten des Widerspruchs glauben in der ausführlicheren Form aussprechen zu müssen: es wird  A  als ein dem  A  in jeder Beziehng und im selben Augenblick Gleiches gedacht. Sie nehmen dadurch von vornherein Rücksicht auf andere Grundgesetze und Vorgänge. LOTZE (1) erklärt es für
    "ganz nutzlos, den Ausdruck des Gesetzes bis zu der Formel anzuschwellen: jedem Ding könne in demselben Augenblick und an demselben Teil seines ganzen Wesens immer nur ein Prädikat  A,  aber nicht zugleich ein von  A  konträr oder kontradiktorisch verschiedenes  Non A  zukommen. Richtig freilich ist auch dieser Satz, aber er bleibt eine besondere Anwendung des Prinzips auf Subjekte von dinghafter Wirklichkeit, die aus Teilen zusammengesetzt und eines zeitlichen Wechsels ihrer Zustände fähig sind. Unrichtig dagegen ist die schon in diesem Ausdruck häufig vorausgesetzte, ebenso häufig offen ausgesprochene Unterscheidung zwischen verträglichen Prädikaten, die demselben Subjekt gleichzeitig zukommen könnten usw." - - - "In den Anwendungen des Denkens hat natürlich auch diese Behauptung ihre Gültigkeit, nachdem (!) sie sich einmal vor dem Gesetz der Identität gerechtfertigt haben wird."
Andererseits könnte man mit DROBISCH (2) sagen, der Satz  A = A  "würde jedoch ohne alle weitere Folge und daher ein völlig unfruchtbares Prinzip sein, wenn es sich nur auf die absolute Einerleiheit zweier Begriffe bezöge, bei welcher der eine nur eine Wiederholung des andern im Denken ist". Der Psychologe könnte bei der bloßen "Wiederholung" doch schon etwas Geistiges sehen, was über das bloße formale äußerliche  A = A  hinausgeht, und behaupten, ohne verbindende andere psychologische Vorgänge, also absolut, käme das Prinzip nicht vor. Der Logiker würde aber wieder betonen, es käme auf die möglichst reine, absolute Feststellung jeder einzelnen logischen Grundlage an. In einer Abhandlung (3) habe ich mich in vieler Beziehung auch erkenntnistheoretisch und metaphysisch gegen die Annahme von absoluten Grundlagen im Geiste ausgesprochen. Die genannte Frage steht in engster Beziehung zur Lehre von den Mannigfaltigkeiten, wie sie sich in allerneuester Zeit gestaltet hat, insbesondere zur Lehre vom Unendlichen in der Geometrie und zur Auffassung der Null und des Begriffs der Gleichheit, also auch des Größer- und Kleinerseins in der Zahlenlehre. Es sei mir darum erlaubt, diese Frage im Anschluß an meine früheren Untersuchungen, freilich auch vielfach darüber hinausgehend und nicht mehr in völliger Übereinstimmung mit diesen, zu betrachten.

Wenn man auch denen recht geben will, die behaupten, bei allem empirischen Aufsuchen, oder beim Aufsuchen aus einem ganz bestimmten Gebiet heraus, z. B. aus dem Gebiet der mathematischen Mannigfaltigkeiten, seien doch immer schon die tatsächlich (etwa apriorisch) vorhandenen allgemeinen Denkelemente benutzt, so ist es doch ebenso berechtigt zu behaupten, daß in den Fragen der Philosophie, auch der Logik, die speziellen Untersuchungen einzelner Gebiete eine erweiternde Klarheit geliefert haben. Darum darf ich wohl von vornherein, unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Prüfung, mich auf bestimmte Gebiete exakter Wissenschaft begeben, die auf das engste mit der Philosophie zusammenhängen, und nachher unter vorsichtiger Benutzung des dabei Gefundenen auf die philosophische Betrachtung meines Themas zurückkommen.

Auch in der Mathematik spilet das Wort "identisch" eine gewisse Rolle. Jeder Mathematiker spricht von der identischen Gleichung, die genau so lautet wie in der Logik  a = a.  Daß man beim Übergehen auf eine eigentliche mathematische Gleichung große Vorsicht anwenden muß, ist selbstverständlich, wird aber besonders klar, sobald man sich mit dem Unendlichkleinen, mit unendlich kleinen Unterschieden, mit dem Entstehen des Begriffs  Null,  eines  Punktes  usw. beschäftigt. Bekanntlich sind die Meinungen hierin noch keineswegs zum endgültigen, unumstößlichen Feststehen gekommen, wenn man von einem solchen Feststehen überhaupt in irgendeiner Wissenschaft sprechen darf. In der genannten Abhandlung wie in einem dem Unendlichen gewidmeten Buch (4) habe ich mich mehrfach dahin ausgesprochen,
    "man könne der Null (Abhandlung Seite 431) eher eine Art von Eigenschaft des Absoluten zumessen als dem Punkt, und zwar weil der Geist fähig ist, die Identität  a = a  in völliger Genauigkeit zu denken, also durch die Differenz  a - a  zu einer reinen Null zu kommen, während die Subtraktion zweier gleicher Strecken entweder aus dem Raum hinausführt zur zahlenmäßigen Null, oder aber die Gleichheit der beiden Strecken nur beziehlich einer bestimmte Behaftung, also räumlich relativ, nicht absolut zu fassen ist und dann zu etwas Räumlichem, dem Nullpunkt, führt".
Ich füge zur Erklärung hinzu, daß ich durch eine Reihe von mathematischen Untersuchungen (5) dazu gekommen bin, den Punkt nicht als ausdehnungslos zu fassen, sondern nach den sogenannten Weitenbehaftungen (6) zu unterscheiden, derart, daß z. B. eine unendlich kleiner Körper (bzw. Strecke) für die Weitenbehaftung des Endlichen ein Punkt ist, sobald man sich bei jenem Körper keine Grenzen mehr vorstellt, die Fähigkeit der Begrenzung nicht mehr in Anwendung bringt. Der Punkt ist danach das "Grenzenloskleine der niederen Weitenbehaftung"; für ein im Unendlichkleinen (Untersinnlichvorstellbaren) erster Ordnung vorgestelltes Gebilde (z. B. das Dreieck dreier unendlichnaher Punkte einer Kurve) ist der Punkt (Eckpunkt eines solchen Dreiecks) natürlich unendlich klein von nächst niedrigerer Ordnung (Behaftung) und wird für das Unendlichkleine erster Ordnung, also jenes Dreieck, als grenzenlos klein vorgestellt.

Freilich schrieb ich der Null auch damals keine völlige Absolutheit zu: "Indessen kommt selbst der absoluten Null, der Zahl Eins oder der Totalität in der Zahlenlehre nur eine beschränkte Eigenschaft des Absoluten zu usw."

Wenn man (nach den Grundsätzen des Unendlichen) einen unendlich kleine Größe als Summand neben endlichen fortlassen kann, so kann man dies auch so ausdrücken:
    "Die unendlich kleine Zahl ist innerhalb einer Summe gemischter Weitenbehaftung relativ zu einem endlichen oder unendlich großen Summanden gleich Null oder darf fortgelassen werden, aber sie ist in anderen Beziehungen nicht Null, ist keine, wie man nun im Gegensatz zu diesem relativen Nullwert sagen könnte: absolute Null."
Die hier vorgenommene Gleichsetzung: unendlich klein =  0  ist jedenfalls nicht die vom Philosophen gemeinte Identität  A = A,  und würde auch vom Mathematiker nicht mit Recht eine eigentlich identische Gleichung genannt werden, ebensowenig wie  x = 0,  weil hier mit dem Buchstaben  x  eine gewisse Vorstellung, die Veränderlichkeit, verbunden wird und die Setzung, daß die sonst veränderlich zu denkende Größe  x  in diesem Fall gleich  0  sein soll. Ist  a  eine endliche Größe,  dx  eine unendlich kleine, so ist die Gleichung  a + dx = a  ebenfalls eine völlig identische nach gewöhnlicher Auffassung. Man pflegt auf die Größe  0  in der Mathematik zu kommen durch  a - a  oder  2 - 2, x - x  usw., anders geformt durch  a = a  usw., wenn man zu dieser Form die Tätigkeit des Subtrahieren, den bekannten mathematischen Grundsatz hinzufügt: Gleiches von Gleichem subtrahiert ergibt Gleiches. Überall steckt der Satz der Identität und zwar in einem anderen Sinn wie in  a + dx = a.  Ist die Gleichung  a - a = 0  eine bloße Identität?

Darauf antwortete ich schon früher ("Grundsätze des Unendlichen, Seite 63):
    "Es ist nicht richtig zu sagen, die Vorstellung  3 - 3  sei genau dieselbe wie die Vorstellung  0.  Erstere enthält gedanklich viel mehr, sie enthält die Zahlenvorstellung  3  sogar zweimal und dazu noch die Vorstellung des Wegnehmens. Dies ist bei der Vorstellung  Null  nicht mehr in genau demselben Umfang und Sinn der Fall, wenn es auch ganz richtig ist, daß man durch jene Differenz auf die Vorstellung von Null hinleiten kann. Logisch würde man fragen: ergibt sich die Null ohne weiteren Zusatz als reine Folgerung aus  a - a?  Worauf beruth es, daß wir statt  3 - 3  auch  a - a  und als Resultat auch Null sagen können? Man dürfte mit dem Vorbehalt dieser Frage sagen: Das Resultat der zusammengesetzten Vorstellung, nicht aber die einfache Zusammenreihung der Begriffe  3  und  3  und des Subtrahierens ist Null. Noch genauer wäre: es gibt einen Grund dafür, daß wir  3 - 3, 5 - 5  usw. oder  a - a  als Verbindungen auffassen dürfen, welche alle ein und denselben Wert haben; diesen Wert, hervorgehend aus jenem Grund, nennen wir die Zahl Null. Wenn es uns nicht darauf ankommt, welche Vorstellungen wir ursprünglich miteinander verbunden haben, ob wir  5 - 5  oder  3 - 3,  kurz  a - a  haben, wenn es uns nur auf das Resultat ankommt, so dürfen wir für diesen Zweck die Vorstellung  3 - 3  ersetzen durch die Zahlenvorstellung Null. das Gleichheitszeichen in der Formel  a - a = 0  bedeutet demnach nicht, daß sich, logisch genommen, alles, was in  a - a  steckt, auch genau mit dem deckt, was  0  bedeutet, sondern nur, daß der aus dem zweimal gesetzten Begriff  a,  dem Begriff des Subtrahierens und der Anwendung dieses Begriffs (freilich noch nicht ganz allein hieraus) hervorgehende Begriff sich deckt mit Null."
Man erkennt schon aus der letzten Klammer, daß hiermit die Erklärung der Null noch nicht abgeschlossen ist. Es könnte scheinen, als steckt im Begriff  Null  noch etwas Geheimnisvolles, und man könnte entweder vermuten, es hätte die Zahl Null eine besondere geistige Existenz als Zahl, etwa wie die Zahl Eins und vielleicht in noch selbständigerer Art als irgendeine andere ganz positive Zahl, die sich einfach aus Einheiten zusammensetzt, oder etwa ein anderes, also nicht aus der bloßen Zahlenmannigfaltigkeit entnommenes Wesen.

Absehen möchte ich hier vorläufig von einer Erklärungsart einzelner Mathematiker, neu auftretende Zahlen, etwa wie die Null, die negativen, irrationalen usw. nur als bloße Zeichen, ganz äußerlich formal zu definieren. So wichtig die Definitionen sind, so wenig kann man durch ein bloßes äußerliches Nennen allein etwas herstellen, was einen wirklichen Platz in einer Mannigfaltigkeit ausfüllen soll. Wollte man z. B. sagen,  0  bedeutet eigentlich keine Zahl, aber da man doch einmal (man beachte dieses äußerliche: auch einmal, welches ganz den Begriff des Subtrahierens in seiner ursprünglichen Bedeutung verwischt!) gleiche Zahlen voneinander abziehen möchte, so wolle man auch diesem  a - a,  was eigentlichen keinen Sinn als Zahl hat wie  5 - 3,  eine Bedeutung beilegen, indem man es Null nennt, es erklärt als ein Zeichen, "welches (wie ich in einem Buch las), wenn es eine solche Zahl gäbe, diese Zahl bedeuten müßte."

Wir wollen uns zuerst damit beschäftigen, ob etwa das eigentümliche Wesen der Null oder zumindest ein Teil dieses Wesens aus einem Gebiet stammt, daß außerhalb der Zahlenlehre selbst liegt. Ein solcher Gedanke liegt ziemlich nahe, da man oft in Versuchung kommt, Null mit "Nichts" oder gar mit der bloßen Verneinung zu vertauschen. Ist ein Nichts in einer anderen Mannigfaltigkeit die Zahl Null? Man würde wohl schwer sagen können, was ein Nichts ansich in irgendeiner Mannigfaltigkeit ist, wenn man dabei nicht geradezu an das Subtrahieren, an das Setzen und Fortnehmen desselben Begriffs denkt. Zahlen sind Größen, damit wird man einverstanden sein; manche definieren die Größe dadurch, daß man bei ihr von Gleich, Größer und Kleiner sprechen kann. Die Setzung eines Begriffs, einer Vorstellung, einer Empfindung usw. und das darauf folgendes Fortdenken derselben könnte man zwar auslegen als ein Setzen eines  A  und Fortdenken eines ihm  gleichen A,  könnte also Gleichheit anwenden. In der Tat wird man sich das Fortdenken von  A  kaum vorstellen können, ohne daß man zugibt, es käme hierbei der Satz der Identität oder seine geistige Grundlage zur Anwendug. Ist aber auch die Vorstellung des Größer- oder Kleinerseins mit dem Fortdenken etwa einer Empfindung verbunden und verbindbar? Ist die Intensität eines Schmerz- oder Lustgefühls zahlenmäßig meßbar? (Ich sehe von allen psychophysischen Parallelen, dem Vergleichen einer Reihe von Empfindungen mit den meßbaren Ursachen derselben wie den Gewichten, welche drücken, ab.) Es ist bekannt, wie sehr diese Intensität von Umständen abhängt (Individualität, Disposition, Aufmerksamkeit usw.), ja sogar damit wesentlich verflochten ist. In dieser Beziehung ist jedenfalls jene Art von etwaiger Gleichheit, von Größer- und Kleinersein nicht der mathematischen (geometrischen oder arithmetischen) gleich.

Das Fortdenken einer Empfinung, eine vorgestellten Menschen usw. ist kein Subtrahieren, die Bildung "Rot weniger Rot", "Schmerz weniger Schmerz", "Mensch weniger Mensch" hat fast etwas Komisches an sich und könnte nur in einer bildlichen Übertragung gelten. Etwas anderes ist es natürlich, wenn ich den Menschen als benannte Zahl, als "einen (!) Menschen" denke, wenn ich "drei Empfindungen weniger drei Empfindungen" bilden wollte.

Man würde dann sofort verlangen, daß die Minuendus-Empfindung und die Subtrahendus-Empfindung genau festgestellt würde als entweder gleichartige Begriffe wie  3e - 3e  oder als ungleichartige (verschieden benannte Zahlen) wie  3e - 3d,  und würde dann erst von zahlenmäßigen Vorstellungen sprechen. Das heißt, es würde das Zahlenmäßige erst hineingebracht. Die geistige Verbindung: "Vorstellung von Empfindung weniger Vorstellung von Empfindung" oder "Vorstellung von Empfindung und Fortdenken derselben" ist keine Zahl und führt nicht auf Null. Wenn man die Liebe eines anderen Menschen besitzt und sie verliert, die Zuneigung mancher Menschen besitzt und dann die Zuneigung all dieser Menschen verliert, so kann man wohl davon sprechen, daß man nun nichts mehr besitzt (natürlich auch dieses Nichts nicht als ein absolutes Nichts gedacht); aber man will dadurch nicht ausdrücken, daß man die Zahl Null (wenn auch mit dem Zusatz: Neigung) besitzt. Das Unpassende in einem solchen Ausdruck, das zum Lachen herausfordert, ist eben das Hineinziehen des zahlenmäßigen Ausdrucks Null statt: nichts oder keine.

Bei den genannten Beispielen wurde immer Identität angewendet, aber man wird doch sogleich merken, daß diese Identität erst einen Sinn bekam durch die übrigen Umstände der Beispiele. Sie ist mit anderen Vorstellungen, sogar mit Gefühlen verknüpft; streicht man diese hinweg, so ist zwar nicht Nichts geblieben, insofern hat LOTZE recht. Die bloße formale Logik, das getrennte Aufzählen von Denkelementen ist Etwas und hat eine Art von Sein oder Existenz; aber man sieht sich hier wie so oft dazu gedrängt, den Begriff der Existenz ebenfalls nicht absolut und ganz unteilbar zu fassen, sondern Stufen oder Arten des Seins anzunehmen. Zu dieser Ansicht bin ich bei vielen anderen Untersuchungen gedrängt worden. (7) Es mag also die bloße Identität  a = a  erstens eine rein subjektive Existenz führen, indem sie als etwas Abgesondertes vom denkenden Logiker hingestellt wird, und diese Existenz könnte auch auf die höhere Stufe der persönlich objektiven Existenz treten, wenn sie allgemein von denkenden Geistern anerkannt wird. Darum braucht sie aber noch nicht eine eigene Existenz innerhalb des geistigen Wesens, welches denkend arbeitet, zu besitzen; es ist immer noch möglich, daß ihr ein abgesondertes Vorkommen innerhalb einer geistigen Tätigkeit einfach nicht wahr ist, sondern daß sie immer verbunden ist mit anderen Vorstellungen, mit Mannigfaltigkeitsbegriffen, ja sogar mit Gefühlen usw. Aus genannten sonderbaren Beispielen möchte man schließen, diese Behauptung sei richtig; gewiß ist sie nicht widerlegbar; denn jedes Beispiel ist irgendeinem Gebiet sonstiger geistiger Tätigkeit entnommen und demnach auch damit verknüpft. Streift man aber die Eigentümlichkeiten dieser Gebiete ab, so entsteht etwas zweifellos anderes, das bloße formale Gerippe der Identität.

Das genannte Fortdenken, welches wie also lieber nicht schlechthin mit dem mathematischen Namen des Subtrahierens bezeichnen wollen, ist ebenfalls nicht ohne Zusammenhang mit den Eigentümlichkeiten der Gebiete, aus denen das Beispiel entnommen ist, es erhält nicht bloß eine Färbung durch sie, nein man darf behaupten, es hat diese Färbung als wesentliches Merkmal an sich, sobald es überhaupt an der eigentümlichen Existenz (der Seinsstufe) des Beispiels teilnimmt.

Betrachten wir noch genauer das Wesen der Null. Fügt man dieselbe als Summanden hinzu, so ist es mathematisch gleichgültig, ob man sie wieder fortläßt, keineswegs aber wenn man sie als Faktor hinzufügt;  a - 0 = a,  aber  a · a = 0,  nicht gleich  a.  Man könnte versucht sein zu sagen: bei der Addition oder Subtraktion ist das Fortlassen von Null ähnlich als wenn man sonst irgendetwas fortläßt, was da war z. B. den Gedanken an einen Menschen, die Empfindung Rot, beim Multiplizieren und Dividieren aber nicht. Wenn man nach den Grundsätzen des Unendlichen einen unendlich kleinen Summanden neben endlichen einfach fortlassen darf, ebenso wie man dann die Null fortlassen darf, so könnte man wie oben sagen: die Größe  dx  sei hier gleich 0, aber sie sei darum doch keine absolute Null. Es sieht hiernach so aus, als wenn mit Ausnahme dieses besonderen Falles das Gebiet der Verwendung von 0 ein ganz anderess wäre als das Gebiet der Verwendung einer unendlich kleinen Größe, ebenso im Allgemeinen ihr Begriff. In der Geometrie ist es z. B. möglich, zwei für das Endliche als gleich vorgestellte Strecken voneinander abzuziehen und damit nicht etwa auf Nichts, sondern auf einen Punkt zu kommen, und zu sagen, wir hätten durch das Abziehen dieser räumlichen Größen wie auch sonst durch ein Abziehen verschiedener räumlicher Größen etwas Räumliches bekommen. Die Eigenschaft des Räumlichen, ausgedehnt zu sein, habe auch der Punkt (als grenzenlos Kleines niederer Weitenbehaftung). Freilich ist alsdann, wie ich ganz allgemein durchführte, der Begriff des Gleichseins und Größerseins in der Geometrie immer nach Weitenbehaftungen zu nehmen; handelt es sich um die gewöhnliche endliche oder sinnlichvorstellbare Geometrie, dann kann man den Zusatz "für bestimmte Behaftungen" ohne Schaden weglassen. Die Menschen, welche sich solange vornehmlich mit dem Sinnlichen beschäftigten, kamen lange gar nicht darauf etwa die Größe relativ nach Behaftungen zu definieren. Aber wenn man diejenigen Probleme näher betrachtet, bei denen Unendliches vorkommt, so ergibt die Annahme einer solchen relativen Festsetzung der Gleichheit und des Größerseins die Möglichkeit der Forträumung von sonst nicht lösbaren Schwierigkeiten. Das unendlich Kleine spielt auch sonst in der Zahlenlehre eine entsprechende Rolle, aber die Null scheint eine Besonderheit zu sein.

Wie wenn es nun auch hier gelänge, eine größere Übereinstimmung zwischen beiden Mannigfaltigkeiten zu schaffen? Dies ist nicht bloß der Harmonie wegen zu wünschen, ein solcher Grund wäre zu wenig exakt; aber es bereitet die Null tatsächlich innerhalb der Zahlenlehre beträchtliche Schwierigkeiten, deren ich wenigstens einige berühren will. Wie also, wenn bei jenem Beispiel für Null und das die unendlich kleine Größe ist in diesem Fall nicht etwa nur ersetzbar durch Null, sondern ist ganz dasselbe, das unendlich Kleine ist hier in einem Sinn gebraucht worden, in dem es geradezu Null ist? Warum ist dann aber die allbekannte Null in ihren übrigen Verwendungen z. B. als Faktor oder Divisor nicht auch als das unendlich Kleine zu bezeichnen? Ferner müßte doch auch das unendlich Kleine in der Zahlenlehre etwas sein, was bald so, bald so zu definieren wäre, je nachdem wo und wie es vorkommt, z. B. als Summand oder als Faktor.

Darauf ist erstens zu sagen, daß die Mathematik seit undenklich langer Zeit rein mathematisch nur das Endliche behandeln konnte und erst in neuester Zeit das Unendliche einer exakten Behandlung unterwarf. Es könnte also sein, daß in gewissen, hierbei oft vorkommenden Fällen das unendlich Kleine so gebraucht würde, daß es wie eine absolute Identität erscheint, wie die sogenannte absolute Null. Kurz, es ist zunächst nötig zu sagen, wie man überhaupt das unendlich Kleine relativ nach den Umständen definieren kann. Das ist durch die Grundsätze des Unendlichen geschehen. Zum Wesen des Untersinnlichvorstellbaren gehört es, daß es unter-sinnlichvorstellbar ist, also in bestimmten Beziehungsgesetzen zum Endlichen, überhaupt zu den übrigen Weitenbehaftungen steht. Eine dieser Beziehungen ist, daß eine einzelne oder eine endliche Anzahl solcher Größen als Summand neben solchen einer höheren Behaftung fortgelassen werden kann. Absichtlich bediene ich mich dieses allgemeinen, auch in anderen Gebieten benutzbaren Ausdrucks "Fortlassen" etwa statt Subtrahieren. Es möchte nun sein, daß eine solche Größe in einer solchen Beziehung dasselbe ist, was wir Null nannten. Aber die Null hatte ja noch einen anderen Gebraucht, beim Multiplizieren usw. Kann auch hier einfach eine unendlich kleine Größe dafür eingesetzt werden? Ganz ohne weiteres gewiß nicht. Ein Beispiel, welches bis in unsere Tage wie ein Paradoxon erschien, und in versteckter Gestalt auch den Fachmathematikern bei ihren höheren Untersuchungen immer wieder Schwierigkeiten macht (siehe unten), ist die Bildung der arithmetischen Form  1 : 0. 

Man kann die leichtfertige Erklärung vieler Bücher nicht mehr aufrecht erhalten, dies sei gleich Unendlich. Das soll sich natürlich, wie überhaupt die Division nach Ansicht der meisten sich auf die Multiplikation stützen muß, darauf stützen, daß umgekehrt  1 = 0 · ∞  sei. Ebenso soll aber auch  3,  kurz: jede endliche Zahl, gleich  0 · ∞  unendlich sein. Man nannte  0 · ∞  einen unbestimmten Ausdruck, gibt freilich auch zu, daß  δ · ∞  ein unbestimmter Ausdruck sei, wenn δ eine unendlich kleine Größe bedeutet. Der Beweis für  0 · ∞  ist falsch. Was bedeutet nämlich nach der gewöhnlichen Auffassung Null? Einfach  a - a;  also  0 · ∞ = (a - a) ∞ = a · ∞ - a · ∞.  Nun glauben viele glücklich zum Resultat gelangt zu sein. Denn die letztere Differenz gebe doch  = ∞ · ∞,  und das sei doch gewiß ein unbestimmter Ausdruck, könne also gleich jeder Zahl sein. Wenn nun freilich auch im allgemeinen, d. h. wenn man das erste und das zweite Unendlich unbestimmt nimmt, das Resultat unbestimmt ist, so paßt dies doch hier nicht. Denn diese beiden Größen Unendlich sind aus einem einzigen Zeichen  ∞  nach Ausmultiplizieren der Klammer entstanden, müssen also genau dasselbe bedeuten - oder das Ausmultiplizieren war auch nicht erlaubt, man käme also auch zu keinem Resultat und zu keinem Beweis. Wenn aber  a · ∞  genau identisch ist mit  a · ∞  als Subtrahendus, dann ist das Resultat nach der gewöhnlichen Erklärung der Null gewiß gleich  0  aber nicht gleich  1  oder irgendeiner sonstigen endlichen Zahl. Folglich wäre, wenn die gewöhnliche Erklärung der Null gilt und der Setzung zweier gleicher Größen auf beide Seiten eines Minuszeichens, die Bildung  1 : 0  unmöglich, gar nichts Logisches, gar nichts Mathematisches. Das ist aber ein sehr übles Resultat für die Mathematik, weil sie dann immer gezwungen ist bei einer Funktion wie  1 : x  und ähnlichen, wo  x  doch alle möglichen Werte annehmen soll, den Wert Null auszuschließen, obgleich man doch sonst  x  beliebig klein werden lassen kann, auch negativ. Ich habe in der Tat früher die Bildung dieses Bruchs für logisch falsch erklärt und gezeigt, daß man z. B. in der Geometrie damit auskommen kann, den Nennerwert  x  immer kleiner werden zu lassen, ihm die Werte niedrigerer Behaftung  δ1, δ2  ... erteilen kann und damit alle Fälle in der Geometrie ohne eine Null-Unterbrechung erhält. Zum Beispiel  tan 90 = sin 90 : cos 90  erscheint unmöglich, weil es ist gleich  1 : 0!  Erklärt man aber  sinus  und  cosinus  geometrisch oder nimmt man diese Funktion als Größe der Tangente im Endpunkt der positiven x-Achse, wie man es schon in der Sekunda lernt, so wird dieselbe für 90 Grad parallel zur y-Achse, Sinus wird zum Radius 1, Cosinuns aber wird zum Nullpunkt. Erklärt man nun den Punkt als grenzenlos Kleines beliebiger niederer Behaftung, so gilt freilich der Begriff des rechten Winkels und der Halbierung eines Gestreckten nur relativ (8), z. B. für das Endliche (während für niedere Behaftungen Unterschiede bestehen können), es wird also bei einer Berücksichtigung des unendlich Kleinen, was hier nötig ist, da ja auch das unendlich Große in Betracht kommt, der Cosinus nicht Null, sondern unendlich klein. Man kommt also nicht auf  1 : 0,  sondern auf  1 : δ  bzw.  1 : δ2  usw. Nur hat dieses δ hier keine bestimmte Größe, weil es nicht mit anderen Größen derselben Behaftung verglichen wird. Nach den Grundsätzen des Unendlichen stehen die Größen einer Behaftung wie  δ1 : δ2  in bestimmten Verhältnissen mit endlichem Wert des Verhältnisses.  1 : δ  aber ist logisch gleich Unendlich. Aber durch den Begriff der Parallelen ist dies richtig zu verstehen. Es gibt nach der Lehre von den Weiterbehaftungen keine absoluten Parallelen (9), eine endliche kann z. . die zu ihr (endlich -) parallele Gerade sehr wohl im Unendlichen (erster bzw. zweiter usw. Ordnung) schneiden. Also kann die trigonometrische Tangente von  90°  sehr wohl eine Tangente sein, welche für das Endliche parallel ist zur y-Achse, dennoch aber eine unendliche Größe hat (bis zu ihrem Schnittpunkt im Unendlichen). Diese unendliche Größe ist natürlich hier auch unbestimmt, weil sie nicht mit anderen in Verhältnisse tritt.

1 : 0  ist also nicht schlechthin dasselbe wie  1 : δ,  sondern im Allgemeinen nur, wenn man dieses  δ  unbestimmt nicht bloß, sondern überhaupt ohne Anwendung des Begriffs der Begrenzung faßt. Durch eine Begrenzung kann es in bestimmte Verhältnisse zu anderen unendlich kleinen Größen treten; dies ist hier nicht der Fall und darum wird es grenzenlos klein gefaßt. Ich bemerke, daß, wie ich gezeigt habe, der Ausdruck "unendlich klein", der die Begrenzung oder das Ende auszuschließen scheint, unrichtig gewählt und besser durch Untersinnlichvorstellbar (einen positiven Ausdruck) ersetzt wird, wo es nötig erscheint.

Die Feststellung derjenigen Grundelemente des Geistes, aus denen sich die Raum- wie die Zahlenlehre aufbaut, ist nicht einzig und allein die Sache des Mathematikers; sondern, wie die Philosophie überhaupt die Grundlagen aller Wissenschaft behandelt, so hat sie auch hier sehr ernsthaft mitzureden. Es ist deswegen nicht zu verwundern, vielmehr zu verlangen, daß bei dieser Feststellung allgemeine Fähigkeiten, aus der Erkenntnistheorie genommen, anzuführen sind, ohne schon in die speziell mathematischen Fachausdrücke gekleidet zu sein. Sämtliche für die Geometrie notwendigen Elemente habe ich in ihrem Zusammenhang an anderer Stelle anzugeben versucht (siehe frühere Anmerkung), hier möge nur kurz darauf hingewiesen werden, mit besonderer Beziehung auf das Arithmetische, daß wohl zu unterscheiden ist, ob man bei einer Zahlenvorstellung die Vorstellung "bestimmt" wählt, oder "unbestimmt", und daß es noch einmal etwas anderes ist, wenn man die Vorstellung einer "Begrenzung" ausschließt. Es ist kein Widerspruch von einer unbestimmten Zahl zu sprechen, bei der an eine Begrenzung gedacht werden soll. Man kann sich eine Größe vorstellen, die unbestimmt gelassen wird, die aber doch irgendeine (noch nicht näher bestimmte oder nicht mehr näher bestimmte) Begrenzung besitzen soll.

Wenn wir nun außerdem aus der Lehre von den Weitenbehaftungen als richtig annehmen, man müsse bei jeder Größenbestimmung, überhaupt bei jeder Größenvorstellung sich entscheiden, ob sie sinnlich vorstellbar, unter- oder übersinnlich vorstellbar irgendeiner Ordnung sein soll, so hat man jene obengenannten verschiedenen logischen Fälle der Bestimmtheit (Unbestimmtheit) und Grenzenlosigkeit wieder auf die Größe irgendeiner Behaftung anzuwenden. Bei den endlichen Größen liefert dies nichts Neues. Anders ist es aber bei den unendlich kleinen und unendlich großen. Im Raum z. B. können zwei unendlich große Strecken erster Ordnung in einem ganz bestimmten Größenverhältnis zueinander stehen  ∞1 : ∞2 ähnlich  dy : dx  etwa  = 2.  Das einfache Zeichen  ∞  bedeutet aber eine unbestimmte unendliche Größe, ähnlich  δ1 z. B. die noch nicht näher bestimmte Seite eines unendlich kleinen Dreiecks; drittens aber kann  δ  oder  δ2, ... δn  auch einen Punkt für die höhere Behaftung vorstellen, dann ist es unbestimmt und grenzenlos klein gefaßt und könnte zur Unterscheidung der früheren Bedeutungen geschrieben werden  δ, ... δn Ähnlich kann auch bei der Vorstellung eines unbestimmten, aber doch irgendwie begrenzten unendlich großen (übersinnlich Vorstellbaren) die Vorstellung der Begrenzung gestrichen werden, dann erhielte man das Grenzenlose  ∞. 

Ist etwas Entsprechendes bei den Zahlen möglich und überwinden wir dadurch die Schwierigkeiten der Null? Zunächst ist jedem Mathematiker geläufig, die Zahlen ebenfalls als eine eng zusammenhängende Mannigfaltigkeit aufzufassen. Nach der Lehre von den Weitenbehaftungen gibt es eine über das Endliche hinausgehende Kontinuität, die allgemeine oder  continuitas generalis,  welche die sogenannte archimedische als die irgendeiner bestimmten Behaftung mit umfaßt (10). Man kann auch hier sogleich mit dem Verhältnis zweier endlicher Größen beginnen, z. B. die fünf, die ja ohne Einheit nicht zustande kommt, fassen als bestimmt durch das Verhältnis zur Einheit, als  5 : 1.  Es erfordert nur wieder die Bildung der Einheit, wenn man nun die  5  als solche faßt, und es ergibt sich alsdann durch einen Vergleich dieser Einheit mit der vorhergehenden das Verhältnis  1 : ⅕,  was ja in der Tat auch nach den gewöhnlichen Regeln der Bruchrechnung gleich  5 ist.  Die vorhergehende Einheit ist hier zum Begriff eines Bruches  ⅕  geworden. Entsprechend sind Brüche mit beliebig kleinem Nenner bildbar. Von den irrationalen Zahlen will ich an dieser Stelle schweigen. Aber es gibt nach der Behaftungslehre für die Zahlemannigfaltigkeit außer der Vorstellung endlicher Zahlen auch diejenige von unendlich großen (unendlich vielen Einheiten) und unendlich kleinen d. h.: ähnlich wie die Anlage des Menschen zur Raumvorstellung betrachtet werden kann als eine, die sich in bestimmter Weise nach Gebieten des Endlichen und Unendlichen spaltet (unter ganz bestimmten auffindbaren Beziehungsgesetzen), ebenso auch die Anlage zur Bildung der Zahlenmannigfaltigkeit. Wenn auch diese Lehre beträchtlich von derjenigen GEORG CANTORs abweicht, so hat sie doch mit ihr das Gemeinsame, daß es unendlich große Zahlen als ein neues, von den endlichen ganz bestimmt trennbares Geschlecht geben soll. Dann lassen sich auch unendlich kleine Zahlen vorstellen wie  δ1 : δ2  z. B. ein Differentialquotient mit einem bestimmten endlichen Wert, ferner eine unbestimmte unendlich kleine Zahl  δ  von irgendeiner, hier aber nicht besonders angegebenen Begrenzung, und schließlich eine unendlich kleine Zahl von irgendeiner niederen Behaftung, bei der man überhaupt darauf verzichtet, daß sie Grenzen haben soll: eine grenzenlos kleine. Dies würde dem Punkt in der Geometrie entsprechen. Wir wollen uns fragen,  ob man die bisher sogenannte Null als eine solche Größe definieren kann,  ob nämlich dadurch auch die bisherigen Schwierigkeiten bei der Null verschwinden.

Wieso ist zunächst  1 : 0  bildbar? Wenigstens wäre es ein großer Vorteil für die Mathematik, wenn die Bedenken gegen diese Bildung, die ich oben äußerte, fortfielen, ebenso wie es ein großer Vorteil wäre, wenn man die Null (wie den Punkt) nicht der Eigenschaft einer Zahlenausdehnung berauben müßte, welche doch sonst alle Zahlen haben! Darf man dann den Satz festhalten  1 : 0 = ∞,  wofür wir auch schreiben würden  1 : δ = ∞?  Zunächst wäre dieser Bruch nicht mehr genau dasselbe wie  1 : δ,  also müßte man auch besser schreiben  1 : δ = ∞.  Bei  1 : δ  faßt man den Nenner unbestimmt unendlich klein, gibt aber nicht jeden Gedanken einer Begrenzung des  δ  auf. Bei  1 : δ  ist der Nenner grenzenlos klein, ebenso ist  ∞  grennzenlos unendlich groß, dagegen  ∞  nur unbestimmt unendlich groß. Wie steht es aber nun mit dem Beweis für  1 : 0 = ∞,  den wir oben als falsch verwarfen? Es sollte sein  0 · ∞ = (a - a) · ∞ = a · ∞1 - a · ∞1 - a · ∞1 = 0,  da ja das ∞ in Minuendus und Subtrahendus genau dasselbe sein mußte. Nach unserer neuen Unterscheidung aber fassen wir das Unendlich ∞ der rechten Seite als der Begrenzung beraubt auf, ein doppeltes Setzen von ∞ mach es nicht zu einem begrenzten, läßt den Gedanken nicht zu, es sei dieses Zeichen im Minuendus und Subtrahendus genau dieselbe Größe. Vor allem aber ist die sogenannte  0  bei der Bildung dieses Ausdruck  1 : 0  als grenzenlos Kleines zu fassen. Man kann also dafür nicht  a - a  in dem Sinne setzen, daß diese beiden  a  genau dasselbe wären; denn dann wäre die Null nicht grenzenlos klein, sondern wäre begrenzt durch zwar nicht ganz bestimmt vorgeschriebene Werte wie  3 - 3,  sondern durch unbestimmte Werte wie  a - a,  aber doch durch Werte, bei denen eine Begrenzung angewendet wird, so daß das erste  a  dieselbe Größe und Begrenzung haben soll, wie das zweite  a.  Es ist also der Ausdruck  1 : 0  in der Mathematik, speziell in der Funktionenlehre erlaubt, aber nur in dem Sinne, daß bei dieser Bildung oder Schreibweise der Nenner grenzenlos klein von niederer Weitenbehaftung ist und dies durch  0  oder  δ  angedeutet werden soll. Will man in der Funktion  1 : x  die Variable für  x  für besondere Fälle ersetzen durch eine unendlich kleine Größe, so schreibe man  1 : δ  und erhält als richtiges Resultat das unbestimmte, aber nicht grenzenlose  ∞,  während als Resultat von  1 : 0  zu schreiben ist  ∞  Wollte man etwa den Satz  1 : 0 = ∞  beweisen, so hätte man zu schreiben  1 = ∞,  multipliziert mit einer Differenz, die zwar für das Endliche (Weitenbehaftung des sinnlich Vorstellbaren) aus einem gleichen Minuendus und Substrahendus bestehen kann, bei der aber durchaus zu beachten ist, daß für die niedere Weitenbehaftung ein Unterschied bestehen soll von etwa δ, aber diese Größe grenzenlos gefaßt, also angedeutet  (a - a + δ) · ∞. 

Eine Gleichung wie  a + dx = a,  von der wir früher sprachen, und welche einen Grundsatz des Unendlichen andeutet, kann auch für andere Zwecke gefaßt werden als  a + δ = a. 

Hierdurch gelange ich nunmehr zu der Ansicht, die in gewisser Beziehung nicht völlig dem von mir früher Gesagten widerspricht, daß man ebenso wie in der Raumvorstellung durch Abziehen zweier für das Endliche gleicher Strecken zum Punkt als einer räumlichen (und ausgedehnten) Größe, so auch in der Zahlenmannigfaltigkeit durch Abziehen von  a - a  nicht zu einer Größe gelangt, die der Eigenschaft der zahlenartigen Ausdehung nicht mehr fähig wäre. Natürlich ist dabei streng festzuhalten, daß  a  irgendeiner Weitenbehaftung angehören muß.

Die Gleichheit in der Zahlenlehre  kann deswegen relativ gedeutet werden je nach der oder denjenigen Behaftungen, die man hereinziehen will; die  absolute Gleichheit  zweier Zahlen innerhalb der Zahlenmannigfaltigkeit gibt es nach dieser Lehre also nicht; vielmehr die Differenz  a - a,  wenn  a  endlich ist, stets ein Resultat  δn Schreibt man dafür  0,  so deutet man damit an, daß man innerhalb der Weitenbehaftung des Endlichen stehen bleiben will. Die Null verliert darum nach dieser Auffassung ihre bisherige Bedeutung in der Mathematik, die sich nur mit dem Endlichen und den dem Endlichen auch angehörigen Limesbegriffen abgab, nicht; diese Bedeutung und diese Schreibweise  0  kann auch beibehalten werden für irgendein anderes Weitengebiet wie das von der Ordnung  δ1 wenn die Rechnung, sich nur (!) in diesem Gebiet bewegt. Für alle die Fälle aber, bei denen man andere Weiterbehaftungen, z. B. das unendlich Kleine in das Endliche hereinzieht, würde man vorsichtshalber das Zeichen  δ  benutzen. Der Grundsatz, daß man eine unendlich kleine Größe als Summanden neben einer endlichen fortlassen kann, bleibt bestehen; die Formulierung, daß man sie ersetzen könne durch Null, bleibt ebenfalls richtig: nur würde man dafür genauer sagen dürfen: die unbestimmte oder im Weitengebiet des unendlich Kleinen auch (anderen δ gegenüber) bestimmte Größe  δ  kann man als Summanden neben endlichen Größen ersetzen durch  δ,  d. h. das unendlich Kleine, bei welchem man auch noch die Vorstellung der Begrenzung aufgeben kann, das grenzenlos unendlich Kleine (was auch heißen kann mit alten Ausdruck: Null). In der Tat kommt es bei einer einzelnen unendlich kleinen Größe, die neben endlichen als Summand steht, auf die Vorstellung einer Begrenzung gar nicht an! Ebenso kommt es bei der Gleichheit zweier endlicher Größen für das Endliche (!) nicht darauf an, ob die eine um unendlich wenig größer gefaßt werden kann als die andere. Kurz: die Vorstellung der Gleichheit in einer Mannigfaltigkeit wie die des Raumes und der Zahl ist je nach der Behaftung zu definieren und kann eine Ungleichheit sein für das Heranziehen irgendeiner niederen Behaftung. Entsprechend ist auch das endliche Größersein oder das Kleinersein einer endlichen Größe als eine andere zu definieren nach dieser Behaftung. Die Differenz ist für eine endliche Behaftung eine endliche Größe  d  (sonst bestände Gleichheit, nicht endliche Ungleichheit), kann aber trotzdem aufgefaßt werden als  d ± δn Und es muß dies geschehen, falls man sich innerhalb einer Rechnung bewegt, welche zu ihrer Klarheit eine niedere Weiterbehaftung nötig hat, z. B. vielfach bei Untersuchungen aus der höheren Mathematik.

Ehe ich noch ein Schlußwort über die Identität und deren Bedeutung in der Seele hinzufüge, möchte ich nur  ein  Beispiel aus der Mathematik anführen, indem ich mir damit andere Stellen erspare, die Vorteile dieser Auffassung für schwierige Probleme der heutigen Mathematik zu zeigen. Selbstverständlicherweise handelt es sich um Annahmen, welche möglich sind; aber die sämtlichen Grundlagen der Mathematik sind unbewiesen und unbeweisbar, darum heißen sie "Grundlagen"; ihre Sicherheit ruht, in den Schwierigkeiten wenigstens, die sich neuerdings zeigten, auf ihrer Widerspruchslosigkeit, also Möglichkeit.

PAUL DUBOIS-REYMOND (11) suchte einige Irrtümer bezüglich der TAYLORschen Entwicklung zu berichtigen, welche sich in der für den jetzigen Stand der Analysis hochbedeutenden Arbeit von HERMANN HANKEL (12) finden. Daselbst wurde gesagt, die TAYLORsche Entwicklung sei immer bei den sogenannten legitimen Funktionen möglich, bei Stetigkeit einer Funktion und ihren sämtlichen Ableitungen (Differentialquotienten). DUBOIS-REYMOND bildet ein recht kompliziertes Beispiel, das zeigt, daß trotzdem in unendlich vielen Punkten die Entwicklung versagt. Das zweite Beispiel, welches er gibt, erscheint einfacher, aber er findet darin wegen der Null solche Schwierigkeiten, daß er es nicht für hinreichend beweiskräftig hält. Es handelt sich um die Funktion  φ (x) = e - 1/x2 deren sämtliche Ableitungen stetig sind. Aber die Werte, welche entstehen, wenn man  x = 0  setzt, als  φ (0), φ' (0)  usw., sollen, wie der Verfasser sagt, ganz wertlos sein, wenn das darunter verstanden wird, was man durch eine Berechnung der Funktion für den vorgelegten Zahlenwert  0  erhält. Es bedürfe besonderer Festsetzungen, was man dann unter der Funktion verstehen wolle. Er will deswegen lieber einen Grenzbegriff anwenden, nämlich Limes  φ (x + ε)  für  ε = 0.  Er addiert also zum Wert  x  eine unendlich kleine Größe ε, verfährt aber nun natürlich nach der gewöhnlichen Grenzmethode (statt, wie bei meiner neuen Erklärung der Null, die Lehre von den Weitenbehaftungen anzuwenden, die noch nicht existierte) und gerät wieder in "die erheblichsten Schwierigkeiten", wenn er nun eine Summe von unendlich vielen solchen Funktionswerten bilden will, um die Absicht seines Themas zu erreichen. Es muß hier genügen, anzudeuten, daß die Schwierigkeit in einem nicht genügend bestimmten Charakter der Null, der hier nicht ausreichenden Limes- und Summenbildung beruth, weil dieselben immer nur das Resultat für das Endliche im Auge haben.

Für den Philosophen wird der letzte Ausblick von Interesse sein, den ich zum Schluß eröffnen möchte. Liegt die Möglichkeit vor, ja verspricht es Vorteile, die man in den exakten Wissenschaften ohne das nicht erreichen kann, die Identität  a = a  und die Differenz  a - a  oder die  0  in der genannten Art zu fassen, so gewinnen zunächst die Mannigfaltigkeiten des Raumes und der Zahl einen anderen Charakter. Zwar bleibt das Alte, so weit es sich auf unumstrittenen Bahnen bewegt, bestehen, aber es erweitert sich das Gebiet vom Endlichen auf beliebig viele höhere und tiefere Weitenbehaftungen. Es gilt demnach die Gleichheit und die Identität nicht einfach schlechthin wie eine leere Formel, sondern erhält je nach den Gesetzen der Mannigfaltigkeit und ihren Weitenbehaftungen einen besonderen, wesentlichen Sinn. Es haben durch die Lehre von den Weiterbehaftungen die bisherigen Gebiete jener Mannigfaltigkeiten einen Zusammenhang nach oben und unten gefunden, es ist entdeckt oder (besser gesagt) angenommen worden, daß diese Mannigfaltigkeiten auch schon auf dem Gebiet ihrer bisherigen Bearbeitung im engsten Zusammenhang mit bis dahin noch nicht erschlossenen Gebieten stehen, daß man, wenn man diese Gebiete und das Grenzgebiet zwischen beiden, die Begriffe und Anschauungen, die dem Grenzgebiet angehören und die nicht vermeidbar sind, genau behandeln will durch Definitionen und Sätze, Rücksicht nehmen muß, die bisherigen Begriffe wie Gleichheit und Größersein relativ vorsichtig auffassen muß.

Wir denken uns danach, daß wir mit Unternehmen einer Untersuchung auf dem Gebiet einer solchen Mannigfaltigkeit, z. B. mit einer geometrischen Arbeit uns auf eine Stufe des Seins begeben, die anders ist, vielleicht auch höher steht als die bloße formale Logik. In dieser führt der Satz der Identität eine Existenz, die in ihrer Art berechtigt ist und ziemlich einfach erscheint. Aber man darf nicht so schlechthin von einer Anwendung dieses Grundsatzes auf die betreffende Mannigfaltigkeit sprechen. Das ist ein sehr flüchtiger Ausdruck. Es ist diese Anwendung kein Hinübertragen aus einer Stube in die gleichstehende andere, sondern gewissermaßen ein Hinauf- oder auch Hinuntertragen in ein anderes Stockwerk, auf eine andere Stufe des Seins im Geiste. Wie man nun auch metaphysisch das Sein der Psyche auslegen mag (und hierbei stehe ich auf dem Boden einer Metaphysik der Möglichkeiten), wir müssen vorsichtig sein, sobald wir überhaupt dem Resultat unserer Untersuchung eine wissenschaftliche und derart objektive Richtigkeit und in diesem Sinne eine objektive Existenz zuschreiben wollen. Der formale Satz der Identität hat dann nicht dieselbe Realität wie die Angabe der Gleichheit zweier Strecken oder zweier Zahlen. Bei diesen Vorstellungen ist dem Begriff der Identität, soweit er eben ein mathematischer sein soll, wesentlich (!) die Unterscheidung nach Weitengebieten.

Es scheint mir aber auch aus den wenigen oben angeführten Beispielen aus anderen Gebieten schon hervorzugehen, daß die Gleichheit zweier Farbempfindungen oder dergleichen, also überhaupt die Gleichheit, nicht ein bloßes Zusammensetzen der formalen Identität mit der bloßen, absoluten Empfindung ist, sondern daß es auch so eine Empfindung als etwas Absolutes nicht geben wird, und eine Gleichheit nur Sinn hat in Bezug auf gerade diese Mannigfaltigkeit.

Es scheint mir dadurch ein Zusammenhang, welcher zwischen den Grundelementen der Seele besteht, gefördert oder besser beleuchtet zu werden. So wertvoll die Aufzählung des Einzelnen, der Versuch ist, den Geist schön zu zerlegen, so wichtig ist es hernach einzusehen, daß die Seele ihrem Wesen nach dann doch keineswegs ein bloßes Kompositum ist (eine Aussage, die jeder Philosoph ohnehin unterschreiben würde), und zwar in einem sehr weitgehenden Sinne. Es wird eine Beziehung zwischen dem Gebiet der Logik und anderen Gebieten hergestellt, die vorher nicht in gleicher Art bekannt war, es wird vor allem die formale Logik wissenschaftlich unmöglich gemacht ohne fortwährende Rücksicht auf die anderen philosophischen Gebiete - und umgekehrt. Die Frage: wie kann Vieles Eins sein und wie kann Eins Vieles sein, die hierbei kein bloßes Wortspiel mehr ist, sondern gerade bei der Wissenschaft von der "einheitlichen" Seele eine wirkliche Bedeutung hat, erscheint ein klein wenig (!) eher beantwortbar.
LITERATUR - Kurt Geissler, Identität und Gleichheit mit Beiträgen zur Lehre von den Mannigfaltigkeiten, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 126, Leipzig 1905
    Anmerkungen
    1) HERMANN LOTZE, Logik, zweite Auflage, Leipzig, Seite 76 und 77.
    2) MORITZ DROBISCH, Neue Darstellung der Logik, vierte Auflage, § 58, Seite 63
    3) GEISSLER, Ist die Annahme von Absolutem in der Anschauung und dem Denken möglich (Archiv für systematische Philosophie, Bd. 4, 1903)
    4) GEISSLER, Die Grundsätze und das Wesen des Unendlichen in der Mathematik und Philosophie, Leipzig 1902
    5) GEISSLER, Die geometrischen Grundvorstellungen und Grundsätze und ihr Zusammenhang (Jahresbericht der deutschen mathematischen Vereinigung, Bd. XII, Heft 5; Grungedanken einer übereuklidischen Geometrie, Bd. XIII, Heft 5) usw.
    6) Der Begriff der  Weitenbehaftungen  ist (sofort verständlich) nicht in einem einzigen Satz zu geben. Doch will ich versuchen, ihn auf für Nichtmathematiker hier möglichs kurz zu verdeutlichen: Ein geometrisches Gebilde, z. B. einen Kreis, kann man sich vorstellen, indem man eine Zeichnung eines Kreises sinnlich wahrnimmt; die entstehende Vorstellung ist die eines endlichen Kreises. Zwar steckt in der mathematischen Definition des Kreises, wie sie gewöhnlich gegeben wird (Linie, deren Punkte gleich von einem Punkt entfernt sind), nichts von endlicher oder sinnlich wahrnehmbarer Größe des Radius, aber man kann diese Vorstellung hinzufügen, die "Kreisfigur (im Allgemeinen nach jener Definition)"  behaften  mit der Eigenschaft der sinnlich wahrnehmbaren Größe, die im Übrigen beliebig groß oder klein sein kann. Man kann sich aber auch in mathematischer Reinheit, welche eine Zeichnung nie erreicht, und in einer Größe oder Kleinheit, welche das Papier auch nie erlaubt, eine solche Figur vorstellen, aber doch so, daß die Größe in die Größen der sinnlich vorgestellten Welt passen würde. Dann sage ich, sie gehöre dem Weitengebiet des Sinnlichvorstellbaren an, oder: zur allgemeinen Kreisvorstellung ist jene Vorstellung hinzugefügt, sie ist damit behaftet worden. Ein solcher nicht mehr zeichenbarer und wahrnehmbarer Kreis gehört also doch noch zur  Weitenbehaftung  des Endlichen. Eine endliche Tangente hat zwar einen Punkt mit dem Kreis gemeinsam, aber die Eigentümlichkeit der Berührung weist darauf hin, daß man eine genauere Kennzeichnung geben sollte zum Unterschied zur Schneidenden. Man sage: die Tangente habe mit dem Kreis eine unendlich kleine Strecke gemeinsam. Ein unendlich kleines Stück eines Kreises ist gerade, wie auch die Tangente gerade ist; dieses Stück hat irgendeine Größe, aber eine dem Wesen nach nicht ins Endliche (in die Weitenbehaftung des Endlichen) gehörige, ich sage: eine unendlich kleine erster Ordnung  δ1  oder der Weitenbehaftung des Untersinnlichvorstellbaren erster Ordnung angehörige; die Vorstellung des Kreisstücks ist mit der Weitenbehaftung des  δ1  versehen. Ein solches  δ-Stück kann, mit anderen  δ-Stücken verglichen, in einem bestimmen Verhältnis stehen z. B.  1 : 2.  Auch die Vorstellung eines Dreiecks kann mit der Weitenbehaftung  δ  versehen sein, das Dreieck ist nicht sinnlich-vorstellbar, sondern dann für das Endliche, wenn man hierfür noch die Vorstellung der Begrenzung aufgibt, eine bloße Stelle, ein (endlicher) Punkt. Zieht man in Gedanken eine unendlich kleine Sehne eines endlichen Kreises, so fällt sie mit dem dadurch abgeschnittenen unendlich kleinen Bogenstück für die Vorstellung des Endlichen (die Weitenbehaftung, das Weitengebiet des Endlichen) zusammen. Aber man kann auch diese Figur mit einer noch schärferen Unterscheidung versehen, sich das Bogenstück noch als gekrümmt vorstellen und von der Sehne unterscheiden; dann muß man die Vorstellung des Übersinnlichvorstellbaren zweiter Ordnung  δ2  heranziehen (oder damit behaften), es hat z. B. der mittlere Punkt jenes  δ-Bogens von der  δ-Sehne einen Abstand mit der Behaftung  δ2  usw.  Die Weitenbehaftung  des Endlichen, Unendlichkleinen (Unter-) und Unendlichgroßen (Übersinnlichvorstellbaren) irgendeiner Ordnung  bedeutet demnach die Fähigkeit des Geistes, sich irgendein mathematisches Größengebild mit bestimmten Größenverhältnissen so vorzustellen,  daß diese verglichenen Größen alles sinnlich vorstellbar sind  oder  daß sie für das Endliche keine Maßbedeutung mehr haben, aber wohl wieder zueinander in ganz bestimmten Größenverhältnissen stehen können, usw. Man kann auch ein Gebilde, z. B. ein Dreieck, einer gemischten Weitenbehaftung unterwerfen, z. B. so, daß die drei Seiten endlich sind, aber zwe Winkel unendlich klein, die Spitze also einen  δ-Abstand von der Grundlinie hat usw. Was für einen Sinn das Sein (Vorhandensein) solcher behafteter Gebilde hat, ist hier nicht erforderlich zu sagen (siehe "Grundsätze des Unendlichen", philos. Teil).
    7) GEISSLER, "Ist die Einwirkung eines freien Willens räumlich möglich ohne Widerspruch gegen die Arbeitserhaltung?" (Inaugural-Dissertation, Halle) - "Eine mögliche Wesenserklärung für Zeit, Raum, das Unendliche und die Kausalität nebst einem Grundwort zur Metaphysik der Möglichkeiten", Berlin 1900. - "Über Notwendigkeit, Wirklichkeit, Möglichkeit und die Grundlagen der Mathematik" (Archiv für systematische Philosophie, Bd. 1, 1905)
    8) Daß diese Auffassung des Halbierens bereits im ersten Unterricht z. B. bei den Kongruenzsätzen vorteilhaft ist, habe ich mehrfach gezeigt, z. B. in "Die Determination der geometrischen Aufgabe und die Weitenbehaftungen (Zeitschrift für lateinlose höhere Schulen, Jahrgang 15, Heft 11 und 12).
    9) Siehe die Grundgedanken einer übereuklidischen Geometrie (siehe Anmerkung 5)
    10) Eine kurze Einführung in die Weitenbehaftung findet man auch in dem Buch "Die Kegelschnitte und ihr Zusammenhang durch die Kontinuität der Weitenbehaftungen, Jena.
    11) PAUL DUBOIS-REYMOND, Über den Gültigkeitsbereich der Taylorschen Reihen-Entwicklung, Mathematische Annalen, Bd. 21, 1883.
    12) HERMANN HANKEL, Untersuchungen über die unendlich oft oszillierenden und unstetigen Funktionen, Mathematische Annalen, Bd. 20.