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MAXIMILIAN DROSSBACH
Eine Untersuchung über die Wahrnehmbarkeit
der Erscheinungen und die Unwahrnehmbarkeit
der Wesen

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"Berkeley ist unwiderlegbar, wenn er sagt: man nehme von der Kirsche die Empfindungen er Weichheit, Nässe, Röte, Säure mit Süßigkeit vermischt etc. weg und man nimmt die Kirsche weg, denn sie ist kein von diesen Empfindungen verschiedenes Wesen; die sinnlichen Dinge, wenn man alles Sinnliche von ihnen abzieht, sind das, was ein eiserner Ring ist, wenn man das Eisen wegnimmt - Nichts."

"Der Empirist hält das Bild für den wirklichen Gegenstand, wie das Kind (welches noch keine Kenntnis von einem Spiegel hat) das Bild im Spiegel für etwas Wirkliches hält; er unterscheidet nicht seine Vorstellung von den auf die Sinne einwirkenden Kräften. - Es scheint nur, daß wir die Vorstellung rot wahrnehmen, es scheint nur, daß wir die Vorstellung schwer wahrnehmen, wenn wir eine auf unsere Hand ausgeübte Kraft wahrnehmen, welche sie zu Boden zieht."

"Wir fühlen eine Nötigung etwas außerhalb unserer Subjektivität Bestehendes zu setzen und können dieselbe in keiner Weise wegdemonstrieren. Daher erhebt sich der Realist mit der Behauptung, daß etwas Reales vorhanden ist; allein er kann sie nicht begründen und rechtfertigen, weil er, wie der Subjektivist, die Erscheinung für das sinnlich Wahrgenommene hält und daher die Existenz seines Realen nicht in der sinnlichen Wahrnehmung nachweisen kann, denn so wie er dem Idealisten nachweisen will, daß er ja diesen oder jenen Gegenstand tatsächlich wahrnimmt, so entgegnet dieser, daß dieser Gegenstand eine Vorstellung (folglich nichts Reales) ist und der Realist kann diese Entgegnung nicht entkräften."

I. Soll Wahrnehmung stattfinden, so muß ein Wahrnehmbares vorhanden sein (ein Wahrnehmen, welches Nichts wahrnimmt, ist kein Wahrnehmen). Wahrgenommen kann nur werden, was auf das Wahrnehmende einen Eindruck ausübt, Wirkungsloses kann nicht auf unsere Sinne wirken, mithin nicht wahrgenommen werden. Nur was mich affiziert, kann ich perzipieren. Im Gegensatz hierzu wird behauptet, daß wir niemals das Wirken, sondern nur die Wirkung, das Bewirkte wahrnehmen; die Erscheinung ist das Bewirkte, wir nehmen nur die Erscheinung wahr: die Härte wird mittels Tasten empfunden, die Süße geschmeckt, der Ton gehört, das Licht, die Gestalt, die Farbe gesehen, der Körper wird durch Tasten, Heben, Sehen, und je nach seiner Beschaffenheit auch durch Riechen, Schmecken, Hören wahrgenommen. Der Körper mit seinen Eigenschaften oder Qualitäten gilt als objektiv vorhanden und deswegen als wahrnehmbar.

Es ist jedoch nachgewiesen, daß die Härte, der Druck, die Süßigkeit, daß Farbe, Licht, Ton, kurz alles, was wir Eigenschaften oder Beschaffenheiten der Körper nennen, bloß unsere subjektiven Empfindungen sind und was den Körper betrifft, welchem Eigenschaften inhärieren sollen, so zeigt sich, daß, wenn man sämtliche Eigenschaften wegnimmt, nichts übrig bleibt, daß also ein Körper oder ein Stoff als Substrat der Eigenschaften gar nicht vorhanden ist. BERKELEY ist unwiderlegbar, wenn er sagt: man nehme von der Kirsche die Empfindungen er Weichheit, Nässe, Röte, Säure mit Süßigkeit vermischt etc. weg und man nimmt die Kirsche weg, denn sie ist kein von diesen Empfindungen verschiedenes Wesen; die sinnlichen Dinge, wenn man alles Sinnliche von ihnen abzieht, sind das, was ein eiserner Ring ist, wenn man das Eisen wegnimmt - Nichts. Ein solches Nichts sind die Körper und die Materie im Allgemeinen. Nach Abzug aller sinnlichen Qualitäten, aller menschlichen Wahrnehmungen sind die stofflichen Dinge - Undinge. KANT erklärt ebenfalls die Erscheinungen als unsere Vorstellungen: es ist nichts in den Erscheinungen, was nicht subjektiv wäre; und das gegenständliche Ding ist nach ihm die regelmäßige oder gesetzmäßige Verknüpfung mannigfaltiger sinnlicher Vorstellungen zur Einheit. Die Naturwissenschaft hat das Ergebnis des philosophischen Denkens in vielen Fällen durch Beobachtung und Experiment bestätigt: in die finstere Kapsel, welche unser Gehirn umschließt, dringt kein Lichtstrahl - der Sehnerv wird irgendwie erregt, leitet diese Erregung zum Gehirn, veranlaßt da gewisse Zustandsveränderungen - und nun glauben wir eine lichte, formenreiche, farbenprächtige Welt außerhalb derselben ausgebreitet vor uns zu erblicken. Der Naturforscher hat erkannt, daß Licht, Farbe, Wärme, Ton, Süßigkeit subjektive Empfindungen sind und nicht außerhalb unser selbst als wirkliche Dinge oder Eigenschaften derselben unabhängig von unserer Subjektivität bestehen. - Es läßt sich also die Ansicht, daß die Erscheinungen objektiv bestehen, nicht rechtfertigen.

Da man sich zu der Annahme, daß objektiv bestehende Dinge wahrnehmbar sind, unwillkürlich gezwungen fühlt (obwohl man den Grund ihrer Wahrnehmbarkeit nicht klar erfaßt hat), so war es wohl begreiflich, wenn man die Erscheinungen, indem sie für objektive Dinge gehalten wurden, auch für sinnlich wahrnehmbar hielt. Sind dieselben aber keine solchen Objekte, sondern subjektive Vorstellungen, so ist die Frage unabweisbar, ob sie als Vorstellungen auch sinnlich wahrgenommen werden können. Die sinnlichen Vorstellungen sind nicht wesentlich verschieden von den Gedanken, Erinnerungsbildern und Begriffen; beide sind nur verschiedene Arten von Gemütszuständen; es ist noch niemandem eingefallen zu sagen, daß er seine Gedanken sinnlich wahrnimmt, ebensowenig kann man sagen, daß die sinnlichen Vorstellungen sinnlich wahrgenommen werden. Will man aber behaupten, die Vorstellungen werden unmittelbar wahrgenommen und zwar so, daß die eigentlichen Gedanken auf einen inneren Sinn, die sinnlichen Vorstellungen auf die äußeren Sinne bezogen werden, so muß man zuvor gefragt werden, ob denn überhaupt irgendein Wahrnehmen der Vorstellungen möglich ist. Kann die Empfindung empfunden, die Anschauung angeschaut, die Wahrnehmung wahrgenommen werden? Es ist offenbar: der Geschmack wird nicht geschmeckt, der Geruch nicht gerochen, sämtliche Empfindungen entstehen erst, nach wir gewisse Einwirkungen empfunden haben. Wir haben einen Geschmack, weil wir etwas schmecken, wir haben Empfindungen, weil wir etwas empfinden, das Empfindbare ist die Voraussetzung der Empfindung, es kann das nicht empfunden werden, was erst infolge des Empfindens entsteht; wir nehmen unsere Empfindungen, unsere Vorstellungen, nicht wahr, weil sie erst entstehen, nachdem wir wahrgenommen haben. Wir stellen uns nur vor, daß sie Objekte sind, wir stellen uns nur vor, daß wir sie wahrnehmen; dieses Wahrnehmen ist nur ein vorgestelltes, eingebildetes und so wenig ein objektives als die Vorstellungen objektive Dinge sind. -

Sind nun die Empfindungen nicht wahrnehmbar, so kann es auch das Körperding nicht sein, weil dasselbe nichts anderes als eine zu einem Ganzen verknüpfte Mannigfaltigkeit von Empfindungen ist. Und eine Materie oder ein Stoff als Substrat, an welchem die Eigenschaften hängen oder zum Vorschein kommen sollen, ist schon deswegen nicht wahrnehmbar, weil nach Abzug sämtlicher Eigenschaften oder Empfindungen überhaupt nichts übrig bleibt. - Hat man also die Körper oder die Erscheinungen als Vorstellung erkannt, so muß man auch erklären, daß sie nicht wahrnehmbar sind. Der Subjektivist hat Recht, daß die Erscheinungswelt bloß subjektive Vorstellung, Produkt seines Vorstellens ist, aber Unrecht, wenn er nun doch behauptet, sie sei wahrnehmbar, sie sei Objekt seines Wahrnehmens. Es ist etwas anderes Vorstellungen zu bilden, konstruieren, bzw. zu verknüpfen und Vorstellungen wahrnehmen. Das letztere ist eine (obwohl allgemein als selbstverständlich geltende) unkritische und wie sich jetzt herausgestellt hat, falsche Annahme.

Die Vorstellungen entstehen nicht von ungefähr und zufällig, sondern mit Notwendigkeit, d. h. infolge bestimmter Nötigungen; es sind immer bestimmte Ursachen vorhanden, in deren Folge ich diese oder jene Vorstellung bilde. Habe ich die Vorstellung eines Menschen oder einer Pflanze oder eines Kristalls, so sind derselben stets gewisse Impulse vorausgegangen, die mich dazu nötigten, und es versteht sich von selbst, daß diese Impulse für die Vorstellung eines Menschen andere sind als für die eines Kristalls ets. Die Naturwissenschaften lehren, daß die Vorstellungen durch verschiedene Einwirkungen auf unsere Sinne veranlaßt werden, so zwar, daß ihre Beschaffenheit sowohl von der Art jener Einwirkungen als auch von der Beschaffenheit unserer Sinnesorgane bedingt ist; die äußeren Einwirkungen werden durch die Nerven zum Gehirn geleitet und dort empfunden, es besteht ein gewisses Verhältnis zwischen den einwirkenden Kräften und unserer Wahrnehmung; wie jene wechseln, so änder sich der Zustand der Nerven und infolgedessen auch die Empfindung. Kurz: sämtliche Erscheinungen oder Vorstellungen bilden wir infolge des Empfangens von bestimmten Einwirkungen oder Nötigungen (1). Und es ist natürlich, daß dieses Einwirkende oder Affizierende nicht wieder Vorstellung, Erscheinung oder Körper sein kann, denn sämtliche Vorstellungen entstehen ja erst infolge des Affizierens. Das Wirksame ist niemals Vorstellung - die Vorstellung ist niemals wirksam; man kann beide Bestimmungen nicht vereinigen, sodaß das Wirksame Vorstellung oder die Vorstellung wirksam wäre. Soll uns aber das Wirkende zur Bildung von Vorstellungen anregen und soll es überhaupt einen Erfolg haben, so müssen wir es inne werden, wahrnehmen, denn wie könnten wir angeregt werden, wenn wir vom Anregen nichts erfahren oder wenn sich dasselbe außerhalb der Sphäre unseres Erfahrens befindet? LOTZE schildert die Tatsache, daß der Einfluß des Seienden und seiner Veränderung im Innern der Wesen das Aufblühen einer Welt sinnlicher Empfindungen veranlaßt, als das größte aller Ereignisse, neben dessen Tiefe und Bedeutsamkeit alles Übrige verschwindet, was sich sonst zwischen den Bestandteilen der Welt ereignen könnte. Nur darf man nicht außer Acht lassen, daß dieser Einfluß, von dem nichts wahrgenommen würde, gar kein Einfluß wäre.

Die Erscheinungswelt kann ein Gemälde oder eine Dichtung genannt werden, welches ich infolge eines Auftrags, den mir jemand erteilt, oder einer Begebenheit nach den mir zu Geboten stehenden Mitteln herstellt, und es ist selbstverständlich, daß ich von diesem Auftrag oder Ereignis zuvor eine Kenntnis gehabt haben muß.

Nehmen wir aber die affizierenden Kräfte (2) oder nach LOTZE den Einfluß des Seienden wahr, so ist das Wahrnehmbare das, was nicht Vorstellung, was nicht Erscheinung ist.

Solange man die Erscheinung für das Wahrnehmbare ansieht, bleibt das Wirkende etwas Rätselhaftes, Verborgenes: ich nehme hiernach den Druck wahr, wenn ein schwerer Gegenstand auf meiner Hand liegt - nicht die Kraft, welche meine Hand zu Boden zieht. Der Druck ist aber eine Empfindung und diese besteht erst, nachdem die Kraft auf meine Hand gewirkt hat, also nachdem ich ihr Wirken gespürt, empfunden habe; ich empfinde also nicht den Druck und bilde infolge dessen die Vorstellung der wirkenden Kraft, sondern ich empfinde die wirkende Kraft und bilde infolgedessen die Vorstellung des Druckes. Man sagt, wir sehen wohl den Mond und seine Bewegung um die Erde, aber wir nehmen nicht die Kraft wahr, mit welcher er von der Erde angezogen wird; jedoch was ist das, was wir spüren und was uns ermüdet, wenn wir gehen oder einen Berg hinaufsteigen, anderes als das, was den Mond an die Erde fesselt? Die Kraft, welche die Himmelskörper verbindet, spürt jeder Erdenbewohner, es braucht ihm nicht gerade ein Apfel auf die Nase zu fallen, aber nicht jeder wird sich derselben bewußt. NEWTON war der Erste, der diese Kraft erkannte, aber er erkannte sie nur, weil er sie sinnlich wahrnahm. Wenn der Hammer auf den glühenden Eisenstab fällt und denselben streckt, so bemerke ich allerdings nur die Bewegung des Hammers und die Veränderung der Form des Eisenstabes - nicht aber die Kraft, welche den Stab streckt; lege ich aber meine Hand unter den Hammer, so werde ich nicht mehr sagen, daß ich von der Kraft nichts bemerke. Das Palpable [Greifbare, Fühlbare - wp], das Handgreifliche gilt allgemein für das Wirkliche und Wahrgenommene: man sagt der Körper sei greifbar, deshalb ist er wirklich: aber handgreiflich ist das, was dem Eindringen meiner Hand widersteht, ich empfinde ein Widerstreben; was widerstrebt ist Kraft; das Wirkliche und Greifbare ist also die widerstrebende Kraft, nicht der Körper; man nehme diese Kraft weg und man hat nichts mehr zu greifen. Mithin ist die wirkende Kraft nicht unwahrnehmbar, nicht übersinnlich - im Gegenteil das allein Wahrnehmbare und insofern sie auf die Sinne wirkt und mittels dieser von uns wahrgenommen wird - das sinnlich Wahrnehmbare. - (Wohl hat FEUERBACH Recht, daß das Sinnliche das allein Wirkliche, Wahre ist - aber nicht der Körper ist es, sondern die Kräfte, also das Unkörperliche, Immateriele; was man körperlich nennt, ist eine Vorstellung, die wir erst bilden, nachdem wir eine Einwirkung empfangen haben.)

Man muß die Vorstellung als subjektiven Gemütszustand unterscheiden, der bewirkt wird und der als solcher weder sinnlich noch sonstwie wahrgenommen werden kann - und das Wirksame und Wahrnehmbare, welches schon vorhanden sein und wahrgenommen werden muß, wenn ein Gemütszustand, wenn eine Vorstellung entstehen soll; die Sonne ist Vorstellung; bilde sie, nachdem etwas auf mein Auge gewirkt hat und nachdem ich dieses wahrgenommen habe; der Blindgeborene hat keine Vorstellung von der Sonne und wenn nichts da wäre, was auf das Auge des Sehenden wirkt, so hätte auch dieser keine Vorstellung derselben. Die Vorstellung "Sonne" entsteht erst, nachdem etwas auf mich gewirkt hat und von mir wahrgenommen worden ist; wenn sie nun aber auch das auf mich Wirkende und von mir Wahrgenommene wäre, müßte sie schon vorher vorhanden gewesen sein, ehe sie entstanden ist. Weder der Subjektivist noch der Objektivist macht diese Unterscheidung: für den Ersteren ist sowohl die Wirkung als auch das sie Bewirkende eine Vorstellung, er muß, wenn er konsequent sein will, sowohl die Sonne als auch das, was auf das Auge wirkt und die Vorstellung "Sonne" veranlaßt, als Vorstellung erklären; für den Andern ist nicht bloß das Wirkende, sondern auch das Bewirkte ein Wirkliches und er muß sowohl das, was auf das Auge wirkt, als auch die dadurch bewirkte Vorstellung "Sonne" als Wirkliches, Objektives erklären.

Es ist kaum nötig, zu erwähnen, daß das Wahrnehmende ebensowenig wie das Wirkende oder Wahrnehmbare eine Vorstellung sein kann, die Empfindung wird nicht empfunden und sie empfindet auch nicht, der Geschmack schmeckt nicht, der Ton hört nicht, der Körper nimmt nicht wahr, weil er nichts anderes ist als eine gewisse Verknüpfung sinnlicher Empfindungen (daher können auch die Nerven oder Ganglienzellen nicht das Empfindende sein). Will man sagen, der Körper nimmt wahr, so wäre er nicht mehr die Vorstellung eines wahrnehmenden Subjekts, sondern das wahrnehmende Subjekt selbst - wo bliebe aber dann die Vorstellung? man hätte wohl die Bedingung der Vorstellung - aber keine Vorstellung mehr. Die empfindende Kraft oder das Wahrnehmungsvermögen ist ebenso Bedingung jeder Vorstellung wie die wirkende, sie ist die subjektive Ursache der Vorstellung, der Erscheinung, während die wirkende die objektive ist.

Es muß aber jetzt gefragt werden, wie wir zu einer Kenntnis der Vorstellungen gelangen, da sie doch in keiner Weise wahrnehmbar sind: daß wir die Empfindungen anderer Menschen nicht wahrnehmen, weiß jedermann, aber wir wissen doch, daß sie solche haben. Sie teilen es mir durch Worte und Mienen, durch Leibesbewegungen mit, der Dichter drückt seine Empfindungen und Gefühle im Gedicht, der Maler im Gemälde aus und ich teile andern meine Empfindungen auf gleiche Weise mit. EIn jeder schließt von der Art der Einwirkungen, die er vom Andern erfährt, auf seinen jeweiligen Gemütszustand, ein jeder bildet sich infolge bestimmter wahrgenommener Einwirkungen eine bestimmte Vorstellung von den Empfindungen des andern. Wir kommen also zur Kenntnis der Gemütszustände anderer infolge des Wahrnehmens ihrer Bewegungsakte. Ebenso verhält es sich mit der Kenntnis, die wir von unseren eigenen Vorstellungen und Empfindungen haben. Wir haben dieselbe insofern und solange wie wir ein gesundes Nervensystem haben, ohne dieses gibt es keine Vorstellung des eigenen Ich und seiner Zustände. In Bezug auf das Wort "Nervensystem" muß hier die Bemerkung eingeschaltet werden, daß es eine uneigentliche Rede ist, wenn von ihm als von etwas objektiv Bestehenden gesprochen wird (ähnlich wie die Rede, daß die Sonne auf- und untergeht), denn es ist wie alles Körperlich eine Erscheinung (also Vorstellung); es sind darunter die Kräfte oder Krafteinheiten verstanden, welche die Vorstellung des Nervensystem (in dem das Gehirn untersuchenden Anatomen) hervorrufen. Diese Kräfte sind es, durch deren Vermittlung ich Kenntnis von meinen Vorstellungen erlange. Wie der andere sich des Sprachorgans bedient, um mir seine Empfindungen mitzuteilen, so bediene ich mich meines Nervensystems, um mir meine Empfindungen zu Bewußtsein zu bringen. Wie wir durch die Wahrnehmung gewisser Bewegungen anderer zu der Kenntnis von ihren Gemütszuständen gelangen, so kommen wir auch durch das Wahrnehmen der Rückwirkungen derjenigen Krafteinheiten, welch die Erscheinung des Nervensystem bilden, zur Kenntnis unserer eigenen. Nähmen wir unsere Empfindungen etc. unmittelbar wahr, so müßten wir auch ohne Nervensystem eine Kenntnis von ihnen haben und der ganze komplizierte Apparat wäre zum Bewußtwerden nicht nötig. Um die Sache deutlicher zu machen: ich erfahre irgendeine Einwirkung, infolge davon werden die Ganglienzellen erregt, die Nerven leiten die Erregung fort, übertragen sie auf den Muskel und veranlassen diesen zur Tätigkeit, zur Bewegung, welche dann auf außerleibliche Gegenstände übertragen werden kann. Diese reagieren ihrerseits gegen die von mir erlittene Einwirkung, ich erfahre von ihnen eine Rückwirkung und diese ist abhängig von der Art und Größe meiner Einwirkung und von der Beschaffenheit des von mir affizierten Gegenstandes. Dieser Gegensteand kann so beschaffen sein, daß seine Rückwirkung meiner Einwirkung konform ist; das Echo z. B. gibt mir mein Wort zurück, der Spiegel meine Gesichtszüge. -

Ich kann auch auf gewisse Teile meines eigenen Leibes wirken und dadurch Kenntnis von meinem eigenen Wirken erlangen: wenn ich z. B. mit der rechten Hand auf die linke schlage, so empfinde ich mein eigenes auf die linke Hand ausgeübtes Wirken, indem dasselbe von der Hand durch die Empfindungsnerven zum Gehirn fortgeleitet wird. Ich kann auch ohne die Vermittlung äußerer Organe direkt auf mein Zentralnervensystem wirken und erhalte von demselben, wenn es geeignet organisiert ist, meinem Wirken entsprechende Reaktionen - in diesem Vorgang besteht das Denken. Ich kann also durch die geeignete Rückwirkung von anderen Kenntnis erhalten von meinem eigenen Wirken, indem ich entweder auf äußere Gegenstände (oder auch auf Personen) wirke oder indem ich auf Teile meines eigenen Leibes oder auf mein Nervensystem direkt wirke. Dieses kann daher ein Reflexionsapparat genannt werden, welcher mir ein Bild meiner eigenen Zustände verschafft, wie mir ein Spiegel das Bild meiner Gesichtszüge (die ich auch nicht wahrnehmen kann) gibt. Indem ich bei einem gewissen erregten Gemütszustand in gewisser diesem entsprechender Form auf meine Nerven wirke und die diesem Wirken entsprechenden Reaktionen derselben empfinde, werde ich genötigt ein Vorstellung von meinem Zustand zu bilden, wie ich genötigt werden, ein Bild meiner Gesichtszüge zu entwerfen, wenn ich die vom Spiegel zurückgeworfenen Lichtwirkungen wahrnehme. -

Wie zum Bewußtsein meiner subjektiven Zustände überhaupt, so komme ich auch zum Bewußtsein der sinnlichen Vorstellungen oder der Erscheinungen: wenn ich einen sinnlichen Eindruck erhalten habe, fange ich an darüber nachzudenken, d. h. ich errege meine Nerven in einer diesem Eindruck entsprechenden Weise, empfange von denselben eine entsprechende Rückwirkung und bilde infolge dieser die bewußte sinnliche Vorstellung; diese Vorstellung ist der durch Reflexion zu Bewußtsein gebrachte sinnliche Eindruck; sie ist die Folge einer zweifachen Prozesses: erstens der Wechselwirkung von äußeren, die Sinne affizierenden Kräften und meines wahrnehmenden Ich, und zweitens der Wechselwirkung meines Ich mit dem Nervensystem. Ich empfange zuerst einen Eindruck, ich weiß noch nichts von demselben, er ist eine unbewußte Vorstellung, aber mein Gemütszustand ist durch ihn verändert worden; ich beschaue mich dann (in diesem veränderten Zustand) in einem Spiegel, dem Nervensystem, und komme so zur Kenntnis von diesem Eindruck, zur bewußtsen Vorstellung zum Wissen um die sinnliche Vorstellung oder die Erscheinung. Nur ist immer zu beachten, daß wir nicht die Vorstellung, nicht das Bild, sondern die rückwirkenden Kräfte anderer wahrnehmen; in Wahrheit nehmen wir beim Spiegel reflektierte Lichtstrahlen, beim Nervensystem Reaktionen desselben wahr und wir täuschen uns, wenn wir glauben, daß wir das Bild im Spiegel oder die Vorstellung in uns wahrnehmen. Der Subjektivist glaubt, er nehme die bewußte Vorstellung (die Empfindungen süß, rot, fest etc.) wahr, weil er die empfangene Rückwirkung der Nerven von dem, was durch diesen Vorgang in ihm entstanden ist, nicht unterscheidetf, weil er das Wahrgenommene mit der Wahrnehmung verwechselt. Der Empirist dagegen hält das Bild für den wirklichen Gegenstand, wie das Kind [oder das Tier - wp] (welches noch keine Kenntnis von einem Spiegel hat) das Bild im Spiegel für etwas Wirkliches hält; er unterscheidet nicht seine Vorstellung von den auf die Sinne einwirkenden Kräften. - Es scheint nur, daß wir die Vorstellung "rot" wahrnehmen, es scheint nur, daß wir die Vorstellung "schwer" wahrnehmen, wenn wir eine auf unsere Hand ausgeübte Kraft wahrnehmen, welche sie zu Boden zieht; die Vorstellung ist ein subjektiver Zustand, der weder vom eigenen Subjekt noch an anderen wahrgenommen, sondern nur aus den entsprechenden Bewegungen anderer ermittelt werden kann. Es ist nicht wahr, wie man gewöhnlich annimmt, daß wir unmittelbar nur von uns selbst und von unseren Zuständen, Vorstellungen und Empfindungen wissen. Gerade umgekehrt verhält es sich: wir nehmen unsere Vorstellungen und uns selbst nie unmittelbar wahr, sondern stets nur durch das Wirken anderer und kommen erst durch Vermittlung dieser zur Kenntnis unserer eigenen Vorstellungen oder Zustände. Die Kenntnis vom Wirken anderer auf uns ist eine unmittelbare, die von unseren Gemütszuständen eine vermittelte. Der Gegensatz kann nicht schärfer sein: die Erscheinungen (oder Vorstellungen) sind nicht wahrnehmbar, die wirkenden Kräfte sind wahrnehmbar - dagegen: die wirkenden Kräfte sind unwahrnehmbar, die Erscheinungen das Wahrnehmbare; wir haben eine unmittelbare Kenntnis von den Wesen und nur eine vermittelte von den Erscheinungen - dagegen: wir haben eine unmittelbare Kenntnis von den Erscheinungen und nur eine vermittelte von den Wesen. Auf der letzteren Ansicht ruht alles bisherige philosophische Denken, sie bildet die Grundlage sowohl der realistischen als auch der idealistischen Philosophie; so verschieden diese beiden Richtungen sind, so haben sie doch die Basis und den Ausgangspunkt miteinander gemein; denn obwohl der Realismus von der Erfahrung, der Idealismus vom Denken ausgeht, so beruth doch sowohl die Erfahrung der ersteren als auch das Denken der anderen Richtung auf der Voraussetzung, daß die Erscheinungen das Wahrnehmbare sind und sie sind in allen Ausführungen ihrer verschiedenen Systeme von dieser Voraussetzung beherrscht. Diese Voraussetzung ist der gemeinschaftliche Irrtum beider, und da von einer falschen Voraussetzung aus auch sämtliche Konsequenzen falsch sein müssen, so kann keine zu einem richtigen Resultat gelangen. Der Erklärung des Subjektivisten, daß das, was wir wahrnehmen und erkennen, eine subjektive Vorstellung ist, genügt und befriedigt nicht. Wir fühlen eine Nötigung etwas außerhalb unserer Subjektivität Bestehendes zu setzen und können dieselbe in keiner Weise wegdemonstrieren. Daher erhebt sich der Realist mit der Behauptung, daß etwas Reales vorhanden ist; allein er kann sie nicht begründen und rechtfertigen, weil er, wie der Subjektivist, die Erscheinung für das sinnlich Wahrgenommene hält und daher die Existenz seines Realen nicht in der sinnlichen Wahrnehmung nachweisen kann, denn so wie er dem Idealisten nachweisen will, daß er ja diesen oder jenen Gegenstand tatsächlich wahrnimmt, so entgegnet dieser, daß dieser Gegenstand eine Vorstellung (folglich nichts Reales) ist und der Realist kann diese Entgegnung nicht entkräften. Den Subjektivisten kann man nur dann widerlegen, wenn man nachweisen kann, daß die Erscheinung und das Wahrnehmbare zwei ganz verschiedene Dinge sind, die sowohl von ihm als auch vom Realisten verwechselt werden. Daß dies der Fall ist, wird auch klar, wenn man beobachtet, wie die erstere (die Erscheinung) von unserer individuellen Organisation abhängig ist, während das Wahrgenommene bei aller Veränderung unserer Organisation gleich bleibt. Die auf die Sinne und Nerven wirkenden Dinge und die die Vorstellung der Sinne und Nerven hervorrufenden sind zwei verschiedene Gruppen oder Verbindungen von Kräften, von denen jene unabhängig von der andern bestehen und sich ändern kann. Ändern sich die auf die Sinne einwirkenden Kräfte, so ändern sich auch dann die Eindrücke und bewußten Vorstellungen, wenn die einwirkenden Kräfte dieselben bleiben. Eine glatte und richtig geschliffene Spiegelfläche z. B. gibt ein klares und richtiges, eine rauhe und unrichtig geschliffene ein mattes und verzerrtes Bild des vor ihr befindlichen Gegenstandes, obgleich dieser der gleiche geblieben ist; ebenso gibt ein gesundes Nervensystem eine klar und entsprechende, dagegen, wenn es durch Krankheit gestört oder verändert wird, eine dunkle oder verzerrte Vorstellung ein und desselben auf die Sinne einwirkenden Gegenstandes. Und verschließen wir unsere Sinne den einwirkenden Kräften oder versagen dieselben ihren Dienst, so hört die Vorstellung ganz auf, obgleich die äußeren wirkenden Kräfte fortbestehen. So erhalte ich durch gewisse Einwirkungen auf meine Sinne die Vorstellungen "rote, weiche, süße, runde, schwere Orange - leuchtende Sonnenscheibe etc." und diese ändern sich und vergehen, wenn mein Nervensystem sich ändert oder gänzlich zerstört wird, aber die auf die Sinne einwirkenden Kräfte bleiben unverändert, sind unabhängig von meinem Nervensystem; die sogenannten Eigenschaften, aus denen die Orange oder die Sonnenscheibe besteht, sind verschieden bei jedem Menschen und noch verschiedener bei den Tieren, deren Nervensystem ganz anders beschaffen ist; sie fehlen ferner bei den Dingen, welche kein Nervensystem zur Verfügung haben, sowie auch bei uns, wenn das Nervensystem außer Funktion gesetzt ist, da wir dann in derselben Lage sind wie die Dinge in unorganischer Verbindung; sie sind nur für den Menschen mit den ihm eigentümlichen Sinnesorganen und Nerven vorhanden und nur so lange wie er dieselben hat. -

Die Orange, die Sonnenscheibe verschwinden wie ich die Augen schließe oder des Nachts, wenn keine Lichtstrahlen mein Auge treffen etc., aber die einwirkenden Kräfte bleiben in allen Fällen die gleichen. Auch die Glut der Erde zur Zeit ihres feurig flüssigen Zustandes war nicht vorhanden, weil keine Menschen vorhanden waren, welche diese Vorstellung hätten bilden können, jedoch die Kräfte waren da und haben in einer solchen Weise gewirkt, daß, wenn Menschen vorhanden gewesen wären, diese die Vorstellung der Glut gehabt hätten. Die Kräfte fangen nicht erst an zu wirken, wenn Menschen vorhanden sind, auf deren Sinnesorgane sie wirken, und hören nicht aus, wenn dieselben nicht mehr vorhanden sind; ihr Wirken ist nicht abhängig von gewissen Verhältnissen, da alle Verhältnisse durch sie hergestellt werden. Wenn sie nicht mehr auf meine Sinnesorgane wirken, so folgt daraus nicht, daß sie überhaupt nicht mehr wirken, sie wirken nur nicht mehr in der durch die Sinne und Nerven bestimmten Form. Nicht die Kräfte, also nicht das, was wir wahrnehmen - sondern die bewußten Vorstellungen hängen von der veränderlichen Beschaffenheit unserer Sinne und Nerven ab. Nach der subjektivistischen Anschauung hängen aber nicht bloß die Vorstellungen, sondern auch die sie bedingenden Kräfte von unserer Subjektivität ab. Wenn die Vorstellung der Orange und der leuchtenden Sonnenscheibe verschwindet, so ist für den Subjektivisten auch das, was auf seine Sinne gewirkt und welches ihn zu den Vorstellungen "Orange und leuchtende Sonnenscheibe" genötigt hat, verschwunden und da die Vorstellung "Glut" nicht vorhanden war, als die Erde sich in einem feurig flüssigen Zustand befand, so war für ihn auch ein solcher Zustand der Erde nicht vorhanden. Er hat wohl recht, daß die Vorstellungen nur dann und nur so lange vorhanden sind als er sie festhält, aber die Kräfte sind keine Vorstellungen; er hat Recht, daß die Orange gänzlich verschwindet, sowie die sinnliche Wahrnehmung aufhört, daß die ganze Körperwelt Vorstellung ist, welche wegfallen muß, sowie sein Vorstellen aufhört, daß von einem Fortbestehen derselben keine Rede sein kann; aber woher wüßte er, daß die wirkenden Kräfte verschwunden sind, wenn sie nicht mehr auf seine Sinne wirken? Wenn die Orange und die ganze Erscheinungswelt verschwunden ist, so bleibt doch etwas übrig, nämlich wir, die wahrnehmenden und wirkenden Subjekte. Die Erscheinungswelt ist abhängig von uns, sie ist unser Produkt, sie ist das Bedingte, wir das Bedingende, wir sind also das, was nicht Vorstellung, was nicht Produkt ist, das Unabhängige, und man darf daher nicht vergessen, daß es außer der Erscheinungswelt noch eine andere, eine Welt der wahrnehmenden und wirkenden Kräfte gibt (auf verschiedenen Stufen der Klarheit des Bewußtseins und des Vorstellens), ohne welche es keine Erscheinungswelt gäbe. Der Subjektivist hat Recht, daß die ganze Erscheinungswelt nicht vorhanden war, als er sie nicht vorgestellt hatte, daß sie erst entsteht, indem er sie vorstellt, aber wer gibt ihm das Recht zu sagen, daß die wirkenden Kräfte nicht schon dagewesen und erst durch sein Vorstellen entstanden sind? -

Er hat Recht, daß die Vorstellung vom Subjekt abhängt; aber die Vorstellung ist etwas anderes als das, was er wahrnimmt oder was auf ihn wirkt, und sein Irrtum besteht darin, daß er nicht bloß die Vorstellung, sondern auch die wirkenden Kräfte, also das, was die Vorstellung in ihm verursacht, von seiner Subjektivität abhängig erklärt. Ihm gegenüber hat der Objektivist Recht, daß das Objektive nicht von seiner Subjektivität abhängt, aber dieses Objektive ist nicht die Erscheinung; sein Irrtum besteht darin, daß er die Erscheinung, die nur Vorstellung ist, für objektiv und unabhängig von seiner Subjektivität erklärt. Weil er die die Vorstellung bedingenden Kräfte nicht von der Vorstellung unterscheidet und dem Wirksamen und von ihm Wahrgenommenen seine Empfindungen andichtet, somit auch diese für objektiv hält, darum haben die Erscheinungen für ihn eine gewisse Realität und darum bestehen für ihn die Orange, die leuchtende Sonnenscheibe, die Glut der Erde etc. unabhängig von seinem Vorstellen. Es hat aber nur den Anschein, als hätte die Glut der Erde schon bestanden als es noch keine Menschen gab, wir glauben, daß die Glut identisch ist mit den Kraftwirkungen, weil wir die Vorstellung der Glut stets haben, wenn wir gewisse Einwirkungen erfahren, aber diese Wirkungsakte können auch bestehen, ohne eine sinnliche Vorstellung in uns zu bewirken; es hat den Anschein, als bestünde die Orange fort, wenn ich die Augen schließe, und wird eben von anderen Menschen wahrgenommen, aber diese haben die Vorstellung "Orange" nicht deswegen, weil die Orange fortbesteht, sondern weil die Kräfte fortbestehen und in ihnen dieselbe Vorstellung bewirken, die sie in mir bewirkt haben, als ich die Augen offen hatte. Beide Systeme, die subjektivistischen wie die objektivistischen oder die idealistischen und empiristischen verdanken ihr Entstehen der Nichtunterscheidung von der Vorstellung und dem sie Bewirkenden, der Vermengung von Produkt und Objekt unseres Wahrnehmens, sowie auch der Nichtbeachtung dessen, was von unserer Organisation abhängig ist und was unabhängig von ihr besteht, - sie können daher nur so lange bestehen, als man diesen Unterschied nicht bemerkt; und der prinzipielle Irrtum, auf dem sie beruhen, ist die Meinung, daß wir die Erscheinungen wahrnehmen: das Erscheinungsding ist der verworrene und zweideutige Begriff, in welchem man die beiden unvereinbaren Bestimmungen der Vorstellung und des Wahrnehmbaren, des Subjektiven und Objektiven vereinigen will, und aus der verschiedenen Anwendung desselben sind die beiden unvereinbaren philosophischen Richtungen entstanden.


Solange man die Erscheinungen für das Wahrnehmbare und ihre Ursachen für unwahrnehmbar hält, kann man auch die notwendige Aufeinanderfolge der ersteren nicht erklären. Wir nehmen hiernach die vorhergehende wie die nachfolgende Erscheinung wahr - nicht aber den Zusammenhang, in welchem sie stehen - nicht die Kraft, womit die erste Erscheinung die zweite hervorruftf, oder doch das Nachfolgen der zweiten veranlaßt. Wir haben also den Kausalitätsbegriff nicht aus der Erfahrung, welche die Erscheinungen für ihre Objekte hält. Er kann auch nicht durch eine Schlußfolgerung oder durch die Vernunft gewonnen werden.
    "Es sei z. B. die Vorstellung einer Kugel, so kann ich durch keine Schlußfolgerung aus ihrem Begriff finden, welche Bewegung diese Kugel einer anderen mitteilen wird, mit der sie zusammenstößt. Es gibt von der Ursache a auf die Wirkung b keinen Schluß, denn Schlüsse überhaupt sind nur möglich durch Mittelbegriffe. Wo ist zwischen Ursache und Wirkung der Mittelbegriff?" (3)
Solange die Ursachen der Veränderung oder der Aufeinanderfolge der Erscheinungen für unerkennbar gelten, bleibt es unbegreiflich, wie wir zum Kausalbegriff kommen. Vom Unerkennbaren können wir uns keinen Begriff machen. Es ist gewiß, daß wir den Kausalbegriff nicht aus der gemeinen Erfahrung haben, weil diese sich nur mit Erscheinungen beschäftigt, und wir können ihn auch nicht aus der bloßen Vernunft haben, denn "alle Erkenntnis von Dingen aus bloßem reinen Verstand oder reiner Vernunft ist nichts als bloßer Schein".

Aber wir haben diesen Begriff, wir sind überzeugt, daß jede Wirkung, also jede Erscheinung und jede Veränderung (die auch eine Erscheinung ist) ihre Ursache hat, woher haben wir den Begriff der Ursache? Die Antwort ist schon im Vorhergehenden gegeben: das, was mich nötigt, eine Vorstellung zu bilden, ist die objektive, ich selbst bin die subjektive Ursache der Vorstellung - der Erscheinung, folglich auch der Veränderung oder der Aufeinanderfolge der Erscheinungen und ich komme zu der Vorstellung der Ursache wie zu jeder anderen Vorstellung, weil ich ihr Nötigen, ihr Wirken wahrnehme. Wir bilden alle einzelnen sinnlichen Vorstellungen und nicht minder die Vorstellung ihrer Aufeinanderfolge infolge des Empfindens bestimmter Nötigungsakte und den Begriff der Ursächlichkeit, indem wir die mannigfaltigen, bestimmten Nötigungsakte in eine allgemeine Vorstellung zusammenfassen. Der Kausalitätsbegriff ist also nur zu erklären, wenn man sich zu Bewußtsein gebracht hat, daß wir nicht die Erscheinungen, sondern das, was uns zur Bildung derselben nötigt, also ihre Ursachen wahrnehmen. Jedermann hat das dunkle Gefühl einer Nötigung; wir zur Bildung jeder Vorstellung, so fühlt man sich auch zur Bildung der Vorstellung einer Ursache der Veränderung genötigt, aber nicht jeder ist sich im Klaren darüber, wie er zu diesem Gefühl kommt, woher diese Nötigung stammt. - Solange er nun in der Voraussetzung befangen ist, daß die Erscheinung das Wahrnehmbare ist, muß er annehmen, daß die Ursache derselben nicht wahrnehmbarist, sondern nur erschlossen werden kann, sowie ich mir dagegen bewußt geworden bin, daß ich dieses Nötigen wahrnehme (so wie ich mir also über das anfänglich dunkle Gefühl Klarheit verschafft habe), so ist auch klar, daß der Kausalbegriff nicht erschlossen, sondern infolge einer unmittelbaren Wahrnehmung gebildet wird.

HUME kann den Kausalbegriff nicht aus der Erfahrung ableiten, weil er einen falschen Begriff von dieser hat, weil er ganz im empiristischen Sinn die Erscheinungen für die Erfahrungsobjekte hält. Er sagt: wir nehmen nur Eindrücke, nur Erscheinungen - nicht die Ursachen wahr, denn diese sind keine Eindrücke, keine Erscheinungen, wir sehen den Blitz und hören den Donner, aber weder sehen noch hören wir im Blitz die Ursache des Donners. Gerade das Umgekehrte ist wahr: wir sehen den Blitz nicht und hören den Donner nicht, weil wie Eindrücke, Vorstellungen sind, die Ursachen aber nehmen wir wahr, weil sie das Eindruckgebende sind; sie sind die Gebenden und wir die Nehmenden, die Empfangenden; die Vorstellung "Blitz" ist etwas anderes als das, was ich wahrnehme, als das, was die Vorstellung "Blitz" in mir veranlaßt; sowohl der Blitz und der Donner als die Nachfolge des letzteren sind Vorstellungen, wir stellen uns nur vor, daß wir den Blitz sehen, den Donner hören, und daß das Folgen des Donners die Wirkung des Blitzes ist. In Wahrheit empfinden wir gewisse auf unseren Sehnerven, sowie auf unseren Gehörnerven einwirkenden Kräfte und infolgedessen bilden wir sowohl die Vorstellungen Blitz und Donner als auch die Vorstellung der Nachfolge des Donners; die Ursachen, welche uns zu den Vorstellungen "Blitz" und "Donner" veranlassen, nötigen uns auch die Vorstellung der Aufeinanderfolge zu bilden (indem sie zuerst in der Form von sogenannten Ätherschwingungen auf unser Auge und darauffolgend in der Form von Luftschwingungen auf unser Ohr wirken).

Ist nun hergestellt, daß wir den Begriff der Ursache einer Veränderung oder des Aufeinanderfolgens der Erscheinungen aus der sinnlichen Wahrnehmung der wirkenden Kräfte haben, so muß noch die Frage beantwortet werden, wie wir zum Begriff der Notwendigkeit, mit welcher die eine Erscheinung auf die andere folgt, oder wie wir zur Vorstellung der notwendigen Verknüpfung der Erscheinungen kommen, denn wenn man auch weiß, daß wir die Vorstellung der Ursache der Aufeinanderfolge von Blitz und Donner, wie jede andere Vorstellung aus dem Wahrnehmen der Ursachen haben, so ist damit noch nicht klar, warum wir mit Sicherheit wissen, daß der Donner auf den Blitz folgen muß. Dies wird am anschaulichsten durch folgende Beispiele sein: Nehmen wir an, in einem Theater wird der Blitz durch eine gewisse Vorrichtung nachgeahmt und der Donner durch eine gewisse andere, so ist klar, daß der Donner nicht notwendig auf den Blitz folgen muß; es sind hier zwei Ursachen tätig, eine, die den Blitz, die andere welche den Donner bewirkt und diese können zugleich miteinander tätig sein oder auch nicht. Der Donner bei einem Gewitter in der Natur wir eben von derselben Ursache veranlaßt, welche den Blitz bewirkt; diese kann nicht den Blitz bewirken ohne auch den Donner zu veranlassen, daher müssen diese beiden Erscheinungen notwendig und immer aufeinanderfolgen. - Bei einem gewissen Kältegrad gefriert das Wasser. Wenn man nun sagt, die Kälte ist die Ursache des Gefrierens, so ist dies eine verworrene Rede: Kälte ist meine Empfindung und diese bringt das Wasser nicht zum Gefrieren, man will eigentlich sagen, daß das, was die Empfindung der Kälte in mir verursacht, bewirkt auch das Gefrieren des Wassers; aber dieses Verursachende ist nicht Kälte, sondern Kraft. Indem es auf meine Nerven wirkt, bringt es die Empfindung der Kälte hervor, indem es auf das Wasser (bzw. auf die die Vorstellung des Wassers bedingenden Kräfte) wirkt, bringt es in demselben eine solche Änderung hervor, daß in mir, wenn ich sie wahrnehme, die Vorstellung des Gefrierens oder des Eises entsteht. Wären nicht gewisse Kräfte vorhanden, welche auf mich und zugleich auch auf das Wasser einwirken, so gäbe es keine Empfindung der Kälte und keine Vorstellung des Gefrierens. Weil es aber dieselben Kräfte sind, welche beide Erscheinungen hervorbringen, so müssen sie immer, sobald die Empfindung der Kälte entsteht, auch das Gefrieren des Wassers veranlassen und daher kommt es, daß diese beiden Vorstellungen notwendig verknüpft erscheinen. -

Wenn die Sonne aufgeht, empfange ich gewisse Einwirkungen, in deren Folge in mir die Vorstellung der Sonne entsteht und da auch die Gegenstände auf der Erde beleuchtet werden, so entsteht die weitere Vorstellung des Lichts. Im ersten Fall erhalte ich die Einwirkung direkt von gewissen wirkenden Kräften, im andern durch die Vermittlung der beleuchteten Gegenstände. Die Sonne ist so gut Vorstellung wie das Licht und beide sind bewirkt durch den Eintritt gewisser Einwirkungen, die ich entweder direkt oder durch die Vermittlung beleuchteter Gegenstände empfange. Es bewirkt nicht die Sonne das Licht, sondern Sonne und Licht werden bewirkt, indem gewisse Kräfte entweder direkt oder indirekt mein Auge und durch dieses meinen Sehnerv etc. affizieren; und es sind dieselben Ursachen, welche sowohl die vorhergehende als auch die nachfolgende Erscheinung bewirken; dieselben Kräfte, welche die Vorstellung "Sonne" bewirken, bewirken auch die des Lichts. Dagegen gibt es Fälle, wo die nachfolgende Erscheinung durch andere Ursachen bewirkt wird, als die vorhergehende: wenn z. B. die Sonne aufgeht und ein Apfel vom Baum fällt; in diesem und allen ähnlichen Fällen sprechen wir nicht von einer notwendigen Aufeinanderfolge; der Fall des Apfels erfolgt nicht notwendig mit dem Aufgang der Sonne, weil die Ursachen, welche denselben bewirken, andere sind, als die, welche das Licht bewirken und daher den Fall des Apfels auch zu einer anderen Zeit bewirken können als zu der, wo die Sonne aufgeht. Dagegen das Licht auf der Erde entsteht notwendig mit dem Aufgang der Sonne, weil die Ursachen der Erscheinung der Sonne zugleich auch die des Lichts sind und daher, sowie sie auf mein Auge wirken, auf auf die übrigen Gegenstände und durch diese indirekt wiederum auf das Auge wirken. Die Vorstellung, daß die Erscheinungen mit Notwendigkeit aufeinanderfolgen, bilden wir also dann, wenn die aufeinander folgenden Vorstellungen dieselben Ursachen haben. In der Identität der Ursachen liegt der Grund der Vorstellung einer notwendigen Aufeinanderfolge der Erscheinungen. -

Die Ursachen, welche die Erscheinungen bewirken, bewirken auch deren Aufeinanderfolge; das Kausalverhältnis besteht zwischen den Vorstellungen und ihren Ursachen, - nicht zwischen Vorstellung und Vorstellung, nicht zwischen vorhergehender und nachfolgender Erscheinung. Der Kausalitätsbegriff besagt nur, daß die Veränderung, die Aufeinanderfolge der Erscheinungen ihre Ursachen hat, nicht aber daß die vorhergehende Erscheinung die Ursache der nachfolgenden ist. Und wir haben diesen Begriff aus der sinnlichen Wahrnehmung der Ursachen selbst, nicht aus der Erscheinungswelt, denn in dieser sind keine Ursachen zu finden.

In der Wahrnehmung der Ursachen besteht die wirkliche Erfahrung. Der Kausalitätsbegriff stammt aus der Erfahrung, welche der landläufigen Empirie vorausgeht und diese bedient sich desselben, um ihren Erscheinungen das Ansehen einer notwendigen Verknüpfung zu geben. Weil wir die Ursachen selbst wahrnehmen, darum schreiben wir dem Kausalitätsbegriff auch vollkommene Gewißheit zu; die Anschauung ist unfehlbar, der Irrtum liegt stets nur in unserem Urteil; wir wissen, daß 1 + 1 = 2 aus der Anschauung der Einheiten, wir wissen, daß jede Erscheinung (und somit auch jede Veränderung) ihre Ursachen hat - aus der Wahrnehmung der Ursachen. Aber solange wir uns nicht bewußt sind, daß wir die Ursachen selbst wahrnehmen, sind wir im Ungewissen, woher wir den Kausalitätsbegriff haben und wir erlangen nicht mehr Klarheit, wenn wir uns auf ein Gesetz unseres Denkens, auf eine psychologische Notwendigkeit etc. berufen, solange dieses Gesetz oder diese Denknotwendigkeit nicht anderweitig begründet werden kann.

Indem hier von einem Wahrnehmen der Ursachen gesprochen wurde, so betraf dies nur das Wirken derselben. Die nähere Beobachtung zeigt, daß das Wirken nur eine Seite dieser Ursachen ist, siesitzen noch eine andere ebenso wichtige und wesentliche Tätigkeit und entfalten beide stets in bestimmten und sehr mannigfaltigen Formen. Wir haben es bisher nur mit einer Seite derselben zu tun gehabt, die für sich allein gar nicht besteht und daher eine Abstraktion genannt werden muß - erst wenn wir die Ursachen in ihrem ganzen Umfang und Inhalt, wenn wir sie als konkrete Wesen betrachtet haben, können wir von einer eigentlichen Erkenntnis derselben sprechen und diese Betrachtung ist die Aufgabe des Folgenden.
LITERATUR: Maximilian Drossbach, Eine Untersuchung über die Wahrnehmbarkeit der Erscheinungen und die Unwahrnehmbarkeit der Wesen, Philosophische Monatshefte, Bd. 11, Leipzig 1875
    Anmerkungen
    1) Nicht bloß die sogenannten äußeren Erscheinungen, die Körperwelt, sind die Folge von Einwirkungen, welche wir durch die Vermittlung unserer Gehirnnerven erfahren, sondern auch die sogenannten inneren, die Gedanken und Phantasiebilder, nur mit dem Unterschied, daß die ersteren durch Einwirkungen auf unsere Sinne, die andern durch Einwirkungen, die innerhalb unseres Nervensystems stattfinden, ohne eine Vermittlung der Sinne hervorgebracht werden.
    2) Das Wort "Kraft" kann leicht zu Mißverständnissen verleiten. Als Vermögen darf man es nicht nehmen, wir nehmen nicht das Vermögen zu wirken, sondern das Wirken, die wirkende Kraft wahr. Das Vermögen zu wirken ist nichts Objektives, Reales, sondern eine Abstraktion, eine Vorstellung, die wir haben; wir können wohl sagen das Wirkende muß die Fähigkeit oder die Kraft zu wirken haben, aber wir können nicht sagen, daß eine bloße Fähigkeit (zu wirken) objektiv vorhanden ist. Wir haben es nur mit dem tatsächlichen Wirken - nicht mit der bloßen Möglichkeit zu tun, und wir dürfen uns mit nichts Anderem als dem Wirklichen beschäftigen, wenn wir den festen Boden des Wissens und Handelns nicht verlieren wollen. Fragt man, was das Wirkende ist, wenn es nicht wirkt, so ist bei dieser Frage vorausgesetzt, daß es auch dann ein Sein hat, wenn es nicht wirkt, ein solches Sein ist nicht nachweisbar, nicht wahrnehmbar, daher darf man es auch nicht voraussetzen. Wir finden nichts, was nicht wirkt, und es ist nachgewiesen, daß wenn Etwas in einer bestimmten Form zu wirken aufhört, es in einer anderen auftritt.
    3) Vgl. Kuno Fischers "Baco", erste Auflage.