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GEORGE BERKELEY
(1685-1753)
Abhandlung über die Prinzipien
der menschlichen Erkenntnis

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Daß die Dinge, die ich mit meinen Augen sehe und mit meinen Händen betaste, existieren, wirklich existieren, bezweifle ich nicht im mindesten. Das einzige, dessen Existenz wir in Abrede stellen, ist das, was die Philosophen Materie oder körperliche Substanz nennen.

§ 18. Wäre es aber auch möglich, daß feste, gestaltete, bewegliche Substanzen, die den Ideen, welche wir von Körpern haben, entsprächen, außerhalb des Geistes existierten, wie sollte es uns möglich sein, dies zu wissen? Entweder müßten wir es durch die Sinne oder durch Denken erkennen. Durch unsere Sinne haben wir nur die Kenntnis unserer Sinnesempfindungen, Ideen oder jener Dinge, die, man benenne sie, wie man wolle, unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden; aber die Sinne lehren uns nicht, daß Dinge außerhalb des Geistes oder unperzipiert existieren, die denjenigen gleichen, welche perzipiert werden. Dies erkennen die Materialisten selbst an. Es bleibt also nur übrig, daß wir, wenn wir überhaupt irgend ein Wissen von äußeren Dingen besitzen, dies durch Denken erlangt haben, indem wir ihre Existenz aus dem, was unmittelbar sinnlich perzipiert ist, erschließen. Welcher Schluß aber kann uns bestimmen, auf Grund dessen, was wir perzipieren, die Existenz von Körpern außerhalb des Geistes anzunehmen, da doch gerade die Vertreter der Lehre von der Materie selbst nicht behaupten, daß irgend eine notwendige Verbindung zwischen ihnen und unseren Ideen besteht? Es wird ja allseitig zugegeben (und was in Träumen, im Wahnsinn und ähnlichen Zuständen geschieht, setzt es außer Zweifel), daß es möglich ist, daß wir mit all den Ideen, die wir jetzt haben, ausgestattet sein könnten, wenngleich keine Körper außer uns existierten, die ihnen glichen. Also leuchtet ein, daß die Annahme der Existenz äußerer Körper zur Erklärung unserer Ideenbildung nicht erforderlich ist, da zugegeben wird, daß Ideen in derselben Ordnung, in welcher wir sie gegenwärtig vorfinden, ohne ihre Mitwirkung zuweilen wirklich hervorgebracht werden und möglicherweise immer hervorgebracht werden können.

§ 19. Aber wenn wir auch möglicherweise zu allen unseren sinnlichen Wahrnehmungen ohne äußere Objekte gelangen, so könnte man es doch vielleicht für leichter halten, ihre Entstehungsweise durch die Voraussetzung von äußeren Körpern, die ihnen ähnlich sind, als auf andere Weise zu erklären, und so würde es denn wenigstens für wahrscheinlich gelten dürfen, daß solche Dinge wie Körper existieren, die ihre Ideen in unseren Seelen anregen. Aber auch dies kann nicht gesagt werden; denn geben wir auch den Materialisten ihre äußeren Körper zu, so wissen sie nach ihrem eigenen Bekenntnis doch noch ebenso wenig, wie unsere Ideen hervorgebracht werden, da sie sich selbst für unfähig erklären zu begreifen, auf welche Weise ein Körper auf einen Geist sollte einwirken können, oder wie es möglich sein sollte, daß er dem Geist eine Idee einprägt. Hiernach leuchtet ein, daß die Produktion von Ideen oder Sinneswahrnehmungen in unserem Geist kein Grund sein kann, Materie oder körperliche Substanzen vorauszusetzen, da anerkannt wird, daß diese Produktion mit dieser Voraussetzung und ohne sie gleich unerklärlich bleibt. Also selbst dann, wenn es möglich wäre, daß Körper außerhalb des Geistes existierten, müßte doch die Annahme, daß sie wirklich existieren, eine sehr unsichere Meinung sein, da dies voraussetzen hieße, Gott habe unzählige Dinge geschaffen, die durchaus nutzlos sind und in keiner Art zu irgend welchem Zwecke dienen.

§ 20. Kurz, gäbe es äußere Körper, so könnten wir unmöglich zu ihrer Kenntnis gelangen, und gäbe es keine, so möchten wir doch die gleichen Gründe wie jetzt für ihre Existenz haben. Macht die Voraussetzung, deren Möglichkeit niemand leugnen kann, eine Intelligenz habe ohne Mitwirkung äußerer Körper dieselbe Reihe von Sinneswahrnehmungen oder Ideen, die ihr habt, und zwar sei sie in derselben Ordnung und mit gleicher Lebhaftigkeit dem Geiste eingeprägt. Ich frage, ob diese Intelligenz nicht ganz eben den Grund hat, die Existenz körperlicher Substanzen, die durch ihre Ideen repräsentiert würden und sie in ihr anregten, anzunehmen, den ihr möglicherweise haben könnt, dergleichen anzunehmen? Dies kann gar nicht zweifelhaft sein, und die eine Betrachtung genügt schon, jedem vernünftig Erwägenden die Kraft der Argumente, von welcher Art sie auch sein mögen, verdächtig zu machen, die er für die Annahme, daß Körper außerhalb des Geistes existieren, vielleicht zu haben glaubt.

§ 21. Wäre es erforderlich, irgend einen weiteren Beweis gegen die Existenz einer Materie dem schon Gesagten noch beizufügen, so könnte ich einige von jenen Irrtümern und Schwierigkeiten (um nicht zu sagen Gottlosigkeiten) anführen, welche aus dieser Annahme hergeflossen sind. Sie hat zahllose Streitfragen und Disputationen in der Philosophie und nicht wenige von weit größerer Bedeutung in der Religion hervorgerufen. Aber ich werde hier nicht im einzelnen darauf eingehen, teils weil ich der Meinung bin, daß es keiner aus den Konsequenzen (a posteriori) entnommenen Argumente) zur Bestätigung dessen bedarf, was, wenn ich nicht irre, zureichend aus den Realgründen (a priori) erwiesen worden ist, teils darum, weil ich nachher noch Gelegenheit finden werde, einiges darüber zu sagen.

§ 22. Ich fürchte, daß ich Anlaß gegeben habe zu glauben, ich sei unnötigerweise weitläufig bei der Behandlung dieses Gegenstandes gewesen. Denn wozu dient es ausführlich zu sein über das, was mit der größten Deutlichkeit in einem oder zwei Sätzen einem jeden erwiesen werden kann, der auch nur des geringsten Nachdenkens fähig ist? Ihr braucht bloß eure eigenen Gedanken zu betrachten und so zu erproben, ob ihr für möglich halten könnt, daß ein Ton, eine Figur, eine Bewegung oder eine Farbe außerhalb des Geistes oder unperzipiert existiert. Dieser leichte Versuch läßt euch erkennen, daß eure Behauptung ein völliger Widerspruch ist, so sehr, daß ich damit einverstanden bin, die Entscheidung der ganzen Frage von dem Ergebnis abhängig zu machen. Falls ihr es auch nur als möglich denken könnt, daß eine ausgedehnte bewegliche Substanz oder im allgemeinen irgend eine Idee oder etwas einer Idee Ähnliches in einer anderen Weise existiert als in einem sie perzipierenden Geist, so werde ich willig meinen Satz aufgeben und euch die Existenz des ganzen Gefüges äußerer Körper, die ihr behauptet, zugestehen, obschon ihr mir keinen Grund angeben könnt, warum ihr glaubt, daß es existiert, und keinen Zweck, dem es dient, wenn vorausgesetzt wird, daß es existiert. Ich sage, die bloße Möglichkeit, daß eure Meinung wahr sein könnte, soll für ein Argument gelten, daß sie in der Tat wahr ist.

§ 23. Aber es ist doch, sagt ihr, gewiß nichts leichter als sich vorzustellen, daß z. B. Bäume in einem Park oder Bücher in einem Kabinett existieren, ohne daß jemand sie wahrnimmt. Ich antworte: es ist freilich nicht schwer, sich dies vorzustellen, aber was, ich bitte euch, heißt dies alles anders als in eurem Geist gewisse Ideen bilden, die ihr Bücher und Bäume nennt, und gleichzeitig unterlassen, die Idee von jemand, der sie perzipiert, zu bilden? Aber perzipiert oder denkt ihr selbst denn nicht unterdessen eben diese Objekte? Dies führt also nicht zum Ziel; es zeigt nur, daß ihr die Macht habt, vermöge eurer Einbildungskraft Vorstellungen in eurem Geist zu bilden; aber es zeigt nicht, daß ihr es als möglich begreifen könnt, daß die Objekte eures Denkens außerhalb des Geistes existieren; um dies zu erweisen, müßtet ihr vorstellen, daß sie existieren, ohne daß sie vorgestellt werden oder an sie gedacht wird, was ein offenbarer Widerspruch ist. Wenn wir das Äußerste versuchen, und die Existenz äußerer Körper zu denken, so, betrachten wir doch immer nur unsere eigenen Ideen. Indem aber der Geist von sich selbst dabei keine Notiz nimmt, so täuscht er sich mit der Vorstellung, er könne Körper denken und denke Körper, die ungedacht vom Geist oder außerhalb des Geistes existieren, obschon sie doch zugleich auch von ihm vorgestellt werden oder in ihm existieren. Ein wenig Aufmerksamkeit wird einem jeden die Wahrheit und Evidenz dessen, was hier gesagt worden ist, zeigen und es überflüssig machen, andere Beweise gegen die Existenz einer materiellen Substanz aufzustellen.

§ 24. Es ist schon bei der geringsten Prüfung unserer eigenen Gedanken sehr leicht zu wissen, ob es uns möglich ist zu verstehen, was gemeint ist mit der absoluten Existenz sinnlich wahrnehmbarer Objekte an sich oder außerhalb des Geistes. Mir ist offenbar, daß diese Worte entweder einen direkten Widerspruch oder andernfalls überhaupt nichts bedeuten. Um hiervon auch andere zu überzeugen, weiß ich keinen leichteren und geraderen Weg einzuschlagen als den, daß ich sie bitte, ruhig auf ihre eigenen Gedanken zu achten, und wenn hierdurch die Sinnlosigkeit dieser Ausdrücke oder der Widerspruch in ihnen zu Tage tritt, so ist gewiß nichts weiteres zu ihrer Überzeugung erforderlich. Hierauf also lege ich Gewicht, daß die Worte "absolute Existenz nichtdenkender Dinge" ohne Sinn oder mit einem Widerspruch behaftet sind. Dies wiederhole und betone ich und empfehle es ernstlich dem aufmerksamen Nachdenken des Lesers.

§ 25. Alle unsere Ideen, Sinneswahmehmungen oder die Dinge, die wir perzipieren, durch welche Namen sie auch immer bezeichnet werden mögen, sind augenscheinlich ohne Aktivität; es ist in ihnen nichts von Kraft oder Tätigkeit enthalten, so daß eine Idee oder ein Denkobjekt nicht irgend eine Veränderung in einem anderen hervorbringen oder bewirken kann. Um uns von der Wahrheit dieses Satzes zu überzeugen, brauchen wir nur unsere Ideen zu beobachten. Denn da sie und ein jeder ihrer Bestandteile nur im Geist existieren, so folgt, daß nichts in ihnen ist, als was perzipiert wird. Ein jeder, der auf seine vermittelst der Sinne oder vermittelst der auf Seelenvorgänge gerichteten Reflexion wahrgenommenen Ideen achtet (his ideas, whether of sense or reflexion), wird keine Kraft oder Tätigkeit in ihnen wahrnehmen; es ist demgemäß nichts derartiges in ihnen enthalten. Ein wenig Aufmerksamkeit wird uns zeigen, daß das Sein einer Idee die Passivität oder Inaktivität so durchaus einschließt, daß es unmöglich ist, daß eine Idee etwas tut oder, um den genauen Ausdruck zu gebrauchen, die Ursache von irgend etwas ist; auch kann sie nicht das Abbild oder der Abdruck von irgend einem aktiven Dinge sein, wie aus § 8 hervorgeht. Hieraus folgt offenbar, daß Ausdehnung, Figur und Bewegung nicht die Ursache unserer Sinnesempfindungen sein können. Wenn man sagt, daß diese die Wirkungen von Kräften seien, die aus der Gestalt, Zahl, Bewegung und Größe von kleinsten Körperteilen hervorgehen, so muß dies hiernach gewiß falsch sein.

§ 26. Wir perzipieren eine beständige Folge von Ideen; einige von ihnen werden von neuem hervorgerufen, andere werden verändert oder verschwinden ganz. Es gibt demnach eine Ursache dieser Ideen, wovon sie abhängen und durch die sie hervorgebracht und verändert werden. Daß diese Ursache keine Eigenschaft oder Idee oder Verbindung von Ideen sein kann, ist klar aus dem vorigen Paragraphen. Sie muß also eine Substanz sein; es ist aber gezeigt worden, daß es eine körperliche oder materielle Substanz nicht gibt; es bleibt also nur übrig, daß die Ursache der Ideen eine unkörperliche tätige Substanz oder ein Geist ist.

§ 27. Ein Geist ist ein einfaches, unteilbares tätiges Wesen, welches, sofern es Ideen perzipiert, Verstand, und sofern es sie hervorbringt oder anderweitig in bezug auf sie tätig ist, Wille heißt. Daher kann keine Idee einer Seele oder eines Geistes gebildet werden, denn da (§ 25) alle Ideen passiv oder untätig sind, so können sie uns nicht als Abbilder oder durch Ähnlichkeit das, was wirkt, repräsentieren. Ein wenig Aufmerksamkeit wird einem jeden klar machen, daß es absolut unmöglich ist, eine Idee zu haben, welche jenem tätigen Prinzip der Bewegung und des Wechsels der Ideen ähnlich ist. Derartig ist die Natur des Geistes oder dessen, was wirkt, daß er nicht an sich selbst wahrgenommen werden kann, sondern nur vermöge der Wirkungen, die er hervorbringt. Wenn jemand an der Wahrheit des hier Vorgetragenen zweifelt, so mag er nur nachdenken und versuchen, ob er die Idee irgend einer Kraft oder eines tätigen Dinges bilden kann, und ob er Ideen von zwei Grundkräften hat, die durch die Namen Wille und Verstand bezeichnet werden und ebensowohl voneinander verschieden sind wie von einer dritten Idee, nämlich der Idee der Substanz oder des Seienden überhaupt, die mit der Relationsvorstellung verbunden ist, die genannten Kräfte zu tragen oder ihr Subjekt zu sein, und den Namen "Seele" oder "Geist" hat. Einige nehmen dies an; aber so viel ich sehen kann, bezeichnen die Worte "Wille", "Seele", "Geist" nicht verschiedene Ideen oder in Wahrheit überhaupt nicht irgend eine Idee, sondern etwas, was von Ideen sehr verschieden ist und was, da es etwas Tätiges ist, nicht irgend welcher Idee ähnlich oder durch sie repräsentiert sein kann. Doch muß gleichzeitig zugegeben werden, daß wir einen gewissen Begriff (notion) von der Seele, dem Geist und den psychischen Tätigkeiten wie wollen, lieben, hassen haben, sofern wir den Sinn dieser Worte kennen oder verstehen.

§ 28. Ich finde, daß ich Ideen in meinem Geist nach Belieben hervorrufen und die Szene so oft wechseln und sich verändern lassen kann, als ich es für geeignet halte. Ich brauche nur zu wollen, und sofort taucht diese oder jene Idee in meiner Phantasie auf, und durch dieselbe Kraft tritt sie ins Unbewußtsein zurück und macht einer anderen Platz. Dieses Produzieren und Aufheben von Ideen berechtigt uns, den Geist recht eigentlich aktiv zu nennen. Dies alles ist gewiß und auf Erfahrung gegründet; wenn wir dagegen von nichtdenkenden aktiven Dingen oder von Ideen durch etwas anderes als den einem reden, dann spielen wir nur mit Worten.

§ 29. Aber was für eine Macht ich auch immer über meine eigenen Gedanken haben mag, so finde ich doch, daß die Ideen, die ich gegenwärtig durch die Sinne wahrnehme, nicht in einer gleichen Abhängigkeit von meinem Willen stehen. Wenn ich bei vollem Tageslicht meine Augen öffne, so steht es nicht in meiner Macht, ob ich sehen werde oder nicht, noch auch, welche einzelnen Objekte sich meinem Blick darstellen werden, und so sind gleicherweise auch beim Gehör und den anderen Sinnen die ihnen eingeprägten Ideen nicht Geschöpfe meines Willens. Es gibt also einen anderen Willen oder Geist, der sie hervorbringt.

§ 30. Die sinnlichen Ideen sind stärker, lebhafter und bestimmter als die Ideen der Einbildungskraft; sie haben desgleichen eine gewisse Beständigkeit, Ordnung und Zusammenhang und werden nicht aufs Geratewohl hervorgerufen, wie es diejenigen oft werden, welche die Wirkungen menschlicher Willensakte sind, sondern in einer geordneten Folge oder Reihe, deren bewunderungswürdige Verbindung ausreichend die Weisheit und Güte ihres Urhebers bezeugt. Nun werden die festen Regeln oder bestimmten Weisen, wonach der Geist, von dem wir abhängig sind, in uns die sinnlichen Ideen erzeugt, die Naturgesetze genannt, und diese lernen wir durch Erfahrung kennen, die uns belehrt, daß gewissen bestimmten Ideen bestimmte andere Ideen in dem gewöhnlichen Laufe der Dinge folgen.

§ 31. Dies gibt uns eine gewisse Voraussicht, welche uns befähigt, unsere Handlungen zum Nutzen des Lebens zu ordnen. Ohne diese Voraussicht würden wir unablässig in Verlegenheit sein; wir könnten nicht wissen, wie wir es anzustellen hätten, uns auch nur das geringste Vergnügen zu verschaffen oder den geringsten sinnlichen Schmerz abzuwehren. Daß Speise uns nährt, Schlaf erfrischt, Feuer wärmt, daß das Säen in der Saatzeit das Mittel ist, im Herbst zu ernten, und im allgemeinen, daß, um bestimmte Zwecke zu erreichen, bestimmte Mittel dienlich sind, dies alles wissen wir nicht durch Entdeckung irgend einer notwendigen Verbindung zwischen unseren Ideen, sondern nur durch die Beobachtung der beständigen Naturgesetze, ohne welche wir alle in Ungewißheit und Verwirrung wären und ein erwachsener Mann ebensowenig wie ein neugeborenes Kind wüßte, wie er sich im Leben zu benehmen hat.

§ 32. Und doch ist diese beständige gleichmäßige Wirksamkeit, welche so deutlich die Güte und Weisheit des herrschenden Geistes offenbart, dessen Wille die Gesetze der Natur konstituiert, soweit davon entfernt, unsere Gedanken zu ihm hinzuleiten, daß sie sie vielmehr veranlaßt, zweiten Ursachen (Mittelursachen) nachzuforschen. Denn wenn wir bemerken, daß bestimmten sinnlichen Ideen beständig andere Ideen folgen, und wenn wir wissen, daß dies nicht durch uns bewirkt wird, so schreiben wir sofort Kraft und Wirksamkeit den Ideen selbst zu und betrachten die eine als die Ursache einer anderen; und doch kann nichts törichter und unverständlicher sein als dies. Haben wir z. B. beobachtet, daß, wenn wir durch das Gesicht eine gewisse runde leuchtende Gestalt wahrgenommen haben, wir gleichzeitig durch das Gefühl, die Idee oder Sinneswahrnehmung erhalten, welche Hitze genannt wird, so schließen wir hieraus, die Sonne sei die Ursache der Hitze. In gleicher Weise sind wir geneigt, wenn wir wahrnehmen, daß die Bewegung und der Zusammenstoß von Körpern mit einem Schall verbunden ist, den letzten für eine Wirkung des ersten zu halten.

§ 33. Die durch den Urheber der Natur den Sinnen eingeprägten Ideen heißen wirkliche Dinge; diejenigen aber, welche durch die Einbildungskraft hervorgerufen werden und weniger regelmäßig, lebhaft und beständig sind, werden als Ideen im engeren Sinne oder als Bilder der Dinge, welche sie nachbilden und darstellen, bezeichnet. Dann sind aber unsere Sinneswahmehmungen, wie lebhaft und bestimmt sie auch sein mögen, nichtsdestoweniger Ideen, d. h. sie existieren im Geist oder werden durch den Geist perzipiert, ebenso gewiß wie die Ideen, welche er selbst gestaltet. Es muß zugegeben werden, daß die sinnlichen Ideen mehr Realität in sich tragen, d. h. sie sind kräftiger, geordneter, zusammenhängender als die Geschöpfe des Geistes; aber dies beweist nicht, daß sie außerhalb des Geistes existieren. Sie sind auch in geringerem Grade vom Geist oder der denkenden Substanz, welche sie perzipiert, abhängig, indem sie durch den Willen eines anderen und mächtigeren Geistes hervorgerufen werden; aber sie sind doch Ideen, und sicherlich kann keine Idee, sie mag schwach oder stark sein, anders existieren als in einem Geist, der sie perzipiert.

§ 34. Bevor wir weiter gehen, müssen wir einige Zeit auf die Beantwortung von Einwürfen verwenden, die vermutlich gegen die bisher dargelegten Prinzipien erhoben werden mögen. Wenn ich hierbei Personen von rascher Auffassung zu ausführlich zu sein scheine, so hoffe ich doch auf Verzeihung, weil nicht alle Menschen mit gleicher Leichtigkeit Dinge von dieser Art auffassen, und ich doch von jedermann verstanden werden möchte. Es wird wohl zuerst eingewandt werden, daß durch die vorstehenden Prinzipien alles, was real und substantiell in der Natur sei, aus der Welt verbannt wird, und daß an die Stelle davon ein phantastisches Ideensystem tritt. Alles, was existiert, existiert nur im Geist, d. h. es wird bloß vorgestellt. Was wird demnach aus Sonne, Mond und Sternen? Was müssen wir denken von Häusern, Flüssen, Bergen, Bäumen, Steinen, ja von unserem eigenen Körper? Sind sie alle nur ebenso viele Chimären und Täuschungen der Phantasie? Auf alle diese und alle derartigen Einwürfe antworte ich, daß wir vermöge der vorstehenden Prinzipien keines einzigen Naturobjekts verlustig gehen. Was auch immer wir sehen, fühlen, hören oder irgendwie begreifen oder verstehen, bleibt so gewiß und ist so real, wie es je gewesen ist. Es gibt eine Natur (rerum natura) [der Natur der Dinge entsprechend - wp], und die Unterscheidung zwischen Realitäten und Chimären behält ihre volle Kraft. Dies geht klar hervor aus den §§ 29, 30, 33, wo wir gezeigt haben, was unter dem Ausdruck reale Dinge im Unterschied von Chimären oder durch uns selbst gebildeten Ideen zu verstehen ist; beide jedoch existieren gleichmäßig im Geist und sind in diesem Sinne gleich sehr Ideen.

§ 35. Ich bestreite nicht die Existenz irgend eines Dinges, das wir durch Sinneswahrnehmung oder durch Reflexion auf unser Inneres zu erkennen vermögen ( that we can apprehend, either by sense or reflexion ). Daß die Dinge, die ich mit meinen Augen sehe und mit meinen Händen betaste, existieren, wirklich existieren, bezweifle ich nicht im mindesten. Das einzige, dessen Existenz wir in Abrede stellen, ist das, was die Philosophen Materie oder körperliche Substanz nennen. Und indem dies geschieht, verlieren die übrigen Menschen nichts, die, wie ich wohl sagen darf, diese Materie nicht vermissen werden. Allerdings werden die Atheisten die anscheinende Stütze verlieren, welche ein leeres Wort ihrer unfrommen Ansicht gewährt, und die Philosophen werden vielleicht finden, daß sie einen mächtigen Anlaß zur Tändelei und Disputation verloren haben.

§ 36. Wenn jemand glaubt, dies tue der Existenz oder Realität der Dinge Eintrag, so ist er weit davon entfernt, das zu verstehen, was in so deutlichen Ausdrücken, wie es mir nur möglich war, bisher auseinandergesetzt worden ist. Ich fasse hier die Hauptpunkte des Gesagten zusammen. Es gibt psychische Substanzen, Geister oder menschliche Seelen, welche in sich selbst Ideen nach Belieben durch ihren Willen hervorrufen; aber diese Ideen sind matt, schwach und unbeständig im Vergleich mit anderen, die sie durch die Sinne perzipieren, und die, indem sie ihnen nach gewissen Regeln oder Naturgesetzen eingeprägt werden, sich selbst als Wirkungen eines Geistes bekunden, der mächtiger und weiser ist als die menschlichen Geister. Von diesen letzten Ideen wird gesagt, daß sie mehr Realität in sich tragen als die ersten, worunter zu verstehen ist, daß sie stärker affizieren, mehr geordnet und bestimmt und nicht willkürliche Gebilde des sie perzipierenden Geistes sind. In diesem Sinne ist die Sonne, welche ich bei Tage sehe, die wirkliche Sonne, und die, welche ich zur Nachtzeit vorstelle, die (abbildliche) Idee der ersten. In dem hier bezeichneten Sinne von Realität ist offenbar jede Pflanze, jeder Stern, jedes Mineral und im allgemeinen jeder Teil des Weltsystems nach unseren Prinzipien ebenso sehr wie nach irgend welchen anderen ein wirkliches Ding. Ich bitte die Leser, ihre eigenen Gedanken zu betrachten und zuzusehen, ob sie etwas hiervon Verschiedenes unter dem Terminus Realität verstehen.

§ 37. Es wird entgegnet werden, es sei doch wenigstens so viel wahr, daß wir alle körperlichen Substanzen aufheben. Hierauf antworte ich, daß, wenn das Wort Substanz in dem gewöhnlichen Sinne genommen wird, als Bezeichnung einer Verbindung sinnfälliger Eigenschaften wie Ausdehnung, Solidität, Gewicht und ähnlicher miteinander, wir nicht beschuldigt werden können, dies zu verneinen; wird es aber in einem philosophischen Sinne genommen, worin es den Träger von Akzidentien oder Eigenschaften außerhalb des Geistes bezeichnen soll, dann erkenne ich in der Tat an, daß wir das hiermit Gemeinte aufheben, wenn anders von jemand gesagt werden kann, daß er etwas aufhebe, was niemals irgend eine Existenz gehabt hat, selbst nicht in der bloßen Vorstellung.

§ 38. Aber, sagt ihr, es klingt sehr schroff, wenn gesagt wird: wir essen und trinken Ideen und sind bekleidet mit Ideen. Ich gebe zu, daß dies so ist, und zwar darum, weil das Wort Idee in der gewöhnlichen Rede nicht gebraucht wird, um die verschiedenen Kombinationen sinnlicher Eigenschaften zu bezeichnen, welche Dinge genannt werden, und es ist gewiß, daß eine jegliche Ausdrucksweise, die von dem gewöhnlichen Sprachgebrauch abweicht, anstößig und lächerlich erscheint. Aber dies betrifft nicht die Wahrheit dieses Satzes, der, obschon in anderen Worten, nichts anderes besagt, als daß wir uns nähren und bekleiden mit Dingen, welche wir unmittelbar durch unsere Sinne perzipieren. Die Härte oder Weichheit, die Farbe, der Geschmack, die Wärme, die Figur und derartige Eigenschaften, welche in ihrer gegenseitigen Verbindung die verschiedenen Arten von Lebensmitteln und Kleidungsstücken ausmachen, existieren, wie gezeigt worden ist, bloß im Geist, der sie perzipiert, und nur dies ist gemeint, wenn wir sie Ideen nennen; wäre dieses Wort ebenso im gewöhnlichen Gebrauch wie Ding, so würde jener Ausdruck ebensowenig seltsam oder lächerlich klingen wie dieser. Ich kämpfe nicht für die Schicklichkeit, sondern für die Wahrheit des Ausdrucks und werde demgemäß, wenn ihr mit mir in der Ansicht übereinkommt, daß wir die unmittelbaren Objekte der Sinne, die nicht unperzipiert oder ausserhalb des Geistes existieren können, essen und trinken und zu unserer Bekleidung gebrauchen, gern zugeben, daß es schicklicher oder dem Gebrauch angemessener ist, sie "Dinge" als "Ideen" zu nennen.

§ 39. Wenn gefragt wird, warum ich das Wort "Ideen" gebrauche und sie nicht lieber im Anschluß an den Sprachgebrauch "Dinge" nenne, so antworte ich: ich tue das aus zwei Gründen: erstens, weil insgemein vorausgesetzt wird, daß der Ausdruck "Ding" im Gegensatz zu "Idee" etwas bezeichnet, das außerhalb des Geistes existiert; zweitens, weil "Ding" eine umfassendere Bedeutung hat als "Idee", indem es Geister oder denkende Dinge ebensowohl wie Ideen bezeichnet. Da nun die Sinnesobjekte bloß im Geist existieren und durchaus ohne Denken und Tätigkeit sind, so ziehe ich vor, sie durch das Wort "Idee" zu bezeichnen, in dessen Bedeutung diese Merkmale liegen.
LITERATUR - Berkeleys Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Kirchmanns "Philosophische Bibliothek", Bd. 12, Berlin 1869