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HEINRICH COHN
Die subjektive Natur des Wertes
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    § 1. Der Begriff "Gut"
§ 2. Der Begriff "Wert"
§ 3. Verhältnis der Begriffe Wert und Gut.
§ 4. Die Bildung des Werturteils
§ 5. Der Tausch
§ 6. Die objektiven Werte
§ 7. Preis und Wert
§ 8. Angebot und Nachfrage
§ 9. Preis und Herstellungskosten

"Dem irrtümlich konstruierten Dualismus des Wertes [in Gebrauchs- und Tauschwert] entspricht eine doppelte Theorie der Preisbildung. Dem subjektiven Wertbegriff entspricht die Theorie, daß der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet, dem objektiven Wertbegriff, daß die Herstellungskosten den Preis bestimmen. Beide Theorien stehen in der Volkswirtschaftslehre unvermittelt nebeneinander, sie stehen ebenso unvermittelt den Begriffen des Wertes gegenüber. Die Theorie des Wertes (oder Preises) muß sich aber aus dem Begriff des Wertes entwickeln lassen und tatsächlich harmoniert mit dem Begriff des subjektiven Wertes die wirklich stattfindende Regelung des Preises durch  Angebot und Nachfrage  oder genauer gesagt durch unser Urteil über Angebot und Nachfrage. Wenn es aber einen objektiven Wert nicht gibt, so kann es entsprechend auch eine Theorie des objektiven Wertes nicht geben."

"Unser Urteil ist aber in den wenigsten Fällen ein selbständiges, es wird mindestens so sehr wie durch unser Nachdenken durch das Urteil anderer Personen bestimmt. Hierauf ist zum großen Teil die Wirkung der Reklame zurückzuführen. Im Grunde genommen hat jede Reklame dieses Ziel im Auge. Sei es durch die auffallende Art der Darstellung, sei es durch häufige Wiederholung einer Anzeige, es soll und wird schließlich auf den Leser eine Suggestion ausgeübt - er unterliegt mit seinem Urteil fremden Einflüssen."


Einleitung

Der Feststellung einer Theorie des Wertes ist die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert hinderlich gewesen. In neuerer Zeit ließ man zwar die  Bezeichnungen  "Gebrauchswert und Tauschwert" fallen, man schloß aber noch immer aus der Tatsache, daß ein Gegenstand für den Besitzer häufig einen anderen Wert besitzt als für den Käufer, es handle sich hier um zwei verschiedene wirtschaftliche Erscheinungen. In Wirklichkeit entspricht es gerade der subjektiven Natur des Wertes, daß derselbe Gegenstand von verschiedenen Personen verschieden bewertet wird. In concreto verschieden, ist was man als Gebrauchswert und Tauschwert unterscheidet, dieselbe Erscheinung, der Tauschwert ist der Wert für den Käufer, der Gebrauchswert der Wert für den Besitzer.

Die Person des Verkäufers ist gegenwärtig und bekannt, der Käufer ist zukünftig, also unbekannt und wir müssen ihn uns als Durchschnittsmenschen vorstellen. Der Verkäufer ist eine Individualität, mit allen Liebhabereien, allen Launen, aller Willkür einer solchen, der Durchschnittsmensch ist eine Art Vernunftmensch. Daher erscheint uns der Wert für den Verkäufer subjektiv, der für den Käufer objektiv, im Gegenstand selbst begründet. Dieser Schein verführt dazu, zwischen objektiven und subjektiven Werten zu unterscheiden. Ist das Rechtsgeschäft aber einmal vollzogen, so sieht man, daß auch der Käufer keine vernünftige Formel, sondern ein unvernünftiger Mensch, mit Schwächen und Fehlern, daß auch in der Person des Käufers das subjektive Element durchschlagend ist.

Wenn die Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Werten verworfen ist und der Wert beim Verkäufer und Käufer dieselbe Erscheinung darstellt, ist die notwendige Voraussetzung zu einer Theorie des Wertes gegeben, ohne einen einheitlichen Begriff ist eine Theorie nicht möglich.

Dem irrtümlich konstruierten Dualismus des Wertes entspricht eine doppelte Theorie der Preisbildung. Dem subjektiven Wertbegriff entspricht die Theorie, daß der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet, dem objektiven Wertbegriff, daß die Herstellungskosten den Preis bestimmen. Beide Theorien stehen in der Volkswirtschaftslehre unvermittelt nebeneinander, sie stehen ebenso unvermittelt den Begriffen des Wertes gegenüber. Die Theorie des Wertes (oder Preises) muß sich aber aus dem Begriff des Wertes entwickeln lassen und tatsächlich harmoniert mit dem Begriff des subjektiven Wertes die wirklich stattfindende Regelung des Preises durch "Angebot und Nachfrage" oder genauer gesagt durch unser Urteil über Angebot und Nachfrage. Wenn es aber einen objektiven Wert nicht gibt, so kann es entsprechend auch eine Theorie des objektiven Wertes nicht geben. In der Tat ist es dann auch nicht richtig, daß die Herstellungskosten den Preis bestimmen. Eine Beziehung zwischen Preis und Herstellungskosten besteht ja zweifellos; dieses Verhältnis ist aber nicht dahin aufzufassen, daß die Herstellungskosten den Preis normieren, sondern umgekehrt dahin, daß der Preis die Grenze der zulässigen Kosten darstellt. Auf diesem Sachverhalt beruth die bekannte Grundrenten-Theorie und es ist deshalb umso wunderbarer, daß er so häufig verkannt worden ist.

Wir behalten daher nur  einen  subjektiven Wertbegriff übrig und nur  eine  Preistheorie, die Regelung des Preises durch Angebot und Nachfrage, eine Theorie, die aus dem Begriff des Wertes unmittelbar abzuleiten ist. Durch die Einheitlichkeit von Begriff und Theorie ist den logischen Erfordernissen genügt, die man an jede Theorie zu stellen hat. Daß mit dieser Theorie den Tatsachen Genüge getan ist, wird später im Einzelnen nachzuweisen sein.


§ 1.
Der Begriff "Gut".

Gegenstände, welche zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen, pflegen unter dem Begriff "Gut" zusammengefaßt zu werden.

Bedürfnis für einen Menschen ist, was er als solches empfindet. Ob das Ziel, das er erstrebt, nach dem Urteil anderer Menschen wirklich erzielenswert, ob es vernünftig, sittlich usw. ist, kommt für die Begriffsbestimmung des Bedürfnisses ebensowenig in Betracht, wie die Frage, ob die Mittel zur Erreichung des Zieles vorhanden oder nicht vorhanden sind. Ob eine Sache, und sei sie noch so nützlich, im gegebenen Falle das Bedürfnis einer bestimmten Person zu befriedigen vermag, das hängt allein von dieser Person, von ihrer Beurteilung der Sache und von ihrem subjektiven Empfinden ab. Man könnte allerdings Brot und Fleisch für absolut geeignet erklären, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen; denn alle Menschen haben Hunger und von Brot und Fleisch wird jeder satt. Indessen Brot und Fleisch sind abstrakte Begriffe, sie erscheinen in ihrer konkreten Form als Roggen- und Weizenbrot, Kalbfleisch und Schweinefleisch usw. Der Eine kann aber aus Gesundheitsrücksichten, aus Geschmacks- oder sonstigen Gründen kein Roggenbrot und kein Schweinefleisch (1) essen, der andere kein Kalbfleisch und kein Weizenbrot. Ein "Gut" im absoluten Sinne ist also undenkbar. Wie die Empfindung eines Menschen darüber entscheidet, was für ihn Bedürfnis ist, so entscheidet auch nur sein Urteil darüber, was geeignet ist, sein Bedürfnis zu befriedigen.

Deshalb ist andererseits nichts ungeeignet, in einem einzelnen Fall ein "Gut" zu sein. So stillt der Bleisoldat und die Puppe die Sehnsucht des Kindes, die abgestempelte Briefmarke die Sehnsucht des Sammlers; so wird das nutz- und wertlose, vielleicht schädliche Gebräu des Scharlatans zum heißersehnten Heiltrunk für den Kranken, der an den Wundermann glaubt, während die beste Medizin für den verloren ist, der sie nicht kennt. Es ist deshalb verfehlt, als verschiedene Postulate des Begriffs "Gut" festzusetzen
    a) Brauchbarkeit der Dinge
    b) das Erkennen dieser Brauchbarkeit (2)
Augenscheinlich deckt  b)  das Erfordernis zu  a),  eine nur eingebildete Brauchbarkeit ist ebenso wertbildend wie eine wirkliche - siehe Haarwuchs- und ähnliche Schönheitsmittel, KOCHs Tuberculin etc. Die Meinungen, ob mäßig genossener Alkohol dem Bedürfnis nach Kräftigung der menschlichen Konstitution dient, ob man insbesondere Kindern zur Kräftigung Wein geben soll, haben sehr geschwankt. Die physiologische Wirkung des Alkohols hat sich sicherlich nicht geändert, nur unsere Anschauungen über diese Wirkungen wechseln und beeinflussen das Werturteil.  Die Gutsqualität hängt also nicht von den tatsächlichen, sondern von den vorausgesetzten Eigenschaften der Dinge ab.  (3) Deshalb würde "Gut" alles in der Welt sein können. "Gut" ist daher ein Begriff, der absolut genommen nichts, relativ genommen Alles umfaßt. Aber das Wort "Gut" ist zur Bezeichnung dieses Begriffs durchaus ungeeignet. Ebensowenig wie ich das Wetter eine "Schönheit" nenne, weil es mitunter schön sein kann, ebensowenig kann ich einen Gegenstand ein "Gut" nennen, weil er mitunter gut (nützlich) sein kann. Sobald ich statt des Adjektivs ein Substantivum gebrauche, sobald ich einen Gegenstand, der gut sein kann, ein "Gut" nenne, erhebe ich die zufällige Eigenschaft zum Wesen der Sache, mache ich den einzelnen konkreten Fall zur allgemein gültigen Abstraktion.

Was zur Befriedigung eines Bedürfnisses geeignet ist, das hängt, wie wir gesehen haben, ganz allein vom subjektiven Urteil der einzelnen Person ab, die im gegebenen Fall der Sache gegenübersteht. Was aber ein "Gut" nach dem Sinn der deutschen Sprache ist, das hängt in erster Linie von den Eigenschaften der Sache selbst ab. Wir bezeichnen also einen Begriff, der seinem Wesen nach durchaus subjektiv ist, mit einem Wort, das seinem Wesen nach etwas objektives bezeichnet. Auf diese Nachlässigkeit im Sprachgebrauch hinzuweisen, ist deshalb erforderlich, weil der irrtümlich angenommene "objektive Wert" mit diesem objektiven Wort "Gut" einigermaßen zusammenhängt.


§ 2.
Der Begriff "Wert".

Dem Streben des Menschen nach Befriedigung seiner Bedürfnissse sind durch Gesetz und Sitte, durch die unbelebte Natur etc. Schranken gesetzt. Wesentlich auch durch die Koexistenz anderer Bedürfnisse, denn nur selten erfordert ein einziges Bedürfnis so dringende Befriedigung, daß daneben kein anderes sich geltend macht; wir stehen vielmehr fast immer einer Reihe von Bedürfnissen gegenüber, die wir gleichzeitig empfinden. Ihnen allen gleichzeitig gerecht zu werden, ist uns versagt, wir können das eine befriedigen, müssen aber wegen der anderen verzichten. Zum Verzicht sind wir gezwungen, die Wahl, worauf wir verzichten wollen, steht uns frei. Wir haben z. B. ein dringendes Ruhebedürfnis und gleichzeitig das Verlangen, eine Arbeit zu vollenden; (4) wir brauchen einen neuen Anzug und eine Anzahl neuer Bücher und haben eine Geldsumme zur Verfügung, die nur für den Anzug oder für die Bücher ausreicht.

In diesem Falle zwingt uns unsere Vermögenslage zum Verzicht, im ersterwähnten die Natur, aber beiden Fällen ist gemeinsam, daß uns in der Notwendigkeit des Verzichts die freie Wahl bleibt, welches Bedürfnis wir befriedigen, auf was wir verzichten wollen. Entscheidend für den Ausfall der Wahl wird vor allem die Stärke des Bedürfnisses sein und da wir gesehen haben, daß für die Stärke des Bedürfnisses lediglich das subjektive Empfinden des einzelnen Menschen maßgebend ist, so wird auch der Ausfall der Wahl abhängig sein von der individuellen Denkweise des Einzelnen und daher im selben Fall verschieden sein, je nach der Persönlichkeit dessen, der die Wahl zu treffen hat und selbst bei derselben Person je nach der Stimmung, in der sie sich befindet.

Ist im erwähnten Fall das Begehren nach den Büchern stärker als das nach den neuen Kleidern, so erscheinen dem Wählenden die Bücher als das größere, der Anzug als das kleinere "Gut". Wir könnten nun sagen, die Bücher erscheinen ihm "besser" als der Anzug und wenn wir keinen anderen Ausdruck hätten, müßten wir es sogar sagen, immer noch mit größerem Recht, als wenn wir die Bücher schlechthin als "Gut" bezeichneten. Der Sprachgebrauch gibt indessen der subjektiven Natur der getroffenen Wahl einen weit stärkeren Ausdruck, er sagt, die Bücher sind ihm lieber oder er gebraucht einen anderen Ausdruck, den die Wissenschaft akzeptiert hat, er sagt, die Bücher haben  für ihn  mehr  Wert. 

Das Ergebnis der Wahl hängt also augenscheinlich nicht von den Dingen ab, die verglichen werden, sondern von meiner Entscheidung, die ich in dem einen oder anderen Sinne zu treffen genötigt bin. Grundlage des Wertbegriffs ist die Notwendigkeit dieser Wahl zwischen zwei Gegenständen, die zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geeignet sind, die Notwendigkeit, zur Erlangung eines Gegenstandes auf einen anderen zu verzichten. Ohne Verzicht, ohne die Notwendigkeit einer Wahl, keinen Wert. Der Wert einer Sache beruth demnach auf dem Vergleich, den wir zwischen ihr und einer anderen Sache in Bezug auf ihre Fähigkeit, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, angestellt haben, er drückt das Ergebnis dieses Vergleichs aus und er ist demnach:
     Das Verhältnis, in welchem wir zwei Gegenstände als Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse schätzen.  (5)
Unsere Schätzung, unser Urteil also ist es allein, das den Wert bestimmt. Nur so weit reicht der Einfluß der Eigenschaften der Dinge, daß sie das Urteil der meisten Menschen bei der Wertabschätzung zu beeinflussen pflegen. So wird für den Fall, daß zwei Gegenstände zur Wahl stehen, die dasselbe Bedürfnis zu befriedigen geeignet sind, demjenigen Gegenstand meistens mehr Wert beigelegt werden, der nach der durchschnittlichen Schätzung das Bedürfnis im höheren Maß befriedigt und diese Schätzung wiederum ist beeinflußt durch die vermeintlichen Eigenschaften der Dinge. So wird ferner der größeren Quantität gewöhnlich mehr Wert beigelegt als der geringeren. Während aber die subjektiven Momente, nämlich das subjektive Bedürfnis und das subjektive Urteil, unmittelbar den Wert bestimmen, haben die objektiven Momente nur mittelbare Bedeutung, sie wirken erst, sobald sie das Medium des subjektiven Gefühls und Urteils passiert haben; sie können daher den subjektiven Momenten nicht als gleichberechtigt gegenüber gestellt werden, sondern sind ihnen untergeordnet. Man kann daher zwischen subjektivem und objektivem Wert nicht unterscheiden, objektiv können bestenfalls nur einige Faktoren des Wertes sein. (6)

Daß kein Objekt Wert ansich besitzt und daß der Ausdruck  Wert  nichts anderes bezeichnet, als das Verhältnis, in welchem wir einen Gegenstand zum andern schätzen, scheint zum Sprachgebrauch im Widerspruch zu stehen. Wir sprechen so oft davon, daß Sachen wertvoll sind, hohen Wert, niedrigen Wert haben usw., ohne daß wir dabei anscheinend an eine andere Sache denken, mit der sie verglichen werden. In Wahrheit aber liegt dieser Bezeichnung stets eine Vergleichung zugrunde, auch wenn man sich dessen nicht bewußt sein mag. Im Sprachgebrauch wird eine Sache erst dann als wertvoll bezeichnet, wenn sie vielen Menschen wertvoller erscheint als eine ganze Reihe anderer Sachen; es liegt im Wort "wertvoll", wie es gewöhnlich gebraucht wird, bereits eine hohe Schätzung des damit bezeichneten Gegenstandes, die nur dadurch entstanden sein kann, daß man sie bereits mit anderen Dingen, insbesondere aber mit dem allgemeinen Wertmesser, dem Geld, verglichen hat. Ebenso wollen wir, wenn wir von gewissen Dingen, zum Beispiel vom Wasser, behaupten, daß es wertlos ist, damit sagen, daß es im Verhältnis zum Geld gewöhnlich keinen Wert hat. Immer aber kann das Durchschnittsurteil über den Wert einer Sache vom Einzelurteil differieren und daher kann die im Sprachgebrauch als wertvoll bezeichnete (d. h. im Vergleich zum Geld höher geschätzte) Sache dem Einzelnen, der einen anderen Maßstab der Vergleichung anlegt, als geringwertig erscheinen. Es können sich ferner die Durchschnittsurteile bestimmter Bevölkerungsklassen über das, was wertvoll ist, gegenüberstehen (ländliche und städtische), ebenso die Durchschnittsurteile der Bewohner verschiedener Gegenden (nördliches und südliches Klima, Kulturvölker und Wilde). Was die Verschiedenheit der Urteile in diesen Fällen bewirkt, ist die Verschiedenheit des angelegten Vergleichungsmaßstabes, beeinflußt durch die Verschiedenheit der Bedürfnisse.

Tatsächlich liegt jedem Urteil über die quantitativ bestimmbare Eigenschaft einer Sache eine bewußte oder unbewußte Vergleichung zugrunde. Die Bezeichnung "ein hoher Berg" enthält anscheinend ein absolutes Urteil; in Wirklichkeit ist die Schneekoppe, die dem Schlesier als die Verkörperung des Begriffs "hoher Berg" erscheint, in den Augen der Alpenbewohner ein kleiner Berg; der eine vergleicht sie mit dem Zobten, der andere mit dem Mont Blanc. Und wenn jemand von einem wertvollen Ölgemälde spricht, so drückt der Begriff "wertvoll" sehr verschiedene Geldsummen aus, je nachdem dieser jemand der Herr Museums-Direktor ist oder ein kleiner Mann, der auf einer Auktion ein Ölbild erstanden hat.


§ 3.
Über das Verhältnis der Begriffe Wert und Gut.

Es bedarf keines Nachweises, daß wir zuerst zur Perzeption des konkreten Wertes gelangen und erst aus diesem den abstrakten Begriff "Gut" bilden. Es ist indessen in deutschen Lehrbüchern gebräuchlich geworden, vom Begriff "Gut" auszugehen und es ist immer vorteilhaft, sich einem gebräuchlich gewordenen Schema nach Möglichkeit anzupassen. Genau genommen ist der ganze Begriff "Gut" ein schiefer, der neben dem Begriff des Wertes eigentlich keinen Platz hat. Der Begriff  Wert,  die Vergleichung des Grades, in welchem zwei Gegenstände mehr oder weniger "gut" sind, ist vom Begriff "Gut" nicht verschieden; denn Quantität und Qualität einer Eigenschaft besagen im Wesen dasselbe, die Quantität ist lediglich ein konkreter Ausdruck für die Qualität.

Wenn ich behaupte, daß das spezifische Gewicht des Eisens ungefähr = 7 ist, so liegen darin die Behauptungen:
    1. daß Eisen Schwere hat,
    2. daß die Schwere etwa sieben mal so groß wie die des Wassers ist.
Beide Behauptungen sagen im Wesen nichts verschiedenes, die zweite sagt nur in einem Beispiel, was die erste allgemein (abstrakt) ausdrückt. Ebenso verhält es sich mit den Begriffen "Gut" und "Wert", die erstere bedeutet die Gutsqualität, die Tatsache, daß eine Sache ein Gut ist, die letztere das Verhältnis, in welchem sie ein "Gut" ist. Daß man für Wert und Gut, die im Grund dasselbe bedeuten, verschiedene Ausdrücke anwendet, läßt sich nur historisch erklären. Für die Bedürfnisse des praktischen Lebens dient der konkrete Ausdruck, der Ausdruck Wert. Als die Wissenschaft den Begriff Wert erläutern wollte, hat sie einen Zwischenbegriff gebildet und die Gegenstände, welche Wert besitzen, Güter genannt. Im praktischen Leben denken wir nie daran, eine Sache als "Gut" zu bezeichnen. Das wäre eine Abstraktion, die für die Bedürfnisse des Lebens unnütz ist. (7) Einen Tisch bezeichnen wir nicht als "Gut", sondern als Tisch und wenn wir in die Lage kommen, zwischen einem Tisch und einem anderen Gut, sagen wir einer bestimmten Summe Geldes, zu wählen, so genügt uns das Ergebnis, daß z. B. der Tisch uns mehr wert sei als das Geld. Wir stellen darüber hinaus nicht etwa die abstrakte Untersuchung an, ob das Geld ansich auch ein "Gut" ist. Jedenfalls würde diese Untersuchung, auch wenn sie gemacht würde, latent bleiben.

Es ist nicht gebräuchlich, den Wert als ein Verhältnis zu bezeichnen, unbewußt herrscht aber doch das Gefühl, daß er nur als Verhältnis wahrgenommen wird. Wird doch stets von der "relativen Natur" des Wertes gesprochen und häufig sogar schon als Erfordernis des Begriffes "Gut" die "relative" Seltenheit hervorgehoben. Der Begriff Gut sei ein weiterer, der auch höhere (ethische) Güter umfasse, sowie materielle Güter, welche im Überfluß vorhanden und deshalb wirtschaftlich bedeutungslos seien. Die Wirtschaftslehre befasse sich indessen nur mit den wirtschaftlichen Gütern, nämlich solchen, die nicht in beliebiger Masse vorhanden seien und mit welchen man daher wirtschaften müsse. "Relative Seltenheit" und "Notwendigkeit des Wirtschaftens" bedeutet dasselbe wie die als Quelle des Wertes hervorgehobene Notwendigkeit, zur Erlangung eines Dinges auf ein anderes zu verzichten. Will man also überhaupt vom Begriff "Gut" nicht absehen, so ist es empfehlenswerter, die relative Seltenheit erst beim Wert als Erfordernis aufzustellen, damit man zwischen Gut und Wert wenigstens eine Art Unterscheidungsmerkmal (abstrakt - konkret, qualitativ - quantativ) hat. Mangels eines solchen Unterschiedes ist man so sehr verlegen, "Wert" und "Gut" im Verhältnis zueinander zu definieren, daß man "Wert" als die Eigenschaft eines Gutes, ein Gut zu sein, bezeichnet hat oder "Gut" als eine Sache von Wert.


§ 4.
Die Bildung des Werturteils.

Der Inhalt des Werturteils geht dahin, zu entscheiden, in welchem Maß ich zwei Gegenstände als Mittel zur Befriedigung meiner Bedürfnisse schätze. Er wird also letzten Endes beeinflußt:
    a) durch die Stärke meiner einzelnen Bedürfnisse,

    b) durch meine Anschauung über die Eignung von Gegenständen, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Auf mein Werturteil wirkt daher alles ein, was auf die Stärke meiner einzelnen Wünsche Einfluß hat oder auf mein Urteil, inwiefern bestimmte Gegenstände geeignet sind, diese Wünsche zu befriedigen. Hierbei ist im Auge zu behalten, daß es sich um die Vergleichung zweier Begehrungen handelt, von denen jede einzelne veränderlich ist. Durch die Tatsache, daß wir den Wert meist in Geld ausdrücken, und daß uns Geld als eine sich gleich bleibende Größe zu erscheinen pflegt, wird dieser Sachverhalt einigermaßen verdunkelt. Sind, in Geld ausgedrückt, die Werturteile über einen Gegenstand verschieden, so pflegt man das lediglich auf die verschiedene Schätzung dieses Gegenstandes zurückzuführen. Ebenso häufig hat aber die verschiedene Wertschätzung darin ihren Grund, daß das Bedürfnis nach Geld verschieden empfunden wird. Derjenige, dem am Geld wenig gelegen ist, bewertet Dinge, die er erstehen soll, im Verhältnis höher und wird daher häufig höhere Preise zahlen, sei es, daß er ein reicher, sei es, daß er ein leichtsinniger Mensch ist. Dieser Wertfaktor spielt besonders im Detailverkehr [Kleinhandel - wp] eine bedeutende Rolle.

Unser Werturteil hängt außer von der Stärke unserer Bedürfnisse von unserem Urteil über die Qualität der Gegenstände ab, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Unser Urteil ist aber in den wenigsten Fällen ein selbständiges, es wird mindestens so sehr wie durch unser Nachdenken durch das Urteil anderer Personen bestimmt. Hierher gehört der Einfluß, den die bisherige Bewertung eines Gegenstandes auf die Wertschätzung zu üben pflegt. Hierauf ist zum großen Teil die Wirkung der Reklame zurückzuführen. Besteht die Reklame in der Wiedergabe von Pressestimmen, Attesten und anderen Urteilen, so ist unmittelbar klar, daß durch fremdes Urteil auf unser eigenes eingewirkt werden soll. Im Grunde genommen hat jede Reklame dieses Ziel im Auge. Sei es durch die auffallende Art der Darstellung, sei es durch häufige Wiederholung einer Anzeige, es soll und wird schließlich auf den Leser eine Suggestion ausgeübt - er unterliegt mit seinem Urteil fremden Einflüssen. Ähnliches gilt von Auktionen; die Schwindelauktionen mit schwindelhaften Bietern und Geboten machen sich die psychologische Erfahrung zunutze, daß unser Urteil durch die Urteile anderer Personen beeinflußt zu werden pflegt.

Aber letzten Endes ist unser Urteil souverän. Es kann sich sowohl über die Urteile anderer Personen hinwegsetzen, wie über die (objektiven) Eigenschaften der Dinge. Es ist dabei zu bedenken, daß es sich hier nicht um ein sogenanntes objektives Urteil handelt, bei dem wir mit unseren Wünschen nicht beteiligt sind, sondern um die Entscheidung, welches von zwei Bedürfnissen wir befriedigen, welchen von unseren Wünschen wir erfüllen sollen. Was einen Wunsch, ein Bedürfnis steigert, verleiht daher einem Gegenstand, im Verhältnis zu anderen einen höheren Wert und umgekehrt. Nichts anderes als das besagt der bekannte Satz, daß der Preis der Waren sich nach Angebot und Nachfrage richtet. Sehe ich, daß nach bestimmten Waren ein großes Begehren vorhanden ist, daß also andere Personen die Ware sehr schätzen, daß für mich andererseits die Gefahr vorhanden ist, solche Waren überhaupt nicht oder nur zu wesentlich höheren Preisen zu erwerben, so steigert sich mein Habenwollen - und ich zahle einen höheren Preis als den bisherigen. Das heißt, die Steigerung der Nachfrage hat zur Steigerung des Preises geführt und entsprechend ist der ganze Lehrsatz, daß der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet, aus dem Begriff des Wertes abzuleiten.
LITERATUR - Heinrich Cohn, Die subjektive Natur des Wertes, Berlin 1899
    Anmerkungen
    1) In moslemischen Ländern ist Schweinefleisch kein "Gut".
    2) So BÖHM-BAWERK, Rechte und Verhältnisse vom Standpunkt der wirtschaftlichen Güterlehre, Seite 16; CARL MENGER, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Seite 3-4. Diese Scheu, die objektiven Eigenschaften der Dinge dem menschlichen Ermessen unterzuordnen, ist umso charakteristischer, als die genannten Volkswirtschaftslehrer die subjektive Natur der Begriffe "Gut" und "Wert" sonst hervorgehoben.
    3) MENGER meint, a. a. O. Seite 4: "Dinge, welche ihre Güterqualität lediglich aus eingebildeten Eigenschaften derselben oder aber aus eingebildeten Bedürfnissen der Menschen herleiten, kann man füglich auch  eingebildete  Güter nennen." Das ist gerade so, als ob man von einem eingebildeten Vergnügen spricht, wenn man sich's einbildet, dann hat man es.
    4) Genau genommen ist jede menschliche Handlung das Ergebnis einer Wahl zwischen ihr und der entgegengesetzten Handlung. Diese Wahl erfolgt allerdings sehr häufig nicht mit Bewußtsein, sondern quasi automatisch, da sich ähnliche Fälle im Leben des Menschen ständig wiederholen.
    5) Wenn man den Ausdruck "Gut" beibehalten will, ist: Wert = das Verhältnis zweier Güter.
    6) Ein objektiver Wert wäre "ein objektives Urteil", ein begrifflicher Widerspruch, wenn man auch diesen Ausdruck zu gebrauchen pflegt, um zu behaupten, daß ein Urteil sachgemäß ist und nicht in einer Laune des Urteilenden seinen Grund hat.
    7) Die englische Literatur kennt den Begriff "Gut" nicht, goods (Plural!) bedeutet Ware. Der Volksmund war in der Bezeichnung glücklicher als die Sprache der Gelehrten, das Wort Wert drückt sehr gut das Subjektive des Begriffes aus, während das Wort "Gut", wie in § 1. nachgewiesen, zu Unrecht den Schein einer objektiven Eigenschaft der Dinge erregt.