tb-3H. ProssE. MartinakF. Saussurevon RozwandoH. Paul    
 
CHARLES WILLIAM MORRIS
Die Pathologie der Zeichen

"Die Semiotik kann das Gesunde und Pathische im Zeichenbereich erklären und in gewissem Maße das eine unterstützen und das andere bekämpfen; aber die primären Zeichen, die das Leben braucht, können nur von denen geschaffen werden, die Führungspositionen einnehmen - von Denkern, Künstlern, Propheten und Politikern, deren Aufgabe die fortwährende Rekonstruktion der Zeichen ist, von denen das entwickelte Individuum und auch die Gesellschaft abhängen."

Jedes Zeichen involviert Verhalten, weil ein Zeichen einen Interpretanten haben muß und weil dieser Interpretant eine Reaktionsdisposition hat. Aber das Verhalten, das in dem Zeichen als Zeichen selbst enthalten ist, kommt in dem Kontext des umgreifenderen Verhaltenssystems des Zeicheninterpreten vor und häufig sogar im Kontext eines Verhaltenssystems. Auf diese Weise entsteht hier das Problem der Relation der Zeichen zu den Individuen und den Gesellschaften, in denen Zeichen auftreten und wirken. Hier öffnet sich für die Semiotik ein sehr weiter Bereich. Zeichen haben zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur eine gewisse Bedeutung, sondern sie haben diese Bedeutung nur in der besonderen Lebensgeschichte ihrer Interpreten; und ihr Erscheinen beeinflußt im Guten oder Schlechten die weitere Lebensgeschichte dieser Interpreten. Die Entstehung und die Wirkungen von Zeichen ("gesunder" und "pathischer") - wobei Entstehung und Wirkungen sowohl vom Standpunkt des Einzelnen als auch der Gesellschaft aus betrachtet werden können - ist der Bereich, mit dem wir uns jetzt beschäftigen.

Pflanzen und Tierforscher sind gewöhnt, zwischen "gesunden" und "pathischen" Ereignissen zu unterscheiden. GEORGE K. LINK hat diese Unterscheidung so ausgedrückt, daß den Begriffen eine designative Bedeutung zukam, obwohl sie häufig appreziativ (wertend) sind. Gesundheit, schreibt er, ist ein Zustand des Organismus, "in dem all Strukturen und Handlungen so harmonisch integriert und reguliert sind, daß die leichte Erhaltung der ganzen Organisation kontinuierlich gesichert ist", während "Schädigung oder Störung des idealen Funktionszustandes das Wesen aller pathischen Ereignisse ausmacht". Er hat noch einen weiteren Schritt zur Abgrenzung des Pathischen unternommen, um nicht den Tod eines Organismus pathisch nennen zu müssen: Ein pathisches Ereignis ist eine anormale oder statistisch seltene Schädigung.

Nach dieser Terminologie kann ein Zeichenprozeß als eine Ereignisart gesund oder pathisch sein. "Gesunde" oder "pathische" Zeichen müssen von "adäquaten" und "inadäquaten" Zeichen unterschieden werden. Ein Organismus mit gesunden Zeichenprozessen kann Fehler begehen: z.B. kann ein Hund in seinem Verhalten durch das weniger zuverlässige von zwei Zeichen beeinflußt werden, oder ein Wissenschaftler kann eine falsche Hypothese aufstellen; solche Ereignisse passieren häufig genug, aber obwohl sie schädlich sein können, sind sie nicht pathisch. Im allgemeinen sind die Zeichen eines Individuums insofern gesund, als sie Berichtigung und Verbesserung unterworfen sind; sie werden dann pathisch, wenn sie sich einer solchen Berichtigung und Verbesserung anormal widersetzen. Größtenteils sind die Zeichen eines Organismus nämlich flexibel, ändern sich mit dessen Bedürfnissen und Fähigkeiten und der Veränderung der Umgebung; so ersetzen zuverlässigere und adäquatere Zeichen weniger zuverlässige und inadäquate. Unter bestimmten Bedingungen geht diese Flexibilität jedoch verloren, und die Zeichenereignisse werden pathische Ereignisse.

Als Beispiel auf der tierischen Verhaltensebene können wir JULES MASSERMANs Versuche mit Katzen erwähnen. Diesen Katzen wurde zuerst beigebracht, auf ein Licht als Signal für Futter in einem Behälter in ihrem Käfig zu reagieren. Später, wenn sie auf das Signal mit Futtersuche an der angezeigten Stelle reagieren, werden sie dort einem Luftstoß ausgesetzt und reagieren darauf mit hastigem Rückzug vom Futterplatz. Wenn jetzt das Lichtsignal gegeben wird, resultiert daraus ein eindrucksvolles Verhalten: Die Tiere zeigen große Angst und Aufregung, verkriechen sich so weit wie möglich vom Futter entfernt in einer Käfigdecke, weisen erreichbares Futter zurück und können sich unter diesen Umständen zu Tode hungern.

Man kann sagen, daß unter diesen Umständen das Signal widersprüchliche wertende und beschreibende Bedeutungen angenommen hat. Eine bestimmte Region wird beschreibend so signifiziert, daß dort Futter und Luftstöße vorkommen, und aufgrund des Vorzugsverhaltens des Tieres ist sie sowohl als "gut" als auch als "schlecht" signifiziert; das Tier verhält sich so, als wenn ihm "befohlen" würde, sich sowohl der identifizierten Stelle zu nähern als auch sich von ihr zu entfernen. Das Ergebnis ist Lähmung jedes wirksamen Verhaltens. Das pathische Element dieser Situation sind jedoch nicht die entgegengesetzten Signifikationen des Signals, sondern eher die unflexible Weise, mit der einer Berichtigung oder möglichen Berichtigung des Zeichens Widerstand geleistet wird.

Nehmen wir z.B. an, daß sich die Situation in Wirklichkeit geändert hat, so daß der Luftstoß nicht mehr oder nur noch sehr selten auftritt; die "neurotische" Katze wird jedoch keine Aktion unternehmen, durch die die frühere Signifikation des Lichts berichtigt wird; das Lichtsignal wird zu einem pathischen Zeichen. Das "gesunde" Tier würde im Gegensatz dazu fortfahren, die Situation zu erforschen, und so zu diesen Unterscheidungen gelangen und vielleicht sogar zusätzliche Signale dafür erhalten, wann das Lichtsignal sowohl Futter als auch den Luftstoß signifizierte und wann es Futter allein signifiziere.

Die Gründe dieses hartnäckigen Widerstandes gegen die Verbesserung von Zeichenprozessen sind zweifellos zahlreich und komplex. Aber auf der menschlichen Ebene ist zumindestens ein Grund in der Teilbefriedigung zu suchen, die sonst inadäquate Zeichen liefern können, oder anders ausgedrückt: Ein Grund ist die partielle Adäquatheit des Zeichens zur Realisierung bestimmter Absichten - daraus resultiert die Abneigung, diese Befriedigung aufzugeben, indem man das Risiko auf sich nimmt, das eine Änderung in dem Zeichen erfordern würde.

Menschen gebrauchen Zeichen nicht nur, um sich selbst zu versichern, daß die Befriedigung ihrer Interessen stattfindet und daß keine Frustration ihrer Interessen erlitten wird; eine signifizierte Befriedigung ist eine Art von Befriedigung, und eine signifizierte Frustration ist eine Art von Frustration. MOWRER betont besonders, daß jemand nicht nur durch Bedürfnisse, sondern auch durch die Antizipation von Bedürfnissen motiviert werden kann. Für ihn verbindet sich mit jeder Antizipation Angst. Deshalb können Zeichen nicht nur Angst verursachen und Verhalten motivieren, sondern sie können auch der Angstverminderung dienen - diese Tatsache erhellt Magie, den Aberglauben, verschiedene Formen von Religion und neurotische Symptome.

Es gibt daher eine bestimmte Befriedigung, die durch ein Zeichen erzielt wird, das das Erreichen eines Ziels signifiziert oder das die Angst vermindert, daß dieses bestimmte Ziel nicht erreicht wird. Daraus resultiert die Tendenz einer Person, an Zeichen festzuhalten, die diese Befriedigung verschaffen. Diese Tendenz, die in gewissen Grenzen normal und gesund ist, wird dann allerdings pathisch, wenn die Beibehaltung solcher Zeichen der Erlangung größerer Befriedigung und zuverlässigerer und adäquaterer Zeichen im Wege steht. Es ist nicht pathisch, die Fotografie einer Geliebten zu lieben; wenn die Fotografie aber eine befriedigende Interaktion mit der betreffenden Person verhindert, ist sie zu einem pathischen Zeichen geworden.

Zeichen werden wie andere Dinge zu Objekten von Vorzugsverhalten. Da Vorzugsverhalten ein Begleitumstand des Lebens ist, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Jeder normale Mensch zieht manche Sprachen anderen vor, mag bestimmte Gedichte lieber als andere oder bevorzugt bestimmte Theorien. Aber es ist charakteristisch für neurotische oder psychotische Menschen, pathische Zeichen vorzuziehen, die für einen großen Teil des Verhaltens unzuverlässig und inadäquat sind, weil solche Zeichen für das Erreichen gewisser Ziele teilweise adäquat sind (wie z.B. die zeitweilige Angstminderung). Bei diesen Menschen ist das Zeichenverhalten sehr unflexibel, und mithin wird das Gute zum Feind des Besseren.

Der Zwangsneurotiker, der bei jedem dritten Schritt seines Weges einen Sprung machen muß, um Selbstsicherheit zu erlangen, oder der Paranoiker, der sich selbst als eine wichtige, aber verkannte Persönlichkeit signifiziert, oder die Schizophrene, die ein weißes Band als Zeichen ihrer Reinheit im Haar tragen muß - sie alle helfen ihren Ängsten durch Zeichen ab, denen sie als Zeichenhersteller eine positive Bedeutung geben, und so widerstehen sie zwanghaft allem, das eine Änderung der Zeichen androht, von denen sie sich zur Sicherung ihrer eigenen Wichtigkeit abhängig gemacht haben.

ERNEST JONES sagt vom Symbol im freudianischen Sinne. "Das Individuum hat keine Vorstellung von seiner Bedeutung und weist oft widerwillig die Interpretationen zurück. Ich glaube, daß Symbole in diesem Sinne Zeichen sind, wie wir den Begriff gebraucht haben, und daß sie mit unserer verhaltensorientierten Darstellung vereinbar sind. Die Aussage, daß jemand ein Symbol hat und sich dennoch "keine Vorstellung von seiner Bedeutung" machen kann, ist möglich, wenn einige Unterscheidungen durchgeführt werden. Läßt man die Fälle beiseite, wo etwas kein Zeichen für das herstellende Individuum ist, sondern nur ein expressives Zeichen für jemanden, der es interpretiert, kann es passieren, daß das Individuum, für das etwas ein Zeichen ist, nicht weiß, daß es sich um ein Zeichen handelt, daß es das Zeichen nicht formulieren kann. In diesen Fällen ist es ratsam zu sagen, daß das Zeichen eine Bedeutung hat, das Individuum sie aber nicht "kennt" und solche Wendungen wie "unbewußtes Zeichen", "unbewußte Bedeutung" oder "unbewußter geistiger Prozeß" werden am besten so interpretiert.

Die vorangegangenen Überlegungen über die pathische Funktionsweise von Zeichen geben keinen Anlaß für die Auffassung, daß die Psychiatrie völlig zur Semiotik gehört, oder mit anderen Worten, daß Persönlichkeitsstörungen ("Geisteskrankheiten") ausschließlich pathische Zeichenprozesse sind. Diese Position wird manchmal im Namen der Semiotik eingenommen; sie stellt eine grobe Vereinfachung dar, die weder der Semiotik noch der Psychiatrie einen Dienst erweisen. Wir brauchen eher eine sorgfältige Untersuchung des tatsächlichen Ausmaßes, in dem neurotisches und psychotisches Verhalten durch Zeichen verursacht und übertragen wird und wie es durch Zeichen geheilt werden kann. Während die vollständige Erklärung dieses Verhaltens zwar nicht in Zeichenbegriffe gekleidet werden kann, spielen Zeichen in einem unbestimmten, aber wichtigen Umfang eine Rolle bei der Ätiologie (Lehre von den Ursachen der Krankheiten) und Therapie dieser Prozesse.

Bei dem Entstehungsproblem ist JULES MASSERMAN, der den Zeichen in seiner verhaltensorientierten Psychiatrie eine hervorragende Stelle einräumt, ausdrücklich für die Beschränkung, die er der Stellung der Zeichen bei der Entwicklung pathischen Verhaltens auferlegt: "Die Motivierungen des Verhaltens ... können konfliktreich werden entweder wegen der gleichzeitigen Hervorrufung antagonistischer innerer Bedürfnisse oder durch die Notwendigkeit schwieriger Anpassungen an komplexe und kontradiktorische äußere Symbolsysteme."

Das neurotische Verhalten der Katze kann dadurch hervorgerufen werden, daß sie im Augenblick des Fressens dem Luftstoß ausgesetzt wird, ohne daß ein solches Signal mit dem Lichtzeichen verbunden wäre; oder um eine Beispiel von ERICH FROMM zu benutzen, kann ein Kind, das von der Mutter bei der Nahrungsaufnahme festgehalten wird, widerstreitende Einstellungen zur Mutter entwickeln, und zwar aufgrund der Befriedigung, die sie gewährt, und der zugleich erzwungenen Bewegungseinengung. Selbst wenn man Persönlichkeitsstörungen vernachlässigt, die auf Drogen oder organische Degeneration zurückzuführen sind, kann man nicht einmal all diejenigen Persönlichkeitsstörungen, die aus motivationalen Konflikten stammen, durch Zeichen erklären.

Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß Zeichen in gewissen Fällen ursächliche Faktoren sind. HARRY STACK SULLIVAN und ERICH FROMM haben mir beide die mögliche Wichtigkeit von Konflikten zwischen der interpersonalen und der personalen Signifikation des Ausdrucks "Mutter" geraten. Auf diese Weise können hier motivationale Konflikte entstehen, die wenigstens zum Teil durch die widersprüchlichen bewertenden und beschreibenden Bedeutungen bestimmter Zeichen verursacht werden können. Es wäre möglich, daß einige Persönlichkeitsstörungen einen semiotischen Ursprung haben und daß sie sogar absichtlich in dieser Weise produziert werden - und zwar nicht nur bei Tieren.

Es besteht auch nur geringer Zweifel daran, daß einmal entstandenes pathisches Verhalten durch Zeichen perpetuiert werden kann, da ein Zeichen, das die Situation signifiziert, die dieses Verhalten verursacht, selbst dazu tendieren wird, Verhalten der gleichen Familieu hervorzurufen, wie dasjenige, das durch die Situation selbst bewirkt wurde. Wenn daher der Futterbehälter oder die Mutter gleichzeitig zu einem gebilligten wie abgelehnten Objekt wurden, wird das Licht oder das Wort "Mutter" oder alle anderen Reize, die Zeichen für diese Objekte werden, in Abwesenheit des Futterbehälters und der Mutter die gleichen Verhaltenstendenzen hervorrufen, wie sie bei deren Anwesenheit entstünden. Da auf der menschlichen Ebene sehr komplexe Symbolketten entstehen können, ist es verständlich, daß diese Zeichen Persönlichkeitsstörungen über die Entstehungssituation hinaus unendlich perpetuieren können. Individuen können tatsächlich bewußt oder unbewußt Zeichen benutzen, um bei anderen oder sich selbst Persönlichkeitsstörungen wegen der Befriedigung fortzuführen, die diese Störungen verschaffen können.

Wenn Zeichen bei der Entstehung und Perpertuierung pathischen Verhaltens eine gewisse Rolle spielen, ist zu erwarten, daß sie in gewissem Maße auch zur Linderung oder sogar zur Behebung dieses Verhaltens benutzt werden können. Wo die Signifikation eines bestimmten Zeichens ein Schlüsselfaktor solchen Verhaltens ist, kann man seine Signifikation durch den Gebrauch anderer Zeichen ändern - indem man z.B. seine wertende Bedeutungszumessung vom Positiven ins Negative wendet oder umgekehrt.

In gleicher Weise kann man jemanden durch Argumente davon überzeugen, daß ein für zuverlässig gehaltenes Zeichen es nicht ist oder daß ein zur Realisierung eines bestimmten Zieles für adäquat gehaltenes Zeichen diesen Zweck nicht erfüllt, und auf diese Weise kann man mit dem Zeichen verbundenes Verhalten beeinflussen. Oder statt die Bedeutung von Zeichen direkt zu ändern zu versuchen, kann man Zeichen benutzen, um die Motivationen oder die Stärke der Motivationen einer Person zu ändern - man kann z.B. jemanden zu dem Wagnis veranlassen, ein Problem in Angriff zu nehmen, vor dem er Angst hatte; dadurch können sich Änderungen in Zeichen durch die neuen Handlungen der Person selbst vollziehen, so daß ein Zeichen, das vorher als zuverlässig angesehen wurde, jetzt für unzuverlässig erachtet wird.

Der Grund weshalb Zeichen für diese verschiedenen Ziele benutzt werden können, liegt in der Tatsache, daß der Interpretant jedes Zeichens selbst ein Verhaltensphänomen ist, und daher ist die Wirkung von Zeichen auf andere Zeichen und auf das Verhalten selbst eine Wirkung des Verhaltens auf das Verhalten. Da aber das Verhalten auch durch Drogen und Veränderungen der Umwelt, in der ein Organismus handelt, beeinflußt werden kann, wäre es kurzsichtig, therapeutische Techniken, die sich mit pathischem Verhalten beschäftigen, auf den Gebrauch von Zeichen zu beschränken, genauso kurzsichtig wäre, eine Untersuchung der Gründe für dieses Verhalten auf die Zeichen des unglücklichen Menschen zu reduzieren.

Da Zeichen von solch zentraler Wichtigkeit im menschlichen Verhalten sind, muß sich die Psychiatrie ernsthaft mit Zeichenprozessen beschäftigen; dabei wird sie sich mit der Semiotik überschneiden, indem sie von der Semiotik, sowie sich diese entwickelt, Hilfe bekommt und indem sie Daten beiträgt, die für diese Entwicklung wichtig sind. Eine verhaltensorientierte Semiotik ist ein Korrektiv derjenigen Semiotiker, die zu glauben scheinen, daß Persönlichkeitsstörungen immer durch Zeichen verursacht werden und immer durch Zeichen in den Kontext pathischen Verhaltens gestellt werden. Eine verhaltensorientierte Psychiatrie ist nicht nur möglich, sondern sie wird bereits entwickelt; und bei ihrer Entwicklung mußt sie der Stellung der Zeichen im pathischen Verhalten und dem Zeichengebrauch bei der Behandlung solchen pathischen Verhaltens volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie gehört jedoch wie die Semiotik in die allgemeine Verhaltenswissenschaft; und obwohl sie die Semiotik benutzt, kann sie doch nicht darauf reduziert werden.

Sozial pathisches Verhalten, wie pathisches Verhalten im allgemeinen, wird nicht nur durch Zeichen verursacht, ist es jedoch einmal entstanden, wirken Zeichen als einflußreiches Mittel für sein Fortbestehen. Wissen über Zeichen kann Teile dieses sozial pathischen Verhaltens vorwegnehmen und in gewissem Maße bei seiner Entlarvung und Beendigung helfen. Aber es ist utopisch, diesen möglichen Einfluß zu übertreiben und von der Zeichentheorie selbst zu erwarten, daß sie die Zeichen herstellt, die von einem Individuum oder einer Gesellschaft für eine integrierte und gesunde Existenz gebraucht werden. Die Semiotik kann das Gesunde und Pathische im Zeichenbereich erklären und in gewissem Maße das eine unterstützen und das andere bekämpfen; aber die primären Zeichen, die das Leben braucht, können nur von denen geschaffen werden, die Führungspositionen einnehmen - von Denkern, Künstlern, Propheten und Politikern, deren Aufgabe die fortwährende Rekonstruktion der Zeichen ist, von denen das entwickelte Individuum und auch die Gesellschaft abhängen.

Seit KONFUZIUS besteht die bleibende Hoffnung und Überzeugung, daß dann, wenn die Sprache der Menschen in Ordnung gebracht wäre, und diese geordnete Sprache in den Allgemeinbesitz aller Menschen übergegangen wäre, sich die Menschen gegenseitig verstünden, die Gesellschaft stabilisiert und dem Konflikt ein Weg zum Frieden gewiesen wäre. In ihrer extremen Form ist diese Position sicherlich naiv und unhaltbar. Vom Standpunkt unserer Ergebnisse ist es klar, daß Zeichen in allen Formen des sozialen Verhaltens wirken können, dies auch tun und nicht nur im kooperativen sondern auch im konkurrierenden sozialen Verhalten.
LITERATUR - Charles William Morris - Zeichen, Sprache und Verhalten, mit einem Vorwort von Karl-Otto Apel, Wien/Berlin/Ffm 1981