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WILHELM SCHUPPE
Zur "voraussetzungslosen
Erkenntnistheorie"


" "Wie kommt es, müssen wir fragen, daß es uns so viel Sorge macht, ob Andere anders denken als wir? Darin liegt doch die Voraussetzung, daß eigentlich alle Menschen gleich denken müßten, daß von den Dissentierenden immer mindestens einer im Irrtum sein muß, daß also das Denken eigentlich nur eines sei, von sonstigen individuellen Differenzen und von Willkür und Laune unabhängig, also aus sich absolut notwendig."

Herr VOLKELT wünscht Seite 536, Heft IX und X dieser Zeitschrift in seinem Aufsatz "Die Aufgabe und die Fundamentalschwierigkeit der Erkenntnistheorie als einer voraussetzungslosen Wissenschaft" den einen oder anderen der Denker, welche jetzt auf erkenntnistheortischem Gebiet arbeiten, dazu zu veranlassen, mit ihm über die hervorgehobenen Punkte in ruhig sachliche Diskussion zu treten. Demgemäß erlaube ich mir Folgendes seiner Erwägung zu unterbreiten.

Zugestanden ist: Jede Wissenschaft macht stillschweigend die Voraussetzung, daß es ein objektiv gültiges Erkennen gebe. Zugestanden ist ferner: die Notwendigkeit einer Wissenschaft, welche das Erkennen selbst zu ihrem Objekt macht, liegt darin, daß das objektive Erkennen nicht absolut selbstverständlich und unbezweifelbar ist. Wenn VOLKELT aber weiter meint, "diese Einsicht ergibt sich einfach aus der unbestreitbaren Erwägung, daß alle Akte, die darauf Anspruch erheben, ein Erkennen zu sein, unabtrennbar an das Individuum gebunden sind, sich zunächst und unmittelbar nirgend anderswo, als im Bewußtsein des Individuums vollziehen", so bestreite ich zwar keineswegs das letztgenannte Faktum, gebe aber zu erwägen, daß "diese Einsicht" noch andere, sehr wichtige Voraussetzungen macht, um überhaupt die Begriffe "objektiver Gültigkeit" und "bloß subjektiver Vorgänge, bloß individueller Bewußtseinsphänomene" entstehen und verstehen lassen. In den ersten Regungen des naivsten Denkens liegt schon die Voraussetzung eines Seins, welches als sein Objekt von ihm ergriffen würde, welches außer den einzelnen Denkenden und von ihnen unabhängig sei, eben dasselbe, mit welchem sie alle es in der Praxis des Lebens gleichmäßige zu tun zu haben und welches von ihnen allen auch gleichmäßig erkannt werden müsse. Und diese Voraussetzung bewährt sich nicht. Denn die Ansichten der Einzelnen differieren, trotz ernstlicher Anstrengung sich zu verständigen; im eigenen Denken treten Widersprüche hervor und oft überführt es ein unerwarteter Erfolg zu seinem Schaden des Irrtums. In diesen Erfahrungen tritt die Voraussetzung zutage und mit ihr ein Begriff von Wahrheit und Irrtum. Offenbar ist es eben der Widerspruch in den angeblichen Ergebnissen des Denkens, welcher aus der innersten Natur des Denkens als absolut unerträglich zurückgewiesen wird und ebenso offenbar wird das sich Widersprechende nicht zum Sein, welches erkannt werden soll und welches zu erkennen als ein unvertilgbarer Anspruch im Begriff des Denkens selbst liegt, gerechnet. Das sind die Stufen im Gedankengang, der zu der Einsicht führt, daß das Erkennen selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden muß, deren erstes Ergebnis gewiß nur das sein konnte, daß das Erkennen selbst zunächst nur ein individuelles Bewußtseinsphänomen ist. Wenn VOLKELT diesen Gedanken mit den Worten weiter ausführt, zunächst stehe es keineswegs fest, daß das, was wir für einen Erkenntnisakt halten, mehr sei, als ein ganz individueller Vorgang und auf die Zustimmung der anderen Individuen rechnen dürfe, so war die Voraussetzung, daß unser Denken Anspruch auf diese Zustimmung erhebe, besonderer Auszeichnung und Hervorhebung wert. Wie kommt es, müssen wir fragen, daß es uns so viel Sorge macht, ob Andere anders denken als wir? Darin liegt doch die Voraussetzung, daß eigentlich alle Menschen gleich denken müßten, daß von den Dissentierenden immer mindestens einer im Irrtum sein muß, daß also das Denken eigentlich nur eines sei, von sonstigen individuellen Differenzen und von Willkür und Laune unabhängig, also aus sich absolut notwendig. Und dieser Gedanke ist es ja auch, welcher andererseits in der bloßen Zahl der Übereinstimmenden noch keine Bürgschaft erblicken läßt und die große Menge derer, die in ihren leicht erkennbaren und erklärbaren Irrtümern übereinstimmen, verachten und den Dissens mit ihnen ertragen läßt.

Das sind Voraussetzungen, welche in VOLKELTs eigener Problemstellung enthalten sind.

Daß nun die Erkenntnistheorie Fundamentalwissenschaft sei und somit keine Voraussetzungen machen dürfe, stimmt gnz mit meinen oft geäußerten Überzeugungen überein. Aber was heißt VOLKELTs "im strengen Sinne voraussetzungslos"? Gewiß wird sie nicht das eben bestreitbare Faktum vorhandener objektiv gültiger Erkenntnis voraussetzen dürfen. Aber sollen wir deshalb auch davon abstrahieren, daß wir bisher gewähnt haben, Erkenntnisse zu machen? Aus dem absoluten Nichts läßt sich gewiß nicht durch die Kunst eines Erkenntnistheoretikers die Möglichkeit der Erkenntnis demonstrieren. Also wir "im strengen Sinne voraussetzungslos" nur das bedeuten können, daß im strengen Sinne nur diejenigen Voraussetzungen gemacht werden, welche  im Begriff der Aufgabe schon mitgesetzt sind und ohne welche die Aufgabe selbst ein sinn- und inhaltsloser Laut würde.  Alle anderen Voraussetzungen sind Dogmatismus, diese nicht. Sie setzt also, wie VOLKELT zu Beginn selbst zugestanden hat, ein bewußtes Wesen und ein Etwas, was von diesem für eine Erkenntnis gehalten wird, setzt ferner, daß dieses Etwas zunächst nur in diesem Bewußtsein existiert, setzt den Zweifel des Erkenntnistheoretikers und mit ihm einen wenn auch ganz problematischen Begriff von Wahrheit und Irrtum und die auf Aufhellung dieses Begriffes gerichtete Denktätigkeit. Das ganze Problem ruht nur auf diesen Voraussetzungen und ist ohne sie nicht vorhanden.

Demnach läßt sich die Aufgabe der Erkenntnistheorie auch als Untersuchung des Wahrheitsbegriffs bezeichnen, aber da Wahrheit ja nur dem Denken zukommt, so versteht sich von selbst, daß diese Wahrheit ja nur dem Denken zukommt, so versteht sich von selbst, daß diese Untersuchung auf die des Denkens selbst mit seinen oben angeführten Ansprüchen, deren Recht und Sinn zu prüfen ist, zurückgeht. Wir wiederholen also nur das Cartesische Experiment, an Allem zu zweifeln und finden mit ihm als das einzig Unbezweifelbare die eigene Existenz, natürlich nur als die des denkenden Bewußtseins. Und damit ist ja prinzipiell gefordert, daß, was nun außerdem noch als existierend anerkannt werden soll, von diesem Punkt aus gefunden werden muß. In ihm, da zunächst außer im nichts feststeht, muß der Weg gefunden werden, der zu etwas Anderem außer ihm hinführt. Also wird es seine Aufgabe sein, so wie es sich selbst im Akt der Reflexion gefunden hat, nun auch weiter in immer intensiverer Reflexion sich selbst zum Gegenstand seines Denkens zu machen, um, was alles in ihm unterschieden werden kann, zu suchen. Diesen Weg habe ich zu verfolgen versucht, mich aber dabei an das Bedenken, welches VOLKELT vorträgt, nicht gekehrt. Er meint nämlich, der Erkenntnistheoretiker bewege sich deshalb im Kreis, weil er behufs einer Lösung seiner Aufgabe schon ein Denken mit dem Anspruch Erkenntnis zu gewinnen, ausübt. "Damit ist seinen Untersuchungen eine dogmatische Grundlage gegeben und alles, was er über Erreichbarkeit des Erkennens festsetzt, ist prinzipiell gerade so viel wert, als wenn er dieses Problem erst irgendwo in der Metaphysik oder Psychoogie abhandle." Allein "die Idee einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie" kann doch unmöglich die sein, daß ein Erkenntnistheoretiker die Möglichkeit, bzw. den Begriff der Erkenntnis demonstriere, ohne dabei zu denken. Um zu zeigen, daß dies ein Widerspruch ist, bedarf es keiner längeren Auseinandersetzung. Aber deshalb braucht man nicht zur Skepsis zu flüchten, denn gerade diese steht im unerträglichen Widerspruch, im Wesen ihrer Argumentation gerade dasjenige vorauszusetzen und anzuerkennen, was sie durch die Argumentation leugnen will. Die Voraussetzung des Denkens selbst gibt aber der Erkenntnistheorie mitnichten eine dogmatische Grundlage, so wenig nämlich, als die eigene Existenz als denkenden Bewußtseins ein Dogma ist. Erst wenn VOLKELT diese seine eigene Existenz als ein unbewiesenes und unbeweisbares Dogma, einen eingeschmuggelten Begriff bezweifeln wird, werde ich in der Voraussetzung desselben eine dogmatische Grundlage anerkennen. Sie ist jedoch nichts anderes, als die Voraussetzung des Objekts der Untersuchung, ohne welches eben auch die Aufgabe selbst zu existieren aufhört und unterscheidet sich von anderen Voraussetzungen, etwa daß en Gott existiert, welcher den Menschen so und so eingerichtet hat, daß es eine immaterielle Seelensubstanz, daß es materielle Dinge gebe, welche gewisser Einwirkungen auf jene fähig wären, auf den ersten Blick. Das von einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie zu erhoffende Resultat soll und kann ja auch gar nicht eine Aufklärung über die Leistungsfähigkeit unseres Denkens sein, welche uns dadurch beruhigte, daß sie selbst aus einem höheren zuverlässigeren Verstand stammt. Eine solche könnten wir gar nicht einmal brauchen, nicht verstehen. Vielmehr genügt es für unseren Zweck vollständig, wenn unser Denken, meinetwegen ganz so unvollkommen wie es ist, sich selbst erkennt. Ich meine nicht etwa, daß es seine Unvollkommenheit erkennen soll, sondern daß seine Erkenntnis seiner selbst ganz und gar eben den Charakter hat, den es selbst faktisch hat, mag dieser als Vollkommenheit oder als Unvollkommenheit qualifiziert werden, das ist gleichgültig. Wenn das Objekt selbst, wenn unsere eigene Existenz eben im denkenden Bewußtsein besteht, so ist diese Fähigkeit des Sichselbstdenkens von vornherein gesetzt, kein Dogma, sondern im Begriff der Aufgabe enthalten und einer weiteren Voraussetzung bedarf es in der Tat nicht. Kann das Denken sich selbst denken, sich selbst finden und erkennen, so wird es, das ist die erste unvermeidliche Konsequenz daraus, in seinen konkreten Gedanken über sogenannt angebliche Dinge auch dasjenige herauserkennen müssen, was es selbst in diesen Gedanken tut, worin es besteht, welches sein Anteilist, wie es Begriffe gewinnt usw. und dabei auch die merkwürdigerweise in einzelnen Fällen vorkommende Intermissionen [Unterbrechungen - wp] oder irgendwelche Abweichungen entdecken. So habe ich die Sache § 30 - 32 meiner erkenntnistheoretischen Logik aufgefaßt. Wenn VOLKELT a. a. O. sagt, "die Bemühungen des Erkenntnistheoretikers sollen verhindern, daß das Erkennen ohne ein sicheres gegründetes Bewußtsein über die Leistungsfähigkeit der letzten einfachsten Erkenntnisprinzipien ausgeübt werde. Und nun gibt er selbst seinen Untersuchungen eine Grundlage, welche die Gültigkeit gewisser Denkgesetze über das individuelle Bewußtsein hinaus als etwas Selbstverständliches voraussetzt," so scheint mir das der verhängnisvolle Irrtum zu sein, daß er diese Denkgesetze wie etwas außerhalb des Denkens selbst Liegendes, von ihm selbst wohl zu Unterscheidendes, erst auf dasselbe Anzuwendendes ansieht. Hier wird die entscheidende Wichtigkeit der von mir ausführlich begründeten Auffassung evident, nach welcher die sogenannten Denkgesetze nicht nach Analogie anderer Gesetze an die auch ohne sie bestehende Denktätigkeit herangebracht werden, - in welchem Fall wirklich eine dogmatische Voraussetzung gemacht würde, - sondern daß sie das Denken selbst sind, wie sich eben aus der bloßen Reflexion des Denkens über sich selbst ohne jede andere Voraussetzung ergibt.

Die Geltung dieser Denkgesetze über das individuelle Bewußtsein hinaus braucht nicht vorausgesetzt zu werden. Die Überzeugung von ihrer objektiven Gültigkeit resultiert bei mir wenigstens aus Erwägungen, welche zunächst über die Sphäre des individuellen Bewußtseins nicht hinausgehen, wenigstens dies nicht zur Bedingung ihrer Schlüssigkeit haben. Die ganze Frage hängt einzig und allein davon ab, daß man beachtet, daß und wie sich im Problem selbst die Fähigkeit des Denkens aus sich selbst zu richten vorausgesetzt ist. Die HEGELsche Polemik, auf VOLKELT sich beruft, trifft KANT nicht, nicht deshalb, weil dieser seine Aufgabe nicht tief genug erfaßt hätte, sondern weil HEGEL letzteren mißverstanden hat. Wenn das Denken jene Fähigkeit nicht hätte, so wäre es kein Denken, denn wir haben und findes es selbst nur in diesem Akt der Reflexion und wer es bezweifelt, beweist mit jedem Wort seiner Deduktion, daß er dieses Denken seines Denkens eben selbst vollzieht. Und kann man da im Ernst noch fragen, ob eine Gewähr in dieser Kontrolle liegt, da es ja eben nur das eigene in seiner Gültigkeit bezweifelte Denken ist, welches sich selbst prüft? In welchem Sinne ist denn seine Gültigkeit bezweifelt worden? Wenn das Denken in sich selbst, auch ohne alle anderen Voraussetzungen, einen Begriff von Wahrheit und Irrtum, einen Begriff objektiver Gültigkeit findet, so hätte, wie oben schon erwähnt wurde, ein Zweifel nur noch Sinn, der den erreichten Wahrheitsbegriff von  einem ganz anderen Standpunkt  aus kritisieren wollte. Aber dieses Unterfangen macht dogmatische Voraussetzungen, nicht meine Erkenntnistheorie. Ob es ein anderes Denken, etwa ein göttliches, mit ganz anderen Prozeduren gibt und ob für dieses ein anderer Wahrheitsbegriff gilt und ob diese unsere Welt sich für dieses Denken vielleicht ganz anders ausnimmt, das war nicht der Sinn des ersten Zweifels; dieser bezog sich nur auf den subjektiven Charakter unseres Denkens und wenn es der Reflexion wirklich gelingt, aus dem Bann des bloß Subjektiven herauszukommen, so hätte jenes Bedenken keine Bedeutung. So lange nicht von  unserem  Denken Begriff und Sinn jenes anderen Denkens nachgewiesen wird, ist es ein inhalts- und sinnloses Wort. Darauf also wird alles ankommen, wie dieses Denken des eigenen Denkens ausfällt, als was und wie beschaffen es sich findet. VOLKELT kommt Seite 528 auch selbst zu dem Zugeständnis eines selbstverständlichen Erkennens und findet es selbstverständlich in demjenigen, was jeder eben in seinem Bewußtsein vorfindet oder wessen jeder sich bewußt wird. Ich gebe ihm nun vollständig zu, daß es der Selbstverständlichkeit der genannten Erkenntnisse gar keinen Eintrag tut, welchem Gesichtspunkt ich in der Auswahl und Zusammenstellung derselben folge, nicht aber kann ich zugeben, was VOLKELT selbst gefunden zu haben vorgibt, es sei nirgends in seinen Bewußtseinsvorgängen, sobald nichts zu ihnen hinzugedacht werde, auch nur eine Spur von Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Aber woher, frage ich, soll denn etwas zu ihnen hinzugedacht werden? Ich glaube, VOLKELT hat das eben erst von ihnen weggedacht, um es nachher wieder hinzudenken zu können. "Gedacht" heißt es; woher diese Gedanken? VOLKELT hat doch, obgleich er in seinen Bewußtseinsvorgängen nichts von Gesetzlichkeit zu entdecken vermag, doch eben diesen Begriff der Gesetzlichkeit schon, sonst könnte er ja ihre Abwesenheit am bestimmten Ort nicht konstatieren. Woher hat er ihn? Ich meine, er hat ihn aus dem Denken seines Denkens. Und wenn er diesen Weg weiter mit mir gehen wollte, so würde er in seinem individuellen Bewußtsein und Denken auch den Begriff des Bewußtseins überhaupt als solchen finden und den Begriff des Denkens selbst als solchen und damit zugleich das, was man die Gesetze oder Prinzipien des Denkens nennt, dem Bewußtsein überhaupt zugehörend oder aus ihm stammend und würde sich so durch diese Funde in seinem individuellen Bewußtsein und Denken zu der Überzeugung gedrängt sehen, daß dieses Denken jedem individuellen Bewußtsein, falls es ihrer noch mehr gebe, zukommen müsse und in der objektiven Gültigkeit dieses Denkens umso weniger ein noch ungelöstes Problem sehen, als zugleich aus dem Begriff dieses zum Bewußtsein als solchem gehörigen Denkens sich ergibt, daß es uns überhaupt nur als Bestimmungen an seinen Objekten zum Bewußtsein kommen kann. Die Möglichkeit des Irrtums würde er dann mit mir als ein psychologisches Problem aus der Natur und dem Wesen der räumlich-zeitlichen konkretion des Bewußtseins zu begreifen suchen. Nicht aber würde er dann Seite 581 zu der unbewiesenen Überzeugung gekommen sein, "daß ein über das Bewußtsein hinausliegendes absolut unerfahrbares Reich, ein Reich der Dinge ansich, angenommen werden müsse". Eben dieses "müssen" ist das Problem, nicht selbstverständlich, sondern müßte bewiesen werden und kann doch nur bewiesen werden, wenn wir noch ohne solche dogmatische Voraussetzung den Begriff des Müssens und Notwendigseins näher untersucht haben. Und wenn nicht aus dieser Untersuchung die Notwendigkeit jener Annahme sich ergibt, so ist sie nicht das Ergebnis einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie, sondern Dogmatismus. Die "methodischen Gesichtspunkte" leisten nicht, was er von ihm behauptet war dies, daß der Gesichtspunkt, welcher die Auswahl und Zusammenstellung der Bewußtseinsinhalte leitet, ihrer Selbstverständlichkeit keinen Eintrag tue. Aber die Notwendigkeit, Dinge an sich anzunehmen, gehört nicht der Auswahl und Zusammenstellung der Bewußtseinsinhalte an, sondern setzt einen neuen Begriff und wenn es "methodische" Gesichtspunkte sein sollen, welche jene Annahme anbefehlen, so ist doch wohl klar, daß der Begriff einer Methode, welche ganze Annahmen befiehlt, selbst schon aus Annahmen besteht, welche von der verlangten voraussetzungslosen Erkenntnistheorie bewiesen worden sein müßten. "Das Bedürfnis, aus der Sphäre der eigenen Bewußtseinsvorgänge hinauszukommen", ist so lange dogmatische Neigung, als nicht im eigenen Innern die Quelle dieser Vorstellung entdeckt wird. "Die Wissenschaft mit ihrem Erkennen von Gesetzmäßigkeit" kann nicht helfen. Denn der Begriff erkannter Gesetzmäßigkeit, unlegitimiert aufgenommen, ist eitel Dogmatismus, wenn nicht die Wissenschaft mit der der erkannten Gesetzmäßigkeit, jedenfalls zunächst wenigstens, im eigenen Bewußtsein vorgefunden wird und daß dies der Fall ist, scheint auch VOLKELT selbst zuzugestehen. Wenn also, was ich nicht bezweifle, vielmehr in seinem Wie dargelegt zu haben glaube, der Erkenntnistheoretiker ein Motiv findet, andere Existenzen, als die seines eigenen individuellen Ich anzuerkennen, so wird das ein Motiv sein, welches gerade aus dem Inhalt des absolut selbstverständlich Erkannten folgt. VOLKELT aber behauptet, er müsse "ganz anderswoher die Begriffe des Gesetzes, der Kausalität u. a." kennen und ihren Wert würdigen gelernt haben, während doch nach seiner eigenen "voraussetzungslosen" Erkenntnistheorie kein anderswo vorausgesetzt werden darf.

Durch dieses "anderswoher geholte Motiv" wird nach VOLKELT "kein unerlaubter Faktor in die Erkenntnistheorie hineingetragen, voausgesetzt, daß die Behauptungen, zu denen dieses Motiv hintreibt, sich vollständig aus den vorangehenden absolut selbstverständlichen Behauptungen rechtfertigen". Allein sein "Motiv" ist kein bloßes Motiv, sondern ist ein anderswoher geholter Begriff, "der des Gesetzes, der Kausalität u. a.", welcher entweder völlig unlegitimiert angewendet wird oder "wenn die Behauptungen, zu welchen er hintreibt, sich vollständig aus den vorangehenden selbstverständlichen Behauptungen rechtfertigen", in Wirklichkeit gar nicht anderswoher geholt worden ist und geholt zu werden braucht, das das "sich-rechtfertigen" doch wohl gleichbedeutend ist mit "sich-ergeben, erschlossen werden können". Ich wüßte wenigstens sonst nicht, worin das sich-rechtfertigen besteht. Es scheint mir nicht konsequent, wenn VOLKELT nun, ganz in Übereinstimmung mit meiner Erkenntnistheorie, sogleich lehrt, der Erkenntnistheoretiker werden, um die Schranken seines individuellen Bewußtseins zu durchbrechen, "nichts anderes tun dürfen, als Umschau halten unter seinen sich mit voller Unbezweifelbarkeit darbietenden Bewußtseinserscheinungen". Nach seiner Überzeugung werden sich ihm "bei dieser Umschau vor allem diejenigen Vorstellungen aufdrängen, die jene eigentümliche sachliche Notwendigkeit zu bezeichnen pflegt". Wie stimmt das mit allem Vorhergehenden? Jetzt erkennt VOLKELT mit mir zwar die individualistisch subjektive Herkunft des logischen Denkens an, "erfährt" aber mit mir seine unwiderstehliche Macht, durch welche und in welcher es objektives Erkenntnisprinzip werde, erfährt also doch die Notwendigkeit des logischen Gesetzes  in sich,  findet  in  seinem individuellen Bewußtseinsinhalt "die Vorstellungen, welche zu ihm sprechen: du mußt uns ansehen als Stimme aus dem Reich des Transsubjektiven". Somit steht er ganz auf meinem Standpunkt, der ich in der innerlich erfahrbaren absoluten logischen Notwendigkeit die Objektivität der logischen Norm finde, mich nur mit dieser Versicherung nicht begnüge, sondern die Gewähr erst in der Ausführung suche, welche die angeblichen logischen Normen an den Begriff des Bewußtseins überhaupt als constituens anknüpft und einzeln in ihrer Wirksamkeit und Bedeutung nachweist. Wenn diese Anknüpfung und Ausführung nicht möglich ist, so gibt es keine Erkenntnistheorie. Wenigstens wenn VOLKELT oder ich oder irgendjemand "nur ausspricht, was er beim Haben gewisser Vorstellungen erfährt, und andere auffordert, dasselbe in sich zu erleben", so kann ich darin keine Erkenntnistheorie, überhaupt keine Theorie finden. Es macht zudem die dogmatische Voraussetzung, nicht nur daß andere da sind, sondern vor allem, was das Wichtigste ist, daß sie eben dasselbe, wenn sie nur "recht in sich gehen", in sich erleben müssen, d. h. die objektive Gültigkeit, welche erst bewiesen werden soll. Von VOLKELTs Standpunktaus müßte im Gegenteil erst die Erfahrung gemacht werden, ob sie es wirklich erleben und wenn  einer  es nicht zu erleben vorgibt, nun so läßt sich nichts dagegen tun; sollten aber auch alle es erleben, so wäre es doch eigentlich ein bedeutungsloser Zufall und nichts weniger als eine Gewähr oder ein Inhalt für den Begriff objektiver Geltung.

VOLKELT kommt auch zu keiner Erkenntnistheorie. Denn sein "objektives Gelten gewisser Vorstellungen" kommt ihm zugestandenermaßen nur daher, daß "er sich entschlossen hat, dem unwiderstehlichen, sich unmittelbar als sachlich bezeugenden Zwang, der mit gewissen Vorstellungen verknüpft ist, Glauben zu schenken. "Also ist "objektives Gelten" doch absolut nichts anderes, als seine subjektive Meinung. Denn auch das "unmittelbar als sachlich sich bezeugen" ist ja, wie VOLKELT weiß, noch kein objektiv gültiger Beweis für die Sachlichkeit, sondern nur subjektives Meinen. Übrigens ist mir auch nicht klar, wie dem unwiderstehlichen Zwang gegenüber noch von einem Entschluß, ihm Glauben zu schenken, die Rede sein kann. Dadurch würde das objektive Halten noch subjektiver, in Wahrheit scheint mit aber ein solcher Entschluß, Glauben zu schenken, unmöglich. Dieses Glaubenschenken führt die ganze erkenntnistheoretische Schwierigkeit noch einmal ein. Glauben heißt doch wohl für wahr und wirklich halten, setzt also den erst zu begründenden Begriff einer objektiven Wahrheit voraus und außerdem Motive, welche doch nur in Gründen bestehen könnten und um diese handelt es sich eben.

Sollte aber das Glauben nicht für objektiv Wahrhalten bedeuten, so bedürfte es doch gewiss erst recht keines Entschlusses, dasjenige für innerlich von mir erlebt zu halten, was zu erleben ich mir eben bewußt bin. Das gehörte ja zum Selbstverständlichen.

VOLKELT irrt endlich, wenn er seine Resultate mit den Worten abschwächt, "das objektive Gelten kann sie nie vom subjektivistischen Boden losreissen und daher auch nie völlige Gewißheit, sondern bestenfalls nur hohe Wahrscheinlichkeit geben." Auch Wahrscheinlichkeit will mit objektiver Geltung bewiesen werden und auch ihr Begriff setzt die volle objektive Geltung der logischen Normen und des Wahrheitsbegriffes voraus. Wenn diese nicht erreicht wird, so gibt es auch keine Wahrscheinlichkeit.

Im Verlangen nach scharfer Trennung von Erkenntnistheorie und Psychologie hat er meine ganze Beistimmung. Ich mache ihm durchaus keinen Vorwurf daraus, daß er, wie es scheint, meine Arbeiten nicht gelesen hat, aber wenn er einmal Zeit dazu finden sollte, so würde er sich überzeugen, daß ich seit dem Jahr 1878 auf diese Unterscheidung dringe und ebenso die auch von ihm verlangte engste Verbindung von Erkenntnistheorie und Logik lehre und zwar nicht nur im Allgemeinen, sondern auch eine spezielle Begründung dieses Verlangens und eine Ausführung dieses Planes versucht habe.
LITERATUR - Wilhelm Schuppe, Zur "Voraussetzungslosen Erkenntnistheorie", Philosophische Monatshefte 18, Leipzig 1882