p-4K. MarbeF. HillebrandK. LamprechtC. GüttlerJ. Eisenmeier    
 
GEORG ANSCHÜTZ
Über die Methoden
der Psychologie

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"Heutzutage hat die empirische Betrachtung ganz entschieden als die einzig mögliche anerkannt, und auch Cohen sagt, daß es sich nicht darum handeln kann, festzustellen, womit in Wahrheit das Bewußtsein beginnt und worin es entspringt, da diese letzten Elemente stets hypothetische sind und bleiben, die kein mit Bewußtsein Operierender auszugraben und festzustellen vermag. Es gibt kaum einen schlimmeren Vorwurf für einen Psychologen, als den, er treibe Metaphysik."

"Der Tatsache, daß der die innere Wahrnehmung Betreibende die betrachteten Gegenstände ursprünglich womöglich in seinem ganzen Bewußtseinsumfang selbst von innen her erlebt, ist nicht genug Gewicht beizulegen. Die Gegenstände seiner Betrachtung sind ihm in einer allerunmittelbarsten Weise gegeben; ja schon diese Bezeichnung einer unmittelbaren Gegebenheit wird den Tatsachen nicht zur Genüge gerecht. Man kann sogar sagen, daß der Betrachtende selbst in seinen Gegenständen steckt."

"Alle Bewußtseinstatsachen haben stets etwas in ihrer Art absolut Originelles, deren Auftreten mit dem eines Menschen verglichen werden kann, der als ein bestimmtes Individuum auch nur ein einziges Mal vorkommt, oder dem eines Blattes, das unter allen alljährlich grünenden Millionen von Blättern nicht eines seinesgleichen hat. Dieser Gedanke hat zweifellos eine tiefgreifende Berechtigung, und man darf ihn nicht von der Hand weisen, indem man ihm einen praktischen Wert abstreitet. Er hat vielmehr sogar einen solchen, indem er uns Fingerzeig auf die Beantwortung der Frage gibt, wie weit überhaupt eine psychologische Forschung in wissenschaftlicher Form reichen kann."

"Wenn die innere Wahrnehmung ihre Objekte überhaupt erfassen und erforschen will, so sind dazu die Begriffe unbedingt notwendig. Die gesamten Erlebnisse aber sind wegen ihrer feindifferenzierten Daseinsweise in ihrem vollen Umfang einer Fassung im Begriff nicht zugänglich. Es bedarf vielmehr erst einer begrifflichen Scheidung und Aufstellung von Grenzen im Bewußtsein, ehe eine weitere Erkenntnis möglich ist. Es wäre also zu einer vollkommenen Erkenntnis der Bewußtseinsphänomene auch eine unbegrenzte Anzahl von Begriffen erforderlich."

In der Betitelung der vorliegenden Untersuchung liegt eine bewußtermaßen ausgesprochene Beschränkung. Indem nämlich "über Methoden" gehandelt werden soll, scheidet die Frage nach allen Einzelheiten und den verschiedenen Formen, deren sich die psychologische Forschung bedient, aus, und unsere Aufgabe bestimmt sich vielmehr in der Heraushebung fundamentaler und prinzipieller Untersuchungsweisen, welche aufgrund einer kurzen Darstellung eine gegenseitige Abwägung und Würdigung erfahren sollen.

Die Beschränkung des Stoffes ist hauptsächlich durch zwei Gesichtspunkte motiviertf. Einerseits müssen wir uns der Tatsache bewußt sein, daß sich in der Psychologie trotz ihrer erstaunlichen Fortschritte vor allem in Sachen des Experiments während der letzten Jahrzehnte eine ungeheure Zahl ungelöster und zum Teil kaum hinreichend aufgestellter Probleme findet - es sei nur an das dunkle Gebiet des Unbewußten erinnert -, und daß schon aus diesen Erwägungen heraus eine allgemeine und eingehende Methodik, wenn auch nicht mit unüberwindlichen, so doch mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte. Auch ist es eine häufig zu beobachtende, auch von WUNDT (1) betonte Tatsache, daß man sich in einer Wissenschaft erst relativ spät der Prinzipien bewußt wird, auf welche die Methoden gegründet sind, und daß daher die Ausbildung dieser letzteren oft sogar von zufälligen Anlässen abhängig ist. Andererseits aber kann mit Recht geltend gemacht werden, daß zum Zwec einer allgemeinen Abwägung eine bis ins Kleinste gehende Untersuchung der psychologischen Methoden nicht erforderlich ist, wie auch zu einer entsprechenden Betrachtung und Würdigung der naturwissenschaftlichen Methoden ein genaues Eingehen auf alle einzelnen Verfahren der Physik, Chemie, Mineralogie, Zoologie, Botanik usw. nicht unerläßlich ist, sondern im allgemeinen der Hinweis auf einzelne charakteristische Weisen der Forschung genügen wird.

Auf der anderen Seite nehmen die folgenden Erörterungen an einer Beschränktung nicht teil, die man sich bei der Besprechung der psychologischen Methoden häufig auferlegt hat, indem man diese lediglich im Sinne der psychophysischen auffaßte. In dieser Richtung gehen verschieden Arbeiten von WUNDT (2), vor allem aber LEHMANNs "Lehrbuch der psychologischen Methodik". Dagegen zeigt sich bei MÜNSTERBERG (3) die auch von uns vertretene weitere Auffassung. Jedenfalls läßt sich auch die Berechtigung jener engeren Fassung bestreiten. Denn die Psychologie hat es, so sehr auch im einzelnen die Ansichten über Ziele und Aufgaben derselben divergieren mögen, mit Bewußtseinserscheinungen oder Bewußtseinstatsachen zu tun, von denen keine unbefangene Betrachtung behaupten wird, daß sie sich in den gegenseitigen Abhängigkeiten von Bewußtsein und Körperwelt oder gar in den gesetzmäßigen Beziehungen zwischen Reiz und Empfindung, folglich im engeren Gebiet der Psychophysik erschöpfen. Vielmehr wird das Gebiet der psychologischen Methoden so weit reichen, wie überhaupt von Bewußtseinstatsachen und deren Erforschung geredet werden kann. Wie weit diese letztere im Sinne einer exakten möglich ist, diese Frage kann zwar jederzeit aufgeworfen, nicht aber von vornherein in irgendeinem Sinne entschieden werden. Die folgenden Betrachtungen aber wollen den Versuch machen, auch zur Lösung jenes Problems einige Gesichtspunkte aufzustellen.


I. Allgemeines über
wissenschaftliche Forschung

Zum Ausdruck unseres Bewußtseinslebens sowohl als auch zu solchen Äußerungen desselben, die die Form von Urteilen annehmen, bedienen wir uns mehr oder weniger bestimmter Begriffe, denen der sie Verwendende sowie auch der Auffassende einen Sinn beilegt. Daß sich der Inhalt der Begriffe, d. h. dasjenige was der eine meint und der andere auffaßt, nicht immer deckt, daß vor allem bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen oft eine erstaunliche Diskrepanz in dieser Hinsicht zutage tritt, dürfte eine allgemein zugestandene Tatsache sein. Aus ihr aber erwächst für jeden, der sich der Begriffe zur Darstellung von Tatsachen bedient, eine primäre oder prinzipielle Aufgabe, nämlich eine Abgrenzung gewisser Begriffe, welche zur Aufstellung und Beurteilung von Tatsachen dienen sollen.

Wenn wir der Klarheit halber nicht von irgendeinem weitabliegenden und erkenntnistheoretischen, sondern von einem möglichst geläufigen und in seinem allgemeinen Umfang annähernd bestimmten Begriff ausgehen wollen, so wählen wir den des wissenschaftlichen Denkens, mit dem jedermann einen bestimmten Sinn verbinden wird. Unter dieser Bezeichnung verstehen wir diejenige Art des Denkens, welche jenen ausgeprägten Charakter trägt, den wir auch in Bezeichnungen wie Forschen und Untersuchen zum Ausdruck bringen. Das wissenschaftliche Denken steht dann in einem deutlichen Gegensatz einerseits zu allen unbestimmten und gefühlsmäßigen Bewußtseinszuständen, andererseits aber auch zu jenem Überlegen und Bedenken, welches sich auf äußere Umstände und Ereignisse des praktischen Lebens bezieht. Ob und wie weit wissenschaftliches Denken notwendig oder zufällig mit Vorstellungen verbunden ist, die Frage kann an dieser Stelle unerörtert bleiben, und wir begnügen uns mit seiner Charakteristik insofern, als wir an die Tätigkeiten des Kombinierens und Trennens, speziell des Abstrahierens erinnern und weiterhin von ihm saggen, es sei diejenige Art oder Stufe des Denkens überhaupt, welche einer geistigen Erfassung von Gegenständen so nahe wie möglich zu kommen bestrebt ist.

Im Begriff des wissenschaftlichen Denkens liegen für uns genau genommen drei Begriffe eingeschlossen. Der eine ist der des Gegenstandes, dem wir uns zum Zweck seiner Erforschung zuwenden und den wir zu erkennen streben. Daß die Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchung die mannigfaltigsten sein können, zeigt die weitgehende Differenzierung all dessen, was wir heute Wissenschaft nennen, und es ist interessant, einen Blick auf die lange Reihe wissenschaftlicher Objekte zu werden, welche sich vom einfachsten anschaulich gegebenen physikalischen Gegenstand bis hinauf in die Welt abstrakter Begriffe, sogar bis zum Begriff des Begriffs bewegen. Auf einer solchen Betrachtung kann ein ganzes System von Wissenschaften aufgebaut werden, was z. B. von LIPPS (4) bereits geschehen ist. Der zweite Begriff ist als solcher ein sekundärer zu nennen, insofern er nämlich auf einer Art von Zurückwendung des Denkens auf uns selbst beruth. Das ist der des denkenden Subjekts, welches die wissenschaftliche Untersuchung treibt und welches so in eigenartiger Weise Subjekt und Objekt zugleich sein kann. Der dritte schließlich ist der der Beziehung, die zwischen dem denkenden Subjekt und dem gedachten Gegenstand besteht und die eben im wissenschaftlichen Denken eine spezielle Form erhalten hat.

Wenn man die Tatsache beachtet, daß jeder Begriff ein Stück des Tatsächlichen fassen oder wiedergeben will, mag man nun beim Tatsächlichen an die Welt der äußeren physikalischen Dinge oder an die Bewußtseinserlebnisse, die Objekte der psychologischen Untersuchung, oder schließlich an die der mannigfachen Eigenarten von Gegenständen, die kategorialen Bestimmtheiten, gegenständliche Gefühlsqualitäten und andere mehr denken, deren Untersuchung man nach dem Standpunkt der eigenen Überzeugung der Erkenntnistheorie oder der Psychologie zuschreiben wird, so drängt sich bei einer eingehenden Beobachtung ein eigenartiger Umstand auf, den man als eine gewisse Inadäquatheit der Begriffe gegenüber dem Wiedergegebenen bezeichnen kann und der sich in manchen Fällen weniger, in anderen aber sehr deutlich offenbart. Diese Tatsache läßt sich damit deuten, daß die Zahl der Begriffe stets nur eine begrenzte sein kann, wenn der Begriff überhaupt seinen Zweck erfüllen soll, während doch die Welt des Tatsächlichen für uns eine unbegrenzte ist.

Vor allem ist hier an die Tatsachen des Bewußtseinslebens, die Objekte der psychologischen Forschung, gedacht. Wenn in der Psychologie z. B. die Rede von Denken, Fühlen, Wollen, Empfinden und Vorstellen ist und wenn es sich um Gedanken, Willensakte, Empfindungen, Vorstellungen handelt, so ist bereits auf dem Gesamtgebiet des Psychischen eine genau abgegrenzte begriffliche Scheidung vorgenommen, welche zwar durch objektive Tatbestände motiviert und sogar gefordert, aber genau genommen nicht in jener scharfen Form berechtigt ist. In der Tat stecken für uns zumeist in den Gefühlen gewisse unklare, halb bewußte, vielleicht unbewußte oder nur teilweise zu fragmentarischer Bewußtheit aufflackernde Gedanken. Es finden sich in ihnen ferner gewisse Erlebnisse des Wollens, die von den undeutlichsten Stufen dumpfer Instinkte bis zu den klarsten und entschiedensten Willensakten variieren. Das gesamte psychische Leben aber darf niemals als ganz frei von Empfindungen, Wahrnehmungen oder Vorstellungen gelten, und wenn eine eingehende Betrachtung auch ein vorstellungsloses Denken finden mag, so kann dies nur so gemeint sein, daß das Denken als solches in seiner begrifflichen Isolierung vom Vorstellen verschieden ist, während doch eine Betrachtung, die außerhalb jenes vorstellungslosen Denkens auch auf das Gesamte des Bewußtseins blickt, finden würde, daß sich stets irgendwo, wenn auch minimale Fragmente von Vorstellungen finden, die freilich dem Denken gegenüber als heterogen gelten müssen. Daß aber ein Denken außer in seiner begrifflichen Isolierung auch in einer tatsächlichen vorkommt, daß es also aus dem Zusammenhang des Gesamtbewußtseinslebens vollkommen herauslösbar ist, wird nicht als Tatsache, sondern höchsten von einer spekulativen Betrachtung als Hypothese aufgestellt werden können. Will man aber geltend machen, daß eine reine Betrachtung der Tatsachen andere Elemente als Denkakte gelegentlich im Bewußtsein nicht auffindet, so läßt sich gegen diese Phänomenologie einwenden, aß sie von vornherein Gegenstände als isoliert betrachtet, die in der Tat nicht isoliert sind und bei dieser Beschränkung auf eine Betrachtung en face [von vorn - wp] etwas ähnliches leistet wie ein Feldherr, der keine Patrouillen aussendet und vielmehr mit dem Fernrohr die Länge des Flintenlaufs bei seinen Feinden untersucht.

Die Behauptung, daß Begriffe die Tatsachen des Bewußtseinslebens nur bis zu einem gewissen Grad fassen, könnte man vorwerfen, sie gebe vor, die im Begriff gefaßten Gegenstände mit den noch nicht in ihm gefaßten zu vergleichen; dabei aber faßt sie ja diese auch im Begriff, und zwar in willkürlicher Weise, da sie später eine Differenz herausfindete. Aber dieser Einwurf ginge dann von der unbewiesenen Voraussetzung aus, daß zum Zweck eines genauen Vergleichens mindestens zwei Gegenstände vorliegen müßten, wie etwa die Gegenstände 5 und 2, auf die sich das exakte Vergleichsurteil, 5 ist um 3 größer als 2, aufbaut; und er würde die Tatsache übersehen, daß Begriffe sehr wohl mit den Erlebnissen zum Zweck des Vergleichens zusammengestellt werden sollen. Daß aber Begriffsinhalt und Erlebnisse direkt verglichen, oder daß Begriffsinhalte, wenn sie Bewußtseinserlebnisse zu fassen vorgeben, direkt an den Erlebnissen gemessen werden können, ein Messen, das sich in einer Kombination von Erleben und Denken vollzieht, dürfte schon darin zugegeben sein, daß man überhaupt jemals Begriffe an Bewußtseinstatsachen mißt und sie diesen entsprechend zu gestalten sucht.

Wenn man sich in Kürze über den Begriff der wissenschaftlichen Forschung Klarheit verschaffen will, so werden schließlich so allgemeine Angaben wie die, es sei die höchste Stufe des Denkens und könne in einem Kombinieren und Trennen näher bezeichnet werden, nicht genügen. Wenn ARISTOTELES (5) auf die mia katholou peri ton homine hypolepsis [ursprüngliche prinzipielle Unklarheit - wp] hinweist und weiter sagt, daß es die Wissenschaft nicht nur mit einfachen Konstatierungen, sondern auch mit der Frage nach dem "Warum?", den Gründen zu tun hat, wenn CHRISTIAN WOLFF (6) sie eine Fertigkeit des Verstandes nennt, alles, was man behauptet, aus unwidersprechlichen Gründen unumstößlich darzulegen, und wenn schließliche KANT (7) ihre Aufgabe in der Auffindung apodiktischer [gewisser - wp] Gewißheit sieht, so sind diese Angaben imstande, den allgemeinen Sinn und die allgemeine Aufgabe der Wissenschaft klarzulegen. In ähnlicher Richtung geht auch die Ansicht von HUSSERL (8), der von der Einheit des Begründungszusammenhangs spricht, in dem mit den einzelnen Erkenntnissen auch die Begründungen selbst und mit diesen auch die höheren Komplexionen von Begründungen, die wir Theorien nennen, eine systematische Einheit erlangen. Dagegen muß man solchen Definitionen, wie sie von CORNELIUS (9), OSTWALD (10) und POINCARÉ (11) gegeben sind, einiges Mißtrauen entgegenbringen. Die beiden ersteren legen auf die Beschreibung das Hauptgewicht und scheinen somit ein wesentliches Moment zu wenig zu beachten. Dagegen zeigt POINCARÉs hierauf bezüglicher Discours in gewissem Sinne eine scharfsinnige Beobachtung. So sagt er: "Tout ce que crée le savant dans un fait, c'est le langage, dans lequel il l'énonce." [Alles was der Wissenschaftler mit einer Tatsache kreiert, ist die Sprache, in der er sie ausdrückt. - wp]. Darin liegt der zweifellos richtige Gedanke ausgesprochen, daß alle wissenschaftliche Forschung keineswegs eine willkürliche Leistung ist, sondern daß sie objektiv, d. h. durch die Eigenart der untersuchten Objekte, bedingt ist. Wenn wir also auf die soeben kurz angeführten Angaben der genannten Autoren Rücksicht nehmen, so werden wir in der wissenschaftlichen Forschung jedenfalls ein solches Denken zu erblicken haben, welches aus einer Summe von Erfahrungstatsachen, deren notwendige Gründe es aufsucht, allgemeine, für uns absolut gewisse Sätze zieht und diese zu einheitlichen, systematischen, von nebensächlichen Elementen freien Ganzen verarbeitet, wobei diese gesamte Tätigkeit sowohl in seiner allgemeinen Eigenart wie auch seinen einzelnen Formen ein durch die Objekte bestimmtes ist. In kürzerer Form kann man das wissenschaftliche Denken dadurch kennzeichnen, daß man es eine systematische und methodische Erforschung der Objekte und ihrer Gesetzmäßigkeiten nennt.

Das Ziel aller wissenschaftlichen Forschung kann man somit in der allgemeinen Auffindung von Tatsachen und Gesetzen sehen. Mit dieser Behauptung ist zugleich aus der Wissenschaft alles, was Ausnahmen zuläßt und doch als Regel angesehen wird, auszuscheiden. Allerdings wird man das Postulat aufstellen, daß letztenendes auch alle Regeln auf Gesetze zurückführbar sein werden, indem man behauptet, daß in der Regel eine sehr hohe Anzahl von Gesetzen als wirksam gedacht werden muß. Von diesem Gesichtspunkt aus werden dann auch Regeln mit ins Gebiet der Wissenschaft fallen können. Vor allem wird dies da der Fall sein, wo wir aus allgemeinen, zunächst nur aufgrund von Statistiken als Wahrscheinlichkeiten anzusehenden Tatsachen solche von allgemeinem Charakter zu finden suchen.

Alle wissenschaftlichen Tatsachen und Gesetze aber stehen für uns nicht einfach nebeneinander, sondern auch unter ihnen gibt es wieder einen gewissen Zusammenhang, von dem offenbar auch SCHUPPE (12) spricht, wenn er "neben den Gesetzen, welche Qualitäten vereinen und ausschließen", stets auch eine Tatsache mitwirken läßt, "welche immer wieder auf vorhergehende hinweist und so zu einer Notwendigkeit aus der ursprünglichen Tatsache" gelangt, "mit der sich außer mit der gesetzlichen Notwendigkeit alles wirkliche Geschehen zusammensetzt". Solche Betrachtungen leiten uns aber von einem allgemeinen Begriff wissenschaftlicher Forschung zu dem etwas spezielleren der Methode hinüber, der oft (13) sogar mit jenem identisch gesetzt wurde. Unter Methode verstehen wir ein solches Vorgehen des wissenschaftlichen Denkens, welches in bestimmter Richtung auf ein bestimmtes Ziel geht. Freilich muß man zugestehen, daß auch Abweichungen von jener Hauptrichtung vorkommen können; aber wo sie stattfinden, da ordnen sie sich stets der eigentlichen konsequent verfolgten Richtung unter. Auf solche Weise entsteht das Planmäßige oder Systematische, welches jeder Methode eigen ist, und ihr einheitlicher Charakter. Wenn wir von einigen früheren Definitionen der Methode absehen, so bezeichnet sie DESCARTES (14) als die "Ordnung und Disposition des Materials" und sagt, daß im methodischen Vorgehen verwickelte und dunkle Sätze stufenweise auf die einfacheren zurückzuführen sind und daß von der Intuition dieser dann zu den übrigen Sätzen fortzuschreiten ist. Ähnlich sieht PASCAL (15) ihre Aufgabe darin, "à définir tous les termes et à prouver toutes les propositions" [die Begriffe zu definieren und Behauptungen zu beweisen - wp]. In anderer Art definiert KANT (16), wenn er sie die "Art und Weise" nennt, "wie ein gewisses Objekt, zu dessen Erkenntnis sie anzuwenden ist, vollständig zu erkennen sei". Zumeist aber werden uns nicht genaue Definitionen, sondern einzelne Arten von Methoden angeführt. HERBART (17) scheint, wenn er sie die "allgemeine Art und Weise, aus Prinzipien etwas abzuleiten", nennt, nur die sogenannte Deduktion im Auge zu haben.

Bei Vielen wird der Begriff der Methode [krafczyk] sehr weit gefaßt, so daß man unter ihm etwas mit dem Charakter bloßer Regeln Verwandtes einbegreift. So bemerkt HUSSERL (18), daß
    "alle Methoden, die nicht selbst den Charakter von wissenschaftlichen Methoden haben, entweder denkökonomische Abbreviaturen [Abkürzungen - wp] und Surrogate [Ersatz - wp] von Begründungen sind, die, nachdem sie selbst durch Begründungen ein für allemal Sinn und Wert empfangen haben, bei ihrer praktischen Verwendung zwar die Leistung, aber nicht den einsichtigen Gedankengehalt von Begründungen in sich schließen; oder daß sie mehr oder weniger komplizierte Hilfsvorrichtungen darstellen, die zur Vorbereitung, zur Erleichterung, Sicherung oder Ermöglichung künftiger Begründungen dienen."
Alles methodische, d. h. konsequente und planmäßige Vorgehen kann man in eine gewisse Analogie zum Gesetz stellen, zumal die Methode eben zur Auffindung von Gesetzen dient und selbst in sich solche enthält. Gerade von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ist HUSSERLs Begriff der Methode, der auch komplizierte Hilfsvorrichtungen einbegreift, sehr weit. Man täte besser, solche als bloßes Verfahren oder Vorgehen der eigentlichen Methode im engeren Sinn gegenüberzustellen. Der Hauptunterschied wäre der, daß das bloße Verfahren die geschlossene Einheitlichkeit der Methode in Bezug auf Planmäßigkeit und vor allem auf innere Konsequenz nicht aufweist. Viele Verfahren könnte man rein praktische Nennen und damit zum Ausdruck bringen, daß sie nur äußere, nicht aber wesentliche Hilfsmittel sind, daß sie sogar aus im Einzelnen voneinander ganz unabhängige Operationen ausgeführt werden können, denen der eigentliche innere Zusammenhang fehlt und die sich dem Plan und dem methodisch-konsequenten Vorgehen der wissenschaftlichen Forschung nur als gleichsam unwesentliche Mittel zum Zweck unterordnen. Solche Weisen des Verfahrens können möglicherweise auch von jemandem mechanisch eingelernt und bis zu einem gewissen Grad angewendet werden. Es fehlt ihnen aber das eigentliche Bewußtsein eines "Warum?", das für jedes einzelne Glied den inneren Sinn sucht, und es kennt nur ein "Wozu?", d. h. "zur Erreichung welches äußeren Endergebnisses?" Es ist insofern eine Art von Rezept, eine Manipulation nach einem gegebenen Schema; da aber in der Praxis tatsächlich die Grenzen zwischen einem eigentlichen streng methodischen Vorgehen und bloßen Verfahren oft schwer zu ziehen sind und da beide in den mannigfachsten Weisen ineinander übergehen, so wollen wir trotz jener verschiedenartigen Elemente doch Methode in einem weiteren Sinn fassen.

Daß eine Methode schließlich nicht eine solche schlechthin ist, sondern daß sie stets in einer bestimmten Form, einer Art von Verkörperung oder Konkretion auftritt, ist eine Tatsache, die mit der Differenzierung der verschiedenen Gegenstände zusammenhängt. So haben sich entsprechend den Objekten nicht nur ganz allgemein naturwissenschaftliche, mathematische, logische, erkenntnistheoretische Methoden herausgebildet, sondern auch im Zusammenhang mit der Richtung, in der der Forschende verfährt, deduktive und induktive, analytische und synthetische Methoden. Wenn man zu diesen noch die genetische, experimentelle, demonstrative und reduktive Methode hinzufügt, so hat man im allgemeinen alle wesentlichen Arten von Methoden, die man mit mehr oder weniger Recht auch Grundarten nennen kann. Die genannten verbinden sich dann weiterhin zu den mannigfachsten Formen, die hauptsächlich der Scholastik zu verdanken sind. Will man schließlich auch der historischen Überlieferung ein gewisses Gehör schenken, so kann man als eine solche Betrachtungsweise, die freilich schon über das Gebiet der Wissenschaft hinausgeht, die metaphysisch-spekulativve Methode anführen, die jedenfalls mit der einfachen Deduktion nicht identisch ist.

Bevor wir aber von den allgemeinen Betrachtungen über Methode ins speziellere Gebiet der psychologischen übergehen, bedarf noch ein letzter, mit dem der Methode eng zusammenhängender Begriff einer Würdigung, nämlich der der Voraussetzung. Unter dieser Bezeichnung denken wir hier aber nicht an solche Voraussetzungen, wie sie etwa der Geometer in der Analysis macht, wenn er einmal annimmt, die Aufgabe sei gelöst. Andererseits aber ist auch nicht an Annahmen im Sinne MEINONGs (19) gedacht, der unter diesen ein "Urteil ohne Überzeugung" versteht. Voraussetzung einer Wissenschaft ist vielmehr dasjenige, was diese bewußt oder stillschweigend als eine Art letzter Gegebenheit oder letzter Tatsächlichkeit, als letzte Grundlage ihres Gesamtsystems hinnimmt oder als hingenommen zugibt oder aufweist. So ist für die Naturwissenschaft dasjenige die letzte Voraussetzung, was sie Materie, Masse oder Substanz nennt; zu dieser Voraussetzung kommt genau genommen auch die der Bewegung. Dabei gehört ihr die Frage nach dem Wesen dieser Voraussetzungen und ihren näheren Eigenschaften nicht zu. Die Mathematik hat als eine solche letzte Voraussetzung, sofern sie Geometrie und Arithmetik ist, den Raum und die Zahl. Für die Logik liegt ein analoges Element im Gegenstand. Die Psychologie schließlich hat, wenn man sie als Bewußtseinswissenschaft faßt, das Bewußtsein als letzte Voraussetzung oder Gegebenheit; die experimentelle Psychologie speziell setzt auch das fremde Individuum und sein Seelenleben voraus. Der enge Zusammenhang zwischen jenen Voraussetzungen und den Methoden der entsprechenden Wissenschaft aber steht außer Frage. In der Naturwissenschaft hängt das kausal-erklärende Element mit der Voraussetzung der Materie, des objektiv Wirklichen, auf das Engste zusammen. Bei anderen Wissenschaften trifft eine analoge Bestimmung auf größere Schwierigkeiten, und wenn wir kurz als die mathematische Methode das mathematisch-kausale Erklären hinstellen, welches mit dem Demonstrieren, d. h. einem Rekurs auf die Fähigkeit, räumlich-anschaulich zu denken, verbunden ist, und ferner als Methode der Logik die Aufweisung der für unser abstraktes Denken evidenten Tatsachen in Anspruch nehmen, so sollen damit nur allgemeine, keineswegs aber erschöpfende Angaben gemacht sein. Die Methode oder die Methoden der Psychologie aber sollen den Gegenstand der folgenden Untersuchungen bilden.

Neben den letzten Voraussetzungen, die sich in jeder Wissenschaft finden, müssen wir noch eine Reihe anderer Voraussetzungen anerkennen, die ebenfalls mit der Frage nach der Methode auf das Engste verknüpft sind. Als Beispiele solcher kann die der Gesetzmäßigkeit im Physischen und im Psychischen und in den Gegenständen der Mathematik und Logik gelten; dazu kommt diejeige der Erkennbarkeit solcher Gesetzmäßigkeiten. Eine Voraussetzung, die wieder einen andersartigen Charakter trägt, ist die, welche jene Induktion macht, wenn sie von einigen, vielleicht nur ganz wenigen Fällen auf alle in bestimmter Richtung überhaupt möglichen Fälle schließt und behauptet, daß alle jemals eintretenden und überhaupt möglichen Fälle gleicher Art dieselbe Tatsache oder dasselbe Gesetz besagen würden. Endlich muß noch eine Voraussetzung genannt werden, die in der des Vorhandenseins fremder Individuen und der Möglichkeit, deren Seelenleben bis zu einem gewissen Grad zu erkennen, liegt. Alle jene Voraussetzungen in ihrem Wesen zu untersuchen, ist die Aufgabe der Erkenntnistheorie. Dagegen kann sie nicht in das engere Gebiet einer Betrachtung über die Methoden der Psychologie fallen.

Diesen Voraussetzungen, denen für uns eine Art von Notwendikeit zukommt, stehen dann eine Menge von anderen gegenüber, die besser aus jeglicher Wissenschaft für alle Zeiten verbannt bleiben. Das sind solche, die nicht notwendige, sondern zufällige sind und daher eine bedeutende Irrtumsquelle repräsentieren. Solche Voraussetzungen, die wir als subjektive jenen anderen als den objektiven gegenüberstellen können, finden sich leider in sehr hohem Maße noch in der Psychologie. Eine solche von typischem Charakter ist diejenige, daß der Einzelne mit Hilfe der Selbstbeobachtung imstande ist, in sich selbst die genaue und jedenfalls weitgehend auffindbare Grenze zwischen solchen Eigenarten aufzufinden, die ihm als individuellem Subjekt überhaupt zukommen, und solchen, die ihm nur als bestimmtem Individuum zueigen sind. Man muß daher den zahlreichen Anklagen, die gegen eine ausschließliche Verwendung jener subjektiven Methode in der Psychologie erhoben worden sind, bis zu einem gewissen Grad zustimmen.

Wenn man nun von der Wissenschaft verlangt, sie solle voraussetzungslos sein, so kann dies lediglich im Sinn der letztgenannten Voraussetzungen gemeint sein, und man kann sogar sagen, daß von dem Grad, in welchem sich die wissenschaftliche Arbeit der allgemeinen und notwendigen objektiven Voraussetzungen bewußt ist, die Klarheit in der Aufstellung und Abgrenzung der Problemstellungen und daher auch in den entsprechenden Beantwortungen abhängt. Auf der anderen Seite aber kann die Forderung aufgestellt werden, daß auch die subjektiven Voraussetzungen eine entsprechende Beleuchtung erfahren sollen. Nur so wird es möglich sein, ihre volle Bedeutung als Irrtumsquelle einzusehen und nach entsprechenden Weisen zu suchen, um ihren schädlichen Einfluß nach Kräften zu eliminieren.


II. Die unmittelbaren Methoden

Wenn wir nunmehr zur näheren Besprechung der psychologischen Methoden übergehen, so muß gleich zu Beginn eine Betrachtungsweise prinzipiell ausgeschaltet werden, die heute kaum mehr als psychologische Methode gilt, die jedoch noch vor kurzem als eine solche angesehen wurde, nämlich die spekulative, deren sich die ältere Psychologie, aber auch noch zum Teil die neue - man denke an HERBART, der der metaphysischen Betrachtungsweise in der Psychologie neben der erfahrungsmäßigen und mathematischen eine grundlegende Bedeutung beilegte - bedient hat. Heutzutage hat man diesem Moment gegenüber die empirische Betrachtung ganz entschieden als die einzig mögliche anerkannt, und auch COHEN (20) sagt, daß es sich nicht darum handeln kann, festzustellen, "womit in Wahrheit das Bewußtsein beginnt und worin es entspringt, da diese letzten Elemente stets hypothetische sind und bleiben, die kein mit Bewußtsein Operierender auszugraben und festzustellen vermag". Es gibt kaum einen schlimmeren Vorwurf für einen Psychologen, als den, er treibe Metaphysik. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht die Art, wie sich WUNDT (21) gegen derartige Vorwürfe von Seiten MEUMANNs wehrt, indem er sich in einer besonderen Abhandlung "Über empirische und metaphysische Psychologie" ausspricht. Überlassen wir aber die Behandlung jenes spekulativen Standpunktes einer rein historischen Untersuchung und lassen als eigentliche psychologische Methoden lediglich die empirischen, die in irgendeiner Weise auf Erfahrung fundieren, gelten. Diese Bestimmung der psychologischen Methoden als empirischer ist allerdings noch zu allgemein, und man könnte daran erinnern, daß auch jede naturwissenschaftliche Disziplin empirisch ist, daß aber die Psychologie nicht als Naturwissenschaft gelten kann. Es wird daher mit Rücksicht auf die Differenz in den Voraussetzungen jener beider Wissenschaften die Methode der Psychologie in allgemeiner Weise als die Empirie des Bewußt-Wirklichen bezeichnet werden können, während die naturwissenschaftliche als die des Dinglich-Realen anzusehen ist.

Die Tatsache, daß das Bewußtsein und sein Umkreis, d. h. also der gesamte Wirklichkeitsbereich des schlechterdings unräumlichen und in der Weise des Bewußtseins Gegebenen die eigentliche letzte Voraussetzung der Psychologie ist, weist uns unmittelbar auf die erste fundamentale Betrachtungsweise in ihr hin, nämlich auf die innere Wahrnehmung oder Selbstbeobachtung, die seit dem bekannten sokratischen gnothi sauton [Erkenne dich selbst! - wp] durch die vielfachen Angriffe und Diskussionen hindurch, welche besonders während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Seiten der emporblühenden Naturwissenschaft gegen sie geführt wurden, ihre Stellung als die eines prinzipiellen Mittels zur Erforschung der Tatsachen des Seelenlebens bis in die Neuzeit herein behauptet hat.

Die Streitfragen, die sich um ihre Charakteristik und ihren Wert erhoben haben, sollen hier nicht ausführlich zu Worte kommen; wir beschränken uns im Wesentlichen auf die Hervorhebung einzelner hervorstechender Momente. Zunächst bedarf bei der Wahrnehmung der inneren Wahrnehmung der Umstand einer besonderen Beachtung, daß dieselbe in engster Verbindung mit den Bewußtseinserlebnissen steht, denen sie sich später zum Zweck einer Erforschung zuwendet, ja daß dieser enge Zusammenhang sogar ein Herauswachsen derselben aus den Erlebnissen genannt werden kann. Der Tatsache, daß der später die innere Wahrnehmung Betreibende die betrachteten Gegenstände ursprünglich womöglich in seinem ganzen Bewußtseinsumfang selbst von innen her erlebt hat, ist nicht genug Gewicht beizulegen. Die Gegenstände seiner Betrachtung sind ihm in einer allerunmittelbarsten Weise gegeben; ja schon diese Bezeichnung einer unmittelbaren Gegebenheit wird den Tatsachen nicht zur Genüge gerecht. Man kann sogar sagen, daß der Betrachtende selbst in seinen Gegenständen steckt, daß er mit seinen Objekten unmittelbar eins ist, und erst im Nachhinein durch die innere Wahrnehmung in Bestandteile auflöst. Dieses unmittelbare Zusammen- oder Ineinandersein von Erlebnis und Erlebendem ist jedenfalls stets das Ursprüngliche und primär Vorhandene. Erlebnisse können sogar solche im vollen Sinn bleiben, ohne daß später irgendwelche Elemente von Reflexion oder Selbstbetrachtung hinzukommen. Hier liegt sogar eine ganz geläufige Tatsache vor. Jedermann kennt nicht nur das gedankenlose Vor-sich-hinträumen, sondern auch das unüberlegte "in den Tag hineinleben", das ein vollerlebtes sein kann, ohne daß auch nur das geringste Element der Reflexion hinzukommt; vor allem aber muß das künstlerische Erleben angeführt werden, welches sich sogar in unmittelbaren Ausdrücken offenbart, wie das inspirierte Schaffen in der Lyrik, der Malerei, vor allem aber in der Musik. Eben das Moment der Inspiratioin, von dem ja auch bei anderen, z. B. religiösen Dingen, so häufig die Rede ist, ist das beste Beispiel eines von aller Selbstbetrachtung und Reflexion freien Erlebens, und das Schaffen, welches der Eingebung folgt, ist oft der reine, urteilslose Ausdruck, die unmittelbare Kundgabe des betreffenden Erlebnisses.

Dieser fundamentale, in unserem Erleben jederzeit vorliegende Umstand des Ineinanderseins der Erlebnisse und des Erlebten ist imstande, einer später einsetzenden Reflexion wesentliche Anhaltspunkte zu gewähren. JAMES hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jedes Erlebnis nur ein einziges Mal als solches vorkommt, und daß es, wenn es einmal vorüber ist, unwiederbringlich dahingegangen ist. Diese Originalität der Bewußtseinstatsachen gilt natürlich nur von solchen komplexer Art. Aber in der Tat sind alle Bewußtseinstatsachen, wenn wir sie nicht willkürlich aus dem Gesamtbereich des Bewußtseins herauslösen, sondern so betrachten, wie sie im Bewußtsein vorkommen, in diesem ihrem komplexen Charakter stets etwas in ihrer Art absolut Originelles, deren Auftreten mit dem eines Menschen verglichen werden kann, der als ein bestimmtes Individuum auch nur ein einziges Mal vorkommt, oder dem eines Blattes, das unter allen alljährlich grünenden Millionen von Blättern nicht eines seinesgleichen hat. Dieser Gedanke hat zweifellos eine tiefgreifende Berechtigung, und man darf ihn nicht von der Hand weisen, indem man ihm einen praktischen Wert abstreitet. Er hat vielmehr sogar einen solchen, indem er uns Fingerzeig auf die Beantwortung der Frage gibt, wie weit überhaupt eine psychologische Forschung in wissenschaftlicher Form reichen kann.

Der einzige Charakter, der einem jeden Bewußtseinserlebnis zukommt, drängt sich uns in den mannigfachsten Weisen auf. Unwillkürlich macht ein jeder den Versuch, gewisse in unserer Erinnerung angenehme oder lebensvolle Erlebnisse zu reproduzieren. Oder die Tendenz einer Reproduktion gibt sich assoziativ auf einen äußeren Anlaß hin. Es ist bekannt, daß durch den Anblick gewisser Gegenstände, durch ein Wort, einen Geruch gewisse Stimmungen, ja ganze Ereignisse von kompliziertem Charakter wieder im Bewußtsein aufleben können, die sich entsprechend der natürlichen Anlage des betreffenden Individuums, seinem Typus, an die mannigfachsten sinnlichen Eindrücke assoziativ geknüpft haben, so daß das Auftreten entsprechender Eindrücke die Reproduktion oft mit einer erstaunlichen Klarheit hervorzurufen imstande ist. Aber bei all dem gibt es niemals ein vollkommenes Wiedererleben. Den Gefühlen, oder um mit der Terminologie KÜLPEs zu reden, den Bewußtseinslagen anheimelnder Vertraulichkeit, häuslicher Zurückgezogenheit, inneren Glücks, die sich mit bestimmten Vorstellungen paaren, gesellt sich eine Art von Wehmut und Sehnsucht bei; denen des verbissenen Ärgers, des hineingefressenen Grimms, ein fragmentarisches Aufleben aktuellen Ärgers oder mannigfache andere Elemente. Niemals aber lebt das Alte in der Gesamtposition vollkommen auf. Und wer diese Behauptung bestreitet, da er Analoges in sich nicht zu finden vermeint, der wende sich an solche, denen wir in Dingen voller und reflexionsloser Erlebnisse, vor allem aber solcher, die durch den Ausdruck in eine kontrollierbare Form gebannt sind, ein gewisses, wenn auch nicht immer autoritatives Gehör schenken müssen, nämlich die Künstler und die künstlerischen Naturen. Dabei haben wir nicht einmal der zahllosen Fälle gedacht, in denen es sich um solche Erinnerungen handelt, die auffallend fragmentarisch sind oder bei denen die entsprechenden Vorstellungen zu leblosen und traumähnlichen Bildern verblaßt sind.

Wenn wir nun auch in dieser Tatsache eine sichere Grenze aller psychologischen Erkenntnis zu sehen haben, so müssen wir doch den Versuch machen, jene Grenzen so weit hinauszuschieben, als dies möglich und berechtigt ist. Dieser Versuch aber besteht allgemein nicht nur in der Erkenntnis und Betonung jener Grenze, sondern er kann vor allem in dem Streben zum Ausdruck kommen, die Reproduktion bis zu einem möglichst hohen Grad zu treiben. Dieser Versuch wird in jedem Fall zwei Vorteile mit sich bringen. Er ermöglicht uns einerseits eine zuweilen weitgehende Annäherung an die vollkommene Gestalt des Erlebnisses; andererseits ersehen wir aus ihm gegebenenfalls die Differenz, welche zwischen der Reproduktion und dem Originalerlebnis besteht; oder wir bekommen schließlich allgemeine Richtlinien und Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion desselben.

Wo nun der Punkt ist, an welchem das eigentliche innere Wahrnehmen dem Erlebnis entspringt, diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Wenn man alle Bewußtseinstatsachen miteinander vergleicht, so haben sie auf der einen Seite jenen gemeinsamen Charakter, den man ihre Bewußtheit nennen kann. Auf der anderen Seite aber sind sie außer durch mannigfaltige Qualitätsunterschiede auch insofern durch graduelle Differenzen voneinander unterscheidbar, als gewisse Elemente mit großer, andere aber mit einer geringeren Klarheit (22) erlebt sind. Diesen Unterschied kann man einen solchen im Grad der Bewußtheit nennen. Die letzteren scheinen zuletzt im Unter-, schließlich aber im Unbewußten, in Instinkten, Trieben usw. zu verschwimmen, während diese wiederum einen immer höheren Grad von Bewußtheit erlangen können. Das einfache Erleben wird zu einem Erleben mit Betonung, wie man im gewöhnlichen Lebens sagt, zu einem Bewußt-Erleben oder Innewerden. Mit diesem ist also ein solcher Bewußtseinstatbestand gemeint, in welchem noch keinerlei Reflexion steckt. Die Überleitung zu dieser liegt erst in einer Art von Selbstbesinnung. Daß jenes Erleben mit Betonung für die innere Wahrnehmung einen großen Wert besitzt, scheint klar. Man braucht nicht einmal daran zu denken, daß jene Betonung auch der Grund für einen tieferen Eindruck ist, für ein Perseverieren [ständige Wiederholung - wp], ein Fortbestehen möglichst lebensfähiger potentieller oder latenter Bewußtseinselemente; vor allem braucht man nicht an das entsprechend bessere Fortbestehen etwaiger physiologischer Grundlagen zu denken.

Diesem Mit-Betonung-Erleben ist ein größerer Wert beizumessen, als es für gewöhnlich geschieht; denn es scheint in der Tat eine wesentliche Grundlage aller psychologischen Erkenntnis zu sein. Hat es auf der einen Seite vor dem einfachen Erleben den Vorzug einer größeren Klarheit, so nimmt es an den zahlreichen Fehlern, die sich bei der inneren Wahrnehmung einstellen können und von denen noch zu reden sein wird, nicht teil. Vor allem hat es darin einen großen Wert, daß es sich in unmittelbaren Ausdrücken und Kundgaben offenbaren kann. In diesen letzteren bietet es sich dann sogar der Betrachtung anderer dar. Zu solchen Ausdrücken sind nicht nur gelegentliche und zufällige Äußerungen zu rechnen, die trotz der Notwendigkeit ihrer Auffassung durch andere ins Gebiet der unmittelbaren Tatsachen gehören, sondern auch die Verhaltensweisen von Beobachtern bei planmäßig zusammengestellten experimentellen Untersuchungen. Schließlich gehören hierher vor allem auch Kunstwerke, soweit sie nicht neben dem Element unmittelbaren Ausdrucks das Wirken einer Reflexion mitspielen lasen, und sogar solche Dinge wie Selbstbiographien und Tagebücher, wenn diese die unmittelbaren Erlebnisse wiedergeben und nicht "Wahrheit und Dichtung" enthalten. Schließlich aber können wir vorgreifend eine Bemerkung machen, die des Näheren beim Experiment zu besprechen sein wird. Die Versuchsanordnung wird Rücksicht darauf zu nehmen haben, da sie vor allem unmittelbare Ausdrücke sammelt und aus ihnen Schlüsse zieht, nicht aber solche Urteile, die offenkundig durch Reflexionen aller Art getrübt sind. Die experimentelle Psychologie soll also bei ihren Beobachtern vielmehr ein betontes Erleben fördern, nicht aber in gleichem Maße, wie häufig gesagt wird, deren Selbstbeobachtung.

So wesentlich aber auch das Erleben und dessen Betonung sein mag, so kommt die psychologische Forschung mit ihm nicht aus, ja sie würde mit ihm allein nicht einmal zu wissenschaftlichen Ergebnissen, geschweige denn zu einer Psychologie kommen können. Zur wissenschaftlichen Verarbeitung des im Erleben gegebenen Materials, ja schon zu seiner einfachen Aufstellung und Sichtung, der Deskription und Analyse bedarf sie wie jede wissenschaftliche Tätigkeit des Denkens, und zwar in ihrem Fall des Denkens, sofern es sich auf die eigenen Bewußtseinstatsachen zum Zweck ihrer Untersuchung richtet, d. h. der inneren Wahrnehmung. Diese auf den ersten Blick relativ einfach aussehende Tätigkeit hat seit langem zu den mannigfachsten Erörterungen Anlaß gegeben. Wenn wir von mehreren Einzelfragen absehen, so läßt sich ein prinzipieller Streitpunkt dahin fassen, daß man die Alternative aufstellt, ob die innere Wahrnehmung oder Selbstbetrachtung im Moment des Erlebens stattfindet oder ob sie nur eine nachträgliche Untersuchung der im Bewußtsein vorhandenen Restbestände ist. Zugleich hat man an die Entscheidung dieser Frage gewisse Wertungen geknüpft und z. B. behauptet, daß, wenn die innere Wahrnehmung nachträglich stattfindet, ihre Leistung keine wesentliche sein kann, da sie ja eben nur mit "Erinnerungsbildern" zu tun hat und die Unklarheit und Unbestimmtheit dieser letzteren nicht geleugnet werden kann.

Wenn wir ohne Rücksicht auf etwa sich ergebende Konsequenzen fragen, welche Behauptung von diesen beiden die zutreffende ist, so müssen wir unbedingt der zustimmen, die von einem Selbstwahrnehmen während des Erlebens nichts wissen will. Ganz abgesehen von theoretischen Erwägungen, wie etwa der, daß, wenn das Bewußtsein einmal von etwas erfüllt ist, das es erfüllende Erlebnis, ohne Schaden zu nehmen, nicht bestehen kann, wenn ein anderes Element auftritt und seinen Platz im jederzeit beschränkten Bereich des Bewußtseins beansprucht (23), kann auf das alte, auch von MÜNSTERBERG angeführte Beispiel von dem Zornigen verwiesen werden, dessen Zorn vergeht, wenn er sich selbst zu betrachten beginnt und wenn er, auf seine Verfassung etwa aufmerksam gemacht, mit einem gewissen Recht behauptet, er sei gar nicht zornig oder ärgere sich gar nicht. Oder man nehme denjenigen als Beispiel, in welchem vor lauter Reflexion und Selbstbetrachtung der Willensimpuls zu einer Handlung nicht mehr zustande kommt, sondern in seinem Erstehen zu halbem Leben bereits wieder erstirbt. Die klassischen Worte aus Wallenstein "Ich will es lieber doch nicht tun" können hier als Exempel gelten. Die besten Beispiele aber wird schließlich die Kunst liefern können. Es wird sich selten ein Künstler finden, der nicht beim Schaffen die kalte Überlegung, vor allem die Selbstbetrachtung als einen gefährlichen Feind seiner Stimmungen fürchtet, wenn sie ihm auch andererseits zu Betrachtungen theoretischer und ästhetischer Art sehr zweckdienlich sein kann. "Dés que la pensée intervenient, la déformation commence" [Sobald der Gedanke eingreift, beginnt die Verzerrung. - wp] (24), so sagt RIBOT in einem anderen Zusammenhang zutreffender Weise vom Verhältnis zwischen Erleben und Selbstbedenken.

Ist nun also die innere Wahrnehmung nicht eine simultane Betrachtung der Erlebnisse, so scheint es zunächst, als könnte sie nur eine nachträgliche sein. Ist sie aber nachträglich, so kann sei nur die Fragmente, die Restbestände des Erlebens untersuchen. Diese Tatsache scheint ganz einleuchtend; aber es taucht eine neue Frage auf, welche zeigt, daß das Problem nur verschoben ist, nämlich die nach der Art jener Restbestände. Hier ist zunächst der Meinung entgegenzutreten, als wenn es die innere Wahrnehmung nur mit Erinnerungsbildern zu tun hätte (25). Diese letztere Bezeichnung kann überhaupt nur im Sinne von sinnlichen Vorstellungsbildern, d. h. also jener visuellen, auditiven, taktilen, motorischen, kurz jener sinnlich-anschaulichen Phänomene gemeint sein, welche sich auf einmal Empfundenes und Wahrgenommenes beziehen. Was aber Erinnerungsbilder von Gefühlen, Denkakten, Willensakten und Bewußtseinslagen komplizierterer Art sein sollen, ist nicht verständlich. Offenbar können es nicht sinnlich-anschauliche Gebilde sein; dann aber dürfte der Name "Erinnerungsbilder" weniger Berechtigung haben, a er die betreffenden Tatsachen inadäquat wiedergibt und somit eher verschleiert als verdeutlicht. Die Frage, welcher Art nun solche Restbestände im Bewußtsein sind, die offenbar nicht einfach ist, läßt sich jedenfalls durch den Hinweis auf jene Tatsache ein wenig klären, daß alles einmal Erlebte niemals ganz ins Nichts verschwindet, sondern nach dem Vergehen seiner Aktualität im Bewußtsein Elemente potentieller Art hinterläßt, solche von unbewußtem Charakter, die unter geeigneten Konstellationen wieder aufleben können. Mit dem Verweis auf Unterbewußtes, in welchem sich allerlei potentielle Elemente finden können, ist freilich keinerlei endgültige Erklärung gegeben. Aber es scheint, als sei dies die einzig mögliche, jedenfalls aber eine einleuchtendere Hypothese als die völlig unberechtigte Rede von Erinnerungsbildern, und da ja auch die Phänomene des unmittelbaren Erlebens kaum noch Bewußtes in den verschiedenartigsten Varianten aufweisen, so dürfte jene Hypothese auch durch diesen Hinweis einige Stützpunkte erhalten.

Gehen wir aber von diesem Gesichtspunkt aus zur näheren Charakteristik der inneren Wahrnehmung über, so ist noch nicht entschieden, ob diese endgültig als eine nur durch das Moment des Rückschauens charakterisierte geistige Tätigkeit ist. Es wäre ja zunächst sehr wohl möglich, daß gewisse Fragmente des Erlebens, jene potentiellen Elemente, in der inneren Wahrnehmung eine gewisse Aktualisierung erfahren, so daß also im Moment des Auflebens die innere Wahrnehmung hinzutritt und gewisse Elemente erfaßt. Diese Annahme, die sich auch bei LIPPS (26) findet, scheint den Tatsachen zu entsprechen. Aber sie scheint noch einer näheren Bestimmung fähig zu sein. Denn da einerseits das Erlebnis schwindet oder zumindest bedeutend an seiner Originalität und Lebendigkeit einbüßt, wenn die Selbstbetrachtung hinzutritt, andererseits aber auch die Grade der Potentialität von Erlebnissen in dem Sinne variieren werden, als einige Elemente eben aus dem vollen Licht des Bewußtseins geschwunden und noch relativ leicht aktualisierbar sind, während sich andere in größerer Tiefe befinden und von der Möglichkeit einer Aktualisierung weiter entfernt sind, so steht einer Ausdehnung unserer Hypothese in dem Sinne nichts entgegen, als die innere Wahrnehmung in einem zeitlich ausgedehnten Bewußtseinszustand erblickt werden kann, in welchem ein mehrfaches Wiederaufleben der Erlebnisse mit einer mehrfachen Wendung des Blickes auf diese und einer entsprechenden jedesmaligen Zurückdrängung jener Erlebnisse abwechselt. In der Tat hat die innere Wahrnehmung einen offenkundigen Charakterzug, der jene Hypothese zu verifizieren scheint, nämlich jenes eigenartig Tastende, und die verschiedenen Etappen der mehr oder weniger auf den Gegenstand konzentrierten geistigen Tätigkeit, des Oszillierens der Aufmerksamkeit im Sinne von graduellen Schwankungen. Sie hat diesen Charakterzug in auffällig höherem Maß als jede naturwissenschaftliche Betrachtung, die zwar auch wie jede geistige Tätigkeit eine festzustellende und in bestimmten Grenzen sich bewegende Unbeständigkeit der Aufmerksamkeit beweist, aber doch eine solche von weniger intensiven Schwankungen. Wir wollen aber endlich doch mit der Möglichkeit rechnen, daß jemand die innere Wahrnehmung anders bestimmen wird und, um eventuelle Definitionsdifferenzen zu vermeiden, die oft ein fruchtloses Bemühen sind, uns dahin aussprechen, daß jedenfalls die soeben skizzierte Weise einer inneren Wahrnehmung große Vorzüge haben wird, und sie als eine gute Form derselben hinstellen. Ihr ganzer Charakter, der kein so fest abgeschlossener und begrenzter ist, wie ihn alle exakten naturwissenschaftlichen Methoden haben, scheint sich den oft sehr fein differenzierten und infolgedessen schwer greifbaren Erlebnissen besser anzupassen. Sie verbindet vor allem mit dem Vorzug einer im vollsten Sinne geistigen Tätigkeit den, daß sie auch die Erlebnisse selbst zu Worte kommen läßt, so weit dies bei einer nachträglichen Aktualisierung überhaupt möglich ist, indem sie mehrfach in der Erleben selbst eingreift. Endlich aber zeigt uns jene so bestimmte Methode der inneren Wahrnehmung, daß zu einer genauen Erfassung der entsprechenden psychischen Gegenstände keine gewisse Anzahl von Versuchen des Wiederauflebenlassens genügt, sondern daß diese Zahl sogar eine unbegrenzte ist, wenn es sich um eine ideale Erkenntnis handeln soll. Sie zeigt uns also weiter noch, daß auch unsere Erkenntnis der psychischen Tatsachen genau genommen nur eine approximative [ungefähre - wp] ist, die sich dem von ihr angestrebten Ideal nur asymptotisch nähern kann, ohne es jemals ganz zu erreichen. Wohl bemerkt, gelten aber diese Ausführungen nur, sofern es sich um eine vollkommene Erkenntnis individueller Erlebnisse in ihrer vollen Originalität handelt; daß und inwiefern eine solche bei anderen Erlebnissen allerdings möglich ist, davon wird später die Rede sein.

Die Rede vom Wiederaufleben der Erlebnisse in der inneren Wahrnehmung, und sogar von einem mehrfachen, in das dann die Selbstbetrachtung eingreift, weist schon indirekt auf ein Moment hin, das noch der besonderen Hervorhebung bedarf und das auf mehrfache Art aufweisbar ist, nämlich das zeitliche. Daß die innere Wahrnehmung, sofern sie überhaupt psychische Gegenstände erfaßt und diese letzteren jederzeit irgendwie zeitlich bestimmte sind, d. h. simultan oder in der Nacheinanderfolge stattfinden, ebenfalls eine über verschiedene Zeitpunkte sich erstreckende ist und daß sie nicht nur momentartig auftritt, wird ohne weiteres zugegeben werden müssen. Das zeitliche Element aber ist noch in einer anderen Beziehung bedeutungsvoll als nur darin, daß die innere Wahrnehmung in einer Abwechslung mit dem Wiederaufleben der Erlebnisse auftritt. Die Selbstbeobachtung zeigt uns nämlich nicht nur das einfache Dasein von Tatsachen im Bewußtsein auf, sondern auch deren Hervorgehen und Herauswachsen aus allgemeinen Bewußtseinslagen oder als ganz spezialisierten Einzelerlebnissen, die wir als gleich- oder fremdartig ansehen mögen; sie zeigt uns ferner in einigen Fällen das Anwachsen solcher Erlebnisse zu ihrer vollkommenen Vollendung und weiterhin ein Verschwimmen und Verschwinden in die mannigfachsten Details oder in ganz unbestimmte Elemente; oder wir ersehen schließlich mit ihrer Hilfe ein Aufkeimen gewisser Erlebnisse, aber ihr Ersterben im Keim. Auf der anderen Seite sind wir mit Hilfe der zeitlich sich betätigenden inneren Wahrnehmung imstande, bestimmte Erlebnisse in gleich- oder verschiedenartigen Zusammenhängen zu verfolgen und zu sehen wie sie sich in diesen gestalten. Solche verschiedenen Zusammenhänge, in die bestimmte Erlebnisse eingeordnet sind, können sich nun entweder ohne unser ausdrückliches Zutun darbieten. In diesem Fall betrachten wir unser seelisches Leben als passive Zuschauer. Oder aber wir vollziehen jene Einordnung absichtlich und nach bestimmten Gesichtspunkten, wir variieren bewußtermaßen und willkürlich die "Fälle". Dann treiben wir das sogenannte innere Experiment. In jedem Fall aber wenden wir die innere Wahrnehmung in ihrer näheren Charakterisierung als Selbstbeobachtung an. Die Bezeichnung des Selbstbeobachtens schließt sowohl das zeitliche Element als auch das der Richtung des geistigen Blicks auf die Gegenstände des Bewußtseinslebens zum Zweck ihrer näheren Erforschung ein.

Indem aber die innere Wahrnehmung aus den verschiedenen Bewußtseinszusammenhängen das Gleiche herausfindet und das Veränderliche ausscheidet, indem sie diese eigenartige innere Erfahrung treibt, ist sie mit der naturwissenschaftlichen Induktion in Analogie zu stellen. Auch sie beobachtet entsprechend der Empirie der Naturwissenschaft nicht nur die gleichen Fälle als solche, sondern sie zieht auch aus diesen etwas allgemein Geltendes, allgemeine Tatsachen und Gesetze heraus; sie schließt gleichsam von einigen Fällen auf alle überhaupt möglichen, in der gleichen Richtung liegenden. Daß freilich hier nur eine gewisse Analogie vorliegt, ergibt sich aus den Voraussetzungen der beiden Betrachtungsweisen, der inneren und der äußeren Wahrnehmung, wobei die letztere Naturwissenschaft betreibt, nämlich der des Bewußtseins und der der außerbewußten Wirklichkeit. Die innere Wahrnehmung oder Selbstbeobachtung kommt daher nicht zu Gesetzen von kausalem Charakter, zu denen die Betrachtung der Außenwelt führt; sie kann auch nicht derartige Gesetze aufstellen wie etwa das, daß auf einen Stoß der Gegenstoß folgt, oder daß zwei Körper sich proportional ihrer Masse und umgekehrt proportional ihrer Entfernung anziehen, da sie ja mit entsprechenden Gegenständen überhaupt nicht zu tun hat. Die Frage, zu was für Gesetzen die innere Wahrnehmung dann gelangt, ist in positiver Weise nicht ebenso leicht zu beantworten wie in der soeben angedeuteten negativen. Es möge an dieser Stelle genügen, auf solche Beispiele zu verweisen wie etwa die Gesetze, nach welchen Vorstellung und Gegenvorstellung im normalen Seelenleben aneinander gebunden sind, in der Vorstellung die Tendenz nach dem Gedanken an die Wirklichkeit des Vorgestellten liegt, und endlich etwa Erlebnisse, wenn sie zu Teilergebnissen werden, ihre ursprüngliche Selbständigkeit verlieren und sich dem Gesamterlebnis assimilieren (27).

Die psychologische Methode der Selbstbeobachtung können wir sowohl die nächstliegende als auch die fundamentale nennen. Nahegelegt ist sie schon durch ihre umstandslose Verwendbarkeit durch jedes beliebige individuelle Bewußtsein in jedem Zeitpunkt; fundamental aber muß sie genannt werden, weil sie ihren Blick auf die Bewußtseinstatsachen als auf unmittelbare Tatsachen richtet, wobei wie weder auf die äußeren Sinne, noch aber auf einen hypothetischen inneren Sinn angewiesen ist. Sie nimmt somit an den zahlreichen Fehlerquellen, die durch die Vermittlung der Sinne erwachsen, nicht teil. Jene Unmittelbakrit ihrer Beobachtung, die als ihr größter Vorzug zu gelten hat, wird aber dadurch, daß auch sie freilich die Bewußtseinserlebnisse nur gegenständlich erfassen kann, sofern sie nämlich zu allgemeinen Gesetzen des Bewußtseins kommen will, nicht in eine bloße Mittelbarkeit verwandelt. Denn die Bewußtseinstatsachen bleiben Bewußtseinstatsachen, auch wenn sie gegenständlich werden, d. h. wenn die innere Wahrnehmung sie betrachtet und erforscht. In Gefühlen, Gedanken, Willensakten usw. bleibt das sie erlebende individuelle Subjekt trotz dieser Gegenständlichkeit bestehen. Das Subjekt aber, welche die Erlebnisse hat, und das, welches sie betrachtet, sind in der Tat trotz dieser eigenartigen Spaltung das gleiche. Dieser Umstand wird uns vor allem dazu berechtigen, von der Unmittelbarkeit dieser Betrachtungsweise in der inneren Wahrnehmung zu sprechen. Zu diesen zweifellosen Vorzügen gesellt sich schließlich derjenige, der in der induktiven Seite der Selbstbeobachtung liegt, mit deren Hilfe das individuelle Bewußtsein imstande ist, an seinen Erlebnissen die nur zufälligen und die allgemeingültigen Elemente herauszufinden. Mit Rücksicht auf diese Tatsachen wird die prinzipielle Stellung, die wir der inneren Wahrnehmung zuschreiben, als eine berechtigte gelten dürfen.

Trotz aller Vorzüge, die wir der inneren Wahrnehmung zuerkennen müssen, dürfen wir in ihr doch kein ideales Mittel erblicken, das uns eine vollkommene Erkenntnis des Bewußtseinslebens ermöglichen könnte. Wir müssen hier zunächst auf eine allgemeine Tatsache des Bewußtseins hinweisen, aus der zwar jene Unmöglichkeit nicht folgen soll, die uns aber zeigt, daß unsere Erkenntnis stets nur eine approximative [ungefähre - wp] sein kann. Das ist jene Tatsache, daß wir im Bewußtsein jene deutlichen Scheidungen nicht machen können, welche in den meisten die Erlebnisse bezeichnenden Begriffen liegt. Schon wenn wir nur vom Denken, Fühlen und Wollen sprechen und die Denkakte, die mannigfachsten Gefühle, Willensakte und die vielgestaltigen Vorstellungen untersuchen, so können wir streng genommen keines dieser Elemente annähernd erschöpfen, ohne daß wir nicht auf ein anderes gleichzeitig den Blick lenken. Die innere Wahrnehmung hat, sofern sie ihre Objekte erkennen will, nicht nur ihren allgemeinen Charakter festzustellen, sondern auch die fremdartigen Elemente in ihnen aufzuweisen und zu zeigen, wie sich diese in sie einordnen, wie sie das Ganze modifiziert haben und durch das Ganze selbst modifiziert sind. Sie hat aber weiterhin nicht bloß solche Elemente zu untersuchen, welche im vollen Bewußtsein stehen, sondern auch die dunkleren und fast im Undefinierbaren verschwimmenden. Die Rede vom Halbbewußten, den unter- und unbewußten psychischen Erlebnissen hat ihren sehr guten und wohlberechtigten Sinn, solange man dieses Gebiet nicht als einen Deus ex machina [Bühnenvorrichtung, mit der man Dinge erscheinen und verschwinden lassen kann - wp] zur Erklärung heranzieht. Schon jene Aufgabe aber ist als eine ganz beträchtliche zu bezeichnen. Endlich aber kommt zu jenen Schwierigkeiten, die schon das Bewußtsein in einem Moment darbietet, eine wesentliche Komplikation, indem der zeitliche Verlauf jener mannigfachen Phänomene die Einsichtigkeit und Klarheit wesentlich erschwert.

Zu all dem kann man schließlich noch eine Schwierigkeit anderer Art hinzufügen, von der eingangs bereits die Rede war. Wenn die innere Wahrnehmung ihre Objekte überhaupt erfassen und erforschen will, so sind dazu die Begriffe unbedingt notwendig. Die gesamten Erlebnisse aber sind wegen ihrer feindifferenzierten Daseinsweise in ihrem vollen Umfang einer Fassung im Begriff nicht zugänglich. Es bedarf vielmehr erst einer begrifflichen Scheidung und Aufstellung von Grenzen im Bewußtsein, ehe eine weitere Erkenntnis möglich ist. Es wäre also zu einer vollkommenen Erkenntnis der Bewußtseinsphänomene auch eine unbegrenzte Anzahl von Begriffen erforderlich. Aber auch wenn jene Fassung einmal erfolgt wäre, so wäre damit doch nichts Wesentliches geleistet; es ginge uns ähnlich wie beim kontinuierlichen Strom des HERAKLIT, daß nämlich der Gegenstand während unserer Erforschung bereits wieder seine Gestalt verändert hätte.

Diese Betrachtungen scheinen vielleicht ein wenig ins Extrem zu gehen. Wo es sich jedoch um eine Begrenzung der Methoden und um ihre Leistungsfähigkeit handelt, sind auch derartige Erörterungen notwendig. Es folgt nämlich aus ihnen jene nicht unwesentliche Erkenntnis, daß sich die gesamte psychologische Forschung zunächst nur auf allgemeinere Phänomene, allgemeinen Seiten und Richtungen im Bewußtsein beziehen kann und daß der unendliche Reichtum individuellen Erlebens gar nicht ihr eigentliches Objekt darstellen kann. Mit einem gewissen Recht, so wird man jederzeit sagen können, sind die feinsten und komplexesten Erlebnisse nur erlebbar, und sie sind dies, so wie sie sind, nur ein einziges Mal. Diese Erkenntnis kann den Wert des einzelnen Erlebnisses für uns wesentlich steigern.

Während die soeben angegebenen Grenzen, die der Erforschung aller inneren Wahrnehmung gesteckt sind und die zugleich für alle psychologische Forschung überhaupt gelten, im Wesen der letzten Voraussetzungen der Psychologie begründet sind, sofern nämlich das bis ins Unendliche differenzierte Bewußtsein die Voraussetzung der Psychologie ist, beruth ein anderer Mangel, den man ihr gegenüber mit einem gewissen Recht geltend gemacht hat, vielmehr auf solchen Voraussetzungen, wie wir sie eingangs den letzten oder primären als sekundäre oder akzidentielle [zufällige - wp] gegenüberstellten. Da nänlich die innere Wahrnehmung stets nur im individuellen Bewußtsein stattfindet, in diesem individuellen Bewußtsein aber solche Elemente vorhanden sind, die nur diesem bestimmten, d. h. unter bestimmten Bedingungen und bestimmten Verhältnissen, mit bestimmten Anlagen, Trieben, Neigungen und Interessen ausgestatteten Individuum zukommen, und auf der anderen Seite derartige Faktoren welche allgemeinerer Art sind, d. h. allen Individuen gemeinsam sind - man denke etwa an die Tatsache, daß, was man hofft, man auch gern glaubt, daß Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung ist, oder schließlich, daß persönliche Neigung oder Abneigung gegenüber einem Menschen das Urteil über diesen zu beeinflußen pflegt -, da aber endlich die Scheidung zwischen solchen individuellen und allgemeinen "Zügen" in der Natur des Individuums in ihren Einzelheiten eine für die innere Wahrnehmung äußerst schwierige ist, so kann es nicht verwundern, wenn diese in ihrer Anwendung durch ein individuelles Bewußtsein nicht in jeder Beziehung ideale Dienste zu leisten vermag. Zu einer entsprechenden Korrektur aber scheint schließlich auch die einfache Beobachtung anderer und die Heranziehung deren innerer Wahrnehmung nicht zu genügen; die Diskussion, die, an vielfachen und notwendigen gegenseitigen Mißverständnissen reich, über psychologische Probleme geführt wird und die nicht elten mit einer erstaunlichen Diskrepanz der Meinungen endet, die sich oft erst während der Diskussion zu einer entschiedenen Gestalt heranbildet, während sie zu Anfang nur eine verschwindende war, zeigt trotz der unverkennbaren Vorzüge, die sich hauptsächlich in Form einer gegenseitigen Anregung in ihrem Gefolge befinden, wie fruchtlos dieses Verfahren ist, wenn man die aufgewandte Mühe mit dem positiven Erfolg vergleicht. Es darf daher einerseits als eine in der Sache begründete Forderung, andererseits als das Ergebnis persönlicher Bedürfnisse gelten, wenn sich gegenüber den an Differenzen reichen subjektiven Beobachtungen das Verlangen nach einer solchen Methode geltend gemacht hat, die in objektiver Form, wenn auch zunächst nur geringe, so doch später jedenfalls steigende Erfolge hinsichtlich einer objektiven Tatsachenaufstellung aufzuweisen hat. Die Forderung einer sogenannten "objektiven Kontrolle" ist vor allem von WUNDT (28) unzweideutig ausgesprochen und zum großen Teil auch realisiert worden. Abgesehen von tatsächlich positiven Erfolgen einer solchen objektiven Methode ist aber auch auf den Umstand zu verweisen, daß viele Problem sowohl in ihrer allgemeinen begrifflichen Stellung als auch in ihrer Formulierung im Einzelnen durch jene objektive Methode eine Klärung und Erweiterung erfahren. Auch sind wir mit ihrer Hilfe imstande, die psychologischen Begriffe ihnen im allgemeinen in glücklicher Weise anzupassen. Es mag hier an das umfassende Problem des Vergleichens erinnert sein. Definieren wir aufgrund der inneren Wahrnehmung dasselbe als eine Tätigkeit, welche das apperzeptive Erfassen der zu vergleichenden Gegenstände als notwendige und unerläßliche Vorbedingung hat, so kommen wir bei der Interpretation von experimentell festgestellten Tatsachen in große Schwierigkeiten. Das Experiment weist uns in der Tat auf eine Menge von Fällen hin, in denen wir allerdings vergleichen, eventuell sogar ganz exakte, z. B. mathematisch formulierbare Vergleiche ausführen. Die Beobachtung der Versuchspersonen ergibt aber, daß von einer Apperzeption gar nicht die Rede sein kann. Eine Differenz mag sich zwar dann aufstellen lassen, wenn man den Sicherheitsgrad, das Bewußtsein der Gewißheit bei unmittelbaren Kundgaben und bei ausgeprägten Urteilen angeben läßt, indem dann bei vorausgehender voller Apperzeption das Vergleichsurteil mit größerer subjektiver Gewißheit gefällt wird als bei unmittelbaren Ausdrücken, die nur den Eindruck wiedergeben. Trotzdem aber liegen offenbar Vergleiche vor, möglicherweise sogar solche von erstaunlicher Exaktheit. Schließlich kann man sogar mit einer Erweiterung des Begriffs des Vergleichens von einem Vergleichen im Erleben reden. Das Gefühl "mir ist so, als wenn ..." enthält zweifellos gewisse Vergleichselemente, und auch in diesem Fall kann der unmittelbare Ausdruck eine große Genauigkeit enthalten (29).

Ehe wir jedoch zur Besprechung des Experiments in der Psychologie selbst übergehen, mag nochmals auf das Gesamtgebiet der inneren Wahrnehmung zurückgegriffen sein, indem wir einen an dieser Stelle noch nicht berührten Begriff einführen. Wenn wir in der Selbstbeobachtung eine Erweiterung der inneren Wahrnehmung in der Richtung sahen, daß sie bereits Induktion treibt und zu allgemeinen Tatsachen und Gesetzen gelangt, so war damit unausgesprochen der Begriff der inneren Erfahrung gestreift. Von innerer und äußerer Erfahrung kann nun auch im Anschluß an die Begriffe der unmittelbaren und mittelbaren Tatsachen gesprochen werden. Diese Begriffe sind besonders von WUNDT, aber auch von LIPPS (30) nicht nur verwendet, sondern auch einer spezielleren Untersuchung unterzogen worden. Die beiden jedesmal sich entsprechenden Begriffe, die man auch Komplementärbegriffe nennen kann, werden von beiden Autoren im Wesentlichen in übereinstimmender Weise verwendet, und zwar in dem Sinne, daß sich die innere Erfahrung auf die unmittelbar gegebenen Tatsachen bezieht, d. h. also auf die Bewußtseinserlebnisse, die psychischen Tatsachen, während es die äußere mit Tatsachen zu tun hat, die durch die Sinne vermittelt sind, mithin mit den Objekten der Außenwelt. Die Frage nach den zahlreichen nicht nur möglichen, sondern auch notwendig aufzustellenden Zwischenstufen beider, z. B. der mathematischen Erfahrung, dann der, die wir an nur gedachten Gegenständen, und solchen, die wir kategoriale nennen können, machen, und schließlich derjenigen, zu der uns die phantasierten und nur vorgestellten, dazu als wirklich oder nichtwirklich gedachten Gegenstände den Stoff liefern, soll an dieser Stelle nicht eingehend behandelt werden. Insbesondere scheidet auch der von den genannten Autoren behandelte Gedanke aus, inwiefern sich auf jene Begriffe bzw. Tatsachen der mittelbaren und unmittelbaren Erfahrung eine ganze W Systematik der Wissenschaften aufbauen läßt. Die innere Erfahrung soll uns an dieser Stelle nur so weit interessieren, als sie die eigentliche Grundlage für die auf sie sich aufbauende Spezialwissenschaft oder Spezialbetrachtungsweise im Gesamtgebiet der Psychologie bildet, die jetzt unter dem Namen der Phänomenologie besonders durch HUSSERL eine besondere Ausbildung und Betonung als eines ganz bestimmten Zweiges der Psychologie erfahren hat (31).

Wenn wir unter dieser eine Betrachtungsweise verstehen, die es mit den Phänomenen des psychischen Lebens, mit seinen Einzelerscheinungen und Gesamterscheinungsweisen zu tun hat, und diese Erscheinungen nicht so verstehen, als wenn hinter ihnen noch das in ihnen Erscheinende zu suchen ist, so können wir die erste Aufgabe aller Phänomenologie in der Aufstellung des in der inneren Erfahrung gegebenen Materials sehen, d. h. also in einer von allen fremdartigen Elementen möglichst freien Beschreibung oder Deskription der Bewußtseinstatsachen. Daß nun eine solche reine Beschreibung in einem vollen, idealen Sinn im Gesamtgebiet des Psychischen möglich ist, muß wiederum bestritten werden (32), da eben die begriffliche Fassung nicht alle Erlebnisse zu fassen vermag. Andererseits aber liegt auch schon in jeder begrifflichen Fassung der erste Ansatz einer über die einfache Beschreibung hinaus tendendierenden Erklärung, und wir können somit die erste Aufgabe der Phänomenologie nur in einer möglichst genauen und von allen fremdartigen Elementen möglichst freien Aufstellung des reinen Tatbestandes sehen. Ohne darüber entscheiden zu wollen, ob eine solche einfache Beschreibung von Tatsachen schon Wissenschaft oder ob sie nur etwas dieser Vorangehendes ist, welches erst das Rohmaterial für die eigentliche Forschung herbeizuschaffen hat, müssen wir jener reinen deskriptiven Phänomenologie jedenfalls eine wesentliche Bedeutung zuschreiben. Sie stellt, um mit HUSSERL (33) zu reden, einerseits ein "Gebiet neutraler Forschungen" dar; andererseits aber beschränkt sie sich auf ein Minimum von Voraussetzungen. Sie setzt lediglich die Bewußtseinstatsachen voraus, ja sie stellt diese sogar erst auf und denkt vorerst nicht einmal an ihre Erklärbarkeit. Wir können sie daher eine Art propädeutischer [vorschulischer - wp] Disziplin für die speziellere psychologische Forschung nennen.

Immerhin kann sich eine Phänomenologie nicht auf das enge Gebiet bloßer Deskription beschränken, sondern sie sucht zunächst in dem gesammelten Material einige begriffliche Klarheit zu schaffen. Zu diesem Zweck bedient sie sich im Wesentlichen zweier Elemente, nämlich der Synthese und der Analyse. Diese Scheidung ist aber nicht in dem Sinne zu machen, als wenn die eine dieser beiden Tätigkeiten der anderen zeitlich voranginge; sondern es verbinden sich beide zu einer Tätigkeit, der wir dann freilich den Namen der Analyse zu geben gewohnt sind. Jene Schaffung begrifflicher Klarheit ist also in der Tat schon mit diesem weiteren Moment verbunden. Eine solche analysierende Tätigkeit der Phänomenologie bezieht sich nun einerseits auf die Untersuchung sukzessiv zusammenhängender Bewußtseinsttatsachen. Sie faßt etwa ein Gesamterlebnis des Wollens ins Auge und verfolgt dieses vom deutlich ausgeprägten Willensakt, eventuell der Willenshandlung aus weiter zurück in die früheren Etappen und findet, daß der Willensentschluß aus einer langen Kette von Überlegungen und Erwägungen hervorgegangen ist, aus denen sich jedesmal gewisse Tendenzen und Gegentendenzen entsprechend den jene begleitenden Vorstellungen und Gegenvorstellungen ergeben haben. Weiterhin findet sie an jenem vielleicht ziemlich komplizierten Erlebnis des Willens das Auftreten bestimmter mehr oder weniger charakterisierter Gefühle, die entweder von innen heraus motiviert oder durch das Eingreifen äußerlich bedingter Empfindungen und Wahrnehmungen hervorgerufen sein mögen. Am Ende aber steht sie vielleicht vor gewissen nicht näher definier- oder beschreibbaren Tatsachen, die sie Triebe oder Instinkte nennt und die sie letztenendes für alle späteren Affekte und Bewußtseinslagen jeglicher Art verantwortlich zu machen geneigt ist. Auf der anderen Seite verfolgt die Phänomenologie die Weiterentwicklung des Willensaktes zur Willenshandlung und findet hier z. B. gewisse Hindernisse, die jene vereiteln und an ihrer Stelle aus dem Willensakt ein Gefühl der Mißmutigkeit, der Verzweiflung, oder aber eine neue Überlegung, die sich in ganz neuen Formen gestaltet und ganz neue Begleiterlebnisse im Gefolge hat, hervorwachsen lassen. Eine Phänomenologie solcher Art kann als analytisch-genetische bezeichnet werden.

Dieser Art analysierender Phänomenologie muß eine andere gegenübergestellt werden, die nicht immer praktisch, wohl aber theoretisch von jener zu trennen ist. Die hier gemeinte Betrachtungsweise, die eine analytisch-erkenntnistheoretische genannt werden kann, geht jener gegenüber nicht in die Breite, sondern sie verfolgt die psychischen Phänomene in ihre Tiefe, sie fragt nach dem "Was?", dem inneren Sinn des Erlebnisses. So wird auf die Frage, was das Denken ist, nicht geantwortet werden, indem auf den Zusammenhang desselben mit Empfindungen und Wahrnehmungen und auf sein Herauswachsen aus diesen verwiesen wird und indem man weiterhin in einfachen und komplizierten Urteilen seine Weiterentwicklung sehen wird, sondern sie antwortet, daß das Denken eine geistige Tätigkeit des Konzentriertseins auf einen Gegenstandes ist und des Inanspruchgenommenseins durch diesen; es steckt in ihm das innere Gerichtet- oder Bezogensein in einer typischen Form; in ihm ist der Denkende durch den Gegenstand bestimmt; das Denken offenbart sich am deutlichsten in den Denk- und Urteilsakten; im Denken steckt implizit schon ein Urteil usw. Oder sie untersucht solche Phänomene wie kategoriale Bestimmtheiten und sagt von ihnen, sie seien insofern von Gefühlsqualitäten der Gegenstände unterschieden, als man von diesen abstrahieren kann, von jenen aber nicht. Als ziemlich typisch für die beiden hier unterschiedenen Betrachtungsweisen dürfen wohl die von WUNDT (34) und LIPPS (35) gegebenen Darstellungen der Willensphänomene gelten. Während jener durchaus genetisch verfährt und den Willen aus Empfindungen, Vorstellungen und weiterhin aus Gefühlen und Affekten hervorgehen läßt, also gleichsam den äußeren, zeitlichen Zusammenhang aufweist, stellt sich LIPPS vielmehr die Aufgabe, den eigentlichen Sinn der betreffenden Tatsache aufzudecken, indem er die im Willen steckenden Elemente klarzulegen sucht. Für die letztere Art der Phänomenologie sind auch die Darstellungen der "Einfühlung" (36) und die Lösung der Frage: "Wie komme ich zu einem Bewußtsein der Außenwelt?" bei LIPPS bezeichnend (37). Wir können die ganze Art auch als eine fast metaphysische in Anspruch nehmen.

Wie weit nun eine deutende und interpretierende Phänomenologie gehen kann, um nicht einem berechtigten Vorwurf, Metaphysik zu enthalten, zu verfallen, ist eine Frage, deren Beantwortung zu den schwersten Problemen gehört. Wenn STUMPF (38) der Phänomenologie sogar die Aufgabe zuschreibt, "bis zu den letzten Elementen" vorzudringen, so präzisiert sich unsere Frage nur in der Weise, daß es sich eben um die Bestimmung jener letzten Elemente handelt. Wenn wir nun die Grenzen aufzusuchen bemüht sind, bis zu welchen die phänomenologische Betrachtung gehen darf, so scheint es, als müsse diese lediglich im Gebiet derjenigen Tatsachen bleiben, die als unmittelbare noch der inneren Erfahrung angehören. Unmittelbar aber sind Bewußtseinstatsachen nur so lange, wie sie rein als solche, d. h. als Phänomene, als Erscheinungen betrachtet sind, hinter denen wir in der Betrachtung und Analyse an etwas in ihnen Erscheinendes und der Welt der realen Dinge Angehörendes in keiner Weise denken. Dementsprechend dürfen aber die gefundenen oder aufgestellten allgemeinen Tatsachen und Gesetze lediglich den Charakter von Bewußtseinstatsachen und Bewußtseinsgesetzen haben; es kann von allem, was an Erklärung, insbesondere an eine kausale Erklärung erinnert, in diesem Gebiet keine Rede sein.

Wenn nun trotzdem auch in der Phänomenologie der Bewußtseinstatsachen von einer Art Erklärung die Rede ist, so kann hierbei lediglich an einen Rekurs oder eine Reduktion auf allgemeine Tatsachen und Gesetze gedacht sein. Was wir aber unter dieser letzteren, nämlich der reduzierenden Methode der Phänomenologie verstehen, soll sogleich an Beispielen erläutert werden. Das Reduzieren ist mehr als ein einfaches Interpretieren; denn es ordnet die Einzeltatsache derart in einen allgemeinen Zusammenhang ein, daß sie mit diesen für unsere Betrachtung ein nicht notwendigerweise zeitlich, wohl aber inhaltlich Zusammenhängendes bildet. Die reduzierende Methode der Phänomenologie ist das Zurückführen einzelner Tatsachen auf allgemeine. Diese allgemeinen Tatsachen sind aber keineswegs apriorische, d. h. solche, die wir aus irgendeiner spekulativ aufgestellten Eigenart in der Natur der Seele deduzieren oder in ihr finden wollten, sondern sie führt Einzelerscheinungen nur auf solche allgemeine Tatsachen zurück, welche zuvor auf einem rein empirischen Weg der inneren Erfahrung gefunden worden sind. Zunächst hat die innere Erfahrung etwa die allgemeine Tatsache gefunden, daß im Vorstellen irgendeines Gegenstandes auch ein Tendieren auf den Gedanken, daß dieser Gegenstand wirklich ist, liegt. Nun aber bietet sich der phänomenologischen Untersuchung ein neuer Fall, der gedeutet werden soll; und diese Deutung findet dann etwa in der Weise statt, daß gesagt wird, an einem Erlebnis sei das Element a, etwa der Gedanke an etwas erfahrungsmäßig Bekanntes, nur zufällig; ebenfalls das Element b, das ein assoziativ gewecktes Gefühl sein mag; dagegen sei das Element c, das Tendieren auf den Gedanken an die Wirklichkeit des Vorgestellten, ein solches von allgemeingültigem Charakter, es liege in der phänomenologischen Natur des Vorstellens. Bei diesem Beispiel ist zwar nicht verkannt, daß auch die Elemente a und b auf allgemeine Gesetze hinweisen; aber diese Hinweise treten als sekundäre in diesem Fall jenem anderen gegenüber in den Hintergrund.

Das reduktive Element der Phänomenologie und das der Induktion, welche jede Erfahrung, auch die innere Erfahrung aufweistf, brauchen bei einer zusammenhängenden Untersuchung phänomenologisch-psychologischer Natur nicht in einer ausdrücklichen Getrenntheit vorzukommen. Es scheint vielmehr, als wenn sich beide in der Weise miteinander verkomplizieren, daß die Betrachtungsweise in ihren Etappen bald jenen, bald diesen Faktor deutlich hervortreten läßt. AUch die einfache Aufstellung des Materials der inneren Erfahrung wird sich in der Tat nicht immer von den Momenten der Interpretation und Reduktion absolut scheiden lassen. Die Phänomenologie entwickelt sich für unseren Blick gegenüber jeder in sich abgeschlossenen und streng nach einem einzigen Gesichtspunkt vorgehenden Methode zu etwas Kompliziertem, in welchem mehrere methodische Bestandteile stecken. Wenn man somit auf ihren allgemeinen Charakter achtet, so haftet diesem weniger etwas von Erklärung als vielmehr der Aspekt des Aufspürens an. In dieser auch heuristisch zu nennenden Eigenart der Phänomenologie vereinigen sich dann die betrachteten einzelnen Elemente zu einer ganz neuen und eigenartigen Forschungsweise, in welcher sich Deskription und Analyse, Interpretation und Reduktion in günstiger Weise vereinigen. Nimmt man zu diesen Elementen das Erleben hinzu, von dem bei der inneren Wahrnehmung des Näheren die Rede war, so dürfte die phänomenologische Betrachtungsweise der Psychologie für die Erkenntnis der Bewußtseinstatsachen höchst bedeutsame Momente in sich vereinigen. Freilich kann auch sie nicht als etwas absolut Vollkommenes gelten, denn es finden sich auch in ihr noch einige Mängel, die sie mit jeder inneren Wahrnehmung oder Selbstbeobachtung zu teilen hat, da sie als eine auf jener basierende Spezialwissenschaft auf dem Gesamtgebiet der Psychologie aus eigenen Kräften die möglicherweise vorhandenen Irrtumsquellen nicht vollkommen zu eliminieren vermag. So erwächst also auch von hier aus das Bestreben nach einer objektiven, über jene Mängel hinweghelfenden Betrachtungsweise, die nun mehr den Gegenstand unserer weiteren Ausführungen bilden soll.
LITERATUR Georg Anschütz, Über die Methoden der Psychologie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XX, Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) WILHELM WUNDT, Über psychologische Methoden, Philosophische Studien, Bd. 1, Leipzig 1881
    2) WUNDT, a. a. O.
    3) HUGO MÜNSTERBERG, Über Aufgaben und Methoden der Psychologie, 1891.
    4) THEODOR LIPPS, Inhalt und Gegenstand, Psychologie und Logik
    5) ARISTOTELES, Metaphysik I. 1, 981 a 5.
    6) CHRISTIAN WOLFF, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes, § 2.
    7) KANT, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
    8) HUSSERL, Logische Untersuchungen I
    9) CORNELIUS, Einleitung in die Philosophie, Seite 271
    10) OSTWALD, Vorlesungen über moderne Naturphilosophen
    11) POINCARÉ, Der Wert der Wissenschaft
    12) WILHELM SCHUPPE, Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Seite 66.
    13) ARISTOTELES, Physik I. 1, 184 a 11.
    14) DESCARTES, Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft V, Seite 23f
    15) PASCAL, Pensees, I, 1.
    16) KANT, Logik, Seite 16
    17) HERBART, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, § 13
    18) HUSSERL, Logische Untersuchungen I
    19) MEINONG, Über Annahmen, Seite 2 und 257f.
    20) HERMANN COHEN, Logik der reinen Erkenntnis, Seite 5
    21) WUNDT, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 2, 1904.
    22) Zu diesem Problem vgl. man insbesondere die Arbeit von WIRTH, "Zur Theorie des Bewußtseinsumfangs und seiner Messung", WUNDTs "Philosophische Studien", Bd. XX.
    23) Vgl. WIRTH, a. a. O., Seite 496f.
    24) RIBOT, Journal de Psychologie, Bd. 1, 1904, Seite 1f.
    25) vgl. MÜNSTERBERG, a. a. O.
    26) LIPPS, Leitfaden, zweite Auflage, Seite 14
    27) Vgl. WIRTH, a. a. O.
    28) WUNDT, Grundriß der Psychologie, fünfte Auflage, Seite 24f; Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. 1, sechste Auflage, Seite 23f; Essays, Seite 135f; Logik II, zweite Auflage, Seite 169f; Philosophische Studien I, Seite 1f, 251f; IV, Seite 292f.
    29) In der Besprechung meiner "Experimentellen Untersuchungen über das Vergleichen", die zum Teil im Würzburger psychologischen Institut und zum anderen in der Münchner psychiatrischen Klinik ausgeführt wurden, werde ich auf diese Fragen ausführlich eingehen.
    30) LIPPS, Inhalt und Gegenstan, Psychologie und Logik.
    31) HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Seite 3f.
    32) vgl. PAUL STERN, Das Problem der Gegebenheiten, Seite 26f.
    33) HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Seite 4.
    34) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie III, fünfte Auflage, Seite 310f; Philosophische Studien XII, Seite 56; Vorlesungen, dritte Auflage, Seite 245; Logik I, zweite Auflage, Seite 536 usw.
    35) LIPPS, Vom Fühlen, Wollen und Denken, zweite Auflage; vgl. auch Leitfaden, zweite Auflage, Seite 226f.
    36) LIPPS, Leitfaden, zweite Auflage, Seite 187f; Ästhetik I, Seite 105f; in HINNEBERG, Kultur der Gegenwart VI, Seite 355f.
    37) LIPPS, Leitfaden, zweite Auflage, Seite 34f.
    38) CARL STUMPF, Wiedergeburt der Philosophie, Seite 28.