cr-4ra-1Sextus EmpiricusEleatenPyrrhonAntisthenes    
 
DIETERICH TIEDEMANN
H e r a k l i t
[um 520 - 460 v. Chr.]

"Jene so schnelle, so gar keinen Augenblick rastende Veränderung aller Dinge, ist sie denn wirklich erwiesen? In ein und demselben Nu kann etwas nicht zugleich sein und nicht sein, als was es ist, muß es einen Augenblick hindurch zumindest bleiben, und ist das so, so ist alles Erkennen äußerer Gegenstände nicht durchaus unmöglich. Heraklits Beweis hat den nicht unbeträchtlichen Fehler, mehr zu beweisen als er sollte; es folgt daraus, daß wir von sinnlichen Gegenständen durchaus nichts wissen, also von Farben, Gerüchen, Figuren platt nichts zu erkennen vermögen, weil eine durchgängige rastlose Bewegung keinen Eindruck, also auch kein Entwerfen einer Vorstellung von all dem gestattet, so wenig man auch eine Vorstellung haben kann, von dem, das mit größter Schnelligkeit an uns vorbeigeschleudert wird. Und das ist doch gegen alle Erfahrung, ebenso sehr wie gegen Heraklits Lehren selbst, nach welchen wir von Farben, Figuren, Tönen doch Kenntnis haben."

"Alle sinnlichen Qualitäten sind demnach nichts Absolutes, nichts den Gegenständen selbst anklebendes, jeder vermag nur zu sagen, was die Dinge ihm, nicht was sie ansich sind, da alle ihre Beschaffenheiten, sobald Bewegung und Einwirkung in einen Sinn weggenommen wird, sogleich verschwinden."


Einleitung

Die Frage über den Anfang einer Geschichte der Weltweisheit haben die bisherigen Forscher einmütig dahin entschieden, daß von den Meinungen der ältesten Völker Asiens und Afrikas, von welchen eine Kultur in hohem Grad bekannt ist, sie müsse aus- und von da zu den Griechen übergehen. Da mir Beweise davon bisher nicht vorgekommen sind, so kann ich, ohne jemanden durch Widerlegen zu nahe zu treten, sogleich zur Ausstellung einiger Gegengründe schreiten, in der Hoffnung, man werde mir die Abweichung vom Hergebrachten aus Gründen, nicht verargen. Philosophie ist keine bloße Sammlung von Meinungen über philosophische Gegenstände, sondern ein Inbegriff von Meinungen aus Gründen, sie mögen nun aus Begriffen hergenommen sein oder aus Erfahrungen. Solange Menschen über philosophische Gegenstände ihre Meinungen schöpfen aus der Dichtkraft und Systeme annehmen, weil sie der Phantasie gefallen, ohne alle Beweise, solange sie ferner philosophische Meinungen bloß auf Ansehen stützen, und zwar, wie es in frühen Zeiten immer geschieht, auf Ansehen einer Offenbarung oder einer unvordenklichen Überlieferung; solange kann ihnen Philosophie unter keinem rechtlichen Vorwand zugeschrieben werden. Alle Meinungen dieser Art gehören in die Geschichte des menschlichen Verstandes überhaupt, in die Geschichte der ersten und früheren Ausbildung menschlicher Kenntnisse, nicht in die der Weltweisheit.

Nun wird allgemein zugestanden, daß alle Lehren der Chaldäer, Perser, Inder und selbst der Ägypter, soweit sie uns bekannt sind, entweder bloße Dichtungen halb roher Zeiten enthalten, oder auf religiöse Vorstellungen hinauslaufen, keine zuverlässige Nachricht wenigstens gedenkt irgendwelcher Beweise aus Begriffen oder Erfahrungen. Von der Philosophie dieser Völker haben wir demnach kein Recht zu reden, noch in einer Geschichte der Philosophie solche Lehren aufzustellen.

Nun ist ferner allgemein ausgemacht, daß THALES zu allererst, soweit die Nachrichten reichen, sich bei seinen Lehrmeinungen hat auf Gründe berufen, ihm wenigstens werden dergleichen von allen, sei es auch bloß nach der Überlieferung, zugeschrieben. Mit THALES also hebt die Geschichte der Weltweisheit so lange an, bis man vor ihm jemanden wird auffinden, der auf das Ansehen der Vernunft seine Lehren gegründet hat.

Muß aber nicht die Geschichte der Weltweisheit, um der ersten philosophischen Lehren Ursprung sichtbar zu machen, in die Zeiten bloßer Meinungen auf Autorität und aus willkürlichen Dichtungen, zurückgehen? Muß also nicht diesseits der Vorstellungsarten eine Erwähnung geschehen? Jenes muß sie freilich, aber darum noch dieses nicht; sie hat nur eine Verbindlichkeit solcher Vorstellungen und Lehren zu gedenken, die den ersten Weltweisen Anlaß zu manchen Behauptungen, Begriffen und Grundsätze waren. Nun aber ist nicht erwiesen noch erweislich, daß THALES und seine ersten Nachfolger, von Chaldäern, Persern, Indern und anderen Morgenländern Meinungen angenommen haben, oder mit ihnen in einiger Verbindung standen; was sie aus Ägypten entlehnten, war wenig, und kann gelegentlich bequem eingeschaltet werden. Aber aus alten Dichtungen und Meinungen ihres Volkes haben diese Philosophen mehreres übernommen, und deshalb ist zweckmäßig, von den ältesten Volksmeinungen der Griechen über philosophische Gegenstände, das Notwendige beizubringen. Nicht also die ganze Mythologie, nicht das ganze Göttersystem, noch die ganzen Theogonien, hat der Geschichtsschreiber der Philosophie auszuziehen, ihm genügt, die Gegenstände zu berühren, wovon in den frühesten Philosophiegebäuden gehandelt wird.

Die im gegenwärtigen Buch vorliegende Periode der philosophischen Geschichte ist unter allen die unsicherste, und mit den meisten Streitigkeiten der Alten sowohl als auch der Neueren angefüllt; wegen eines fast gänzlichen Mangels an vollgültigen Dokumenten in gleichzeitigen oder eigenen Schriften der Weltweisen; wegen des Untergangs mehrerer vollständiger und glaubwürdiger Geschichtsschreiber der Philosophie; wegen der Dunkelheit und Verderbnis in manchen noch vorhandenen Quellen: wegen der Sorglosigkeit und des unverzeihlichen Mangels aller historischen Kritik, in den noch übrigen späteren Werken; schließlich wegen der Unterschiebung mancher Bücher und einer vorsetzlichen Verdrehung mancher Meinungen. Mit vollem Recht mag sie die Fabelzeit der Philosophie genannt werden. Ich schmeichle mir daher nicht, durchgängig, oder nur beim größten Teil der Zeitgenossen, Beistimmung zu erhalten, ungeachtet dessen, daß ich mir selbst bewußt bin, nicht nach Sonderbarkeiten gehascht, noch eine Verwerfung des Gewöhnlichen mir zum Augenmerk gemacht zu haben.


Das Vaterland aller Philosophen, Kleinasien, stellte zur Zeit des PARMENIDES, um die siebzigste Olympiade, einen großen Mann in Ephesus auf, der sich durch eine Neuheit der Gedanken, nicht weniger als durch eine Dunkelheit der Schreibart und Sonderbarkeit im Lebenswandel auszeichnete. Und dies ist auch fast alles, was ein Mangel an Nachrichten oder die Gedankenlosigkeit der übrig gebliebenen Zusammenträger von HERAKLITs Leben auf uns gebracht hat. Den Bericht einiger, als sei er Zuhörer gewesen von XENOPHANES und den Pythagoräern, steht seine eigene Aussage entgegen, ich selbst, spricht er, habe geforscht und aus mir selbst alles geschöpft, daß er mit HIPPASUS einstimmig denkt in Anbetracht des ersten Prinzips aller Dinge, reicht nicht aus diese Aussage zu verwerfen; wie HIPPASUS sein Grundfeuer bestimmte, wie er daraus alles übrige herleitete, ist nicht mehr bekannt, auch findet keiner im Einzelnen der Systeme eine Übereinkunft unter beiden Weltweisen; und Übereinstimmung in einem Satz erweist eine Entlehnung von einem andern nicht in den Augen dessen, der da beobachtet hat, daß in verschiedenen Köpfen oft einerlei Meinung der Zufall, oder die Ähnlichkeit der beiderseitigen Lage erzeugt. Was von HERAKLITs mancherlei Reisen erzählt wird, dem gebrichts an einer Beglaubigung durch zuverlässige Berichte.

In früher Jugend schon soll viele philosophischer Geist an ihm hervorgeleuchtet haben, welchen er umso mehr ausbildete als seine Mitbürger ihm in seiner Verbesserung und Verwaltung des Staates nicht folgen wollten, und dadurch seine üble Laune reizten, sich gänzlich dem Nachdenken über abstrakte Wahrheiten zu widmen. Von seinen hypochondrischen oder melancholischen Anfällen wird viel sonderbares: und sicher ins Lächerliche mit Fleiß getriebenes erzählt; ganz erdichtet aber ist eine solche Laune zuverlässig nicht, schon der Sillograph [Verfasser von Spottgedichten - wp] TIMON gibt ihm den Beinamen eines Volksschelters. Aus dieser Quelle floß wahrscheinlich das Dunkle seiner Schreibart, sich in ganzer Größe zu zeigen, dem großen Haufen die Überzeugung zu geben, er sei unfähig die Höhe und Tiefe seiner Gedanken zu erreichen, vielleicht auch aus einer eigentümlichen Hitze der Phantasie bei sehr melancholischen, gab er sich einen Schwung über alle Sprache der Sterblichen hinaus. Die Abwesenheit einer solchen Finsternis bei allen Zeitgenossen tut zur Genüge dar, daß eine Unvollkommenheit der Sprache nicht die Schuld trägt; zum Überfluß bemerkt CICERO ausdrücklich, er habe mit Vorsatz dunkel geschrieben. Eben diese Dunkelheit brachte schon unter seine ältesten Ausleger eine Meinungsverschiedenheit, mithin in alle Nachrichten eine Abweichung; daher ist äußerst schwer, wenn nicht unmöglich, mit erträglicher Entfernung aller Widersprüche, von heraklitischen Lehren Rechenschaft zu geben.

Selbst in dem stimmt ohne Widerrede nicht alles zusammen, HERAKLITs erstes und einziges Urwesen ist Feuer. Zwei Beweise davon stellt SIMPLICIUS auf; des Feuers Wärme, die alles durchdringt, alles bildet, Tiere belebt und alles erzeugt; und der Feuerteilchen Feinheit, vermöge welcher es am leichtesten sich in alles andere kann umgestalten. Ganz aus eigener Vermutung hat wohl SIMPLICIUS diese Beweise nicht geschöpft, ein weit älterer und höchst zuverlässiger Forscher alter Lehren meldet zumindest, es sei von den Alten auf Feinheit Rücksicht genommen, bei der Bestimmung der Grundwesen, man habe wegen der Grobheit der Teile sich nicht erkühnt, späterhin die Erde zum Prinzip zu machen, vielmehr die feineren Körper, Feuer, Luft oder Wasser dazu auserlesen. Gleichermaßen zeigt auch THALES' Beispiel, daß bei der Erwählung eines ersten Prinzips auf Tiererzeugung und Belebung, frühzeitig schon gesehen wurde. Beide Gründe sind von HERAKLITs Erfindung, so weit unsere Kenntnis reicht, und dabei so scharfsinnig gewählt, wie die damalige Lage menschlicher Vernunft es erlaubte; nur vergaß HERAKLIT dabei Leben, Empfindung und Denkkraft, aus seines Feuers Natur begreiflich zu machen; auch setzte er sich derselben unüberwindlichen Schwierigkeit aus, welcher alle Systeme unterliegen, die nur Eins zum Urwesen nehmen; daß aus diesem Eins, der Wesen Mannigfaltigkeit nicht bequem herzuleiten ist, wenn es einfach, und der Widerspruch unumgänglich, wenn es zusammengesetzt aus heterogenen Partikeln, genommen wird.

Selbst dieser Grundsatz brachte schon unter die Alten Zwietracht, also wird große Behutsamkeit erfordert mit einiger Beruhigung sich aus dem Gewirr zu finden. Dem Wesen nach ist dieses Feuer homogen, aus Grundteilchen anderer Elemente nicht zusammengesetzt; woraus von selbst die Folgerung hervorgeht, daß in einer Verwandlung dessen Ausbildung und Übergang in andere Wesen, bestehen; hervorgeht auch, daß Verdickung und Verdünnung, diese Verwandlung begreiflich machen muß. Die Erklärung einer Umwandlung eines einförmigen Wesens durch eine Verschiedenheit der Zusammensetzung war zu fein, setzte zu deutliche Begriffe voraus, als daß sie in so frühen Zeiten hätte gefunden werden können.

Dieser Verwandlung Gang ist, auf Feuer in Luft, aus Luft in Wasser, aus Wasser endlich in Erde; verdicktes Feuern nämlich ist Feuchtigkeit, Satz der Feuchtigkeit, Wasser, verdicktes, Erde. Die aus dem Feuer zuerst Erde, aus der erwärmten Erde Wasser und aus dessen Dünsten Luft entstehen lassen, werden von den vorhergehenden durch Zahl und Gewicht überwältigt. Auch empfiehlt sich diese Theorie durch Einfachheit, indem sie vom feineren stufenweise fortschreitet zum gröberen; und durch Übereinstimmung mit alltäglichen Erfahrungen, indem aus dem Feuer feuchter Rauch aufsteigt, dieser Rauch Wasser ansetzt und Wasser zum Bodensatz Erde gibt. Freilich wird mehr erfordert zu beweisen, daß diese wirkliche Verwandlung des Feuers, sowie der Bodensatz eine wirkliche Verwandlung des Wassers ist; noch bis auf den heutigen Tag haben Chemiker diese Sätze nicht zu erweisen vermocht und sind daher der Verneinung eines solchen Verwandelns mehr geneigt geblieben; allein diese Hauptlücke des Systems konnte HERAKLIT bei gänzlicher Abwesenheit aller genaueren Naturkenntnis nicht wohl inne werden.

Ganz anders stellten andere Ausleger HERAKLITs Behauptung vor; Luft ist ihnen erstes Prinzip, welcher Erklärung auch ARISTOTELES im Vorbeigehen einmal zu erwähnen scheint, mit der Abweichung jedoch, daß er das Ausdünstung nennt, woraus nach HERAKLIT alles entstehen soll. Dies zum Grund gelegt, wäre eine Vereinigung beider Berichte nicht ungmöglich, die Ausdünstung kann unmöglich erstes Prinzip sein, weil sie aus etwas anderem sichtbar fließen muß; Ausdünstung konnte also nur Prinzip heißen, insofern aus ihr alle anderen Körper gebildet werden, sie der Elemente erster Grundstoff ist. Ausdünstung wäre also nur zweites Prinzip. HERAKLIT brachte, indem er sie in Bezug auf der Elemente Urwesen benannte, einige Ausleger auf den Wahn, als erkenne er vor ihr kein anderes. Diese Ausdünstung oder diese Feuchte, wurden von eben diesen Auslegern für Lust genommen. Ob man diese Vermutung wird annehmlicher finden, als die eines neueren Forschers, dem auch FABRITZ beitritt, daß nämlich HERAKLITs Feuer, laut den Nachrichten sehr junger Schriftsteller, aus kleinen subtilen Partikeln besteht, welchen einige den Namen Feuer, andere die Benennung Luft gaben, muß die Zeit entscheiden. Wir zumindest können diesen unzuverlässigen Nachrichten keinen Glauben abgewinnen, besonders sobald ich hinzunehme, daß kein Bericht von der Entstehung des Feuers aus diesen Partikeln etwas erwähnt, wie doch höchst vermutlich geschehen würde, wenn sie vor ihm hergingen; daß ANTONIN nebst den übrigen oben genannten, sogar ausdrücklich dagegen ist, indem sie aus dem Feuer zuerst Luft werden lassen. Zugleich fällt damit der Verdacht, HERAKLIT gehöre versteckt zu den Atomisten, welchen schon die Bemerkung wegräumt, daß sein Grundstoff vollkommen gleichförmig ist.

Gemäß seiner Natur ist das Feuer in steter Bewegung und Tätigkeit, im All ist keine Ruhe, nichts bleibt, alles ist im Fluß, gleich strömenden Wassers; wie man nicht zweimal in denselben Fluß steigen kann, so findet man auch nich in zwei Augenblicken die Dinge einerlei. Nichts ist im wahren Verstand, nur das Eine, aus welchem sich alles andere bildet, behält bei diesen rastlosen Veränderungen Fortdauer. Bewegung und Veränderung ist dem ephesischen Philosophen ewig, seinem Urwesen wesentlich; und insofern hat diese Theorie vor der des THALES einen sichtbaren Vorzug; obgleich genauer erwogen die nämliche Schwierigkeit, nur verdeckter, dabei obwaltet. Feuer, ausgeschlossen von aller Luft erlischt, seine Bewegkraft ist ihm also nicht eigentümlich. MIt all dieser Bewegung und Veränderung aber, wird des Feuers Verwandlung um nichts begreiflicher, Verdickung und Verdünnung um nichts sichtbarer, wie auch immer es sich bewegt, Feuer bleibt es immer. Dem abzuhelfen fügte höchst vermutlich der Philosoph aus Ephesus an, alles entsteht durch Zank, Krieg und Streit, bewirkt die Entstehung der Welt, Friede und Einigkeit ihren Untergang. Womit schwerlich etwas anderes gesagt sein sollte, als daß Trennung und Scheidung, aus dem Feuer die mehreren entgegengesetzten Elemente werden läßt; die Aufhebung einer solchen Trennung, wieder alles in eine Masse zusammenbringt. Wie mit dem obigen das sich vereinbart, oder ob es sich gar nicht vereinbart, mag die Folge entscheiden. Entsteht der Streit vor der Verdickung und Verdünnung, dann werden diese überlüssig, dann läßt sich auch Streit, bei ganz einartigem Feuer, nicht füglich denken. Folgt der Streit auf Verdünnung und Verdickung, dann vereinst sich zwar beides, aber man ist um kein Haar breit weiter im Begreifen beider Veränderungen fortgerückt.

Ein Ausweg bleibt noch, und dessen bediente sich HERAKLIT, vermutlich - zumindest gibt LUKREZ das zu verstehen - und zwar eine Verlöschung des Feuers, wodurch es zu gröberen Körpern scheint verdickt zu werden. Und dahinaus gehen auch die täglichen Erfahrungen, feuchter Dunst findet sich am Ende der Flamme, wo ihre Kraft schon gemindert ist. So wäre dann die erste Schwierigkeit zwar gehoben, aber in der Wahrheit doch nur zurückgeschoben; denn dieses Verlöschen woher soll es dem Feuer kommen? wodurch kann, was wesentlich Feuer ist, bei gänzlicher Hinwegnahme alles von ihm verschiedenen, eine Abnahme seiner Kraft erleiden?

Des Systems Unhaltbarkeit erkannte schon mancher Alten Scharfsinn, und entwickelte mehrere Ungereimtheiten noch darin. Aus reinem, homogenem Feuer, sagten sie, kann nicht Verschiedenartiges entspringen; eine Verdickung erleichtert nicht die Begreiflichkeit davon, weil ihrer ungeachtet das Verdickte doch stets Feuer bleibt, weil auch eine Verdickung und Zusammenpressung nichts als größere Hitze ist, Verdünnung nichts als eine geringere ergibt. Dazu kommt, daß eine Verneinung alles leeren Raums in diesem Lehrgebäude, beide Verwandlungen unmöglich macht. Sollte schließlich eine Erlöschung des Feuers die Verwandlung bewirken, so liegt zutage, daß das Feuer kein wahres Urwesen ist, weil es vergänglich ist; und daß wirklich aus Nichts alles hervorgeht, weil was nicht aus Feuer wird, zum Grundstoff das Nichts hat, Feuer nämlich als einziges Urwesen, sobald es aufhört Feuer zu sein, wird Nichts; etwas muß doch unwandelbar und ewig allem zugrunde liegen.

Nun wäre dann auch die oben berührte Schwierigkeit so zu heben: ursprünglich ist alles ein Feuer, aus diesem Eins entspringt alles, hierin ist noch kein Zank, sondern völlige Einigkeit. Aber dieses Feuer erlischt allmählich, und stellt mittels dieser Erlöschung die übrigen Elemente dar, mit diesen kommen, vermöge ihrer entgegengesetzten Eigenschaften, Zank und Streit ins Dasein; wobei beide eine weitere Fortbildung der Elemente zum Weltgebäude übernehmen.

Kaum ist in der Erforschung heraklitischer Lehrsätze ein Hindernis überstiegen, so stellt sich bei weiteren Fortschritten plötzlich ein neues entgegen. Der Elemente Ausbildung zum Weltsystem, wie verhielt es sich mit dieser? Kraft einer Nachricht so: Feuer verdickt sich erst zu Feuchtigkeit, oder Luft, diese zu Wasser und Wasser zu Erde, das heißt der Weg nach unten. Nun wird wieder die Erde geschmolzen und das gibt Wasser, aus dem Wasser aber entsteht fast alles übrige, das heißt aus der Verdunstung des Meeres; dies nennt HERAKLIT den Weg nach oben. Die Erde nämlich nebst dem Meer geben Ausdünstungen, teils glänzend und rein, teils finster; durch erstere wird das Feuer, durch letztere die Feuchtigkeit vermehrt. Von welcher Beschaffenheit der alles umschließende Körper ist, bestimmt er nicht; doch lehrt er, in ihm befinden sich Gefäße deren hohle Seite gegen uns gekehrt ist, darin sammeln sich die glänzenden Ausdünstungen zu Flammen, und das sind die Sterne; die Sonnenflamme ist unter ihnen die glänzendste und wärmste, weil die anderen Sterne von uns eine größere Entfernung haben. Also: erst wurde alles Erde, dann wurde diese Erde wieder geschmolzen und aufs Neue verwandelt in Feuchtigkeit; wozu aber ein solcher unnützer Umweg, da Wasser und Feuchtigkeit vorher schon da waren? die Erde wurde geschmolzen, von wem? Aus den Dünsten von Meer und Erde entstand alles, warum erst nach der zweiten Verwandlung? So gedankenlos schleppen die späteren Schriftsteller ihre Nachrichten zusammen! Zum sichtbaren Beweis, daß sie nur schrieben um zu schreiben, nicht um ihren und ihrer Leser Verstand zu erleuchten und zu bereichern!

Hiergegen hatte man einen anderen, ebenso unvollständigen, ebenso ohne Überlegung hingepfuschten Bericht: Verwandlung des Feuers, spricht HERAKLIT, ist erstens Meer; des Meeres eine Hälfte aber Erde, die andere Feuer; womit er sagen will, das Feuer verwandelt sich durch Luft in Feuchtigkeit, den Samen der Welt, aus dieser entsteht wieder Himmel und Erde, mit allem was darin ist. Also aus dem Meer gingen unmittelbar Himmel und Erde heror, nicht aus der geschmolzenen Erde? Aus des Meeres einer Hälfte entstünde erst die Erde?

Wie aber, wenn beide Berichte zusammengesetzt würden? Es sei: was sich ergeben wird, muß der Erfolg lehren. Der erste gedenkt zweier Wege, des nach unten und des nach oben, der letzte erwähnt davon nichts; der erste läßt zuerst das Feuer sich wandeln in andere Körperarten, der letzte gleichfalls; der erste läßt dann nach jener Verwandlung Himmel, Erde, Gestirne kurz das Weltgebäude hervorgehen, der letzte auch; also im wesentlichen treffen beide zusammen; nur unterscheidet der letzte die beiden Wege nicht bestimmt. Dies hinzugefügt aus dem ersten, dem ersten zugesellt die Mischung des Meeres aus Feuer und Feuchtigkeit, stellte folgenden Zusammenhang dar: Feuer steigt stufenweise herab bis zur Erde, aber einer nicht reinen Erde, gleich unserer jetzigen, sondern vermischt mit Teilen der anderen Elemente, gleichfalls mit Feuerteilen. Durch diese wird sie aufgelöst in eine chaotische, schlammige Masse, ähnlich dem was vielleicht HESIOD sich beim Chaos vorstellte, und was eine Ausdünstung jener ersten verdichteten Masse ist; mithin wegen beigemischter Feuchtigkeit auch Meer genannt werden mag. Dies nun ist der Same aller Dinge, dies wahrscheinlich auch, was einige Ausleger Luft, ARISTOTELES bloß Ausdünstung, nennen. Von diesem Chaos oder Meer, ist ein Teil Erde, der andere Feuer. Leichtigkeit reist die Feuerteilchen los, treibt sie nach oben, wo sie in jenen hohlen Gefäßen gesammelt werden, die Sterne darstellen, Schwere läßt die anderen Teile unten bleiben, wo durch die Einwirkung von Sonnenwärme Wasser von Erde mehr geschieden, und allmählich die übrigen Wesen zu einer bestimmten Form ausgebildet werden.

Manch Ungereimtes liegt in dieser Entstehungslehre unleugbar, manches auch was ungereimt scheint, aus dem Verlust bestimmter Nachrichten; so die doppelte Verwandlung erst in Erde, dann rückwärts aus der Erde in andere Elemente; was vermutlich darin lag, daß HERAKLIT die Verwandlung sich erstrecken ließ über alles Feuer, ihm folglich dessen neue Entwicklung zur Bildung der Sterne unentbehrlich war. Jene hohlen Gefäße aber in der oberen Region, von der nicht gesagt wird, woraus sie bestehen soll, noch woher die Gefäße entstehen sollen, sind und bleiben ungereimt in allem Betracht. Kindheit der Philosophie steht diesem, ungeachtet schon manches und mehrere Zeit war philosophiert worden, an der Stirn geschrieben; und das ist in Griechenland nach damaliger Lage nicht zu verwundern, wo weder durch Bücher noch durch Reisende, Vernunftkenntnisse schnell verbreitet werden konnten. Auch die kindartige Vorstellung von den Sternen zeugt von der Wahrheit des bei XENOPHANES angemerkten nicht minder, als von den schwachen Gedanken, des durch Mathematik hier nicht geleiteten Verstandes. In diesem allem hat HERAKLIT von bleibendem Verdienst wohl nichts als, den ersten ausführlichen Versucht gemacht zu haben, aus bloßem Feuer, die Welt nebst ihrer Herrlichkeit herzuleiten, dadurch folgende, auf eine neue sehr betretene Bahn geleitet, und nachdem man aller Bemühungen ungeachtet, die Bahn zuletzt unbrauchbar fand, so von einem Irrtum befreit, endlich der feineren Lichtemanation, durch die Einheit des ersten Feuerprinzips mehr genähert zu haben. Auch wer ein neues Irrsal in Umlauf bringt, durch die Gewinnung vieler Anhänger, eine scharfe Verteidigung, mithin von entgegengesetzter Seite eine ebenso scharfe Prüfung veranlaßt, hat um den menschlichen Verstand ein wahres Verdienst. Das scheint Gesetz der Menschennatur im Großen, wie der Kindernatur im Kleinen zu sein, daß sie nur nach der Erschöpfung aller möglichen Irrtümer das Wahre fest und klar sehen und behalten, wie sich Kinder nur nach unzähligen mißlungenen Versuchen und Versehen, wahre brauchbare Klugheit und Festigkeit erwerben sollen.

Die tierische Natur unserer Welt nahm HERAKLIT, allen Berichten zufolge, an, jedoch gleich den Zeitgenossen ohne Beweis, nach jenen Volksbegriffen, die an einer Bewegung ohne sichtbaren Stoß allemal Leben knüpfen. Über der Weltseele Wesen vereinigen sich die Berichte leicht dahin, daß es Luft ist, denn die da sagen, sie sei eine Ausdünstung aus den Feuchtigkeiten der Welt und sie werde aus dem Wasser; meinen das nämliche, weil aus dem Wasser rückwärts Luft entspringt. In Gemäßheit dessen bildet sie sich nach der ersten Verwandlung nach unten, erst in der andern, nach oben aus. In dieser Luft aber ist zugleich Feuerstoff enthalten, weil sie zuletzt wieder übergeht in Feuer, mithin läßt sich von dieser Seite sagen, die Weltseele habe Licht- oder Feuernatur: so gut sich der Sonne aus gleichem Grund Denkkraft beilegen läßt. Dieses Satzes Beweise hat glücklicherweise ARISTOTELES folgendergestalt aufbewahrt; nach HERAKLIT ist aller Dinge Stoff, die Ausdünstung, Seele, denn dieser ist am wenigsten körperlich, und in einem steten Fluß; nun aber wird bewegtes nur erkannt durch bewegtes, zufolge seiner und der gemeinsten Meinung. Ausdünstung demnach, oder feuerartige Luft, ist die Seele, weil diese am wenigsten körperlich ist. Zuerst erblickt sich hier ein Grundsatz aller Philosophen und des geraden Verstandes, die Seele vom grob Körperlich möglichst zu befreien, und ihr eine diesem entgegenstehende Natur zu erteilen. Dieser lenkte den rohen Verstand der Griechen, die Seele sich seiner als den Körper, und durch die gröberen Sinne nicht, kaum durch das Gesicht erkennbar, vorzustellen; dieser herrscht im pythagoräischen System, wo die Seele Ausfluß aus Gott, edler als die grobe Materie ist; dieser beweist sich in allen späteren Systemen der Griechen als wirksam, wo immer das Seelenwesen feiner gesetzt wird, je feinere Körper man allmählich kennenlernte. Denn klar ist wie heller Mittag, daß sobald für die Seele eine besondere Substanz angenommen wird, sie im Kreise unserer Erfahrungen nicht durch äußere Sinne liegen kann, weil diese Erfahrungen von ihr uns keine Kenntnis verschaffen. Der gemeine Verstand ferner, sich bindend an festgesetzten Sprachgebrauch und an uralte Meinungen aus unkultivierter Vorzeit, bezweifelt eine substantielle Natur der Seele nicht; feinere und spätere Untersuchungen führen erst den Materialismus herbei. Also obgleich HERAKLIT die Seele materiell macht, war ihm doch Absicht, sie dem Körperlichen möglichst entgegenzusetzen, das heißt im Grunde; sie für nicht materiell zu erklären. Sein anderer Beweis ist auf den gebaut, unter Philosophen der Zeit, gewöhnlichen Grundsatz, Gleiches wird durch Gleiches erkannt, also Bewegtes durch Bewegtes; und daher muß das Seelenwesen etwas sein, das in steter Bewegung ist, wie die Dinge in der Welt, und dies ist nichts anderes als eben die Luft. Ihm gebührt hierin das Lob, der Seele Natur zuerst mit Beweisen erhärtet, und dadurch die Nachfolger, mittels Prüfung seiner Beweise, an eine Aufsuchung besserer gewiesen zu haben.

Gleich den Pythagoreern ließ HERAKLIT unsere Seelen aus der Weltseele, doch nicht ganz allein entspringen; von des tierischen Körpers feuchten Teilen, namentlich dem Blut, sondern sich einige zur Belebung der Tiere. Die Vernunft dagegen entspringt aus der Weltseele allein; welche Denkkraft und Vernunft besitzt. Durch das Einziehen dieser göttlichen Vernunft im Atmen werden wir vernünftig; im Schlaf vergessen wir alles, verlieren auch die Vernunft; beim Erwachen gelangen wir wieder zu Verstand. Im Schlaf nämlich wird unser Verstand, wegen einer Verschließung der Empfindungskanäle, von der Verbindung mit der Weltseele abgeschnitten, da nur der Zusammenhang durch das Atmen übrig bleibt, und diese Trennung beraubt die Seele ihres vorigen Gedächtnisses. Beim Erwachen dagegen dringt die Seele durch die Sinnenwerkzeuge, wie durch Kanäle wieder hervor, und gelangt durch die Verbindung mit der Weltseele, das ist, der uns umgebenden Luft, zu Vernunft. Wie also dem Feuer nahe gebrachte Kohlen sich entzünden, von ihm entfernt, verlöschen: so wird der in uns hospitierende [als Gast teilnehmende - wp] Teil der Weltseele durch Vereinigung mit ihr vernünftig, durch Trennung von ihr unvernünftig. Verbunden mit dem vorigen gibt dies folgende Darstellung des ganzen Seelenwesens; wir haben jeder eine eigentümliche Seele, aus den Feuchtigkeiten in uns, vorzüglich dem Blut; diese aber enthält nur das Empfindungsvermögen, wahrscheinlich Begehren und Kraft den Körper zu bewegen, dabei, aber Denkkraft nur als Vermögen; durch Einwirkung der Weltseele muß erst dies in Wirksamkeit gesetzt werden. Die demnach dem ephesischen Philosophen eine Unerreichbarkeit aller Seelenkenntnis haben aufbürden wollen, sind in einem sichtbaren Irrtum; nur soviel wollte er vermutlich sagen, sie vollkommen zu erlangen, oder auch anschaulich zu besitzen, ist unmöglich.

Auf diese sonderbare Vorstellung scheint HERAKLIT durch die Aufsuchung einer befriedigenden Erklärung des Schlafes geleitet zu sein; in der Tat mußte die Erfahrung vom Aufhören des Bewußtseins im Schlaf, nebst dem Verschwinden allen Denkens, solange man vom Einfluß des Gehirns auf die Seele nicht unterrichtet war, höchst befremdlich und unerklärlich scheinen. In einer solchen Lage der Sachen darf der heraklitischen Auflösung des Rätsels, eine Neuheit, nebst Scharfsinn nicht abgesprochen werden. Was aber der Folgen halber mehr Aufmerksamkeit erfordert, ist die erste Erscheinung eines allgemeinen, außerhalb des Menschen befindlichen und sie überall erleuchtenden, oder, wie die Alten es benannten, eines tätigen Verstandes. Welche Verwirrung diese nicht bloß in der Seelenlehre, sondern durch eine weitere Anwendung auf das Handeln, auch in den Köpfen und Gemütern der Mystiker, Theosophen und Geisterseher angerichtet haben, wird die Folge mehr und mehr darlegen.

Nach dem Tod gehen unsere Seelen nicht sogleich unter, laut einer nicht verwerflichen Nachricht wird erst dann ihr größerer Wirkungskreis eröffnet werden; solange wir leben, sagte HERAKLIT, sind die Seelen in uns begraben, sie werden aber aufleben, sobald wir gestorben sind; und werden dann erfahren, was wir weder erwarteten noch vermuteten. Ob sich dies auch auf Belohnungen und Strafen erstrecken soll, muß aus Mangel an genugsamen Zeugnissen im Schweben bleiben. Dem steht nicht entgegen, daß die Seelen in die Weltseele übergehen; denn erst bei der allgemeinen Weltverbrennung erfolgt dieser Übergang. Beweise der Seelenfortdauer sind nirgends aufbehalten; aber schön und erfreulich ist dieser Gedanke, wenngleich nicht ganz neu. In einen lebhaften, dichterischen, mit der Gegenwart nicht zufriedenen Kopf versetzt, enthält er Samen von mancherley Schwärmereien, welche schon in Griechenland daraus entsprungen sind und was der weitere Verlauf darlegen wird.

Laut einigen Berichten sagte HERAKLIT, Wasser ist der Seelen Tod; ob damit gemeint war, daß die Seelen wirklich durch Wasser untergehen sollen, oder nur untergehen können, oder schließlich, daß Wasser ihre Kraft unterdrückt, muß dahin gestellt bleiben. Ersteres vereint sich nicht wohl mit der Seelenfortdauer bis ans Weltende; letzteres macht die andere Behauptung annehmlich, daß eine trockene Seele die beste ist, das heißt, daß je weniger Feuchtigkeit und wässriges der Seelensubstanz beigemischt ist, desto besser vermag sie ihre Geschäfte zu verrichten.

Die überall verbreitete, alles durchdringende Weltseele erklärt zugleich, und macht den Bericht eines jüngeren Schriftstellers annehmlich, daß alles mit Seelen und Dämonen angefüllt ist.

Auf das Übel in der Welt machte den Philosophen von Ephesus seine finstere und zur Melancholie sich neigende Denkart aufmerksam und dagegen fühlbarer. Was die Pythagoräer im Vorbeigehen berührt hatten, stellte er auffallender, und für die Nachkommen bemerkbarer dahin, daß die Welt angefüllt ist mit Übel, daß aber dieses Übel nur bis an den Mondkreis reicht. Er bereitete dadurch die in der Folge so erhebliche und an Einwürfe gegen der Gottheit Dasein und Regierung, wie an herrlichen Bemerkungen über die weise Anordnung der Dinge, eine so reichhaltige Untersuchung über des Übels Natur und Dasein vor.

Zufolge der rastlosen Veränderung aller Dinge, welche in zwei Augenblicken nicht erlaubt dieselben Gegenstände zu finden, sind die Elemente dem gleichen Strom unterworfen, und da sie alle ineinander übergehen können, so ist eine Rückkehr in den ursprünglichen Zustand des Feuers am Ende unausweichlich. Dies benannte der ephesische Philosoph die Weltverbrennung, die Erde nämlich geht über in Wasser, das Wasser in Luft, die Luft zuletzt in Feuer. Wenn das geschieht, dann verschwinden alle entgegengesetzten Beschaffenheiten der Elemente und aller daraus gebildeten Wesen, alles kehrt zurück in Einförmigkeit, Einigkeit und Frieden. Solche Auflösungen und neue Erzeugungen der Welt wechseln miteinander ab ohne aufzuhören. Richtig und unvermeidlich folgt dies aus den ersten Grundlagen des Gebäudes; aber wahr oder gewiß ist es deshalb nicht um ein Atom mehr, weil mit jenen Grundlagen es gleichfalls unaufhaltsam einstürzt. Daß zur Befestigung eines solchen Satzes mehr erfordert wird, fühlte HERAKLIT noch nicht, und konnte es, vermöge einer eingeschränkten Kenntnis der Dinge nicht fühlen. Aber neu, und wahr, und scharfsinnig ist die Bemerkung vom steten Fluß aller Dinge unter dem Mond. Dieser Fluß, vereint mit der Unwandelbarkeit im Lehrbegriff des PARMENIDES, gebar etwa ein Jahrhunder hernach eine ganz neue Theorie der Dinge, deren Überbleibsel sich bis in die neuesten Systeme fortgeerbt haben.

Was einige von einer ewigen Welt melden, ist mit dem vorhergehenden nicht im Streit, diese Welt ist nicht die von uns bewohnte, sondern der Inbegriff aller Urmaterie, ohne Rücksich auf ihren geformten oder formlosen Zustand. Weltentstehung und Verbrennung läßt HERAKLIT abwechseln in einmal bestimmten Perioden: also vermutlich in stets denselben. Ob ein Anlaß dazu im Regelmäßigen bei allem Entstehen und Vergehen in der Natur lag, oder ob sich bei HERAKLIT kein besonderer Grund vorfand, ist schwerlich aufs Feste zu bringen. Gleiche Regelmäßigkeit erteilte er allen Veränderungen in der Welt, alles geschieht nach des Schicksals Gesetzen, denen ein Siegel der Notwendigkeit aufgedrückt ist. Er selbst gab davon die nicht sehr helle Erklärung, des Schicksals Wesen besteht in einer durch des Universums ganze Substanz ausgebreiteten Einrichtung. Ein bestimmter Begriff von des Schicksals Natur gebrach ihm, das gewöhnliche Mittel aller in Dunkelheit schwebenden großen Köpfe, wie auch aller seichten Schwätzer, nämlich die Herbeirufung eines wenig gebräuchlichen, vieldeutigen Wortes entzog ihn der Verlegenheit, und machte ihn glauben, mehr zu denken als er dachte. Zuerst erscheint in dieser Erklärung das in der Folge so oft in ähnlicher Lage mißhandelte Wort  logos,  welches ich durch eine Einrichtung, nicht eben mit der Vergünstigung der Lexikographen, zu übertragen mir die Freiheit genommen habe. Die gewöhnlichen Ausdrücke  Vernunft, Grund, Verhältnis  wollen sich alle nicht in die Verbindung fügen und dieser  logos  kann schwerlich etwas anderes als  Bestimmung, Einrichtung, Konstitution  der ganzen Ursubstanz bezeichnen. Daß man nicht etwa dies in den Verdacht einer späteren Unterschiebung ziehe, sei folgendes Verwahrungsmittel: ANTONIN, seiner Schule Ruhm zu schmälern sicher nicht geneigt, stellt HERAKLIT als Urheber der Bemerkung dar, daß in der Welt alles auf das Genaueste verknüpft ist, jedes Wesen seine Wirkung hervorbringt und nichts ganz umsonst vorhanden ist, so daß auch die Schlafenden mitwirken zu dem was geschieht.

Sonach hatte der Philosoph aus Ephesus den Zusammenhang der Weltereignisse richtig und tiefsinnig bemerkt, wofür ihm die Nachwelt keinen ausreichenden Dank zu sagen vermag. Auf diese in der Folge mehr vergewisserte, verallgemeinerte und verdeutlichte Bemerkung ruht ursprünglich das ganze Gebäude des Determinismus, ruht ein großer Teil der Untersuchung über Freiheit, ruht schließlich des blinden und hirnlosen Fatalismus gänzlicher Umsturz. Zu all dem hat HERAKLITs gegenwärtige Bemerkung die Tür zuerst eröffnet und hat zugleich den rohen Volksbegriff vom blinden Schicksal wesentlich verbessert. Zu beklagen aber ist, daß dieser herrlichen Bemerkung erstes Element, im Verstand des ephesischen Weltweisen, nicht mehr vorhanden, also nur beim falschen Schimmer der Vermutung einiges darüber zu bemerken ist. Eine Regelmäßigkeit und feste Ordnung im Naturlauf konnte dem immer mehr sich überall entwickelnden Verstand jetzt nicht verhohlen bleiben; alle Philosophen, die Gründe der Welteinrichtung suchten, setzten stillschweigend unsere Welt einer Schlaraffenwelt entgegen, wo einer steten Regellosigkeit halber Gründe nicht denkbar sind. HERAKLITs tief eindringender Verstand hatte hierin in einem solchen Grad Festigkeit erlangt, daß er die Welt selbst ähnlich einer Pflanze dachte, einem Tier, wo alle Veränderungen an gewisse Zeiten unabänderlich gebunden sind, und demgemäß die Entstehung und Verbrennung der Welt, ja den Urstoff der Welt, gleichen Gesetzen unterwarf. Gleichergestalt weckte wahrscheinlich eine deutlichere Vorstellung der tierischen Natur der Welt, in Verbindung mit einigen Erfahrungen vom Zusammenhang der Weltereignisse, den allgemeinen Gedanken einer durchgängigen Verknüpfung. In unserem Körper nämlich, und anderen tierischen Körpern finden wir, wie ein Zusammenhang der Teile, auch der Zusammenhang aller Veränderungen, wie auf das Einatmen das Ausatmen folgt, auf Verdauung Hunger, auf Nahrung neue Kraft und neues Leben durch alle Glieder. Der Satz vom Grunde, oder der Ursache, konnte, seiner Unbekanntheit wegen, den großen Gedanken im Geist des ephesischen Weltweisen nicht erzeugen.

Mit diesem allem steht ein späterer Bericht jener ätherischen Körper nicht in Widerspruch, der Same alles Entstandenen sei des Schicksals Wesenheit; den im Urstoff aller Dinge liegt schon sein erster Keim. Demnach führt auch dies nicht auf ein der Materie beigemischtes Wesen und der  logos  ist nicht, wie OLEARIUS gern möchte, ein in der Materie wohnender Verstand.

Im allem Bisherigen ist von keiner, die Materie bildenden, bewegenden, verändernden Ursache, außer, oder von ihr verschieden, nur mit einer Silbe die Rede gewesen; in keinem alten und echten Bericht, in keinem Ausspruch unter HERAKLITs Namen, ein solches Wesen auch nur entfernt erwähnt worden. Dies allein würde dem Unvoreingenommenen, wenn alles übrige abginge, schon fast Gewißheit geben, daß ein solches Wesen im Lehrbegriff dieses Weltweisen gar nicht enthalten war. Zum Überfluß tritt noch ARISTOTELES hinzu mit der Aussage: die meisten der ersten Philosophen haben nur die materiellen Prinzipien als solche anerkannt; und in der Reihe dieser Weltweisen läßt er auch HERAKLIT erscheinen. Zum noch größeren Überfluß bekennen auch die späteren fast mit einer Stimme, sein Gott sei das erste Feuer; gestehen also, seine erste Materie sei zugleich sein höchster Gott. Ja aller Widerrede gänzlich den Zugang zu verschließen, legen alle, und das mit des Philosophen eigenen Worten zum Teil, diesem Grundfeuer Denkkraft bei; das Universum hat weder Gott noch Mensch gemacht, es ist ein unaufhörlich lebend Feuer, nach festen Gesetzen entbrennend und verlöschend.

Das alles genügt einem neueren, sonst scharfsichtigen Forscher von HERAKLITs Grundsätzen nicht, aus der Natur des Fatum [Schicksal - wp], als eines die Materie durchdringenden, also von ihr verschiedenen Wesens; aus dem Widerspruch des Philosophen von Stagira [Aristoteles - wp], der von eben denen, die er des allgemeinen Materialismus bezichtigt hatte, in der Folge bekennt, sie seien gezwungen worden, über die Materie hinauszugehen; schließlich aus dem alexandrinischen CLEMENS, welcher das Feuer von dem in ihm wohnenden alles ordnenden Verstand, und Gott, läßt in Feuchtigkeit verwandelt werden; vermeint er genugsame Waffen zur Verteidigung des Deismus und eine Besiegung allen Irrglaubens in Bezug auf den Philosophen von Ephesus, zu entlehnen.

In einer schärferen Prüfung dürften diese Waffen leicht hölzern gefunden werden; das Fatum zuerst, hat laut dem oben berührten keine Beweiskraft, da seine von der Materie und dem Grundfeuer verschiedene Natur nicht klar ist. Anlangend den Widerspruch von ARISTOTELES, ist zu bemerken, daß er in der Folge nicht von denselben Philosophen spricht, wenn er des Zwanges gedenkt, jenseits der Materie ein bewegendes Prinzip zu suchen; hier nannte er ausdrücklich die ersten Weltweisen, dort redet er von ANAXAGORAS und den späteren. Der alexandrinische CLEMENS endlich steht so verlassen da, ist ein ansich so unsicherer, so wenig um genaue Berichte bekümmerter Mann, und ein so junger Zeuge! Ja noch mehr, dieser Mann widerspricht sich noch dazu; vorher heißt es bei ihm, nur das Grundfeuer ist Gott, hernach, dasselbe Feuer ist von einem innewohnenden Gott verwandelt worden. Von der Allgötterei ist HERAKLIT demnach auf keine Weise zu befreien; aber einen Vorzug hat dieses System vor allen älteren und gleichzeitigen, daß im ersten Feuer schon eine wesentliche Ordnung und ein natürliches Streben nach Regeln zu wirken vorausgesetzt wird. Jene anderen Lehrgebäude ließen nur blinde physische, und keinen Regeln unterworfenen Kräfte, alles erzeugen, waren demnach von der Ordnung und Regelmäßigkeit in der Welt unvermögend Rechenschaft zu geben; ihnen war eben dieses Regelmäßige nicht bemerkbar genug geworden, daher sie auch nach dessen Ursachen nicht forschten. HERAKLIT, den Blick zuerst hierauf fest geheftet, erkannte, schon die erste Ursache müsse aller Ordnung und Regelmäßigkeit Quelle enthalten; und allen blinden Zufall gänzlich ausschließen. Eine über allen Zweifel tiefe Bemerkung, worin ein erster Keim des Übergangs zum Deismus, offenbar eingehüllt vorhanden ist! Der Grund einer solchen Regelmäßigkeit des Urfeuers vermochte freilich der ephesische Philosoph nicht anzugeben, weil in des Feuers Natur sich so etwas nicht vorfindet, allein daß dem Weltweisen von allen Behauptungen, die nicht durch sich einleuchten, obliegt einen Grund anzuführen, wurde in damaliger Kindheit der Wissenschaft noch nicht deutlich erkannt.

Mit dieser Allgötterei verknüpfte HERAKLIT die Emanation [Hervorgehen von etwas aus seinem Ursprung - wp] und zwar noch immer die grob materielle, wodurch er sich unausweichlich in die Ungereimtheiten verwickelte, einen wandelbaren Gott und ein zerstörungsfähiges Prinzip aller Dinge zu behaupten.

Dieselbe Ursache, welche bei den Eleaten zuerst Vernunft und Sinnlichkeit entzweit hatte, die Unfähigkeit die Theorie zu vereinen mit der Erfahrung, streute dieser Zwietracht Samen auch ins  heraklitische  Lehrgebäude, mit dem Unterschied jedoch, zum großen Ruhm des Weltweisen aus Ephesus, daß hier die Sinnlichkeit zuerst mit furchtbaren Waffen angegriffen wurde. Da in der Welt steten Veränderungen alles unterworfen ist; da dieser Veränderungen Strom einen so raschen Lauf hat, daß in keinem Augenblick etwas ist, alles zugleich entsteht und vergeht: so ist die platte Unmöglichkeit in allen Sinnengegenständen irgendetwas wahres und zuverlässiges zu erkennen. Wo nichts nur einen Augenblick bleibt, wie sollte da etwas von den Gegenständen erkannt und mit Wahrheit ausgesagt werden? In dem Augenblick, in dem der Gedanke, die Aussage, zustande kommen soll, ob es so oder so ist, ist es auch schon nicht mehr so.

Die Vordersätze zugegeben, ist dieser Schluß eine vollkommene Demonstration, wen wundert es da, daß er in folgenden Zeiten einen so großen Eindruck und im platonischen Lehrgebäude einen so großen Einfluß gehabt hat. Jene so schnelle, so gar keinen Augenblick rastende Veränderung aller Dinge, ist sie denn wirklich erwiesen? Mit keiner Erfahrung, mit keinem Schluß  a priori.  Jene so rastlose Veränderung ist sie denn möglich? Auch das nicht; in ein und demselben Nu kann etwas nicht zugleich sein und nicht sein, als was es ist, muß es einen Augenblick hindurch zumindest bleiben, und ist das so, so ist alles Erkennen äußerer Gegenstände nicht durchaus unmöglich. HERAKLITs Beweis hat den nicht unbeträchtlichen Fehler, mehr zu beweisen als er sollte; es folgt daraus, daß wir von sinnlichen Gegenständen durchaus nichts wissen, also von Farben, Gerüchen, Figuren platt nichts zu erkennen vermögen, weil eine durchgängige rastlose Bewegung keinen Eindruck, also auch kein Entwerfen einer Vorstellung von dem allen gestattet, so wenig man auch eine Vorstellung haben kann, von dem das mit größter Schnelligkeit an uns vorbeigeschleudert wird. Und das ist doch gegen alle Erfahrung, ebenso sehr wie gegen HERAKLITs Lehren selbst, nach welchen wir von Farben, Figuren, Tönen doch Kenntnis haben.

Dem selben Beweis wurde noch eine andere Wendung gegeben, worin er bei weitem fruchtbarer auftritt, von welcher zwar nicht ganz klar ist, ob sie eine heraklitische Erfindung war, doch vermöge des Zusammenhangs, in welchem HERAKLIT mehrmals genannt wird, und der Herleitung aus seinem Grundsatz der steten Bewegung, sehr vermutlich. Alles ist Bewegung und Veränderung, teils wirkende, teils leidende; aus der Zusammenkunft des Leidenden und Tätigen entspringt alles, mithin auch die Empfindung. Sobald das Empfindbare auf einen Sinn wirkt, gelangen die mancherlei Sensationen zur Wirklichkeit, fällt ein gewisser Gegenstand ins Auge, dann ist weiße Farbe da; ins Gefühl, dann ist Wärme oder Kälte da, aber vorher von allen Eindrücken keiner; auch wenn das nämliche in einem anderen oder eines anderen Sinn wirkt, keiner. Alle sinnlichen Qualitäten sind demnach nichts Absolutes, nichts den Gegenständen selbst anklebendes, jeder vermag nur zu sagen, was die Dinge ihm, nicht was sie  ansich  sind, da alle ihre Beschaffenheiten, sobald Bewegung und Einwirkung in einen Sinn weggenommen wird, sogleich verschwinden. So unverkennbar in diesem Beweis Neuheit, nebst ungemeiner Feinheit ist; so wenig reicht er aus, das Verlangte zu erhärten. Ohne allen Beweis wird angenommen, in den Gegenständen seien ansich keine Beschaffenheiten, alle werden erst durch ihre Einwirkung auf ein empfindendes Wesen; angenommen auch ohne Beweis, dieses empfindenden Wesens Organe ändern sich jeden Augenblick, und haben mit denen eines anderen keine Ähnlichkeit. Dieses Angenommene ist dazu unmöglich; Wesen ansich nichts, sind durch Zusammenkunft gänzlich außer Stande bestimmte Verhältnisse zu erzeugen, weil jedes Relative notwendig das Absolute zur Unterlage hat. Geradeso unmöglich, wie es wäre, daß ein Siegel ansich mit keiner Eingrabung versehen und ein Wachs, ansich mit keiner Rezeptivität ausgerüstet, in ihrer Zusammenkunft einen bestimmten Abdruck darstellen.

Eine unmittelbare Folge davon ist, daß jedem jedes ist, was es jedem scheint, derselbe Wind zugleich warum und kalt, so oft einer ihn warm, der andere kalt findet; und daß alles zugleich ist, und nicht ist; denn der von einigen süß, von anderen bitter gefundene Honig, ist süß und bitter. In einer Umstoßung des ersten und notwendigen Gesetzes aller Denkverrichtungen, kommt die Ungereimheit dieser Grundlage an den Tag; jedes Räsonnement, wodurch allen Schlüssen Kraft benommen wird, kann nicht anders als aus unrichtigen Vordersätzen bestehen, weil sonst ein solcher Schluß zugleich folgernde Kraft und auch keine besitzen müßte. Ersteres wegen des dadurch befestigten Schlussatzes, letzteres wegen des Schlußsatzes selbst. Auch leuchtet die Unerfahrenheit jenes Zeitalters im Gebrauch seiner Werkzeuge hell hervor, was gegen die Sinnlichkeit bloß gerichtet sein sollte, wurde unversehens und ungesehen eine Waffe gegen die Vernunft.

Diese vom Thron zu stürzen, mithin aller Erkenntnis Zuverlässigkeit abzusprechen, war zuverlässig nicht HERAKLITs Meinung; SEXTUS unterscheidet ihn sorgfältig von den Skeptikern. Dem Verstand gab HERAKLIT die Fähigkeit Wahres zu erkennen. Demgemäß mußte der ephesische Philosoph, mit PARMENIDES Idealist sein, weil mit dem Verwerfen aller sinnlichen Kenntnisse, eine Erklärung aller Sinnengegenstände zum bloßen Schein, untrennbar verknüpft ist. Er konnte daher weder vom Feuer als erstem Wesen, noch von einer Entstehung des übrigen aus diesem Feuer irgendetwas behaupten, da das alles in des Idealisten Augen, außer einem Schein nichts ist. Ein Unzusammenhang in den Gedanken der frühesten Weltweisen erscheint hier in einem völlig klaren Beispiel; HERAKLIT fühlte sein System, durch alle jene Gründe nicht im mindesten erschüttert, und achtete für genugsam sich aus der Verlegenheit zu ziehen, wenn er nur in einzelnen Fällen den Sinnen die Glaubwürdigkeit absprach. Auch diese Übertragung des Richteramtes an den Verstand, dachte HERAKLIT noch nicht in völliger Klarheit, es war noch nicht erforscht, daß Verstand und Sinne zwei gesonderte Erkenntnisquellen sind und daß zwischen beiden eine Wahl sein muß. HERAKLIT , indem er den Verstad griff, traf ihn, weil er etwas doch greifen wollte, und der Mangel eines anderen, diesen ihm gerade entgegenführte.

Diesem Verstand gab der ephesische Philosoph eine Bestimmung voller Dunkelheiten und Widersprüche auf einer, ergiebig an wichtigen Folgen, vielleicht auch reich an Gehalt, auf der anderen Seite. Nicht jeder, nur der gemeine und göttliche Verstand ist ein Wahrheitsrichter; daher ist gewiß, was allen gemeinschaftlich scheint, weil es durch den gemeinen Verstand gedacht wird; ungewiß was einem allein dünkt. Obgleich wir alle einen Verstand haben: so leben doch manche als hätten sie einen eigenen. In der Tat ist der Verstand, Vorstellung von der Welteinrichtung, insofern wir also durch das Gedächtnis Teil an ihm haben, denken wir wahr, insofern wir uns dagegen eigene Vorstellungen machen, falsch. Das begreift sich bald, der gemeine Verstand ist die Wirkung der Weltseele auf alle Menschen; wie aber noch jeder einen eigenen Verstand haben kann, wenn aller Verstand aus der Weltseele quillt, begreift sich nicht. Auch mittels der Erläuterung halber hinzugefügten, vom Verstand als Vorstellung der Welteinrichtung, begreift sich nicht. Sei das wie es will, die zum Grunde liegende Bemerkung von Zuverlässigkeit des von allen gleichmäßig erkannten ist so neu wie vortrefflich und ein erster Schlüssel zu den tieferen Forschungen über die Natur des Gewissens, woraus sich zugleich folgert, daß der ephesische Philosoph mit dem gemeinen Verstand im Grunde meinte, eine Übereinkunft der Sätze in allen Köpfen und ein so eingerichtetes Denkvermögen, daß bei mehreren Individuen, es dieselben Sätze als wahr gezwungen ist anzuerkennen. Über dieses fügte er nähere Bestimmung wahrscheinlich nicht an, also ob hier mit denen soll beitgetreten sein, die in unseren Tagen den gesunden oder gemeinen Menschenverstand auf den Richterstuhl erhoben haben, oder ob dieser gemeine Verstand auch den durch Übung und Kunst verfeinerten, soll unter sich befassen, bleibt dahingestellt.

Diesen nämlichen Verstand, ganz im selben Sinn haben nach langem Zwischenraum, Schwärmer, auch tiefe Metaphysiker zum Teil, aus der Vergessenheit in ein weit scheinendes und langdauerndes Licht gehoben. Er ist eine der Hauptstützen aller Mystiker und Theosophen, erst lange nachher geworden und geblieben bis auf diesen Tag. Denen die Übereinstimmung der Menschen in den Grund Wahrheiten nicht anders vermochten zu erklären, als durch eine Erleuchtung von Außen, durch eine Teilnahme an einer allgemeinen Vernunft, hat HERAKLIT zuerst die Fackel angezündet. Ihm war zu verzeihen, daß er nach Art aller unbearbeiteten Vernunft, die in uns liegende Ursache außerhalb von uns suchte, seinen Nachtretern ist dasselbe bei einem Reichtum richtigerer Aufschlüsse nicht zu vergeben.

Über das alles sorgte der Philosoph aus Ephesus für eine Entfernung des Widerspruchs so wenig, daß er den Pöbel unverständig und unvernünftig schalt; was ist ihr Verstand, ihre Vernunft? viele sind schlechte, wenige gute Menschen.

Von den Träumen merkte er sehr scharfsinnig an, im Wachen hätten alle Menschen eine gemeinschaftliche, im Schlafen jeder seine eigene Welt; wodurch vermutlich das Abweichen der Traumvorstellungen von den Erfahrungen und der Realität erklärt werden sollte. Als erster Anfang einer Philosophie über die Träume, ist es immer des Aufbehaltens würdig.

Auch darin verdient er Lob, daß er manches gottesdienstliche geradeweg tadelte, und so zur Reinigung der Religionsbegriffe nach Vermögen entwickelte. So verwarf er am  Bacchusdienst  die Schwärmereien, wegen einer Verderbung des clementinischen Textes aber vermag ich seine Worte nicht zu übertragen; so drohte er den Bacchanten, Mysten und Magiern mit Feuer nach dem Tod; und so erklärte er schließlich das Beten zu den Bildsäulen zur Torheit, es sei nicht besser als mit Wänden zu schwatzen.
LITERATUR - Dieterich Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie von Thales bis Sokrates, Marburg 1791