cr-2ra-1F. GoldnerE. MeyersonWindelbandJ. I. Hoppe    
 
HEINRICH von STRUVE
Psychologisch-metaphysische Analyse
des Begriffs der Notwendigkeit

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"Seit Kant ist zwar zur Genüge nachgewiesen worden, daß aller Erfahrung apriorische Vernunftelemente vorausgehen, d. h. Elemente, die ihren Inhalt nicht erst aus der Erfahrung schöpfen, sondern denselben unabhängig von aller Erfahrung in der Vernunft vorfinden und das Material der Erfahrung nach diesem Inhalt umgestalten."

"Unser Begriff einer Notwendigkeit und Verursachung entspringt lediglich aus der wahrgenommenen Gleichförmigkeit in der Natur, in welcher gleiche Dinge immer miteinander verknüpft sind und die Seele durch Gewohnheit bestimmt wird von dem Einen auf das Andere zu schließen. Ohne die beständige Verbindung gleicher Dinge und der richtigen Folgerung des Einen aus dem Andern hätte man keinen richtigen Begriff von Notwendigkeit und Verknüpfung." "Wir begreifen sehr wohl, warum wir unser Denken z. B. durch das Gesetz des Widerspruchs einschränken müssen; wir sehen ein, warum die Ethik von uns eine Übereinstimmun unserer Handlung mit unserer Gesinnung verlangt usw. Wir fügen uns daher in die Vernunftgesetze nicht aus sklavischer Notwendigkeit, nicht bloß weil wir  müssen und nicht anders können."


"Metaphysik ist, wenn gleich nicht als Wissenschaft, doch als
Naturanlage wirklich ... Es zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die
wir im Feld der Sinnlichkeit nicht antrafen,  wie  nämlich subjektive
Bedingungen des Denkens objektive Gültigkeit haben sollten, d. h.
Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben."

- Kant          


Die Psychologie bildet in doppelter Weise die notwendige Grundlage aller Metaphysik:
    1. weist sie die allgemeine Entstehungsweise aller metaphysischen Begriffe nach und

    2. enthält sie das ursprüngliche und unmittelbare Material, das der Bildung dieser Begriffe zugrundeliegt.
Das erste der angeführten psychologischen Elemente der Metaphysik ist wohl allgemein anerkannt und bedarf keiner speziellen Darlegung. Niemand kann leugnen, daß kritische Erkenntnis nur möglich ist, wenn wir uns klar sind über den psychologischen Prozeß derselben, d. h. wenn wir wissen auf welche Art dieser Prozeß zustande kommt, welche subjektiven und objektiven Faktoren bei seiner Entstehung und Entwicklung tätig sind.

Einer viel geringeren Beachtung und Anerkennung erfreut sich das zweite der oben angeführten psychologischen Elemente der Metaphysik, welches darin besteht, daß die Psychologie uns das unmittelbarste und ursprünglichste Material unserer metaphysischen Begriffe enthüllt. Nach der gewöhnlichen Anschauung schöpfen wir das Material zu unseren metaphysischen Begriffen aus der Außenwelt, aus der Betrachtung ihrer Erscheinungen. Für den sogenannten gesunden Menschenverstand unterliegt es keinem Zweifel, das der Inhalt verschiedener metaphysischer Begriffe, wie z. B. der Begriffe  Raum, Zeit, Notwendigkeit, Gesetz, Freiheit, Zweckmäßigkeit  usw. der Erfahrung entlehnt ist, und daß hier nur von einem aposteriorischen Inhalt die Rede sein kann. Seit KANT ist zwar zur Genüge nachgewiesen worden, daß aller Erfahrung apriorische Vernunftelemente vorausgehen, d. h. Elemente, die ihren Inhalt nicht erst aus der Erfahrung schöpfen, sondern denselben unabhängig von aller Erfahrung in der Vernunft vorfinden und das Material der Erfahrung nach diesem Inhalt umgestalten. Die Wahrheit dieser kantischen Anschauung ist durch die Empirie nicht nur nicht widerlegt, sondern im Gegenteil bestätigt worden, indem die größten Naturforscher zugestehen müssen, daß sie die meisten ihrer metaphysischen Grundbegriffe nicht erst aus der Erfahrung schöpfen, sondern dieselben bei der Ansammlung ihres Erfahrungsmaterials schon benutzen und beständig in einem gewissen Sinn anwenden. Wie würde z. B. der Naturforscher imstande sein den Begriff der  Unverändelrichkeit  der Naturgesetze aus der Erfahrung zu schöpfen? Der Naturforscher ist  vor  aller Erfahrung aus  Vernunftgründen  überzeugt, daß in der Natur alles nach  unveränderlichen  Gesetzen vonstatten geht, und würde er diese seine Vernunftüberzeugung nur einen Augenblick beanstanden, so entzöge er sich selbst den Boden unter den Füßen und hätte keinen Grund, die willkürlichsten und widersprechendsten Naturauffasungen von sich zu weisen. Trotz alledem aber ist die Quelle, der eigentliche Ursprung aller unserer sogenannten  apriorischen  Begriffe noch sehr wenig erforscht, und infolgedessen sind noch so verschiedene Ansichten über diesen Gegenstand im Umlauf, daß es im höchsten Grad schwer fällt, eine allgemeine Verständigung zu erzielen.

Der Mangel an psychologischer Erforschung dieses Gegenstandes hat hauptsächlich zur Folge, daß sowohl die Verteidiger wie auch die Bekämpfer des Apriorismus denselben stets mit einem vollkommenen Subjektivismus zusammenstellen, und auf diese Art den eigentlichen wissenschaftlichen Wert der apriorischen Begriffe abschwächen. KANTs Apriorismus ist, wie bekannt, mit dem Subjektivismus und Skeptizismus sehr nahe verwandt. Da die apriorischen Begriffe als unabhängig von aller Erfahrung dem Subjekt anhaftend nachgewiesen wurden, so wurde weiter behauptet, sie hätten kein reales, wirkliches Objekt, sondern seien rein  subjektive Formen,  die über das Wesen, das Ansich der Dinge nichts aussagen können. Dieses unerquickliche Resultat des kantischen Kritizismus beutete nun der moderne Empirismus und Positivismus aus und sagte: auf apriorischer Grundlage ist keinerlei Erkenntnis möglich; alles Apriorische ist nichts als subjektive Einbildung ohne jeglichen Wert; die Metaphysik, die sich stets auf apriorische Begriffe berief, ist eine dunkle Region der willkürlichsten Erdichtungen (AUGUSTE COMTE); das einzig wahre, sichere und wissenschaftliche Erkennen muß sich auf sinnliche Erfahrung und auf ihr aposteriorisches Material stützen.

Eine eingehende  psychologische  Untersuchung der  apriorischen  Elemente unseres Geistes wird hoffentlich mit der Zeit die Unzulänglichkeit beider, soeben angeführter, entgegengesetzter Meinungen nachweisen; sie wird zeigen, wie die sogenannten apriorischen Begriffe nicht  bloße  subjektive Formen sind, sondern zugleich ein ganz reales  objektives  Material zum Inhalt haben; ein Material, welches in realen Prozessen des Geistes selbst enthalten ist und daher eine ebenso sichere, wenn nicht sicherere Grundlage der Erkenntnis bieten als dasjenige Material, das die sinnliche Erfahrung der äußeren Welt entnimmt. Sind aber die apriorischen Anschauungen und Begriffe unseres Geistes nicht bloß Formen ohne objektiven Gehalt, sondern Formen, die sich aufgrund objektiver, ansich seiender realer Prozesse bilden und von diesen ihren Inhalt entlehnen: so hört die Verbindung des Apriorismus mit dem skeptischen Subjektivismus auf. Der kantischen Behauptung, das  Ansich der Dinge  könne nicht erkannt werden, wird das Faktum entgegengehalten, daß die apriorischen Begriffe reale Prozesse sind,  wirkliches,  objektives Geschehen enthalten, welches als solches, also seinem Ansich nach unmittelbar zu unserem Bewußtsein kommt (1). Dem Sensualismus und Empirismus dagegen wird entgegenzuhalten sein, daß das geistige Geschehen, das den apriorischen Begriffen zugrunde liegt, ein ebenso reales und objektives ist wie das sinnliche Geschehen, das der sinnlichen Erfahrung zugrunde liegt und daß wir keinen Grund haben, die menschliche Erkenntnis nur auf die letzte Art des Geschehens einzuschränken, während die andere ebenso sicher und ebenso berechtigt ist, wie diese.

Auf diese Art könnte z. B. nachgewiesen werden, daß Raum und Zeit, obwohl sie apriorische Anschauungen sind, wie KANT gezeigt hat, obwohl sie aller sinnlichen Erfahrung vorausgehen und ihren Inhalt nicht erst aus dieser schöpfen, dennoch mehr sind als bloß  subjektive Formen,  die auf das Ansich der Dinge nicht ausgedehnt werden dürfen. Sie sind Anschauungsformen, welche ihren Inhalt aus objektiven Prozessen des Geistes selbst, aus seinem  realen  Geschehen entlehnt haben; es sind Anschauungen, die in subjektiver Bewußtseinsform  das  wiedergeben, was der unmittelbare reale Inhalt gewisser geistiger Prozesse bildet, was sich als  objektives Geschehen  mit der ganzen Fülle seines Ansich und seines Wesens in unserem Bewußtsein geltend macht. Wären Raum und Zeit nur rein subjektive Formen, so müßten sie ausschließlich dem Bewußtsein eigen sein, dem übrigen geistigen Geschehen aber, sofern es unabhängig vom Bewußtsein stattfindet, nicht zukommen. Eine derartige Annahme widerspricht aber dem Wesen des Bewußtseins selbst, welches darin besteht: irgendeinen objektiven,  real  vorhandenen Gedankenprozeß in subjektiver Form abzuspiegeln. Kommt nun also unser Bewußtsein zur  unmittelbaren  Anschauung einer Sukzesseion und eines Nebeneinander von inneren Momenten und faßt diese Anschauung in Form von Zeit und Raum auf, so sind diese, dem soeben Gesagten gemäß, als subjektive Abspiegelungen real vorsichgehender geistiger Prozesse aufzufassen; also also subjektive Formen mit objektivem Gehalt. Wäre dem nicht so, hätte das Bewußtsein seine rein-subjektiven Formen ohne jeglichen objektiven, vom Bewußtseins unabhängigen und ansich-seienden Gehalt, so wäre es überhaupt außer Stande, irgendetwas außer sich selbst wahrzunehmen; denn das objektive Geschehen, das nicht diesen Formen entspräche, wäre für das Bewußtsein überhaupt nicht wahrnehmbar, und das Bewußtsein könnte stets und unter allen Bedingungen nur sich selbst abspiegeln und niemals irgendetwas Neues in sich aufnehmen. Dies macht aber jede Unterscheidung, jede Gegenüberstellung des Subjektiven und Objektiven unmögliche; eine Unterscheidung und Gegenüberstellung, die als die faktische psychologische Grundlage nicht bloß des Bewußtseins, sondern aller Erkenntnis anerkannt werden muß.

Wir wollen für diesmal auf den Raum- und Zeitbegriff nicht weiter eingehen und nur den Begriff der  Notwendigkeit  von dem soeben angedeuteten Standpunkt aus einer Analyse unterwerfen.


I.

Indem wir den Begriff der  Notwendigkeit  einer Untersuchung unterwerfen wollen, müssen wir vor allem auf die verschiedenartige Bedeutung dieses Wortes hinweisen.

SCHOPENHAUER spricht in seinem Buch über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund von einer  vierfachen  Notwendigkeit, nämlich die  logische  nach dem Satz vom Erkenntnis grund,  die  physische  nach dem Gesetz der Kausalität, die mathematische nach dem Satz vom Grund des Seins, und schließlich die  moralische  nach dem Gesetz der Motivation. Ich halte die Klassifikation der verschiedenen Bedeutungen des Notwendigkeitsbegriffes nicht für zureichend und will mich an folgende, wie ich glaube, einfachere und doch vollere Klassifikation halten, wonach ich eine  rationale,  eine  empirische  und schließlich eine  metaphysische  Notwendigkeit unterscheide. - Ich will vor allem diese Arten der Notwendigkeit ihrem Inhalt nach charakterisieren.

Die  rationale  oder auch  ideale  Notwendigkeit findet dann statt, wenn wir etwas aus Vernunftgründen als  seinsollend  erklären, ohne daß wir damit sagen wollen, daß das Seinsollende auch stets  wirklich  ist; wir weisen bloße darauf hin, daß dieses oder jenes so sein  muß,  wenn es seiner Idee entsprechen, wenn es  vernunftgemäß  sein  soll.  Hierher gehört das Wort KANTs, wenn er sagt:
    "Das  Sollen  drückt eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt."
Die gesamte Logik,  Ästhetik  und Ethik gründen sich auf diese  rationale  Notwendigkeit des Sollens. Die Logik weist darauf hin, welcher Art unsere Begriffe, Urteile, Schlüsse sein  müssen,  wenn sie  wahr,  d. h. der Idee der Wahrheit gemäß sein wollen; die Ästethik weist die Bedingungen nach, welchen ein Objekt notwendigerweise entsprechen  muß,  wenn es Gefallen erwecken und das Prädikat des Schönen erhalten soll; die Ethik zeigt schließlich, welcher Art die Gesinnung und Handlung sein  muß,  wenn sie für sittlich und gut erklärt sein will. - Mit dem Hinweis auf eine solche logische, ästhetische und moralische  Notwendigkeit  schließen wir zwar die reale, d. h. die empirische Existenz des Unlogischen, Unschönen und Unsittlichen nicht aus; aber wir weisen auf die Existenz einer  notwendigen  Norm hin, welche im Logischen, Ästhetischen und Sittlichen berücksichtigt werden  muß,  wenn vernunftgemäß verfahren werden soll. Wir haben es hier also mit einer rein  idealen  Notwendigkeit zu tun, die sich als ideales Gesetz und Norm, als  Forderung,  oder um kantisch zu sprechen, als  kategorischer Imperativ,  als  Soll  geltend macht; ohne aber mit dem Nebenbegriff des Zwangs, der Unmöglichkeit des Andersseins verbunden zu sein. Aus dem Gesagten folgt, daß die rationale oder ideale Notwendigkeit als solche die Freiheit, d. h. die Möglichkeit der Abweichung von gewissen Vernunfterfordernissen, die Möglichkeit des Andersseins, nicht ausschließt.

Unter  empirischer  oder auch  realer  Notwendigkeit ist die Notwendigkeit im Sinne der  wissenschaftlichen  Naturerkenntnis zu verstehen, wonach von Notwendigkeit nur unter der  Voraussetzung  der Unveränderlichkeit der Naturgesetze gesprochen werden kann. Die  Beständigkeit  und  Gleichförmigkeit  in diesem Zusammenhang und der Aufeinanderfolge der erfahrungsmäßig vorliegenden Erscheinungen führt den Empiriker zum Begriff der  Naturgesetze welche nichts anderes sind als der Ausdruck, die Formel für diese Beständigkeit in der Aufeinanderfolge gewisser, durch die Erfahrung konstatierter Erscheinungen. Indem nun der Empiriker, unabhängig von der Erfahrung  voraussetzt,  daß diese Naturgesetz  unveränderlich  sind und nicht bloß heute, für die, unserer Forschung zugängliche Spanne Zeit, gelten, sondern seit jeher gegolten haben und stets gelten werden, spricht er von einer  Naturnotwendigkeit,  welche darin besteht, daß unter gewissen Umständen stets ganz bestimmte und keine anderen Erscheinungen zutage treten  müssen.  Was nun diese Voraussetzungen der  Unveränderlichkeit  der Naturgesetze selbst betrifft, so gehört sie nicht mehr in das Gebiet der Empirie, sondern in das der  Metaphysik,  denn die Erfahrung kann über diese Unveränderlichkeit  nichts  mitteilen; sie kann unmöglich mit Bestimmheit sagen, daß vor Millionen Jahren absolut dieselben Naturgesetze gegolten haben wie heute, oder daß in Zukunft stets dieselben Naturgesetze gelten werden. Ein derartiger Satz ist seinem Inhalt nach rein  rational  und  metaphysisch  und kann daher auch nur bei einer Erörterung der Kategorie der  metaphysischen  Notwendigkeit in Erwätung gezogen werden. Die  empirische  Notwendigkeit hat mit diesem Satz nichts zu schaffen; diese gründet sich ausschließlich auf den faktischen Tatbestand und spekuliert weder über die außerhalb aller Erfahrung liegende Vergangenheit nocht über die im Schoße der Möglichkeiten ruhende Zukunft. Vom  empirischen  Standpunkt aus ist der Begriff der Notwendigkeit ein höchst  hypothetischer;  er bezeichnet nur die Beständigkeit und Gleichförmigkeit in einem Zusammenhang und der Aufeinanderfolge der durch die Erfahrung erforschten Erscheinungen.

Daß dem wirklich so ist, d. h. daß die  wissenschaftliche  Empirie von Notwendigkeit nur sprechen kann im Sinne eines beständigen Zusammenhangs und einer gleichförmigen Aufeinanderfolge der Erscheinungen, das beweist aufs Klarste die Entwicklung des Notwendigkeitsbegriffs in der empirischen Schule von LOCKE bis MILL.

LOCKE weist darauf hin, daß Notwendigkeit auf das Gesetz der Kausalität zurückzuführen ist; Kausalität sei aber, empirisch genommen, nichts anderes als das einfache Faktum der Verknüpfung und Aufeinanderfolge der Erscheinungen. Wenn der Erscheinung  A  erfahrungsgemäß stets die Erscheinung  B  folgt, so heißt die erstere die Ursache, die letztere die Wirkung oder Folge. Von Notwendigkeit kann nur in diesem Sinn gesprochen werden.

Eingehender erörter diesen Begriff DAVID HUME im 7. und 8. Abschnitt seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand. Er nennt die Frage nach Notwendigkeit und Freiheit "die bestrittenste Frage der bestrittensten Wissenschaft, nämlich der Metaphysik" und führt, wie bekannt, alle Erscheinungen auf Notwendigkeit zurück. Selbst die geistigen und moralischen Erscheinungen sind, nach HUME, aus  notwendigen  Ursachen abzuleiten, und die etwaigen Unregelmäßigkeiten oder Abweichungen sind nur in der  versteckten,  unserer Erkenntnis nicht zugänglichen Wirksamkeit gewisser Ursachen zu suchen. So z. B. meint HUME, wenn ein gutmütiger Mensch uns eine  mürrische  Antwort gibt, so geschieht dies nicht unmotiviert, sondern hat sicherlich seine Ursache darin, daß der Betreffende entweder an Zahnschmerzen leidet oder noch nicht zu Mittag gegessen hat; oder wenn ein dummer Mensch sich unerwarteterweise aufgeweckt und lebhaft zeigt, so liegt dem sicherlich eine versteckte Ursache zugrunde, z. B. daß ihm plötzlich etwas Angenehmes zugestoßen war, usw. - Aber trotz all dieser  rationalen  Verallgemeinerung des Begriffs der Notwendigkeit, wonach dieselbe stets und überall angewandt wird, kommt HUME doch bei genauer Analyse dieses Begriffs vom empirischen Standpunkt aus zu dem einfachen Satz, daß Notwendigkeit im Grunde nichts anderes als die Generalisation der Gleichförmigkeit und Beständigkeit in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen ist. Die  Ursache  definiert HUME (Übersetzung von KIRCHMANN) einfach als "einen Gegenstand, dem ein anderer folgt und dessen Eintritt immer die Gedanken auf diesen anderen führt." Und von der Notwendigkeit sagt er:
    "Unser Begriff einer Notwendigkeit und Verursachung entspringt lediglich aus der wahrgenommenen Gleichförmigkeit in der Natur, in welcher gleiche Dinge immer miteinander verknüpft sind und die Seele durch Gewohnheit bestimmt wird von dem Einen auf das Andere zu schließen ... Ohne die beständige Verbindung gleicher Dinge und der richtigen Folgerung des Einen aus dem Andern hätte man keinen richtigen Begriff von Notwendigkeit und Verknüpfung."
An einer anderen Stelle sagt HUME:
    "Wenn man die Wirksamkeit der Körper und die Hervorbringung der Wirkungen aus ihren Ursachen untersucht, so findet sich, daß all unser Denken uns in der Kenntnis dieser Beziehung nicht weiter bringt, als zu der einfachen Bemerkung, daß gewisse Dinge beständig miteinander verbunden sind, und daß die Seele durch einen  gewohnten Gedankengang  bei Eintritt des einen zum Glauben des andern bestimmt wird." "Diese Beständigkeit ist das wahre Wesen der Notwendigkeit und man hat keinen anderen Begriff davon."
In ähnlicher Weise sagt JOHN STUART MILL in seiner "Logik" (6. Buch, 2. Kapitel, Übersetzung von SCHIEL):
    "Viele glauben nicht und sehr Wenige fühlen wirklich, daß in der Verursachung nichts steckt als unveränderliche, bestimmte und unbedingte Sequenz. Es gibt nur wenige Menschen, denen die bloße Beständigkeit in der Folge als ein hinreichend starkes Band der Vereinigung für eine so eigentümliche Relation, wie die von Ursache und Wirkung, erscheint. Wenn auch die Vernunft das Gefühl irgendeines innigeren Zusammenhanges, eines besonderen Bandes, oder eines geheimnisvollen, vom Antecedens [Vorhergehenden - wp] auf das Consequens [Nachfolgendes - wp] ausgeübten  Zwanges  verwirft, so wird es die Einbildungskraft doch bewahren." Aber, setzt  Mill  hinzu, "gegenwärtig nehmen die besseren philosophischen Autoritäten auch nicht mehr an, es werde ein solcher geheimnisvoller Zwang von irgendeiner Ursache auf ihre Wirkung ausgeübt."
Und indem er darauf die Ausdehnung des Begriffs der Notwendigkeit auf die psychologischen Erscheinungen des Willens erörtert, sagt MILL:
    "Diejenigen, welche der Ansicht sind, daß die Ursachen ihre Wirkungen durch ein mystisches Band nach sich ziehen, haben Recht, wenn sie glauben, das Verhältnis zwischen dem Wollen und seinen Antezedentien sei von einer anderen Natur. Aber sie sollten weiter gehen und zugeben, daß dies von  allen  anderen Wirkungen und ihren Antezedentien wahr ist. Wenn ein  solches  Band im Wort  Notwendigkeit  inbegriffen liegt, so ist die Lehre in Bezug auf die menschlichen Handlungen  nicht  wahr; sie ist aber dann auch in Bezug auf leblose Gegenstände nicht wahr. Es wäre richtiger, zu sagen, die Materie sei  nicht  durch die Notwendigkeit beherrscht, als zu sagen, der Geist  sei  es."
In der weiteren Auseinandersetzung legt nun MILL vollkommen klar dar, wie sogar die Anhänger der Notwendigkeitslehre vielfach von einem  empirischen  Begriff der Notwendigkeit abweichen und in ihr mehr suchen als in ihr erfahrungsgemäß steckt, nämlich mehr als bloße Beständigkeit in der Aufeinanderfolge oder Sequenz der Erscheinungen.

Zu dieser Definition der Notwendigkeit, vom empirischen Standpunkt aus, ist nur noch hinzuzufügen, daß sie dem Begriff der Freiheit ebensowenig widerspricht wie die rationale oder ideale Notwendigkeit. Wie die letztere die Möglichkeit des Andersseins und die Existenz des Unlogischen, Unschönen und Unsittlichen, d. h. die  empirische  Freiheit nicht ausschließt: so schließt die soeben dargelegte empirische Notwendigkeit, als Beständigkeit in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen, die  metaphysische  Freiheit nicht aus, d. h. sie kann nicht behaupten, daß das, den empirischen Erscheinungen zugrundeliegende  Wesen  unfrei ist, daß es nicht anders erscheinen  kann  als es erscheint; denn das empirische Faktum der Beständigkeit in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen sagt nichts darüber aus, ob das die Erscheinungen erzeugende Wesen  darum  beständig und unveränderlich ist, weil es so sein  muß  und nicht anders sein  kann,  oder  darum,  weil es so und nicht anders sein  will.  Man  kann,  ohne die empirische Notwendigkeit als Beständigkeit der Naturerscheinungen im Geringsten zu alterieren,  der  Meinung sein, daß das Grundwesen der Natur ein völlig  freies  ist und daß wir nur  deswegen  Beständigkeit und Gleichförmigkeit in der Aufeinanderfolge der Naturerscheinungen beobachten, weil das ihnen zugrundeliegende Wesen beständig sein  will,  weil es nun einmal den Vorsatz gefaßt hat, sich nicht in regellosen, unbeständigen Erscheinungen zu äußern, sondern dieselben in geordneter, beständiger und gleichförmiger, d. h. nach Gesetzen geregelter Weise zutage treten zu lassen. Mit dem Faktum der Beständigkeit der Naturerscheinungen ist also nicht gesagt, daß sich das Wesen derselben nicht jeden Augenblick anders äußern  könnte,  wenn es eben  wollte,  daß es äußerlich  gezwungen  wäre, sich so und nicht anders zu äußern; es ist nur gesagt, daß es sich, soweit wir erfahren, ebenso und nicht anders  äußert,  ohne daß über den inneren Zusammenhang zwischen den Erscheinungen und dem sie erzeugenden Wesen damit irgendetwas ausgesagt wird.

Um dieses Verhältnis völlig klar zu machen, erlaube ich mir ein einfaches Beispiel anzuführen.

Gesetzt zwei Personen hätten die Verabredung getroffen, daß die Eine stets die Bewegungen der Anderen nachahmt. Sobald  A  den Kopf bewegt, die Hand oder den Fuß hebt, tut es sogleich auch  B  und ahmt überhaupt alles nach, was  A  tut. Nun kommt eine dritte Person hinzu als Beobachter und Forscher, der von dieser Verabredung nichts weiß und überhaupt die hervortretenden Erscheinungen rein objektiv untersucht, als hätte er bloß Naturobjekte vor sich. Er sieht dann, daß auf bestimmte Bewegungen von  A  steht bestimmte Bewegungen von  B  folgen. Der Beobachter wird durch diese sonderbare Übereinstimmung und Korrespondenz der Erscheinungen frappiert [überrascht - wp] und beginnt die Sache näher zu untersuchen. Das innere  Wesen  dieser Erscheinungen ist ihm nicht unmittelbar zugänglich; die Personen  A  und  B  verraten ihr Geheimnis nicht; und so muß er sich dann an die Erscheinungen selbst wenden und durch eigene Experimente das Geheimnis zu lösen suchen. Was findet nun aber der Forscher bei seinem selbständigen Eingreifen in diese Erscheinungen? Er hebt selbst die Hand von  A:  gleich darauf hebt sich die Hand von  B;  der Forscher senkt die Hand von  A:  gleich darauf senkt sich die Hand von  B;  der Forscher hebt den Fuß von  A:  die Folge ist, daß auch der Fuß von  B  gehoben wird usw. Kurz: dwas auch der Forscher mit der Person  A  beginnen mag, welche Bewegungen er auch bei seinen Experimenten hervorrufen mag: er findet  beständig  und  regelmäßig,  daß mit einer bestimmten Bewegung von  A  eine bestimmte Bewegung von  B  verknüpft ist, und gelangt nun sogar zur Konstatierung gewisser Naturgesetze, wonach mit bestimmten Bewegungen von  A  stets entsprechende Bewegungen von  B  korrespondieren; so daß die Bewegungen von  B  die Folge der Bewegungen von  A  sind.

Wir haben in diesem gegebenen Beispiel alles, was zur Bildung des Begriffs der empirischen Notwendigkeit im Sinne einer Beständigkeit und Regelmäßigkeit in der Verknüpfung und Aufeinanderfolge der Erscheinungen nötig ist. Aber trotz all dem zeigt uns dieses Beispiel, daß der empirischen Regelmäßigkeit eine versteckte und geheim wirkende  Freiheit  zugrundeliegen  kann.  Die Regelmäßigkeit und Übereinstimmung in den Bewegungen der beiden Personen  A  und  B  ist das Resultat einer freien Selbstbestimmung, ihres freien Entschlusses, von dem sie jeden Augenblick abkommen  könnten,  wenn sie  wollten. B  hätte in jedem einzelnen Fall eine andere Bewegung machen  können  als  A; B  ist nicht  gezwungen  worden, seine Bewegungen den Bewegungen von  A  anzupassen;  B  hat seine Bewegungen denjenigen von  A  nur aus  freien  Stücken angepaßt, eingedenk der  freien  Verabredung und in der  freien  Absicht, von dem einmal gefaßten Entschluß nicht abzuweichen. Jene empirisch hervortretende Beständigkeit und Regelmäßigkeit, die dem Beobachter und Forscher in Form  notwendiger  Naturgesetze entgegengetreten ist, ist demnach in dem angeführten Beispiel einfach das Resultat beständig sich wiederholender Akte völliger Selbständigkeit und Freiheit. Nur weil  B wollte  trat eine Regelmäßigkeit und Übereinstimmung in seinen Bewegungen mit denen von  A  hervor. Hätte  B gewollt,  so wäre eine solche Regelmäßigkeit, ein solches Gesetz, nie zutage getreten; hätte  B  gewollt, so hätte er diese Regelmäßigkeit, dieses vermeintliche  zwingende Naturgesetz  jeden Augenblick unterbrechen  können;  er hätte jeden Augenblick aufhören  können,  die Bewegungen von  A  nachzuahmen, um so den, an diese Übereinstimmung  gewöhnten  Beobachter durch ganz neue, unregelmäßige Erscheinungen ins größte Erstaunen zu versetzen. Der Beobachter würde dann eine derartige Abweichung, besonders wenn sie nur vorübergehend war, ein  Wunder  nennen müssen - eine Erscheinung, die von der  gewohnten  Gleichförmigkeit abgewichen ist. Die  Möglichkeit solcher  Wunder kann selbst der strengste Empiriker nicht leugnen.

Welcher Empiriker will aufgrund wissenschaftlicher, aus der  Erfahrung  geschöpfter Beweise behaupten, daß bei der Regelmäßigkeit und Beständigkeit in der Verknüpfung und Aufeinanderfolge der Naturerscheinungen keine ähnliche versteckte  Freiheit  im Spiel ist? Wer kann beweisen, daß die gegenwärtige Verknüpfung der Erscheinungen, wie sie empirisch vorliegt, durch eine innere  Nötigung  geschieht und daher so sein  muß,  wie sie ist, und niemals anders sein  konnte,  noch anders sein  kann?  Wer will hier, auf empirischem Gebiet, mit irgendeinem Schein von Recht, die  Möglichkeit  der Freiheit, der freien Selbsttätigkeit, also auch die  Möglichkeit  einer Abweichung von dieser Regelmäßigkeit negieren? Sollte dies wirklich ein  Empiriker  tun, so würde er nur beweisen, daß er die überzeugenden Auseinandersetzungen von HUME und MILL über diesen Gegenstand nicht kennt, daß er nicht weiß, wie der  empirische  Notwendigkeitsbegriff dieser, auf die  Erfahrung  sich stützender Denker die Freiheit durchaus nicht ausschließt. HUME und MILL beweisen klar und unumstößlich, daß mit ihrem  empirischen  Begriff der Notwendigkeit, als Regelmäßigkeit in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen, sich der Begriff der  Freiheit  sehr wohl verträgt; und wenn sie auch nicht auf die metaphysische Freiheit im Sinne des obigen Beispiels hinweisen - sie wollen nun einmal konsequent von Metaphysik nichts wissen - so stellen sie doch die Verträglichkeit der  psychologischen  Freiheit mit ihrem empirischen Begriff der Notwendigkeit außerhalb jeden Zweifels.

Ich gehe nun über zur Charakteristk der letzten der angeführten Arten der Notwendigkeit, nämlich der  metaphysischen. 

Unter dem Begriff der  metaphysischen  Notwendigkeit ist, im Unterschied von der rationalen und empirischen, diejenige Auffassung der Notwendigkeit zu verstehen, wonach das Sein ansich, in seiner Wirksamkeit,  notwendig  bestimmt wird, d. h. sich so äußern  muß,  wie es tut, und sich niemals äußern  kann,  wie es sich eben äußert. Ziehen wir das Kausalgesetz in den Bereich dieses Notwendigkeitsbegriffs, so ist die metaphysische Notwendigkeit identisch mit der von MILL, vom empirischen Standpunkt aus, bekämpften Art der Verknüpfung der Erscheinungen, wonach behauptet wird, daß eine Erscheinung nach der andern mit  innerem Zwang  folgt; daß es unumstößliche Gesetze gibt, welche die Erscheinungswelt notwendigerweise regeln und von denen Niemand, kein Mensch und kein Gott abweichen kann, denen sich vielmehr alles Seiende, Gott und die Welt, unbedingt, absolut und unveränderlich unterwerfen  muß. 

MILL hat Recht, wenn er diesen metaphysischen Notwendigkeitsbegriff vom Standpunkt der Erfahrung aus bekämpft, denn dieser Begriff ist nicht aus der Erfahrung geschöpft; aber MILL hat nicht recht, den vollen Begriff der Notwendigkeit mit dem der empirischen Notwendigkeit zu identifizieren und dem metaphysischen Notwendigkeitsbegriff nicht auf das Gebiet der Metaphysik zu folgen, um ihn hier kritisch zu prüfen, statt ihn ohne eine solche Prüfung einfach zu verwerfen.

Der Begriff der metaphysischen Notwendigkeit hat sich  historisch  ausgebildet; er ist aufs Engste verknüpft sowohl mit dem spinozistischen Determinismus, wie mit der Metaphysik des modernen Materialismus, der seinen Begriff notwendiger Naturgesetze nicht der  Naturwissenschaft  entnimmt, wie er vorgibt, sondern denselben, unabhängig von aller Erfahrung, aus der trüben Quelle einer rohen metaphysischen Spekulation schöpft.

SPINOZA sagt (Ethik I, prop. 16. 29. 33):
    "Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur muß Unendliches auf unendliche Weise folgen." "In der Natur gibt es nichts Zufälliges, sondern alles ist durch die Notwendigkeit der göttlichen Natur  determiniert,  in einer gewissen Weise zu sein und zu wirken." "Die Dinge konnten von Gott nicht in anderer Weise und in keiner anderen Ordnung hervorgebracht werden als sie hervorgebracht worden sind."
Wenn SPINOZA dennoch Gott als die  freie  Ursache (causa libera) seiner selbst und seiner Wirksamkeit bezeichnet, so ist zu beachten, daß er in diesem Fall Freiheit und Notwendigkeit einfach identifiziert, indem er sagt, daß dasjenige Ding  frei  zu nennen ist, das nach der  Notwendigkeit  seiner eigenen Natur existiert und wirksam ist.

Schon in dieser historischen Bedeutung verdient der metaphysische Notwendigkeitsbegriff als selbständige Kategorie neben den anderen aufgestellt zu werden, und wenn er auch einer strengen Analyse und Kritik unterworfen werden muß, wie dies ja von jedem anderen Begriff auch gefordert wird, so kann man ihn doch nicht ohne eine derartig eingehende Kritik verwerfen. Er muß ebenso als psychologisches und metaphysisches Problem aufgestellt werden, wie die Begriffe der rationalen und der empirischen Notwendigkeit.

Was die Beziehung der metaphysischen Notwendigkeit zur Freiheit betrifft, so schließen sich beide absolut aus. Die metaphysische Notwendigkeit negiert den Freiheitsbegriff in jeglicher Form, d. h. sowohl die metaphysische Freiheit wie auch die empirisch-psychologische; denn wenn einmal das Grundwesen aller Erscheinungen als von notwendigen Gesetzen abhängig anerkannt wird, so kann konsequenterweise auch keiner der Erscheinungen irgendeine freie Selbständigkeit zugestanden werden; sie alle sind  notwendige,  durch einen  inneren Zwang  bedingte Folgen vorhergehender Ursachen; der Freiheitsbegriff selber erscheint von diesem Standpunkt aus nur als eine Täuschung, die durch gewisse psychologische Ursachen  notwendigerweise  hervorgerufen wird.


II.

Nach dieser vorläufigen Charakteristik der verschiedenen Begriffe, die mit dem Wort  Notwendigkeit  verknüpft werden, gehen wir nun zur  psychologischen  Analyse dieser Begriffe über.

Vor allem werde ich wohl auf keinen erheblichen Widerspruch stoßen, wenn ich sage, daß die  psychologische  Quelle des Notwendigkeitsbegriffs im Bewußtsein unserer subjektiven  Abhängigkeit  von objektiv gegebenen und unserem Willen nicht unterworfenen Bedingungen zu suchen ist. Nur indem wir zum Bewußtsein gelangen, daß gewisse, in unserem Geistesleben wurzelnde und von uns angestrebte subjektive Ziele in ihrer Realisierung von ganz bestimmten objektiven Bedingungen abhängig sind; von Bedingungen, die wir nicht in unserer Macht haben, die wir daher nicht abändern können, trotz unserer Wünsche, denen wir vielmehr uns anpassen  müssen,  wenn wir unsere subjektiven Ziele und Absichten erreichen wollen; nur indem wir zu diesem Bewußtsein gelangen, macht sich in uns der Begriff einer objektiven, von uns unabhängigen Norm geltend, eines objektiven  notwendigen Gesetzes,  das wir in unserem Tun befolgen  müssen,  wenn wir unsere subjektiven Bestrebungen realisieren wollen.

So wurzelt also der Begriff des Gesetzes, einer objektiven Norm im einfachen Bewußtsein der subjektiven Abhängigkeit von objektiven, unserem Willen nicht unterworfenen Bedingungen. Ein  Gesetz  ist von diesem Standpunkt aus betrachtet nichts anderes, als die Summe von Bedingungen, deren wir uns bewußt sind einhalten zu  müssen,  wenn wir gewisse subjektive Bestrebungen realisieren wollen.

Eine nähere psychologische Analyse soll diesen Ursprung des Gesetzesbegriffs und des darauf gegründeten Begriffs der Notwendigkeit näher darlegen.

Wir empfinden von Kindheit an Hunger, Durst und andere leibliche Bedürfnisse. Die bloße Existenz solcher unbehaglicher Empfindungen, solcher Unlust, ruft in uns unmittelbar das Bewußtsein unserer  Ohnmacht  wach; denn da wir, vermöge unserer subjektiven Natur, jede unbehagliche Empfindung zu beseitigen  streben,  so zeigt uns die noch so kurz andauernde Existenz einer derartigen Empfindung unmittelbar, daß bei uns das  Streben  nach einem Ziel nicht immer mit der Realisierung desselben zusammenfällt, daß wir also  ohne  Erfolg streben können, d. h. daß unser Streben  ohnmächtig  sein. Da nun aber die unbehaglichen Empfindungen in unserem Leben nicht selten sind und oft lange andauern, so entwickelt sich aus ihnen ganz natürlich ein ziemlich konstantes Ohnmachtsbewußtsein, d. h. das Bewußtsein, daß wir  nicht  alles  können,  was wir wollen, wünschen und anstreben.

Dieses Bewußtsein erhält durch die reifere Überlegung und durch Erfahrungen bei höheren geistigen Bestrebungen stets neue Nahrung. Wir empfinden gar oft geistigen Hunger und Durst und können die daraus entspringenden unbehaglichen Gefühle nur selten beseitigen. Wir schmachten z. B. nach geistiger Klarheit und geistigem Licht; wir fühlen uns gedrückt in dem Bewußtsein, in der Welt zu leben und nicht zu wissen, wozu wir da sind und was uns erwartet, und doch sind wir nicht fähig, das uns umgebende unbehagliche geistige Dunkel zu beseitigen. Wir leiden unter der Unvollkommenheit und Verkommenheit der menschlichen Verhältnisse, - und  müssen  doch auf jedem Schritt und Tritt erfahren, daß wir ihnen gegenüber ohnmächtig dastehen; daß wir den Lauf der Dinge weder aufhalten, noch ändern können.

Ja, je tiefer wir in unser Bewußtsein herabsteigen, desto mächtiger regt sich in uns das Gefühl unserer  Ohnmacht.  Wir streben nach diesem und jenem, nach Hohem und Niederem, nach Wahrheit und Wohlergehen, nach Vollkommenheit und Glückseligkeit. Aber was beweist dieses Streben: unsere Macht und Kraft oder unsere Ohnmacht? Bin  ich  es wirklich  selbst,  der nach dem allen strebt, oder  muß  ich nach all dem streben, weil es meine geistige und physische Natur so und nicht anders von mir fordert? Kann  ich  mich frei machen von meinen Bestrebungen? Bin ich Herr oder Sklave meiner Natur, der alle meine Bestrebungen entkeimen? Vollkommen klar ist die Sache nicht, da ja so viele Menschenkenner so verschieden auf diese Fragen antworten: die Einen mit  Ja,  die anderen mit  Nein. Ich  weiß nur so viel, daß ich lebe und strebe und daß  ich  einen  gewissen  Anteil am Inhalt und der Kraft meiner Bestrebungen habe; aber wie groß oder klein dieser Anteil ist, das weiß ich nicht genau; ich weiß nur, daß ich in letzter Instanz mit meinem Leben und Streben nicht in mir selber, sondern in einem Andern wurzle, und daß dieses Andere mich nicht bloß in meinen Bestrebungen gar oft einschränkt, sondern mir auch oft einen bestimmten Inhalt aufzwingt, ja mich sogar oft wie einen ohnmächtigen Spielball mit sich fortreißt.

Zu dem soeben geschilderten Gefühl der subjektiven Ohnmacht gesellt sich sehr bald das Gefühl der  Abhängigkeit  von ganz gewissen objektiven Bedingungen. Dieses Gefühl der Abhängigkeit entsteht naturgemäß durch den uns zu Bewußtsein kommenden Wechsel zwischen unbehaglicher und behaglicher Empfindung, zwischen Unlust und Lust. Indem wir nach Lust streben und vielfach den Übergang von Unlust zur Lust wahrnehmen, bemerken wir, daß dieser Wechsel nur unter  gewissen  Umständen und Bedingungen eintritt; daß wir also unser Streben nach bestimmten, uns befriedigenden Zielen nur durch die Erfüllung ganz bestimmter Erfordernisse nach Wunsch realisieren können. Hunger und Durst sind nur zu befriedigen durch ganz bestimmte, dem Geschmack zusagende und dem Magen zuträgliche Substanzen. Der Erkenntnistrieb ist nur zu befriedigen bei Einhaltung gewisser, dem denkenden Menschen zu Bewußtsein kommender logischer Erfordernisse. Der Trieb nach ästhetischem Wohlbehagen, nach sittlicher Zufriedenheit ist nur zu befriedigen bei Erfüllung ganz bestimmter, aus der menschlichen Vernunftanlage entspringender Bedingungen. Ebenso müssen ganz bestimmte Erfordernisse eingehalten werden, wenn die verschiedensten Güter des geistigen und leiblichen Wohlergehens, sei es erreicht, sei es bewahrt werden sollen. Kurz: der Mensch erfährt auf Schritt und Tritt, daß sein Streben nur dann mit dem gewünschten Erfolg gekrönt werden kann, d. h. daß seine Ziele nur dann wenigstens annähernd erreicht und realistiert werden können, wenn er sich in seinem Leben und Streben, in seinem Dichten und Trachten an ganz gewisse, von seinem Willen und Wünschen unabhängige Bedingungen hält und diese pünktlich erfüllt. Weicht er von diesen Bedingungen ab - was ja faktisch vorkommt - will er etwas mit Vernachlässigung dieser Bedingen oder etwas erstreben, wozu ihm die erforderlichen Bedingungen fehlen, so bleiben seine Bestrebungen und Ziele unerfüllt und er selbst wird dem quälenden Gefühl der inneren Unzufriedenheit, des Zerfalls mit sich selbst und seinem Los preisgegeben.

Wenn wir nun weiter bemerken, daß die soeben erwähnten Bedingungen, - sie seien äußerer, physischer oder innerer, rationaler Natur - ihrem Inhalt nach, soweit unsere Erfahrung reicht, sich stets gleich bleiben, d. h. daß die Erreichung  gewisser  Ziele stets von der Erfüllung  gewisser  Bedingungen abhängt (Hunger und Durst können nur auf gewisse Art und nur durch gewisse Substanzen gestillt werden; Erkenntnis kann nur auf gewisse Weise und nur durch gewisse Denkprozesse erreicht werden etc. etc.), und daß uns diese nbsp;>Beständigkeit  in der Abhängigkeit gewisser Ziele von gewissen Bedingungen sehr bald zu Bewußtsein kommt, so haben wir alle  psychologischen  Elemente des Gesetzesbegriffs der Reihe nach aufgezählt. Sie sind folgende:
    1) Bewußtsein unserer subjektiven Ohnmacht gegenüber dem objektiven Geschehen;

    2) Bewußtsein der Abhängigkeit eines erfolgreichen Tuns von gewissen objektiven Bedingungen, und schließlich

    3) das Bewußtsein eines  beständigen  Zusammenhangs zwischen der Erreichung gewisser Ziele und der Erfüllung gewisser Bedingungen.
Aufgrund dieses Gesetzesbegriffs stellt sich die  Notwendigkeit  psychologisch dar als das Bewußtsein der unbedingten Abhängigkeit eines jeden erfolgreichen subjektiven Strebens von gewissen, sich stets gleichbleibenden Erfordernissen oder Bedingungen.

Eine weitere Darlegung der psychologischen Elemente des Notwendigkeitsbegriffs verlangt nun, daß wir unser Augenmerk auf die  objektiven  Bedingungen selbst richten, von denen jedes erfolgreiche subjektive Streben abhängt, und uns Rechenschaft darüber geben, auf welche Art und Weise sich diese Bedingungen in unserem Bewußtsein geltend machen.

Hier ist vor allem zu bemerken, daß unser Bewußtsein aufgrund innerer Erfahrung klar und deutlich zwei Arten von objektiven Bedingungen oder Normen seiner subjektiven Tätigkeit unterscheidet, nämlich  äußere  oder  physische  und  innere  oder  rationale. 

Die  äußeren  oder  physischen  Bedingungen einer erfolgreichen subjektiven Tätigkeit stellen sich unserem Bewußtsein dar in Form der vorhin charakterisierten empirischen Notwendigkeit, d. h. in Form einer, von unserem Willen völlig unabhängigen beständigen Verknüpfung der Naturerscheinungen, an die wir unser Tun anpassen  müssen,  wenn wir im Gebiet der Außenwelt irgendetwas erzielen wollen. Die Summe dieser äußeren oder physischen Bedingungen, von denen wir unser Tun abhängig wissen, nennen wir  Naturgesetze. 

Die  inneren  oder  rationalen  Bedingungen einer erfolgreichen subjektiven Tätigkeit treten dagegen in unserem Bewußtsein in Form der ebenfalls oben schon charakterisierten  idealen  Notwendigkeit, d. h. in Form gewisser Vernunfterfordernisse auf, welche die Realisierung gewisser Vernunftzwecke bedingen, und sich in unserem Bewußtsein als  Vernunftgesetze  geltend machen.

Psychologisch  gründet sich sowohl der Begriff der Naturgesetze als auch der der Vernunftgesetze, d. h. sowohl die empirische wie auch die ideale Notwendigkeit auf das oben erörterte Bewußtsein der unbedingten Abhängigkeit unseres erfolgreichen Tuns von gewissen, sich gleichbleibenden Bedingungen. Wir wissen  psychologisch  sowohl von Naturgesetzen wie auch von Vernunftgesetzen nur insofern etwas, als sich in uns jenes Bewußtsein der Abhängigkeit geltend macht. Dem Begriff sei es der Natur- sei es der Vernunftgesetze irgendeinen anderen Inhalt geben, außer diesem einfachen Bewußtsein, heißt aus dem Gebiet der Psychologie in das der Metaphysik übergehen, wozu aber die Berechtigung erst in jedem Fall nachgewiesen werden muß.

Aber trotz dieser gemeinschaftlichen Quelle, welche im Abhängigkeitsgefühl zu suchen ist, existiert doch ein sehr klarer Unterschied zwischen den psychologischen Elementen der Naturgesetze und denen der Vernunftgesetze, d. h. zwischen der empirischen und der idealen Notwendigkeit.

Die  empirische  Notwendigkeit, d. h. die physischen Bedingungen unseres Tuns, stellen sich uns einfach dar als absolut  äußere  Schranke, deren inneren Sinn und innere Berechtigung wir nicht unmittelbar verstehen; denen wir uns daher aus einem äußeren  Zwang  unterwerfen, weil wir eben  müssen  und nicht anders können, die wir aber wünschten beseitigen zu können und die wir auch nach Kräften zu beseitigen suchen, obwohl wir uns hierbei  notgedrungen  den bestehenden Naturgesetzen anpassen müssen, da wir nur mit ihrer Hilfe die uns einengenden äußeren Schranken, wenn nicht zu beseitigen, so doch zumindest auszudehnen vermögen. Die gesamte Entwicklung der Kultur und Industrie ist nichts Anderes als das Resultat eines beständigen Ankämpfens des Menschen gegen die Schranken der empirischen Notwendigkeit, um sich ein möglichst weites Feld der Freitätigkeit zu verschaffen. Mit Hilfe der Naturgesetze schränken wir ihre, unseren Zwecken zuwiderlaufende Tätigkeit ein und nützen sie nach Kräften aus, wo sie unseren Zwecken entspricht; aber beides tun wir im Bewußtsein, uns der bestehenden Naturordnung, aus einem einfachen  physischen Zwang,  aus einer physischen Notwendigkeit, fügen zu müssen.

Ganz anders macht sich in unserem Bewußtsein die  rationale  Notwendigkeit geltend. Sie tritt uns wohl auch als  Schranke  entgegen; aber nicht als äußere Schranke, deren inneren Sinn und Berechtigung wir nicht begreifen, sondern als innere Schranke, deren Sinn uns sehr wohl verständlich ist und deren Berechtigung wir einsehen und begreifen. Wir begreifen sehr wohl, warum wir unser Denken z. B. durch das Gesetz des Widerspruchs einschränken  müssen;  wir sehen ein, warum die Ethik von uns eine Übereinstimmun unserer Handlung mit unserer Gesinnung verlangt usw. Wir fügen uns daher in die Vernunftgesetze nicht aus sklavischer Notwendigkeit, nicht bloß weil wir  müssen  und nicht anders können, auch nicht mit dem Wunsch diese Schranken beseitigen zu können - wie dies der empirischen Notwendigkeit gegenüber sehr oft der Fall ist -; im Gegenteil, wir fügen uns mit voller freier Einsicht und mit dem Wunsch, diese idealen Erfordernisse nach Kräften zu realisieren und in unserem Tun zur Geltung zu bringen. So sehr wir oft wünschen und danach streben frei zu werden von gewissen physischen Schranken, die unsere Selbsttätigkeit einengen, so wenig kommt es uns in den Sinn, jemals zu wünschen,  frei  zu werden von den Erfordernissen der Vernunft und dieselben beseitigen zu können. Wir sehen den Sinn, die Berechtigung und den inneren Wert der Vernunftgesetze ein und kennen ihnen gegenüber nur das  eine  Streben, sie auf das Genaueste zu befolgen. Freilich hindern uns gar oft die  äußeren  Verhältnisse an der vollen und rückhaltlosen Geltendmachung dieser idealen Erfordernisse; wir  können  auch trotz des besten Willens nicht immer die Ideen der Wahrheit, Schönheit und Sittlichkeit realisieren; ja, wir  wollen  es oft nicht tun, in Anbetracht der verschiedenen äußeren Schwierigkeiten, die hierbei zu überwinden sind, und schlagen daher sogar oft wegen dieser Hindernisse ins Gegenteil, in Irrtum und Unvollkommenheit mancherlei Art um. Aber trotz alledem unterliegt es keinem Zweifel, daß unsere innersten Sympathien diesen idealen Erfordernissen zugewandt sind, daß wir uns ihnen aus Einsicht, Verständnis und Freiheit ergeben; ja, daß wir nur im Hinblick auf dieselben unserem Dasein, unserem Leben und Streben einen Wert beilegen, während wir von der Naturnotwendigkeit nichts Derartiges sagen können, da wir ihren inneren Wert nicht unmittelbar einsehen und daher gegen ihren äußeren Zwang nach Kräften ankämpfen.

Ein höchst wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen rationaler und empirischer Notwendigkeit tritt bei der Anwendung des Begriffs der  Unveränderlichkeit  ein.

Unveränderlichkeit  ist psychologisch nichts Anderes als die Verallgemeinerung der erfahrungsmäßig gegebenen  Beständigkeit  der Natur- und Vernunftgesetze. Indem wir diese Beständigkeit auch auf Gebiete ausdehnen, die nicht der Erfahrung unterworfen sind - also auf die entfernteste Vergangenheit und Zukunft und diese mit der uns erfahrungsmäßig vorliegenden Gegenwart gleichstellen, gelangen wir zum Begriff der  Unveränderlichkeit,  d. h. eine immerwährenden, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart gleich umfassenden  Beständigkeit. 

Vermöge der Einsicht, die wir in den Sinn und die Berechtigung der  Vernunft gesetze haben, schreiben wir ihnen unmittelbar  Unveränderlichkeit  zu. Wir sehen keinen Grund ein, weswegen das Wahre, Schöne und Gute, so wie die Gesetze, die diesen Ideen zugrunde liegen, sich  ändern  sollten; änderten sie sich, d. h. würden sie in ein Anderssein übergehen, so würden sie das aufhören zu sein, was sie sind, und infolgedessen ihre Wert, den sie ansich und für uns haben, nur einbüßen. Die Vernunft würde durch diese Änderung ihrer eigenen Gesetze aufhören Vernunft zu sein, sie würde zur Unvernunft. Da wir nun aber einmal genötigt sind, die Vernunft und ihre Gesetze als in unserem Bewußtsein existierend anzuerkennen, so sind wir auch genötigt, ihr eine absolute Unveränderlichkeit, ihrem Inhalt nach, zuzugestehen; widrigenfalls müßten wir die Vernunft in uns negieren. Und so veranlaßt uns die  Wertschätzung  der Vernunftgesetze ihnen Unveränderlichkeit zuzuschreiben; wir schätzen sie so wert, daß wir uns ihre Veränderlichkeit nicht vorstellen können, denn diese Veränderlichkeit wäre nur der Beweis ihrer Wertlosigkeit. Es ist wichtig zu bemerken, daß  psychologisch  der Begriff der Unveränderlichkeit auf Wertschätzung zurückzuführen ist.

Aus Mangel an einer derartigen unmittelbaren Wertschätzung der Naturgesetze haben wir keinen Grund, ihnen  unmittelbar  Unveränderlichkeit zuzuschreiben. Der Empiriker spricht, wie wir sahen, nur von Beständigkeit der Naturerscheinungen im Bereich der Erfahrung, und er könnte von absoluter Unveränderlichkeit der Naturgesetze nur dann sprechen, wenn er sich einer derartigen Einsicht in die Naturgesetze rühmen könnte, wie wir sie den Vernunftgesetzen gegenüber besitzen. Der  Empiriker  kann uns wohl das Gesetz der Schwere als Faktum nachweisen, aber er kann nicht beweisen, daß dieses Gesetz unverändert herrschen  muß  und niemals durch ein anderes ersetzt werden  kann;  weil er eben aus Mangel an Einsicht in den inneren Sinn der Natur diesem Gesetz keinen notwendigen und bleibenden Wert beilegen kann. Tut er es dennoch, so geschieht es nur, wenn er diesem empirischen Gesetz ein  Vernunft gesetz zugrunde legt. Dagegen kann z. B. der  Logiker  die unveränderliche und absolute Geltung des Gesetzes des Widerspruchs erweisen; denn der innere Wert dieses Gesetzes ist der unmittelbare Bürge für dessen Unveränderlichkeit, und wollte jemand die Möglichkeit einer Veränderung in dieser Beziehung anerkennen, so müßte er von diesem Vernunftgesetz selbst abweichen, das sich doch aber jedem durch innere Notwendigkeit aufdrängt und von dem man nur abweichen kann, wenn man von sich selbst, von seiner eigenen Vernunft abweicht, was eben, infolge der sich nun einmal geltend machenden Naturordnung, nicht möglich ist. Wir sind also durch innere Nötigung, durch die Einsicht in den Wert und die Berechtigung der Vernunftgesetze veranlaßt denselben eine absolute Unveränderlichkeit beizulegen, während wir in Bezug auf empirische Gesetze eine derartige innere Nötigung nicht verspüren. Es ist dies ein  psychologisches  Faktum.

Durch die obige Unterscheidung der psychologischen Elemente der empirischen und der rationalen Notwendigkeit gelangen wir zum Verständnis zweier Begriff, die mit dem der Notwendigkeit aufs Engste verknüpft sind, nämlich: des Begriffs des  physischen Zwangs,  der durch die Naturgesetze an uns ausgeübt wird - und des Begriffs der  vernünftigen Einsicht,  die wir den Vernunftgesetzen entgegenbringen.  Psychologisch  genommen schließen sich diese beiden Begriff des  physischen Zwangs  und der  vernünftigen Einsicht  aus; denn wo  physischer Zwang  ist, da fehlt die vernünftige Einsicht, und wo diese ist, das ist der physische Zwang überflüssig, jedenfalls kann keiner dieser Begriffe vom anderen abgeleitet werden, da beide aus ganz eigentümlichen, voneinander unabhängigen  psychischen  Erscheinungen entspringen; durch physischen Zwang wird keine vernünftige Einsicht und durch diese nicht jener erzielt. Diese psychologische Verschiedenheit beider Begriffe weist auch die volle Berechtigung nach, die empirische oder physische Notwendigkeit von der idealen oder rationalen zu unterscheiden.

Nur durch ein Hinausgehen aus der Psychologie in das Gebiet der  Metaphysik,  d. h. nur durch metaphysische Erwägungen, ließe sich der angeführte Unterschied zwischen beiden Arten von Notwendigkeit ausgleichen, wovon aber erst später die Rede sein soll.

Die bisherige Erörterung klärt, wie ich glaube, zur Genüge die psychologischen Elemente der beiden ersten Kategorien der Notwendigkeit, die wir am Anfang aufgestellt haben, nämlich der rationalen und empirischen Notwendigkeit, auf. Die  rationale  Notwendigkeit stellt sich uns dar als Resultat des Bewußtseins unserer subjektiven Abhängigkeit von gewissen durch unseren Willen weder geschaffenen noch von ihm abhängigen, vielmehr mit unserer geistigen Tätigkeit uns  gegebenen  Vernunftgesetz, deren Sinn und Berechtigung wir einsehen und deren Inhalt wir auch vermöge dieser Einsicht für  unveränderlich  erklären und nach Kräften zu realisieren streben. Welches der Inhalt dieser Vernunftgesetze ist, das haben wir hier nicht näher darzulegen. - Die  empirische  Notwendigkeit stellt sich uns dagegen dar als Resultat des Bewußtseins unserer Abhängigkeit von äußeren Naturgesetzen, die uns zwar zu ihrer  faktischen  Anerkennung  zwingen,  deren inneren Sinn und Berechtigung wir aber nicht unmittelbar einsehen und deswegen uns berechtigt fühlen, ihrer einschränkenden Wirksamkeit nach Kräften entgegenzutreten.

Wir gehen nun zur psychologischen Erklärung des  metaphysischen  Notwendigkeitsbegriffs über.

Der Begriff der metaphysischen Notwendigkeit ist, wie wir sahen, aufs Engste verknüpft mit dem Nebenbegriff des  Zwanges,  welchen gewisse Grundgesetze auf alles Seiende ausüben; eines Zwanges, dem sogar ein Gott unterworfen sein  müßte,  wenn er in die Bewegung der Welt tätig eingreifen wollte.

Die psychologische Grundlage dieses metaphysischen Notwendigkeitsbegriffs beruth klar und deutlich auf der Übertragung des subjektiven Bewußtseins des Zwanges, dem wir, wie gezeigt wurde, den Naturgesetzen gegenüber unterworfen sind, auf das Sein überhaupt. Die Zwangsnotwendigkeit erfahren wir subjektiv in unserem Verhältnis zur Natur; wir erfahren, daß die Naturkräfte stärker sind als wir und daß wir uns ihnen fügen  müssen,  ob wir wollen oder nicht. Von einer anderen Zwangsnotwendigkeit haben wir keinerlei unmittelbare Empfindung und Anschauung. Indem wir nun diese subjektive Empfindung unserer absoluten Abhängigkeit von den zwingenden Naturgesetzen auf das allgemeine Sein übertragen, d. h. die einfache psychologische Erscheinung in das Gebiet der Metaphysik überführen, gelangen wir zu der Idee, daß auch hier, im allgemeinen Sein, dasselbe Verhältnis zweier Elemente stattfindet, wonach das eine Element die Rolle des zwingenden Gesetzes übernimmt, das andere dagegen die des von diesem Gesetz bezwungenen oder abhängigen Seins, wir mögen ihm den Namen Gott oder Welt beilegen. Eine andere Erklärung läßt die Zwangsnotwendigkeitslehre oder der Determinismus nicht zu.
LITERATUR - Heinrich von Struve, Psychologisch-metaphysische Analyse des Begriffs der Notwendigkeit, Philosophische Monatshefte, Bd. 10, Berlin 1874
    Anmerkungen
    1) KANT selbst fühlt diese Wahrheit öfters durch, so z. B. wenn er, bei Ableitung der Kategorie der Einheit, auf die Einheit des Selbstbewußtseins und der Apperzeption als Grundlage aller Synthesis hinweist und dabei sagt: "Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist eine objektive Bedingung aller Erkenntnis; nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich nicht ein einem Bewußtsein vereinigen würde." Aber KANT verwendet nicht dieses psychologische Element um den Subjektivismus zu überwinden; er beachtet nicht, daß dieses psychologische Element ein  reales objektives  Geschehen ist, welches ein Ansich, ein Wesen zur unmittelbaren Erscheinung bringt.