p-4K. MarbeF. HillebrandC. GüttlerJ. EisenmeierH. Cornelius    
 
GEORG ANSCHÜTZ
Über die Methoden
der Psychologie

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"Es ist vollkommen unmöglich, einfache psychische Erlebnisse irgendwelcher Art, sofern es sich um deren simultane Betrachtung handelt, in absolute Zahlen zu fassen und eine bestimmte Empfindung als Maßeinheit aufzustellen, geschweige denn ein Gefühl, einen Willens- oder Denkakt. Will man geltend machen, daß doch auf dem Gebiet der Bewußtseinstatsachen gezählt und gemessen werden kann, z. B. da, wo es sich um Zeitmessungen handelt, so kann deshalb noch nicht von einer zählenden oder gar von einer mathematischen Methode die Rede sein. In ähnlicher Weise kann auch in der Historie und der Nationalökonomie gezählt werden, ohne daß hier von einer mathematischen Methode der Historie oder der Nationalökonomie gesprochen werden kann."


III. Die mittelbaren Methoden und das
Problem der exakten Forschung

Wenn man über den rein theoretischen Wert der psychologischen Methoden ein Urteil fällen will, so muß man jederzeit der inneren Wahrnehmung und der auf sie sich aufbauenden Phänomenoloie der inneren Erfahrung den entschiedenen Vorzug geben, indem man sie als unmittelbare, primäre, fundamentale oder prinzipielle Methode den anderen als mittelbaren, sekundären und gleichsam akzidentiellen gegenüberstellt. Und in der Tat dürfen alle anderen Weisen psychologischer Forschung lediglich als solche gelten, die jene nur zu vervollkommnen, nicht aber zu ersetzen imstande sind. Sie dienen lediglich dem Zweck der Vermeidung und Eliminierung der Fehler, die jene in vieler Hinsicht aufweist, wobei sie sich aber selbst der inneren Wahrnehmung in hervorragender Weise bedienen und diese sogar durch sich selbst zu korrigieren und zu vervollständigen streben. Lenkt man seinen Blick jedoch auf den Umstand, daß die Psychologie nicht dann ihr Ziel erreicht hat, wenn sie sich auf eine theoretisch möglichst einwandfreie Methode gründet, sondern wenn sie auch Ergebnisse aufzuweisen imstande ist, die zu einem in sich zusammenhängenden, objektiv als einwandfrei aufzeigbaren System vereinigt sein, so muß der praktische Wert der objektiven, die innere Wahrnehmung ergänzenden Methoden in unseren Augen wesentlich steigen. Denn wenn einmal eine Wissenschaft fehlerhafte Elemente aufweist, mögen diese auch in ganz geringer Zahl sein, so ist dadurch ihr Wert wesentlich beeinträchtigt, und es kann sogar eine kleine Fehlstelle zum Zusammenbruch des Gesamtgebäudes führen. Von diesem Gesichtspunkt aus scheint es, als seien die objektiven Methoden sogar etwas Notwendiges und Unerläßliches. Des Vergleichs halber soll hier die Naturwissenschaft herangezogen werden. Mag ein Physiker aufgrund seiner Erfahrung einen noch so geistreichen und in fast allen Punkten richtigen Mechanismus erdacht haben, so wird er doch erst das erforderliche Experiment machen, ob der Apparat objektiv funktioniert, ehe er ihn in Tausenden von Exemplaren in Fabriken anfertigen und im Gesamten eines großen Mechanismus anwenden wird, da ohne diese Verifikation, diese objektive Bestätigung die Möglichkeit eines Irrtums niemals ganz ausgeschlossen ist.

An eine solche objektive Methode, die die Fehler der inneren Wahrnehmung zu beseitigen hat, kann zunächst eine allgemeine Forderung gestellt werden, nämlich die, daß sie analog der exakten mathematisch-physikalischen Forschung in die Behandlung der psychischen Phänomene eine exakte Methode einführen soll. Daß nun diese Exaktheit einfach im Sinne HERBARTs aufgefaßt werden kann, der die Psychologie u. a. auf Mathematik gründen wollte, darf entschieden negiert werden (1). Auf der anderen Seite aber kann jene Exaktheit auch keineswegs in einem physikalischen Sinn gemeint sein, ein Gedanke, der auf den ersten Augenschein hin etwas Verlockendes haben könnte. Eine solche Möglichkeit aber widerlegt sich bei einer einfachen Berücksichtigung der Differenz, welche die Voraussetzung der Psychologie von der der Physik unterscheidet. Die Exaktheit der Physik gilt eben schlechterdings nur mit Rücksicht auf die dinglich-materielle Welt, auf das vom Bewußtsein in der Daseinsweise realer Dinge Unabhängige. Eine Psychologie aber, welche auch die psychischen Phänomene als materiell-wirkliche ansieht, würde eine merkwürdige Metaphysik sein. Man denke an den Widersinn, den es gibt, wenn im Bewußtsein Stoß und Gegenstoß stattfinden sollen (2), eine Meinung, die stillschweigend die Differenz übersehen würde, welche zwischen einem räumlich ausgedehnten, undurchdringlichen, in seiner Bewegung beharrenden physikalischen Körper einerseits und dem jeder Räumlichkeit fremden und dementsprechend jeder analogen Meßbarkeit unzugänglichen psychischen Erlebnis andererseits besteht. Es muß aber außerdem noch bestritten werden, daß, wenn einmal das Ziel der inneren Psychophysik, so wie FECHNER es meint, erreicht und die genauen Beziehungen zwischen Körperwelt und Bewußtsein in idealer Weise aufgezeigt sind, diese Beziehungen etwa solche wären, welche ausschließlich in physikalischen Begriffen und Gesetzen faßbar wären.

Der hierauf bezügliche Unterschied zwischen Psychologie und Physik kommt noch in einem anderen Punkt zum Ausdruck. Während nämlich die Physik nicht nur mit räumlich ausgedehnten Körpern, sondern auch mit quantitativ bestimmbaren Kräften, allgemein gesagt also mit zahlenmäßig meßbaren Gegenständen operiert, wobei sie allem Messen eine absolute Einheit zugrunde legt, wie z. B. Gramm, Volt, Ampére, Ohm und während sie weiterhin im Gesamtgebiet ihrer Gegenstände diese Messungen bis ins Kleinste vornimmt und auf die kleinsten Bruchteile der absoluten Rechnungen ausführt, während sie am Ende bei den Körpern einen genau angebbaren Ausdehnungskoeffizienten, ein spezifisches Gewicht, einen Wasserwert, eine Dichte, ein Leitungsvermögen für Schall und Elektrizität, ein Wärmekapazität kennt, sind die Gegenstände der Psychologie keiner einzigen dieser exakten Bestimmungen zugänglich. Es ist vollkommen unmöglich, einfache psychische Erlebnisse irgendwelcher Art, sofern es sich um deren simultane Betrachtung handelt, in absolute Zahlen zu fassen und eine bestimmte Empfindung als Maßeinheit aufzustellen, geschweige denn ein Gefühl, einen Willens- oder Denkakt. Will man demgegenüber geltend machen, daß doch auf dem Gebiet der Bewußtseinstatsachen gezählt und gemessen werden kann, z. B. da, wo es sich um Zeitmessungen handelt, so kann deshalb noch nicht von einer zählenden oder gar von einer mathematischen Methode die Rede sein. In ähnlicher Weise kann auch in der Historie und der Nationalökonomie gezählt werden, ohne daß hier, wie auch MÜNSTERBERG (3) betont, von einer mathematischen Methode der Historie oder der Nationalökonomie gesprochen werden kann. Die psychischen Objekte sind daher lediglich als etwas qualitativ, nicht aber als etwas quantitativ Bestimmbares anzusehen. Das Zahlenmäßige bleibt, auch wenn wir es im Bewußtsein aufzufinden oder gar experimentell hervorzurufen versuchen, nicht das einfach Zahlenmäßige, sondern es bekommt in jedem Fall den Aspekt oder Habitus des Qualitativen. Man denke sich etwa zwei Denkakte im Bewußtsein, von denen der eine auf etwas sinnlich Wahrgenommenes, der andere auf etwas Assoziiertes geht. Und man nehme einmal an, es seien sogar sämtliche übrigen Elemente, Erinnerungen, Gefühle usw. ausgeschaltet. Dann sind diese Denkakte freilich zwei. Was aber mit dieser Erkenntnis geleistet ist, darf jedenfalls als unbedeutend angesehen werden im Vergleich zu dem, was eine weitere Untersuchung aus der Betrachtung jener beiden Denkakte findet. Schon das Moment, welches beide miteinander verbindet, nämlich das Assoziieren, bietet eine Menge von Problemen. Dazu aber kommt der Charakter des Gesamterlebnisses aus jenen beiden Teilerlebnissen, der über ein einfaches, dem räumlichen Neben- oder Übereinander Vergleichbares weit hinausgeht. Auch läßt sich die mechanische Wechselwirkung zweier physikalischer Körper, etwa eines metallischen und eines hölzernen von 50 und 100 g, mit denen wir manipulieren, in keinerlei Analogie zu jenem Zusammenbringen.

Ist somit eine direkte Übertragung der messenden, zählenden und berechnenden Methode der Physik in die Psychologie nicht am Platz, so bietet sich doch die Möglichkeit, dieselbe in indirekter Weise für die Psychologie nutzbar zu machen. Solche Arten der indirekten Bestimmung finden sich sehr oft in der wissenschaftlichen Forschung; man denke vor allem an alle Bestimmungen zeitlicher Art, die stets durch eine Verlängerung, eine Bewegung, also unter Zuhilfenahme auch des Räumlichen erfolgt. Analog sind die Messungen der Elektrizität, die Bestimmung der Schallgeschwindigkeit usw. Alle ansich unsichtbaren Gegenstände der Physik, die Kräfte, sind so überhaupt nur indirekt zu messen. Auch in der Physiologie werden etwa Muskelkräfte nicht direkt, sondern mit Hilfe von Leistungen, etwa des Hebens von Körpern und der Dauer derselben bestimmt. Ein treffliches Beispiel für alle indirekten Messungen ist das *Kymographion, das zur Registrierung der mannigfachsten Tatbestände in der Psychologie treffliche und unentbehrliche Dienste leistet. Man denke etwa an die Aufzeichnungen des Pulses oder der Atmung. Verlassen wir aber für einen Augenblick das engere Gebiet der Experimentalphysik und der Physiologie und blicken auf die astrale Physik. Hier hat die Spektralanalyse erstaunliche Dienste geleistet, indem man mit ihrer Hilfe nicht nur bekannte Elemente auf fremden Weltkörpern erkundete, sondern auch fremdartige, z. B. das vielgenannte Helium, und indem man sogar die quantitativen Verhältnisse dieser Körper in fremden Welten fand. Ein glänzendes Beispiel liefert außerdem die Entdeckung der Jupitermonde, insofern nämlich auf das Vorhandensein eines weiteren Mondes zunächst nur aus den Ablenkungen der anderen mit Sicherheit geschlossen wurde. Endlich mag an den Beweis für die Achsendrehung der Erde erinnert sein, der sich auf die Modifikation der Bewegungsrichtung eines Pendels in einem großen Raum stützt (4).

Den speziellen Anlaß, die Untersuchung der psychischen Phänomene auf indirekte Weise zu unternehmen, bildet der allgemeine Umstand, daß die Tatsachen des Bewußtseins nicht in vollkommener Isolation von der Körperwelt stehen, sondern daß zwischen beiden ein Zusammenhang besteht, der sich sogar als ein ganz bestimmter offenbart. Zu dieser Erkenntnis sind keineswegs komplizierte und ins Einzelne gehende Studien erforderlich, sondern sie wird uns bereits durch Tatsachen des alltäglichen Lebens nahegelegt. Wenn man von solchen Erwägungen allgemeiner Art absieht, daß "niemand mit einem gefrorenen Gehirn oder mit einem Schwamm in seinem Hirnkasten denken kann" (5), wie sie FECHNER gibt, so drängen sich der Betrachtung eine Menge von Einzelheiten auf, die sehr bald die Hypothese von festen Beziehungen zwischen Bewußtsein und Körperwelt aufkeimen lassen. Daß wir bei der Beleuchtung durch zwei Lampen die Dinge besser erkennen als bei einer solchen durch eine, daß, wo wir stärkeren Druck empfinden, auch das Wirken einer größeren Kraft, z. B. eines Gewichtes angenommen wird und daß diese Beziehung nicht nur eine zufällige, sondern eine allgemein beobachtete ist, oder um die bekannten Termini einzuführen, daß Reiz und Empfindung in bestimmter gegenseitiger Abhängigkeit stehen, ist nicht nur ein Postulat, sondern eine auf normaler Induktion beruhende und einleuchtende Tatsache. In solchen einfachen Daten aber ist der Angriffspunkt gegeben, an dem eine exakte Forschung einzusetzen hat; denn es scheint natürlich, daß, wenn die objektiven Reize durch die subjektiven Empfindungen irgendwie meßbar sind, dann auch umgekehrt von den Reizen auf die Empfindungen geschlossen werden kann. Freilich wird dieser letzteren Untersuchung diejenige über die Gesetze, nach welchen sich Reiz und Empfindung einander zuordnen, vorangehen müssen.

Wenn aber einmal jener Angriffspunkt da ist, so stehen der Anwendung mathematisch-physikalischer Methoden auf die Tatsachen der Empfindung Tür und Tor offen. Denn da die äußeren Reize jederzeit nicht nur genauen Messungen unterzogen werden können, sondern sie auch einer willkürlichen und planmäßigen Variation fähig sind, da mit einem Wort auf sie alle Arten mathematisch-physikalischen Verfahrens anwendbar sind, so ist vor allem dem Experiment und der naturwissenschaftlichen Induktion der Weg zur Welt der Empfindungen eröffnet. Es ist charakteristisch, daß sich bei jenem Versuch, die exakte Erforschung der Empfindungen zu unternehmen, eine relativ selbständige Wissenschaft herausgebildet hat, die sich als eine ganz eigenartige und ein Grenzgebiet der Psychologie und Naturwissenschaft bildende darstellt. Indem nämlich jener aufgrund einfacher Tatsachen gemachten Voraussetzung, daß zwischen Reiz und Empfindung überhaupt ein bestimmter Zusammenhang besteht, des Näheren eingegangen wurde, indem man sich also über den näheren Charakter jener Voraussetzung Rechenschaft zu geben suchte, fand sich, daß jene Beziehung keine eindeutig bestimmbare und in einem einfachen Verhältnis faßbare Gesetzmäßigkeit enthält, sondern daß zu einer diesbezüglichen Untersuchung eine ausgeprägte wissenschaftliche Methode eigener Art erforderlich ist; es entstand so die Psychophysik.

Die Psychophysik ist in ihrem Grundgedanken nicht ganz neu, wenn sie auch als eigentliche Wissenschaft erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auftritt. Allgemeinere Tatsachen wie die, daß der Lustzuwachs einer konstanten Vermögensdifferenz entspricht, waren schon DANIEL BERNOUILLI (6) und LAPLACE (7) bekannt. Auch EULER wußte bereits von dem bestimmten Verhältnis zwischen Tonempfindungen und Schwingungszahlen, eine Beobachtung, die freilich in unklarer Gestalt schon die Pythagoräer gemacht haben. Als endlich HUME (8) sagt, "daß Gegenstände nicht nach Maßgabe ihrer absoluten Größe, sondern entsprechend dem Größenverhältnis, in dem sie zueinander stehen, auf den Geist einwirken und die Kontinuität seiner Tätigkeiten aufzuheben und zu unterbrechen vermögen", so weist diese Beobachtung deutlich auf den Grundgedanken der Psychophysik hin. Wenn wir nun auch erste exakte Formulierung derselben als das Verdienst von E. H. WEBER (9) anerkennen mögen, nach welchem das bekannte Gesetz seinen Namen trägt, so ist doch erst FECHNER (10) als der eigentliche Begründer dieser Wissenschaft anzusehen, dem wir die erste umfangreiche Darstellung des betreffenden Gebietes verdanken. Wenn wir von der umfangreichen Diskussion absehen, die sich im Anschluß an FECHNERs Aufstellungen speziell von Seiten G. E. MÜLLERs (11) entspann und jenen zu seiner "Revision der Hauptpunkte der Psychophysik" veranlaßte, sowie von den weiteren Etappen in der Entwicklung der Psychophysik, die uns hier zu weit führen würden, und uns vielmehr wieder der sachlichen Frage zuwenden, so haben wir in der Psychophysik keinen eigentlichen Teil der engeren Psychologie zu sehen, sondern nur ein Hilfsgebiet derselben (12). Sowohl im Vergleich zur Physik als auch zur Psychologie, sofern diese Phänomenologie ist, weist die Psychophysik eine erhebliche Komplikation in den Voraussetzungen auf. Denn indem sie einerseits die Bewußtseinstatsachen voraussetzt, andererseits aber die Körperwelt, außerdem endlich von der Annahme einer festen Beziehung beider ausgeht, vereinigt sie die Voraussetzungen der Psychologie und der Physik miteinander und fügt noch eine neue hinzu. Diese Komplikation aber kommt in ihrer ganzen Untersuchungsweise zum Ausdruck, und wenn man sie so faßt, wie auch FECHNER, nämlich in dem Sinne, daß sie nicht nur die Beziehungen zwischen Reiz und Empfindung, sondern schließlich diejenige zwischen Bewußtsein und Körperwelt überhaupt aufzufinden hat, daß sie also äußere und innere Psychophysik zugleich ist, dann kann die Lösung ihrer Aufgabe in ihrem ganzen Umfang, vielleicht für alle Zeiten, sicherlich aber für eine absehbare Zukunft, als problematisch gelten.

Diese Einteilung der Psychophysik in eine äußere und eine innere scheint durch die psychischen Tatsachen nahegelegt. Daß wir zunächst im psychischen Leben eine allgemeine, wenn auch nicht unbedingt fest zu fixierende Scheidung zwischen gewissen äußerlichen Tatsachen, die wir als periphere oder Randphänomene bezeichnen können und bei denen wir insbesondere an die Empfindung denken, und solcher anderen machen müssen, die eher zentrale zu nennen sind und deren Gebiet jedenfalls umfangreicher ist als das jener, ist eine fast ausnahmslos zugestandene Tatsache. Sie wird höchstens von solchen bis zu einem gewissen Grad geleugnet werden können, die über eine wissenschaftliche Betrachtung hinaus, ohne sich dessen bewußt zu sein, die Empfindungen die Elemente des gesamten Seelenlebens sein lassen (13). Während dann also die äußere Psychophysik die engere Aufgabe hat, die zwischen Reiz und zugehöriger Empfindung bestehenden Gesetze genau aufzufinden, kommt der inneren Psychophysik die bei weitem schwierigere Aufgabe zu, die wir oben bereits als problematisch hinstellten, nämlich die Auffindung exakter, gesetzlicher Beziehungen zwischen jedwedem höheren, d. h. zentraleren seelischen und geistigen Phänomen und entsprechenden physikalischen bzw. physiologischen Tatsachen. Zum geringeren Teil kann auch diese Aufgabe bereits als gelöst gelten; man denke an die Beziehungen, die nicht nur zwischen Tonempfindungen und Luftschwingungen, sondern auch zwischen jeder Wahrnehmung einer Gestalt und deren objektiven Grundlagen besteht. Hierher gehören Tonintervalle und räumliche Distanzen, aber auch diejenigen Zwischenräume, welche der simultanen Harmonie zugrunde liegen. Die Frage der räumlichen Distanzen, was das Neben-, Über-, Hintereinander betrifft, ist bereits von LOTZE (14) speziell untersucht worden, allerdings mehr unter Zuhilfenahme hypothetischer Elemente, nämlich der von ihm so benannten "Lokalzeichen", die eine Art Mittelglied sind, das der Seele das physikalisch Vorhandene auf physiologischem Weg näher bringen soll, und nicht auf dem Weg einer genauen Aufzeigung vorliegender Tatsachen. Die hier berührten Fragen schließen sich aber immer noch mehr oder weniger an die äußere Psychophysik an. Gehen wir aber vollends zu solchen Phänomenen über, die rein zentrale genannt werden müssen, etwa ganz gegenstandslosen Gefühlen, Stimmungen, komplizierten Denkakten usw., so befinden wir uns im spezielleren Gebiet der inneren Psychophysik, die man eher als Psychophysiologie bezeichnet. Ihre Aufgabe ist dann die Auffindung der gesetzmäßigen Beziehungen zwischen den zentralen psychischen Phänomenen einerseits und physiologisch konstatierten Gehirn- und Nervenprozessen andererseits. Sie sucht also keineswegs nach einer Erklärung des Einen durch das Andere, sondern sie will lediglich den gesetzlichen Zusammenhang beider Welten aufdecken. Dabei kann ihre speziellere Voraussetzung im Bestehen des sogenannten psychophysischen Parallelismus gesehen werden. Auf der anderen Seite aber liegen, zumal wo es sich um die zentraleren Phänomene handelt, noch so wenig Tatsachen vor, daß in diesen nur gewisse Anhaltspunkte für das Postulat gesehen werden dürfen, daß auch komplizierten Bewußtseinstatsachen, wie einer Erinnerung usw., physiologische Tatsachen überhaupt parallel gehen, und daß dann weiter dieser Parallelismus in seiner speziellen Gesetzmäßigkeit aufweisbar ist. Jenes Postulat kann die Psychophysik gegenüber einer Behauptung, die auf die unendlich fein differenzierte Gestalt der Bewußtsensphänomene verweist und aufgrund derartiger Erwägungen dasselbe zu entwerten sucht, behaupten und mit Recht entgegenhalten, daß, wenn auch die Komplikation der seelischen Erscheinungen eine unendliche und staunenerregende ist, ihr doch die physikalischen und speziell die physiologishen die Wege halten könnten, da auch jedes Atom der unzähligen Atome im Weltenraum erst durch die Komplikation und das Zusammenwirken sämtlicher anderer Atome in seiner Lage und Kraftwirkung, ja in seiner ganzen Existenz bedingt ist.

Wenn wir allgemein die Frage entscheiden sollten, ob die Psychophysik eher Physik oder ob sie eher Psychologie zu nennen ist, so müßten wir uns im letzteren Sinn entscheiden. Denn wenn sie auch mit äußeren Tatsachen operiert und vor allem Reize variiert und somit eine ganz ähnliche Tätigkeit vollzieht wie die Physik, so muß sie doch als dem Psychischen zugewandt gelten, da sie alle jene Manipulationen nur im Interesse der Psychologie, also in der Funktion eines Hilfsgebietes der Psychologie ausführt. Sie ist diejenige Methode, die einer weiteren Untersuchung erst die nötigen Angriffspunkte aufzudecken hat. Inwiefern besonders bei der äußeren Psychophysik die Rede von solchen Angriffspunkten sein kann, scheint einleuchtend, wenn man bedenkt, daß auch Empfindungen schließlich nicht Elemente sind, die aus der Gesamtheit des psychischen Lebens herausgelöst wären und rein in dieser Isolierung einer Untersuchung unterzogen würden. Sondern einmal liegen in Empfindungen und deren Komplexen, den Wahrnehmungen, bereits mehr oder weniger zentralere Phänomene, oder aber es treten diese sogar in jenen deutlich hervor, wodurch der natürliche Übergang von den Randphänomenen in jene zentraleren für eine exakte Forschung gegeben ist. Hierbei ist hauptsächlich an solche Erscheinungen gedacht, wie Erinnerung, die eine rein sinnliche sein kann, dann weiter an Aufmerksamkeit, sogar Abstraktion und Assoziation. Alle diese zentraleren Phänomene können in den Empfindungen mehr oder weniger enthalten sein und sich somit in jenen der Untersuchung darbieten. Daß sie sich in den Empfindungen zugleich nicht erschöpfen, muß allerdings betont werden.

Bei der Frage, in welchem Sinn denn eigentlich in der Psychophysik der Angriffspunkt für eine exakte Erkenntnis psychischer Tatsachen gesehen werden kann, muß an zwei Umstände erinnert werden, nämlich an den, daß die Empfindungen nicht direkt, sondern nur indirekt, d. h. unter Zuhilfenahme der ihnen zugehörigen Reize gemessen werden, dann aber auch an jenen anderen, daß es im psychischen Leben keine absoluten Größen, keine Maßeinheiten gibt. Wenn es sich also in der Psychophysik überhaupt um ein Messen handeln kann, so nur um ein solches von Empfindungen an Empfindungen (15). Zu diesem Zweck einer relativen Bestimmung psychischer Phänomene aber muß zur mathematisch-physikalischen Bestimmung der Reize auch die entsprechende Selbstbeobachtung des Individuums hinzukommen, an welchem die Gesetze von Reiz und Empfindung gefunden werden können. So kompliziert sich also die psychophysische Methode aus jenen beiden Elementen in eigenartiger und origineller Weise. Auf die speziellen Methoden, die sich nun in dieser Richtung herausgebildet haben, soll hier nicht eingegangen werden. Sie sind von den verschiedenen Autoren zum Teil unter dem Titel der psychologischen Methoden, eine Bezeichnung, deren Berechtigung bestritten werden kann, eingehend behandelt worden. Diese Methoden, die zunächst ausschließlich der psychophysischen Untersuchung eigen sind, können mit mehr oder weniger Glück zuweilen auch beim ausgesprochenen psychologischen Experiment Verwendung finden.

An die Bemerkung anknüpfend, daß in den Empfindungen bereits die Angriffspunkte zur Erforschung der höheren geistigen Phänomene liegen, wollen wir noch kurz einen Blick auf die Weise machen, in welcher dies geschieht. Abgesehen davon, daß zunächst die Empfindungen in ihren "Leistungen" wesentlich variieren, je nachdem in ihnen solche Erscheinungen wie Aufmerksamkeit und Interesse des Individuums am Empfundenen zur Geltung kommen, mag hier die bereits gestreifte charakteristische Weise erwähnt sein, wie van BIERVLIET (16) Intelligenzmessungen vornahm, die auch wiederum als eine indirekte angesehen werden muß, da sie analog, wie die Psychophysik von den Reizen auf die zugehörigen Empfindungen zu schließen vermag, aus den Empfindungen auf zentralere Phänomene übergreift. Die Untersuchungen van BIERVLIETs, die einen eigenartig indirekten Ausgangspunkt haben - sie greifen zum Zweck einer Intelligenzprüfung eine Anzahl von auffällig, jedoch nicht einseitig intelligenten Personen heraus -, haben festgestellt, daß, allgemein gesagt, die relativ größere Konstanz in den Empfindungsleistungen, z. B. was die zum Erkennen von Schriftzeichen erforderliche Distanz betrifft, ein Kriterium für eine im allgemeinen höhere Intelligenz ist.

Es soll jedoch an dieser Stelle auf solche Fragen nicht näher eingegangen werden und vielmehr noch eine andere kurz erörtert sein, nämlich die, daß es sich bei Empfindungen nur um relative Größenbestimmungen handeln kann, und eine andere, sich an jene anschließende, nämlich die nach der Stabilität der zu untersuchenden Erscheinungen. Damit nämlich schon in der einfachen äußeren Psychophysik eine Messung von Empfindungen sinnvollerweise stattfinden kann, ist erforderlich, daß die Empfindungen "unter sonst konstanten Bedingungen des Bewußtseinszustandes in unmittelbarer Aufeinanderfolge gegeben werden (17). Daß diese Einschränkung eine notwendige ist, geht aus verschiedenen Erwägungen hervor. Zunächst muß daran erinnert werden, daß im psychischen Leben überhaupt absolute Größenbestimmungen nicht möglich sind, daß man also, spezieller ausgedrückt, die Empfindungen, die ein bestimmtes Individuum in einem gegebenen Zeitpunkt hat, nicht als Maßeinheit setzen kann. Denn einerseits gibt es gar kein Mittel, diese Einheit irgendwie zu veranschaulichen oder jemandem sonst zur genauen Kenntnis zu bringen, so daß er fortan ein absolutes Maß für seine Empfindungen hätte. Andererseits könnten nicht einmal für jenes zur Bestimmung einer eventuellen Maßeinheit herangezogene Individuum die Bedingungen so gestaltet werden, daß für dieses selbst ein absolutes Maß der Empfindung möglich wäre. Würde es aber wirklich in einem Zeitpunkt ein solches haben können, so ist doch auf der anderen Seite keine Möglichkeit vorhanden, jene Einheit irgendwie dauernd im Bewußtsein zu fixieren; alle Bewußtseinselemente pflegen unter normalen Bedingungen ein einem gewissen, der zeitlichen Distanz vom Punkt ihres Auftretens ab umgekehr proportionalen Verhältnis an Lebhaftigkeit zu verlieren und gleichsam abzuklingen. Dazu kommen die mannigfachen Erinnerungstäuschungen, die entsprechend in umso größerem Maß auftreten, je weiter der Zeitpunkt des Erlebnisses zurückliegt, und die durch die zahllosen neu auftretenden Bewußtseinselemente wesentlich gefördert werden. Vor allem ist hier an den ständigen Wechsel der Gesamtdisposition des psychischen Individuums gedacht, einen Faktor, der jeder exakten Erkenntnis die größten Schwierigkeiten in den Weg legt. Um diesen erheblichen Hindernissen entgegenzutreten, bietet sich aber nur eine Möglichkeit, nämlich die der Einschränkung der Beobachtungszeit auf ein Minimum, auf Sekunden und womöglich auf kleinste Bruchtreile von solchen, da vollkommene Simultaneität leider nicht in Betracht kommt. Im Verlauf so geringer Zeitintervalle wird weder die Disposition so wesentlich variieren, noch aber werden die Erinnerungstäuschungen eine so wesentliche Rolle zu spielen imstande sein, daß wir beachtenswerte Fehlerquellen annehmen müßten. Wir können vielmehr, rein praktisch genommen, trotz aller theoretischen Erwägungen, die auch durch die geringsten Zeitintervalle eine Veränderung der Disposition bedingt sein lassen, in solchen Fällen eine Konstanz des Gesamtbewußtseins annehen, so daß wir nunmehr ein neutrales Feld für das Experiment haben. Auch dann aber wird, wir bereits in den obigen Ausführungen erwähnt wurde, eine absolute Größenbestimmung nicht möglich sein, da ja alles Absolute nicht auf kleine Zeitintervalle, eventuell auf Bruchteile von Sekunden beschränkt ist; sondern alle Messung kann auch hier nur in der relativen Form von Vergleichen stattfinden, also so, daß gewisse Empfindungen als größer gegenüber anderen, ja sogar als zwei-, drei-, viermal oder einhalb-, eindrittel-, einviertelmal so intensiv wie andere bestimmt werden können. Diese Bestimmungen gehen sogar sehr weit und sind großer Komplikationen fähig. Man denke z. B. an die genauen Helligkeitsbestimmungen in Farben und deren relative Wandlung bei zunehmender Dunkelheit, wie sie am "Purkinje'schen Phänomen" auftritt (18).

Zu dergleichen Untersuchungen aber bedient man sich des ausgeprägten psychophysischen Experiments, das sich nicht einfach, wie das physikalische, auf einige wenige Fälle oder sogar auf einen einzigen beschränken kann, sondern sich zunächst auf die Menge der Beobachtungen zu stützen hat. Lassen wir aber die nähere Besprechung dieses Prinzips für spätere Ausführungen und greifen von ihm nur den allgemeinen Gedanken heraus, daß die vergleichende Tätigkeit, sofern sie in der Psychophysik zur Bestimmung der Empfindungsdifferenzen herangezogen wird, durch die Menge der Fälle, deren sich das Experiment bedient, eine weitere Vervollkommnung erfahren soll, so können wir die Frage aufwerfen, wann jenes Vergleichen der Empfindungen eine möglichst vollkommene Gestalt erreicht hat. Daß zunächst durch die Menge der Fälle und die Berechnung des allgemeinen Mittelwertes viel fehlerhafte Fälle verschwinden oder zumindest annähernd ausgeschieden werden, muß anerkannt werden. Sehen wir aber auch von den bekannten Variationen ab, die in der mannigfachsten Weise zur Vermeidung von Fehlerquellen angewandt werden - es sei nur an die Verschiebung der Bedingungen, unter welchen bei der Variation der Fälle das betrachtende Individuum steht, und weiter im spezielleren an die Variation innerhalb der einzelnen Empfindungsgebiete, dann aber auch an die Heranziehung verschiedener Empfindungsgebiete und an die Variationen der Zeiten und Zeitintervalle erinnert -, so kann das vielgenannte Prinzip der Variation noch eine spezielle Anwendung von origineller Art erfahren, indem wir auf einen früher erwähnten Gedanken zurückgreifen und die einzelzen Vergleichsakte hinsichtlich der Empfindungen nicht nur in annähernd simultaner oder sukzessiver Form, sondern in einer Art regelmäßigen Schwankens, eines konstanten Oszillierens stattfinden lassen. Der gemeinte Tatbestand ist am Beispiel von MARBEs Farbenkreisel leicht zu erläutern, bei welchem es sich nicht um eine auf einen Bruchteil von Sekunden beschränkte Einstellung des Apparates aufgrund eines einmaligen sukzessiven Vergleichens handelt, sondern um ein jedenfalls mehrere Sekunden dauerndes abwägendes Vergleichen, welches entweder eine Helligkeit sucht, die gleich oder zwei-, dreimal so groß ist wie eine andere, oder eine Farbengleichung, einen gleichen Sättigungsgrad oder gleiche Intensität herstellen soll. Diese Art des Vergleichens bietet jedenfalls bedeutende Vorteile, und die Psychophysik wird sie in vielen Fällen mit Glück anwenden können.

Es mögen noch ein paar weitere Beispiele angeführt werden, die uns auf die Fehlerhaftigkeit des einfachen Vergleichens hinweisen. Man stellt etwa Versuche an, gleichgültig zu welchem Zweck, bei denen man Eindrücke optischer, akustischer, eventuell auch taktiler Art miteinander vergleichen läßt. Die Versuchsanordnung ist so, daß sich in sorgfältig genau eingehaltenen Zeitintervallen zwei Reize folgen, denen also zwei Empfindungen entsprechen, die bezüglich der Intensität oder Dauer verglichen werden sollen. Jeder einzelne Eindruck wird durch ein bestimmtes Zeichen, das ebenso sorgfältig zeitlich fixiert ist und dessen Charakter in jeder Beziehung möglichst konstant gehalten wird, angekündigt. Auf den Eindruck hin folgt dann das Urteil der Versuchsperson, welches ein "heller, lauter, früher usw." angibt und eventuell diese Angaben noch mehr präzisiert; die Äußerungen lauten z. B. auf ein "ich glaube, wahrscheinlich ist es so" usw. Ferner können wir auch die Zeiten, welche vom zweiten Eindruck bis zum Urteil verstreichen, genau messen, und diese Messung kann wieder in eine solche zerfallen, welche sich auf das Zeitintervall zwischen dem zweiten Eindruck und einem allgemeineren Urteil, welches überhaupt erst das Aufgefaßtsein beider Reize verkündet, bezieht, und eine andere, der es auf die Bestimmung der Zeitintervalle zwischen jenem allgemeinen Urteil und der spezielleren Angabe ankommt; oder aber es wird nur die Zeit bis zum erstsen Urteil oder die vom ersten bis zum spezialisierten gemessen. Diese Exaktheit in der äußeren Versuchsanordnung kann noch weiter getrieben werden, so daß schließlich eine fast ideale Anordnung vorliegt. Aber trotzdem wird eine Menge von fehlerhaften und unbrauchbaren Resultaten zu verzeichnen sein, die in einem zuwenig beachteten Umstand begründet sind. Denn trotz aller äußeren Genauigkeit ist auf die Disposition des Beobachtenden zu wenig Rücksicht genommen, in deren Veränderung bei derartigen Versuchen eine wesentliche Irrtumsquelle liegt. Vor allem ist zu beachten, daß, wenn auch eine allgemeine Aufgabenstellung eine gewisse Konstanz in der Verfassung garantieren kann, so doch das gleichsam Zerrissene solcher Versuche gewisse, wenn auch kleine, so doch immerhin wirksame, für den Experimentator aber unbekannte Schwankungen in der Disposition herbeiführt. Wenn der erste Eindruck kommt, so trifft er eine Disposition a x y an, in der wir nur den Faktor a, das Moment der Aufgabenstellung, kennen. Die Disposition verändert dann offenkundig auf den ersten Eindruck hin ihr Gestalt während der Zwischenzeit zum zweiten Eindruck, bei welchem sie die allgemeine Form B x y haben mag. Endlich aber wirkt auch der zweite Eindruck wieder zugunsten einer konstanten Disposition, so daß wir schließlich ein B (x y z) haben. Hier ist nun freilich das Unbekannte in der Disposition, die Elemente x y z, wesentlich eingeschränkt. Aber es muß stark bezweifelt werden, daß jene Einschränkung nicht noch in weit höherem Maß hätte stattfinden können. Das zwischen dem ersten und dem zweiten Eindruck verfließende Zeitstück gibt für allerlei unbekannte Veränderungen, das Auftauchen von Gefühlen, Gedanken, Erwartungen, einen günstigen Angriffspunkt, und wir müssen suchen, wie jenem Übelstand anzuhelfen ist.

Wir können nun zu dem Zweck auf die erwähnte Art der oszillierenden Vergleichstätigkeit rekurrieren. Wenn wir z. B. statt zweier sukzessiver Eindrücke, die um zwei Sekungen zeitlich differerieren, zwei solche haben, die während dieser Zeit in mehrfacher Abwechslung auftauchen, so ist zunächst die rein sinnliche Aufmerksamkeit wesentlich mehr gefesselt als in jenem anderen Fall, und demgemäß wird auch auf die allgemeine Disposition in einem günstigen Sinn eingewirkt werden. Es ist auf die Weise das Auftauchen von Bewußtseinselementen verschiedenen Charakters, welches äußerlich oder innerlich motiviert sein mag, wesentlich eingeschränkt. Daß freilich jene Weise des Vergleichens von Eindrücken jederzeit anzuwenden ist, kann nicht behauptet werden; sie ist z. B. dann nicht am Platz, wenn es sich gerade um die Untersuchung der Verschiebung der früheren Eindrücke in der Erinnerung handelt. Im allgemeinen aber kann die bezeichnete Weise des Vergleichens gerade wegen der ihr natürlicherweise parallel gehenden Konstanz in der Gesamtposition als ein Mittel hingestellt werden, dessen Verwendung in weitem Umfang angestrebt werden muß. Welchen Wert aber jedes Vergleichen für Untersuchungen psychophysischer, ebensogut aber auch rein psychologischer Art hat, bedarf keiner besonderen Betonung.

Die letzteren Betrachtungen haben den nunmehr folgenden über die eigentliche experimentelle Psychologie bereits vorgegriffen, insbesondere, sondern vom Vergleichen die Rede war, das ja selbst ein ausgeprägtes Problem des psychologischen Experiments ist. Daß aber von einer psychophysischen Methode nicht ganz für sich die Rede sein kann, sondern daß einige in andere Gebiete übergreifende Fragen auch bei ihrer Besprechung eine gewisse Berücksichtigung verdienen, liegt in der Tatsache begründet, daß auch die Gegenstände der Psychophysik und die der experimentellen Psychologie, welche, ansich betrachtet, miteinander in keinem engeren Zusammenhang stehen, ineinander übergreifen, so daß eine Entscheidung oft nur mit Mühe zu fällen ist, wo die Psychophysik aufhört und die experimentelle Psychologie anfängt. Die genaue Abgrenzung beider Gebiete läßt sich ebensowenig mit absoluter Gewißheit ein für allemal feststellen, wie diejenige von äußerer und innerer Psychophysik im Sinne FECHNERs. Und der Unterschied beider Gebiete sowie dementsprechend der in ihnen zur Anwendung gelangenden Methoden wird sich daher nur in begrifflicher Form absolut festlegen lassen. Hier freilich scheint die Differenz eine prinzipielle. Die Psychophysik hat es als solche schlechterdings nur mit der Auffindung der gesetzlichen Beziehungen zwischen Bewußtsein und Körperwelt zu tun, dagegen besteht die Aufgabe der eigentlichen experimentellen Psychologie vielmehr in der Untersuchung der psychischen Tatsachen und der gesetzlichen Beziehungen in ihnen, wobei sie jene von der Psychophysik näher zu erforschenden Beziehungen als gesetzliche voraussetzt, indem sie darauf aufbaut, daß nun einmal psychische Phänomene in irgendeiner Weise ein sie repräsentierendes Korrelat in der Körperwelt haben und daß somit ihre Erforschung unter Zuhilfenahme jener Korrelate und der Beziehungen in ihnen ermöglicht werden kann. Auf der anderen Seite aber scheint doch die Psychophysik kein selbständiges Gebiet zu sein, welches der Physik oder der Psychologie als gleichwertig an die Seite zu stellen wäre. Denn wenn man die Frage aufwirft, wozu sie denn eigentlich ihre Bemühungen anstellt, wozu es dienlich sein kann, von exakten Beziehungen zwischen Bewußtsein und Körperwelt zu wissen, so kann die Antwort nur dahin lauten, daß aufgrund jener Beziehungen der Weg zu einer exakten Erkenntnis seelischer Phänomene angebahnt wird, da ja nunmehr die Reize gleichsam anstelle der ihnen entsprechenden Empfindungen untersucht, und zwar exakt untersucht werden könnten.

Ein weiteres Unterscheidungsmoment zwischen Psychophysik und experimenteller Psychologie kann man in der Tatsache sehen, daß ein ganzes Gebiet der Psychophysik, nämlich die innere oder die Psychophysiologie, in seinem weitaus meisten Problemen ein Gebiet ist, in welchem es fast nur Postulate, Vermutungen, Hypothesen und Annahmen zwischen Gehirn und Seele, Nervensystem und Bewußtseinsleben ist, darüber werden zur Zeit noch die mannigfachsten Spekulationen laut. Denkt man sich aber einmal jene Frage in weitgehendem Maß gelöst, so steht die Psychophysik vor einer merkwürdigen Krise. Entweder muß sie Halt machen und sich auf das von ihr erworbene Gebiet beschränken, oder sie muß die Kluft zwischen Bewußtsein und Körperwelt überschreiten und somit Metaphysik werden. Die Psychophysik nimmt somit eine nur einmal im gesamten Gebiet der Wissenschaft vorkommende, ganz originelle Stellung ein, die kein anderes Gebiet auch nur in annähernd ähnlicher Weise aufzuzeigen vermag. Dagegen ist die experimentelle Psychologie in einer prinzipiell anderen Lage, die man eher der der Physik vergleichen kann; denn indem sie einfach jene Beziehungen zwischen Bewußtsein und Körperwelt voraussetzt und sich um ihre nähere Bestimmung nicht kümmert, kann sie unbeschadet des Umstandes an die Untersuchung der Phänomene des Seelenlebens unter Zuhilfenahme der entsprechenden parallelen Erscheinungen in der Welt der sichtbaren Gegenstände, z. B. der körperlichen Lebensäußerungen fremder Individuen, herangehen. Wollte sie sich mit der Frage befassen, wie wir überhaupt zum Bewußtsein der Außenwelt, speziell anderer Individuen kommen, so würde sie über das ihr natürlich zukommende Gebiet hinausgreifen und etwas ähnliches tun, wie eine Physik, die Untersuchungen über das Wesen der Materie anstellt und gar nicht zum Experimentieren käme, weil sie glaubt, erst beweisen zu müssen, daß oder weshalb überhaupt von einer Materie und von materiellen Gegenständen geredet werden kann. Mag nun aber die experimentelle Psychologie auf ihrem Gebiet so weit vordringen wie die Physik in der Körperwelt, so wird sie, wenn ihr auch natürliche Schranken gesetzt sind, doch niemals an eine analoge Grenze gelangen können wie die Psychophysik, und wenn sich auch im Bereich ihrer Gegenstände manches Gebiet finden mag, dessen Erkundung aus prinzipiellen Erwägungen heraus als Möglichkeit gelten kann, so werden sich doch, was ein unbegrenztes Vordringen derselben betrifft, ungeheure praktische Schwierigkeiten in den Weg stellen. Schließlich aber kann die Berechtigung auch jener prinzipiellen Erwägung bestritten werden, da es im psychischen Leben noch manche dunklen Gebiete gibt, deren Erforschung wegen der Unbekanntheit mit denselben weder direkt behauptet noch aber wissenschaftlich als unberechtigt erwiesen werden kann.

Wenn wir an dieser Stelle noch einen Unterschied beider Wissenschaftszweige konstatieren wollen, so können wir auf ein später näher zu bezeichnendes Moment verweisen. Wenn nämlich beide auf Exaktheit Anspruch erheben, so ist die Exaktheit der experimentellen Psychologie nicht im gleichen Sinne aufzufassen wie die psychophysische. Denn während diese letztere in einer Art, die der mathematisch-physikalischen Methode nahe kommt, solche allgemeine Tatsachen und Gesetze findet, die sie in der Weise mathematischer Formeln zu fassen vermag - man denke an das Weber'sche Gesetz -, kann die experimentelle Psychologie keineswegs eine Exaktheit im gleichen Sinne treiben. Sondern, indem ihrer Forschungsweise das Moment der Verwendung von Statistiken charakteristisch ist, ergibt sich dementsprechend für die nähere Bestimmung ihrer Methode das Prädikat, daß sie zunächst nicht auf die Gewinnung allgemeiner Gesetze ausgeht, vor allem aber nicht solcher, die in exakten mathematischen Formulierungen zu fassen wären, sondern ihre Aufgabe ist in erster Linie die Aufstellung von Statistiken, aus denen zunächst noch keine Gesetze, sondern nur Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten folgen. Damit wendet sie sich nicht zugleich an das mathematische Denken, sondern vielmehr an ein Interpretationsvermögen. Will man die experimentelle Psychologie dem Gesamtzusammenhang aller wissenschaftlichen Methoden, insbesondere dem der physikalischen, psychophysischen einerseits, der der inneren Wahrnehmung, der Phänomenologie der inneren Erfahrung andererseits einordnen und eine Beziehung zwischen ihr und jenen anderen herstellen, so kann man sagen, daß, wenn die psychophysische Methode der erste Schritt zu einer genaueren Erforschung seelischer Tatsachen ist, nun die experimentelle Psycholoie den zweiten repräsentiert, indem sie nämlich einerseits genauen Beziehungen zwischen Bewußtsein und Körperwelt voraussetzt, andererseits aber die Phänomenologie der inneren Erfahrung zu Hilfe nimmt und somit auch die über die bloßen Empfindungen hinausgehenden Erscheinungen des Vergleichens, Assoziierens, Abstrahierens usw. zum Problem ihrer Untersuchungen macht. Allerdings erfährt die Richtung, die gleichsam von außen, aus der Körperwelt, in Gestalt einer mathematisch-physikalischen Forschungsweise in das Gebiet des Bewußtseinslebens vordringt, eine Modifikation. Die experimentelle Psychologie, sofern sie ja zunächst nur mit Statistiken und mit den aus ihnen sich ergebenden Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, entbehrt jenes Momentes der Unverbrüchlichkeit, wie es alle irgendeinen Kausalzusammenhang besagenden mathematisch-physikalischen Gesetze als einen prinzipiellen Charakterzug aufweisen. Mit Rücksicht darauf läßt sich WUNDTs (19) Bestimmung der Aufgabe, die die experimentelle Psychologie zu lösen hat, in ihrer Berechtigung angreifen. Sie lautet:
    "Die allgemeine Aufgabe der experimentellen Psychologie läßt sich dahin feststellen, daß sie die Inhalte unseres Bewußtseins in seine Elemente zerlegt, diese Elemente nach ihren quantitativen und qualitativen Eigenschaften kennen lehrt und die Verhältnisse der Koexistenz oder der Aufeinanderfolge derselben in exakter Weise vermittelt. Es ist dies eine Aufgabe, welche durchaus parallel geht derjenigen, welche die experimentelle Physik in Bezug au die äußere Erfahrung verfolgt."
Die Aufstellung der drei Fragen, welches die Elemente des Bewußtseins sind, wie die Verbinungen der Elemente beschaffen sind und welche Verhältnisse für die Koexistenz und Aufeinanderfolge maßgebend sind, deren Beantwortung WUNDT als die Aufgabe einer exakten Beschreibung hinstellt, könnte zu einer umfangreichen Diskussion Anlaß geben. Denn einerseits kann eine exakte Beschreibung nicht die Aufgabe der experimentellen Physik erschöpfen, die in Parallele zur experimentellen Psychologie stehen soll. Andererseits aber kann weder von Bewußtseinselementen in Analogie zu physikalischen Körpern die Rede sein, noch aber von einer Kausalerklärung, die WUNDT doch an anderer Stelle der Physik mit Recht zuschreibt (20). Schließlich aber steht das ganze zählende Verfahren der experimentellen Psychologie, also ihre Statistik, zur Physik in einem gewissen, wenn auch nicht absoluten Gegensatz.

Kehren wir aber von diesen Fragen, die uns zu weit führen würden, zur Unterscheidung der experimentellen Psychologie von der Psychophysik zurück, so müssen wir betonen, daß, so sicher jene Scheidung zu machen ist, doch die beiden Methoden bei der Einführung einer exakten Untersuchungsweise in die Psychologie nicht immer getrennt werden können. Wenn man die beiden Methoden mit Rücksicht auff eine gewisse Gemeinsamkeit ihres schließlich zu erreichenden Zieles zusammenstellt, so verhält es sich mit ihnen, wenn auch nicht ebenso, so doch ähnlich wie mit den Methoden der Chemie und Mineralogie oder wie mit denen der Physiologie und Zoologie. Beide sind jedesmal voneinander zu trennen; aber es ist klar, daß sie sich in den mannigfachsten Weisen gegenseitig verbinden und ergänzen. Wie aber etwa die physiologische Methode mehr oder weniger eine Anwendung in der Zoologie verdient, so muß auch die psychophysische in der experimentellen Psychologie eine Berücksichtigung finden. Freilich kann, wie oben angedeutet, eine reine, von psychphysischen Elementen freie experimentelle psychologische Untersuchung sehr wohl angestellt werden; dahin gehörten derartige Versuche, die die gesamte Wechselbeziehung zwischen Bewußtsein und Außenwelt von vornherein stillschweigend voraussetzen, und wenn sie auch in dieser Voraussetzung ein Problem von ganz eigenartigem Charakter zu sehen hat, so doch auf eine eingehende Behandlung desselben nicht nur verzichten kann, sondern auch gut tut, diesen Verzicht zu leisten. Das psychologische Experiment teilt also zunächst mit der Psychophysik deren sämtliche Voraussetzungen. Indem es aber weiterhin auch die Deutbarkeit - im Gegensatz zur Erklärbarkeit der Physik - der Bewußtseinsphänomene, wie sie in den Statistiken zum Ausdruck kommt, annimmt, weist es ein Maximum an Voraussetzungen auf. Dabei soll von derartigen Voraussetzunen, daß andere Individuen auch ein im gleichen Prinzip konstituiertes Bewußtseinsleben besitzen wie wir, und anderen ähnlichen nicht einmal die Rede sein.
LITERATUR Georg Anschütz, Über die Methoden der Psychologie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XX, Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) vgl. auch Münsterberg, Über die Aufgaben und Methoden der Psychologie, 1891
    2) vgl auch HERBARTs Vorstellungsgesetze.
    3) MÜNSTERBERG, a. a. O., Seite 48f.
    4) Über das indirekte Verfahren auf psychophysischem Gebiet vergleiche man die geistreichen Untersuchungen von van BIERVLIET im "Journal de Psychologie", Bd. I, 1904.
    5) GUSTAV THEODOR FECHNER, Elemente der Psychophysik, 1860.
    6) "De mensura sortis", 1738.
    7) "Fortune physique" und "Fortune morale".
    8) Treatise IV, § 6, Seite 332
    9) WAGNERs Handbuch der Physiologie II, Seite 550f.
    10) Elemente der Psychophysik, 1860. Vgl. auch Berichte der königlich-sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 1853, Seite 83.
    11) "Zur Grundlegung der Psychophysik", 1878. Vgl. auch F. A. MÜLLER, "Das Axiom der Psychophysik", 1882. Ferner: DELBOEUF, "Eléments de psychophysique".
    12) Vgl. WUNDT, "Grundzüge der Physiologischen Psychologie", Bd. I, sechste Auflage, Seite 3f.
    13) Vgl. MACH, Beiträge zur Analyse der Empfindungen.
    14) LOTZE, Medizinische Psychologie, Seite 296, 310, 324; Mikrokosmus I, Seite 332f; Grundzüge der Psychologie § 32f; vgl. auch WUNDT, Grundriß der Psychologie, fünfte Auflage, Seite 127.
    15) vgl. WUNDT, a. a. O., Seite 532.
    16) van BIERVLIET, a. a. O.
    17) vgl. WUNDT, a. a. O., Seite 23f.
    18) vgl. KÜLPE, Grundriß der Psychologie, Seite 132f und 322f. Vgl. auch WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie I, sechste Auflage, Seite 174f.
    19) WUNDT, Philosophische Studien 1, Seite 1f.
    20) WUNDT, Logik II, zweite Auflage, Seite 1; System der Philosophie II, dritte Auflage.