tb-1cr-2Reformgedanken zur LogikAufgabe und Einteilung der Logik     
 
GOTTLOB BENJAMIN JÄSCHE
Immanuel Kants Logik

"In den vorigen Zeiten wurde die Dialektik mit großem Fleiß studiert. Diese Kunst trug falsche Grundsätze unter dem Schein der Wahrheit vor und suchte, diesen gemäß, Dinge dem Schein nach zu behaupten. Bei den Griechen waren die Dialektiker die Sachwalter und Redner, welche das Volk leiten konnten, wohin sie wollten, weil sich das Volk durch den Schein hintergehen läßt. Dialektik war also damals die Kunst des Scheins. In der Logik wurde sie auch eine Zeitlang unter dem Namen  Disputierkunst  vorgetragen, und solange war alle Logik und Philosophie die Kultur gewisser geschwätziger Köpfe, jeden Schein zu erkünsteln. Nichts aber kann eines Philosophen unwürdiger sein, als die Kultur einer solchen Kunst. Sie muß daher in dieser Bedeutung gänzlich wegfallen und statt derselben vielmehr eine Kritik dieses Scheins in die Logik eingeführt werden."

Vorrede

Es sind bereits anderthalb Jahre, seit mir KANT den Auftrag erteilte, seine Logik, so wie er sie in öffentlichen Vorlesungen seinen Zuhörern vorgetragen hatte, für den Druck zu bearbeiten und dieselbe in der Gestalt eines kompendiösen Handbuches dem Publikum zu übergeben. Ich erhielt zu diesem Zweck von ihm die selbsteigene Handschrift, deren er sich bei seinen Vorlesungen bedient hatte, mit Äußerung des besonderen, ehrenvollen Zutrauens zu mir, daß ich, bekannt mit den Grundsätzen seines Systems überhaupt, auch hier in seinen Ideengang leicht eingehen, seine Gedanken nicht entstellen oder verfälschen, sondern mit der gehörigen Ordnung sie darstellen werde. - Da nun auf diese Art, indem ich den ehrenvollen Auftrag übernommen und denselben so gut, als ich vermochte, dem Wunsch und der Erwartung des  preiswürdigen Weisen,  meine vielverehrten Lehrers und Freundes gemäß, auszuführen gesucht habe, alles, was den  Vortrag  - die Einkleidung und Ausführung, die Darstellung und Anordnung der Gedanken betrifft, auf  meine  Rechnung zum Teil zu setzen ist, so obliegt es natürlichweise auch mir, hierüber den Lesern dieses neuen Kantischen Werkes einige Rechenschaft abzulegen. - Über diesen Punkt also hier eine und die andere nähere Erklärung.

Seit dem Jahr 1765 hat Herr Professor KANT seinen Vorlesungen über die Logik ununterbrochen das MEIER'sche Lehrbuch (GEORGE FRIEDRICH MEIERs Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752) als Leitfaden zugrunde gelegt; aus Gründen, worüber er sich in einem zur Ankündigung seiner Vorlesungen im Jahr 1765 von ihm herausgegeben Programm erklärte. - Das Exemplar des gedachten Kompendiums, dessen er sich bei seinen Vorlesungen bediente, ist, wie alle die übrigen Lehrbücher, die er zum gleichen Zweck brauchte, mit Papier durchschossen; seine allgemeinen Anmerkungen und Erläuterungen sowohl, als die spezielleren, die sich zunächst auf den Text des Kompendiums in den einzelnen Paragraphen beziehen, finden sich teils auf dem durchschossenen Papier, teils auf dem leeren Rand des Lehrbuches selbst. Und diese hier und da in verstreuten Anmerkungen und Erläuterungen schriftlich Aufgezeichnete macht nun zusammen das  Materialien-Magazin  aus, das KANT hier für seine Vorlesungen anlegte, und das er von Zeit zu Zeit teils durch neue Ideen erweiterte, teils in Anbetracht verschiedener einzelner Materien immer wieder von Neuem revidierte und verbesserte. Es enthält also wenigstens das Wesentliche von all dem, was der berühmte Kommentator des MEIER'schen Lehrbuches in seinen nach einer freien Manier gehaltenen Vorlesungen seinen Zuhörern über die Logik mitzuteilen pflegte, und das er des Aufzeichnens wert geachtet hatte. -

Was nun die Darstellung und Anordnung der Sachen in diesem Werk betrifft, so habe ich geglaubt, die Ideen und Grundsätze des großen Mannes am treffendsten auszuführen, wenn ich mich in Absicht auf die Ökonomie und die Einteilung des Ganzen überhaupt an seine ausdrückliche Erklärung hielte, nach welcher in die eigentliche Abhandlung der Logik und namentlich in die  Elementarlehre  derselben nichts weiter aufgenommen werden darf, als die Theorie von den drei wesentlichen Hauptfunktionen des Denkens, - den  Begriffen,  den  Urteilen  und  Schlüssen.  All das also, was bloß von der Erkenntnis überhaupt und deren logischen Vollkommenheiten handelt und was im MEIER'schen Lehrbuch der Lehre von den Begriffen vorhergeht und beinahe die Hälfte des Ganzen einnimmt, muß hiernach noch zur Einleitung gerechnet werden. - "Vorher war," bemerkt KANT gleich am Eingang zum achten Abschnitt, worin sein Autor die Lehre von den Begriffen vorträgt, - "vorher war von der Erkenntnis überhaupt gehandelt,  als Propädeutik  der Logik; jetzt folgt die  Logik selbst." 

Diesem ausdrücklichen Fingerzeig zufolge habe ich daher alles, was bis zu dem erwähnten Abschnitt vorkommt, in die Einleitung herüber genommen, welche aus diesem Grund einen viel größeren Umfang erhalten hat, als sie sonst in anderen Handbüchern der Logik einzunehmen pflegt. Die Folge hiervor war dann auch, daß die Methodenlehre, als der andere Hauptteil der Abhandlung, umso viel kürzer ausfallen mußte, je mehr Materien, die übrigens jetzt mit Recht von unseren neueren Logikern in das Gebiet der  Methodenlehre  gezogen werden, bereits in der Einleitung waren abgehandelt worden, wie z. B. die Lehre von den Beweisen und dgl. mehr. - Es wäre eine eben so unnötige, als unschickliche Wiederholung gewesen, dieser Materien hier noch einmal an ihrer rechten Stelle Erwähnung zu tun, um nur das Unvollständige vollständig zu machen und alles an seinen gehörigen Ort zu stellen. Das Letztere habe ich indessen doch getan in Absicht auf die Lehre von den  Definitionen  und der  logischen Einteilung der Begriffe,  welche im MEYER'schen Kompendium schon zum achten Abschnitt, nämlich zur Elementarlehre von den Begriffen gehört; eine Ordnung, die auch KANT in seinem Vortrag unverändert gelassen hat.

Es versteht sich übrigens wohl von selbst, daß der große Reformator der Philosophie und, - was die Ökonomie und äußere Form der Logik betrifft, - auch dieses Teils der theoretischen Philosophie insbesondere, nach  seine  architektonischen Entwurf, dessen wesentliche Grundlinien in der Kritik der reinen Vernunft verzeichnet sind, die Logik würde bearbeitet haben, wenn es ihm gefallen und wenn sein Geschäft einer wissenschaftlichen Begründung des gesamten Systems der eigentlichen Philosophie - der Philosophie des reellen Wahren und Gewissen - dieses unweit wichtigere und schwerere Geschäft, das nur er zuerst und auch er allein nur in  seiner  Originalität ausführen konnte, ihm verstattet hätte, an die selbsteigene Bearbeitung einer Logik zu denken. Allein diese Arbeit konnte er recht wohl anderen überlassen, die mit Einsicht und unbefangener Beurteilung seine architektonischen Ideen zu einer wahrhaft zweckmäßigen und wohlgeordneten Bearbeitung und Behandlung dieser Wissenschaft benutzen konnten. Es war dies von mehreren gründlilchen und unbefangenen Denkern unter unseren deutschen Philosophen zu erwarten. Und diese Erwartung hat KANT und die Freunde seiner Philosophie auch nicht getäuscht. Mehrere neuere Lehrbücher der Logik sind mehr oder weniger, in Betreff der Ökonomie und Disposition des Ganzen, als eine Frucht jener  Kantischen  Ideen zur Logik anzusehen. Und daß diese Wissenschaft dadurch wirklich gewonnen wird; - daß sie zwar weder reicher, noch eigentlich ihrem Gehalt nach solider oder in sich selbst gegründeter, wohl aber  gereinigter  teils von allen ihr fremdartigen Bestandteilen, teils von so manchen unnützen Subtilitäten und bloßen dialektischen Spielwerken, - daß sie  systematischer  und doch bei aller wissenschaftlichen Strenge der Methode zugleich  einfacher  geworden, davon muß wohl jeden, der übrigens nur richtige und klare Begriffe vom eigentümlichen Charakter und den gesetzmäßigen Grenzen der Logik hat, auch die flüchtigste Vergleichung der älteren mit den neueren, nach Kantischen Grundsätzen bearbeiteten Lehrbüchern der Logik überzeugen. Denn so sehr sich auch so manche unter den älteren Handbüchern dieser Wissenschaft an wissenschaftlicher Strenge in der Methode, an Klarheit, Bestimmtheit und Präzision in den Erklärungen und an Bündigkeit und Evidenz in den Beweisen auszeichnen mögen; so ist doch keines darunter, in welchem nicht die Grenzen der verschiedenen, zur allgemeinen Logik im weiteren Umfang gehörigen Gebiet der  bloß Propädeutischen,  des  Dogmatischen  und  Technischen,  des  Reinen  und  Empirischen,  so ineinander und durcheinander liefen, daß sich das eine vom andern nicht bestimmt unterscheiden läßt.

Zwar bemerkt Herr JAKOB in der Vorrede zur ersten Auflage seiner Logik: "WOLFF habe die Idee einer allgemeinen Logik vortrefflich gefaßt und wenn dieser große Mann darauf verfallen wäre, die reine Logik ganz abgesondert vorzutragen, so hätte er uns gewiß, vermöge seines systematischen Kopfes, eine Meisterstück geliefert, welches alle künftigen Arbeiten dieser Art unnütz gemacht hätte." Aber er hat diese Idee nun einmal nicht ausgeführt und auch keiner unter seinen Nachfolgern hat sie ausgeführt; so groß und wohlgegründet auch übrigens überhaupt das Verdienst ist, das sich die WOLFFische Schule um das eigentlich  Logische,  die  formale  Vollkommenheit in unserer philosophischen Erkenntnis erworben erworben hat.

Aber abgesehen nun von dem, was in Ansehung der äußeren Form zur Vervollkommnung der Logik durch die notwendige Trennung reiner und bloß formaler von empirischen und realen oder metaphysischen Sätzen noch geschehen konnte und geschehen mußte, so ist, wenn es die Beurteilung und Bestimmung des inneren Gehaltes dieser Wissenschaft, als Wissenschaft gilt, KANTs Urteil über diesen Punkt nicht zweifelhaft. Er hat sich mehrere Male bestimmt und ausdrücklich darüber erklärt: daß die Logik als eine abgesonderte, für sich bestehend und in sich selbst gegründete Wissenschaft anzusehen sei, und daß sie mithin auch seit ihrer Entstehung und ersten Ausbildung vom ARISTOTELES an bis auf unsere Zeiten eigentlich nichts an wissenschaftlicher Begründung habe gewinnen können. Dieser Behauptung gemäß hat also KANT weder an eine Begründung der logischen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs selbst durch ein höheres Prinzip, noch an eine Deduktion der logischen Formen der Urteile gedacht. Er hat das Prinzip des Widerspruchs als einen Satz anerkannt und behandelt, der seine Evidenz in sich selber habe und keiner Ableitung aus einem höheren Grundsatz bedürfe. - Nur den Gebrauch, - die Gültigkeit dieses Prinzips hat er eingeschränkt, indem er es aus dem Gebiet der Metaphysik, worin es der Dogmatismus geltend zu machen suchte, verwies und auf den bloß logischen Vernunftgebrauch, als allein gültig nur für diesen Gebrauch beschränkte.

Ob nun aber wirklich der logische Satz der Identität und des Widerspruchs ansich und schlechtin keiner weiteren Deduktion fähig und bedürftig sei, das ist freilich eine andere Frage, die auf die vielbedeutende Frage führt: ob es überhaupt ein  absolut erstes Prinzip  aller Erkenntnis und Wissenschaft gebe; - ob ein solches möglich sei und gefunden werden könne?

Die  Wissenschaftslehre  glaubt, ein solches Prinzip im  reinen, absoluten Ich  entdeckt und damit das gesamte philosophische Wissen nicht der bloßen Form, sondern auch dem Gehalt nach vollkommen begründet zu haben. Und unter Voraussetzung der Möglichkeit und apodiktischen [logisch zwingenden, demonstrierbaren - wp]Gültigkeit dieses absolut einigen und unbedingten Prinzips handelt sie daher auch vollkommen konsequent, wenn sie die logischen Grundsätze der Identität und des Widerspruchs, die Sätze:  A = A  und:  A = - A  nicht unbedingt gelten läßt, sondern nur für  subalterne  [nachrangige - wp] Sätze erklärt, die durch sie und ihren obersten Satz:  Ich bin,  - erst erwiesen und bestimmt werden können und müssen. (siehe Grundlagen der Wissenschaftslehre, 1794, Seite 13 etc.) Auf eine gleich konsequente Art erklärt sich auch SCHELLING in seinem System des transzendentalen Idealismus gegen die Voraussetzung der logischen Grundsätze als  unbedingter,  d. h. von keinen höheren abzuleitender, indem die Logik überhaupt nur durch Abstraktion von bestimmten Sätzen und - sofern sie auf wissenschaftliche Art entsteht, - nur durch Abstraktion von den  obersten  Grundsätzen des Wissens entstehen könne, und folglich diese höchsten Grundsätze des Wissens und mit ihnen die Wissenschaftslehre selbst selbst schon voraussetze. - Da aber von der anderen Seite diese höchsten Grundsätze des Wissens, als  Grundsätze  betrachtet, ebenso notwendig die logische Form schon voraussetzen; so entsteht eben hieraus jener Zirkel, der sich zwar für die Wissenschaft nicht auflösen, aber doch erklären läßt, - erklären durch Anerkennung eines zugleich der Form und dem Gehalt nach (formellen und materiellen) ersten Prinzips der Philosophie, in welchem beides, Form und Gehalt, sich wechselseitig bedingt und gegründet. In diesem Prinzip läg alsdann der Punkt, in welchem das Subjektive und das Objektive, - das identische und das synthetische Wissen ein und dasselbe wären.

Unter Voraussetzung einer solchen Dignität, wie sie einem solchen Prinzip ohne Zweifel zukommen muß, würde demnach die Logik, sowie jede andere Wissenschaft, der Wissenschaftslehre und deren Prinzipien subordiniert sein müssen. -

Welche Bewandtnis es nun aber auch immer hiermit haben möge; - soviel ist ausgemacht: in jedem Fall bleibt die Logik im Innern ihres Bezirkes, was das Wesentliche betrifft, unverändert; und die transzendentale Frage: ob die logischen Sätze nach einer Ableitung aus einem höheren absoluten Prinzip fähig und bedürftig sind, kann auf sie selbst und die Gültigkeit und Evidenz ihrer Gesetze so wenig Einfluß haben, als die reine Mathematik, in Anbetracht ihres wissenschaftlichen Gehalts, die transzendentale Aufgabe hat: wie sind synthetische Urteile a priori in der Mathematik möglich? - so wie der Mathematiker als Mathematiker, so kann auch der Logiker als Logiker innerhalb des Bezirks seiner Wissenschaft beim Erklären und Beweisen seinen Gang ruhig und sicher fortgehen, ohne sich um die, außer seiner Sphäre liegende transzendentale Frage des Transzendental-Philosophen und Wissenschaftslehrers bekümmern zu dürfen:  wie reine Mathematik oder reine Logik als Wissenschaft möglich sei? 

Bei dieser allgemeinen Anerkennung der Richtigkeit der allgemeinen Logik ist daher auch der Streit zwischen den Skeptikern und den Dogmatikern über die letzten Gründe des philosophischen Wissens, nie auf dem Gebiet der Logik, deren Regeln jeder vernünftige Skeptiker so gut, als der Dogmatiker für gültig anerkannte, sondern jederzeit auf dem Gebiet der Metaphysik geführt worden. Und wie konnte es anders sein? Die höchste Aufgabe der eigentlichen hilosophie betrifft ja keineswegs das subjektive, sondern das objektive, - nicht das identische, sondern das synthetische Wissen. - Hierbei bleibt also die Logik  als solche  gänzlich aus dem Spiel; und es hat weder der Kritik, noch der Wissenschaftslehre einfallen können, - noch wird es überall einer Philosophie, die den transzendentalen Standpunkt vom bloß logischen bestimmt zu unterscheiden weiß, einfallen können, - die letzten Gründe des realen philosophischen Wissens innerhalb des Gebiets der bloßen Logik zu suchen und aus einem Satz der Logik, bloß als solchem betrachtet, ein  reales Objekt  herausklauben zu wollen.

Wer den himmelweiten Unterschied zwischen der eigentlichen (allgemeinen) Logik, als einer bloß formalen Wissenschaft, - der Wissenschaft des bloßen Denkens als Denkens betrachtet, - und der Transzendental-Philosophie, dieser einigen materialen oder realen reinen Vernunftwissenschaft, - der Wissenschaft des eigentlichen Wissens, - bestimmt ins Auge gefaßt hat und nie wieder außer Acht läßt, wird daher leicht beurteilen können, was von einem neueren Versuch zu halten ist, den Herr BARDILI neuerdings (in seinem Grundriß der ersten Logik) unternommen hat, der Logik selbst noch ihr  Prius  auszumachen, in der Erwartung, auf dem Weg dieser Untersuchung zu finden: "ein  reales Objekt,  entweder durch  sie  (die bloße Logik) gesetzt oder sonst überall keines setzbar; den Schlüssel zum wesen der Natur entweder durch  sie  gegeben oder sonst überall keine Logik und keine Philosophie möglich." Es ist doch in der Wahrheit nicht abzusehen, auf welche mögliche Art Herr BARDILI aus seinem aufgestellten  Prius  der Logik, dem Prinzip der absoluten Möglichkeit des Denkens, nach welchem wir  Eines,  als  Eines  und  Ebendasselbe  im  Vielen  (nicht Mannigfaltigen) unendlichmale wiederholen können, ein reales Objekt herausfinden könne. Dieses vermeintlich neu entdeckt  Prius  der Logik ist ja offenbar nichts mehr und nichts weniger, als das alte längst anerkannte, innerhalb des Gebiet der Logik gelegene und an die Spitze dieser Wissenschaft gestellte Prinzip der Identität:  was ich denke, denke ich,  und eben dieses und nichts anderes kann ich nun  eben ins Unendliche wiederholt  denken. - Wer wird denn auch bei dem wohlverstandenen logischen Satz der Identität an ein Mannigfaltiges und nicht an ein  bloßes Vieles  denken, das allerdings durch nichts anderes entsteht, noch entstehen kann, als durch eine bloße Wiederholung eines und ebendesselben Denkens, - das bloße wiederholte Setzen eines  A = A = A  und so weiter ins Unendliche fort. - Schwerlich dürfte sich daher wohl auf  dem  Weg, den Herr BARDILI dazu eingeschlagen und nach derjenigen heuristischen Methode, deren er sich hierzu bedient hat, dasjenige finden lassen, woran der philosophierenden Vernunft gelegen ist, - der  Anfangs-  und  Endpunkt,  wovon sie bei ihren Untersuchungen ausgehen und wohin sie wiederum zurückkehren können. - Die hauptsächlichsten und bedeutendsten Einwürfe, die Herr BARDILI KANT und seiner Methode des Philosophierens entgegensetzt, könnten also auch nicht sowohl KANT den  Logiker,  als vielmehr KANT den  Transzendental-Philosophen  und  Metaphysiker  treffen. Wir können sie daher hier insgesamt an ihren gehörigen Ort dahingestellt sein lassen.

Schließlich will ich hier noch bemerken, daß ich die Kantische Metaphysik, wozu ich die Handschrift auch bereits in den Händen habe, sobald es die Muße mir verstattet, nach derselben Manier bearbeiten und herausgegeben werde.

GOTTLOB BENJAMIN JÄSCHE

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Einleitung

I.
Begriff der Logik

Alles in der Natur, sowohl in der leblosen, als auch in der belebten Welt geschieht  nach Regeln,  obgleich wir diese Regeln nicht immer kennen. Das Wasser fällt nach Gesetzen der Schwere, und bei den Tieren geschieht die Bewegung des Gehens auch nach Regeln. Der Fisch im Wasser, der Vogel in der Luft bewegt sich nach Regeln. Die ganze Natur überhaupt ist eigentlich nichts anderes, als ein Zusammenhang von Erscheinungen nach Regeln; und des gibt überall  keine Regellosigkeit.  Wenn wir in diesem Fall nur sagen: daß uns die Regeln unbekannt sind.

Auch die Ausübung unserer Kräfte geschieht nach gewissen Regeln, die wir befolgen, zuerst derselben  unbewußt,  bis wir zu ihrer Erkenntnis allmählich durch Versuche und einen längeren Gebrauch unserer Kräfte gelangen, ja uns am Ende dieselben so geläufig machen, daß es uns viel Mühe kostet, sie  in abstracto  zu denken. So ist z. B. die allgemeine Grammatik die Form einer Sprache überhaupt. Man spricht aber auch, ohne Grammatik zu kennen; und der, welcher, ohne sie zu kennen, spricht, hat wirklich eine Grammatik und spricht nach Regeln, deren er sich aber nicht bewußt ist.

So wie nun alle unsere Kräfte insgesamt, so ist auch insbesondere  der Verstand  bei seinen Handlungen an Regeln gebunden, die wir untersuchen können. Ja, der Verstand ist als der Quell und das Vermögen anzusehen, Regeln überhaupt zu denken. Denn so wie die Sinnlichkeit das Vermögen der Anschauungen ist, so ist der Verstand das Vermögen zu denken, d. h. die Vorstellungen der Sinne unter Regeln zu bringen. Er ist daher begierig, Regeln zu suchen, und befriedigt, wenn er sie gefunden hat. Es fragt sich also, da der Verstand die Quelle der Regeln ist, nach welchen Regeln er selber verfährt?

Denn es leidet gar keinen Zweifel: wir können nicht denken, oder unseren Verstand nicht anders gebrauchen, als nach gewissen Regeln. Diese Regeln können wir nun aber wieder für sich selbst denken, d. h. wir können sie  ohne ihre Anwendung  oder  in abstracto  denken. - Welches sind nun diese Regeln?

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Alle Regeln, nach denen der Verstand verfährt, sind entweder  notwendig  oder  zulässig.  Die ersteren sind solche, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes möglich wäre; die letzteren solche, ohne welche ein gewisser bestimmter Verstandesgebrauch nicht stattfinden würde. Die zufälligen Regeln, welche von einem bestimmten Objekt der Erkenntnis abhängen, sind so vielfältig, als diese Objekte selbst. So gibt es z. B. einen Verstandesgebrauch in der Mathematik, in der Metaphysik, Moral usw. Die Regeln dieses besonderen, bestimmten Verstandesgebrauchs in den gedachten Wissenschaften sind zufällig, weil es zufällig ist, ob ich dieses oder jenes Objekt denke, worauf sich diese besonderen Regeln beziehen.

Wenn wir nun aber alle Erkenntnis, die wir bloß von den  Gegenständen  entlehnen müssen, beiseite setzen und lediglich auf den Verstandesgebrauch überhaupt reflektieren, so entdecken wir diejenigen Regeln desselben, die in aller Absicht und unangesehen aller besonderen Objekte des Denkens schlechthin notwendig sind, weil wir ohne sie gar nicht denken würden. Diese Regeln können daher auch  a priori,  d. h.  unabhängig von aller Erfahrung  eingesehen werden, weil sie  ohne Unterschied der Gegenstände,  bloß die Bedingungen des Verstandesgebrauchs überhaupt, er mag  rein  oder  empirisch  sein, enthalten. Und hieraus folglich zugleich, daß die allgemeinen und notwendigen Regeln des Denkens überhaupt lediglich die  Form,  keineswegs die  Materie  desselben betreffen können. Demnach ist die Wissenschaft, die diese allgemeinen und notwendigen Regeln enthält, bloße eine Wissenschaft von der Form unserer Verstandeserkenntnis oder des Denkens. Und wir können uns also eine Idee von der Möglichkeit einer solchen Wissenschaft machen, so wie von einer  allgemeinen Grammatik,  die nichts weiter, als die bloße Form der Sprache überhaupt enthält, ohne Wörter, die zur Materie der Sprache gehören.

Diese Wissenschaft von den notwendigen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft überhaupt, oder, welches einerlei ist, von der bloßen Form des Denkens überhaupt, nennen wir nun  Logik. 

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Als eine Wissenschaft, die auf alles Denken überhaupt geht, unangesehen der Objekte, als der Materie des Denkens, ist die Logik. 1) als  Grundlage  zu allen anderen Wissenschaften und als die  Propädeutik  alles Verstandesgebrauchs anzusehen. Sie kann aber auch eben darum, weil sie von allen Objekten gänzlich abstrahiert.

2) kein  Organon  der Wissenschaften sein.

Unter einem Organon verstehen wir nämlich eine Anweisung, wie ein gewisses Erkenntnis zustande gebracht werden solle. Dazu aber gehört, daß ich das Objekt der nach gewissen Regeln hervorzubringenden Erkenntnis schon kenne. Ein Organon der Wissenschaft ist daher nicht bloße Logik, weil es die genaue Kenntnis der Wissenschaften, ihrer Objekte und Quellen voraussetzt. So ist z. B. die Mathematik ein vortreffliches Organon, als eine Wissenschaft, die den Grund der Erweiterung unserer Erkenntnis in Anbetracht eines gewissen Vernunftgebrauchs enthält. Die Logik ist hingegen, da sie, als allgemeine Propädeutik alles Verstandes- und Vernunftgebrauchs überhaupt, nicht in die Wissenschaften gehen und deren Materie antizipieren darf, ist nur eine  allgemeine Vernunftkunst  (canonica Epicuri), Erkenntnisse überhaupt der Form des Verstandes gemäß zu machen, und also nur insofern ein Organon zu nennen, das aber freilich nicht zur  Erweiterung,  sondern bloß zur  Beurteilung  und  Berichtigung  unseres Erkenntnisses dient.

3) Als eine Wissenschaft der notwendigen Gesetze des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes und der Vernunft stattfindet, die folglich die Bedingungen sind, unter denen der Verstand einzig mit sich selbst zusammenstimmen kann und soll, - die notwendigen Gesetze und Bedingungen seines richtigen Gebrauchs, - ist aber die Logik ein  Kanon.  Und als ein Kanon des Verstandes und der Vernunft darf sie daher auch keine Prinzipien weder aus irgendeiner Wissenschaft, noch aus irgendeiner Erfahrung borgen; sie muß lauter Gesetze  a priori,  welche notwendig sind und auf den Verstand überhaupt gehen, enthalten.

Einige Logiker setzen zwar in der Logik  psychologische  Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu bringen, ist eben so ungereimt, als Moral vom Leben herzunehmen. Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d. h. aus den Beobachtungen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen,  wie  das Denken vor sich geht und  wie  es  ist  unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; dieses würde also zur Erkenntnis bloß  zufälliger  Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach  zufälligen,  sondern nach  notwendigen  Regeln; - nicht, wie wir denken, sondern wie wir denken sollen. Die Regeln der Logik müssen daher nicht vom  zufälligen,  sondern vom  notwendigen  Verstandesgebrauch hergenommen sein, den man ohne alle Psychologie bei sich findet. Wir wollen in der Logik nicht wissen: wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern: wie er im Denken verfahren sollte. Sie soll uns den richtigen, d. h. den mit sich selbst übereinstimmenden Gebrauch des Verstandes lehren.

*     *     *

Aus der gegebenen Erklärung der Logik lassen sich nun auch noch die übrigen wesentlichen Eigenschaften dieser Wissenschaften herleiten, nämlich daß sie

4) eine Vernunftwissenschaft sei nicht der bloßen Form, sondern  der Materie nach,  da ihre Regeln nicht aus der Erfahrung hergenommen sind und da sie zugleich die Vernunft zu ihrem Objekt hat. Die Logik ist daher eine Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft, aber nicht nach den Vorgängen derselben in Anbetracht der Objekte, sondern lediglich der Form nach. Ich werde in der Logik nicht fragen:  was  erkennt der Verstand und  wie viel  kann er erkennen oder  wie weit  geht seine Erkenntnis? Denn das wäre Selbsterkenntnis in Anbetracht seines  materiellen  Gebrauchs und gehört also in die Metaphysik. In der Logik ist nur die Frage:  wie wird sich der Verstand selbst erkennen? 

Als eine der Materie und der Form nach rationale Wissenschaft ist die Logik endlich auch

5) eine  Doktrin  oder  demonstrierte Theorie.  Denn da sie sich nicht mit dem gemeinen und als solchem bloß empirischen Verstandes- und Vernunftgebrauch, sondern lediglich mit den allgemeinen und notwendigen Gesetzen des Denkens überhaupt beschäftigt; so beruth sie auf Prinzipien  a priori,  aus denen alle ihre Regeln abgeleitet und bewiesen werden können, als solche, denen alle Erkenntnis der Vernunft gemäß sein müßte.

Dadurch, daß die Logik als eine Wissenschaft  a priori,  oder als eine Doktrin für einen Kanon des Verstandes- und Vernunftgebrauchs zu halten ist, unterscheidet sie sich wesentlich von der  Ästethik die als bloße  Kritik des Geschmacks  keinen Kanon (Gesetz), sondern nur eine Norm (Muster oder Richtschnur bloß zur Beurteilung) hat, welche in der allgemeinen Einstimmung besteht. Die Ästhetik nämlich enthält die Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit den Gesetzen der Sinnlichkeit: die Logik dageen die Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft. Jene hat nur empirische Prinzipien und kann also nie Wissenschaft oder Doktrin sein, wofern man unter Doktrin eine dogmatische Unterweisung aus Prinzipien  a priori  versteht, wo man alles durch den Verstand ohne anderweitige von der Erfahrung erhaltene Belehrungen einsieht, und die uns Regeln gibt, deren Befolgung die verlangte Vollkommenheit verschafft.

Manche, besonders Redner und Dichter, haben versucht, über den Geschmack zu vernünfteln, aber nie haben sie ein entscheidendes Urteil darüber fällen können. Der Philosoph BAUMGARTEN in Frankfurt hatte den Plan zu einer Ästhetik, als Wissenschaft, gemacht. Allein richtiger hat HOME die Ästhetik  Kritik  genannt, da sie keine Regeln  a priori  gibt, die das Urteil hinreichend bestimmen, wie die Logik, sondern ihre Regeln  a posteriori  hernimmt und die empirischen Gesetze, nach denen wir das Unvollkommenere und Vollkommenere (Schöne) erkennen, nur durch die Vergleichung allgemeiner macht.

Die Logik ist also mehr als bloße Kritik; sie ist ein Kanon, der nachher zur Kritik dient, d. h. zum Prinzip der Beurteilung allen Verstandesgebrauchs überhaupt, wiewohl nur seiner Richtigkeit in Anbetracht der bloßen Form, da sie kein Organon ist, so wenig als die allgemeine Grammatik.

Als Propädeutik alles Verstandesgebrauchs überhaupt unterscheidet sich die allgemeine Logik nun auch zugleich von einer anderen Seite von der  transzendentalen Logik,  in welcher der Gegenstand selbst als ein Gegenstand des bloßen Verstandes vorgestellt wird; dagegen die allgemeine Logik auf alle Gegenstände überhaupt geht.

Fassen wir nun alle wesentliche Merkmale zusammen, die zu ausführlicher Bestimmung des Begriffs der Logik gehören; so werden wir also den folgenden Begriff von ihr aufstellen müssen.

Die Logik ist eine Vernunftwissenschaft nicht der Materie, sondern der bloßen Form nach; eine Wissenschaft a priori von den notwendigen Gesetzen des Denkens, aber nicht in Annbetracht besonderer Gegenstände, sondern aller Gegenstände überhaupt; - also eine Wissenschaft des richtigen Verstandes- und Vernunftgebrauchs überhaupt, aber nicht subjektiv, d. h. nicht nach empirischen (psychologischen) Prinzipien, wie der Verstand denkt, sondern objektiv, d. h. nach Prinzipien a priori, wie er denken soll. 

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II.
Haupteinteilung der Logik - Vortrag. -
Nutzen dieser Wissenschaft. - Abriß einer
Geschichte derselben.

Die Logik wird eingeteilt.

1) in die  Analytik  und die  Dialektik. 

Die Analytik entdeckt durch Zergliederung alle Handlungen der Vernunft, die wir beim Denken überhaupt ausüben. Sie ist also eine Analytik der Verstandes- und Vernunftform, und heißt auch mit Recht die Logik der Wahrheit, weil sie die notwendigen Regeln aller (formalen) Wahrheit enthält, ohne welche unsere Erkenntnis, unangesehen der Objekte, auch in sich selbst unwahr ist. Sie ist also auch weiter nichts, als ein Kanon zur Dijudikation [Enscheidung - wp] (der formalen Richtigkeit unserer Erkenntnis).

Wollte man diese bloß theoretische und allgemeine Doktrin zu einer praktischen Kunst, d. h. zu einem Organon gebrauchen, so würde sie  Dialektik  werden. Eine  Logik des Scheins  (ars sophistica, disputatoria), die aus einem bloßen Mißbrauch der Analytik entspringt, sofern nach der  bloßen logischen Form  der Schein einer wahren Erkenntnis, deren Merkmale doch von der Übereinstimmung mit den Objekten, also vom  Inhalt  hergenommen sein müssen, erkünstelt wird.

In den vorigen Zeiten wurde die Dialektik mit großem Fleiß studiert. Diese Kunst trug falsche Grundsätze unter dem Schein der Wahrheit vor und suchte, diesen gemäß, Dinge dem Schein nach zu behaupten. Bei den Griechen waren die Dialektiker die Sachwalter und Redner, welche das Volk leiten konnten, wohin sie wollten, weil sich das Volk durch den Schein hintergehen läßt. Dialektik war also damals die Kunst des Scheins. In der Logik wurde sie auch eine Zeitlang unter dem Namen  Disputierkunst  vorgetragen, und solange war alle Logik und Philosophie die Kultur gewisser geschwätziger Köpfe, jeden Schein zu erkünsteln. Nichts aber kann eines Philosophen unwürdiger sein, als die Kultur einer solchen Kunst. Sie muß daher in dieser Bedeutung gänzlich wegfallen und statt derselben vielmehr eine Kritik dieses Scheins in die Logik eingeführt werden.

Wir würden demnach zwei Teile der Logik haben: die  Analytik,  welche die formalen Kriterien der Wahrheit vorträgt; und die  Dialektik,  welche die Merkmale und Regeln enthält, wonach wir erkennen könen, daß etwas mit den formalen Kriterien der Wahrheit nicht übereinstimmt, obgleich es mit denselben übereinzustimmen scheint. Die Dialektik in dieser Bedeutung würde also ihren guten Nutzen haben als  Kathartikon  [Reinigungsmittel - wp] des Verstandes. Man pflegt die Logik ferner einzuteilen

2) in die  natürliche  oder  populäre  und in die  künstliche  oder  wissenschaftliche  Logik (logica naturalis, logica scholastica, logica artificialis).

Aber diese Einteilung ist unstatthaft. Denn die natürliche Logik oder die Logik der gemeinen Vernunft (sensus communis) ist eigentlich keine Logik, sondern eine anthropologische Wissenschaft, die nur empirische Prinzipien hat, indem sie von den Regeln des natürlichen Verstandes- und Vernunftgebrauchs handelt, die nur  in concreto,  also ohne Bewußtsein derselbe  in abstracto,  erkannt werden. - Die künstliche oder wissenschaftliche Logik verdient daher allein diesen Namen, als eine Wissenschaft der notwendigen und allgemeinen Regeln des Denkens, die, unabhängig vom natürlichen Verstandes- und Vernunftgebrauchs,  in concreto a priori  erkannt werden können und müssen, obgleich sie zuerst nur durch Beobachtung jenes natürlichen Gebrauchs gefunden werden können.

3) Noch eine andere Einteilung der Logik ist die in  theoretische  und  praktische  Logik, allein auch diese Einteilung ist unrichtig.

Die allgemeine Logik, die, als ein bloßer Kanon, von allen Objekten abstrahiert, kann keinen praktischen Teil haben. Dieses wäre eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp], weil eine praktische Logik die Kenntnis einer gewissen Art von Gegenständen, worauf sie angewandt wird, voraussetzt. Wir können daher jede Wissenschaft eine  praktische  Logik nennen; denn in jeder müssen wir eine Form des Denkens haben. Die allgemeine Logik, als praktisch betrachtet, kann daher nichts weiter sein, als eine  Technik der Gelehrsamkeit überhaupt;  - ein  Organon der Schulmethode. 

Dieser Einteilung zufolge würde also die Logik einen  dogmatischen  und einen  technischen  Teil haben. Der erste würde die  Elementarlehre,  der andere die  Methodenlehre  heißen können. Der praktische oder technische Teil der Logik wäre eine logische Kunst in Anbetracht der Anordnung und der logischen Kunstausdrücke und Unterschiede, um dem Verstand dadurch sein Handeln zu erleichtern.

In beiden Teilen, dem technischen sowohl als dem dogmatischen, würde aber weder auf Objekte, noch auf das Subjekt des Denkens die mindeste Rücksicht genommen werden dürfen. In der letzteren Beziehung würde die Logik eingeteilt werden können

4) in die  reine  und die  angewandte  Logik.

In der reinen Logik sondern wir den Verstand von den übrigen Gemütskräften ab und betrachten, was er für sich allein tut. Die angewandte Logik betrachtet den Verstand, sofern er mit den anderen Gemütskräften vermischt ist, die auf seine Handlungen einfließen und ihm eine schiefe Richtung geben, so daß er nicht nach den Gesetzen verfährt, von denen er wohl selbst einsieht, daß sie die richtigen sind. - Die angewandte Logik sollte eigentlich nicht Logik heißen. Es ist eine Psychologie, in welcher wir betrachten, wie es bei unserem Denken zuzugehen pflegt, nicht, wie es zugehen soll. Am Ende sagt sie zwar, was man tun soll, um unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Einschränkungen einen richtigen Gebrauch vom Verstand zu machen; auch können wir von ihr lernen, was den richtigen Verstandesgebrauch befördert, die Hilfsmittel desselben oder die Heilungsmittel von logischen Fehlern und Irrtümern. Aber Propädeutik ist sie doch nicht. Denn die Psychologie, aus welcher in der angewandten Logik alles genommen werden muß, ist ein Teil der philosophischen Wissenschaften, zu denen die Logik die Propädeutik sein soll.

Zwar sagt man: die Technik oder die Art und Weise, eine Wissenschaft zu bauen, soll in der angewandten Logik vorgetragen werden. Das ist aber vergeblich, ja sogar schädlich. Man fängt dann an zu bauen, ehe man Materialien hat, und gibt wohl die Form, es fehlt aber am Inhalt. Die Technik muß bei jeder Wissenschaft vorgetragen werden.

Was endlich

5) die Einteilung der Logik in die Logik des  gemeinen  und die des  spekulativen  Verstandes betrifft, so bemerken wir hierbei, daß diese Wissenschaft gar nicht so eingeteilt werden kann.

Sie kann keine Wissenschaft des spekulativen Verstandes sein.  Denn als eine Logik der spekulativen Erkenntnis oder des spekulativenn Vernunftgebrauchs wäre sie ein Organon anderer Wissenschaften und keine bloße Propädeutik, die auf allen möglichen Gebrauch des Verstandes und der Vernunft gehen soll.

Ebensowenig kann die Logik  ein Produkt des gemeinen Verstandes sein.  Der gemeine Verstand nämlich ist das Vermögen, die Regeln der Erkenntnis  in concreto  einzusehen. Die Logik soll aber eine Wissenschaft von den Regeln des Denkens  in abstracto  sein.

Man kann indessen den allgemeinen Menschenverstand zum Objekt der Logik annehmen; und insofern wird sie von den besonderen Regeln der spekulativen Vernunft abstrahieren und sich also von der Logik des  spekulativen  Verstandes unterscheiden.

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Was den  Vortrag  der Logik betriff, so kann derselbe entweder  scholastisch  oder  populär  sein.

Scholastisch  ist er, sofern er angemessen ist der Wißbegierde, den Fähigkeiten und der Kultur derer, die die Erkenntnis der logischen Regeln als eine Wissenschaft behandeln wollen.  Populär  aber, wenn er zu den Fähigkeiten und Bedürfnissen derjenigen sich herabläßt, welche die Logik nicht als Wissenschaft studieren, sondern sie nur brauchen wollen, um ihren Verstand aufzuklären. - Im scholastischen Vortrag müssen die Regeln  in ihrer Allgemeinheit  oder  in abstracto,  im populären dagegen  im Besonderen  oder  in concreto  dargestellt werden. Der scholastische Vortrag ist das Fundament des populären; denn nur derjenige kann etwas auf eine populäre Weise vortragen, der es auch gründlicher vortragen könnte.

Wir unterscheiden übrigens hier  Vortrag  von  Methode.  Unter  Methode  nämlich ist die Art und Weise zu verstehen, wie ein gewisses Objekt, zu dessen Erkenntnis sie anzuwenden ist, vollständig zu erkennen sei. Sie muß aus der Natur der Wissenschaft selbst hergenommen werden und läßt sich also, als eine dadurch bestimmte und notwendige Ordnung des Denkens, nicht ändern.  Vortrag  bedeutet nur die Manier, seine Gedanken andern mitzuteilen, um eine Doktrin verständlich zu machen.

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Aus dem, was wir über das Wesen und den Zweck der Logik bisher gesagt haben, läßt sich nunmehr der Wert dieser Wissenschaft und der Nutzen ihres Studiums nach einem richtigen und bestimmten Maßstab schätzen.

Die Logik ist also zwar keine allgemeine Erfindungskunst und kein Organon der Wahrheit; keine Algebra, mit deren Hilfe sich verborgene Wahrheiten entdecken ließen.

Wohl aber ist sie nützlich und unentbehrlich als  eine Kritik der Erkenntnis;  oder zur Beurteilung der gemeinen sowohl, als der spekulativen Vernunft, nicht um sie zu lehren, sondern nur um sie  korrekt  und mit sich selbst übereinstimmend zu machen. Denn das logische Prinzip der Wahrheit ist Übereinstimmung des Verstandes mit seinen eigenen allgemeinen Gesetzen.

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Was endlich die Geschichte der Logik betrifft, so wollen wir hierüber nur Folgendes anführen:

Die jetzige Logik schreibt sich von ARISTOTELES'  Analytik  her. Dieser Philosoph kann als der Vater der Logik angesehen werden. Er trug sie als Organon vor und teilte sie in  Analytik  und  Dialektik.  Seine Lehrart ist sehr scholastisch und geht auf die Entwicklung der allgemeinsten Begriffe, die der Logik zugrunde liegen, wovon man indessen keinen Nutzen hat, weil fast alles auf bloße Subtilitäten hinausläuf, außer daß man die Benennungen verschiedener Verstandeshandlungen daraus gezogen hat.

Übrigens hat die Logik von ARISTOTELES' Zeiten her an  Inhalt  nicht viel gewonnen, und das kann sie ihrer Natur nach auch nicht. Aber sie kann wohl gewinnen in Anbetracht der  Genauigkeit, Bestimmtheit  und  Deutlichkeit.  - Es gibt nur wenige Wissenschaften, die in einen beharrlichen Zustand kommen können, wie sie nicht mehr verändert werden. Zu diesen gehört die Logik und auch die Metaphysik. ARISTOTELES hat keinen Moment des Verstandes ausgelassen; wir sind darin nur genauer, methodischer und ordentlicher.

Von LAMBERTs  Organon  glaubte man zwar, daß es die Logik sehr vermehren würde, aber es enthält weiter nichts mehr, als nur subtilere Einteilungen, die, wie alle richtigen Subtilitäten, wohl den Verstand schärfen, aber von keinem wesentlichen Gebrauch sind.

Unter den neueren Weltweisen gibt es zwei, welche die allgemeine Logik in Gang gebracht haben: LEIBNIZ und WOLFF.

MALEBRANCHE und LOCKE haben keine eigentliche Logik abgehandelt, da sie auch vom Inhalt der Erkenntnis und vom Ursprung der Begriffe handeln.

Die allgemeine Logik von WOLFF ist die beste, welche man hat. Einige haben sie mit der aristotelischen verbunden, wie z. B. REUSCH.

BAUMGARTEN, ein Mann, der hierin viel Verdienst hat, konzentrierete die WOLFF'sche Logik und MEIER kommentierte dann wieder über BAUMGARTEN.

Zu den neueren Logikern gehört auch CRUSIUS, der aber nicht bedachte, was es mit der Logik für eine Bewandtnis hat. Denn seine Logik enthält metaphysische Grundsätze und überschreitet insofern die Grenzen dieser Wissenschaft; überdies stellt sie ein Kriterium der Wahrheit auf, das kein Kriterium sein kann, und läßt also insofern allen Schwärmereien freien Lauf.

In den jetzigen Zeiten hat es eben keinen berühmten Logiker gegeben, und wir brauchen auch zur Logik keine neuen Erfindungen, weil sie bloß die Form des Denkens enthält.

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III.
Begriff von der Philosophie überhaupt. - Philosophie nach dem Schulbegriff
und nach dem Weltbegriff betrachtet. - Wesentliche Erfordernise und Zwecke
des Philosophierens. - Allgemeinste und höchste Aufgaben dieser Wissenschaft.

Es ist zuweilen schwer, das, was unter einer Wissenschaft verstanden wird, zu erklären. Aber die Wissenschaft gewinnt an Präzision durch die Festsetzung ihres bestimmten Begriffs, und es werden so manche Fehler aus gewissen Gründen vermieden, die sich sonst einschleichen, wenn man die Wissenschaft noch nicht von den mit ihr verwandten Wissenschaften unterscheiden kann.

Ehe wir indessen eine Definition von Philosophie zu geben versuchen, müssen wir zuvor den Charakter der verschiedenen Erkenntnisse selbst untersuchen, und, da philosophische Erkenntnisse zu den Vernunfterkenntnissen gehören, insbesondere erklären, was unter diesen letzteren zu verstehen ist.

Vernunfterkenntnisse werden den  historischen  Erkenntnissen entgegengesetzt. Jene sind Erkenntnisse  aus Prinzipien  (ex principiis), diese Erkenntnisse aus  Daten  (ex datis). - Eine Erkenntnis kann aber aus der Vernunft entstanden und dessenungeachtet historisch sein; wie wenn z. B. ein bloßer Literator die Produkte fremder Vernunft lernt, so ist seine Erkenntnis von dergleichen Vernunftprodukten bloß historisch.

Man kann nämlich Erkenntnisse unterscheiden

1) nach ihrem  objektiven  Ursprung, d. h. nach den Quellen, woraus eine Erkenntnis allein möglich ist. In dieser Rücksicht sind alle Erkenntnisse entweder  rational  oder  empirisch; 

2) nach ihrem  subjektiven  Ursprung, d. h. nach der Art, wie eine Erkenntnis von den Menschen erworben werden kann. Aus diesem letzteren Gesichtspunkt betrachtet, sind die Erkenntnisse entweder  rational  oder  historisch,  sie mögen ansich entstanden sein, wie sie wollen. Es kann also  objektiv  etwas eine Vernunfterkenntnis sein, was  subjektiv  doch nur historisch ist.

Bei einigen rationalen Erkenntnissen ist es schädlich, sie bloß historisch zu wissen, bei anderen hingegen ist das gleichgültig. So weiß z. B. der Schiffer die Regeln der Schiffahrt historisch aus seinen Tabellen; und das ist für ihn genug. Wenn aber der Rechtsgelehrte die Rechtsgelehrsamkeit bloß historisch weiß, so ist er zum echten Richter und noch mehr zum Gesetzgeber völlig verdorben.

Aus dem angegebenen Unterschied zwischen  objektiv  und  subjektiv  rationalen Erkenntnissen erhellt sich nun auch, daß man Philosophie in gewisser Hinsicht lernen kann, ohne philosophieren zu können. Wer also eigentlich Philosoph werden will, muß sich üben, von seiner Vernunft einen freien und keinen bloß nachahmenden und, sozusagen, mechanischen Gebrauch zu machen.

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Wir haben die Vernunfterkenntnisse für Erkenntnisse aus Prinzipien erklärt; und hieraus folgt, daß sie  a priori  sein müssen. Es gibt aber zwei Arten von Erkenntnissen, die beide  a priori  sind, dennoch aber viele namhafte Unterschiede haben; nämlich  Mathematik  und  Philosophie. 

Man pflegt zu behaupten, daß Mathematik und Philosophie  dem Objekt nach  voneinander unterschieden sind, indem die erstere von der  Quantität,  die letztere von der  Qualität  handelt. All das ist falsch. Der Unterschied dieser Wissenschaften kann nicht auf dem Objekt beruhen; denn Philosophie geht auf alles, also auch auf  quanta,  und Mathematik zum Teil auch, sofern alles eine Größe hat. Nur die  verschiedene Art der Vernunfterkenntnis oder des Vernunftgebrauchs  in der Mathematik und Philosophie macht allein den spezifischen Unterschied zwischen diesen beiden Wissenschaften aus. Philosophie nämlich ist die  Vernunfterkenntnis aus bloßen Begriffen,  Mathematik hingegen die  Vernunfterkenntnis aus der Konstruktion der Begriffe. 

Wir  konstruieren  Begriffe, wenn wir sie in der Anschauung  a priori  ohne Erfahrung darstellen, der unserem Begriff von demselben entspricht. - Der Mathematiker kann sich nie seiner Vernunft nach bloßen Begriffen, der Philosoph ihrer nie durch eine Konstruktion der Begriffe bedienen. - In der Mathematik braucht man die Vernunft  in conreto,  die Anschauung ist aber nicht empirische, sondern man macht sich hier etwas a priori zum Gegenstand der Anschauung.

Und hierin hat also, wie wir sehen, die Mathematik einen Vorzug vor der Philosophie, daß die Erkenntnisse der ersteren intuitive, die der letzteren hingegen nur  diskursive  Erkenntnisse sind. Die Ursache aber, warum wir in der Mathematik mehr die Größen erwägen, liegt darin, daß die Größen in der Anschauung  a priori  konstruiert werden können, die Qualitäten dagegen lassen sich nicht in der Anschauung darstellen.

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Philosophie ist also das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der  Schulbegriff  von dieser Wissenschaft. Nach dem  Weltbegriff  ist sie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft. Dieser hohe Begriff gibt der Philosophie  Würde,  d. h. einen absoluten Wert. Und wirklich ist sie es auch, die allein nur  inneren  Wert hat und allen anderen Erkenntnissen erst einen Wert gibt.

Man fragt doch immer am Ende, wozu dient das Philosophieren und der Endzweck desselben, - die Philosophie selbst als Wissenschaft nach dem  Schulbegriff  betrachtet?

In dieser scholastischen Bedeutung des Wortes geht Philosophie nur auf  Geschicklichkeit;  in Bezug auf den Weltbegriff dagegen auf die  Nützlichkeit.  In der ersteren Rücksicht ist sie also eine  Lehre  der Geschicklichkeit; in der letzteren, eine Lehre  der Weisheit,  - die  Gesetzgeberin  der Vernunft, und der Philosoph insofern nicht  Vernunftkünstler,  sondern  Gesetzgeber. 

Der Vernunftkünstler, oder, wie SOKRATES ihn nennt, der  Philodox,  strebt bloß nach spekulativem Wissen, ohne darauf zu sehen, wieviel das Wissen zum letzten Zweck der menschlichen Vernunft beiträgt; er gibt Regeln für den Gebrauch der Vernunft zu allerlei beliebigen Zwecken. Der praktische Philosoph, der Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel ist der eigentliche Philosoph. Denn Philosophie ist die Idee einer vollkommenen Weisheit, die uns die letzten Zwecke der menschlichen Vernunft zeigt.

Zur Philosophie nach dem Schulbegriff gehören  zwei  Stücke:

erstens  ein zureichender Vorrat von Vernunfterkenntnissen; -  zum anderen:  ein systematischer Zusammenhang dieser Erkenntnisse, oder eine Verbindung derselben in der Idee eines Ganzen.

Einen solchen streng systematischen Zusammenhang gestattet nicht nur die Philosophie, sondern sie ist sogar die einzige Wissenschaft, die im eigentlichen Verstand einen systematischen Zusammenhang hat und allen anderen Wissenschaften eine systematische Einheit gibt.

Was aber Philosophie nach dem Weltbegriff (in sensu cosmico) betrifft, so kann man sie auch  eine Wissenschaft von der höchsten Maxime des Gebrauchs unserer Vernunft  nennen, sofern man unter Maxiime das innere Prinzip der Wahl unter verschiedenen Zweck versteht.

Denn Philosophie in der letzteren Bedeutung ist ja die Wissenschaft der Beziehung aller Erkenntnis und des Vernunftgebrauchs auf den Endzweck der menschlichen Vernunft, dem. als dem obersten, alle anderen Zwecke subordiniert sind und sich in ihm zur Einheit vereinigen müssen.

Das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedetung läßt sich auf folgende Fragen bringen:
    1)  Was kann ich wissen? 
    2)  Was soll ich tun? 
    3) Was darf ich hoffen?
    4) Was ist der Mensch?
Die erste Frage beantwortet die  Metaphysik,  die zweite die  Moral,  die dritte die  Religion,  und die vierte die  Anthropologie.  Im Grunde könnte man aber alles zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.

Der Philosoph muß also bestimmen können
    1) die Quellen des menschlichen Wissens
    2) den Umfang des möglichen und nützlichen Gebrauchs allen Wissens, und endlich
    3) die Grenzen der Vernunft. -
Das Letztere ist das Nötigste, aber auch das Schwerste, um das sich aber der Philodox nicht bekümmert.

Zu einem Philosophen gehören hauptsächlich zwei Dinge:
    1) Kultur des Talents und der Geschicklichkeit, um sie zu allerlei Zwecken zu gebrauchen;
    2) Fertigkeit im Gebrauch aller Mittel zu beliebigen Zwecken.
Beides muß vereinigt sein; denn ohne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen, sofern nicht eine zweckmäßige Verbindung aller Erkenntnisse und Geschicklichkeiten zur Einheit hinzukommt, und eine Einsicht in die Übereinstimmung derselben mit den höchsten Zwecken der menschlichen Vernunft.

Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht philosophieren kann. Philosophieren läßt sich aber nur durch Übung und selbsteigenem Gebrauch der Vernunft lernen.

Wie sollte sich auch Philosophie eigentlich lernen lassen? - Jeder philosophische Denker baut, sozusagen, auf den Trümmern eines anderen sein eigenes Werk; nie aber ist eines zustande gekommen, das in allen seinen Teilen beständig gewesen wäre. Man kann daher schon aus  dem  Grund Philosophie nicht lernen, weil sie  noch nicht gegeben  ist. Gesetzt aber auch, es wäre  eine wirklich vorhanden,  so würde dock keiner, der sie auch lernte, von sich sagen können, daß er ein Philosoph sei, denn seine Kenntnis davon wäre doch immer nur  subjektiv-historisch. 

In der Mathematik verhält sich die Sache anders. Diese Wissenschaft kann man wohl gewissermaßen lernen; denn die Beweise sind hier so evident, daß ein jeder davon überzeugt werden kann; auch kann sie ihrer Evidenz wegen, als eine  gewisse  und  beständige Lehre,  gleichsam aufbehalten werden.

Wer Philosophieren lernen will, darf dagegen alle  Systeme  der Philosophie nur als  Geschichte des Gebrauchs der Vernunft  ansehen und als Objekte der Übung seines philosophischen Talents.

Der wahre Philosoph muß also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen, keinen sklavisch nachahmenden Gebrauch von seiner Vernunft machen. Aber auch keinen  dialektischen,  d. h. keinen solchen Gebrauch, der nur darauf abzweckt, den Erkenntnissen einen  Schein  von  Wahrheit  und  Weisheit  zu geben. Dies ist das Geschäft des bloßen  Sophisten aber mit der Würde des Philosophen, als eines Kenners und Lehrers der Weisheit, durchaus unverträglich.

Denn Wissenschaft hat einen inneren wahren Wert nur als  Organ der Weisheit.  Als solches ist sie ihr aber auch unentbehrlich, so daß man wohl behaupten darf: Weisheit ohne Wissenschaft sei ein Schattenriß von einer Vollkommenheit, zu der wir nie gelangen werden.

Der die Wissenschaft haßt, um desto mehr aber die Weisheit liebt, den nennt man einen  Misologen.  Die Misologie entspringt gemeinhin aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber auch diejenigen in den Fehler der Misologie, welche anfangs mit großem Fleiß und Glück den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung finden.

Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugtuung zu verschaffen weiß; denn sie schließt gleichsam den wissenschaftlichen Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang.

Wir werden also zum Zweck der Übung im Selbstdenken oder Philosophieren mehr auf die  Methode  unseres Vernunftgebrauchs zu sehen haben, als auf die Sätze selbst, zu denen wir durch dieselbe gekommen sind.

LITERATUR: Gottlob Benjamin Jaesche, Immanuel Kants Logik, Leipzig 1876