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GERHART von SCHULZE-GAEVERNITZ
Nochmals "Marx oder Kant?" (1)
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"Nimmermehr ist bloße Skepsis imstande, die Religion aus der Welt zu schaffen. Die Masse verlangt einen leicht faßbaren Ersatz, einen Glauben, der zugleich Wissenschaft zu sein vorgibt. Dieses Dogma bietet der Materialismus - ein Kind aus der Ehe des «écrasez l'infame» [Zermalmt das Niederträchtige!] und der mechanischen Naturauffassung des frommen Newton."

"Mit der Annahme des philosophischen Materialismus fiel Marx in das vorkantische Zeitalter zurück. Denn der philosophische Materialismus ist wie jede Metaphysik durch Kants Erkenntnistheorie beseitigt: Das Ding-ansich ist nicht das Ding für mich."

"Es leistet sich auch der besser entlohnte Arbeier als ersten Luxus - die Frau als Ehefrau und Mutter. Er entzieht die Gattin dem Erwerbsleben. Die günstigen Heiratsaussichten der Dienstmädchen sollen darauf zurückgehen, daß der Arbeiter bei ihnen mehr hauswirtschaftliche Eigenschaften vermutet als bei den Genossinnen seiner Fabrikarbeit."

"Indem Marx Kants Primat der praktischen Vernunft ablehnte, versperrte er sich den Begriff der Kultur; er versperrte sich damit den Weg zur Nationalökonomie als Kulturwissenschaft. Er verfiel mit den Franzosen dem Vorurteil vom Universalismus der naturwissenschaftlichen Methode."

Seit ich meine vorjährige Rektoratsrede unter oben stehendem Titel veröffentlicht habe, ist in Jahresfrist die Marx-Literatur abermals angeschwollen. In erster Linie steht hier das umfangreiche Werk EMIL HAMMACHERs "Das philosophisch-ökonomische System des Marxismus", Leipzig 1909 (730 Seiten). HAMMACHERs Buch ist eine gewichtige Leistung, deren national-ökonomische Ausführungen die vortreffliche Studie DIETZELs zu Ehren bringen. In philosophischer Hinsicht liegen erfreuliche Bekenntnisse zum neukantischen Idealismus vor:
    "Nur eine radikale Wendung zu einem Idealismus, der nicht wie der überlieferte Liberalismus, Sozialismus und Positivismus negativ, sondern wirklich positiv ist, kann die Bewegung der Gegenwart in gültige Bahnen leiten." (Seite 720)
Der Verfasser ist nicht nur erkenntnistheoretischer Kantianer, wie diejenigen Sozialisten, welche MARX und KANT "versöhnen" wollen. Geboren aus dem Geist der kantischen Kulturphilosophie sind Worte wie folgende: "Eben wegen der psychologischen (?) Gesundung, die den Menschen von der Hast des Gegenwartslebens befreien wird, ist am wenigsten die Aufhebung dessen zu erwarten, was nach der materialistischen Geschichtsauffassung als Reflex der kapitalistischen Produktionsweise schwinden soll: Das 20. Jahrhundert wird die Religion von Neuem in geläuterten Formen, d. h. in persönlicher Ausprägung zu Ehren bringen." (Seite 640, vgl. auch 702: Ablehnung einer einseitig ästhetischen Klassenkultur)

Immerhin ist in philosophischer Hinsicht das Werk nicht ganz so erfreulich wie in seinen national-ökonomischen Teilen, indem der Verfasser den eigenen Standpunkt und damit den Maßstab der Kritik nicht immer scharf genug hervorhebt. Weniger, aber energischer Zusammengefaßtes wäre mehr gewesen. An einigen Stellen finden sich naturalistische Entgleisungen. So wird der Darwinismus als "eminent aristokratisceh" Wissenschaft bezeichnet, "welcher die Auslese der Tüchtigsten zum Ziel nehmen muß". Ist der Syphillisbazillus, der eine Südseebevölkerung hinwegdezimiert, "aristokratischer", als die durch ihn beseitigten Insulaner? Der Darwinismus als Naturwissenschaft ist weder aristokratisch noch demokratisch, sondern wertneutral. An anderer Stelle heißt es, die Rangordnung der kapitalistischen Welt ist eine "unnatürliche"; daher besteht unsere Aufgabe darin, die bessere "natürliche" Rangordnung wieder herzustellen. Selbstverständlicherweise ist der Kapitalismus nicht mehr und nicht minder "Natur", als aller Vor- und aller Nachkapitalismus. Das Bessere als das "Natürliche" zu bezeichnen, ist ein Sprachgebrauch, welcher die Naturwissenschaft verfälscht.

Zu HAMMACHERs umfangreichen Werk gesellen sich eine Reihe kleinerer Schriften, unter denen die Arbeit MUCKLEs "Geschichte der sozialistischen Ideen im 19. Jahrhundert" (2) die erste Stelle einnimmt. Wenn MUCKLE im Anschluß an sein Hauptwerk über SAINT-SIMON die Bedeutung der Franzosen für die außerfranzösische Entwicklung überschätzt - CARLYLE war kein bloßer Ausleger SAINT-SIMONs, sondern mehr noch der Schüler eines NOVALIS, Fichte und GOETHE - so hat HAMMACHER das Verdienst, die Bedeutung HEGELs als Grundlage für den Marxismus unterstrichen zu haben. Wichtig und für mich neu ist die Tatsache, daß MARX in London - nach dem Studium der Franzosen und nach der Aktion der vierziger Jahre - zum Studium HEGELs zurückgekehrt ist.

Das Schriftchen SOMBARTs "Das Lebenswerk von Karl Marx" (3), ist anregend wie alle Äußerungen des Verfassers - anregend insbesondere durch den Widerspruch, den es wachruft. Aber die Sprache! "Die spezifisch künstlerischen Valeurs, die das Oeuvre von Marx so über alles Normalmaß emporheben - -" (Seite 57). "Deutsch zu schreiben" war das Werk eines GOETHE. Bewußt sollten wir dieses Lebenswerk nicht durchkreuzen, sind wir doch unbewußt allzumal Sünder. TUGAN-BARANOWSKIs Schrift "Der moderne Sozialismus in seiner geschichtlichen Entwicklung" (4), eine Ergänzung der "Grundlagen des Marxismus" desselben Verfassers, wird der Bedeutung KANTs nach der ethisch-politischen Seite gerecht:
    "Schaltet man die Lehre vom absoluten Wert der menschlichen Persönlichkeit aus - so bleiben alle demokratischen Forderungen unserer Zeit ein leeres Gerede."
Aber auch dieser Schriftsteller kommt zu keinem "Marx oder Kant", zu keiner scharfen Scheidung des eudämonistisch gerichteten Individualismus der *französischen Revolution und der idealistisch gerichteten Persönlichkeitslehre KANTs und seiner Nachfolger. CHARASOFF (5) behandlet den Nationalökonomen MARX - aber MARX ist mehr als ein Mann, "der Reichtum für das höchste Gut hält und in ihm die ganze Kultur erblickt."

Ein Federkrieg zwischen KAUTSKY und der Generalkommission der deutschen Gewerkschaften blieb nicht ohne Bezug auf die Grundfragen des Marxismus. Hierzu kamen einige Äußerungen BERNSTEINs, u. a. eine solche in diesem Archiv. Endlich knüpfte sich an meine Rektoratsrede eine parteipolitisch gefärbte, daher wissenschaftlich belanglose Diskussion. Als wissenschaftliche Äußerungen beanspruchen dagegen Beachtung MAURENBRECHERs Aufsätz in der "Hilfe", September 1908, sowie VORLÄNDERs "Marx oder Kant?" im Archiv für Sozialwissenschaft, Mai 1909.

Ohne die in meiner Rektoratsrede niedergelegten Grundanschauungen abzuändern, geben mir die genannten Schriften Anlaß zu folgenden Nachträgen:

1. Wagte der deutsche Idealismus die Tat der Wertbejahung, so war der jugendliche MARX ist erster Linie Verneiner der herrschenden Religion, des herrschenden Staates, der herrschenden Philosophie, Verneiner der verhaßten Träger verschlissener Werte. Er war der Umstürzler aufgrund seiner Umwelt wie seiner Abstammung.

Versetzen wir uns in jene vormärzlichen Nebeltage, von deren Eindrücken MARXens Jugend geprägt wurde. Der deutsche Idealismus schien endgültig an der Unvernunft der Tatsache gescheitert. Vernichtung dieses Staates, Vernichtung dieser Religion, enger Anschaluß an die unendliche Überlegenheit der Westmächte! Dies schien nunmehr der deutschen Intelligenz als der einzige Ausweg hoffnungsloser Rückständigkeit.

Der Protest wandte sich zunächst gegen den Staat - gegen jene politische Wirklichkeit, die den Idealen FICHTEs und STEINs sich hoffnungslos versagte. Der Atheismus der bürgerlichen Intelligenz jener Jahre entsprang der Verbrüderung der Religion mit dem verhaßten Polizeistaat. In einem interessanten Referat auf dem evangelisch-sozialen Kongreß 1909 hat DREWS die Wurzel dieser Religionsfeindschaft bloßgelegt: Protest gegen geistige Verknechtung (6). Die Arbeiter sind dem Atheismus der bürgerlichen Vorgänger erst gefolgt. Die liberalen Arbeiterbildungsvereine jener Jahrzehnte haben dem Arbeiter "Bildung" im Sinne von naturalistischer Weltanschauung bewußt eingeimpft. Dieser Kein hat sich seitdem üppig entwickelt, immer unter dem Argwohn der Arbeiter, daß ihnen Religion gepredigt wird, um sie zu verdummen und politisch niederzuhalten, während CARL VOGT, BÜCHNER und HÄCKEL die wahre Meinung der "Herren" unter sich ist. In der Tat, nichts ist religionsfeindlicher, als der berüchtigte, von SCHMOLLER gegen TREITSCHKE bekämpfte Satz: Die Religion ist dem Volk zu erhalten - dem Volk im Gegensatz zu den sogenannten Gebildeten.

Der Protest wandte sich zugleich gegen die Philosophie, d. h. Deutschlands idealistische Philosophie, "die Betschwester der Religion." Die Überspannung des Idealismus durch HEGEL kam dieser Wendung der Gedanken entgegen.

HEGELs Wertmonismus beseitigte KANTs Dualismus zwischen Wert und Wirklichkeit, welcher der menschlichen Schwäche weise Rechnung getragen hatte. Was nicht wertvoll ist, sinkt herab zum Schein. HEGEL beseitigte insbesondere den erkenntnistheoretischen Dualismus zwischen der Wahrheit als Idee und dem menschlichen Wahrheitsstreben. Das Ich nimmt teil an Gott; der philosophische Geist erfaßt die Wahrheit durch Intuition. Daher die Ableitung von Naturwissenschaft wie Geschichte aus der Anschauung des "konkret Allgemeinen". Freilich: HEGELs Weltbild wollte nicht Erfahrungswissenschaft - als Kunstwerk war es die größte Schöpfung Deutschlands neben GOETHEs Faust. Aber die Vernachlässigung der Erfahrung über die Welt des schönen Scheins hinaus rächte sich bitter durch den nahen Umschlag. Für die hegelsche Linke wurde Geist "die Natur in ihrem Anderssein": "Der Mensch ist, was er ißt". Das Sein verschlingt den Wert.

Wie sehr das Judentum, insbesondere das von seinen nationalen Überlieferungen sich soben erst loslösende Judentum, diesem Wertnihilismus zuneigte, hat MARX in eine schärfere Form gegossen, als irgendein ein Antisemit: Das Judentum veräußerlicht Mensch und Natur, es unterwirf beide der Knechtschaft des egoistischen Bedürfnisses, dem "Schacher", wobei es das nur scheinbar siegreich Christentum von innen aushöhlt." (7)

Diese zeitgeschichtlichen Stimmungen des Protestes gipfelten in MARX zu gigantischer Größe. Man muß die Jugendschriften eines MARX nicht nur gelesen, man muß sie empfunden haben und kann nicht anders, als die erdgeborene Kraft dieses ungeheuren Himmelsstürmers bewundern! Neuere Ausleger "vergeistigen" diesen MARX, "dem die schwarzen Haare aus Wangen, Armen, Nase und Ohren quollen." (8) Sie such das Schriftwort den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht zu machen. Aber - sie verwässern damit den Helden.

In letzter Folge hätte MARXens Wertverneinung zum Subjektivismus STIRNERs führen müssen, wie er in den griechischen Sophisten vorgebildet ist (9), von SCHLEGELs "geniesüchtiger Ironie" erneuert, sich später in NIETZSCHE zu üppiger Blütenfülle entfaltete. Zwar beruhte die Großzügigkeit NIETZSCHEs auf weithin idealistischer Linienführung, zu deren Schwung die Blutleere unserer "Moderne" nicht mehr emporreicht. Aber vom Staat war NIETZSCHE [zarth. 22] doch gründlich losgekommen, von "diesem kältesten aller Ungerheuer". Anders MARX, der, um den Staat zu bekämpfen, auf die staatliche Arena herab mußte. Könnten wir das vielverschränkte Gewebe dieses glänzenden Geistes bloßlegen, wir würden erstaunen, wie stark die politische Kette gewesen ist, welche einen theoretischen Einschlag getragen hat.

II. Als Politiker bedurfte MARX des die Massen bindenden, den Massen verständlichen Dogmas. Dieses borgte er vom Westen: Philosophischen Materialismus und proletarischen Klassenkampf. MARX und ENGELS sind sich darüber klar, daß der Bankrott der deutschen Zustände es war, der zu dieser Anleihe beim Westen geführt hat: "Die praktische Notwendigkeiten" des Kampfes gegen die orthodoxe Frömmelei und die feudalabsolutistische Reaktion FRIEDRICH WILHELMs IV. drängten zum Anschluß an die englisch-französische Aufklärung (10).

Nimmermehr ist bloße Skepsis imstande, die Religion aus der Welt zu schaffen. Die Masse verlangt einen leicht faßbaren Ersatz, einen Glauben, der zugleich Wissenschaft zu sein vorgibt. Dieses Dogma bietet der Materialismus - ein Kind aus der Ehe des "écrasez l'infame" [Zermalmt das Niederträchtige! - wp] und der mechanischen Naturauffassung des frommen NEWTON. Mit der Annahme des philosophischen Materialismus fiel MARX in das vorkantische Zeitalter zurück. Denn der philosophische Materialismus ist wie jede Metaphysik durch KANTs Erkenntnistheorie beseitigt: Das Ding-ansich ist nicht das Ding für mich. Freilich, einem Hegelianer wie MARX bot HEGEL selbst für diesen Rückfall die willkommene Handhabe. HEGEL wie MARX beruhten auf der von KANT für alle Zeiten beseitigten Gleichsetzung von Denken und Sein. Die Gleichsetzung von beidem war einem HEGEL dadurch gelungen, daß er in einer Überspannung des Idealismus das körperliche Sein vollständig in das Denken aufgenommen hat. Anders der Materialismus, welcher das Denken zur Funktion des körperlichen Seins herabdrückt. Um seine "Abbild-Theorie" zu retten, bedarf der Materialismus des Wunders, nämlich der Harmonie zwischen der Materie des Weltalls und der das Weltall abbildenden Materie des menschlichen Gehirns.

Freilich entscheidet eine solche "Widerlegung" nimmermehr die Frage der Weltanschauung ganzer Volksschichten. Die Weltanschauung der arbeitenden Klassen wird meiner Meinung nach auch in Zukunft durch das bestimmt werden, was sich in den Köpfen der "Intelligenz" zur Herrschaft emporringt. Die heutige Lage dieser Köpfe kann man mit folgendem Schlagwort bezeichnen: Ablösung vom materialistischen Ufer, Irrfahrt auf dem Ozean des Subjektivismus ohne entschiedene Fahrtrichtung zum idealistischen Hafen.

Auch die deutsche Sozialdemokratie sucht heute vom Materialismus abzurücken - einen lendenlahmen Jugendgenossen. Dementsprechend versuchen neuere Marxisten, den Meister epigonenhaft abzuschwächen. Nein - für MARX war der Materialismus etwas Handgreiflicheres als "Realismus" oder "Wirklichkeitssinn" (11). Für MARX und ENGELS waren "Denken und Bewußtsein - Erzeugnis des menschlichen Hirns", "die stoffliche Welt - das einzig Wirkliche". Hierin "bedingungsloser Feuerbachianer", wandte sich MARX nur gegen die "Mängel" des naturwissenschaftlichen Materialismus, "der die Geschichte ausschließt". MARX suchte zu einem "neuen" Materialismus aufzusteigen, der zugleich die Wissenschaft der menschlichen Vergesellschaftung umfassen sollte. Für MARX war der historische Materialismus die Krönung des materialistischen Gedankens, von deren Höhe er auf die "nur" bürgerlichen Materialisten verächtlich herabgesehen hat (12). Daß KAUTSKY am philosophischen Materialismus festhält, ist zweifellos marxistischer, als das "Religion ist Privatsache" seiner revisionistischen Gegner, das MARX ausdrücklich bekämpft hat. (13)

Erfaßte MARX den Materialismus als das Dogma der religiösen Zersetzung, so ergriff er den Gedanken vom Klassenkampf als den Hebel des politischen Umsturzes. Die Lehre vom Klassenkampf war soeben erst in Frankreich zur Ausbildung gelangt: Inhalt der Geschichte sind Klassenkämpfe - einst die Kämpfe zwischen Franken und Galliern, dann zwischen Feudalen und Bourgeois, heute zwischen Bourgeois und Proletariern. Der Sieg des Proletariats bedeutet mit der Aufhebung des Eigentums zugleich die Aufhebung des zum Eigentumsschutz geschaffenen Staates. Auch hier wieder bot HEGEL die Anknüpfung. Der hegelsche Begriff der Selbstentfremdung lud, wie HAMMACHER mit Recht hervorhebt, zur Konstruktion einer Klasse der "unmenschlichen Existenz" ein, welche die Erzeugnisse ihrer Selbstentfremdung - Eigentum, Kapital - durch einen sehr gegenständlichen Umschlag selbst aufhebt.

Für MARX rückte damit das Proletariat als die "schlechthin revolutionäre Klasse" in den Mittelpunkt des theoretischen wie politischen Interesse - gewiß nicht als Gegenstand karitativer Bemühung, sondern als revolutionärer Sprengstoff. Auch hier hüten wir uns vor Abschwächung: der jugendliche MARX neigte in seinen kühnsten Stunden zum anarchisten Terror und predigte "den Zusammenstoß Mann gegen Mann". Nicht anders empfand jener MARX, der von der ersten Höhe seines Mannesalters aus das kommunistische Manifest in das Dunkel schlummernder Massen schleuderte und später jedes Revolutiönchen als die Morgenröte des neuen Tages begrüßte: Der Staatsplunder ist abzutun! Auch hier bewährt sich KAUTSKY, mildernden Auslegungen gegenüber, als Treuhänder der MARXschen Erbschaft:
    "Das Proletariat wird den Staat erobern, nicht um ihn zu einem wahren Staat zu machen, sondern um ihn aufzuheben - nicht um den wahren Staatszweck zu erfüllen, sondern um den Staat zwecklos zu machen." (14)
Um die Massen - für politische Zwecke - in Bewegung zu setzen, bedurfte MARX über die bloße Verneinung hinaus iner positiven Zielsetzung. Hierzu war ihm der französisch-englische Genußsozialismus gut genug: "Ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten, ihr habt eine Welt zu gewinnen!" "Das größte Glück der größten Menge" wäre diesem Glutkopf zu langweilig gewesen, um auch nur den kleinen Finger in Bewegung zu setzen. Aber er zog jenen Wechsel auf den irdischen Himmel, um die zu werbenden Kolonnen des Umsturzes zu besolden - des Umsturzes schlechthin: "Die Arbeiterklasse hat keine Ideale zu verwirklichen" - etwa "Gerechtigkeit" oder "Nation", Nebelgebilde der bürgerlichen Weltperiode. Durch spätere Gedankenschichtungen überdeckt, entschleiern diese Jugendzeugnisse den innerlichsten MARX.

"Widerlegt" ist die die Lehre vom revolutionären Proletariat, wie jedes derartige geschichtsphilosophische Schema durch den kantischen von FICHTE (15) erst voll herausgearbeiteten Gedanken: Diejenige Wirklichkeit, welche den Historiker wie den Politiker interessiert, ist irrational und daher aus allgemeinen Gesetzen nicht abzuleiten. Vielleicht hat der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat die politische Lage der vierziger Jahre in Frankreich und England - doch damals schon in sehr verschiedener Weise - beherrscht. Folgt daraus, daß er heute etwa in England, geschweige denn in Deutschland oder Japan dieselbe Bedeutung besitzt? Dasselbe gilt vom Barrikadenbau, der in den vierziger Jahren empfehlennswert sein mochte, später jedoch gegenüber den Fortschritten der Artilleristik versagt hat (16). In der Tat ist die Lehre vom Proletariat, wie sie MARX gedacht hat, heute offenkundig überlebt. Anstelle der unterschiedslosen Masse tritt sich eine gliedernde, in Lebenszielen und Lebensgewohnheiten sich verbürgerlichende Arbeiterschaft. Sich verbürgerlichend - auch in bürgerlichen Schwächen! Auf die Frage des Herrn L.: "Was wünschen Sie, daß Ihre Kinder werden?" antworten nicht wenige der befragten Arbeiter: "Pensionsfähige Beamte". Sich verbürgerlichend - auch in bürgerlichen Tugenden! Trotz aller großstädtischen Zersetzung ist die Ehe in den breiten Mittelschichten unseres Volkes im Wesentlichen noch gesund. So leistet sich auch der besser entlohnte Arbeier als ersten Luxus - die Frau als Ehefrau und Mutter. Er entzieht die Gattin dem Erwerbsleben. Die günstigen Heiratsaussichten der Dienstmädchen sollen darauf zurückgehen, daß der Arbeiter bei ihnen mehr hauswirtschaftliche Eigenschaften vermutet als bei den Genossinnen seiner Fabrikarbeit. Auf der anderen Seite bewegen sich immer breitere bürgerliche Schichten in Richtung auf die Arbeiterschaft: Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit und Eingliederung in Großbetriebe (auch staatliche) vollzieht sich hier ohne Proletarisierung der ökonomischen Lage. Das Heer der Privatangestellten widerlegt nicht minder als die gewerkschaftliche Arbeiteroberschicht die alte Lehre vom Proletariat und der einen reaktionären Masse. Auch die deutsche Sozialdemokratie konnte nicht anders, als MARXens starre Lehre gerade an diesem Punkt aufzuweichen. So leugnet BERNSTEIN ausdrücklich eine "absolute Gegenüberstellung zweier Klassen, die sich ausschließlich kämpfend gegenüberstehen." (17) Aber noch wagt man nicht zu scheinen, was man ist - in Rücksicht auf die nur langsam folgenden Massen. In Rücksicht auf die zu erziehenden Massen sollte man offen erklären, was MARXens Lehre vom Proletariat heute geworden ist - Historie, wenn auch Historie ersten Ranges.

Indem ich MARXens Anfänge als Wertnihilismus bezeichnet habe, geschah dies nicht, um "an ihm kein gutes Haar zu lassen". Veraltete Werte werden durch Angriffe gestählt. Noch weniger geschahe es, um MARX zu "widerlegen". Widerlegen läßt sich weder MARXens noch irgendein Wertnihilismus. Der Wert ist ein Ding, das - Gott sei Dank! - nicht bewiesen werden kann, sondern ergriffen werden will. Er ist die Voraussetzung allen Beweisens. Aufdecken lassen sich lediglich die Widersprüche; widerlegen lassen sich die Halbheiten, die sich ergeben, wenn der Wertnihilist nicht bis zu seinem letzten Punkt fortschreitet: MARX wollte Religion und Staat nicht nur persönlich leugnen, sondern draußen in der Welt stürzen. Aus diesem Grund bejaht er als Materialist den Wahrheitswert der Naturwissenschaft, als proletarischer Klassenkämpfer die politische Zielsetzung. Er trat also mit dem Gegner grundsätzlich auf einen gemeinsamen Boden.

III. Hinsichtlich des historischen Materialismus scheide man scharf folgende Fragen: Besteht für MARX ein Zusammenhang zwischen historischem und philosophischem Materialismus? Zweifellos. Zunächst ein literaturgeschichtlicher Zusammenhang. Die Franzosen, bei denen MARX in die Schule gegangen war, waren dadurch die Väter des historischen Materialismus geworden, daß sie die Geschichte zur Naturwissenschaft umzubauen versuchten, während sie auf der anderen Seite die Naturwissenschaft zur materialistischen Weltanschauung steigerten. Sodann bestand für MARX ein politischer Zusammenhang beider Lehren: Der historische Materialismus rückt den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat in den Mittelpunkt der Weltgeschichte. Der philosophische Materialismus beseitigt die geistigen Hemmnisse, die sich dem Siegeslauf des Proletariats entgegentürmen: feudale und bürgerliche Ideologien.

Hiervon trenne man die Frage: Besteht ein allgemeiner Zusammenhang zwischen philosophischem und historischem Materialismus? Keineswegs! Wenn jede ökonomische Umschichtung sich in geistiger Neubildung spiegelt, so bleibt nichts anderes übrig, als der Relativismus der Weltanschauung. Die geistige Wolkenbildung ist abhängig vom ökonomischen Wetter! Ist der Marxismus selbst eine solche drohend geballte, in fruchtbares Naß zerstäubende Gewitterwolke? Es ist dies die Schwierigkeit, an welcher jede naturalistische Weltanschauung scheitert, die des erkenntnistheoretischen Unterbaus ermangelt. Ist die darwinistische Lehre mehr als eine vergängliche Anpassungserscheinung in der Entwicklung des homo sapiens?

MARX entging diesem Zweifel dadurch, daß er mit HEGEL "ein Ende der Geschichte" gesetzt hat (18). Wie für HEGEL die Vernunft in HEGELs Philosophie zum Bewußtsein ihrer Freiheit gelangt und in der konstitutionellen Monarchie der germanischen Weltperiode ihren sichtbaren Ausdruck findet, so ist für MARX der philosophische Materialismus das höchste Ergebnis der bourgeoisen Denkentwicklung. In den Händen des Proletariats fällt ihm das letzte ideologische Flitterwerk ab: Vernichtung jener Welt der Werte, deren Jllusion endgültig durchschaut ist. Nachdem der historische Materialismus durch die Bewältigung der Geschichte das materialistische Weltbild abgeschlossen hat, ist im Marxismus die "letzte" Weltanschauung erreicht; zugleich kommen mit dem Sieg des Proletariats die weltgeschichtlichen Klassenkämpfe zu Ende: Die Geschichte, ihres Inhalts beraubt, versinkt in Schweigen.

Überhaupt, man unterschätze die Bedeutung HEGELs auch für MARXens Geschichtsphilosophie nicht. Zwar preist MUCKLE mit Recht MARX als den Vollender SAINT-SIMONs, "dessen Ideen ihm Offenbarungen gewesen sein müssen". Der inhaltliche Bestand der marxistischen Geschichtsphilosophie ist in französischen Quellen nachzuweisen. Aber MARX hat das Gerüst HEGELs, in das er die französischen Bausteine einfügt, niemals abgerissen. Er hätte - in diesem Gerüst bauend - zu einem Gebäude gleichen Baustils kommen müssen, auch ohne die Franzosen: MARX - der HEGEL "mit umgekehrten Vorzeichen".

a) Zunächst einige Worte hinsichtlich der französischen Bausteine. Der historische Materialismus der Franzosen wurzelt im Bestreben nach einem Universalismus der wissenschaftlichen Methode. "Les lois souveraines de la nature renferment les principes essentiels de l'ordre économique. [Die souveränen Naturgesetze enthalten die wesentlichen Prinzipien der Wirtschaftsordnung. - wp] (19) In diesem Sinn erklärte AUGUSTE COMTE: Was nicht Naturwissenschaft ist, hat die vorwissenschaftliche Stufe des Denkens nicht überwunden, z. B. die Geschichtsschreibung. Um die Geschichte zur Naturwissenschaft zu "erheben", suchte man in Übertragung der mechanischen Kausalität der Körperwissenschaft nach einer einheitlichen Ursache des geschichtlichen Geschehens. Man fand diese einheitliche Ursache zuerst im intellektuellen, später im ökonomischen Faktor (wobei die Technik den Übergang von der Naturwissenschaft zur Ökonomie vermittelt).

Dem entgegen steht KANT, welcher dem Reich der wertneutralen Natur das gewertete Reich der Kultur entgegensetzt. KANT war nicht nur der Vollender des Empirismus und des Naturmechanismus, dieser höchsten Ergebnisse westeuropäischen Denkens. KANT war zugleich der Vorläufer neuer deutscher Kulturphilosophie.

Man kann diesen Kulturgedanken zwar nicht mit den Worten, wohl aber im Sinne KANTs etwa so umschreiben: Gewisse Teile der äußeren Natur erscheinen im Hinblick auf zu verwirklichende Werte als "wesentlich" - als wesentlich zunächst für das Ich. Das Ich bejaht bestimmte Gegenstände der Umwelt (auch die Mitmenschen) als Mittel seiner individuellen Zwecke: er ergreift, gebraucht, verspeist sie! Insoweit hat ein Jeder seiner besondere Welt des Handelns, die dem Andern Natur ist. Daneben aber treten im Laufe der menschlichen Entwicklung solche Werte hervor, welche innerhalb eines Personenkreises Allgemeingültigkeit beanspruchen. Von der Natur sondert sich die Kultur: das Reich jener Dinge, welche wesentlich sein sollen nicht nur für das Ich, sondern ebenso auch für das Du. Insofern ist die Anerkennung des Du als seiner dem Ich gleichartigen Selbstsetzung die Voraussetzung aller Kultur (20).

Hieran anknüpfend kommen Neukantianer zu einem Pluralismus der wissenschaftlichen Methoden: Der Naturwissenschaft wird die Kulturwissenschaft entgegengesetzt, welche bald als Geschichtswissenschaft den Wechsel im Geschehen - "Ereignisse" - bald als Sozialwissenschaft die Wiederkehr im Geschehen - "Zustände" - zum Gegenstand hat. Im ersten Fall interessiert das geschichtliche Einzelsein, im zweiten der ideale Typus des kulturellen Geschehens (21). Immer aber handelt es sich um Gegenstände, die durch ihre Beziehung auf Kulturwerte als "wesentlich" für die Allgemeinheit erscheinen (22).

Der Begriff der Kultur beruth in letzter Linie auf KANTs Primat der praktischen Vernunft als der Bejahung eines schlechthin allgemeinverbindlichen Wertes, bei KANT der "Freiheit". Für KANT ist alle Geschichte im Grunde Geschichte der Freiheit (23). Unverankert in diesem letzten Wert wäre der einzelne Wertungsakt ein psychologischer Vorgang - Laune und Willkür - unkräftig, eine gemeinsame, durch Geschlechter fortschreitende Welt der Kultur zusammenzubinden. Wäre das Streben nach der Allgemeingültigkeit des Wertes ansich wertlos, so fehlte der Gegenstand einer Kulturwissenschaft, welche sich als allgemeine und unabweisbare Menschheitsaufgabe bejaht (24). Die einzelnen geschichtlichen Werte - bestritten und wandelbar, wie sie sind, - ermangelten des zwingenden Interesses, das über die Naturwissenschaft hinaus zu besonderer wissenschaftlicher Arbeit verpflichtet.

Beispiel: Die Nationalökonomie als Kulturwissenschaft. Aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen liest der Nationalökonom solche heraus, welche "wirtschaftlich" wesentlich sind. Die "Wirtschaft" - Beschaffung, Verteilung und Verbrauch der Sachgüter - ist ein allgemeingültiger Wert, insofern sie die Vorbedingung für die Verwirklichung aller höheren Kulturzwecke ist. Sie besitzt "mittelbaren Kulturwert" im Gegensatz zu den unmittelbaren Kulturwerten des politischen, wissenschaftlichen, künstlerischen und religiösen Lebens. Nur derjenige wird Nationalökonomie treiben, den die wirtschaftliche Sicherung des Volkes oder Menschheit als der Kulturträger interessiert. Wem die wirtschaftlichen Güter nur ein Mittel des Ich sind, der hat allen Anlaß, seine Privatwirtschaft nicht zu vernachlässigen; er hat keinen Anlaß, Nationalökonomie zu betreiben, welche die alten Kameralisten zu Unrecht als die Kunst definierten, "reich zu werden". Insofern enthält der vielbestrittene Ausdruck "ethische Nationalökonomie" einen guten Sinn, wenn man darunter nicht eine Sammlung von Rezepten, sondern eine teleologisch abgegrenzte Kulturwissenschaft verstehen will.

Indem MARX KANTs Primat der praktischen Vernunft ablehnte, versperrte er sich den Begriff der "Kultur"; er versperrte sich damit den Weg zur Nationalökonomie als Kulturwissenschaft. Er verfiel mit den Franzosen dem Vorurteil vom Universalismus der naturwissenschaftlichen Methode. Setzte RANKE den Unabhängigkeitskampf fort, "den der deutsche Geist seit den Tagen Lessings gegen den französischen zu führen gewohnt war", so kämpfte er nicht zuletzt gegen MARX.

b) MARX baute die französischen Bausteine in ein Gerüst aus HEGEL. HEGELs Panlogismus behauptet die Alleinherrschaft der sich durch Widersprüche im Weltprozeß entfaltenden Vernunft. Dieser Prozeß gipfelt in der Geschichte der Menschheit. Der Weltgeist offenbart sich in den Volksgeistern. Aber daneben kennt HEGEL auch das individuelle Ich. Das Erwachen des Ich bezeichnet den Übergang vom unbewußten Wirken der Vernunft in der Natur zur bewußten Selbstgestaltung der Vernunft in der sittlichen Welt. Die naturhaft gebundene Seele erwacht zum Bewußtsein des Ich - zunächst des beschränkt individuellen Ich. Dieses Ich prallt auf das andere Ich, das zunächst verneint und vernichtet, sodann unterjoch und damit bejaht wird: Herrschaft und Knechtschaft. Indem der Knecht - zur Arbeit gezwungen - die Dinge bildet, bildet er sich zur Freiheit. Indem der Herr die Früchte der knechtischen Arbeit genießt, wird er vom Knecht abhängig. Hieraus entwickelt sich die Anerkennung der Wesensgleichheit des Ich und Ich, die Grundlage aller Gesellschaft. Auf höherer Stufe wiederholt sich dasselbe Schauspiel: auf dem Boden des rechtlich gesicherten Eigentums stoßen die Einzelnen als Mitbewerber zusammen. Jeder bejaht nur sich selbst; aber der wirtschaftliche Egoismus führt zu einem System allseitiger Abhänigkeit, zur "bürgerlichen Gesellschaft". Dieser Zusammenhang verdichtet sich umso mehr, als die Bedürfnisse sich verfeinern. Die bürgerliche Gesellschaft geht an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Sie spaltet sich in die Gegensätze von Arm und Reich und ist unfähig, bei einem Übermaß des Reichtums dem Übermaß der Armut zu steuern. Diese Gegensätze steigern sich, bis sie, auf die Spitze getrieben, in einer höheren Ordnung ihre Aufhebung finden.

Bis zu diesem Punkjt folgt MARX dem Meister: Der Inhalt der Geschichte sind Klassenkämpfe, deren letzter und entscheidender sich auf dem Boden der "bourgeoisen" Gesellschaft abspielt. Von hier aus spaltet die hegelsche Linke vom Meister ab. Mit FEUERBACH leugnet MARX die überindividuelle Vernunft und greift auf das individuelle Bedürfnis als das letztentscheidende zurück: Anthropologie statt Philosophie!

MARX erhebt das Bedürfnis auf den Thron der hegelschen Vernunft: Panökonomismus! Aber er legt ohne weiteres dem neuen Herrscher das Gewand der entthronten Monarchin an: Das wirtschaftliche Bedürfnis in seiner objektiven Erscheinung als bürgerliche Gesellschaft ist für MARX "das konkret Allgemeine", aus dessen Wesen die allbeherrschenden ökonomischen Gesetze emanieren [auftauchen - wp]. Diese Gesetze beherrschen nicht etwa wie bei RICARDO nur eine hypothetische Welt, sondern sie stehen als letzthin entscheidende Macht hinter den Vorgängen der wirklichen Geschichte.

Weiter: Die Gegensätze der Gesellschaft finden bei HEGEL ihre Aufhebung im Staat - der sichtbaren Verkörperung der Vernunft. Für MARX ist der Staat ein Mittel der Unvernunft des Klassenkampfes und wird mit diesem beseitigt (25). Noch in der Kritik des Gothaer Programms, 1875 bezeichnet MARX den Staat als ein Gebilde der vorproletarischen Weltperiode - nicht nur Deutschland "bürokratisch gezimmerten, polizeilich geschützten Militärdespotismus", sondern auch die demokratische Republik. Er geißelt die Gewohnheit der Genossen, den Staat "als selbständiges Wesen zu behandeln, das seine eigenen geistigen Grundlagen besitzt". Mit Recht sagt MICHELS, der Staatssozialismus sei "eine Abirrung von Marx hinweg". (26) Endlich: HEGEL überwölbt die Welt der Geschichte durch die Welt der Idee, in welcher der Höhepunkt der Realität erst erreicht wird. Diese Welt der Idee wird zum Bollwerk der Persönlichkeit gegen die Übermacht der Gesellschaft wie des Staates. Für MARX ist die Idee umso traumhafter, je weiter sie vom wirtschaftlichen Mutterboden abliegt: "Nebelbildung", woraus die Verknechtung des Einzelnen durch die Gesellschaft sich unentrinnbar ergibt.

Ich frage: Wie hätte HEGEL anders konstruieren können, wenn man ihn davon überredet hätte, daß der "Weltgeist" ein unwahres Hirngespinst ist? Darin gleichen sich beide: Mit der Waffe der Geschichtsphilosophie meint MARX nicht anders als HEGEL die empirische Geschichte rationalisieren zu können - bis ins Einzelne hinein.

So ragt HEGELs riesenhaftes Gerüst fremdartig in die Welt des englisch-französischen Materialisms, auf deren Boden MARX grundsätzlich überging. HEGELs Begriffsrealismus tritt bei MARX allenthalben und vielfach beherrschend zutage. HAMMACHER gibt davor eine Reihe wertvoller Belegstellen. Hinter den empirischen Erscheinungen des Wirtschaftslebens stehen für MARX die "Gesetze" - "treibende Kräfte", welchen die Menschen blindlings unterworfen sind: die "wahre Wirklichkeit". Die in der Geschichte tätigen Einzelwillen sind ihr gegenüber von untergeordneter Bedeutung. Die begriffliche Abfolge der ökonomischen Kategorien entspricht der historischen Folge: Die einfachste Kategorie - Arbeit - ist zugleich die historisch früheste (27). Auch von der Seite HEGELs her schließen sich Natur und Geschichte zur Einheit: Dieselben dialektischen Gesetze setzen sich im Gewirr der Naturvorgänge durch, wie in den scheinbaren Zufälligkeiten der Geschichte. ENGELS verlangt geradezu Naturwissenschaft nach dialektischer Methode. (28)

Dieser Begriffsrealismus war folgerichtig bei HEGEL. Denn HEGELs Erkenntnis war "intellektuelle Anschauung", Schauen des Alleinen, dem alles Einzelne entfließt. HEGEL war von Haus aus - Schwabe - Theologe, Mystiker, wie denn Mystiker das Wort von der "intellektuellen Anschauung" geschaffen haben. Aussprüche, wie folgende, könnten vom jugendlichen HEGEL stammen, nimmermehr von MARX:
    "Wer im Innigsten will sein, der muß sich aller Mannigfaltigkeit entschütten. Man muß sich setzen in ein Verruchen all dessen, was das Eine nicht ist."

    "Wo man minnet Bild oder Person, da minnet Zufall Zufall, und dem ist Unrecht." (Suso)
Denken wir auch an das Zwiegespräch zweier Kirchenväter nach MEISTER ECKHART: Der Eine sagt: "Alles, was du von Gott aussagen kannst, das ist Gott nicht." Der Andere entgegnet: "Das ist Gott auch." Ein Dritter fügt hinzu: "Beide haben recht." Einem MARX war das Bad in einem "grundlosen Strudel der Einheitlichkeit" zeitlebens versagt - jenes Bad, das HEGELs Jugend zur Weltumfassung gestählt hat.

Aber: Gott und Mensch können im Gefühl zusammenwachsen, niemals in der Erkenntnis. Widerlegt wird HEGELs wie MARXens Begriffsrealismus durch die altbewährten Sätze KANTs: unser Erkennen schreitet anhand der Erfahrung von Einzelnen zum Einzelnen fort, unendliche Reihen verfolgend in der Richtung auf ein stets aufgegebenes, nie voll erreichtes Ziel. Der allgemeinste Begriff ist der inhaltsärmste. Das Sein kann aus keinem Begriff abgeleitet werden. Hierzu gesellt sich gegen MARX der weitere Einwand, daß er HEGELs urwüchsigen Begriffsrealismus auf den Boden des westeuropäischen Empirismus als ein Fremdgewächs verpflanzt hat.

Ich fasse zusammen: MARXens Geschichtsphilosophie sammelt das Unkantische der Franzosen und das Unkantische HEGELs in einem Brennpunkt, von dem aus sein ganzes Lehrgebäude das Licht empfängt. In theoretischer Hinsicht gilt nach wie vor ein haarscharfes "Marx oder Kant?" Dieses "Marx oder Kant?" wiegt umso schwerer im Vergleich zu den Klassikern der deutschen Geschichtsschreibung - den Zeitgenossen eines MARX.

NIEBUHR, dieser "Schöpfer der kritischen Geschichtswissenschaft", war durch KANTs Schule gegangen (29). Was WILHELM von HUMBOLDT, der Kantianer, gefordert hatte, verwirklichte RANKE. RANKE, der Gegenpol von MARX in der deutschen Welt, "kam von Kant und Fichte". (30) Stellen wir die Grundgedanken fest, durch welche die deutsche Geschichtswissenschaft jener Tage MARXens Geschichtstheorie übergipfelt hat.

I. An der Spitze steht, als ein Erbstück künstlerischer Hochkultur, die Ehrfurcht vor dem Einzelnen, "das lebendige und tiefe Sichversenken in das Individuum" (MOMMSEN an RANKE). In diesem Sinne betont ein RANKE mehr als die Ähnlichkeiten die Unterscheide des Einst und Jetzt. COMTE und MARX verflüchtigen das Einzelne zum Fall des Gesetzes; jene Geschichtsforscher verteidigen seinen Reichtum und umfassen liebevoll seinen unverlierbaren Eigenwert. Einen solchen Eigenwert besitzt nicht selten der einzelne Mensch - der "Held", dem der Historiker "Aug' in Auge schaut" - häufiger noch die einzelne Nation, der einzelne Staat - Griechenland für HUMBOLDT, Preußen für RANKE. Künstlerischen Blickes erschauen sie Staaten und Nationen in vielgestaltiger Eigenart. Indem RANKE dieses Preußen als ein lebendiges Gebilde deutschen Wesens "entdeckt", bahnt er einem BISMARCK den Weg.

2. Das Einzelne aber hat für den Geschichtsschreiber - im Gegensatz zum Künstler - nur insofern Bedeutung, als es sich dem Ganzen einordnet, der "Menschheit", dem "Menschenschicksal". SO erweitert RANKE die Biographie zur Geschichte: Gerade der Held ist am entschiedensten historisch zu behandeln, weil er sich am tiefsten einläßt in die objektive Welt. RANKE erweitert die Geschichte zur Universalgeschichte, die in ihrer Vollendung freilich ein anzustrebendes Ideal treibt. Das Allgemeine, dem MARX das Einzelne als Fall unterordnet, ist der Begriff des Gesetzes; das Allgemeine, dem RANKE das Einzelne als Glied einordnet, ist das allumfassende Ganze der Weltgeschichte. Der Begriff des Ganzen setzt ein überempirisches Endziel voraus, welches das Gewirr der Begebenheiten zur Einheit zusammenbindet. "Weltgeschichte ist nicht verständlich ohne Weltregierung." (HUMBOLDT) "In aller Geschichte wohnt Gott." (RANKE) Religiöses Interesse treibt einen RANKE zur Geschichte; hinter MARXens Geschichtstheorie steht das "écrasez l'infame".

3. Aber dieses Endziel der Geschichte ist inhaltlich dem menschlichen Verstand verborgen: unendlich reich, lebendig, nicht im Begriff enthalten (auch nicht in dem des Vernunftstaates), nicht am zeitlichen Endpunkt des Geschichtsverlaufs zu suchen, sondern auf seinen Höhepunkten angenähert (weshalb RANKE den Fortschrittsgedanken ablehnt). Kurz: das Endziel ist ein formales Vernunftpostulat im Sinne KANTs. Inhaltlich offenbart sich das Endziel in den "Tendenzen des Jahrhunderts", den leitenden "Ideen", welche der Historiker nicht "als fremde Zugabe" zu den Begebenheiten beibringen, sondern von der Geschichte selbst "abziehen" soll. Insofern soll der Historiker sein Ich auslöschen und sich restlos in die Vergangenheit versenken, nicht die Geschichte in seinem Sinne auslegen, sondern "den Sinn der Epoche verstehen". "Das Subjekt soll sich rein zum Organ des Objekts machen." Je zarter und vielseitiger der Nachgeborene alles vergangene Menschenstreben nachzuempfinden vermag, desto mehr Anlage besitzt er zum Historiker. MARX überträgt den Gedanken des Klassenkampfes auf alle Geschichtsperioden, auch auf solche, die ihn sicherlich nicht gedacht haben. RANKE formt die Vergangenheit nach ihren eigenen Idealen. Insbesondere interessieren ihn die politischen und religiösen Bestrebungen eines Zeitalters, worüber die wirtschaftlichen leider zu kurz kommen. Nach diesen Strebungen in ihrer konkreten Gestaltung werden die einzelnen Begebenheiten als wesentlich oder unwesentlich, als Fortschritte oder Rückschritte, wird der Aufstieg, der Höhepunkt oder der Verfall der Zeiten beurteilt. Sehr bezeichnend meint HUMBOLDT, daß der Lauf der Ereignisse dort abbricht, wo die Idee der Erscheinung nicht mehr zu durchdringen vermag - "abbricht" natürlich nicht im Sinne des Gesetzes der Erhaltung der Kraft, sondern "abbricht", weil die Ereignisse eines Niedergangszeitalters unwesentlich werden. Holland im 16. und Holland im 18. Jahrhundert! Im gleichen Sinne spricht RANKE von Vorhistorie.

4. Innerhalb seines Interessenkreises (der sich selbstverständlich erweitern kann, wenn sich z. B. heute europäische und ostasiatische Kulturen durchdringen) hat der Historker in rein empirischer Weise die Tatsachen festzustellen - nichts weiter zu wollen, als zu zeigen, "wie es eigentlich gewesen ist." Daher hält sich RANKE gern an die schriftliche Überlieferung als die zuverlässigste. Vom Boden KANTs aus bekämpfen diese Geschichtsschreiber alle aprioristische Geschichtskonstruktion. Die Tatsache verdient "priesterliche" Ehrfurcht und soll nicht zu einem bloßen Beleg dessen erniedrigt werden, was im Kopf des Philosophen auch vor Kenntnis der Tatsache feststeht. Die Menschheit ist nicht HEGELs "werdender Gott". Dieser Kampf gilt auch einem MARX, welcher das dialektische Gesetz der Tatsache aufzwingt.

5. Aber die Feststellung der Tatsache ergibt zunächst nur zerstückelten Rohstoff. Der Historiker hat die einzelnen Tatsachen zu verstehen und zwar durch diejenige Form der Erklärung, über welche die menschliche Wissenschaft allein verfügt: die Kausalität. Diese Kausalität, der unsere Geschichtsforscher nachgehen, betrifft den Einzelvorgang und ist scharf zu scheiden vom Kausalgesetz, durch welches die Naturwissenschaft zahlreiche Kausalvorgänge zusammenfaßt. Das eine Volk tritt nach RANKE in Berührung mit dem andern - ein Vermächtnis, "welches von der ihm eigentümlichen Natur abhängt."

Unter den geschichtlichen Kausalien stehen die psychologischen voran. "Dem Geschichtsforscher obliegt es, die Ereignisse aus menschlichen Motiven zu erklären". RANKE hat vielfach das geistige Wesen einzelner Persönlichkeiten, die nach MARX eine Art Schattendasein führen, als ursächlichen Faktor der Weltgeschichte in den Vordergrund geschoben. Die Geschichte wäre anders verlaufen, wenn dieser Mensch in diesem Zeitpunkt anders gehandelt hätte. Aber wichtiger sind für RANKE die allgemeinen Gedankenströmungen, die in einigen Köpfen aufsteigen, viele ergreifen, mit Gegenströmungen kämpfen, endlich versanden. Der Historiker erfaßt diese "Ideen" durch Einfühlung in das Wesen der großen Persönlichkeit. Sie sind keine Abstraktionen vom Durchschnitt, noch weniger metaphysische Wesenheiten nach der Art des HEGEL-MARXistischen Begriffsrealismus. Es soll nicht geleugnet werden, daß die "Ideen" bei RANKE öfters eine mystische Färbung tragen; aber die Ehrfurcht vor der Tatsache hat ihn davor bewahrt, den Geschichtsverlauf durch diesen Mystizismus zu verfälschen. Dagegen ist die kausale und die teleologische Auffassung hinsichtlich der "Ideen" voll vereinbar: die Ziele, welche der Mensch sich setzt, werden eben dadurch zu historischen Ursachen; Ideen, welche sich ganzer Zeiten bemächtigen, werden zu Ursachen sozialpsychologischer Natur. Aber wenn der Historiker den Geschichtsverlauf nach Kräften ursächlich erhellt, so ist es doch unmöglich, die Geschichte völlig zu rationalisieren, wie COMTE und HEGEL und beide vereinigend MARX gewollt haben. HUMBOLDT und RANKE bekennen mit KANT den Irrationalismus der Wirklichkeit. Immer nimmt einen breiten Raum ein, "was wie ein Wunder wirkt" - so das Genie, dessen Erdengang HUMBOLDTs Wege leibhaftig gekreuzt hatte. (31)

Das war deutsche - kantische - Kulturwissenschaft, welche ihre Samenkörner weithin in das Gebiet der Sonderwissenschaften ausstreute - nicht zuletzt in das der Nationalökonomie. Deutschlands historische Nationalökonomie pflückte dort ihre schönsten Lorbeeren, wo sie nach RANKEs Art die wirtschaftliche Tatsache in die allgemeinen Zusammenhänge, nicht nur in die wirtschaftliche, sondern auch in die politische und geistesgeschichtliche Umwelt einordnete (32), wo sie das Besondere liebevoll umfaßte und mit künstlerischem Pinsel zur Darstellung brachte. Wo sie das Allgemeine vernachlässigte, versank sie zu ödem Antiquariertum; wo sie das Besondere mißachtete, jagte sie mit MARX farblosen "Entwicklungsgesetzen" nach, die umso inhaltsärmer wurden, je mehr Vorgänge sie decken sollten.
LITERATUR Gerhart von Schulze-Gävernitz, Nochmals "Marx oder Kant?", Tübingen 1910 [Separat-Abdruck aus "Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 29/30, Heft 2-3]
    Anmerkungen
    1) Marx oder Kant?, zweite Auflage, Freiburg/Br. 1909.
    2) Leipzig 1909
    3) Jena 1909
    4) Dresden 1908
    5) Georg Charasoff, Karl Marx, Berlin 1909
    6) Paul Drews, Kirche und Arbeiterstand, Göttingen 1909.
    7) Franz Mehring, Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, Bd. 1, Stuttgart 1902, Seite 425-431.
    8) Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. V, Seite 201; zitiert bei Hammacher, Seite 28
    9) Dietzel, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. IV, Seite 1333f.
    10) Vgl. in Marx, "Heilige Familie" (1844) den berühmten Abriß der Geschichte des Materialismus und Engels, Ludwig Feuerbach, vierte Auflage, Seite 9/10.
    11) Vorländer, Archiv für Sozialwissenschaft, 1909, Seite 699.
    12) Engels, Ludwig Feuerbach, Seite 45. Marx, Kapital I, Anm. 89, sowie Marx bei Engels, Feuerbach, These 9, Seite 62.
    13) Kritik des Gothaer Programms, Neue Zeit I, 1890/91, Seite 575.
    14) Neue Zeit IX, 2, Seite 751 (unrichtig zitiert Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 28, Seite 121). Vgl. auch Fabbri in diesem "Archiv", Bd. 26, Seite 578
    15) Emil Lask, Fichtes Idealismus, Seite 116f und 270.
    16) Engels, Vorwort zu Marxens "Klassenkämpfe", Seite 13f (Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. Mit einer Einleitung von Friedrich Engels, Berlin 1895)
    17) Bernstein, Parlamentarismus und Sozialdemokratie, Seite 53.
    18) Vgl. Moses Rubinstein, Die logischen Grundlagen des hegelschen Systems und das Ende der Geschichte, Kant-Studien XI, Seite 91-102.
    19) Dupont zitiert bei Diehl, Conrads Jahrbücher, dritte Folge, Bd. 37, Seite 294.
    20) Simmel, Soziologie, Leipzig 1908, Seite 29/30. Das Du "etwas, das genau so für sich ist, wie unsere eigene Existenz". Münsterberg, Grundzüge der Psychologie, Bd. I, Seite 54/55 und passim. Die Anerkennung der Mitwesen - nicht Sache der Reflexion, sondern des Willens. Auch alle Wissenschaft beruth auf diesem "sozialen apriori", insofern sie allgemein-gültige Ergebnisse erstrebt. Die Welt des Wissens ruht auf der Welt der Wertens.
    21) Friedrich Gottl, Zur sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, III. Geschichte und Sozialwissenschaft, Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 28, Seite 87. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher etc. Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 19, Seite 64-76. Derselbe: Stammlers Überwindung der materialistischen Geschichtsauffassung, Bd. 24, Seite 134f.
    22) Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Freiburg 1899. Derselbe: Geschichtsphilosophie in der Festgabe für Kuno Fischer: Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts, Bd. II, Heidelberg, Winter 1905.
    23) Fritz Medicus, Kants Philosophie der Geschichte, Kant-Studien, Bd. VII, 1902, Seite 12. Derselbe: Kant und Ranke, Kant-Studien Bd. VIII, 1903, Seite 147.
    24) Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 640/41, Tübingen und Leipzig, 1902.
    25) "Die Zerrissenheit, die Niedertracht, dieses Sklaventum der bürgerlichen Gesellschaft ist das Naturfundament, worauf der moderne Staat ruht ... Die Existenz des Staates und die Existenz der Sklaverei sind unzertrennlich. Der antike Staat und die antike Sklaverei - offenherzige klassische Gegensätze - waren nicht inniger aneinander geschmiedet, als der moderne Staat und die moderne Schacherwelt - scheinheilige christliche Gegensätze." - Franz Mehring, aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx etc. a. a. O., Bd. II, Seite 51.
    26) Robert Michels, "Literatur zur Geschichte des Sozialismus", Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 23, Seite 808f.
    27) Hammacher, a. a. O., Seite 143, 288/89, 132.
    28) Engels, Anti-Dühring, zweite Auflage, Zürich 1886, Vorwort Seite XIV.
    29) Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr, Hamburg 1838, Bd. 1, Seite 35-68.
    30) Ranke, Zur eigenen Lebensgeschichte, Leipzig 1890, Seite 525, 31, 59, 89. Entgegen Lorenz vertritt Fester mit Recht die Verwandtschaft Rankes und Humboldts. Lorenz verkennt Humboldts kantischen Empirismus. Varrentrapp, Ranke und Fichte, Christliche Welt, 1905, Seite 531f.
    31) Vgl. Wilhelm von Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtsschreiber (Gesammelte Werke, Bd. 1, Seite 1f, Berlin 1841). Leopold von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte (Weltgeschichte, IX. Teil, 2. Abteilung, ed. A. Dove, erste bis dritte Auflage, Leipzig 1888). Richard Fester, Humboldts und Rankes Ideenlehre (Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, de. L. Quidde, Bd. 6, Seite 235f, Jhg. 1891, Bd. II, Freiburg/Br. 1891). Ottokar Lorenz, Leopold von Ranke, I. Abschnitt (Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben, II. Teil, Berlin 1891). B. von Simson, Leopold von Ranke und seine Schule, Freiburger Rektoratsrede 1895. Alfred Dove, Aufsätze und Veröffentlichungen zur Kenntnis Rankes (Ausgewählte Schriftchen II, Seite 150f, Leipzig 1898). W. Freytag, Über Rankes Geschichtsauffassung und eine zweckmäßige Definition der Geschichte (Archiv für Philosophie, II. Abteilung: Archiv für systematische Philosophie, Neue Folge, Bd. VI, 2. Heft, Seite 129f, Berlin 1900). Fritz Medicus, Kants Philosophie der Geschichte (Kant-Studien, Bd. VII, Seite 1f, Berlin 1902). Fritz Medicus, Kant und Ranke (Kant-Studien, Bd. VIII, Seite 129f, Berlin 1903). C. Varrentrapp, Rankes Historisch-politische Zeitschrift und das Berliner Politische Wochenblatt (Historische Zeitschrift, dritte Folge, Bd. 3, Seite 35f, München-Berlin-Oldenburg 1907). Friedrich Meinecke, Ranke und Bismarck (Weltbürgertum und Nationalstaat, 12. Kapitel, Seite 274f, München-Berlin-Oldenburg 1908)
    32) Gustav Schmoller, Über einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirtschaft, Jena 1875, Seite 32: "das gemeinsame Ethos, das alle Handlungen der Menschen, also auch die wirtschaftlichen, beeinflußt."