ra-1p-4J. VolkeltHornefferR. SeligmannMüller-FreienfelsA. Huxley     
 
FRIEDRICH GOTTL-OTTLILIENFELD
Umrisse einer Theorie
des Individuellen


"Carl Menger hat gleich auf der ersten Seite seiner  Untersuchungen mit größter Klarheit den Gegensatz zwischen der Erkenntnis des  Generellen und jener des  Individuellen betont. Damit war 1883 der Gedanke vorweggenommen, der ein Jahrzehnt später als der Leitgedanke einer neuen Strömung in der fachwissenschaftlichen Logik auftaucht."

"Für die  Scheidung zwischen nomothetischer und idiographischer Denkweise - in ihrer Tragweite für alle Methodologie schier unabsehbar - war besonders  Windelbands Straßburger Rektoratsrede  Geschichte und Naturwissenschaft bahnbrechend. Was diese  Denkweise selber anlangt, so hat sich die ganze traditionelle Logik darin erschöpft, uns über das  nomothetische Denken aufzuklären; gegenüber der anderen, durchaus  ebenbürtigen Denkweise war sie völlig blind geblieben."


Vorbemerkungen

Unter dem allgemeiner verständlichen Namen einer "Theorie des Individuellen" lege ich hier eine methodologische Untersuchung vor, die in schärferer Ausdrucksweise zu bezeichnen wäre als eine  Analyse des idiographischen Verfahrens.  Der von WINDELBAND eingeführte Ausdruck  "idiographisch  will jenes Erkennen, jene Denkweise bezeichnen, die auf die Erfassung des  Besonderen,  schließlich also des "Individuellen" ausgeht; im Gegensatz zum  "nomothetischen"  Erkennen, dem die Erfassung des  Allgemeinen schließlich also des "Gesetzes" eigen ist. Da nun die "idiographische" Denkweise dem Vorgehen des Historikers, die "nomothetische" aber dem Vorgehen des Naturforschers das Gepräge verleiht, hat RICKERT jenen -  fundamentalsten  - Gegensatz im Erkennen als den Unterschied zwischen "historischer" und "naturwissenschaftlicher Begriffsbildung" formuliert. Nicht bloß, weil RICKERTs Formulierung zu Mißverständnissen Anlaß gab, sondern auch aus sachlichen Erwägungen halte ich an WINDELBANDs Ausdrücken fest.

Es hieße nämlich die Mißverständlichkeit auf die Spitze treiben, zu sagen, daß die Sozialwissenschaft methodologische danach zu kennzeichnen ist, wie sie sich aus "historischen" und "naturwissenschaftlichen Bestandteilen aufbaut. Hier gereicht der Ausdruck langsam der Sache selber zum Fehler. Den hochbedeutsamen Gedanken, der hier unterliegt, darf man wohl nur mit der These aussprechen, daß die Sozialwissenschaft ihr  methodologisches  Fundamentalproblem in der Frage zu suchen hat,  wie sich in ihrem Bereich die nomothetische und die idiographische Denkweise zueinander stellen. 

KARL MENGER hat gleich auf der ersten Seite seiner "Untersuchungen" mit größter Klarheit den Gegensatz zwischen der Erkenntnis des "Generellen" und jener des "Individuellen" betont. Damit war 1883 der Gedanke vorweggenommen, der ein Jahrzehnt später als der Leitgedanke einer neuen Strömung in der fachwissenschaftlichen Logik auftaucht. Dies gereicht der sozialwissenschaftlichen Methodologie wahrhaft zur Ehre; zu heller Unehre aber die Tatsache, daß unsere Methodenlehre von jener kostbaren Fährte, die ihr MENGER wies, seither  total abgekommen  war. Gleich über den Methodenstreit selber, den MENGERs Buch entfesselte, hat sich die erschreckend oberflächliche Meinung gebildet, daß hier eine Partei des "deduktiven" Verfahrens einer Partei des "induktiven" Verfahrens gegenüberstüde. Als ob der Gegensatz zwischen "Induktion" und "Deduktion", wiei er jenem Wahn als fragwürdiger Sinn unterliegt, überhaupt auf unserem Gebiet ernst zu nehmen wäre. Aber es ist wirklich zur landläufigen Ansicht geworden, daß man nach dem Verhältnis zwischen "Induktion und Deduktion" fragen muß, will man über unsere Wissenschaft methodologisch ins Klare kommen. In einem solchen Grad verlor man jenen anderen und tatsächlich entscheidenden Gegensatz aus den Augen.

Neuerdings hat es MAX WEBER unternommen, unserer verkümmernden Methodologie frisches Blut zuzuführen, indem er ihr die bezüglichen Leistungen unserer modernen Logiker - namentlich WINDELBAND, RICKERT, SIMMEL, MÜNSTERBERG kommen neben anderen hier in Betracht - nutzbar zu machen sucht; besonders auch zur Aufklärung über jenes Fundamentalverhältnis. In meiner programmatischen Schrift "Die Herrschaft des Wortes" und in der Monographie "Die Grenzen der Geschichte" habe ich etwas Ähnliches versucht. Die Arbeiten MAX WEBERs - dem ich namentlich für das Verständnis der genialen Problemstellungen RICKERTs ungleich mehr verdanke, als im Text zum Ausdruck kommen konnte - gaben mir die Anregung, jenen Versuch auf breiterer Grundlage zu erneuern. In der hier beginnenden Serie von Untersuchungen ist es daher mein Streben, in der Anlehnung an die moderne Logik an der  Klärung des Verhältnisses zwischen nomothetischen und idiographischem Erkennen  zu arbeiten. Gerade damit aber verbindet sich der Kampf gegen die "Wortherrschaft" in unserer Theorie. Die Sozialwissenschaft soll, ums sich selber zu erkennen, nicht auf ein Ausschlachten ihrer Schlüsselworte - "Wirtschaft", "Gesellschaft" - angewiesen bleiben; und in ihrer Theorie sollen sich mehr die Worte um die Begriffe drehen, nicht immerzu nur die Begriffe um herrschende Worte.

Für die  Scheidung  zwischen nomothetischer und idiographischer Denkweise - in ihrer Tragweite für alle Methodologie schier unabsehbar - war besonders WINDELBANDs Straßburger Rektoratsrede "Geschichte und Naturwissenschaft" bahnbrechend. Was diese  Denkweise selber  anlangt, so hat sich die ganze traditionelle Logik darin erschöpft, uns über das  nomothetische  Denken aufzuklären; gegenüber der anderen, durchaus  ebenbürtigen  Denkweise war sie völlig blind geblieben.

So liegt als methodologische "Lehre vom Besonderen" eigentlich nur RICKERTs Theorie der  historischen Begriffsbildung  vor; abgesehen von vereinzelten wertvollen Aufschlüssen, die wir zum Beispiel DILTHEY, SIGWART, namentlich aber SCHUPPE verdanken - der mir bei der Abfassung meiner ersterwähnten Schrift sträflicherweise unbekannt geblieben war, bis mich BERNHEIMs machtvoll fortschreitendes Werk auf ihn verwies.

RICKERTs Lehre scheint mir ihren charakteristischen Ausdruck in diesem Satz zu finden: "In die historischen Begriffe gehört eben das, was sich durch die bloße Beziehung auf allgemein anerkannte Werte heraushebt, und zu individuellen Einheiten zusammenschließt." (Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 371). Dieser Gedanke ist bei RICKERT vielleicht nicht ganz einwandfrei unterbaut; aber er bewährt sich durch eine außerordentlich fruchtbare Anwendung, die RICKERT selber für die Erläuterund des historischen Erkennens von ihm macht. wie es aber jeder Vorstoß in neue Bahnen mit sich bringt, bleibt im einzelnen viel zu ergänzen. Insbesondere läßt RICKERT den Ausdruck "Beziehen auf Werte" im Grunde doch unaufgelöst. Auch ist gerade für die  Orientierung der Fachmethodologie  gar manches nachzuholen. Dies versucht nun der vorliegende Aufsatz.

Er unternimmt es, wie erwähnt, das idiographische Verfahren zu analysieren, und zwar im Geist einer  Methodologie der Darstellung.  "Darstellung" nicht etwa als die Art und Weise gemeint, wie sich die Ergebnisse der Wissenschaft in eine sprachliche oder sonstige Form kleiden; es handelt sich vielmehr um die  gedankliche  Formulierung dieser Ergebnisse, in der Form nämlich von  Begriffen.  Diese gedankliche Formulierung, als  Begriffsbildung  gemeint, ist eben eine andere, je nachdem unser Erkennen das Allgemeine oder das Besondere als Ziel wählt. Der letztere Fall kommt für die vorliegende Untersuchung in Betracht.

Ihre Probleme entlehnt diese Untersuchung dem WINDELBAND-RICKERTschen Gedankengang. In der Durchführung muß sie vielfach ihre eigenen Wege gehen. Sie zerlegt das idiographische Verfahren in seine Phasen, erörtert hierauf den durchgängigen Zusammenhang seiner Ergebnisse, und wendet sich dann noch seinen Voraussetzungen zu.

Sozialwissenschaftlich  von Belang ist diese Untersuchung unmittelbar deshalb, weil sie jene wissenschaftlichen Darstellungsformen kennen lehrt, deren sich gleich allem idiographischen Erkennen auch die sogenannte "Wirtschafts- und Sozialgeschichte" bedient. Ihr eigentlicher Belang ist aber  mittelbarer  Natur: Indem sie das idiographische Verfahren als solches darlegt, schafft sie die unentbehrliche  Vorbedingung  dafür, über das Verhältnis des  nomothetischen  zum  idiographischen  Erkennen für den Teil der  Sozialwissenschaft  ins Klare zu kommen. So bahnt sie die Lösung jenes fundamentalen Problems unserer Methodologie an.

Dies war umso schärfer zu betonen, als im Folgenden dem Buchstaben nach von Sozialwissenschaft gar nicht gesprochen wird. Es scheint zwar das Natürliche, daß ich das idiographische Verfahren an Beispielen erläutere, die der "Wirtschafts- und Sozialgeschichte" entnommen würden. Allein, nach der ganzen Anlage dieser Untersuchungen muß das sozialwissenschaftliche Denken jeglicher Spielart so lange  ferngehalten  bleiben, bis es dann selber als Problem an die Reihe kommt. So wird sich erst der nächste Aufsatz - "Der Stoff der Sozialwissenschaft" - der Eigenart des sozialwissenschaftlichen Denkens zu nähern suchen; diese Eigenart wirklich zu erfassen, bleibt dem dritten Aufsatz vorbehalten, der sich dem Verhältnis zwischen Sozialwissenschaft und Geschichte zuwendet. Darum ist es mir auch verwehrt, die Beispiele dem historischen Denken im eigentlichen Sinn zu entlehnen, so innig auch dessen Beziehungen zur Idiographie sein mögen. Da ist es ein willkommener Zufall, daß uns allen ein idiographisches Denken geläufig ist, das eher noch als neutral erscheint und dabei recht anschaulich verfährt:  Unsere populär-geographischen Vorstellungen,  sie sie uns Schule, Reise, alltägliche Umgebung zubringen. Ausschließlich aus diesem Vorstellungskreis schöpfe ich meine Beispiele. Daraufhin nun gewinnt die Untersuchung erst recht einen "unfachlichen" Habitus, der aber ihrem Belang für unsere Methodologie keinen Abbruch tut.

Mit  geographischer  Methodologie dagegen hat sie im Prinzip gar nichts zu tun. Der Zufall der Beispiel - die übrigens ihren Beruf verfehlen würden, hätte ich sie nicht  "laienhaft"  gewählt und ebenso durchgedacht - ändert nichts daran, daß die Geographie nicht in höherem Grad mitbeteiligt erscheint, als jede andere Wissenschaft, die irgendwie  auch  am idiographischen Verfahren interessiert ist.


I. Die idiographische Begriffsbildung
[Die Individuation]

A. Der Sonderbegriff

Im Sinne eines Beispiels, das sich durch die ganze Untersuchung ziehen soll, stellen wir uns ein kleines geographisches Szenarium zurecht: Auf dem Plateau von Dingskirchen, nordöstlich von letzterem Ort, unter dem x-ten Grad nördlicher Breite und dem n-ten Grad östlicher Länge von  G,  erhebt sich vereinsamt der Y-Berg - unser engeres Objekt; er liegt in der Verlängerung des Höhenzuges  A,  der jenes Plateau mit dem Hauptstock des M-Gebirges verbindet. Nach unserer Annahme wäre diese ganze Situation der  Wirklichkeit  entnommen, so daß alle ihre Einzelheiten  Eigennamen  tragen; für die letzteren wären bloß der Kürze wegen Buchstaben eingesetzt.

Denken wir uns selber im Angesicht des Y-Berges, dann reckt sich dieser als eine anschauliche Einheit vor uns empor. Die Genesis dieser Sachlage, die erkenntnistheoretischen Verhältnisse, das interessiert uns hier nicht. Jedenfalls ist uns dann der Berg ein  bestimmtes  Einzelnes, also ein  Besonderes.  Bestimmt in dem Sinne, daß wir nicht zu fürchten brauchen, dieses Einzelne mit einem anderen zu verwechseln, solange es in seiner Anschaulichkeit verharrt. Unter dieser Voraussetzung ist uns der Berg also ein  anschaulich  Besonderes, ein  Konkretum.  Zwischen ihm und uns spinnt die Anschauung selber die Fäden dieser eindeutigen Verbindung, während unser begriffliches Denken zu dieser Art Bestimmtheit nichts Wesentliches beiträgt.

Setzen wir nun den Fall, daß sich zwei Personen ein Stelldichein "am südlichen Fuß des Y-Berges" geben, um etwa dort ein Grundstück zu besichtigen. Für sie wäre bei dieser Verabredung, weil sie brieflich erfolgt, der Y-Berg nicht das anschaulich Bestimmte. Wenn sie sich nachher dort wirklich treffen, dann setzt dies voraus, daß sie erstens den Ausdruck "am südlichen Fuß" richtig zu deuten wußten; zweitens aber, daß  beide Personen mit dem Wort "Y-Berg" auf das nämliche wirkliche Ding Bezug nahmen.  Ihne - und das gilt für jeden, dem das Wort "Y-Berg" als  Eigenname  verständlich ist - bleibt daher unser Berg auch als das bloß  Gedachte  ein Einzelnes, das vor der Verwechslung mit einem anderen Einzelnen behütet ist. Da haben wir also eine  zweite  Art Bestimmtheit: im Gegensatz zur anschaulichen nun die  gedankliche  Bestimmtheit des Einzelnen. Lag uns früher ein Konkretum selber vor, so handelt es sich jetzt bloß um den  Bezug auf  ein Konkretum; und es ist klar, daß diese gedankliche Bestimmtheit erst perfekt ist, sofern unser Denken auf ein  einziges  Konkretum Bezug zu nehmen weiß. Als Konkretum ist schlechthin das Einzelne erfaßt; das gedanklich Besondere aber will ausdrücklich als das  Einzige  erfaßt sein: so wird man das gedanklich bestimmte Einzelne als das  Singuläre  bezeichnen dürfen.

Während das Konkretum sozusagen die Form der Wirklichkeit selber ist, tritt uns mit dem Singulären schon etwas entgegen, was irgendwie mit unserem Denken  über  die Wirklichkeit zu tun hat. Und zwar kommt dabei jenes Denken in Frage, dem die  Richtung auf das Besondere  charakteristisch ist; das ist aber das  idiographische Denken. 

Es erhellt sich hier zugleich, wie diese Charakteristik des idiographischen Denkens richtig zu verstehen ist. Das idiographische Denken kann sich unmöglich das  anschaulich  Besondere, das Konkrete, zum Ziel setzen; aus dem einfachen Grund, weil nicht dasjenige ein  Ziel  des Denkens sein kann, von dem alles erfahrungswissenschaftliche Denken notwendig  ausgehen  muß. In der Tat muß das idiographische Denken aufs Haar so vom  Konkreten,  vom anschaulich Besonderen ausgehen, wie das nomothetische. Während aber das Letztere hierauf zum  Allgemeinen  hinstrebt, bewegt sich das idiographische Denken dem  gedanklich  Besonderen, dem  Singulären  zu.

Vom nomothetischen Denken gilt es unwidersprochen, daß sein Streben nach dem Allgemeinen sich in  Begriffen  verwirklicht; das sind Gedankengebilde, in welchen dieses Denken gleichsam ausmündet, zur Ruhe gelangt. Im speziellen sind die "Naturgesetze" nomothetische Denkformen dieser Art, in höchster Vollendung. Machen wir uns nun klar, daß auch dort, wo sich das idiographische Streben nach dem Besonderen verwirklicht, wo alos das  Singuläre  erfaßt erscheint, jedesmal ein  Begriff absonderlicher Art  vorliegt, als die spezifisch  idiographische  Denkform.

Ohne Mißverständnis kann nunmehr von einem  Begriff  "Y-Berg" gesprochen werden, der das Konkretum dieses Namens in unserer Gedankenwelt vertritt. So läßt sich unserem Beispiel auch ein Begriff "Dingskirchen" entnehmen, ein Begriff "Plateau von Dingskirchen", ein Begrif "Höhenzug A", ein Begriff M-Gebirge". Ausnahmslos sind dies Paradigmen für den  Sonderbegriff.  Von  diesem  ist uns bisher bloß seine spezifische Leistung bekannt geworden, auf der allerdings sein logisches Wesen beruth. Nun wenden wir uns dem  inneren Aufbau des Sonderbegriffs  zu. Wir suchen die Bedingungen aufzudecken, an welche seine spezifische Leistung gebunden erscheint, legen also den Begriff nach seinen  logischen Elementen  auseinander. Nur von diesem  logischen  Gesichtspunkt aus wird hier von der "Bildung" dieses idiographischen Begriffs gehandelt. Dagegen sehen wir nach wie vor prinzipiell davon ab, wie sich dieser Begriff dem  tatsächlichen  Hergang nach herausgestaltet, also im psychologischen Sinne; sei es nun im betreffenden einzelnen Fall, oder im allgemeinen.

Mit der Bildung des Sonderbegriffes erscheint die logische Aufgabe gelöst, ein Konkretum zu einem  gedanklich  bestimmten Einzelnen zu machen, sagen wir kurz,  ein Konkretum zu singularisieren.  Für diesen Umsatz anschaulicher in gedankliche Bestimmtheit ist unser  begriffliches  Denken kompeten; dieses webt die gewissen Fäden eindeutiger Verbindung, und webt sie in Gestalt gedanklicher  Bestimmungen. Darunter verstehe ich die Inhalte der Urteile,  die über das Konkretum ergehen. Nun ist es für die Situation des idiographischen Verfahrens höchst wichtig, daß ein gesicherter und logisch ausgeglichener Bestand von solchen Urteilen immer schon da ist: und zwar mit dem  Allgemeinbegriff,  als dessen  Exemplar  sich das Konkretum erfassen läßt . So in unserem Beispiel, wenn wir das Konkretum als einen "Berg" anerkennen, d. h. also ungefähr, als eine natürliche Erhebung des Bodens, von beträchtlicher Höhe. Für das Singularisieren, das ja den Weg einer gedanklichen Bestimmung gehen muß, erscheint dieser Allgemeinbegriff als vorgetane Arbeit; es wäre ein grober Verstoß gegen alle Ökonomie des Denkens, diese Vorarbeit beiseite zu lassen, um dann auf schier endlosen Wegen von  A  anzufangen.

So steht jeglicher Sonderbegriff in einer ausnehmend innigen Beziehung zu einem  Allgemeinbegriff;  zu jenem eben, als dessen Exemplar das zu singularisierende Konkretum erfaßbar ist. Nennen wir ihn den  Stammbegriff.  In diesem Verhältnis kann ein und derselbe Allgemeinbegriff zu einer unbegrenzten Reihe von Sonderbegriffen stehen; der Allgemeinbegrif "Berg" z. B. zu der Reihe "Y-Berg", "Gaurisankar", "Sinai", "Brocken" usw. Aber diesen Sonderbegriffen gegenüber spielt der gemeinsame Stammbegriff keineswegs die Rolle des logisch übergeordneten Begriffs. Es wiederholt sich hier durchaus nicht das Verhältnis, wie es zwischen dem Begriff "Berg", und den Begriffen "Kalkberg", "Granitberg", oder "spitzer Berg", "stumpfer Berg" vorwaltet. Das Verhältnis ist ein spezifisch anderes. Die Sonderbegriffe stellen beileibe nicht so etwas wie niederste Unterarten des Stammbegriffs dar; vielmehr sind es durchaus  eigenartige Ausgestaltungen  des letzteren. Wenn in den Sonderbegriffen "Y-Berg", "Gaurisankar", "Sinai", "Brocken" usw. ein Konkretum immer wieder als "Berg" erfaßt erscheint, so besagt dies, daß der Stammbegriff "Berg" für alle diese Sonderbegriffe gleichsam das  Schema  liefert, nach welchem eine anschauliche Mannigfaltigkeit wieder zu begrifflicher Einheit zusammengefaßt wird. Der Stammbegriff hat hier also  formende,  "kategoriale" Bedeutung. Man könnte dies so ausdrücken, daß jeder Sonderbegriff einen Allgemeinbegriff zur  kategorialen Unterlage  hat.

Um nun dieses eigentümliche Verhältnis zu klären und zu gleicher Zeit die  weiteren  logischen Elemente des Sonderbegriffs zu studieren, wenden wir den Kunstgriff an, das Singularisieren des Konkretums als den logischen Prozeß einer  spezifischen Umbildung des Stammbegriffs  aufzufassen. Von dieser Umbildung bleibt nur die kategoriale Begriffseinheit unberührt: im Sonderbegriff "Y-Berg" ist genau jenes "Raumding Berg" angelegt, das uns der Allgemeinbegriff "Berg" repräsentiert. Jedoch  Inhalt  und  Umfang  des Letzteren erleiden wesentliche Änderungen. Nimmt doch der Allgemeinbegriff, seiner Natur gemäß, auf eine  unbestimmte Vielheit  konkreter Einzelner Bezug, während dem Sonderbegriff der Bezug auf ein  einziges  Konkretum im Wesen liegt. Jene spezifische Umbildung vollzieht sich daher absehbar nach  letzterem  Erfolg hin. Es muß der Stammbegriff  seinen Inhalt so ändern,  daß er darüber  seinen Umfang völlig einbüßt.  Offenbar kann dies nur in der Weise geschehen, daß zu einem Minimum an gedanklichen Bestimmungen, das schon mit dem Stammbegriff vorliegt, noch  weitere  Bestimmungen hinzutreten. So begründen also jene  Urteile  über das Konkretum, die sich noch als nötig erweisen, um das Singularisieren  perfekt  zu machen, irgendwie die  weiteren logischen Elemente  des Sonderbegriffs.

Von solchen Urteilen, die im Dienste der  idiographischen  Begriffsbildung stehen, werden wir nacheinander  vier Gruppen  kennenlernen; um sie vorläufig wenigstens zu nennen: die Urteile über die  Artung,  über die  Lage,  über das  Gefüge,  über die  Stellung  - "Natur", "Position", "Struktur", "Konstellation". Wie schon das ersterwähnte Element des Sonderbegriffs, seine kategoriale Unterlage, erwiesen hat, weiß sich das idiographische Denken  die Ergebnisse des nomothetischen dienstbar zu machen.  So auch bei jenen Urteilen, die, unter dem Zwang der Eigenart unseres "diskursiven Erkennens", durchwegs  allgemeinbegrifflicher  Natur sind.  Wie sich aber trotz dieser Tatsache das idiographische Streben nach dem Besonderen zu selbständiger Geltung bringt,  dies zu zeigen ist ja das Problem dieser ganzen Untersuchung!

Da man instinktiv dem Glauben zuneigt, daß für das Besondere der Dinge ihre  Eigenart  den Ausschlag gibt, so gebührt der Vortritt in unserer Diskussion den Urteilen über die  Artung.  Wenn diese Urteile über das Konkretum ergehen, ziehen sie es als ein  Vereinzeltes  in Betracht, sehen also von allen Zusammenhängen ab, inmitten welcher das Konkretum schon dem anschaulichen Befund nach wirklich ist. Stellen wir unseren Berg, im Sinne eines arthaften Urteils, als einen "Kalkberg" fest, oder nach seiner hervorstechenden Färbung als einen "weißen Berg", so abstrahieren wir dabei völlig von seinem Verhältnis zur räumlichen Umgebung. Aber selbst wenn wie ihn als "auf einem Plateau befindlich" beurteilen, ist dabei vom ganzen übrigen Zusammenhang abstrahiert. Der Berg ist dann einfach in eine  rein gedankliche  Verbindung mit allen anderen "auf einem Plateua befindlichen" Bergen gebracht worden. Wie in diesem Fall, ist es überhaupt der Erfolg dieser arthaften Urteile, daß sie die Zugehörigkeit des Konkretums zu einer  Unterart  des Stammbegriffs bejahen, oder auch verneinen. Auch das Urteil: "Dieser Berg ist hoch", unterstellt das Konkretum der Unterart der "hohen Berge". Nur lassen sich diese "quantitativen" Urteile auch in zahlenmäßiger Schärfe fällen, indem unser theoretisches Denken eingreift, eine Einheit, eine Skala wählt; und dieser gegenüber vollzieht sich dann jener  Vergleich,  der überhaupt sämtlichen Urteilen über die Artung unterliegt.

Über die arthaften Urteile hinweg führt der Weg zur Erfassung der  Eigenart,  sofern man diese im buchstäblichen Sinn meint. Sie ist dann erfaßt, sobald das Konkretum einer Unterart des Stammbegriffs zugesprochen wird, von der wir annehmen dürfen, daß ihr  einziges  Exemplar mit dem Konkretum selber vorliegt. Wenn  jedes  arthafte Urteil, dem logischen Erfolg nach, den Stammbegriff  determiniert,  so wäre in diesem Fall die  extreme Determination des Stammbegriffs  eingetreten. Vom Standpunkt des praktischen Denkens aus gilt uns übrigens die Eigenart schon dann als erfaßt, sobald die Determination des Stammbegriffs zu einer Unterart geführt hat, die uns als solche nicht mehr geläufig ist; die also gleichsam schon des klassifikatorischen Wertes entbehrt. Wo es uns im Umkreis des gewöhnlichen Lebens auf das Besondere ankommt, orientieren wir uns mit Vorliebe an der so erfaßten  Eigenart  der Dinge; und umso lieber, weil dabei unser anschauliches Vorstellen, die bildhaften Erinnerungen, in der glücklichsten Weise unserem begrifflichen Denken sekundiert.

Die extreme Determination des Stammbegriffs tritt früher oder später ein, je nach der Natur der determinierenden Urteile. Ließ sich unser Berg als "Kalkberg" bestimmen, dann mag er nacheinander als "weißer", als "spitzer", als "schroffer" bestimmt werden, ohne daß wir seiner Eigenart wesentlich näher kommen; die letzteren Bestimmungen sind eben auf "naturgesetzliche" Beziehungen hin der Bestimmung als "Kalkberg"  beigeordnet.  Könnten wir aber den "Kalkberg" außerdem als "Kuppelberg" bestimmen, dann wären wir der Eigenart des Konkretums beträchtlich näher gekommen, was sich offenkundig wieder aus den "naturgesetzlichen" Beziehungen erklärt. In ganz anderer Art wieder führt die  quantitative  Bestimmung, sobald sie zahlenmäßig präzis geliefert wird, in einem  einzigen  Schritt nahe an die extreme Determination des Stammbegriffs heran. Stellen wir die Höhe unseres Berges mit 1237 Meter fest, so ist prinzipiell unser Berg der Unterart der "1237 Meter hohen Berge" unterstellt. Damit hat sich der Umfang des Stammbegriffs, auf den wir  nach  dieser Bestimmung noch Bezug nehmen, um alle über und unter 1237 Meter hohen Berge vermindert, ist also auf ein Minimum gesunken; wir dürften ruhig annehmen: auf unser Konkretum, als einziges Exemplar. Von dieser Überlegenheit der quantitativen gegenüber der qualitativen Bestimmung macht das praktische Leben reichlichen Gebrauch, z. B. in der Kriminalistik. Man denke an das BERTILLONsche Verfahren - Idiographie kriminalistischer Praxis!

Fragen wir nun, was für das  Singularisieren  des Konkretums gewonnen ist, sobald wir den Stammbegriff extrem determiniert, also die  Eigenart  erfaßt haben. Vom Standpunkt des  praktischen  Denkens aus erscheint uns ein Ding, dessen Eigenart wir kennen, jedenfalls schon als ein gedanklich bestimmtes Ding, als unverwechselbar. Was Eigenart besitzt, so argumentieren wir dabei, hat nicht seinesgleichen. Was nicht seinesgleichen hat, ist unersetzlich. Weil aber jede Verwechslung einen unfreiwilligen Ersatz in sich birgt, so ist die Verwechslung gerade durch die  erfaßte  Unersetzlichkeit im voraus ausgeschlossen. Diese Argumentation ist richtig, aber nur in  Grenzen.  Vergessen wir nicht, daß alle Eigenart nur so weit erfaßbar ist, als wir annehmen dürfen, daß mit dem betreffenden Konkretum das  einzige  Exemplar jener engsten Art vorliegt, auf die uns die Determination schließlich geführt hat.  Dürfen  wir dies annehmen? Immer nur unter einem notwendigen Bezug auf den  Umkreis unserer Erfahrungen!  In der Erfassung der Eigenart eines Dings ist stets nur die Behauptung enthalten, daß jenes Ding  aller Erfahrung nach  seinesgleichen nicht hat. Denn es ist keine Verknüpfung  arthafter  Merkmale denkbar, die sich nicht wiederholen könnte. Gesetzt, unser Berg läßt sich als "1237 Meter hoher, kuppelförmiger Kalkberg" bestimmen; damit wäre seine Eigenart, trotz der kleinen Zahl der Bestimmungen, schon in idealer Weise bekundet. Wir könnten diese wuchtigen Bestimmungen als gleichwertig einer außerordentlich langen Reihe von Bestimmungen durchschnittlicher Art ansehen. Die Reihe wäre dann so lang, daß die mathematische Wahrscheinlichkeit, diese Kombination von Merkmalen unter allen wirklichen Bergen noch einmal anzutreffen, annähernd gleich Null wird. Aber was hilft selbst diese Berechnung? Sie beweist durch ihren Ansatz - die ungefähre Zahl der wirklichen Berge - abermals nur, daß wir bei der Aussage der Eigenart stets von einem  Umkreis der Erfahrung  abhängig bleiben. Die Eigenart ist also ausgesprochen  empirischer  Natur. Auf sie läßt sich daher nur eine empirische Singularität gründen.

Mit dieser  empirischen  Singularität wäre aber den Interessen des idiographischen Denkens nicht gedient, wenn es ein wissenschaftliches Denken sein will. Gerade in der Richtung, die ihm spezifisch ist, in der Richtung auf das  Besondere,  dürften seine Ergebnisse nicht von bloß empirischem Wert sein. Gerade in dieser Richtung müssen die Ergebnisse  allgemeingültige  sein; das will in dieser rein  formalen  Hinsicht sagen: sie müssen auf der Erfahrung beruhen, ohne doch vom  Umkreis  der Erfahrung abhängig zu sein. Weil nun die Urteile über die Artung nicht fähig sind, nach solchen Ergebnissen hin zu vermitteln, so spielen sie im idiographischen Denken keineswegs jene wesentliche Rolle, die ihnen der lebhafte Anschein zuspricht. Es liefert eine Gegenprobe hierfür, hält man sich vor, wohin ein Denken führen würde, das überall nur der Eigenart auf die Spur ginge. Was eigenartig ist, ist anders als alles Andere. Im Enderfolg erbrächte also jenes Denken den Nachweis, daß alles anders als alles Andere sei - die Türe wäre eingerannt, die mit der alten Volksweisheit, daß kein Ei dem andern gleicht, weit offensteht. Überdies wäre sozusagen die ganze Wirklichkeit zu eitel Eigenartigkeiten in Trümmer geschlagen und somit das Chaos wieder da, das zu bewältigen unser allgemeinbegriffliches Denken bestrebt war. So brauchen wir uns im Grunde nicht zu wundern, daß sich aller idiographischen Erkenntnis ein starres Vorurteil entgegenstemmt. Man überschätzt eben die Rolle, die für das Besondere der Dinge ihre  Eigenart  spielt, und wähnt daher, in Unkenntnis der wahren Sachlage, daß die Richtung auf das Besondere schließlich doch nur zu jener widersinnigen Umkehrung des nomothetischen Denkens führt; zumindest aber, daß hinter dem idiographischen Erkennen erst noch jedesmal das nomothetische eingreifen muß, um "Ordnung zu schaffen".

Die extreme Determination des Stammbegriffs, die über arthafte Urteile hinüber zur Erfassung der Eigenart führt, liefert also noch immer nicht den Sonderbegriff. Zwar ist bloß mehr der Bezug auf ein  einziges  Konkretum da, der Allgemeinbegriff hat seinen Umfang eingebüßt. Aber dies ist rein der Tatsache nach eingetreten. Eine prinzipiell Bedeutung hat dieser Wandel nicht. Denn selbst der extrem determinierte Stammbegriff ist geblieben, was er war: Wenigstens  potentiell  ist auch er ein  Allgemeinbegriff,  weil Artgenossen dieses Konkretums  denkbar  sind; die Erfahrung spricht nur gegen ihre Existenz, nicht gegen die Möglichkeit derselben. So ist die spezifische Umbildung des Stammbegriffs der Wandel von einer nomothetischen zu einer idiographischen Denkform,  ausgeblieben.  Urteile über die Artung tragen also nichts Wesentliches zur Bildung des Sonderbegriffes bei, zählen daher  nicht  zu seinen logischen Elemente. Wir werden noch sehen, daß sie als Füllsel dienen. -

Was den Urteilen über die Artung versagt bleibt, gelingt jenen über die  Lage.  Es besagt ein Urteil über die Lage, bestimme ich unseren Berg als den "zwei Meilen nordöstlich von Dingskirchen gelegenen". Eigentlich sind hier schon  zwei  Lagebestimmungen zusammengezogen, von denen jede  im äußeren  einer arthaften Bestimmung gleicht; denn man könnte von einer Unterart der "zwei Meilen von Dingskirchen entfernten Berge", und von einer Unterart der "nordöstlich von Dingskirchen gelegenen Berge" sprechen. Urteile über die Artung sind es doch keine. Es ist kein Zufall, daß ihre Verschmelzung bereits  genügt,  um unseren Berg außer Zweifel zu stellen - sofern uns vorher schon "Dingskirchen" etwas Singuläres ist. Denn diese Urteile sind  ihrem Wesen nach auf diesen Erfolg angelegt,  sie sind gleichsam idographischen Metiers. Die Urteile über die Lage machen das Einzelne unverwechselbar, indem sie das  eindeutige Verhältnis desselben zu etwas Unverwechselbarem feststellen.  Nun ist "Dingskirchen", auch wenn wir es als wirklich denken, nur etwas  relativ  Unverwechselbares, sofern man etwa von den "Dingskirchenern" absieht. Es darf wieder nur aufgrund von Urteilen über die Lage als bestimmt gelten. Diese aber sagen dann bloß über das eindeutige Verhältnis von "Dingskirchen" zu etwas aus, für das von neuem das Problem seiner Unverwechselbarkeit erstünde. So werden wir der Frage zugeführt, ob man aus dieser Relativität hinausfindet. Gibt es einen sicheren Ansatzpunkt für diese Urteile über die Lage, einen  Hort  aller Bestimmtheit?

Zwei Dinge sind in der Tat  absolut unverwechselbar,  besagen das  ansich Singuläre:  Unser  Ich  und die  Allheit.  Sein eigen Ich verwechselt nieand, der nicht eben deshalb ein Narr wird; und womit sollte man die Allheit verwechseln? Von der Unverwechselbarkeit des Ichs macht wieder das Leben den reichlichsten Gebrauch. Vom körperlichen Substrat des Ichs aus entfalten wir das räumliche Zusammenhängen der Dinge um uns. Wir bestimmen sie danach, ob sie "vor uns", "hinter uns", "rechts von uns" usw. gelegen sind - durchaus Variationen des eindeutigen Verhältnisses zu uns; und so werden uns, unter Mithilfe aller sonstigen Bestimmtheit, die Dinge zu etwas Unverwechselbarem. Wir wenden dies besinders auf unseren Standort, unseren gewöhnlichen Wohnort an, in sinnvoller Übertragung, und schaffen uns dadurch ein festes Gerippe gedanklicher Bestimmtheit, für alle Dinge unserer gewöhnlichen Umgebung. Aber dieses ganze System der  subjektiven  Lagebestimmung kommt hier nicht weiter in Betracht. Uns interessiert jene  objektive  Lagebestimmung, von der auch unser Beispiel Gebrauch macht.

Der Y-Berg, heißt es da, liegt unter dem x-ten Grad nördlicher Breite und dem n-ten Grad östlicher Länge von  G.  Dies ist zweifellos eine  objektive  Lagebestimmung. Anders könnte auch "Dingskirchen" nicht bestimmt werden, wenn es daneben auch für die "Dingskirchener" in subjektiver Bestimmtheit verharrt. Auch zu dieser Bestimmung verflechten sich zwei Urteile über die Lage, die ihrer Natur nach offensichtlich auf diese Verflechtung angelegt sind. Woran knüpfen diese Urteile nun an? Eines von ihnen nennt ein geographisches Konkretum: Greenwich! Aber dies ist nur der im Weg eines Übereinkommens gewählte  Nullpunkt  des Systems; und alles, was seine Wahl betrifft, gehört zur Durchführung des Systems, das eine bewunderungswürdige Leistung des theoretischen Denkens vorstellt. Uns handelt es sich um den  Sinn  dieses Systems. Wie immer nun die Unverwechselbarkeit des Ichs hier in versteckter Weise mitbeteiligt sein mag, es ist vor allem wichtig, daß sich dieses geographische System der  objektiven  Lagebestimmung an die  Allheit  anlehnt; gemeint im  räumlichen  Sinne - als die schrankenlose Weiterdehnung jenes räumlichen Zusammenhangs aller Dinge, den die Wirklichkeit selber  anschaulich  vor uns ausbreitet - sagen wir, als der  räumliche Allzusammenhang.  Dieser ist, aus Zwang unseres Denkens, nur einmal und immer als der nämliche da, ist das  ansich Singuläre.  Aber gerade, weil er selber  schrankenlos  ist, ersteht die Frage, wie er der Hort aller Lagebestimmtheit sein kann. Nun, bekanntlich hilft sich die Geographie damit aus dem Schrankenlosen heraus, daß sie den räumlichen Allzusammenhang auf die  Erdoberfläche  reduziert, diese wenigstens als  Basis  wählt. Aber warum dies? Der Umstand, daß die Erdoberfläche, als eine in sich verlaufende Kugelfläche, besondere Vorteile als Reduktionsbasis darbietet, kann nicht entscheidend sein. Soweithin spricht ein historischer Zufall, unser neuzeitliches Weltbild mit. Das  Prinzip  aber, nach welchem eine, die  Unverwechselbarkeit der Allheit in sich tragende Basis  für alle Lagebestimmung gewählt wird, als Hort aller Singularität, müßte auf das vorptolemäische oder irgendein anderes Weltbild genauso anwendbar bleiben. Dieses Prinzip lassen wir vorläufig  in der Schwebe.  Soviel ist aber im voraus sicher: Dieses Prinzip muß mit den letzten Gründen zusammenhängen, aus denen wir überhaupt idiographisch denken, das will sagen, Interesse am Besonderen der Dinge nehmen.

Hier sehen wir also die Möglichkeit einer objektiven Lagebestimmung als  gegeben  an. Was daraufhin die Urteile über die Lage, gemäß ihrer entsprechenden Verflechtung, dem Konkretum zusprechen, ist dessen  Position im Allzusammenhang.  Mit dieser Position weist sich das Konkretum über seine eindeutige Verbindung mit der Allheit, mit dem absolut Unverwechselbaren aus, und wird daraufhin selber als etwas Singuläres erfaßt, sofort aber in einer ganz anderen, schlagenderen Weise. Denn es fällt dem Konkretum hieraus eine Modalität zu, die  Eigenlage,  die es mit  keinem  anderen Konkretum teilen kann. Sie verleiht dem Konkretum den Sinn des  absolut Unwiederholbaren.  Während sich das Konkretum aufgrund seiner Eigenart deshalb als ein Einziges erhellt, weil es sich im Umkreis der Erfahrung und auf dem Wege des Vergleichs von allen anderen Konkreten sondert, ist es kraft seiner Eigenlage  ganz unmittelbar und ohne Vorbehalt ein Einziges,  aus dem Zwang unseres Denkens heraus. Dort hat es sich bloß um eine Singularität auf Widerruf gehandelt; hier um eine, die, wenn sie einmal aufgrund der Erfahrung erhellt ist, allem Weitergang der Erfahrung gegenüber in Geltung verharrt. In diesem Sinne ist hier, anhand der Eigenlage, jene  allgemeingültige Singularität  erzielt, auf die es der idiographischen Erkenntnis ankommt.

Was nie eintreten kann, solange der Inhalt des Stammbegriffs bloß um  arthafte  Bestimmungen reicher wird, das bewirkt sofort der Einbezug der  Eigenlage:  die  spezifische  Umbildung. Es hat eben  prinzipielle  Bedeutung, wenn nun der Stammbegriff seinen Umfang einbüßt und der Bezug auf ein  einziges  Konkretum übrig bleibt. Denn hier sind Artgenossen im wesentlichsten Sinne  undenkbar,  weil das Konkretum seine Position im Allzusammenhang mit einem anderen Konkretum einfach nicht teilen  kann.  So ist aus dem Stammbegriff, ohne Erschütterung der kategorialen Einheit, ein Begriff geworden, dem der Bezug auf ein einziges Konkretum im Wesen liegt, ein  Sonderbegriff.  Eine Determination, wenn man es so nennen will, hat auch hier die Umbildung bewirkt, den Umfangsverlust herbeigeführt. Und das Resultat der Umbildung läßt sich auch hier als eine  Kombination von Allgemeinbegriffen  auffassen. Während aber der extrem determinierte Stammbegriff, der mit der Eigenart zugleich erfaßt wird, nicht mehr bedeutet, als eine  erfahrungsgemäß unwiederholte,  besagt der Sonderbegriff eine  unwiederholbare  Kombination von Allgemeinbegriffen.

Noch von einer anderen Seite her sei dies beleuchtet. Es erlauben  beide  Begriffe, eine  Existentialurteil  in jener Weise auszusprechen, die für jeden erfahrungswisenschaftlichen Begriff, ob nun Allgemein- oder Sonderbegriff, möglich sein muß. So kann ich ebensowohl sagen: "Es gibt einen Berg jener Eigenart", als auch: "Es gibt einen Berg jener Eigenlage". Suche ich dagegen den Inhalt beider Begriffe  so  in ein gleichwertiges Existentialurteil umzusetzen, daß der Bezug auf ein  einziges  Konkretum im Urteil selber zur Geltung kommt, dann gelange ich im Sinne der früheren Fassungen zu den beiden Urteilen: "Unter dem x-ten Grad nördlicher Breite und dem n-ten Grad östlicher Länge von  G.  liegt ein Berg" - "Ein einziger kuppelförmiger Kalkberg ist 1237 Meter hoch". Während nun das letztere Urteil dergestalt nur  bedingt  gültig ist, daß es in seiner Wahrheit an den  Umfang  unserer Erfahrung gebunden erscheint, ist das erstere Urteil offenbar ein  unbedingt  gültiges, und daher, soweit dies überhaupt von einem Erfahrungsurteil zu erwarten ist, in formaler Hinsicht ein  allgemeingültiges.  In diesem Geist ist  jeder Sonderbegriff einem allgemeingültigen Existentialurteil gleichwertig.  Da nun der Sonderbegrif dem idiographischen Denken als die Form seiner Ergebnisse spezifisch ist, also im Sinne RICKERTs eine  spezifische Form der Darstellung  für dieses Denken ist, so erweist sich das letztere schon aus jenem Umstand als fähig, ein  wissenschaftliches  Denken zu sein. Weil aber diese ganzen Möglichkeiten an das Einspielen der  Eigenlage  gebunden sind und diese sich notwendig auf einen  Allzusammenhang  berufen muß, so ergibt sich schon hier, daß eine idiographische Wissenschaft überhaupt nur dann möglich ist,  sobald der Bezug auf einen Allzusammenhang vorliegt.  Wie es in unserem Beispiel der räumliche Allzusammenhang verdeutlicht, kommt es dabei auf ein Zusammenhängen an, das allem wissenschaftlichen Denken  vorangeht;  und nicht etwa bloß im Sinne eines Postulates. So ist idiographisches Erkennen nur in der Reflexion auf Zusammenhänge durchführbar, welche die Wirklichkeit selber  anschaulich  vor uns ausbreitet.

Jene Verflechtung von Urteilen über die Lage, die uns die Eigenlage einbringt, stellt also das  zweite logische Element  des Sonderbegriffs dar, neben der kategorialen Unterlage, vom Stammbegriff her. Kurz gesagt,  Art und Eigenlage sind das Essentiale im Sonderbegriff;  während alles, was die  Eigenart  betrifft, nur als gelegentliche  Füllung  des festen Rahmens erscheint, der schon dort geschaffen ist. Es besagt auch gar keinen wesentlichen Fortschritt, wenn innerhalb dieses Rahmens auch noch die Eigenart  buchstäblich  erfaßt wird. Was einmal im Sinne des absolut Unwiederholbaren als singulär erfaßt ist, wird nicht singulärer, wenn es überdies als empirisch unersetzlich, als eigenartig erkannt würde. So stehen auch die beiden Merkmalsgruppen: "unter dem so und sovielten Grad gelegener Berg" und "1237 Meter hoch, kuppelförmig und aus Kalk", eigentlich  unbezogen  nebeneinander. Beiden ist der ausschließliche Bezug auf ein einziges Konkretum gemeinsam, trotzdem setzen sie sozusagen nur einen  Merkmalskomplex  zusammen. Es gebricht an der Ausgeglichenheit, an der richtigen Einheit dieser Merkmale, die eben in zwei Gruppen, jede nach einem  anderen  Sinn hin,  auseinanderstreben:  Die eine Gruppe nach dem Sinn des absolut Unwiederholbaren, die andere nach jenem einer empirischen Unersetzlichkeit hin.

So ersteht die Frage, ob es nicht zu einer  Synthese von Eigenlage und Eigenart  kommen kann, auf der Grundlage des Stammbegriffs, der für die kategoriale Einheit einstünde. Es hat also das idiographische Denken mit dem Sonderbegriff offenbar noch nicht sein letztes Ergebnis erzielt.


B. Der Individualbegriff

Die letzten Elemente aller idiographischen Erkenntnis sind notwendig nomothetischer Natur; das  spezifische  Element dieser Erkenntnis aber bleibt der  Sonderbegriff,  auf dem sie überall fußt. Nur über ihn hinaus liegen jene  reiferen  Ergebnisse der Idiographie, die jetzt unser Problem sind. Im Grunde handelt es sich also um die  logische Ausgestaltung des Sonderbegriffs.  Dieser stellt das unentbehrliche Minimum dieser Begriffsbildung dar, gleichsam den  idiographischen Notbegriff;  nun steht seine Ausreife zum  Vollbegriff  in Frage. Die Bildung des Sonderbegriffs haben wir als das Singularisieren des Konkretums gedeutet; nun kommt es darauf an,  ob sich dem bereits Singularisierten erst noch ein besonderer Charakter abgewinnen läßt.  Er wird sich uns mit der "Individualität" der Dinge ergeben, wie sie anhand des "Individualbegriffes" erfaßbar ist. Der Letztere stellt dann schon die logische Ausgestaltung des Sonderbegriffes dar; mit der Ersteren hat sich die Synthese von Eigenart und Eigenlage verwirklicht. Den  Weg  dahin aber soll uns die  Einsicht in die allgemeine Natur des idiographischen Denkens  weisen.

Wir sahen, es hält der Sonderbegriff durchaus nicht  schlechthin  die Unterschiede der Dinge fest; spielt doch die Eigenart, das Unterscheidende par excellence, nur eine untergeordnete Rolle bei ihm. Zwar bedeutet auch die  Eigenlage  eine denkbar schärfste Unterscheidung der Dinge; für jedes Konkretum gilt sie notwendig anders als für jedes andere. Aber gerade sie, die den Kern des Sonderbegriffes ausmache, verrät den charakteristischen Zug aller Idiographie: Die Eigenlage ordnet das Konkretum  gedanklich  einem großen und einmaligen Zusammenhang ein, der in der Wirklichkeit alles Konkrete  anschaulich  umfängt: einem Allzusammenhang. Bei seinem Streben nach dem Besonderen hält sich also das idiographische Denken an  jenes  Unterscheidende der Dinge,  das uns zugleich über ihren Zusammenhang in der Wirklichkeit aufklärt. 

So erhellt sich jetzt, weshalb die arthaften Urteile, soweit sie an der  Eigenart  bauen - von der kategorialen Unterlage stets abgesehen - ein  fremder Stoff  im Sonderbegriff sind. Es kennzeichnet diese Urteile, daß sie das Konkretum aus seinen anschaulichen Zusammenhängen  herausheben,  um es mit den Trägern der gleichen Merkmale in die  rein gedankliche  Verbindung einer "Unterart" zu bringen. Mit dieser Zusprache zu immer engeren Unterarten ist dem idiographischen Denken nicht gedient. Vielmehr bleibt daraufhin auch die Verflechtung dieser Urteile, die Eigenart selber, ein Fremdkörper im Organismus des Sonderbegriffs. Soll also die  Synthese  von Eigenart und Eigenlage gelingen, sollen  alle  Bestimmungen, die im Angesicht des Konkretums überhaupt möglich sind,  untereinander verbindbar  werden, dann bedarf es einer spezifischen  Fortbildung  der arthaften Urteile. Genauer gesagt, die Letzteren müssen ihren materiellen Inhalt an Urteile abgeben, in denen eine ganz andere Absicht lebt: nicht die Absicht einer  Unterordnung unter Artbegriffe,  sondern einer  Einordnung in anschauliche Zusammenhänge.  Jene Erbschaft treten nun die Urteile über das  Gefüge  und über die  Stellung  an; arthafte Bestimmung wandelt sich in Bestimmung der Struktur und Konstellation.

Das arthafte Urteil: "Dieser Berg ist spitz" besagt materiell nichts wesentlich anderes, als etwa ein Urteil von der Form: "Die Erdoberfläche gestaltet sich an dieser Stelle zu einem kegelförmigen System steiler Hänge aus". Der Inhalt dieser beiden Urteile ist annähernd der gleiche, wohl aber sind beide von einer verschiedenen Absicht getragen. Im ersten Urteil berichte ich über das Ergebnis eines anschaulichen Vergleichs, der von Berg zu Berg vollzogen wird, und den ich auch numerisch präzisieren kann, durch eine Angabe der Winkel, die ein Vertikalabschnitt des Berges aufweist; wobei es immerzu meine Absicht bleibt, den konkreten Berg in die Unterart der "spitzen Berge" einzureihen. Im zweiten Urteil verfolge ich eine ganz andere Absicht. Hier suche ich das Konkretum so zu erfassen, wie es einen  Ausschnitt aus dem räumlichen Allzusammenhang  darstellt, den letzteren auf die Erdoberfläche reduziert. Dieser Ausschnitt ist ein  kategorial umgrenzter,  gemäß der Kategorie des "körperlichen Dings". Diese unterliegt zwar notwendig schon dem Allgemeinbegriff "Berg"; jetzt aber suche ich es mir ausdrücklich klar zu machen, wie etwas Mannigfaltiges, das sich der Erdoberfläche einschmiegt, so in sich  geschlossen  ist, daß es alles Übrige  ausschließt,  im Sinne einer  in sich ausgeglichenen Einheit:  das "kegelförmige System der Hänge". Und was früher als arthaft Bestimmung "spitz" den Stammbegriff "Berg" schlechthin bereichert hat, in der Richtung auf seine Eigenart, wird mir jetzt als eine  Modalität  erfaßbar, unter der jener innere Ausgleich zur Einheit erfolgt: zum "kegelförmigen System" schließen sich ausdrücklich  "steile  Hänge" zueinander, also im Sinne des Auslaufs in eine Spitze. So sind der Berg und seine spitzige Beschaffenheit, Art  und  Eigenartiges, gleichmäßig in etwas anderes aufgegangen: eine arthafte Bestimmung hat sich fortgebildet zu einer  Strukturbestimmung.  Anstelle der Urteile über die Artung sind Urteile über das  Gefüge  des Konkretum getreten. Nicht der materielle Inhalt der Aussage, aber ihre formale Natur hat sich geändert. Der geänderten Absicht gemäß ziehen die Urteile jetzt das Konkretum ausdrücklich  nach seinen Zusammenhängen  in Betracht; hier speziell danach, wie es  in sich  zusammenhängt, als ein kategorial umgrenzter Ausschnitt aus dem räumlichen Allzusammenhang.

Diese Urteile über die Struktur brauchen sich natürlich nicht auf die Verhältnisse der körperlichen  Form  zu beschränken. Selbst dann, wenn diese Urteile auf den  räumlichen  Allzusammenhang ausgerichtet bleiben, sind auch in unserem Beispiel noch viele andere Weisen der Entfaltung, des Auseinanderlegens, möglich. Ich kann den Berg auch als eine  geognostische  Einheit zu erfassen suchen, nach seinem Aufbau aus stofflich qualifizierten "Schichten"; und so auch als eine  geogenetische  Einheit. Oder als eine  agronomische  Einheit; insofern er nämlich "Böden" spezifischer Art und Güte - Ackerland, Weinbergsboden, Waldboden, Ödland usw. - so in sich schließ, um sich hierdurch von seiner Umgebung abzugrenzen. Wie es sein kann, daß für das nämliche Konkretum so verschiedene Urteile über die Struktur nebeneinander möglich sind, und wie jedes für sich allein möglich wird, da wir doch immer von neuem die unendliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen vor uns haben, das alles wird uns noch beschäftigen.

Von den Urteilen über die Artung lassen sich  nicht alle  in Urteil über die Struktur überführen. Wie schon erwähnt, gibt es arthafte Urteile von der Form, daß z. B. unser Berg als ein "auf einem Plateau befindlicher", oder "in der Verlängerung eines Höhenzuges gelegener" bestimmt wird. Wenn diese Urteile auf Beziehungen abzielen, die vom Objekt aus nach  außen  weben, so beirrt dies allein noch keineswegs die  nomothetische  Tendenz dieser Urteile. Man will auch da auf die Erfassung der  Eigenart  hinaus, auf dem Weg der Zusprache zu immer engeren Unterarten. Es fehlt gerade im Prinzip noch an der  idiographischen  Tendenz; an der Tendenz, den Berg hierdurch gedanklich einem Zusammenhang einzuordnen, der ihn als Konkretum in der Wirklichkeit umfängt. Diesen Unterschied in der  Absicht  des Urteilens verschleiert hier der Umstand, daß man an der wörtlichen Fassung dieser Urteile nur ein  Geringes  zu ändern braucht, und sofort lebt die  andere  Tendenz in ihnen auf. Es genügt, nicht mehr von "einem Plateau", sondern vom "Plateua von Dingskirchen" zu sprechen. Und selbst dieses  qui pro quo  [Verwechslung - wp] kann sich noch verschleiern. Dies würde der Fall sein, wenn man nicht sofort mit dem Eigennamen herausrücken will, oder ihn gar nicht kennt, aber trotzdem nicht mehr den Allgemeinbegriffe "Plateau"  als solchen  in das Urteil übernimmt; wenn man also nicht mehr etwas meint, was zwar "Plateu" nennbar ist, sonst aber ganz unbestimmt bleibt, sondern schon einen  bestimmten  Träger dieses Gattungsnamens. Jedenfalls ist es dieser  Einsatz des Sonderbegriffs  für den Allgemeinbegriff, was den Umschwung herbeiführt; ob sich dies nun mehr oder minder deutlich im wörtlichen Ausdruck spiegelt. Urteile jener Form, die sich auf  Sonderbegriffe  gründen, sind keine arthaften mehr, sondern Urteile über die  Stellung  des Konkretums. Die Natur einer solchen  Konstellationsbestimmung  wird erst recht klar, wenn man ihrer Beziehung zur  Eigenlage  nachgeht.

Kraft seiner Eigenlage verharrt das Konkretum nicht bloß zur Allheit in einer festen Relation, es nimmt dadurch auch zu  Seinesgleichen  in eindeutiger Weise Stellung. Denn auch jedes andere Konkretum besitzt seine Eigenlage, weist sich also gleichfalls über ein festes Verhältnis zur Allheit aus. Daher läßt sich das Konkretum auch in  mittelbarer  Weise zur Allheit in Beziehung setzen, das will sagen, dem Allzusammenhang einordnen: man setzt einfach genügend viele jener  wechselseitigen  Verhältnisse außer Zweifel. Dies geschieht nun mit Hilfe jener Urteile über die  Stellung.  Es geht dann die Bestimmung der  Position  im Allzusammenhang in die Bestimmung der  Konstellation innerhalb  des Allzusammenhangs über. Ein tiefer Gegensatz kann zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen schon deshalb nicht bestehen, weil sie  beide  von der idiographischen Tendenz getragen sind, beide auf den Allzusammenhang reflektieren. So ist es z. B. bezeichnend, daß die Positionsbestimmung nur unter Mithilfe einer einzelnen Konstellationsbestimmung möglich wird: "n-ter Grad östlich  von Greenwich!"  Trotz ihrer inneren Verwandtschaft aber bleibt zwischen Position und Konstellation  der  Gegensatz in Kraft, daß mit der ersteren das Verhältnis  zur Gesamtheit,  mit der letzteren das Verhältnis  zu allen Einzelnen  gemeint wird. Dieses vielgestaltete Verhältnis ist aber vom  Zusammenhang  abgehoben, der in der Wirklichkeit alles Konkrete anschaulich umfängt: in unserem Beispiel vom räumlichen Allzusammenhang. Es gilt daher auch von den Urteilen über die Konstellation, daß sie das Konkretum  nach seinen Zusammenhängen  in Betracht ziehen. Nicht aber, wie es  in sich  zusammenhängt, erscheint hier unter Urteil genommen, sondern vielmehr die Art und Weise,  wie es über sich selber hinaus  mit allem Konkreten zusammenhängt.

Fragen wir uns, was mit den hier skizzierten Urteilen über Struktur und Konstellation für das  idiographische Denken  gewonnen ist, sobald es  höhere  Ergebnisse als den schlichten Sonderbegriff anstrebt. Zunächst erhellt sich, daß diese beiden Gruppen von Urteilen die Gesamtheit dessen  erschöpfen,  was sich an einem Konkretum überhaupt bestimmen läßt. Denn in der Eigenart kann nichts enthalten sein, was nicht irgendwie in Struktur und Konstellation überführbar wäre, sofern es überhaupt idiographisch relevant ist. Die Eigenlage wieder ist in der Konstellation  mitenthalten.  Soweithin erlauben es also diese beiden Urteilsgruppen, in ihrem  eigenen  Umkreis die Aufgabe zu lösen, an der die logische Ausgestaltung des Sonderbegriffs hängt: die Synthese von Eigenart und Eigenlage. Dazu würde es aber einer  Verflechtung  der Urteile über Struktur und Konstellation bedürfen. Gemeint nicht im Sinne eines Schlußverfahrens, sondern so, daß man die Inhalte der Urteile ausdrücklich zu dem Zweck  aufeinander bezieht,  um sie auf der Grundlage des Stammbegriffs  zu begrifflicher Einheit ausgleichen  zu können. In ähnlicher Weise, also im Sinne einer  Begriffsbildung,  ließen sich die beiden Urteile über die Lage: "Dieser konkrete Berg liegt zwei Meilen entfernt von Dingskirchen" miteinander verflechten. Indem man nämlich ihre Inhalte aufeinander bezog, ergaben sie in ihrer Verflechtung den Sonderbegriff des "zwei Meilen nordöstlich von Dingskirchen gelegenen Berges", unseres Y-Berges. Zugleich fiel darüber dem Konkretum ein bestimmter Charakter zu: seine absolute Wiederholbarkeit, im Sinne seiner Eigenlage. Hier lag die  Möglichkeit,  die beiden Lagenbestimmungen aufeinander zu beziehen, klar und als eine denkbar einfache zutage. Wie in jedem Koordinatensystem je eine Abszisse und eine Ordinate den einzelnen Punkt außer Zweifel stellen, so auch hier. Ob nun Struktur und Konstellation in verwandter Weise  aufeinander beziehbar  sind,  wird jetzt zu erörtern sein.  Wären sie es  tatsächlich,  dann hätten wir für die Synthese von Eigenart und Eigenlage, also für den  logischen Ausbau des Sonderbegriffs,  eine einfache Formel gefunden: Jene Synthese verwirklicht sich,  indem man Struktur und Konstellation aufeinander bezieht! 

Während zwischen den Urteilen über die Artung und jenen über die Lage jeglicher Rapport mangelte, abgesehen von ihrer Bezugnahme auf das nämliche Konkretum, während also diese Urteile gleichsam  inkommensurabel  füreinander sind, lebt in den Urteilen über Gefüge und Stellung  einhellig  die idiographische Tendenz: insgesamt trachten sie das Einzelne aus dem Gesichtspunkt seiner Einordnung in den Allzusammenhang zu besondern. Im Prinzip sind daher jene Urteile miteinander  verknüpfbar;  denn auf ihre gemeinsame Absicht hin erweisen sie jedenfalls einen Bezug aufeinander. Allein, so unverkennbar ihre Verwandtschaft ist,  der Verknüpfung dieser Urteile steht dennoch etwas im Weg.  Es ist dies wichtig genug, um eingehender davon zu sprechen.

Wie ihr Vergleich lehrt, greifen die Urteile über das  Gefüge  ganz anders in das anschaulich Gegebene ein, als die Urteile über die  Stellung.  Die Ersteren machen uns das Konkretum als Einheit verständlich, wie es schon früher angedeutet wurde. Die Urteile über die Stellung hingegen drohen uns vorerst in das Wirrsal der  allseitigen  Verhältnisse zu verwickeln. Dem sind wir in unserem Beispiel zwar entgangen. Es klingt ganz selbstverständlich, den Berg zum Plateau, zum Höhenzug  A  und über diesen hinweg zum M-Gebirge ins Verhältnis zu setzen. Erstens aber ist damit die Konstellationsbestimmung noch nicht weit genug gediehen, um im eigentlichen Sinne zugleich die  Eigenlage  des Konkretums klarzustellen. Wie es später noch erörtert wird, müßten wir das M-Gebirge erst noch etwa einem Gebirgssystem  S,  dieses einem Kontinent  P  einordnen können, ehe unser Berg in dieser mittelbaren Weise in ein festes Verhältnis zum räumlichen Allzusammenhang gebracht wäre. Zweitens aber, wenn wir anstelle der  allseitigen  Verhältnisse, die ja erst die Konstellation des Konkretums ausmachen, mit einer so kleinen Zahl von Bestimmungen uns Genügen finden, so verhilft uns dazu offenbar schon irgendein  Prinzip der Auswahl;  wir lassen es vorläufig ganz in der Schwebe. Zwar muß ein Prinzip der Auswahl, und wohl das gleiche, auch die Urteile über das  Gefüge  beherrschen; wie käme man sonst zu der Lösung, den Berg gerade als das geschlossene System seiner Hänge, oder im anderen Fall seiner Schichten verständlich zu machen, da doch außer Hängen und Schichten noch eine unendliche Mannigfaltigkeit, und damit eine Unzahl nennbarer Dinge, in diesem Konkretum beschlossen ruht! Darin aber prägt sich der erwähnte  Vorsprung  der Urteile über das Gefüge aus, daß man es ihnen sofort nachrechnen kann, wie sie vorgehen: die Urteile über das Gefüge  machen uns das Konkretum als das Ganze seiner Teile verständlich. 

Von diesem besonderen Geist könnte die Strukturbestimmung nicht getragen sein, wenn nicht auch ihre  nomothetischen  Elemente  andere  wären, als bei allen übrigen Bestimmungen - bei jenen über die Artung, die Lage, und die Stellung. Diese gründen sich insgesamt auf das  Generell-Allgemeine,  arbeitem mit dem  Artbegriff,  indem die betreffenden Urteile zunächst mit der Zusprache des Konkretums zu einer Unterart des Stammbegriffes einsetzen; z. B. also mit der Zusprache zu den "zwei Meilen von Dingskirchen entfernten Bergen." Mit dem Artbegriff arbeiten natürlich auch die Urteile über die  Struktur;  mindestens darin, daß sie, der Natur unseres Denkens gemäß, von "Hängen", "Schichten", von "steil" und auch sonst in einem generellen Sinn sprechen müssen. Wesentlich aber ist es für die Strukturbestimmung, daß sie sich außerdem auf das  Kollektiv-Allgemeine  gründet. Es nehmen alle Urteile über die Struktur, die über ein Konkretum ergehen, gemeinsam auf einen  Kollektivbegriff  Bezug, der gleichsam die Anleitung liefert, wie sich diese Urteile verflechten müssen, damit im Enderfolg die  Struktur  des Konkretums erfaßt wird.

Der  Kollektivbegriff  hat es mit dem Artbegriff gemein, daß er ein  Allgemeinbegriff  ist, also eine Form des nomothetischen Denkens. Während nämlich jeder idiographische Begriff all das in sich schließt, was ein Einzelnes gedanklich unverwechselbar macht, setzt sich auch der Inhalt des Kollektivbegriffes aus dem zusammen,  was eine unbestimmte Vielheit von Dingen als untereinander verwechselbar erscheinen läßt.  Nur kommen diese Dinge nicht als Einzeldinge in Betracht, wie beim Artbegriff, sondern selbst wieder als  unbestimmte  Vielheiten; und was sie als untereinander verwechselbar erscheinen läßt, ist die bei allen wiederkehrende Art und Weise,  wie sie sich aus Einzelnen aufbauen.  Während also der Artbegriff von unbestimmt vielen  Einzelnen  das  schlechthin  Gemeinsame abhebt, hebt der Kollektivbegriff von unbestimmt vielen  Vielheiten  das  Gemeinsame ihres Aufbaus aus Einzelnen  ab. So ist z. B. der Allgemeinbegriff "Wald" ein Kollektivbegriff, weil mit ihm die unbestimmte Vielheit aller "Wälder" gedanklich aufgehoben erscheint, die alle untereinander auf die besondere Art und Weise hin verwechselbar sind, in der sie sich aus vielen Bäumen, aus Buschwerk, Moos- und Streuflächen und dgl. aufbauen. Mit dem Artbegriff verglichen, stellt der Kollektivbegriff offenbar schon ein  verwickelteres  Schema dar, nach welchem sich das Mannigfaltige der Wirklichkeit zu kategorialer Einhei zusammenfassen läßt. Und nach  diesem  Schema machen uns die Urteile über die Struktur das Konkretum verständlich.

Um den Kollektivbegriff richtig zu würdigen, muß man das  Kollektivum,  also den einzelnen  Fall  seiner Verwirklichung, zum  bloßen Inbegriff  in einen Gegensatz stellen. Auch mit dem Inbegrif ist eine Vielheit von Dingen in eins gefaßt. Über deren Umkreis entscheidet aber etwas, das nicht schon in den Beziehungen der umfaßten Dinge selber angelegt ist. Die Zusammenfassung, so könnte man sagen, ist hier auf  äußere,  nicht auf  innere  Bedingungen gestellt. Zum Beispiel läßt sich der Inbegriff der "auf dem Plateau von Dingskirchen gelegenen Berg" bilden; hier zieht die Fläche des Plateaus den Umkreis, und diese hat mit den Beziehungen innerhalb der zusammengefaßten Berge offenkundig nichts zu tun. Sagen wir dagegen unseren Berg als das "kegelförmige System seiner Hänge" aus, dann ist die Zusammenfassung der Hänge nicht von außen an sie herangebracht, sie ist in ihren eigenen Beziehungen angelegt. Hier tritt uns nun jenes eigentümliche Verhältnis zwischen dem  Ganzen  und seinen  Teilen  entgegen, das dem Inbegriff fehlt; bei letzterem dürfte man nur von der Gesamtheit und ihren Bestandteilen sprechen - wenn sich unsere Sprache um so subtile Dinge kümmern würde! Als das "kegelförmige System seiner Hänge" repräsentiert unser Berg deshalb ein richtiges  Ganzes,  weil er die  umschließende Vielheit  darstellt,  die sich den umschlossenen Einzelnen gegenüber vor unserem Denken als Einheit zur Geltung bringt.  So ungefähr ließe sich für unsere Zwecke das vielerörterte Verhältnis ausdrücken, wie das Ganze jene Teile "trägt", von denen es doch selber "getragen" wird. Damit tritt dann der Gegensatz zum  numerischen  Inbegriff, zur bloßen  Summe,  klar hervor, weil man von einer Summe gerade daraufhin spricht, daß sich umgekehrt die umschlossenen Einzelnen der umschließenden Vielheit gegenüber als  Einheiten  zur Geltung bringen. Die  besondere Art  aber, wie sich die umschließende Vielheit als Einheit zur Geltung bringt, mach das  Wesen des Aufbaus  eines Kollektivums aus; um sie dreht sich alle Kulturbestimmung. Die Urteile über das Gefüge zählen nicht etwa bloß die Teile auf, sie suchen dieses  zentrale  Verhältnis, das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen, aufzuklären. In unserem schlichten Beispiel hat es in dieser Hinsicht genügt, die uns allen geläufige Vorstellung des "Kegels" heraufzubeschwören, im Sinne eines spezifischen Flächenkontinuums, das sich den umschlossenen Flächen gegenüber als Einheit zur Geltung bringt. In anderen Fällen mag es weit schwieriger sein, den Gedanken jener zugleich tragenden und getragenen Einheit ins rechte Licht zu setzen. Jedenfalls trägt immer ein  Kollektivbegriff  den "formenden" Gedanken jener Einheit bei; und indem sie auf  diesen  gemeinsam Bezug nehmen, machen uns die Urteile über die Struktur das Konkretum als das Ganze seiner Teile verständlich.

Es ist aber keineswegs ein Zufall, wenn wir uns den Berg in jener Weise als ein  räumliches  Kollektivum zurechtlegen. Dies gilt auch dann, sobald wir den Berg als eine geognostische, oder eine geogenetische, oder eine agronomische Einheit zu erfassen suchen. Dieser Wechsel in der Strukturauffassung, dessen Sinn sich erst später erhellen soll, ändert daran nichts, daß der Berg jedesmal auf  räumliche  Beziehungen hin als das Ganze seiner Teile erscheint; das eine Mal als ein Ganzes von Flächen, dann wieder als ein Ganzes körperlicher Schichten. Allerdings werden auch noch  andersgeartete  Beziehungen mit berücksichtigt, um das Kollektivum schärfer herauszuarbeiten. Wenn es uns ganz selbstverständlich dünkt, daß ein solches "kegelförmiges System" nicht mit seiner Spitze, sondern mit seiner Basis der Erdoberfläche eingeordnet ist, so spricht dies bloß für die Geläufigkeit der "naturgesetzlichen" Beziehungen, auf die sich die Kegelform des Berges zurückführen läßt: die Wirkung der Schwerkraft, auf die Steinmasse sowohl als auf das niederrieselnde Wasser. Oder denken wir daran, unter welchen Umständen sich unser Berg als eine  agronomische  Einheit erfassen läßt: Sobald er nämlich seine Oberfläche als einen geschlossenen Bezirk spezifischer "Böden" aus seiner Umgebung heraushebt. Da wäre zunächst etwa ein äußerer Ring, zu dem sich ein Streifen Weinbergslagen mit einem - an der "Winterseite" gelegenen - Streifen minderen Ackerlandes schließt; dann ein ringförmiger Streifen Waldboden, bis schließlich, um die Spitze herum, ein Bereich von Ödland den Mittelraum ausfüllt. Nun begreifen wir es zweifellos aus  "naturgesetzlichen"  Beziehungen, weshalb es unter den gegebenen Verhältnissen zu dieser  Anordnung  kommen muß. Auch ist es klar, daß uns diese agronomische Einheit nicht bloß geometrisch, als System konzentrischer Ringe, nahe gelegt wird, sondern auch dadurch, daß alle diese spezifischen Böden einheitlich aus der Kegelform der Bergoberfläche heraus  bedingt  sind. Wir sind also imstande, die eine Strukturauffassung aus der anderen "kausal" abzuleiten. Weil aber das Kollektivum selber schließlich doch als ein  räumliches  erfaßt ist, so hat dies alles nur die Bedeutung einer  kausalen Interpretation der Zusammenfassung.  Diese Zusammenfassung  selber  jedoch geht den Weg, der für das idiographische Denken in unserem Beispiel der charakteristische ist, denn sie erfolgt auf  räumliche  Beziehungen hin, die von den  räumlichen  Zusammenhängen abgehoben sind.

So gilt es auch für den Teil jener "naturgesetzlichen" Beziehungen, daß sich das idiographische Denken die Ergebnisse des nomothetischen  nutzbar  macht. Und so ist ihm gerade auch der Kollektivbegriff, der zur Zusammenfassung anleitet, bloß ein  Mittel zum Zweck.  Es handelt sich weder um eine bloße Unterordnung unter den Kollektivbegriff "Kegel", noch um eine bloße Exemplifizierung desselben durch unseren Berg. Das idiographische Denken erstrebt ausdrücklich den  Einschluß  des Konkretums in den räumlichen Allzusammenhang, oder dagen wir, seine  Auflösung  im letzteren. Wir suchen uns bei der Strukturbestimmung klar zu werden, wie hier ein Konkretum dadurch vorliegt, daß sich  auf der Grundlage des räumlichen Zusammenhängens ein Kollektivum erfassen läßt.  Das Ergebnis der Strukturbestimmung gipfelt also in einem  Teilaufschluß über die Struktur des räumlichen Allzusammenhang.  So ist mit der bloßen Strukturbestimmung offenbar nur etwas geleistet, das noch über sich hinausweist.

Die Formel für die  abschließende  Arbeit, soweit sie für ein einzelnes Konkretum zu leisten wäre, ist uns bekannt; es gilt,  Struktur und Konstellation aufeinander zu beziehen.  Wir wissen aber jetzt, was eine Strukturbestimmung immer noch von einer Konstellationsbestimmung  getrennt  hält, 
und es also verhindert, beide so in eins zu ziehen, wie dies mit den früher erwähnten Lagebestimmungen ohne weiteres möglich war. Im Gegensatz zur Strukturbestimmung fußt eben auch die Konstellationsbestimmung auf dem  Generell-Allgemeinen.  Nur mittelbar, soweit sie nämlich an eine Auswahl gebunden ist, und diese Auswahl den Weg einer Kollektivation geht, kommt auch bei der Konstellation das Kollektiv-Allgemeine zur Geltung; so z. B., wenn unser Berg zu einem "Höhenzug", zu einem "Gebirge", zu einem ganzen "Gebirgssystem" in ein eindeutiges Verhältnis gesetzt wird. Dies ändert aber nichts am trennenden Gegensatz zwischen diesen beiden Arten der Bestimmung. Erst dann also erhalten sie wahrhaft  Bezug  aufeinander, sobald sich  der Geist der Strukturbestimmung auch der Konstellationsbestimmung mitteilt;  wodurch die letztere dann mit der ersteren gleichsam  verschmilzt.  Wie ist das möglich?

Seiner Konstellation nach kann uns das Konkretum freilich nie als das Ganze seiner Teile verständlich werden. Aber wir können es als  Teil eines höheren Ganzen  zu verstehen suchen. Dann hat sich die Bestimmung der Konstellation mit dem Geist der Strukturbestimmung erfüllt, beide haben  Bezug  aufeinander erhalten, sie können miteinander  zu einem Dritten verschmelzen.  Nun ist aber jener Bedingung in der Konstellationsbestimmung stets  vorgearbeitet;  um vollständig zu sein,  muß  sie Kollektiven nennen, über die hinweg das Konkretum zum Allzusammenhang in ein eindeutiges Verhältnis gesetzt wird, und mit jedem dieser Kollektiven liegt ein höheres Ganzes vor. So nimmt unser Beispiel drei und steigend deutlichere Kollektivbegriffe in Dienst: den Höhenzug, das Gebirge, das Gebirssystem. Nennen wir nun ein solches Kollektivum, das ein  singuläres Ganzes  darstellt, weil es auf der Grundlage des Allzusammenhangs erfaßt ist und in dessen Gefüge kraft seiner Eigenlage unverwechselbar verharrt, ein  System,  und bezeichnen wir einen singulären Teil dieses singulären Ganzen als  Glied,  dann läuft jene Verschmelzung darauf hinaus, daß wir das Konkretum so erfassen, wie es  für sich ein System  ist, indem es zugleich  Glied eines höheren Systems  ist. So ergibt sich schließlich als der  sachliche  Gehalt der Formel, Struktur und Konstellation aufeinander zu beziehen, daß es darauf ankommt,  das Konkretum auf der Grundlage des Allzusammenhangs als System im System zu erfassen. 

Dieses Verschmelzen von Struktur und Konstellation ist uns gerade in geographischen Dingen außerordentlich geläufig. Das Urteil: "Der Berg liegt isoliert in der Verlängerung des Höhenzuges  A"  wandelt sich uns ganz ungezwungen zu der Aussage: "Der Berg ist ein isolierter  Ausläufer  des Höhenzuges  A."  Und doch ist von dort nach hier schon der entscheidende Umschwung eingetreten! Im ersteren Urteil ist der Höhenzug  A  rein nur als eine Richtlinie aufgefaßt, in deren Verlängerung unser Berg nicht anders liegt, als etwa ein Abgrund, oder eine Ortschaft, oder was auch immer liegen könnte. Soweit ist es eitel  Konstellation.  Dagegen könnte der Abgrund oder die Ortschaft niemals als ein "Ausläufer" des Höhenzuges erfaßt werden. Darin verrät es sich, daß bei der zweiten Aussage schon die  Struktur  entscheidend mitspricht. Dann ist der Höhenzug schon als ein  System  von Hängen, Steigungen, Spitzen und Sätteln gedacht, die sich in kleinerem Kreis je als "Höhe" oder "Berg" zur Einheit ausgleichen. Und diesem  umfassenderen  System ist nun unser Konkretum ausdrücklich wieder als ein  System  von Hängen eingeordnet. Als "Ausläufer" ist daher unser Berg offenbar schon als System  im  System erfaßt, freilich im allerprimitivsten Sinn. Ihn als einen "isolierten Ausläufer des Höhenzuges  A"  zu kennzeichnen, ist weder eine arthafte, noch eine Lagenbestimmung, weder Struktur- noch Konstellationsbestimung, es ist eine  Fortbildung und Synthese von allen vier Bestimmungsweisen. 

Aussagen dieser Art, die unverkennbar schon etwas  Abschließendes  an sich tragen, liegen auch dann vor, wenn man unseren Berg als "Krönung des Plateaus von Dingskirchen" kennzeichnet, oder vom "Hauptstock des M-Gebirges" spricht; es wird auch dann jedesmal ein System einem höheren System so eingeordnet, daß man zugleich über den  Modus  der Einordnung im klaren ist. Diesen Aussagen unterliegt klar ersichtlich eine  dritte Form des Allgemeinen.  Da handelt es sich nicht schlechthin um die Verwechselbarkeit unbestimmt vieler Einzelner, wie beim Generell-Allgemeinen; auch nicht um die Verwechselbarkeit unbestimmt vieler Vielheiten, nach ihrer Relation auf die umschlossenen Einzelnen, wie beim Kollektiv-Allgemeinen. Dieses  dritte  Allgemeine liegt vielmehr damit vor, daß eine unbestimmte Vielzahl von  Einzelnen  untereinander verwechselbar ist, und zwar  gemäß der Relation dieser Einzelnen auf die umschließenden Vielheiten.  Das Gemeinsame, das allein von diesen Einzelnen gedanklich abgehoben erscheint, ist ihre Eigenschaft als  Glieder  höherer Einheiten: "Ausläufer"! Diese ihre Gliedeigenschaft begreift einerseits den  Dienst  in sich, den diese Einzelnen als Glieder im Gefüge der höheren Einheiten leisten; auf der anderen Seite eines bloßen Teils stets verknüpft. Jenen Dienst und diese Abhängigkeit faßt nun am besten der Ausdruck "Funktion" in ein einziges Wort. Verwechselbar sind also im Rahmen jenes Allgemeinen die Einzelnen gemäß ihrer  Funktion.  Man darf vom  Funktionell-Allgemeinen  sprechen, dem als nomothetische Denkform der  Funktionalbegriff  entspricht, der sich, als die dritte Variation des Allgemeinbegriffs, neben Art- und Kollektivbegriff stellt. Wir dürfen somit die Eigenart jener Aussagen logisch darin kennzeichnen, daß sie  mit dem Funktionalbegriff arbeiten;  "Ausläufer", "Krönung", "Hauptstock" sind die uns absehbaren Beispiele dieses Begriffs, durchaus schlichtester Art.

Jeder Funktionalbegriff legt eine stille Berufung auf jenen Kollektivbegriff ein, den er in einer  Einzelheit  des vielgestaltigen Verhältnisses zwischen dem Ganzen und seinen Teilen erläutert, so hält es der Begriff "Ausläufer" mit dem Kollektivbegriff "Höhenzug", als dem, das mit irgeneinem seiner Teile "ausläuft". Dieses  Wechselspiel zwischen Kollektiv- und Funktionalbegriff  antwortet in spezifischer Weise dem Charakter des idiographischen Denkens. Dieses lehrt und überall aus dem Ganzen das Einzelne so verstehen, daß wir im einzelnen auch schon das Ganze ermessen. Es vermittelt stets eine "organische" Auffassung in jenem tiefen kantischen Sinn,daß wir einsehen, wie alles um Eines, und jedes Einzelne um aller willen da scheint.

Da jene abschließenden Aussagen eine Fortbildung und Synthese  aller  vier Bestimmungsweisen bedeuten, erscheint mit hnen je eine Anzahl der verschiedenartigsten Bestimmungen  zu begrifflicher Einheit ausgeglichen.  Bestimmungen, die zu einem Teil die Eigenart, zum anderen die Eigenlage konstituieren helfen, streben jetzt nicht mehr auseinander. Sie reflektieren jetzt nicht mehr bloß auf das nämliche Konkretum, sondern auch ein  innerer,  ein Bezug dieser Urteilsinhalt  aufeinander,  war vorhanden und hat sich durchgesetzt. Ohne Zweifel realisieren also jene Aussagen schon die logische Ausgestaltung des Sonderbegriffs. Sie bauen bereits am Inhalt des idiographischen Begriffs  höherer  Stufe, des  Vollbegriffs.  Um diesen richtig zu verstehen, und danach auch zu benennen, fragen wir nach der  logischen  Leistung, die ihm spezifisch ist.

Für den Sonderbegriff sahen wir diese Leistung darin, daß er uns ein Einzelnes der Wirklichkeit auch im Denken unverwechselbar macht. Er  singularisiert  das Konkretum. So muß sich die logische Leistung des  Vollbegriffs  in analoger Weise im  Charakter  widerspiegeln, den er erst noch dem Singulären beizulegen weiß. Was könnte nun dieser Charakter sein? Die absolute Unwiederholbarkeit nicht; sie wohnt im Singulären schon als solchem inne. Sie selber könnte auch nicht überboten werden; wohl aber jene empirische  Unersetzlichkeit,  die sich der Eigenart des Dinges verknüpft. So kann es sich nur um eine Unersetzlichkeit handeln, die jene absolute Unwiederholbarkeit in sich schließt und in diesem Sinne als eine  allgemeingültige  erscheint. Folgen wir dieser Spur.

Allgemeingültig singulär ist das Konkretum aufgrund seiner  Relation  zum  Allzusammenhang.  Bloß in der  gleichen  Relation kan es in einer allgemeingültigen Weise auch  unersetzlich  sein. Nun hält der Inhalt des Vollbegriffs, wie ihn jene abschließenden Aussagen bilden, eine Relation zum Allzusammenhang tatsächlich aufrecht. Wir ersahen bereits den Sinn der Strukturbestimmung darin, daß sie einen Teilaufschluß über die  Struktur  des Allzusammenhangs bietet. In einem noch tieferen Sinne gilt dies für jene Aussagen, in denen Struktur und Konstellation schon miteinander verschmolzen sind. Als System im System wird das Konkretum zwar immer nur gegenüber Kollektiven erfaßt, die aus dem Allzusammenhang gleichsam ausgetrennt werden.  Prinzipiell  aber gelten uns auch diese  Kollektiven  als  Glieder des Allzusammenhang,  die an seinem Aufbau tätig sind. Im Prinzip also würdigen jene Aussagen das Konkretum dennoch als ein  Element  für den Aufbau des Allzusammenhangs; und zwar als ein  unentbehrliches  Element, weil es ja nach Maßgabe seiner Eigenlage als etwas Singuläres als das absolut Unwiederholbare, am Allzusammenhang baut. Auch kommt es für seine Mitarbeit am Aufbau ausdrücklich als  System  in Betracht, also im wesentlichsten Sinne als ein  Ganzes.  Im Rahmen der Mission, die dem Konkretum innerhalb des Allzusammenhangs zufällt, ist daher seine  Ganzheit  nicht etwas, das rein tatsächlich als seine Ungeteiltheit vorliegt, wie es schließlich für jegliches Ding schon als solches gilt. Die Ganzheit ist hier das Prinzipielle; sie ruht, sofern man das Ding nach jeder Mission würdigen will, im Wesen der Sache beschlossen, im Sinne einer  Unteilbarkeit  des Dings. So ist es sachlich  und  sprachlich richtig zu sagen, daß wir mit jenen Aussagen, in denen das idiographische Denken sein Bestes leistet, die Individualität der Dinge erfassen. Das ist keine bloße Modalität, gleich der Eigenlage; aber es ist auch weitaus mehr als die rein empirische Eigenart.  Die Individualität des Dings hebt gleichsam seine Eigenlage und seine Eigenart restlos in sich auf.  Mit ihr erschließt sich uns eine  Eigenwürde  des Dings; wir sprechen sie dem Ding daraufhin zu, daß uns das Ding, als  unteilbares Ganzes,  als ein  unentbehrliches Element im Aufbau des Allzusammenhangs  gilt. Die so verstandene und erfaßte Individualität des Dings hat aber offenbar den Sinn einer  allgemeingültigen Unersetzlichkeit;  denn wir erfassen mit ihr, wie sich die Struktur des Einzelnen mit der Struktur des Allzusammenhangs wechselweise bedingt.  Dies  ist nun der Charakter, der dem Singulären erst noch zufällt.  Das Singuläre also zu individualisieren,  das will sagen, das Einzelne aus dem Gesichtspunkt einer Erkenntnis des umfassenden Ganzen als das Besondere zu würdigen, das erscheint als die  logische Leistung des Vollbegriffs.  Dieses reifere Ergebnis des idiographischen Denkens muß daher als  Individualbegriff  bezeichnet werden.

Nun kann aber unser Berg sowohl als "isolierter Ausläufer des Höhenzuges  A"  wie auch als "Krönung des Plateaus von Dingskirchen" idiographisch charakterisiert werden. Ergibt dies nun  zwei  gesonderte Individualbegriffe vom Y-Berg, oder sind die Teilinhalte eines einzigen? Offenbar ist es ein starres Prinzip, daß von  einem  Singulären, von  einem  Träger einer Eigenlage, auch nur  ein  Individualbegriff denkbar ist. Ebenso offenkundig ist aber keine Grenze dem Beginnen gezogen, Struktur und Konstellation so aufeinander zu beziehen, um das Konkretum als System im System zu erfassen. Droht also nicht die Gefahr, daß dieser Individualbegriff bis ins Formlose anschwillt? Diesem Bedenken darf man ruhig die These entgegensetzen, daß es dem Individualbegriff tatsächlich im Wesen liegt, nie fertig zu werden;  seinem eigenen Ausbau ist keine Obergrenze gezogen.  Suchen wir uns über die Konsequenzen dieser so befremdlichen Tatsache zu beruhigen.

Schon in diesem Zusammenhang werden wir zur Frage gedrängt, ob nicht auch der Individualbegriff als ein  dienendes  Glied im Ganzen der idiographischen Erkenntnis aufzufassen wäre; die Antwort trägt erst das nächste Kapitel nach. Im Prinzip aber ist der Individualbegriff sich selber ungleich mehr  Selbstzweck,  als jeder, auch der höchst ausgereifte Allgemeinbegriff. Wenn auch  alle  Begriffsbildung nur den Sinn hat, die unendliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen gedanklich zu überwinden, so gebärdet sich darin der  idiographische  Begriff doch ganz anders, als der  nomothetische.  Ein Allgemeinbegriff von unendlich vielen Merkmalen wäre ein Widerspruch in sich, weil er seinem Wesen nach ein  Werkzeug  unseres beschränkten Intellekts sein soll, und daher, sofern er selber die Schranken überschreitet, sich selbst verneint. Werkzeug aber soll er in dem Sinne sein, daß er uns in seiner möglichst umfassenden  Anwendung  die Wirklichkeit geistig zu beherrschen hilft; ob man diese Anwendung nun als "Erklärung", oder als "einfachste Form der Beschreibung" deuten mag. Der Individualbegriff dagegen ist nie in diesem Sinne ein bloßes Werkzeug weiterer Gedankenarbeit; wir werden sehen, daß von ihm das idiographische Erkennen, als Ganzes betrachtet, niemals Anwendung machen kann,  ohne ihn nicht selber wieder zu vertiefen.  Alle Gedankenarbeit seiner Anwendung mündet wieder in ihm selber aus, weil er für sich selbst schon gleichsam den  Weg  versinnlicht,  den unser Denken in die Wirklichkeit hinein zu finden weiß.  Das "Gerade-da-sein" und das "Gerade-so-sein", die "brutale Gegebenheit" des Wirklichen, sie bringt der Individualbegriff soweit in Einklang mit der "diskursiven" Natur unseres Erkennens, als dies eben noch möglich ist. Jedenfalls braucht er nicht zugunsten seiner Anwendung doch wieder kompliziert; und auch komplizieren  darf,  weil er selbst schon  am letzten Auslauf  des Erkenntnisstrebens liegt, das sich des Besonderen der Dinge annimmt. Es ist daher auch gar nicht notwendig, daß der Individualbegriffe einer  Definition  zugänglich wäre. Jede Definition desselben würde uns  unter den Händen weiterwachsen,  und sich selber damit aufheben. Dem Äußeren nach mögen also sein Inhalt und jene abschließenden Aussagen von  lockerstem  Gefüge sein, seine Einheit leidet darunter doch nicht. Während der Allgemeinbegriff stets nach der gedrungenen Gestalt einer  Formel  strebt - sei es in mathematischer Reinheit, wie bei den "Naturgesetzen", sei es mehr in symbolischer Gestalt, wie in der Chemie, oder, noch deutlicher klassifikatorisch, in Gestalt einer "Zahnformel", einer "Blütenformel" - kann sich der Inhalt des  Individualbegriffs  sozusagen über ein ganzes Buch hindehnen. Und es bleibt doch  ein  Begriff, nicht bloß deshalb, weil alle Teilinhalte einträchtig auf das nämliche Konkretum reflektieren. Die Einheit des so weithin Verstreuten ist auch als eine  innere  da. Darüber einige Worte.

Zwei  arthafte  Bestimmungen, als Teilinhalte eines  Artbegriffs,  z. B. "Berg aus Kalk" und "zerklüfteter Berg", weisen sich als  zusammenhängende  aus, sobald sie sich über das Mittelglied eines  höheren Artbegriffs  hinweg verbinden lassen. Hier wäre es der Begriff der "Verwitterung", der sich auf "Kalk", "Granit", "Sandstein" usw. anwenden läßt, in der Relation auf "Kalk" aber auf die "zerklüftete" Beschaffenheit führt. Dem  idiographischen  Denken ist es eigen, daß diese Rolle des Verbindenden nicht eine höhere Art, sondern ein  höheres Ganzes  spielt. Wie sich unser Berg zugleich als "Ausläufer" und als "Krönung" charakterisieren läßt, wird uns sofort  aus der Struktur des M-Gebirges  klar: das Plateau, das unser Berg "krönt", wird dem Gebirge eben mit jenem Höhenzug  A  eingegliedert, der in unserem Berg "ausläuft". Umgekehrt aber, sobald unser Berg in jener doppelten Weise charakterisiert wird, also sein Individualbegriff schon  beide  Teilinhalte umfaßt, dann leistet dieser  umso besser  seinen logischen Dienst: umso besser läßt er uns im Einzelnen, kraft dessen Charakteristik,  schon das umschließende Ganze durchblicken.  Soviel ist also sicher, die beiden Teilinhalte des Individualbegriffs stehen nicht bezuglos nebeneinander; sie verschmelzen unter sich wieder zu einem  Gesamtcharakter.  Diesen  Ausbau  des Individualbegriffs,  auf dem Weg des Einbezugs einer neuen Charakteristik, die mit der bereits vorliegenden verschmilzt,  will ich an unserem Beispiel noch für einen kleinen weiteren Schritt beleuchten.

Unter einer "Wasserscheide" stellen wir uns eine Linie vor, von der aus nach rechts und links die Wässer anderen Flüssen oder Meeren zuströmen. Im Grunde handelt es sich auch hier um Systeme der Bodengestaltung, um die Scheidung von zwei Systemen je gleichsinniger Abdachung. Hüben und drüben fügen sich benachbarte Flächen verschiedenen Gefälles dadurch in eins, daß ihr stetiger Abfall an derselben Grundlinie zur Ruhe gelangt: z. B. an einer Meeresküste. Die Feststellung solcher Systeme nimmt uns in der einfachsten Weise die Natur ab, eben durch die Laufrichtung, die Mündungstendenz der abfließenden Wässer. Setzen wir uns nun das Verhältnis unseres Berges zur Laufrichtung der benachbarten Gewässer außer Zweifel, so besagt dies noch eine Bestimmung der  Konstellation.  Stellen wir aber anhand des Funktionalbegriffs "Wasserscheide" fest, daß unser Berg "die über den Höhenzug  A  hinlaufende Wasserscheide fortsetzt", dann ist dies nicht mehr eine bloße Konstellationsbestimmung. Es liegt eine  Charakteristik,  ein Teilinhalt des Individualbegriffs vor; denn ausdrücklich als das  System  seiner Hänge fügt sich unser Berg zugleich in jene beiden Abdachungssysteme ein, die "scheiden" zu helfen seine  Funktion  ausmacht. Weil aber diese "Wasserscheide" über unseren Berg  und  den Höhenzug  A  verläuft, beide also der nämlichen "hydrographischen" Einheit angehören, so  vertieft  diese Charakteristik jene frühere, wonach unser Berg ein "Ausläufer des Höhenzuges  A"  ist. Wie er  als  "Krönung des Plateaus" einen "Ausläufer des Höhenzuges  A"  bedeutet, so setzt er  als  "Ausläufer" jene, über den Höhenzug  A  hinlaufende "Wasserscheide" fort. Wir bemerken, wie sich diese Teilinhalte des Individualbegriffes gegenseitig stützen, einander förmlich die Begründung sind. Wir sehen zugleich, wie uns aus einer solchen  Gesamtcharakteristik des Einzelnen  schon der  Aufbau des höheren Ganzen  klar zu werden beginnt: von Höhenzug und Berg, als einheitliche Kammlinie gedacht, senken sich über das Plateau hinweg die beiden Abdachungen den Grundlinien zu, etwa den Rinnsalen der Flüsse  F  und  G,  mit Rücksicht auf die von einer Wasserscheide gesprochen wurde. Zugleich erhellt sich, wie auch eine  einzelne  Bestimmung im Rahmen einer solchen Charakteristik sofort an ihren richtigen Platz gelangen kann. Angenommen, unser Berg wäre  höher  als der Höhenzug  A,  so kommt auch diese Höhe jetzt daraufhin in Betracht, daß die über den Höhenzug hinlaufende "Wasserscheide" in unserem Berg "kulminiert". Damit erscheint unser Berg selbst als die "Kulmination" jenes ganzen Systems der Abdachungen, und dies in seiner Eigenschaft als ein das Plateua "krönender", isolierter "Ausläufer" des Höhenzuges.

Auf diese Weise könnten wir, ganz ohne Zweifel, in den Individualbegriff des Y-Berges hinein auch die geognostischen, die geogenetischen, die agronomischen und weiß Gott welche Verhältnisse noch verarbeiten. Stets wird da zuerst Struktur und Konstellation verschmolzen, und die neue Charakteristik, die sich hieraus ergibt, mit der bereits gewonnenen zu einem  Gesamtcharakter  ausgeglichen. Im Ganzen macht dies den Vorgang der  Individuation  aus: eine  spezifische Urteilsverknüpfung,  bei der sich das idiographische Denken des nomothetischen so bedient, daß es im Enderfolg sich selber treu bleibt. Das idiographische  Verfahren  aber erschöpft dieser Vorgang noch nicht.
LITERATUR - Friedrich Gottl-Ottlilienfeld, Zur sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 23, Tübingen 1906