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LUDWIG FEUERBACH
Grundsätze der
Philosophie der Zukunft
(1843)
[1/3]

"Wer keinen mit seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält, der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten, den wahren Verstand vor."

"Die Philosophie setzt nichts voraus - dies heißt nichts weiter als: sie abstrahiert von allen unmittelbar, d. h. sinnlich gegebenen, vom Denken unterschiedenen Objekten, kurz von allem, wovon man abstrahieren kann, ohne aufzuhören zu denken, und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich."

"Was ist also das Ich Fichtes, welches sagt: »Ich bin schlechthin, weil ich bin«, was das reine voraussetzungslose Denken Hegels anderes, als ein in das gegenwärtige, aktive, denkende Wesen des Menschen verwandeltes göttliches Wesen der alten Theologie und Metaphysik?"

"Der Theismus stellt sich Gott als ein rein immaterielles Wesen vor. Gott aber als immateriell bestimmen, heißt nichts anderes, als die Materie als ein nichtiges Ding, als ein Unwesen bestimmen; denn nur Gott ist das Maß des Wirklichen, nur Gott Sein, Wahrheit, Wesen; nur was von und in Gott gilt, das ist; was Gott verneint wird, ist nicht."

"Die Materie ist für den Theismus ein rein unerklärliches Dasein, d. h. sie ist die Grenze, das Ende der Theologie, an ihr scheitert sie, wie im Leben, so im Denken. Wie kann ich also aus der Theologie, ohne sie zu negieren, das Ende, die Negation der Theologie ableiten? Wie da, wo ihr der Verstand ausgeht, einen Erklärungsgrund, eine Auskunft suchen? Wie aus der Verneinung der Materie oder Welt, welche das Wesen der Theologie ist, aus dem Satz: die Materie ist nicht, die Bejahung der Materie, den Satz: sie ist, und zwar dem Gott der Theologie zum Trotz, herausbringen?"


V o r w o r t

Diese Grundsätze enthalten die Fortsetzung und weitere Begründung meiner von der schrankenlosen Willkür der deutschen Zensur exilierten "Thesen zur Reform der Philosophie." Dem ersten Manuskript nach waren sie auf ein ausführliches Buch berechnet; aber als ich an die Reinschrift kam, ergriff mich - ich weiß selbst nicht wie - der Geist der deutschen Zensur und ich strich barbarisch. Was diese indiskrete Zenur übrig gelassen hat, reduziert sich auf folgende wenige Bogen.

"Grundsätze der Philosophie der Zukunft" nannte ich sie deswegen, weil die Gegenwart im Allgemeinen, als eine Zeit raffinierter Jllusionen und vettelhafter Vorurteile, unfähig ist, die einfachen Wahrheiten, von welchen diese Grundsätze abstrahiert sind, eben wegen dieser ihrer Einfachheit zu kapieren, geschweige zu würdigen.

Die Philosophie der Zukunft hat die Aufgabe, die Philosophie aus dem Reich der "abgeschiedenen Seelen" in das Reich der bekörperten, der lebendigen Seelen wieder einzuführen; aus der göttlichen, nichtsbedürfenden Gedankenseligkeit in das menschliche Elend herabzuziehen. Zu diesem Zweck bedarf sie nichts weiter als einen menschlichen Verstand und menschliche Sprache. Rein und wahrhaft menschlich zu denken, zu reden und zu handeln, ist aber erst den kommenden Geschlechtern vergönnt. Gegenwärtig handelt es sich noch nicht darum, den Menschen darzustellen, sondern darum, ihn aus dem Morast, in den er versunken war, herauszuziehen. Dieser sauberen und saueren Arbeit Früchte sind auch diese Grundsätze. Ihre Aufgabe war, aus der Philosophie des Absoluten, d. h. der Theologie, die Notwendigkeit der Philosophie des Menschen, d. h. der Anthropologie, abzuleiten und durch die Kritik der göttlichen Philosophie die Kritik der menschlichen zu begründen. Sie setzen daher zu ihrer Würdigung eine genaue Bekanntschaft mit der Philosophie der neueren Zeit voraus.

Die Konsequenzen dieser Grundsätze werden nicht ausbleiben.


1. Die Aufgabe der neueren Zeit war die Verwirklichung und Vermenschlichung Gottes - die Verwandlung und Auflösung der Theologie in der Anthropologie.

2. Die religiöse oder praktische Weise dieser Vermenschlichung war der Protestantismus. Der Gott, welcher Mensch ist, der menschliche Gott also: Christus - dieser nur ist der Gott des Protestantismus. Der Protestantismus kümmert sich nicht mehr, wie der Katholizismus, darum, was Gott ansich ist, sondern nur darum, was er für den Menschen ist; er hat deshalb keine spekulative oder kontemplative Tendenz mehr, wie jener; er ist nicht mehr Theologie - er ist wesentlich nur Christologie, d. h. religiöse Anthropologie.

3. Der Protestantismus negierte jedoch den Gott ansich oder Gott als Gott - denn Gott ansich ist erst der eigentliche Gott - nur praktisch; theoretisch ließ er ihn bestehen. Er ist; aber nur nicht für den Menschen, d. h. den religiösen Menschen - er ist ein jenseitiges Wesen, ein Wesen, das einst erst dort im Himmel ein Gegenstand für den Menschen wird. Aber was jenseits der Religion ist, das liegt diesseits der Philosophie; was kein Gegenstand für jene, das ist gerade der Gegenstand für diese.

4. Die rationale oder theoretische Verarbeitung und Auflösung des für die Religion jenseitigen, ungegenständlichen Gottes ist die spekulative Philosophie.

5 Das Wesen der spekulativen Philosophie ist nichts anderes als das rationalisierte, realisierte, vergegenwärtigte Wesen Gottes. Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie.

6. Gott als Gott - als geistiges oder abstraktes, d. h. nicht menschliches, nicht sinnliches, nur der Vernunft oder Intelligenz zugängliches und gegenständliches Wesen ist nichts anderes als das Wesen der Vernunft selbst, welches aber von der gemeinen Theologie oder vom Theismus mittels der Einbildungskraft als ein von der Vernunft unterschiedenes, selbständiges Wesen vorgestellt wird. Es ist daher eine innere, eine heilige Notwendigkeit daß das von der Vernunft unterschiedene Wesen der Vernunft endlich mit der Vernunft identifiziert, das göttliche Wesen also als das Wesen der Vernunft erkannt, verwirklicht und vergegenwärtigt wird. Auf dieser Notwendigkeit beruth die hohe geschichtliche Bedeutung der spekulativen Philosophie.

Der Beweis, daß das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz ist, liegt darin, daß die Bestimmungen oder Eigenschaften Gottes - soweit natürlich diese vernünftige oder geistige sind - nicht Bestimmungen der Sinnlichkeit oder Einbildungskraft, sondern Eigenschaften der Vernunft sind.

"Gott ist das unendliche Wesen, das Wesen ohne alle Einschränkungen." Aber was keine Grenze oder Schranke Gottes ist, das ist auch keine Schranke der Vernunft. Wo z. B. Gott ein über die Schranken der Sinnlichkeit erhabenes Wesen ist, da ist es auch die Vernunft. Wer keine andere Existenz denken kann, als eine sinnliche, wer also eine durch die Sinnlichkeit beschränkte Vernunft hat, der hat auch eben deswegen einen durch die Sinnlichkeit beschränkten Gott. Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktes Wesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit. Was der Vernunft das göttliche, das ist ihr auch das wahrhaft vernünftige Wesen - d. h. das vollkommen der Vernunft entsprechende und eben deswegen sie befriedigende Wesen. Das aber, worin sich ein Wesen befriedigt, ist nichts anderes als sein gegenständliches Wesen. Wer sich in einem Dichter befriedigt, ist selbst eine dichterische, wer in einem Philosophen, selbst eine philosophische Natur, und daß er es ist, das wird ihm und Anderen erst in dieser Befriedigung Gegenstand. Die Vernunft "bleibt aber nicht bei den sinnlichen, endlichen Dingen stehen; sie befriedigt sich nur in einem unendlichen Wesen" - also ist uns erst in diesem Wesen das Wesen der Vernunft aufgeschlossen.

"Gott ist das notwendige Wesen." Aber diese seine Notwendigkeit beruth darauf, daß er ein vernünftiges, intelligentes Wesen ist. Die Welt, die Materie hat den Grund, warum sie ist und so ist, wie sie ist, nicht in sich; es ist ihr völlig einerlei, ob sie ist oder nicht ist, ob sie so oder anders ist (1). Sie setzt daher notwendig als Ursache ein anderes Wesen voraus, und zwar ein verständiges, selbstbewußtes, nach Gründen und Zwecken wirkendes Wesen. Denn nimmt man von diesem anderen Wesen die Intelligenz weg, so entsteht von Neuem die Frage nach dem Grund desselben. Die Notwendigkeit des ersten, höchsten Wesens beruth darum auf der Voraussetzung, daß der Verstand allein das erste und höchste, das notwendige und wahre Wesen ist. Wie überhaupt die metaphysischen oder ontotheologischen Bestimmungen erst Wahrheit und Realität haben, wenn sie auf psychologische oder vielmehr anthropologische Bestimmungen zurückgeführt werden, so hat also auch die Notwendigkeit des göttlichen Wesens in der alten Metaphysik oder Ontotheologie erst Sinn und Verstand, Wahrheit und Realität in der psychologischen oder anthropologischen Bestimmung Gottes als eines intelligenten Wesens. Das notwendige Wesen ist das notwendig zu denkende, schlechterdings zu bejahende, schlechterdings unleugbare, oder unaufhebbare Wesen; aber nur als ein selbst nach dem Urteil der metaphysischen Theologie auch Eigenschaften der Vernunftwahrheiten oder Vernunftgesetze, folglich Eigenschaften der Vernunft selbst; denn was sind diese unveränderlichen, allgemeinen, unbedingten, immer und überall gültigen Vernunftwahrheiten anderes als Ausdrücke vom Wesen der Vernunft.

"Gott ist das unabhängige, selbständige Wesen, welches keines anderen Wesens zu seiner Existenz bedarf, folglich von und durch sich selbst ist." Aber auch diese abstrate metaphysische Bestimmung hat nur Sinn und Realität als eine Definition vom Wesen des Verstandes, und sagt daher nichts weiter aus, als daß Gott ein denkendes, intelligentes Wesen, oder umgekehrt nur das denkende Wesen das göttliche ist; denn nur ein sinnliches Wesen bedarf zu seiner Existenz anderer Dinge außer ihm. Luft bedarf ich zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe zum Essen; aber nichts, zumindest unmittelbar, zum Denken. Ein atmendes Wesen kann ich nicht denken ohne die Luft, ein sehendes nicht ohne Licht, aber das denkende Wesen kann ich für sich isoliert denken. Das atmende Wesen bezieht sich notwendig auf ein Wesen außer ihm, hat seinen wesentlichen Gegenstand, das wodurch es ist, was es ist, außerhalb seiner selbst; aber das denkende Wesen bezieht sich auf sich selbst, ist sein eigener Gegenstand, hat sein Wesen in sich selbst, ist, was es ist, durch sich selbst.

7. Was im Theismus Objekt ist, das ist in der spekulativen Philosophie Subjekt; was dort das nur gedachte, vorgestellte Wesen der Vernunft ist, ist hier das denkende Wesen der Vernunft selbst.

Der Theist stellt sich Gott als ein außerhalb der der Vernunft, außerhalb des Menschen überhaupt existierendes, persönliches Wesen vor - er denkt als Subjekt über Gott als Objekt. Er denkt Gott als ein Wesen, d. h. seiner Vorstellung nach geistiges, unsinnliches, aber der Existenz, d. h. der Wahrheit nach sinnliches Wesen; denn das wesentliche Merkmal einer objektiven Existenz, einer Existenz aus dem Gedanken oder der Vorstellung ist die Sinnlichkeit. Er unterscheidet Gott von sich in demselben Sinn, in welchem er die sinnlichen Dinge und Wesen als außerhalb von ihm existierende von sich unterscheidet; kurz, er denkt Gott vom Standpunkt der Sinnlichkeit aus. Der spekulative Theologe oder Philosoph dagegen denkt Gott vom Standpunkt des Denkens aus; er hat daher nicht zwischen sich und Gott in der Mitte die störende Vorstellung eines sinnlichen Wesens; er identifiziert somit ohne Hindernis das objektige, gedachte Wesen mit dem subjektiven, denkenden Wesen.

Die innere Notwendigkeit, daß Gott aus einem Objekt des Menschen zum Subjekt, zu denkenden Ich des Menschen wird, ergibt sich aus dem bereits Entwickelten näher so: Gott ist Gegenstand des Menschen, und nur des Menschen, nicht des Tiers. Was aber ein Wesen ist, das wird nur aus seinem Gegenstand erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist nichts anderes als sein offenbares Wesen. So ist der Gegenstand der pflanzenfressenden Tiere die Pflanze; aber durch diesen Gegenstand unterscheiden dieselben sich wesentlich von den anderen, den fleischfressenden Tieren. So ist der Gegenstand des Auges das Licht, nicht der Ton, nicht Geruch. Im Gegenstand des Auges ist uns aber sein Wesen offenbar. Ob einer nicht sieht oder kein Auge hat, ist darum einerlei. Wir benennen daher auch im Leben die Dinge und Wesen nur nach ihren Gegenständen. Das Auge ist das "Lichtorgan". Wer den Boden bebaut, ist ein Bauer; wer die Jagd zum Objekt seiner Tätigkeit hat, ist ein Jäger; wer Fische fängt, ein Fischer usw. Wenn also Gott - und zwar, wie er es ja ist, notwendig und wesentlich - ein Gegenstand des Menschen ist, so ist im Wesen dieses Gegenstandes nur das eigene Wesen des Menschen ausgesprochen. Stell' Dir vor, ein denkendes Wesen auf einem Planeten oder gar Kometen bekäme die paar Paragraphen einer christlichen Dogmatik zu Gesicht, welche vom Wesen Gottes handeln. Was würde dieses Wesen aus diesen Paragraphen folgern? Etwa die Existenz eines Gottes im Sinne einer christlichen Dogmatik? Nein! es würde nur daraus folgern, daß auch auf der Erde denkende Wesen sind, es würde in den Definitionen der Erdbewohner von ihrem Gott nur Definitionen von ihrem eigenen Wesen, z. B. in der Definition: Gott ist ein Geist, nur den Beweis und Ausdruck ihres Geistes finden; kurz: es würe aus dem Wesen und den Eigenschaften des Objekts auf das Wesen und die Eigenschaften des Subjekts schließen. Und mit vollem Recht; denn die Unterscheidung zwischen dem, was der Gegenstand ansich und dem, was er für den Menschen ist, fällt bei diesem Objekt weg. Diese Unterscheidung ist nur an ihrem Platz bei einem unmittelbar sinnlich, und eben deswegen auch noch anderen Wesen außer dem Menschen gegebenen Gegenstand. Das Licht ist nicht für den Menschen da, es affiziert auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein allgemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere, von uns unterschiedene Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand ansich und dem Gegenstand für uns, namentlich zwischen dem Gegenstand in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in unserem Denken und Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen. Die Tiere und Sterne preisen Gott nur im Sinne des Menschen. Es gehört also zum Wesen Gottes selbst, daß er keinem anderen Wesen außer dem Menschen Gegenstand, daß er ein spezifisch menschlicher Gegenstand, ein Geheimnis des Menschen ist. Wenn aber Gott nur ein Gegenstand des Menschen ist, was offenbart sich uns im Wesen Gottes? Nichts anderes als das Wesen des Menschen. Wem das höchste Wesen Gegenstand ist, das ist selbst das höchste Wesen. Je mehr den Tieren vom Menschen Gegenstand wird, desto höher stehen sie, desto mehr nähern sie sich dem Menschen. Ein Tier, dem der Mensch als Mensch, das eigentliche menschliche Wesen Gegenstand wäre, das wäre kein Tier mehr, sondern selber Mensch. Nur ebenbürtige Wesen sind sich Gegenstand, und zwar so, wie sie ansich sind. Die Identität des göttlichen und menschlichen Wesens fällt nun allerdings auch in das Bewußtsein des Theismus. Aber weil er Gott ist, ungeachtet daß er das Wesen Gottes in den Geist setzt, doch zugleich als ein außerhalb des Menschen existierendes, sinnliches Wesen vorstellt, so ist ihm auch diese Identität, nur als sinnliche Identität, als Ähnlichkeit oder Verwandtschaft Gegenstand. Verwandtschaft drückt dasselbe aus wie Identität; aber es ist mit ihr zugleich verbunden die sinnliche Vorstellung, daß die verwandten Wesen zwei selbständige, d. h. sinnliche, unabhängig voneinander existierende Wesen sind.

8. Die gemeine Theologie macht den Standpunkt des Menschen zum Standpunkt Gottes; die spekulative dagegen macht den Standpunkt Gottes zum Standpunkt des Menschen oder vielmehr des Denkers.

Gott ist der gemeinen Theologie Objekt, und zwar gerade so, wie irgendein anderes sinnliches Objekt; aber zugleich ist er ihr wieder Subjekt, und zwar Subjekt, gerade wie das menschliche Subjekt: Gott bringt Dinge außer sich hervor, hat Beziehungen zu sich selbst und zu anderen, außer ihm existierenden Wesen, liebt und denkt sich zugleich und andere Wesen. Kurz: der Mensch macht seine Gedanken und selbst Affekte zu Gedanken und Affekten Gottes; sein Wesen, seinen Standpunkt zum Wesen und Standpunkt Gottes. Die spekulative Theologie aber kehrt dies um. In der gemeinen Theologie ist daher Gott ein Widerspruch mit sich selbst; denn er soll ein nicht-, ein übermenschliches Wesen sein, ist aber doch allen seinen Bestimmungen nach in Wahrheit ein menschliches. In der spekulativen Theologie oder Philosophie ist dagegen Gott ein Widerspruch mit dem Menschen: er soll das Wesen des Menschen - zumindest der Vernunft - sein, und ist doch in Wahrheit in nicht-, ein übermenschliches, d. h. ein abstraktes Wesen. Der übermenschliche Gott ist in der gemeinen Theologie nur eine erbauliche Floskel, eine Vorstellung, ein Spielzeug der Phantasie; in der spekulativen Philosophie dagegen Wahrheit, bitterer Ernst. Der heftige Widerspruch, den die spekulative Philosophie gefunden hat, hat nur darin seinen Grund, daß sie den Gott, welcher im Theismus nur ein Wesen der Phantasie, ein ferngehaltenes, unbestimmtes, nebulöses Wesen ist, zu einem gegenwärtigen, bestimmten Wesen gemacht, und dadurch den illusorischen Zauber zerstört hat, den ein entferntes Wesen im blauen Dunst der Vorstellung hat. So haben die Theisten sich darüber geärgert daß die Logik nach HEGEL eine Darstellung Gottes in seinem ewigen, vorweltlichen Wesen ist und doch, z. B. in der Lehre von der Quantität, von er extensiven und intensiven Größe, den Brüchen, den Potenzen, den Maßverhältnissen usw. handelt. Wie, riefen sie entsetzt aus: dieser Gott soll unser Gott sein? Und doch: was ist er anderes als der aus dem Nebel der unbestimmten Vorstellung an das Licht des bestimmenden Gedankens hervorgezogene, der sozusagen, beim Wort genommene Gott des Theismus, welcher alles nach Maß, Zahl und Gewicht geschaffen und geordnet hat? Wenn Gott alles nach Zahl und Maß geordnet und geschaffen, also Maß und Zahl, ehe sie an den außergöttlichen Dingen zur Wirklichkeit kamen, im Verstand, und folglich im Wesen Gottes - den Zwischen Gott und Verstand und seinem Wesen ist kein Unterschied - enthalten waren, und heute noch sind: gehört dann nicht auch die Mathematik zu den Mysterien der Theologie? Aber freilich sieht ein Wesen ganz anders in der Einbildung und Vorstellung aus, als in der Wahrheit und Wirklichkeit; kein Wunder, daß denen, die sich nur nach dem Aussehen, nach dem Schein richten, ein und dasselbe Wesen als zwei ganz verschiedene Wesen erscheint.

9. Die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate des göttlichen Wesens sind die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate der spekulativen Philosophie.

10. Gott ist reiner Geist, reines Wesen, reine Tätigkeit - actus purus - ohne Leidenschaften, ohne Bestimmungen von Außen, ohne Sinnlichkeit, ohne Materie. Die spekulative Philosophie ist dieser reine Geist, diese reine Tätigkeit, verwirklicht als Denkakt - das absolute Wesen als absolutes Denken.

Wie einst die Abstraktion von allem Sinnlichen und Materiellen die notwendige Bedingung der Theologie war, so war sie auch die notwendige Bedingung der spekulativen Philosophie; nur mit dem Unterschied, daß die Abstraktion der Theologie, weil ihr Gegenstand, obwohl durch Abstraktion gewonnen, doch zugleich wieder als ein sinnliches Wesen vorgestellt wurde, selbst eine gleichsam sinnliche Abstraktion war, während die Abstraktion der spekulativen Philosophie eine geistige, gedachte ist, nur eine szientifische oder theoretische, keine praktische Bedeutung hat. Der Anfang der Philosophie des DESCARTES, die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der Materie, ist der Anfang der neueren spekulativen Philosophie. Aber DESCARTES und LEIBNIZ betrachteten diese Abstraktion nur als eine subjektive Bedingung, das immaterielle göttliche Wesen zu erkennen; sie stellten sich die Immaterialität Gottes als eine von der Abstraktion, vom Denken unabhängige, objektive Eigenschaft vor; sie standen noch auf dem Standpunkt des Theismus, machten das immaterielle Wesen nur zum Objekt, aber nicht zum Subjekt, zum aktiven Prinzip, zum wirklichen Wesen der Philosophie selbst. Allerdings ist auch bei DESCARTES und LEIBNIZ Gott Prinzip der Philosophie; aber nur als ein vom Denken unterschiedenes Objekt - darum Prinzip nur im Allgemeinen, nur in der Vorstellung, nicht in der Tat und Wahrheit. Gott ist nur die erste und allgemeine Ursache der Materie, der Bewegung und Tätigkeit; aber die besonderen Bewegungen und Tätigkeiten, die bestimmten wirklichen materiellen Dinge, werden unabhängig von Gott betrachtet und erkannt. LEIBNIZ und DESCARTES sind nur im Allgemeinen Idealisten, im Besonderen aber Materialisten. Gott nur ist der konsequente, der vollständige, wahre Idealist: denn Er nur stellt sich alle Dinge ohne Dunkelheit vor, d. h. im Sinne der LEIBNIZschen Philosophie ohne Sinne und Einbildungskraft. Er ist reiner, d. h. von aller Sinnlichkeit und Materialität abgesonderter Verstand; für ihn sind daher die materiellen Dinge pure Verstandeswesen, pure Gedanken; für ihn existiert überhaupt gar keine Materie, denn diese beruth nur auf dunklen, d. h. sinnlichen Vorstellungen. Aber gleichwohl hat bei LEIBNIZ auch der Mensch schon eine gute Portion Idealismus in sich - wie wäre es auch möglich, sich ein immaterielles Wesen vorzustellen, ohne ein immaterielles Vermögen und folglich ohne immaterielle Vorstellungen zu haben? - denn er hat außer den Sinnen und der Einbildungskraft Verstand, und der Verstand ist eben ein immaterielles, reines, weil denkendes Wesen; nur ist der Verstand des Menschen nicht ganz so rein, nicht in der Unbeschränktheit und Ausdehnung rein, wie der göttliche Verstand oder das göttliche Wesen. Der Mensch, respektive dieser Mensch, LEIBNIZ, ist also ein partialer, halber Idealist, nur Gott ein ganzer Idealist, nur Gott "der vollkommene Weltweise", wie er ausdrücklich von WOLFF genannt wird; d. h. Gott ist die Idee des vollendeten, des bis ins Spezielle durchgeführten, des absoluten Idealismus der späteren spekulativen Philosophie. Denn was ist der Verstand, was das Wesen Gottes überhaupt? Nichts anderes, als der Verstand, als das Wesen des Menschen, abgesondert von den Bestimmungen, die zu einer bestimmten Zeit Schranken des Menschen sind, seien sie nun wirkliche oder vermeintliche. Wer keinen mit seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält, der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten, den wahren Verstand vor. Was ist aber die Idee einer Sache anderes als ihr Wesen, gereinigt von den Beschränkungen und Verdunkelungen, die sie in der Wirklichkeit, wo sie im Zusammenhang mit anderen Dingen steht, erleidet? So liegt die Schranke des menschlichen Verstandes nach LEIBNIZ darin, daß er mit dem Materialismus, d. h. mit dunklen Vorstellungen behaftet ist; diese dunklen Vorstellungen entspringen selbst wieder nur daraus, daß das menschliche Wesen im Zusammenhang mit anderen Wesen, mit der Welt überhaupt steht. Aber diese Verbindung gehört nicht zum Wesen des Verstandes; sie steht vielmehr im Widerspruch mit demselben, denn er ist ansich, d. h. in der Idee, in immaterielles, d. h. für sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand, ist eben der göttliche Verstand. Was aber bei LEIBNIZ nur Idee war, das wurde in der späteren Philosophie Wahrheit und Wirklichkeit. Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte göttliche Verstand des LEIBNIZschen Theismus, der systematisch durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet, sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem behaftet, nur mit sich selbst, als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.

11. Gott ist ein denkendes Wesen; aber die Gegenstände, die er denkt, in sich begreift, sind, wie sein Verstand, nicht unterschieden von seinem Wesen, so daß er, indem er die Dinge denkt, nur sich selbst denkt, also in ununterbrochener Einheit mit sich selbst bleibt. Diese Einheit des Denkenden und Gedachten ist aber das Geheimnis des spekulativen Denkens.

So sind z. B. in der Logik HEGELs die Gegenstände des Denkens nicht unterschieden vom Wesen des Denkens. Das Denken ist hier in ununterbrochener Einheit mit sich selbst; die Gegenstände desselben sind nur Bestimmungen des Denkens, sie gehen rein im Gedanken auf, haben nichts für sich, was außerhalb des Denkens bleibt. Aber was das Wesen der Logik ist, ist auch das Wesen Gottes. Gott ist ein geistiges abstraktes Wesen; aber er ist zugleich das Wesen der Wesen, das alle Wesen in sich faßt, und zwar in der Einheit mit diesem seinem abstrakten Wesen. Aber was sind die mit einem abstrakten, geistigen Wesen identischen Wesen? Selber abstrakte Wesen - Gedanken. Die Dinge, wie sie in Gott sind, sind niht so, wie sie außerhalb von Gott sind: sie sind vielmehr ebenso unterschieden von den wirklichen Dingen, als die Dinge, wie sie Gegenstand der Logik, von den Dingen, wie sie Gegenstand der wirklichen Anschauung sind. Worauf reduziert sich also der Unterschied zwischen dem göttlichen und dem metaphysischen Denken? nur auf einen Unterschied der Einbildung, auf den Unterschied zwischen dem nur vorgestellten und wirklichen Denken.

12. Der Unterschied zwischen dem Wissen oder dem Denken Gottes, welches als Urbild den Dingen vorausgeht, sie schafft, und dem Wissen des Menschen, welches den Dingen nachfolgt als Abbild derselben, ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem apriorischen oder spekulativen und dem aposteriorischen oder empirischen Wissen.

Der Theismus stellt sich Gott, obwohl als ein denkendes oder geistiges, doch zugleich als ein sinnliches Wesen vor. Er verbindet daher mit dem Denken und Willen Gottes unmittelbar sinnliche, materielle Wirkungen - Wirkungen, die mit dem Wesen des Denkens und Willens in Widerspruch stehen, die nichts weiter als die Macht der Natur ausdrücken. Eine solche materielle Wirkung - folglich ein bloßer Ausdruck sinnlicher Macht - ist vor allem die Schöpfung oder Hervorbringung der wirklichen, materiellen Welt. Die spekulative Theologie dagegen verwandelt diesen dem Wesen des Denkens widersprechenden theoretischen Akt, die materielle Hervorbringung des Gegenstandes in die spekulative Erzeugung aus dem Begriff. Im Theismus ist die Welt ein zeitliches Produkt Gottes - die Welt existiert seit einigen Jahrtausenden, und ehe sie wurde, war Gott; in der spekulativen Theologie dagegen ist die Welt oder Natur nach Gott nur dem Rang, der Bedeutung nach: das Akzidenz setzt die Substanz, die Natur die Logik voraus; dem Begriff, aber nicht dem sinnlichen Dasein, folglich nicht der Zeit nach.

Der Theismus verlegt jedoch in Gott nicht nur das spekulative, sondern auch das sinnliche, empirische Wissen und zwar in seiner höchsten Vollendung. Wie aber das vorweltliche, vorgegenständliche Wissen Gottes im apriorischen Wissen der spekulativen Philosophie, so hat auch das sinnliche Wissen Gottes erst in den empirischen Wissenschaften der neueren Zeit seine Realisation, seine Wahrheit und Wirklichkeit gefunden. Das vollkommenste und also göttliche sinnliche Wissen ist nämlich nichts anderes als das allersinnlichste Wissen, das Wissen der allergrößten Kleinigkeiten und unmerklichsten Einzelheiten - "Got ist deswegen der Allwissende", sagt der heilige THOMAS von AQUIN, "weil er die allereinzelsten Dinge weiß" - das Wissen, welches die Haare am Haupt des Menschen nicht indiskret in einen Schopf zusammenfaßt, sondern sie zählt, sie alle Haar für Haar kennt. Aber dieses göttliche Wissen, welches in der Theologie nur eine Vorstellung, eine Phantasie ist, wurde vernünftiges wirkliches Wissen, im teleskopischen und mikroskopischen Wissen der Naturwissenschaft. Sie hat die Sterne am Himmel gezählt, die Eier in den Leibern der Fische und Schmetterlinge, die Tüpfelchen auf den Flügeln er Insekten, um sie voneinander zu unterscheiden; sie hat allein in der Raupe des Weidenspinners am Kopf 288, am Körper 1647, am Magen und den Gedärmen 2186 Muskeln anatomisch nachgewiesen. Was will man mehr verlangen? Hier haben wir daher ein sinnfälliges Beispiel von der Wahrheit, daß die Vorstellung des Menschen von Gott die Vorstellung des menschlichen Individuums von seiner Gattung, daß Gott als der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten nichts anderes ist, als der zum Nutzen des beschränkten Individuums kompendiarisch [konzentriert - wp] zusammengefaßt Inbegriff der unter die Menschen verteilten, im Laufe der Weltgeschichte sich realisierenden Eigenschaften der Gattung. Das Gebiet der Naturwissenschaften ist seinem quantitativen Umfang nach für den einzelnen Menschen ein völlig unübersehbares, unermeßliches. Wer kann zugleich die Sterne am Himmel und die Muskeln und Nerven am Leib der Raupe zählen? LYONET verlor sein Gesicht über der Anatomie der Weidenraupe. Wer kann zugleich die Unterschiede der Höhen und Vertiefungen im Mond und zugleich die Unterschiede der zahllosen Ammoniten und Terebrateln beobachten? Aber was nicht der einzelne Mensch weiß und kann, das wissen und können die Menschen zusammen. So hat das göttliche Wissen, das alles Einzelne zugleich weiß, seine Realität im Wissen der Gattung.

Wie mit der göttlichen Allwissenheit, ist es aber auch mit der göttlichen Allgegenwart, die sich gleichfalls im Menschen realisiert hat. Während der eine Mensch bemerkt, was auf dem Mond oder dem Uranus vorgeht, beobachtet ein anderer die Venus oder die Eingeweide der Raupe oder sonst einen Ort, wohin weiland unter der Herrschaft des allwissenden und allgegenwärtigen Gottes kein menschliches Auge gedrungen ist. Ja, während der Mensch diesen Stern vom Standpunkt Europas aus beobachtet, beobachtet er zugleich denselben Stern vom Standpunkt Amerikas aus. Was einem Menschen allein absolut unmöglich ist, ist zweien möglich. Aber Gott ist ja an allen, allen Orten zugleich, und weiß alles, alles ohne Unterschied zugleich. Freilich; aber nur ist zu bemerken, daß diese Allwissenheit und Allgegenwart bloß in der Vorstellung, der Einbildung existieren, und also nicht zu übersehen der schon mehrmals erwähnte wichtige Unterschied zwischen dem nur eingebildeten und dem wirklichen Ding. In der Einbildung kann man allerdings die 4059 Muskeln einer Raume mit einem Blick überschauen, in der Wirklichkeit aber, wo sie außer einander existieren, nur nacheinander. So kann auch das beschränkte Individuum in seiner Einbildung sich den Umfang des menschlichen Wissens als beschränkt vorstellen, während es doch, wenn es sich wirklich dieses Wissen aneignen wollte, nun und nimmermehr an ein Ende desselben kommen würde. Man stelle sich als Beispiel nur eine Wissenschaft, die Historie z. B., vor, und löse in Gedanken die Weltgeschichte auf in die Geschichte der einzelnen Länder, diese in die Geschichte der einzelnen Provinzen, diese wieder in die Stadtchroniken, die Stadtchroniken in Familiengeschichten, in Biographien. Wie käme jemals ein einzelner Mensch an den Punkt, wo er ausrufen könnte: Hier bin ich am Ende des historischen Wissens der Menschheit! So erscheint uns auch in der Einbildung unsere Lebenszeit, die vergangene wie auch die mögliche zukünftige, sollten wir auch diese noch so sehr verlängern, außerordentlich kurz, und wir fühlen uns daher in den Momenten einer solchen Einbildung gedrungen, diese vor unserer Vorstellung verschwindende Kürze durch ein unübersehbares, endloses Leben nach dem Tod zu ergänzen. Aber wie lange dauert in Wirklichkeit auch nur ein Tag, auch nur eine Stunde? Woher dieser Unterschied? Daher: die Zeit in der Vorstellung ist die leere Zeit, also Nichts zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unserer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.

13. Die absolute Voraussetzungslosigkeit - der Anfang der spekulativen Philosophie - ist nichts anderes als die Voraussetzungs- und Anfangslosigkeit, die Aseität [absolute Unabhängigkeit - wp] des göttlichen Wesens. Die Theologie unterscheidet zwischen tätigen und ruhenden Eigenschaften Gottes. Die Philosophie aber verwandelt auch die ruhenden Eigenschaften in tätige - das ganze Wesen Gottes in Tätigkeit, aber menschliche Tätigkeit. Dies gilt auch vom Prädikat dieses Paragraphen. Die Philosophie setzt nichts voraus - dies heißt nichts weiter als: sie abstrahiert von allen unmittelbar, d. h. sinnlich gegebenen, vom Denken unterschiedenen Objekten, kurz von allem, wovon man abstrahieren kann, ohne aufzuhören zu denken, und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich. Was ist aber das absolute Wesen anderes als das Wesen, dem nichts vorausgesetzt, dem kein Ding außer ihm gegeben und notwendig ist, das von allen Objekten, allen von ihm unterschiedenen und unscheidbaren sinnlichen Dingen abgezogene Wesen, welches daher dem Menschen auch nur durch die Abstraktion von eben diesen Dingen Gegenstand wird? Wovon Gott frei ist, davon muß du dich selbst frei machen, wenn du zu Gott kommen willst, und machst dich also wirklich frei, wenn du ihn dir vorstellst. Denkst du dir folglich Gott als ein Wesen ohne Voraussetzung irgendeines Wesens oder Objekts, so denkst du selbst ohne Voraussetzung eines äußerlichen Objekts; die Eigenschaft, die du in Gott verlegst, ist eine Eigenschaft deines Denkens. Nur ist im Menschen Tun, was in Gott Sein ist oder als solches vorgestellt wird. Was ist also das Ich FICHTEs, welches sagt: "Ich bin schlechthin, weil ich bin", was das reine voraussetzungslose Denken HEGELs anderes, als das in das gegenwärtige, aktive, denkende Wesen des Menschen verwandelte göttliche Wesen der alten Theologie und Metaphysik?

14. Die spekulative Philosophie ist, als die Verwirklichung Gottes, zugleich die Position, zugleich die Aufhebung oder Negation Gottes; zugleich Theismus, zugleich Atheismus: denn Gott ist nur solange Gott - Gott im Sinne der Theologie - solange er als ein vom Wesen des Menschen und der Natur unterschiedenes, selbständiges Wesen vorgestellt wird. Der Theismus, welcher als die Position Gottes zugleich die Negation Gottes ist oder umgekehrt als die Verneinung Gottes zugleich noch die Bejahung desselben, ist der Pantheismus. Der eigentliche oder theologische Theismus aber ist nichts anderes als der imaginäre Pantheismus, der nichts anderes als der reelle wahre Theismus.

Was den Theismus vom Pantheismus scheidet, ist einzig die Einbildung, die Vorstellung Gottes als eines persönlichen Wesens. Alle Bestimmungen Gottes - und Gott wird notwendig bestimmt, sonst ist er nichts, gar nicht Objekt einer Vorstellung - sind Bestimmungen der Wirklichkeit, entweder der Natur oder des Menschen oder beiden gemeine, also pantheistische Bestimmungen; denn was Gott nicht unterscheidet vom Wesen der Natur oder des Menschen, ist Pantheismus. Gott ist also nur seiner Persönlichkeit oder Existenz nach, aber nicht seinen Bestimmungen oder seinem Wesen nach von der Welt, dem Inbegriff der Natur und der Menschheit, unterschieden: d. h. er wird nur vorgestellt als ein anderes Wesen, er ist aber in Wahrheit kein anderes Wesen. Der Theismus ist der Widerspruch zwischen Schein und Wesen, Vorstellung und Wahrheit, der Pantheismus die Einheit beider - der Pantheismus die nackte Wahrheit des Theismus. Alle Vorstellungen des Theismus, wenn sie ins Auge gefaßt, ernst genommen, wenn sie durchgeführt, realisiert werden, führen notwendig zum Pantheismus. Der Pantheismus ist der konsequente Theismus. Der Theismus denkt sich Gott als die Ursache, und zwar als eine lebendige, persönliche Ursache, als den Schöpfer der Welt: Gott hat die Welt durch seinen Willen hervorgebracht. Aber der Wille reicht nicht aus. Wo einmal Wille ist, da muß auch Verstand sein: was man will, das ist nur Sache des Verstandes. Ohne Verstand kein Gegenstand. Die Dinge, die Gott hervorbrachte, waren daher vor ihrer Hervorbringung in Gott, als Objekte seines Verstandes, als Verstandeswesen. Der Verstand Gottes ist, heißt es in der Theologie, der Inbegriff aller Dinge und Wesenheiten. Woher wären sie auch sonst entsprungen als aus dem Nichts? Und es ist gleichgültig, ob du dir dieses Nichts in deiner Einbildung selbständig vorstellst oder es in Gott verlegstk. Aber Gott enthält oder ist Alles nur auf ideale Weise, in der Weise der Vorstellung. Dieser ideale Pantheismus führt nun aber notwendig zu einem realen oder wirklichen; denn vom Verstand Gottes ist nicht weit bis zum Wesen, und vom Wesen nicht weit bis zur Wirklichkeit Gottes. Wie sollte sich der Verstand vom Wesen, das Wesen von der Wirklichkeit oder Existenz Gottes trennen lassen? Sind die Dinge im Verstand Gottes, wie sollen sie außerhalb seines Wesens sein? Sind sie Folgen seines Verstandes, warum nicht Folgen seines Wesens? Und wenn in Gott sein Wesen unmittelbar mit seiner Wirklichkeit identisch ist, vom Begriff Gottes die Existenz desselben sich nicht absondern läßt, wie sollte sich im Begriff Gottes von den Dingen der Begriff des Dings und das wirkliche Ding trennen lasen; wie also in Gott der Unterschied stattfinden, welcher nur die Natur des endlichen, ungöttlichen Verstandes konstituiert, der Unterschied zwischen dem Ding in der Vorstellung und dem Ding außerhalb der Vorstellung? Haben wir aber einmal keine Dinge mehr außerhalb des Verstandes Gottes, so haben wir bald auch keine mehr außerhalb seines Wesens, und endlich auch keine mehr ohne die Existenz Gottes - alle Dinge sind in Gott, und zwar in der Tat und Wahrheit, nicht in der Vorstellung nur; denn wo sie nur in der Vorstellung - sowohl Gottes als des Menschen - also nur ideal oder vielmehr imaginär in Gott sind, da existieren sie zugleich außerhalb der Vorstellung: außerhalb Gottes. Haben wir aber einmal keine Dinge, keine Welt mehr außer Gott, so haben wir auch keinen Gott mehr außerhalb der Welt - kein nur ideales, vorgestelltes, sondern ein reales Wesen; so haben wir mit einem Wort den Spinozismus oder Pantheismus.

Der Theismus stellt sich Gott als ein rein immaterielles Wesen vor. Gott aber als immateriell bestimmen, heißt nichts anderes, als die Materie als ein nichtiges Ding, als ein Unwesen bestimmen; denn nur Gott ist das Maß des Wirklichen, nur Gott Sein, Wahrheit, Wesen; nur was von und in Gott gilt, das ist; was Gott verneint wird, ist nicht. Die Materie aus Gott ableiten heißt daher nichts anderes als durch ihr Nichtsein ihr Sein begründen wollen; denn Ableitung ist Angabe eines Grundes, Begründung. Gott hat die Materie gemacht. aber wie, warum, woraus? Darauf gibt der Theismus keine Antwort. Die Materie ist für ihn ein rein unerklärliches Dasein, d. h. sie ist die Grenze, das Ende der Theologie, an ihr scheitert sie, wie im Leben, so im Denken. Wie kann ich also aus der Theologie, ohne sie zu negieren, das Ende, die Negation der Theologie ableiten? Wie da, wo ihr der Verstand ausgeht, einen Erklärungsgrund, eine Auskunft suchen? Wie aus der Verneinung der Materie oder Welt, welche das Wesen der Theologie ist, aus dem Satz: die Materie ist nicht, die Bejahung der Materie, den Satz: sie ist, und zwar dem Gott der Theologie zum Trotz, herausbringen? Wie anders als durch bloße Fiktionen? Die materiellen Dinge können aus Gott nur abgeleitet werden, wenn Gott selbst als ein materialistisches Wesen bestimmt wird. So nur wird Gott aus einer nur vorgestellten, eingebildeten Ursache zur wirklichen Ursache der Welt. Wer sich nicht schämt, Schuhe zu machen, der schäme sich auch nicht, ein Schuster zu sein und zu heißen. HANS SACHS war wohl Schuster und Dichter zugleich. Aber die Schuhe waren das Werk seiner Hände, seine Gedichte das Werk seines Kopfes. Wie die Wirkung, so die Ursache. Aber die Materie ist nicht Gott, sie ist vielmehr das Endliche, das Ungöttliche, das Gott Verneinende - die unbedingten Verehrer und Anhänger der Materie sind Atheisten. Der Pantheismus verbindet daher mit dem Theismus den Atheismus - mit Gott die Negation Gottes: Gott ist ein materielles, in SPINOZAs Sprache ein ausgedehntes Wesen.

15. Der Pantheismus ist der theologische Atheismus, der theologische Materialismus, die Negation der Theologie, selbst vom Standpunkt der Theologie her betrachtet; denn er macht die Materie, die Negation Gottes zu einem Prädikat oder Attribut des göttlichen Wesens. Wer aber die Materie zu einem Attribut Gottes macht, der erklärt die Materie für ein göttliches Wesen. Die Verwirklichung Gottes hat überhaupt zur Voraussetzung die Göttlichkeit, d. h. Wahrheit und Wesenhaftigkeit des Wirklichen. Die Vergötterung des Wirklichen, des materiell Existierenden - der Materialismus, Empirismus, Realismus, - die Negation der Theologie ist aber das Wesen der neueren Zeit. Der Pantheismus ist daher nichts anderes als das zum göttlichen Wesen, zu einem religionsphilosophischen Prinzip erhobene Wesen der neueren Zeit.

Der Empirismus oder Realismus, worunter hier überhaupt die sogenannten realen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften verstanden werden, negiert die Theologie, aber nicht theoretisch, sondern praktisch - durch die Tat, indem der Realist das, was die Negation Gottes oder zumindest nicht Gott ist, zur wesentlichen Angelegenheit seines Lebens, zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Wer aber Geist und Herz nur auf das Materielle, das Sinnliche konzentriert, der spricht dem Übersinnlichen tatsächlich seine Realität ab; denn nur das ist, für den Menschen zumindest, wirklich, was ein Objekt reeller wirklicher Tätigkeit ist. "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß." Die Rede, man könne vom Übersinnlichen nichts wissen, ist nur eine Ausrede. Man weiß nur dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nicht mehr wissen mag. Wie vieles wußte man von Gott, wie vieles von den Teufeln, wie vieles von den Engeln, so lange noch diese übersinnlichen Wesen Gegenstand eines wirklichen Glaubens waren! Wofür man sich interessiert, dazu hat man auch die Fähigkeit. Die Mystiker und Scholastiker der Mittelalters hatten nur darum keine Fähigkeit und Geschicklichkeit zur Naturwissenschaft, weil sie kein Interesse für die Natur hatten. Wo der Sinn fehlt, da fehlen auch nicht die Sinne, die Organe. Wofür das Herz offen ist, das ist auch Verstand kein Geheimnis mehr. So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für die übersinnliche Welt und ihre Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an sie auch den Sinn für sie verloren hat; weil ihre wesentliche Tendenz eine anti-christliche, antitheologische, d. h. eine anthropologische, kosmische, realistische, materialistische Tendenz war (2). SPINOZA traf daher mit seinem paradoxen Satz: Gott ist ein ausgedehntes, d. h. materielles Wesen, den Nagel auf den Kopf. Er fand den, für seine Zeit zumindest, wahren philosophischen Ausdruck für die materialistische Tendenz der neueren Zeit; er legitimierte, sanktionierte sie: Gott selbst ist Materialist. SPINOZAs Philosophie war Religion; er selbst ein Charakter. Nicht stand bei ihm, wie bei unzähligen anderen, der Materialismus im Widerspruch mit der Vorstellung eines immateriellen, anti-materialistischen Gottes, der konsequent auch nur anti-materialistische himmlische Tendenzen und Beschäftigungen dem Menschen zur Pflicht macht; denn Gott ist nichts anderes als das Ur- und Vorbild des Menschen: wie und was Gott ist, so und das soll, so und das will der Mensch sein oder hofft zumindest einst zu werden. Aber nur, wo die Theorie nicht die Praxis, die Praxis nicht die Theorie verleugnet, ist Charakter, Wahrheit und Religion. SPINOZA ist der MOSES der modernen Freigeister und Materialisten.

16. Der Pantheismus ist die Negation der theoretischen, der Empirismus die Negation der praktischen Theologie - der Pantheismus negiert das Prinzip, der Empirismus die Konsequenzen der Theologie.

Der Pantheismus macht Gott zu einem gegenwärtigen, wirklichen, materiellen Wesen; der Empirismus, wozu auch der Rationalismus gehört, zu einem abwesenden, fernen, unwirklichen, negativen Wesen. Der Empirismus spricht Gott nicht die Existenz ab, aber alle positiven Bestimmungen, weil ihr Inhalt nur ein endlicher, empirischer, das Unendliche daher kein Gegenstand für den Menschen sei. Je mehr Bestimmungen ich aber einem Wesen abspreche, desto mehr setze ich es außer Zusammenhang mit mir, desto weniger räume ich ihm Macht und Einfluß auf mich ein, desto freier mache ich mich von ihm. Je mehr Qualitäten ich habe, desto mehr bin ich auch für andere, desto größer ist auch der Umfang meiner Wirkungen, meines Einflusses. Und je mehr einer ist, desto mehr weiß man auch von ihm. Jede Negation einer Eigenschaft Gottes ist daher ein partialer Atheismus, eine Sphäre der Gottlosigkeit. So weit ich die Eigenschaft wegnehme, so weit nehme ich Gott das Sein weg. Ist z. B. Teilnahme, Barmherzigkeit keine Eigenschaft Gottes, so bin ich in meinem Leiden allein für mich - Gott ist nicht da als mein Tröster. Ist Gott die Negation alles Endlichen, so ist konsequent auch das Endliche die Negation Gottes. Nur wenn Gott an mich denkt - so schließt der Religiöse - habe auch ich Grund und Ursache, an ihn zu denken; nur in seinem Für-Mich-Sein liegt der Grund meines Für-Ihn-Seins. Dem Empirismus ist daher in Wahrheit das theologische Wesen nichts mehr, d. h. nichts Wirkliches; aber er verlegt dieses Nichtsein nicht in den Gegenstand, sondern nur in sich, in sein Wissen. Er spricht Gott nicht das Sein ab, d. h. das tote, gleichgültige Sein; aber er spricht ihm das Sein ab, das sich als Sein beweist, das wirksame, fühlbare, ins Leben eingreifende Sein. Er bejaht Gott, aber negiert alle Konsequenzen, die mit dieser Bejahung notwendig verbunden sind. Er verwirft die Theologie, gibt sie auf; aber nicht aus theoretischen Gründen, sondern aus Widerwillen, aus Abneigung gegen die Gegenstände der Theologie, d. h. aus einem dunklen Gefühl von ihrer Unrealität. Die Theologie ist nichts, denkt der Empiriker bei sich; aber er setzt noch hinzu: für mich, d. h. sein Urteil ist ein subjektives, pathologisches; denn er hat nicht die Freiheit, aber auch nicht die Lust und den Beruf, die Gegenstände der Theologie vor das Forum der Vernunft zu ziehen. Dies ist der Beruf der Philosophie. Die Aufgabe der neueren Philosophie war daher keine andere, als das pathologische Urteil des Empirismus, daß es mit der Theologie nichts ist, zu einem theoretischen, objektiven Urteil zu erheben, - die indirekte, unbewußte, negative Negation der Theologie in eine direkte, positive, bewußte Negation zu verwandeln. Wie lächerlich ist es darum, den "Atheismus" der Philosophie unterdrücken zu wollen, ohne zugleich den Atheismus der Empirie zu unterdrücken! Wie lächerlich, die theoretische Negation des Christentums zu verfolgen und doch zugleich die tatsächlichen Negationen des Christentum, von denen die neuere Zeit wimmelt, bestehen zu lassen! Wie lächerlich, zu meinen, daß mit dem Bewußtsein, d. h. dem Symptom des Übels auch zugleich die Ursache des Übels aufgehoben ist! Ja, wie lächerlich! Und doch wie reich an solchen Lächerlichkeiten ist die Geschichte! Sie wiederholen sich in allen kritischen Zeiten. Kein Wunder; in der Vergangenheit läßt man sich alles gefallen, anerkennt man die Notwendigkeit der vorgefallenen Veränderungen und Revolutionen; aber gegen die Anwendung auf den gegenwärtig Fall sträubt man sich immer mit Händen und Füßen; die Gegenwart mach man aus Kurzsichtigkeit und Bequemlichkeit zur Ausnahme von der Regel.
LITERATUR Ludwig Feuerbach, Philosophie der Zukunft, Stuttgart 1922
    Anmerkungen
    1) Es versteht sich von selbst, daß ich hier, wie in allen Paragraphen, welche historische Gegenstände betreffen und entwickeln, nicht in meinem Sinne, sondern im Sinne des jedesmaligen Gegenstandes, hier also im Sinne des Theismus rede und argumentiere.
    2) Die Unterschiede zwischen Materialismus, Empirismus, Humanismus sind natürlich hier in dieser Schrift gleichgültig.