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ECKART von HOCHHEIM
Von unsagbaren Dingen

"Gott, der ohne Namen ist - er hat keinen Namen -, ist unaussprechlich, und die Seele ist in ihrem Grunde ebenfalls unaussprechlich, so wie er unaussprechlich ist."

Ihr sollet wissen, wer sich damit läßt begnügen, was man zu Worte bringen kann - Gott ist ein Wort, Himmelreich ist auch ein Wort -, wer nicht weiter kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkenntnis und mit Liebe, als je zu Worte ward, der soll gerechterweise ein ungläubiger Mensch heißen.

Was man zu Worte bringt, das begreifen die niederen Kräfte der Seele. Damit begnügen sich die oberen Kräfte nicht: sie dringen immer weiter, bis sie vor den Ursprung kommen, daraus die Seele geflossen ist. Ihr sollt wissen, dass die Kräfte der Seele nicht in den Ursprung kommen können. Wenn die Seele in ihrer eigenen Majestät über allen geschaffenen Dingen vor dem Ursprung steht, dringt die Gewalt der Seele in den Ursprung und alle Kräfte der Seele bleiben draussen.

Das sollt Ihr so verstehen. Es ist die Seele aller namenhabenden Dinge nackt und bloss. So steht sie die Eine in dem Einen, also dass sie ein Vorwärtsgehen hat in der nackten Gottheit, wie das Öl auf dem Tuch, das fliesst weiter und fliesst immer vor und vor, so lange, dass das Tuch davon ganz übergeht.

Unser Herr sprach: "Frau, die Zeit wird kommen und ist schon jetzt, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten, und solche suchet der Vater."

Nun achtet auf das erste Wörtlein, wo er spricht: "Die Zeit wird kommen und ist schon jetzt." Wer da den Vater anbeten will, der muß sich in die Ewigkeit versetzen und mit seinem Begehren und mit seiner Zuversicht. Es gibt einen obersten Teil der Seele, der steht über der Zeit und weiß nichts von der Zeit noch vom Leibe. Alles was je geschah vor tausend Jahren, der Tag, der vor tausend Jahren war, der ist in der Ewigkeit nicht ferner, als diese Stunde, wo ich jetzt stehe, und der Tag, der nach tausend Jahren kommen wird oder soweit du zählen kannst, der ist in Ewigkeit nicht ferner als diese Stunde, worin ich jetzt stehe.

Nun spricht er: "Die beten an den Vater." Ach, wie viele gibt es, die beten die Kreatur an und kümmern sich darum, und das sind gar törichte Leute. Sobald du Gott anbetest und der Kreatur willen, so bittest dur um deinen eigenen Schaden, denn sobald die Kreatur Kreatur ist, trägt sie Bitterkeit und Schaden und Übel und Ungemach in sich. Und darum geschieht den Leuten ganz recht, die Ungemach und Bitterkeit davon haben. Warum? Sie haben darum gebeten.

Alle Dinge, die in der Zeit sind, haben ein Warum. Wie der, der einen Menschen fragte: "Warum issest du?" "Damit ich Kraft habe." "Warum schläfst du?" "Aus demselben Grunde." Und so sind alle Dinge, die in der Zeit sind. Aber wer einen guten Menschen fragte: "Warum liebst du Gott?" "Ich weiß nicht, um Gottes willen." "Warum liebst du die Wahrheit?" "Um der Wahrheit willen." "Warum liebst du die Gerechtigkeit?" "Um der Gerechtigkeit willen." "Warum liebst du die Güte?" "Um der Güte willen." "Warum lebst du?" "Wahrlich, ich weiß nicht! Ich lebe gerne."

Die Meister sagen, die Seele habe zwei Gesichter, und das obere Gesicht schauet allezeit Gott, und das niedere Gesicht blickt etwas herab und das unterweist die Sinne. Und das obere Gesicht ist das Oberste der Seele, das steht in der Ewigkeit und hat nichts mit der Zeit zu schaffen und weiß nichts von der Zeit und vom Leibe. Und ich habe manchmal gesagt, das darin etwas verborgen liege wie ein Ursprung alles Guten und wie ein leuchtendes Gesicht, das allezeit leuchtet, und wie ein brennender Brand, der allezeit brennt (und der Brand ist nichts anderes als der heilige Geist).

Die Meister sagen, aus dem obersten Teil der Seele fließen zwei Kräfte. Die eine heißt Wille, die andere Vernunft, und die Vollkommenheit der Kräfte liegt in der obersten Kraft, die da Vernunft heißt. Die kann nimmer ruhen. Sie will nicht Gott wie er der heilige Geist ist und wie er der Sohn ist, und fliehet den Sohn. Sie will auch nicht Gott wie er Gott ist. Warum? Da hat er Namen, und wären tausend Götter, sie bricht sich immer mehr Bahn, sie will ihn da, wo er keine Namen hat: sie will etwas Edleres, etwas Besseres als Gott, aus dem Güte entspringt; sie will ihn, wie er ein Kern ist, aus dem Güte fließt; sie will ihn, wie er eine Wurzel ist, eine Ader, in der Güte entspringt, und da ist er allein Vater.

Nun spricht unser Herr: "Es erkennet niemand den Vater als der Sohn, und den Sohn niemand als der Vater." In Wahrheit, wenn wir den Vater erkennen wollen, so müssen wir Sohn sein. Ich habe einmal drei Wörtlein gesprochen, die mögt ihr als drei böse Gewürze aufnehmen, auf die ihr trinken müßt. Zum ersten, wollen wir Sohn sein, so müssen wir einen Vater haben. Denn des Sohnes Leben hängt an dem Vater, und des Vaters Leben hängt an dem Sohn, und darum kann niemand sagen: ich bin Sohn, wenn er keinen Vater hat, und der Mensch ist in Wahrheit Sohn, der da alle seine Werke aus Liebe wirkt.

Das zweite, was den Menschen allermeist zum Sohn macht, das ist Gleichmut. Ist er krank, so sei er ebenso gern krank wie gesund, gesund wie krank. Stirbt ihm ein Freund, in Gottes Namen; wird ihm ein Auge ausgeschlagen, in Gottes Namen. Das dritte, was ein Sohn haben soll, das ist, daß er sein Antlitz nach nichts mehr wendet als nur nach dem Vater. O, wie edel ist die Kraft, die da über der Zeit steht, hat sie alle Zeit in sich geschlossen und ist alle Zeit, und wie wenig einer auch von dem hätte, was über der Zeit steht, der wäre gar bald reich geworden, denn was jenseits des Meeres ist, ist der Kraft nicht ferner als was jetzt gegenwärtig ist. Und von denen spricht er: "Solche suchet der Vater."

Seht, so liebkost uns Gott, so flehet uns Gott an und Gott kann nicht warten, bis sich die Seele geschmückt und von der Kreatur zornig entfernt hat, und es ist eine sichere und eine notwendige Wahrheit, daß es Gott so not tut, uns zu suchen, als ob all seine Gottheit daran hange, wie es auch der Fall ist. Und Gott kann unser so wenig entbehren, wie wir seiner, und könnte es auch sein, daß wir uns von Gott abwenden könnten, so könnte sich doch Gott nimmer von uns abwenden. Ich sage, ich will Gott nicht bitten, daß er mir gebe, ich will ihn auch nicht loben für das, was er mir gegeben hat, sondern ich will ihn bitten, daß er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn loben, daß er die Natur und das Wesen hat, daß er geben muß. Wer das Gott nehmen wollte, der nähme ihm sein eigenes Wesen und sein eigenes Leben. Daß wir so in Wahrheit Sohn werden, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.

Von unsagbaren Dingen
"Fürchtet nicht, die euch körperlich töten wollen, denn die Seele können sie nicht töten", denn Geist tötet nicht Geist. Geist gibt dem Geist Leben. Die euch töten wollen, das ist Blut und Fleisch, und das stirbt miteinander. Das Edelste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es guten Willens ist. Aber das Ärgste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es bösen Willens ist. Siegt das Blut über das Fleisch, so ist der Mensch demütig, geduldig und keusch und hat alle Tugend in sich. Siegt aber das Fleisch über das Blut, so wird der Mensch hochfahrend, zornig und unkeusch und hat alle Untugenden in sich.

Nun paßt auf, ich will jetzt sagen, was ich nie gesagt habe. Als Gott den Himmel, die Erde und alle Kreaturen schuf, da wirkte Gott nicht; er hatte nichts zu wirken; in ihm war auch kein Werk. Da sprach Gott: "Wir machen einen Gleichen." Schöpfen ist ein leichtes Ding, das tut man, wenn und wie man will. Aber was ich mache, das mache ich selbst aus mir selbst und in mir selbst und drücke mein Bild ganz und gar darein.

Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein Werk des Gleichen, sein wirkendes und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so groß, daß es nichts anderes war als die Seele: die war das Werk Gottes. Gottes Natur, sein Wesen und seine Gottheit hängt daran, daß er in der Seele wirken muß. Gottes Segen, Gottes Segen! Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein Werk. Das Werk ist die Liebe und die Liebe ist Gott. Gott liebt sich selbst und seine Natur, sein Wesen und seine Gottheit. In der Liebe, worin Gott mich liebt, liebt er alle Kreaturen. Nicht als Kreaturen liebt er sie, sondern die Kreaturen als Gott. Mit der Liebe, worin Gott sich liebt, liebt er alle Dinge.

Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe. Gott empfindet und schmeckt sich selbst. Mit dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Dinge. Nun paßt auf. Alle Kreaturen nehmen ihren Lauf zu ihrer höchsten Vollkommenheit. Nun bitte ich euch, vernehmet bei der ewigen Wahrheit und bei meiner Seele. Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe: Gott und Gottheit unterscheiden sich so sehr wie Himmel und Erde. Ich sage mehr: Der innere und der äußere Mensche unterscheiden sich gleichfalls so sehr wie Himmel und Erde. Der Himmel steht viel tausend Meilen darüber. Gott wird und wird zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede: Gott schmeckt sich selbst in allen Dingen. Die Sonne wirft ihren lichten Schein aus auf alle Kreaturen, und worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in sich und verliert doch nicht ihre Leuchtkraft. Alle Kreaturen geben ihr Leben um ihres Seins willen auf. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft hinein, damit sie in mir vernünftig seien. Ich alein bringe alle Kreaturen zu Gott zurück.

Achtet, was ihr alle tut.

Nun komme ich wieder auf meinen innern und äußeren Menschen. Ich betrachte die Lilien auf dem Felde und ihren lichten Schein und ihre Farbe und alle ihre Blätter. Aber ihren Duft sehe ich nicht. Warum? Weil der Duft in mir ist. Aber auch was ich spreche, ist in mir, und ich sprechen es aus mir heraus. Alle Kreaturen schmecken meinem äußeren Menschen als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem innern Menschen schmeckt nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes. Und mein innerster Mensch schmeckt sie nicht als Gabe Gottes, sondern als von je mein.

Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter das Rad der Sonne, so wirft die Sonne ihren lichten Schein aus dem Rad und aus dem Boden des Beckens und vergeht doch nicht. Das Widerspiegeln des Spiegels in der Sonne ist in der Sonne, ist Sonne, und er ist doch was er ist. So ist es mit Gott. Gott ist mit seiner Natur, seinem Wesen und seiner Gottheit in der Seele, und er ist doch nicht die Seele. Das Widerspiegeln der Seele ist in Gott, ist Gott, und sie ist doch was sie ist.

Gott wird, da alle Kreaturen Gott sprechen - da wird Gott.

Als ich in dem Grunde, in dem Boden, in dem Fluß und in der Quelle der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollt oder was ich täte: da war niemand, der mich fragte. Als ich floß, da sprachen alle Kreaturen von Gott. Fragte man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause? Da war ich drinnen. So sprechen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen sie nicht von der Gottheit? Alles, was in der Gottheit ist, ist eins, und davon ist nichts zu sprechen. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat nichts zu wirken, in ihr ist kein Werk. Gott und Gottheit unterscheiden sich wie Wirken und Nichtwirken.

Wenn ich wieder in Gott komme, dann bilde ich nicht, so steht meine Mündung viel höher als mein Ursprung. Ich allein bringe alle Kreaturen aus ihrer Vernunft in meine Vernunft, daß sie in mir eins sind. Wenn ich in den Grund, in den Boden, in den Fluß und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Da vermißte mich niemand, das hört da alles auf.

Wer diese Predigt verstanden hat, dem gönne ich's gern. Wäre hier kein Mensch gewesen, so hätte ich sie diesem Stocke predigen müssen. Es sind etliche arme Leute, die gehen wieder heim und sagen: ich will mich auf den Stuhl setzen, und mein Brot essen und Gott dienen. Ich sage aber in Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können nimmer erreichen und erlangen,was die andern erreichen, die Gott in Armut und Entblößtheit nachgehn. Amen.

Ein Zweites vom namenlosen Gott
Wenn die Seele in die namenlose Stadt kommt, da ruht sie aus; wolle Dinge Gott in Gott sind, da ruhet sie. Die Stadt der Seele, die Gott ist, die ist ungenannt. Ich sage, daß Gott ungesprochen ist. Einem unserer ältesten Meister, der die Wahrheit schon lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, ehe der Christenglaube vorhanden war, wie er jetzt ist, den dünkte es, daß alles, was er von den Dingen sprechen könnte, etwas Fremdes und Unwahres in sich trüge; darum wollte er schweigen. Er wollte nicht sagen: Gebt mir Brot, oder gebt mir zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von den Dingen sprechen, weil er von ihnen nicht so rein sprechen konnte, wie sie aus der ersten Ursachen entsprungen seien: darum wollte er lieber schweigen, und seine Notdurft zeigte er mit Zeichen der Finger. Da nun er nicht einmal von den Dingen reden konnte, so schickt es sich für uns noch mehr, daß wir ganz und gar schweigen müssen von dem, der da ein Ursprung aller Dinge ist.

Nun sagen wir, Gott sei ein Geist. Dem ist nicht so. Wäre Gott eigentlich ein Geist, so wäre er gesprochen. Sankt Gregorius spricht: Wir können von Gott nicht eigentlich sprechen. Was wir von ihm sprechen, das müssen wir stammeln.

Vom Schweigen
Wir begehen hier in der Zeit das Fest der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in Ewigkeit gebiert, und feiern, daß diese Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur geboren ist. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mich dann? Denn daß sie in mir geschehe, daran liegt alles.

Wir haben ein Wort des Weisen: "Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein verborgenes Wort." Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

"Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort." Ach, Herr, wo ist dies Schweigen und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

Es ist in dem Kleinsten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja, in dem Sein und Wesen der Seele. Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen, und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgend welcher Kreatur.

Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie gedenkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie liebt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Sein. All ihr Wirken nach außen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zustande bringen. Und ebenso ist es mit allen anderen Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Sein ist kein Werk, daher hat die Seele im Sein kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fließen aus dem Grunde des Seins oder vielmehr: in dem Grunde ist das Mittel Schweigen, da ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, daß Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur fur für das göttliche Sein ohne irgend ein Mittel empfänglich.

Gott geht da in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muß hier außen in den Kräften bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedesmal, wenn die Kräfte der Seele die Kreatur berühren, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, daß sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft.

Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer, wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muß es notwendigerweise von außen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt, wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiß sie so wenig, wie von sich selbst, um des Mittels willen.

Und das müsset ihr auch wissen, daß sie innen frei ist, und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, daß sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du mußt die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zu geben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, um so unmittelbarer geschieht auch sein Werk und um so einfacher ist es.

Der Mensch hat viele Mittel in seinen äußeren Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wei er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgießen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. ALles was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam, als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.

Wie gebiert Gott Vater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildnern und in Gleichnissen? Wahrlich, nein! sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja, freilich, wie gebiert er da? Merke auf. Seht, Gott Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst, ohne jedes Bild. Und so gebiert Gott Vater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgend ein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

Es kann gefragt werden: ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke, oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und in einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte.

Ich weise darauf hin: diese Rede und diese Werke geschehen allein guten und vollkommenen Menschen, die das Wesen aller Tugend an sich und in sich gezogen haben, so daß die Tugend wesenhaft ohne ihr Zutun aus ihnen strömt, und in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, daß das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, daß du schweigest und Gott allda wirken und sprechen läßest. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird das Wort gesprochen.

Darum sprach er: "Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen." Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, um so näher bist du diesem und um so empfänglicher. Könntest du doch aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: "Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl" - da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, daß er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde.

So sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selbst kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in die Seele sprechen soll, muß sie in Frieden und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst.

Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn "gut" oder "wahr" gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andere. Zwar schreibt Moses so. Er wußte es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist, und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, um so näher bist du diesem.

Hierzu erwähnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: Lieber Sohn Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf daß du zu einer Erkenntnis des unbekannten göttischen Gottes kommest. Es muß ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es in Bildern zu wirken.

Nun könntest du fragen: was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern, und bewirkt es, daß sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, daß es ist, sie weiß nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein anderes zu erfahren und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen und hat doch kein Dabeibleiben, darum: die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und läßt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem anderen Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, daß es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich die Wahrheit. Da sprach der andere Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: würde das in mir vollendet und befestigt, das müßte ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, daß es sich ein wenig zeigt und offenbar, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen.

Davon sprach der Prophet: "Herr, nimm ihnen ihren Geist, und gib ihnen dafür deinen Geist." Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: "Meine Seele zerschmolz und zerfloß, als der Liebe sein Wort sprach: Als er einging, da mußte ich hinschwinden." Das meinte auch Christus, als er sprach: "Wer etwas um meinetwillen läßt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muß auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muß mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen."

Nun könntest du sagen: Wahrlich, Herr, Ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, daß sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt Ihr die Sache umkehren? Nein! Was weißt du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind? Denn die vn den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; Sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher mußte ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen.

Wenn es schon ein Unwissen heißt und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von außen: denn dies Unwissen des Äußeren reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: "Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter läßt und alles was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig." Als ob er spräche: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen läßt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja, wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neu geboren ist in Menschengestalt, daß wir armen Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.
    Das ist der Meister Eckehart,
    der auf ein Haar verbrennet ward.
    Buch, geh' nun aus in seinem Namen
    und meide dumpfe Geister. - Amen.

LITERATUR - Gustav Landauer, Meister Eckharts, Mystische Schriften, Wetzlar 1978