ra-1Adam SchaffIch und Stirner 
 
KARL MARX / FRIEDRICH ENGELS
Kritik der neuesten
deutschen Philosophie


Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine  praktische  Frage.

Für die Philosophen ist es eine der schwierigsten Aufgaben, aus der Welt des Gedanken in die wirkliche Welt herabzusteigen. Die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens ist die  Sprache.  Wie die Philosophen das Denken verselbständigt haben, so mußten sie die Sprache zu einem eigenen Reich verselbständigen. Dies ist das Geheimnis der philosophischen Sprache, worin die Gedanken als Worte einen eigenen Inhalt haben. Das Problem, aus der Welt der Gedanken in die wirkliche Welt herabzusteigen, verwandelt sich in das Problem, aus der Sprache ins Leben herabzusteigen.

Wir haben gezeigt, daß die Verselbständigung der Gedanken und Ideen eine Folge der Verselbständigung der persönlichen Verhältnisse und Beziehungen der Individuen ist. Wir haben gezeigt, daß die ausschließliche systematische Beschäftigung mit diesen Gedanken von seiten der Ideologen und Philosophen und damit die Schematisierung dieser Gedanken eine Folge der Teilung der Arbeit ist, und namentlich die deutsche Philosophie eine Folge der deutschen kleinbürgerlichen Verhältnisse. Die Philosophen hätten ihre Sprache nur in die gewöhnliche Sprache, aus der sie abstrahiert ist, aufzulösen, um sie als die verdrehte Sprache der wirklichen Welt zu erkennen und einzusehen, daß weder die Gedanken noch die Sprache für sich ein eignes Reich bilden; daß sie nur  Äußerungen  des wirklichen Lebens sind.

Sancho (= STIRNER), der den Philosophen durch Dick und Dünn folgt, muß notwendig mit dem Stein der Weisen, der Quadratur des Zirkels und dem Lebenselexier suchen, nach einem "Wort", welches als Wort die Wunderkraft besitzt, aus dem Reich der Sprache und des Denkens ins wirkliche Leben hinauszuführen. Sancho ist so angesteckt von seinem langjährigen Umgang mit Don Quichote, daß er nicht merkt, daß diese seine "Aufgabe", dieser sein "Beruf", selbst nichts weiter als eine Folge des Glaubens an seine dickleibigen philosophischen Ritterbücher ist.

Sancho beginnt damit, die Herrschaft des Heiligen und der Ideen in der Welt abermals, und zwar in der neuen Form der Herrschaft der Sprache oder der Phrase, uns vorzuführen. Die Sprache wird natürlich zur Phrase, sobald sie verselbständigt wird.

Seite 151 ("Der Einzige und sein Eigentum") nennt Sancho die jetzige Welt, "eine Phrasenwelt, eine Welt, in deren Anfang das Wort war". Er beschreibt näher die Motive seiner Jagd auf das Zauberwort:
    - "Es war die Spekulation darauf gerichtet, ein  Prädikat  zu finden, welches so allgemein wäre, daß es Jeden in sich begriffe ... Soll das Prädikat einen Jeden in sich begreifen, so muß ein Jeder darin als  Subjekt  erscheinen, d.h. nicht bloß als das, was er ist, sondern als der, der er ist." (Seite 152)
Weil die Spekulation solche Prädikate, früher von Sancho als Beruf, Bestimmung, Aufgabe, Gattung usw. ausgesprochen, "suchte", "suchten" sich die wirklichen Menschen bisher "im Worte, im Logos, im Prädikat" (Seite 153). Solange man bisher innerhalb der Sprache ein Individuum vom andern bloß als identische Person unterscheiden wollte, brauchte man den  Namen.  Sancho beruhigt sich aber nicht bei den gewöhnlichen Namen, sondern weil ihm die Spekulation die Aufgabe gestellt hat, ein Prädikat zu finden, was so allgemein wäre, daß es Jeden als Subjekt in sich begreift, so sucht er den philosophischen, abstrakten Namen, den "Namen", der über alle Namen ist, den Namen aller Namen, den Namen als Kategorie, der z.B. Sancho von BRUNO (BAUER) und beide von FEUERBACH so präzis unterscheidet wie ihre eigenen Namen und dennoch auf sie alle drei so gut wie auf alle andern Menschen und beleibte Wesen paßt - eine Neuerung, die in alle Wechselbriefe, Heiratskontrakte usw. die größte Verwirrung bringen und alle Notariats- und Zivilstandsbüros mit einem Schlage vernichten würde.

Dieser wunderbare Name, dies Zauberwort, welches in der Sprache der Tod der Sprache ist, die Eselsbrücke zum Leben und die höchste Stufe der chinesischen Himmelsleiter, ist -  der Einzige.  Die wundertätigen Eigenschaften dieses Wortes werden in den folgenden Strophen besungen:
    - "Der Einzige soll nur die letzte, die sterbende Aussage von Dir und Mir, soll nur diejenige Aussage sein, welche in die Meinung umschlägt: eine Aussage, die keine mehr ist, eine verstummende, stumme Aussage." (Seite 153)

    - "Bei ihm (dem Einzigen) ist das Unausgesprochene die Hauptsache (Seite 149)

    - Er ist "bestimmungslos" (ibid)

    - "Er weist auf seinen Inhalt außerhalb oder jenseits des Begriffes hin." (ibid)

    - Er ist "ein bestimmungsloser Begriff und kann durch keine andern Begriffe bestimmter gemacht werden." (Seite 150)

    - Er ist die philosophische "Taufe" der profanen Namen (Seite 150)

    - "Der Einzige ist ein gedankenloses Wort. Er hat keinen Gedankeninhalt." (ibid)

    - "Er drückt Einen aus", "der nicht zum zweiten Male dasein, folglich auch nicht  ausgedrückt  werden kann; Denn könnte er wirklich und ganz ausgedrückt werden, so wäre er zum zweiten Male da, wäre im Ausdruck da." (Seite 151)
Nachdem er so die Eigenschaften dieses Wortes besungen hat, feiert er die Resultate, die mit der Entdeckung seiner Wunderkräfte gewonnen sind, in folgenden Antistrophen:
    - "Mit dem Einzigen ist das Reich der absoluten Gedanken abgeschlossen." (Seite 150)
    - "Er ist der Schlußstein unserer Phrasenwelt." (Seite 151)

    - "Er ist die als Phrase verendende Logik." (Seite 153)

    - "Im Einzigen kann die Wissenschaft in das Leben aufgehn, indem ihr  Das  zum  Der und Der  wird, Der sich dann nicht mehr im Worte, im Logos, im Prädikate sucht." (Seite 153)
Allerdings hat Sancho an seinen Rezensenten die üble Erfahrung gemacht, daß auch der Einzige "als Begriff fixiert" werden kann, "und das tun die Gegner" (Seite 149), die so sehr Sanchos Gegner sind, daß sie die erwartete magische Wirkung des Zauberworts gar nicht empfinden, vielmehr wie in der Oper singen: "Das ist es nicht, das ist es nicht!". Namentlich gegen seinen Don-Quichote-Szeliga wendet sich Sancho mit großer Erbitterung und feierlichem Ernst, da bei diesem das Mißverständnis eine offene "Empörung" und ein gänzliches Verkennen seiner Stellung als "Geschöpf" voraussetzt:
"Hätte SZELIGA verstanden, daß der Einzige, weil die völlig inhaltlose Phrase oder Kategorie, darum keine Kategorie mehr ist, so hätte er ihn vielleicht als den Namen dessen, was ihm noch namenlos ist, anerkannt." (Seite 179)
Sancho erkennt also hier ausdrücklich an, daß er und sein Don Quichote auf Ein und dasselbe Ziel lossteuern, nur mit dem Unterschiede, daß Sancho den rechten Morgenstern entdeckt zu haben glaubt, während Don Quichote noch im Dunklen auf dem öden Lebermeer der abgrundtiefen Welt treibt.

FEUERBACH sagte, "Philosophie der Zukunft" (Seite 49):
"Das Sein, gegründet auf lauter Unsagbarkeiten, ist darum selbst etwas Unsagbares. Jawohl, das Unsagbare. Wo die Worte aufhören, da fängt erst das Leben an, erschließt sich erst das Geheimnis des Seins."
Sancho hat den Übergang aus dem Sagbaren in das Unsagbare, er hat das Wort gefunden, welches zu gleicher Zeit mehr und weniger ist als ein Wort.

Wir haben gesehen, daß das ganze Problem, vom Denken zur Wirklichkeit und daher von der Sprache zum Leben zu kommen, nur in der philosophischen Illusion existiert, d.h. nur berechtigt ist für das philosophische Bewußtsein, das über die Beschaffenheit und den Ursprung seiner scheinbaren Trennung vom Leben unmöglich klar sein kann. Dies große Problem, sobald es überhaupt in den Köpfen unserer Ideologen spukte, mußte natürlich den Verlauf nehmen, daß zuletzt einer dieser fahrenden Ritter ein Wort zu suchen ausging, das als  Wort  den fraglichen Übergang bildete, als Wort aufhörte, bloßes Wort zu sein, als Wort in mysteriöser, übersprachlicher Weise aus der Sprache heraus auf das wirkliche Objekt, das es bezeichnet, hinweist, kurz, unter den Worten dieselbe Rolle spielt wie der erlösende Gottmensch unter den Menschen in der christlichen Phantasie.

Der hohlste und dürftigste Schädel unter den Philosophen mußte die Philosophie damit "verenden" lassen, daß er seine Gedankenlosigkeit als das Ende der Philosophie und damit als den triumphierenden Eingang in das "leibhaftige" Leben proklamierte. Seine philosophierende Gedankenlosigkeit war ja schon von selbst das Ende der Philosophie, wie seine unaussprechliche Sprache das Ende aller Sprache. Sanchos Triumph war noch dadurch bedingt, daß er unter allen Philosophen am Allerwenigsten von den wirklichen Verhältnissen wußte, daher bei ihm die philosophischen Kategorien den letzten Rest von Beziehung auf die Wirklichkeit und damit den letzten Rest von  Sinn  verloren.

Und nun gehe ein, Du frommer und getreuer Knecht Sancho, gehe oder vielmehr reite auf Deinem Grauen ein zu Deines Einzigen Selbstgenuß, "verbrauche" Deinen "Einzigen" bis auf den letzten Buchstaben ...


KARL MARX / FRIEDRICH ENGELS
Die deutsche Ideologie / Vorrede

Die Menschen haben sich bisher stets falsche Vorstellungen über sich selbst gemacht, von dem, was sie sind oder sein sollen. Nach ihren Vorstellungen von Gott, von dem Normalmenschen usw. haben sie ihre Verhältnisse eingerichtet. Die Ausgeburten ihres Kopfes sind ihnen über den Kopf gewachsen. Vor ihren Geschöpfen haben sie, die Schöpfer sich gebeugt. Befreien wir sie von ihren Hirngespinsten, den Ideen, den Dogmen, den eingebildeten Wesen, unter deren Joch sie verkümmern. Rebellieren wir gegen diese Herrschaft der Gedanken. Lehren wir sie diese Einbildungen mit Gedanken vertauschen, die dem Wesen des Menschen entsprechen, sagt der Eine, sich kritisch zu ihnen verhalten der Andere, sie sich aus dem Kopf schlagen, der Dritte, und - die bestehende Wirklichkeit wird zusammenbrechen.

Diese unschuldigen und kindlichen Phantasien bilden den Kern der neuern junghegelschen Philosophie, die in Deutschland nicht nur von dem Publikum mit Entsetzen und Ehrfurcht empfangen, sondern auch von den philosophischen Heroen selbst mit feierlichem Bewußtsein der weltumstürzenden Gefährlichkeit und der verbrecherischen Rücksichtslosigkeit ausgegeben wird. Der erste Band dieser Publikation hat den Zweck, diese Schafe, die sich für Wölfe halten und dafür gehalten werden, zu entlarven, zu zeigen, wie sie die Vorstellungen der deutschen Bürger nur philosophisch nachblöken, wie die Prahlereien dieser philosophischen Ausleger nur die Erbärmlichkeit der wirklichen deutschen Zustände widerspiegeln. Sie hat den Zweck, den philosophischen Kampf mit den Schatten der Wirklichkeit, der dem träumerischen und duseligen deutschen Volk zusagt, zu blamieren und um den Kredit zu bringen.

Ein wack'rer Mann bildete sich einmal ein, die Menschen ertränken nur im Wasser, weil sie vom Gedanken der Schwere besessen wären. Schlügen sie sich diese Vorstellung aus dem Kopfe, etwa indem sie dieselbe für eine abergläubige, für eine religiöse Vorstellung erklärten, so seien sie über alle Wassergefahr erhaben. Sein Leben lang bekämpfte er die Illusion der Schwere, von deren schädlichen Folgen jede Statistik ihm neue und zahlreiche Beweise lieferte. Der wackre Mann war der Typus der neuen deutschen revolutionären Philosophen.

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KARL MARX / FRIEDRICH ENGELS
Thesen über Feuerbach

1. Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den FEUERBACHschen miteingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des  Objekts oder der Anschauung  gefaßt wird; nicht aber als  sinnliche menschliche Tätigkeit, Praxis;  nicht subjektiv. Daher die  tätige  Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt. FEUERBACH will sinnliche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als  gegenständliche  Tätigkeit. Er betrachtet daher im "Wesen des Christentums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der "revolutionären", der "praktisch-kritischen" Tätigkeit.

2. Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine  praktische  Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein  scholastische  Frage.

3. Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr erhaben ist - sondieren. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als  revolutionäre Praxis  gefaßt und rationell verstanden werden.

4. FEUERBACH geht von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdoppelung der Welt in eine religiöse und eine weltliche aus. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Aber daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist nur aus der Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also in sich selbst sowohl in ihrem Widerspruch verstanden als praktisch revolutioniert werden. Also nachdem, z.B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet werden.

5. FEUERBACH, mit dem  abstrakten Denken nicht zufrieden, will die  Anschauung:  aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als  praktische  menschlich-sinnliche Tätigkeit.

6. FEUERBACH hat das religiöse Wesen in das  menschliche  Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. FEUERBACH, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
    - von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu fixieren, und ein abstrakt - isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen.

    - Das Wesen kann daher nur als "Gattung", als innere, stumme, die vielen Individuen  natürlich  verbindende Allgemeinheit gefaßt werden.
7. FEUERBACH sieht daher nicht, daß das "religiöse Gemüt" selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.

8. Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich  praktisch.  Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis.

9. Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus kommt, d.h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen und der bürgerlichen Gesellschaft.

10. Der Standpunkt des alten Materialismus ist die bürgerliche Gesellschaft, der Standpunkt des neuen die menschliche Gesellschaft oder die gesellschaftliche Menschheit.

11. Die Philosophen haben die Welt nur verschieden  interpretiert,  es kömmt drauf an, sie zu  verändern
LITERATUR - Marx-Engels-Werke, Bd. 3, Deutsche Ideologie, Berlin 1978