tb-1cr-2Die Grenzen Gegenstand der Erkenntnis Definitiondow     
 
HEINRICH RICKERT
Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft
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I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
DIE AUFGABE
DIE GESCHICHTLICHE SITUATION
DER HAUPTGEGENSATZ
NATUR UND KULTUR
BEGRIFF UND WIRKLICHKEIT
DIE NATURWISSENSCHAFTLICHE METHODE
NATUR UND GESCHICHTE
GESCHICHTE UND PSYCHOLOGIE
GESCHICHTE UND KUNST
DIE HISTORISCHEN KULTURWISSENSCHAFTEN
DIE MITTELGEBIETE
DIE QUANTITATIVE INDIVIDUALITÄT
DIE WERTINDIFFERENTE QUANTITÄT
DIE OBJEKTIVITÄT DER KULTURGESCHICHTE

Wer naturwissenschaftlich tätig ist, findet heute außer dem allgemein üblichen Namen in den meisten Fällen für seine Spezialarbeit auch einen festen Platz in einem gegliederten Ganzen, in einem zusammenhängenden  System  von mehr oder weniger scharf gesonderten Aufgaben vor. Nach einem solchen festen System haben die empirischen Kulturwissenschaften dagegen erst zu suchen, ja, die Unsicherheit geht bei ihnen so weit, daß sie sich vielfach sogar gegen die Proklamierung der naturwissenschaftlichen Methode als der  allein  berechtigten wehren müssen. Sollte in diesem Kampf nicht auch die Logik eine brauchbare Waffe werden können, zumal wenn sie sich von der einseitigen Beeinflussung durch die Naturwissenschaft frei zu machen strebt?


I.
DIE AUFGABE

Darüber, daß die Spezialwissenschaften in zwei Hauptgruppen zerfallen und daß die Theologen und Juristen, die Historiker und Philologen in ähnlicher Weise wie die Physiker und Chemiker, die Anatomen und Physiologen, die Biologen und Geologen durch gemeinsame Interessen untereinander verbunden sind, dürfte heute sowohl in der Einzelforschung als auch in der Philosophie Übereinstimmung herrschen. Aber während die Männer der Naturwissenschaften niemals im Zweifel sein werden, wie das Band heißen soll, das sie zusammenhält, stellt sich bei der anderen Gruppe, wenigstens was die Meinung der Einzelforscher betrifft, nicht ohne weiteres auch eine Bezeichnung für die gemeinsame Tätigkeit ein.

Dieser Mangel eines allgemein üblichen und anerkannten  Namens  legt die Frage nahe, ob ihm nicht der Mangel eines eindeutig bestimmten  Begriffes  entspricht. Daher habe ich mir in den folgenden Ausführungen das Ziel gesteckt, den Begriff zu entwickeln, der die gemeinsamen Interessen, Aufgaben und Methoden der nichtnaturwissenschaftlichen empirischen Disziplinen zu bestimmen und gegen die der Naturforscher abzugrenzen vermag. Ich glaube, daß das Wort  Kulturwissenschaft  diesen Begriff am besten bezeichnet, und wir wollen uns daher die Frage vorlegen: was ist Kulturwissenschaft und in welchem Verhältnis steht sie zur Naturforschung?

Der Antwort auf diese Frage sind jedoch einige Bemerkungen darüber vorauszuschicken, welchen  Sinn  ein solcher Versuch allein haben kann. Es handelt sich um einen Teil der  Logik,  genauer der Wissenschaftslehre oder der Methodenlehre und mit dem  besondern Inhalt  der verschiedenen naturwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Disziplinen haben wir es daher  nicht  zu tun. Der geht allein die Männer der Einzelforschung etwas an. Die Philosophie darf es sich nicht zur Aufgabe machen, Stücke einer "bewußten Halbbildung" zu geben, die doch das Beste bleiben müssen, zu dem sie bei der Fülle des Stoffes es heute noch bringen kann. Der Prozeß, durch den in der Wissenschaft das  Material gefunden  wird und der dem Spezialforscher vielleicht mit Recht als die  Hauptsache  für den Fortschritt der Wissenschaft erscheint, ist überhaupt nicht das, worauf wir in erster Linie achten wollen. Denn alle Mittel und Wege, die nur irgendwie zur Entdeckung von neuen Tatsachen beitragen können, sind in jeder Wissenschaft  gleich berechtigt und man wird daher nicht hoffen dürfen, diese Mannigfaltigkeit des  Forschens  und  Suchens  unter Formeln zu bringen, die einen wesentlichen Gegensatz zwischen zwei Gruppen von wissenschaftlicher Arbeit hervortreten lassen. Alles, was  nur  als  Materialsammlung  angesehen werden kann, bleibt also hier ganz aus dem Spiel.

Der Unterschied, auf den es uns ankommt, wird vielmehr erst deutlich, wo es sich um die Einordnung und Verarbeitung des Materials zum Zweck seiner wissenschaftlichen  Darstellung  handelt und wo ein solcher Prozeß zum  Abschluß  gelangt ist. Dieser Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit wird, weil er sich meist mit einer gewissen "Selbstverständlichkeit" vollzieht, von den Spezialforschern viel weniger beachtet und wenn seine Klarlegung die eigentlich philosophische Aufgabe bildet, so liegt deren Schwerpunkt also nicht dort, wohin die Aufmerksamkeit der empirischen Untersuchung für gewöhnlich gerichtet ist.

Jedoch auch beim Prozeß der  Materialverarbeitung  und bei dessen Ergebnissen handelt es sich für die Logik nicht so sehr um eine analysierende Beschreibung, die sich allen Nuancen und Variationen, allen Zwischenformen und Übergängen der einzelwissenschaftlichen Methoden liebevoll anschmiegt, denn diese Aufgabe bleibt für die verschiedenen Spezialgebiete, wie ich glaube, ebenfalls besser denen überlassen, die in ihnen als Fachmänner zuhause sind. Die Wissenschaftslehre kann vielmehr, wenn ihre Untersuchungen eine selbständige Bedeutung haben sollen, nur von  allgemeinen  und  prinzipiellen  Unterschieden des Denkens ausgehen, um mit den dadurch gewonnenen Begriffen dann allmählich zur Anwendung auf das Besondere vorzudringen und hier kommt es in der Hauptsache auf die Feststellung dieses  Ausgangspunktes,  d. h. auf die Herausarbeitung von zwei  Grundformen  der einzelwissenschaftlichen Darstellung an.

Ich will mich mit anderen Worten hauptsächlich auf die Darlegung der beiden  Extreme  beschränken, zwischen denen in gewisser Hinsicht fast alle empirische Wissenschaft in der Mitte liegt und ich muß daher zur Klarlegung der Unterschiede begrifflich  trennen,  was in Wirklichkeit eng miteinander  verknüpft  ist, die vielen Fäden dagegen, die zwischen den beiden Gruppen von Wissenschaften hin- und herlaufen, zunächst wenigstens, ganz in den Hintergrund treten lassen oder sie nur soweit berücksichtigen, als aus ihnen Einwände gegen die Scheidung der beiden Grundformen hergeleitet werden können.

Dem Mann der empirischen Forschung, der den Wert der  vielseitigen  Beziehungen der verschiedenen Arbeitsgebiete zueinander zu schätzen weiß, kann dieser Versuch, der absichtlich einmal alle Brücken zwischen ihnen abbrechen will,  einseitig  oder gar gewaltsam erscheinen. Aber die  Logik  hat keinen anderen Weg, wenn sie in der bunten Mannigfaltigkeit des wissenschaftlichen Lebens überhaupt  Grenzen  ziehen will. Daher läßt sich das, was im folgenden gewonnen wird, höchstens mit den Linien vergleichen, die sich der Geograph zur Orientierung auf unserer Erdkugel denkt, Linien, denen ja auch nirgends eine Wirklichkeit  genau  entspricht und nur der Unterschied ist vorhanden, daß der globus intellectualis der Spezialforschung keine Kugel ist, auf der die Pole und der Aequator sich sozusagen von selbst ergeben, sondern daß es einer besonderen Untersuchung zu ihrer Feststellung bedarf. (1)

Der  theoretische  Wert eines solchen schematischen Orientierungsversuches braucht keine Begründung. Wie groß der Vorteil ist, den die Einzelwissenschaften bei ihrer Arbeit aus ihm ziehen können, will ich nicht näher untersuchen, aber ganz überflüssig erscheint er mir auch in ihrem Interesse nicht und besonders den  Kulturwissenschaften  kann er nützlich sein, denn hier werden in neuerer Zeit vielfach doch nicht  nur  die wertvollen Beziehungen zu den Naturwissenschaften gepflegt, sondern die Grenzen zwischen beiden Gebieten oft auch in unzulässiger Weise überschritten.

Der Grund dafür ist nicht schwer zu sehen. Wer naturwissenschaftlich tätig ist, findet heute außer dem allgemein üblichen Namen in den meisten Fällen für seine Spezialarbeit auch einen festen Platz in einem gegliederten Ganzen, in einem zusammenhängenden  System  von mehr oder weniger scharf gesonderten Aufgaben vor. Nach einem solchen festen System haben die empirischen Kulturwissenschaften dagegen erst zu suchen, ja, die Unsicherheit geht bei ihnen so weit, daß sie sich vielfach sogar gegen die Proklamierung der naturwissenschaftlichen Methode als der  allein  berechtigten wehren müssen. Sollte in diesem Kampf nicht auch die Logik eine brauchbare Waffe werden können, zumal wenn sie sich von der einseitigen Beeinflussung durch die Naturwissenschaft frei zu machen strebt?

Allerdings wird niemand behaupten, daß heute jeder Naturforscher eine deutliche Einsicht in das logische Wesen seiner Tätigkeit besitzt und sich dadurch zum Vorteil von einem Vertreter der Kulturwissenschaft unterscheidet. Wohl aber ist er durch die  historische Situation,  in die er, oft ohne es zu wissen, hineinwächst, in einer sehr viel glücklicheren Lage und auch die Gründe hierfür möchte ich, ehe ich zu meinem eigentlichen Thema übergehe, noch mit wenigen Worten andeuten.


II.
DIE GESCHICHTLICHE SITUATION

Werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Wissenschaft in den letzten Jahrhunderten, so sehen wir, daß für eine philosophische Grundlegung der  Naturforschung  bereits viel getan ist und zwar zum Teil von den Männern der Spezialwissenschaften selbst, zum Teil von der Philosophie. Bei KEPLER, bei GALILEI, bei NEWTON geht die empirische Untersuchung Hand in Hand mit dem Bemühen, sich das logische Wesen der eigenen Tätigkeit zum deutlichen Bewußtsein zu bringen und dieses Bestreben ist vom schönsten Erfolg gekrönt. Die Philosophie des naturwissenschaftlichen Zeitalters, womit ich selbstverständlich das siebzehnte Jahrhundert meine, läßt sich von der Naturwissenschaft kaum trennen. Sie arbeitet - man braucht nur an DESCARTES oder LEIBNIZ zu erinnern - ebenfalls mit Erfolg an der Klarlegung der naturwissenschaftlichen Methode. Und schließlich hat schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts der größte Denker der modernen Welt den für die  Methodenlehre  maßgebenden  Begriffe der Natur  als des Daseins der Dinge, "sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist" und damit auch den  allgemeinsten  Begriff der  Naturwissenschaft  wohl für absehbare Zeit endgültig festgestellt. (2)

Freilich durchbrach KANT durch sein "sofern es bestimmt ist" zugleich die  Alleinherrschaft  des Naturbegriffs, wenn auch nicht in den Einzelwissenschaften, so doch in der Philosophie, d. h. er setzte die naturwissenschaftliche "Weltanschauung", die im Aufklärungszeitalter bei ihrer Anwendung auf das geschichtliche Kulturleben  praktisch  Schiffbruch erleiden mußte, auch  theoretisch  aus einer sich absolut dünkenden Auffassung zu einer relativ berechtigten herab und beschränkte damit die naturwissenschaftliche Methode auf die Spezialforschung. Aber der  Begriff  der Natur selbst konnte durch diese Einschränkung nur umso fester begrenzt und umso deutlicher zum Bewußtsein gebracht werden und das ist in so hohem Maße geschehen, daß, selbst wenn eine etwas zurückgebliebene Philosophie ihn wieder zur Alleinherrschaft zu bringen sucht, dadurch in den  Einzelwissenschaften  von der Natur nicht mehr viel Schaden entstehen kann. Der Naturbegriff bleibt auch dabei im wesentlichen unverändert.

Höchstens in der Ohnmacht, mit der mancher Naturwissenschaftler gewissen Schwierigkeiten der  allgemeinsten  Theorien, z. B. der Atomistik oder der Energetik, gegenübersteht, rächt sich diese Verengung des Gesichtskreises, die anstelle des  erkenntnistheoretischen  Standpunktes wieder den alten  metaphysischen  Naturalismus setzt und gewiß ist es nicht erfreulich, daß es noch immer Männer der Naturforschung gibt, die es wie eine Kränkung empfinden scheinen, wenn jemand sagt, daß nicht sie  allein  es sind, die Wissenschaft treiben. Im übrigen aber wird sogar ein nicht ganz begründeter  Glaube  an die Alleinberechtigung naturwissenschaftlichen Denkens dazu beitragen, der naturwissenschaftlichen Spezialforschung ein Bewußtsein ihrer hohen Bedeutung und damit Arbeitsfreudigkeit und Schwung zu verleihen.

Wohl dir, daß du ein Enkel bist, werden wir also bei einem Blick auf diese Vergangenheit dem Naturforscher von heute zurufen können. Er zehrt, soweit es sich um die allgemeinsten und grundlegenden Begriffe handelt, von den Zinsen des Kapitals, das seine Ahnen gesammelt haben. Es ist im Laufe der Zeit genug von ihren geistigen Schätzen so "selbstverständlich" geworden, daß man sich um ihre Herkunft und den Zusammenhang, aus dem sie stammen, nicht mehr zu kümmern braucht. Man kann sie besitzen, auch ohne sie zu erwerben. Wenn wir von einem Teil der  biologischen  Forschung absehen, in dem Unklarheit über die naturwissenschaftliche Bedeutung des ursprünglich durchaus  historischen  Entwicklungsprinzips einige Verwirrung angerichtet hat und in dem der mit dem Begriff des Organismus verknüpfte Zweckgedanke noch immer zu den höchst bedenklichen metaphysisch-teleologischen Deutungen des "Vitalismus" führt, so erfreuen sich also die Naturwissenschaften einer festen  Tradition;  sie haben vor allem in der Erkenntnis des Natur ganzen  auch ein gemeinsames  Ziel,  zu dessen Erreichung jeder besondere Zweig seinen Teil beiträgt und das ihnen Einheit und Zusammenhang gibt. Deshalb treten sie geschlossen auf und imponieren durch diese Geschlossenheit, ganz abgesehen von den bewundernswerten Fortschritten, die sie in neuester Zeit, besonders in der allgemeinen Theorie der Materie, als würdige Enkel ihrer großen Ahnen gemacht haben.

Daß für die  Kulturwissenschaften  etwas Ähnliches gilt, wird niemand behaupten wollen. Sie sind viel jünger und deshalb unfertiger. Erst das neunzehnte Jahrhundert hat ihnen den großen Aufschwung gebracht. Innerhalb einiger besonderer Gebiete arbeiten zwar auch sie mit großer Sicherheit, aber sie verdanken das dann meistens dem Umstand, daß sie sich nach diesem oder jenem genialen Forscher von exemplarischer Bedeutung richten können. Die Neigung zu  methodologischen  Untersuchungen, die bei den Begründern der modernen Naturwissenschaft so reiche Früchte getragen hat, ist bei ihnen gering oder man findet wenigstens tiefer eindringende Forschungen über das Wesen des eigenen Tuns, wie sie z. B. für die Sprachwissenschaft HERMANN PAUL (3), für die Nationalökonomie KARL MENGER (4) und in neuester Zeit MAX WEBER (5) in so lehrreicher Weise angestellt haben, nur vereinzelt und auf besondere Gebiete beschränkt und es ist kein Zufall, daß dies Gebiete sind, auf denen logisch stark voneinander abweichende Verfahrensweisen sich in der wissenschaftlichen Praxis aufs engste miteinander verbinden, die logischen Probleme sich also geradezu aufdrängen mußten. Eine umfassendere  philosophische  Grundlegung ist für die empirischen Kulturwissenschaften jedenfalls bisher nicht annähernd in dem Maße wie für die Naturwissenschaften gewonnen.

Zwar ließen sich auch für eine Philosophie, die im Zusammenhang mit den empirischen Kulturwissenschaften arbeitet, von ihren Anregungen empfängt und auf sie zurückzuwirken vermag, bereits in der  Vergangenheit  erhebliche Ansätze finden. KANT hat ja zuerst mehr durch seine Untergrabung der naturalistischen Weltanschauung als durch seine erkenntnistheoretische Grundlegung der Naturwissenschaften gewirkt und so einseitig sich die von ihm angeregten antinaturalistischen Bestrebungen zum Teil auch gestalteten, so verständnislos einige Jünger KANTs gerade den Naturwissenschaften und ihrer Bedeutung gegenüberstanden, für die ihr Meister die unerschütterliche Basis gegeben hatte und so sehr sie gerade hierdurch dazu beigetragen haben, daß später jede "idealistische" und antinaturalistische Philosophie in Mißkredit kam, so wenig läßt sich doch andererseits leugnen, daß sie durch einen energischen Hinweis auf die Kehrseite der Medaille als  Anreger  gewirkt haben wie wenige.

Ja, bis zu einem gewissen Grad haben die Philosophen des deutschen Idealismus den Kulturwissenschaften grundlegende Begriffe bereits geliefert. Insbesondere HEGEL, der mit vollem Bewußtsein die Weltanschauung auf das  geschichtliche  Leben zu gründen unternahm, ist doch wohl noch in anderer Hinsicht merkwürdig als dadurch, daß er nichts von Naturwissenschaften verstand und da in weiteren Kreisen das Interesse für die Philosophie des deutschen Idealismus beständig im Wachsen ist, so kann man hoffen, daß die Gegenwart, in der das Wort "Entwicklung" eine so große Rolle spielt, auch vom großen idealistischen Entwicklungsphilosophen wieder etwas lernt. (6)

HEGELs System jedoch läßt sich, so wie es ist, nicht einfach aufnehmen, vor einer Galvanisierung des HEGELschen Buchstabens muß heute sogar gewarnt werden und vorläufig helfen auch die anderen wertvollen Ansätze aus früherer Zeit den Kulturwissenschaften zur Bestimmung und Klarlegung ihrer Aufgaben nicht viel. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist die historische Kontinuität in der Geschichte des Geisteslebens unterbrochen worden und gerade die für ein Verständnis des geschichtlichen Lebens wichtigen Elemente der deutschen Philosophie sind in weiteren Kreisen noch immer wenig bekannt. Auch wo man HEGELs Kategorien benutzt, fehlt es an einem Bewußtsein ihrer Bedeutung und ihrer Tragweite. Denkt man doch z. B., wenn in den Kulturwissenschaften von "Entwicklung" die Rede ist, oft an einen als Spezialforscher gewiß im höchsten Grade bewunderungswürdigen, aber als Philosophen unbeträchtlichen Mann der Naturwissenschaft, sieht allen Ernstes im "Darwinismus" die "neue" Geschichtsphilosophie und ruft dann infolge dieser und ähnlicher Begriffsverwirrungen für die Kulturwissenschaften nach "naturwissenschaftlicher Methode".

Nicht alle Disziplinen sind hiervon in gleicher Weise betroffen, aber gerade in der  Geschichtsforschung  im engeren Sinne haben wir vor noch nicht langer Zeit einen lebhaften Streit um Wege und Ziele erlebt, der bei einem etwas innigeren Zusammenhang mit unserer philosophischen Vergangenheit zum Teil gar nicht hätte geführt werden können. (7) Daher will auch ich hier, um meinem Problem näher zu kommen, nicht an das in der Vergangenheit bereits Geleistete, sondern an die heute am meisten verbreitete Ansicht über die Gliederung der Einzelnwissenschaften anknüpfen, um mich dann auf eine rein systematische Darstellung meiner Auffassung zu beschränken.


III.
DER HAUPTGEGENSATZ

Da die Wissenschaften sich sowohl mit Rücksicht auf die  Gegenstände,  die sie behandeln, als auch mit Rücksicht auf die  Methode,  die sie anwenden, voneinander unterscheiden können, so ist ihre Gliederung sowohl unter  materialen  als auch unter  formalen  Gesichtspunkten vorzunehmen und es ist gar nicht selbstverständlich, wie viele zu glauben scheinen, daß diese beiden Einteilungsprinzipien  zusammenfallen.  Ja, auf ihre sorgfältige Trennung kommt es bei einer  logischen  Klarlegung vor allem an.

Wenn man heute zwei Gruppen von Einzelwissenschaften als wesentlich voneinander verschieden anerkennt, ist es in der Philosophie noch fast allgemein üblich, als  materiales  Einteilungsprinzip, die Begriffe von  Natur  und  Geist  zugrunde zu legen, wobei unter dem noch vieldeutigeren Wort "Geist" ein seelisches Sein verstanden wird und aus den inhaltlichen Besonderheiten des  psychischen  Lebens, die es im Gegensatz zur  physischen  Welt zeigt, werden dann zugleich auch die  formalen  Unterschiede der zwei Methoden abgeleitet, nach denen  Geisteswissenschaften  und  Naturwissenschaften  verfahren sollen.

Als Konsequenz ergibt sich hieraus unter anderem, daß neben die  Mechanik als die allgemeinste und grundlegende Körperwissenschaft, eine ihr entsprechende allgemeine Wissenschaft vom Seelenleben, d. h. die  Psychologie,  als grundlegende "Geisteswissenschaft" gesetzt wird und daß man dementsprechend prinzipielle Fortschritte auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften besonders von einer  psychologischen  Methode erwartet. In der Geschichte hat man infolgedessen so etwas wie eine angewandte Psychologie gesehen, was mit dem gegenwärtigen Zustand dieser Disziplin nicht ganz übereinstimmt.

Weichen in Einzelheiten die verschiedenen Auffassungen auch stark voneinander ab, so gilt doch in der Philosophie der Hauptgedanke, daß es bei einer Gliederung der Spezialwissenschaften vor allem auf die Eigenart des  psychischen  Seins ankomme, selbst dort für geradezu selbstverständlich, wo, wie z. B. bei DILTHEY, infolge eines stark ausgeprägten historischen Sinnes die Unbrauchbarkeit der bisher  vorhandenen  Psychologie zu einer Grundlegung besonders der Geschichtswissenschaft sich herausgestellt hat. Es wird dann eine neue, erst zu schaffende "Psychologie" gefordert. (8)

Daß mit dem Wort Geisteswissenschaften die nichtnaturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen sehr ungenügend charakterisiert sind, wird im Gegensatz zu den die Philosophie beherrschenden Meinungen von Männern der empirischen Forschung wohl immer deutlicher empfunden (9) und ich glaube in der Tat, daß die unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes von Natur und Geist unternommenen Einteilungsversuche, falls Natur das körperliche, Geist das seelische Sein bezeichnet, nicht dazu kommen können, die  wirklich vorhandenen  Unterschiede der empirischen Wissenschaften zu verstehen, auf die es doch vor allem ankommt. Zunächst suche ich zur vorläufigen Orientierung in kurzen Formeln meine Ansicht der üblichen und durch die Gewohnheit befestigten entgegenzustellen.

Gewiß läßt sich nicht leugnen, daß die nicht naturwissenschaftlichen empirischen Disziplinen es  vorwiegend  mit psychischem Sein zu tun haben und daß daher in dieser Hinsicht ihre Bezeichnung als Geisteswissenschaften nicht direkt  falsch  ist, aber - und darauf allein kommt es an - das für die Wissenschaftslehre  wesentliche  Unterscheidungsmerkmal ist dadurch nicht getroffen. Denn es wird mit Hilfe des Begriffs vom Psychischen weder der prinzipielle Unterschied der zwei verschiedenen Arten des wissenschaftlichen  Interesse deutlich, der den  materialen  Unterschieden der Objekte entspricht und bewirkt, daß die Vertreter der einen Gruppe von Spezialwissenschaften sich miteinander enger verbunden betrachten als mit denen der andern, noch läßt sich vollends auf dem angegebenen Weg irgendein brauchbarer logischer, d. h.  formaler  Gegensatz zweier voneinander verschiedener  Methoden  der Einzelforschung ableiten.

Es ist kein Zufall, daß auf dem Gebiet der Psychologie in neuerer Zeit neben den Philosophen hauptsächlich Männer der Naturwissenschaften gearbeitet haben, die Historiker und die Vertreter anderer "Geisteswissenschaften" dagegen sich um die moderne Psychologie meist gar nicht kümmern. Das hat vielmehr seine im Wesen der Sache liegenden Gründe und eine Änderung dieses Zustandes ist nicht wahrscheinlich, ja vielleicht nicht einmal wünschenswert. Die Bedeutung der Psychologie für einige der sogenannten "Geisteswissenschaften" wird, wie ich glaube, nicht nur von Psychologen, sondern auch von der Logik noch sehr überschätzt und jedenfalls in der Art  grundlegend,  wie die Mechanik es für die Naturwissenschaften ist, kann für die andere Hälfte des globus intellectualis der Einzelforschung weder die bereits vorhandene, noch irgendeine erst zu schaffende allgemeine Wissenschaft vom realen Seelenleben sein. Ja, die Anwendung der in der Psychologie heute üblichen  Methode  muß in den  Geschichts wissenschaften geradezu notwendig auf Irrwege leiten und sie hat das auch bereits getan, wo an die Stelle historischer Darstellungen "sozialpsychologische" Theorien getreten sind.

Noch wichtiger aber ist, daß mit einem  einzigen  Gegensatz, wie dem von Natur und Geist, die  Mannigfaltigkeit  der Einzelwissenschaften sich überhaupt nicht methodologisch gliedern läßt, weil die Probleme, die hier vorliegen, viel komplizierter sind, als man gewöhnlich annimmt. An die Stelle des  einen  Unterschieds von Natur und Geist hat die Methodenlehre bei der Gliederung der Spezialdisziplinen meiner Ansicht nach die folgenden  zwei  Paare von Grundbegriffen zu setzen.

Zwei Gruppen von  Objekten,  die sich mit Rücksicht auf die Art ihres realen Seins, d. h. in der Weise wie Körper und Seele, voneinander unterscheiden, sind für die Gliederung der Einzelwissenschaften überhaupt nicht zu finden, weil es, wenigstens in der unmittelbar zugänglichen Wirklichkeit,  nichts  gibt, das einer Untersuchung von der formalen Eigenart, wie die Naturwissenschaft sie führt, prinzipiell entzogen werden dürfte. So verstanden ist der Satz, es könne nur  eine  empirische Wissenschaft geben, da es nur eine empirische Wirklichkeit gibt,  berechtigt.  Die Wirklichkeit in ihrer Totalität, d. h. als Inbegriff alles körperlichen und seelischen Daseins, kann und muß man in der Tat als ein einheitliches Ganzes oder "monistisch", wie das beliebte Schlagwort lautet, ansehen und dementsprechend auch in jedem ihrer Teile durch Einzeldisziplinen nach ein und derselben Methode behandeln. Geschieht das aber, so werden die Wissenschaften, welche die Körpervorgänge und die, welche das Seelenleben erforschen, auch durch gemeinsame Interessen eng miteinander verbunden sein. Ein  materialer  Gegensatz der Objekte ist der Einteilung der Einzelwissenschaften daher nur insofern zugrunde zu legen, als sich aus der Gesamtwirklichkeit eine Anzahl von Dingen und Vorgängen heraushebt, die für uns eine besondere  Bedeutung  oder Wichtigkeit besitzen und in denen wir daher noch etwas anderes sehen als bloße "Natur". Ihnen gegenüber  genügt  dann die im übrigen durchaus berechtigte naturwissenschaftliche Darstellung für sich  allein  noch nicht, sondern wir haben in bezug auf die außerdem noch ganz andere  Fragen  zu stellen und zwar beziehen sich diese Fragen vor allem auf die Objekte, die wir am besten unter dem Namen  Kultur  zusammenfassen. Mit einer auf die besondere Bedeutung der Kulturobjekte gestützten Einteilung in Natur- und Kulturwissenschaften dürfte auch der  Interessengegensatz  am besten bezeichnet sein, der die Männer der Spezialforschung in zwei Gruppen sondert und der Unterschied von  Naturwissenschaft  und  Kulturwissenschaft  scheint mir daher geeignet, an die Stelle der üblichen Einteilung in Natur- und Geisteswissenschaft zu treten. Wir haben also festzustellen, was Kultur im Unterschied von Natur bedeutet.

Damit allein aber reichen wir nicht aus. Zum materialen Einteilungsprinzip muß ein  formales  hinzukommen und mit Rücksicht auf dieses gestalten sich die Begriffe dann komplizierter als bei der üblichen Auffassung, die übrigens ihre scheinbare Einfachheit nur der Vieldeutigkeit des Wortes "Natur" verdankt.

Aus irgendwelchen materialen Eigentümlichkeiten der als Kultur bezeichnenden Teile der Wirklichkeit lassen sich die grundlegenden formalen Gegensätze der spezialwissenschaftlichen Methoden selbstverständlich ebensowenig ableiten wie aus dem Unterschied von Natur und Geist und wir können daher nicht ohne weiteres von "kulturwissenschaftlicher Methode" sprechen, wie man von naturwissenschaftlicher Methode spricht und von psychologischer Methode sprechen zu dürfen glaubt. Aber wir müssen zugleich bemerken, daß auch der Ausdruck "naturwissenschaftliche Methode" dann allein einen  logischen  Sinn hat, wenn das Wort "Natur" darin nicht nur Körperwelt heißt, sondern die angeführte kantische oder  formale  Bedeutung besitzt, also jedenfalls  nicht  eine "körperwissenschaftliche Methode" gemeint ist, obwohl das allein doch der richtige Gegensatz zur  geistes wissenschaftlichen als der psychologischen Methode wäre.

Den Gegensatz zum  logischen  Begriff der Natur als des Daseins der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, kann vielmehr nur ein ebenfalls logischer Begriff bilden. Dieser aber ist, wie ich glaube, der Begriff der  Geschichte  im weitesten formalen Sinne des Wortes, d. h. der Begriff des  einmaligen Geschehens  in seiner Besonderheit und Individualität, der zum Begriff des allgemeinen Gesetzes in einem formalen Gegensatz steht und wir werden daher bei der Gliederung der Einzelwissenschaften von einem Unterschied der  naturwissenschaftlichen  und der  historischen Methode  reden müssen.

Die Gliederung, die wir hiermit nach  formalen  Gesichtspunkten vornehmen, fällt also gar nicht mit der nach  materialen  Gesichtspunkten zusammen, wie dies bei der üblichen Einteilung in Natur- und Geisteswissenschaften der Fall zu sein schien und es darf daher auch keine Rede davon sein, daß der formale Unterschied von Natur und Geschichte an die  Stelle  des materialen Unterschieds von Natur und Geist zu treten hätte, wie man mißverständlicherweise diese Einteilung aufgefaßt hat. Den Unterschied von Natur und  Geist  können wir nur durch den von Natur und  Kultur verdrängen und ersetzen wollen.

Wohl aber glaube ich, zeigen zu können, daß zwischen unseren beiden Einteilungsprinzipien ein  Zusammenhang  insofern besteht, als eine für alle  Kultur objektiv notwendige Betrachtung eben ihre Darstellung nach  historischer  Methode ist und daß der Begriff dieser Methode sich zugleich aus einem später zu entwickelnden formalen Begriff der Kultur verstehen läßt. Freilich reicht auch die naturwissenschaftliche Methode bis weit in das Kulturgebiet hinein und besonders darf man nicht sagen, daß es  nur historische  Kulturwissenschaften gibt. Umgekehrt kann man sogar in gewisser Hinsicht von einem historischen Verfahren innerhalb der Naturwissenschaft sprechen, so daß also für die logische Betrachtung infolgedessen  Mittelgebiete  entstehen, auf denen einerseits  inhaltlich  kulturwissenschaftliche und  methodisch  naturwissenschaftliche, andererseits  inhaltlich  naturwissenschaftliche und  methodisch  historische Untersuchungen eng miteinander verbunden sind.

Aber dieser Zusammenhang ist doch auch wieder nicht von der Art, daß dadurch der Gegensatz von Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften in der Einzelforschung überhaupt  aufgehoben  würde. Wir können vielmehr mit Hilfe unserer Begriffe den gesuchten  Grundgegensatz  der empirischen Wissenschaften dadurch gewinnen, daß wir den Begriff der  historischen Kulturwissenschaften  sowohl in materialer wie in formaler Hinsicht, scharf gegen den Begriff der Naturwissenschaften abgrenzen und dann weiter zeigen, daß trotz aller Übergänge und Zwischenformen bei der Erforschung des Naturdaseins  hauptsächlich  nach naturwissenschaftlicher, bei spezialwissenschaftlicher Erforschung des Kulturlebens  hauptsächlich  nach historischer Methode verfahren wird.

Meine Aufgabe besteht nun im folgenden darin, den im angegebenen Sinn  materialen  Gegensatz von Natur und Kultur und den  formalen  Gegensatz von naturwissenschaftlicher und historischer  Methode  so weit zu entwickeln, daß der Grund für die hier aufgestellten Thesen und damit die Berechtigung des vom üblichen abweichenden Einteilungsversuchs der Einzelwissenschaften deutlich hervortritt. Dabei muß ich mich im wesentlichen jedoch, wie nochmals hervorgehoben sei, auf die Darlegung des schematischen  Haupt unterschiedes beschränken und kann die nähere Ausführung nur andeuten. Ein vollständiges  System  der Wissenschaftslehre zu geben, das  alle  Wissenschaften oder auch nur alle Einzelwissenschaften umfaßt, beabsichtigt dieser Versuch nicht. Von der Methode der  Philosophie  sehen wir hier sogar vollständig ab und ebenso kommt die Mathematik, aus Gründen, die sich bald ergeben werden, in ihrer logischen Struktur nicht in Betracht. Wir haben es nur mit den empirischen Disziplinen vom  realen  Sein der  Sinnenwelt  zu tun und für sie allein gilt es, die beiden einander entgegengesetzten  Grundformen  ihrer Darstellung zum Bewußtsein zu bringen, welche ihre Gliederung in Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften rechtfertigen.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Tübingen 1926
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    Anmerkungen
    1) Obwohl die Sätze schon in der ersten Auflage dieser Schrift stehen, ist der Sinn meines Versuches immer wieder dahin mißverstanden worden, als behaupte ich eine Trennung der Spezialwissenschaften in zwei Gruppen, die nach Form und Inhalt  faktisch  gänzlich auseinanderfallen oder  real  geschieden bleiben sollen. Das hat mir stets fern gelegen und alle Einwände gegen eine Wissenschaftslehre von solcher Art treffen mich daher nicht. Bezeichnend in dieser Hinsicht sind z. B. die Ausführungen von R. WILBRANDT, die Reform der Nationalökonomie vom Standpunkt der "Kulturwissenschaften", 1917, Seite 345f) Was die (nicht durchweg sachliche) Abhandlung an sachlichen Gedanken gegen mich vorbringt, ist gegenstandslos. Wenn ich das wirtschaftliche Leben zur Kultur rechne und meine, daß es  auch  historisch zu behandeln ist, so habe ich doch nie behauptet, daß "die Nationalökonomie"  nur  historische Kulturwissenschaft sei oder werden solle. Die Entscheidung darüber steht nicht der Logik zu. Sie hat nicht zu "reformieren", sondern zu verstehen, was die Spezialforschung tut.
    2) An dieser  formalen  Bestimmung wäre in der Methodenlehre auch dann festzuhalten, wenn man wie von WEIZSÄCKER (Kritiker und spekulativer Naturbegriff, Logos, Bd. VI, 1916, Seite 186) der Meinung sein sollte, daß der Kantianismus bei der  inhaltlichen  Ausgestaltung des Naturbegriffs zu sehr bei den Idealen der mathematischen Naturwissenschaft stehen geblieben sei, die im 18. Jahrhundert zentrale Bedeutung, aber schon im 19. Jahrhundert eine völlig veränderte Stellung im ganzen der Wissenschaft besaßen.
    3) HERMANN PAUL, Prinzipien der Sprachgeschichte, 1880. 3. Auflage 1898. Ferner: Methodenlehre der germanischen Philologie, Sonderabdruck aus der 2. Auflage von PAULs Grundriß, 1897. Endlich: Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaft, 1920
    4) KARL MENGER, Untersuchungen über die Methoden der Sozialwissenschaften, 1883
    5) MAX WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 1922. Die Abhandlungen wurden einzeln in den Jahren 1903 - 20 veröffentlicht. Vgl. meinen Aufsatz: Max Weber und seine Stellung zur Wissenschaft, Logos, Bd. XV, 1926, Seite 222f
    6) Über die Bedeutung des deutschen Idealismus für die Geschichte vgl. ERNST TROELTSCH, Das Historische in Kants Religionsphilosophie, Kantstudien, Bd. 9, 1904, EMIL LASK, Fichtes Idealismus und die Geschichte, 1902 und WILHELM DILTHEY, Die Jugendgeschichte Hegels, 1905. Wie stark die Ideen der deutschen Philosophen auch auf solche Denker gewirkt haben, die man in einen prinzipiellen Gegensatz zu ihnen zu bringen pflegt, hat am eingehendsten GEORG MEHLIS, Die Geschichtsphilosophie Auguste Comtes, 1909, nachgewiesen.
    7) Vgl. den in der Sache ganz ausgezeichneten Artikel von GEORG von BELOW über die "neue historische Methode" (Historische Zeitschrift, Bd. 81, Neue Folge Bd. 45, Seite 193f). Warum der Kampf, soweit er die Methode betrifft, von fast allen Seiten mit so großer Heftigkeit geführt worden ist, vermag der Fernerstehende nicht einzusehen. LAMPRECHTs Verdienst, die methodologischen Fragen wieder einmal in Fluß gebracht zu haben, sollte man nicht bestreiten. Nur kann man freilich auf diesem Gebiet ohne  logische  Grundlegung nichts ausrichten und wo daher LAMPRECHT mit seinen in ihrer logischen Bedeutung völlig vagen Schlagworten wie individualpsychologische und sozialpsychologische Methode und dgl. arbeitet, ist die Diskussion mit ihm unfruchtbar. Daß seine eigenen historischen Werke mit seiner "Methode" nicht übereinstimmen, liegt auf der Hand. Er stellt einmalige historische Entwicklungen in ihrer Einmaligkeit dar, wie jeder Historiker und verfährt dabei nicht etwa "naturwissenschaftlich", sondern  individualisierend  und  wertbeziehend  in einem später zu erörternden Sinn. Ein Mehr oder Weniger an allgemeinen Begriffen oder Schlagworten wie Typismus, Reizsamkeit usw. ist für den logischen Charakter der Methode nicht entscheidend. - Große Unklarheit in diesen Fragen zeigt auch das Buch von OSWALD SPENGLER über den "Untergang des Abendlandes", das es (ähnlich wie früher "Rembrandt als Erzieher" und CHAMBERLAINs "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts") in der Stimmung nach dem Weltkrieg aus naheliegenden Gründen zu einem sensationellen Modeerfolg gebracht hat. Die Schrift in in manchen Teilen nicht uninteressant, aber wie in ihr der Gedanke einer "Morphologie der Weltgeschichte", d. h. einer generalisierenden Biologie des historischen Lebens, als  neue  Methode verkündet wird, muß jedem Kenner der Literatur einigermaßen naiv anmuten. Die  logische  Grundlegung dieser "Morphologie", die SPENGLER versucht, war längst widerlegt, als sie geschrieben wurde.
    8) Vgl. WILHELM DILTHEY, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie. Sitzungsberichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, 1894, Seite 1399f.
    9) Im Kreis von Gelehrten, denen ich 1898 den Inhalt dieser Schrift zum erstenmal vortrug, fand ich sogar  niemand  mehr, der für das in der Logik noch immer so beliebte Wort zur Abgrenzung gegen die Naturwissenschaft eingetreten wäre und in neuerer Zeit wird der Ausdruck Kulturwissenschaft immer häufiger gebraucht.