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GUSTAV SCHMOLLER
Volkswirtschaft,
Volkswirtschaftslehre und -methode

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"Was in der Welt vorgeht, erfahren wir durch die Eindrücke unserer Sinne, die wir als ein objektives Geschehen deuten und begreifen. Alle unsere Erfahrung stammt so aus diesen zwei Quellen der Wahrnehmung. Aber bis wir uns, bis wir die Welt richtig beobachten lernten, brauchte es einer Erfahrungsentwicklung von Jahrtausenden. Und noch heute müssen wir jeder Beobachtung mit dem Zweifel entgegentreten, ob sie richtig ist, ob nicht subjektive Täuschung, unvollkommenes Sehen, voreiliges sanguinisches Verfahren, Ungebübtheit, Vorurteile und Interessen uns falsche Bilder vorführen."

"Alle heutige strenge Wissenschaft geht davon aus, daß die Begriffe Ergebnisse unserer Vorstellungen und ihrer Ordnung, daß sie nichts  Reales,  keine eigenen selbständigen Wesen sind, wie die Alten es sich dachten, wie im Mittelalter die Realisten im Gegensatz zu den Nominalisten es annahmen und auch heute noch einzelne Ideologen an Realdefinitionen (statt der Nominaldefinitionen) glauben und mit einer solchen sich einbilden, das innerste Wesen der Sache durchschaut zu haben."

"Man muß den Erwerbstrieb neben die anderen Triebe stellen und das Wesen der niedrigen und höheren Triebe überhaupt erörtern; man muß dem reinen Triebleben seine Stelle im System psychologischer Verursachung anweisen, zeigen, wie die Triebe sämtlich durch die Herrschaft des Intellekts und der höheren Gefühle gebändigt werden. Man muß das Verhältnis der Triebe zu den Tugenden und speziell zu den wirtschaftlichen Tugenden feststellen."

"Neue bemerkenswerte Ergebnisse und Wahrheiten hat die statistische Methode nicht geliefert. Sie beruth auf einer Verkennung der Natur volkswirtschaftlicher Erscheinungen und ihrer Ursachen. Die Konstruktionen und Formeln verwenden Elemente, die alle in Wirklichkeit nicht bestimmbar, einer Messung nicht fähig sind, und erwecken durch die Einsetzung von fiktiven Größen für psychische Ursachen und unmeßbare Marktverhältnisse den Schein einer Exaktheit, die nicht besteht."

"Man hängt durch das Mäntelchen des  Gesetzes  Behauptungen einen Schein der Notwendigkeit um, den sie nicht besitzen oder gibt niederiger stehenden Wahrheiten den Rang höherer und täuscht dadurch denjenigen, der sie weiter anwendet."

 10. Die Namen und Begriffe, die Klassifikationen. Ein Hauptmittel, richtig zu beschreiben, ist der Gebrauch richtiger Namen und Begriffe. Ihre Herstellung ist daher immer eine wichtige Aufgabe jeder Wissenschaft.

Die Volkswirtschaftslehre entnimmt, wie jede Wissenschaft, die Namen und Worte, deren sie bedarf, dem reichen Sprachschatz der Kulturvölker. Sie muß sich nur über das Wesen dieser gewöhnlichen Namenbildung klar sein: diese geht stets von anschaulichen konkreten Bildern aus, gibt einer Summe gleicher oder ähnlicher Erscheinungen denselben Namen; sie faßt dabei eine herrschende Vorstellung mit einer Anzahl um sie gelagerter Nebenvorstellungen zusammen; der ersteren ist das Wort entnommen, das nun in seiner Wiederholung den Gebrauchenden selbst und seine Hörer an all die Vorstellungen erinnert, die zur Wortbildung geführt haben und die um den Kern der Hauptvorstellung gelagert sind. Um an ein oben schon gebrauchtes Beispiel anzuknüpfen: der Wirt ist ursprünglich der Hauswirt, Landwirt, Gastwirt, d. h. der an der Spitze eines Haushaltes für Ernährung, Kleidung, Wohnung Sorgende; das Wort geht nun stets leicht auf Nebenvorstellungen über und nimmt so Nebenbedeutungen an; die herrschende Vorstellung wird von einer anderen verdrängt. Die Wirtschaft, welche erst eine häusliche Eigenproduktion bedeutete, umschließt später den Nebensinn der tauschenden und Vermögen erwerbenden Tätigkeit; der wirtschaftlich Verfahrende ist der klug mit den geringsten Mitteln den größten Erfolg Erzielende. Die Vorstellungen und die Gedanken wachsen eben stets viel rascher und reicher als die verfügbaren Worte. Und so haben vollends umfangreiche Sammelbegriffe und abstrakte Worte wie Arbeit, Gut, Kapital, Wert einen fließenden vieldeutigen Vorstellungsinhalt. Die Wissenschaft muß, wenn sie von ihnen Merkmale, Folgen aussagen will, versuchen, ihnen möglichst Konstanz und eine durchgängige Bestimmtheit zu geben; sie muß eine sichere und allgemeingültige Wortbezeichnung anstreben. Dieses Geschäft besorgt die Definition, sie verwandelt Worte und Namen in Begriffe. Die Definition ist das wissenschaftlich begründete Urteil über die Bedeutung der Worte, die wir gebrauchen; sie bezweckt die Umgrenzung des ansich fließenden Vorstellungsinhaltes, der den gewöhnlichen Anschauungen entnommen ist, die Säuberung des vulgären Sprachgebrauchs von seiner Vieldeutigkeit und Verschwommenheit. Die Wissenschaft erreicht dadurch das große Ziel, für alle an ihrer Gedankenarbeit Teilnehmenden eine gleiche Ordnung des mannigfaltigen Vorstellungsinhaltes, eine gleiche Klassifikation der Erscheinungen mit gleichen Grenzen herzustellen.

Jede Definition gebraucht nun zu ihrem Geschäft Worte, die sie ihrerseits als definiert voraussetzt; am einfachsten ist ihre Tätigkeit, wenn sie eine Erscheinung als Unterart einer feststehenden Klasse mit der spezifischen Eigentümlichkeit der Art, z. B. den Personalkredit als die Art des Kredits bezeichnet, wobei die persönliche Haftung des Schuldners das Vertrauen des Gläubigers erzeugt. Wo das nicht geht, löst sie die Vorstellung in ihre Elemente und Merkmale auf uns sucht durch die Aufnahme der wesentlichen in die Definition den Begriff festzulegen. Im einen wie im andern Fall ist vorausgesetzt, daß es eine fertige wissenschaftliche Terminologie gibt, die man gebraucht. Da dies nicht ganz zutrifft, so ist jede Definition eine vorläufige, vom ganzen Stand der Wissenschaft und ihrer Begriffsbildung abhängige. Zugleich ist klar, daß alle Definition eine Grenzziehung enthält, die für verschiedene wissenschaftliche Zwecke verschieden gemacht werden kann. Sie muß in erster Linie der Natur der Sache und der Gegenstände entsprechen; aber die Natur der Sache fordert bei einer Untersuchung, daß ich z. B. Grund und Boden zum Kapital rechne, bei einer anderen, daß ich ihn davon ausschließe. So beruth die Begriffsbildung in erster Linie auf wissenschaftlicher Zweckmäßigkeit; nicht ob sie absolut richtig seien, wird man daher regelmäßig fragen, sondern ob die Begriffe den beabsichtigten wissenschaftlichen Zwecken am entsprechendsten gebildet sind.

Jede Begriffsbildung enhält eine Klassifikation der Erscheinungen. Wenn ich die Volkswirtschaft definiere, bilde ich aus allen volkswirtschaftlichen Erscheinungen eine Klasse, aus allen nicht volkswirtschaftlichen eine andere, ohne mich aber um diese andere weiter viel zu kümmern. Viel bedeutungsvoller wird die Klassifikation, wenn ich eine Summe in Zusammenhang stehender Erscheinungen nach einem bestimmten Gesichtspunkt oder System so einteilen will, daß die einzelnen Klassen gleiche Glieder einer Reihe bilden und die Gesamtheit planvoll erschöpfen. Hier wird eine Anordnung und Verteilung erstrebt, um eine Gruppe von Erscheinungen in unserem Geist am besten zu ordnen; es handelt sich um einen Kunstgriff, welcher die Gewalt über unser Wissen mehren soll, um eine höchst wichtige wissenschaftliche Tätigkeit, die nur aufgrund genauester Kenntnis alles einzelnen, aufgrund eines Überblicks über das Ganze, über alle Ursachen und Folgen gut auszuführen ist. Da diese Voraussetzung aber auch nicht leicht vollständig zutrifft, so verfährt auch die klassifikatorische Begriffsbildung hypothetisch und provisorisch und ist immer wieder neuer Verbesserungen fähig; oft müssen neue Arte der Einteilung anstelle der bisher üblichen treten. Wenn man bisher Natur, Arbeit und Kapital als sogenannte Produktionsfaktoren unterschied, so lag dabei die Vorstellung zugrunde, daß sie gleichwertige Ursachenkreise darstellen, was kaum haltbar sein dürfte, weshalb diese Klassifikation künftig wohl wegfallen wird. Wenn man die Unternehmensformen einteilt, so kann man nach verschiedenen Gesichtspunkten Reihen bilden, wie Bücher und ich selbst es versucht haben. Man kann unter den Klassifikationen die analytischen und genetischen unterscheiden. Wenn ADOLPH WAGNER die gesamten volkswirtschaftlichen Erscheinungen in ein privatwirtschaftliches, gemeinwirtschaftliches und karitatives System einteilt, so ist das eine analytische; wenn HILDEBRAND Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft trennt, wenn ich selbst Dorf-, Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft als historische Reihenfolge aufstellte, so sind das genetische Klassifikationen. Die zusammengehörigen Erscheinungen bilden in der Regel von Natur aus Glieder einer Reihe, die nur durch sukzessive und unmerkliche Unterschiede getrennt sind; zwischen den einzelnen Gliedern finden häufig so kleine Quantitätsunterschiede statt, daß sie erst bei einer gewissen Stärke als Qualitätsdifferenzen erscheinen; daher ist so häufig die Grenzziehung eine schwierige und willkürliche. Und WHEWELL hat nicht so unrecht, wie MILL glaubt, wenn er sagt, man müsse die Klassen nach ausgesprochenen Typen bilden, alles zunächst um diesen Typus Liegende zur Klasse rechnen, aber zugeben, daß auf der Grenze zwischen den zwei nächsten Typen stets Unsicherheit bleibt.

Alle heutige strenge Wissenschaft geht davon aus, daß die Begriffe Ergebnisse unserer Vorstellungen und ihrer Ordnung, daß sie nichts Reales, keine eigenen selbständigen Wesen sind, wie die Alten es sich dachten, wie im Mittelalter die Realisten im Gegensatz zu den Nominalisten es annahmen und auch heute noch einzelne Ideologen an Realdefinitionen (statt der Nominaldefinitionen) glauben und mit einer solchen sich einbilden, das innerste Wesen der Sache durchschaut zu haben. Es ist der Irrtum, der wähnt, mit dem rechten Begriff des Geistes die Psychologie, mit dem rechten wirtschaftlichen Kernbegriff die Nationalökonomie erfaßt zu haben, aus diesem Begriff alles Weitere ableiten zu können; LORENZ von STEIN und andere Schüler HEGELs glaubten so verfahren zu können. Die mit reicher anschaulicher Kraft der Phantasie Denkenden können freilich scheinbar aus solchen Grund- und Kernbegriffen viel ableiten; aber es ist in Wahrheit nicht der Begriff, sondern die Kraft ihrer anschaulichen Phantasie, die tätig ist. Die abstraktesten obersten Begriffe, sagt HERBART, sind die leersten; man wird richtiger sagen, die vieldeutigsten, die, je komplizierter eine Wissenschaft ist, desto weniger in allgemeingültiger Weise fixiert werden können.

Wir kommen damit noch zu einem Wort der Würdigung aller Begriffsbildung. Wer sich erinnert, wie JHERING die Begriffsjurisprudenz verhöhnt hat, oder wer sich die Frage vorlegt, ob in der medizinischen Wissenschaft große Leistungen davon abhängen, ob der Betreffende den Begriff der Krankheit richtig definiert habe, der hat sofort eine klare Empfindung dafür, welch eine verschiedene Wertung der Begriffsbildung vorkommt und daß diese Verschiedenheit ihre Ursachen haben muß. Ich glaube, man wird nun einfach sagen können: je einfachere Gegenstände eine Wissenschaft behandelt, je weiter sie bereits in ihren Resultaten gekommen ist, desto vollendetere Begriffe hat sie, desto leichter kann sie ihre Gesetze und obersten Wahrheiten in ihre Begriffe und Definitionen aufnehmen und daraus alles Weitere ableiten. Je komplizierter der Gegenstand einer Wissenschaft aber wird, desto weiter ist sie von diesem Ideal entfernt. Sie bedarf natürlich stets der Begriffe und der Klassifikation, kann auf dem Gebiet der realen Einzelheiten da auch zu einer gewissen Übereinstimmung kommen und muß dann ihre Wahrheiten mit ihren Begriffen in Verbindung bringen; je allgemeiner und abstreakter aber die von ihr angewandten Begriffe werden, desto weniger lassen sich von ihnen reale, genau begrenzte Folgen und Wirkungen aussagen, desto mehr hat die Definition nur den Sinn, gewisse Gruppen von Erscheinungen allgemein zu charakterisieren und auszusondern, nicht den, alle wesentlichen Wahrheiten in die Definition hinein zu verlegen. In diesem Stadium befindet sich die Volkswirtschaftslehre. Die Erörterung ihrer konkreteren Begriffe und die Versuche der klassifikatorischen Begriffsbildung bleiben stets wichtig, um das Ziel und das Gebiet der Wissenschaft abzustecken; sie war sprachlich unentbehrlich, als man in Deutschland die englische und französische Terminologie mit der deutschen auseinandersetzen mußte; HUFELAND, LOTZ, HERMANN besorgten dieses Geschäft. Heute ist es eine notwendige Aufgabe, die aus den Naturwissenschaften eindringenden Begriffe (wie z. B. Organismus, Kampf ums Dasein, soziale Gewebezelle für Familie etc.) zu prüfen, zu fragen, ob und wie wir sie in der Staatswissenschaft gebrauchen können, ob sie dazu beitragen, den Bestand unserer Begriffe folgerichtig zu bereichern oder zu schädigen; wir müssen sie jedenfalls klar gestalten und umgrenzen. Es ist eine Bereicherung, wenn BÜCHER das bisherige Handwerksunternehmen scheidet in Lohnwerk und Preiswerk. Es ist auch dankenswert, wenn ein ein scharfsinniger Kopf wie FRIEDRICH JULIUS NEUMANN die allgemeinen volkswirtschaftlichen Begriffe auf ihre Abweichung von denen des Privat- und Verwaltungsrechts hin prüft. Aber dieselbe Rolle wie in der praktischen Jurisprudenz werden die Begriffsuntersuchungen bei uns doch nie spielen können; denn dort handelt es sich um die tägliche Anwendung von Rechtssätzen, die auf Definitionen aufgebaut sind; bei uns handelt es sich um die Erkenntnis realer Erscheinungen und ihre kausale Erklärung. Als gänzlich verwerflich aber muß alles erscheinen, was sich dem Mystizismus einer Realdefinition nähert und als leeren Begriffsdefinition die Wahrheiten ableiten will, die uns nur die Erfahrung bieten kann. Als nutzlose Begriffsspielerei muß es erscheinen, wenn mit Aufwand großer Gelehrsamkeit Worte und Begriffe definiert werden, die im weiteren Aufbau der Wissenschaft keine Verwendung finden. Als eine unheilvolle Verirrung endlich die Auffassung, als ob die Nationalökonomie eine Wissenschaft sei, die nur die logische Funktion einer weiteren Trennung der Begriffe oder des bloßen Schließens aus feststehenden Axiomen habe, wie z. B. SENIOR, FAUCHER und LINDWURM behauptet haben, aber auch manche der neueren Theoretiker, z. B. SAX, sich einem solchen Standpunkt nähern.

Daß große wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Nationalökonomie möglich sind, ohne daß der Autor sich viel mit Definitionen abgibt, dafür ist ADAM SMITH der beste Beweis. Daß aber viele, die sich mit Vorliebe den Definition und abstrakten Begriffsuntersuchungen hingeben, damit so wenig Ersprießliches leisten, liegt nicht in einer Geringwertigkeit dieser Tätigkeit, sondern darin, daß vor allem Leute ohne Weltkenntnis und ohne anschauliches Denken - das nach SCHOPENHAUER der Kern aller Erkenntnis ist - sich dieser Tätigkeit mit Vorliebe zuwenden, die trotz großer logischer Schärfte nichts Wertvolles zu erreichen vermögen, weil der beste und schärfste Mühlstein aus Spreu kein vollwertiges Weizenmehl machen kann.

11. Die Ursachen. Beobachten und Beschreiben, Definieren, Klassifizieren sind die vorbereitenden Tätigkeiten. Was wir aber damit erreichen wollen, ist die Erkenntnis des Zusammenhangs der volkswirtschaftlichen Erscheinungen; wir wollen wissen, was stets zugleich vorkommt, welche Erscheinungen sich stets folgen, wir wollen das Gemeinsame im Vielen erkennen, eine Einsicht in die Notwendigkeit der Erscheinungen bekommen.

Diese Einsicht kann keine vollkommene sein. Das komplizierte Nebeneinander des Seienden geht auf frühere Kombinationen, auf letzte unerforschliche Ursachen zurück; und auch die Folge der uns naheliegenden einzelnen Erscheinungen ist keineswegs immer eine erklärbare. Aber immerhin, je mehr wir uns darauf beschränken, das Einzelne aus dem unmittelbar Vorhergehenden zu deuten, desto mehr gelingt uns das. Und jedenfalls steht uns als Ideal des Erkennens die Erklärung aus Ursachen vor Augen. Die Naturwissenschaften haben uns gewöhnt, alles Folgende aufzufassen als bedingt durch Ursachen, die wir uns als Kräfte vorstellen. Die Welt der Erscheinungen ist uns zu einem Prozeß geworden, der nirgends Zufall und Willkür, über zureichende Ursachen zeigt. Dabei handelt es sich, je komplizierter die Erscheinungen sind, desto häufiger nicht um  eine  Ursache, sondern um eine Summe von Zuständen und Bedingungen, welche in ihrem einheitlichen Zusammentreffen eine bestimmte Folge haben; fehlt nur eine, so tritt die Folge nicht ein; der vulgäre Sprachgebrauch nennt das momentane Ereignis, das zuletzt hinzutrat, Ursache, die vorhergehenden, länger dauernden der mitwirkenden Zustände Bedingungen. Dabei ist die Folge zwar sachlich, aber nicht logisch in der Ursache enthalten, sie ist aus ihr nicht deduzierbar, sie häufig etwas ganz Neues; den Zusammenhang stellen wi eben erst durch die Erfahrung fest. Und nicht jedes regelmäßig Vorhergehende ist Ursache der Folge, wie die Nacht nicht die Ursache des Tages ist, der Schutzzoll dieses oder jenes Landes nicht notwendig die Ursache seines Wohlstandes. Nur einen vorhergehenden Zustand, der unbedingt auf die Erzeugung einer bestimmten Folge hinwirkt, bezeichnen wir als Ursache.

Als Ursachen der volkswirtschaftlichen Erscheinungen stehen sich nun die physischen und organischen andererseits als zwei selbständige Gruppen gegenüber. Man mag über den Zusammenhang des physischen und psychischen Lebens heute denken wie man will, man mag noch so sehr betonen, daß unser geistiges Leben vom Nervensystem bedingt ist, man mag sich mit Recht all unsere Gefühle vorstellen als geknüpft an physiologische Vorgänge, so viel ist sicher, daß wir aus Nervenzuständen die Koexistenz und Folge geistiger Zustände nicht erklären können, daß der letzte erkennbare Zustand materieller Elemente und die ersten Akkorde des Seelenlebens sich bis jetzt und wahrscheinlich in aller Zukunft als selbständige Erscheinungen gegenüberstehen. Und daher sind jene Erklärungsversuche, die aus bloßen physischen oder biologischen Elementen das Handeln der Menschen direkt und allein ableiten wollen, sämtlich als verfehlt oder unzulänglich zu erklären: nicht natürlich auch jene, die z. B. aus dem Klima eine bestimmte Lebensweise, aus dieser einen bestimmten körperlichen und geistigen Habitus und aus diesem das Vorwiegen bestimmter Gefühle, Überlegungen und Handlungsweise ableiten. Nur das muß bei allem Hinüber- und Herübüberwirken natürlicher und geistiger Ursachen aufeinander festgehalten werden, daß wir es mit zwei selbständigen Systemen der Verursachung zu tun haben, deren jedes seinen eigenen Gesetzen folgend einer selbständigen Untersuchung der Zusammenhänge bedarf und fähig ist.

Die Volkswirtschaft hat in Klima und Boden, in Reichtum und Armut an Mineralien, in der Lage des Landes, in Flüssen und Gebirgen, in Flora und Fauna des Landes ein natürliches Ursachensystem unter den Füßen; alles Tier- und Menschenleben ist bedingt durch die organischen Ursachen, ohne deren Heranziehung die einfachsten Vorkommnisse des Bevölkerungslebens unverständlich wären. Fast alle wirtschaftliche Tätigkeit bezieht sich auf äußere Güter: alle Kapitalbildung, alle Zunahme des Wohlstandes zeigt sich in den Häusern, Fabriken und Maschinen, in Vieh und Werkzeugen, in Geld und Münze, kurz in Objekten, welche den Naturgesetzen gehorchen, welche meist in beschränkter Quantität vorhanden, zähl- und meßbar sind, durch ihre Größenverhältnisse und ihre technisch-physikalischen Eigenschaften bestimmte Wirkungen üben. Der jeweilige Stand der Technik, von geistigen Fortschritten abhängig, beherrscht doch mit äußerlichen Ergebnissen, mit Veranstaltungen natürlicher Art alles Wirtschaftsleben. Man mag in Bezug auf alle diese Dinge sagen, die Volkswirtschaftslehre habe mehr die Ergebnisse der reinen und der angewandten Naturwissenschaften anzuerkennen und zu verwerten: aber jedenfalls muß sie diese Ursachen auch selbständig studieren, sie muß häufig dieses oder jenes aus diesen Gebieten von ihrem Standpunkt aus, durch ihre Methode untersuchen, schon um überall die Grenzen der wirtschaftlichen Entwicklung zu ermessen, z. B. festzustellen, inwieweit eine Bodenproduktion zu steigern ist, ohne daß die Kosten zu sehr wachsen, das Plus an Rohertrag zu sehr abnimmt, inwieweit mit einem natürlichen Kohlenvorrat auszukommen ist. An diese natürlichen Faktoren knüpft sich die ganze Vorstellung der Volkswirtschaft als eines Systems natürlicher Kräfte und naturgesetzlicher Kausalität, eine Auffassung, die nicht sowohl falsch, sondern auch halbwahr ist, sofern sie nur die eine Hälfte der verursachenden Kräfte im Auge hat.

Die in die Welt der Natur hineingebaute Welt der wirtschaftlichen Kultur dankt ihre Entstehung doch in erster Linie den geistigen Kräften der Menschen, die sich uns zunächst als Gefühle und Triebe, als Vorstellungen und Zwecke, weiter als Handlungen und habituelle Richtungen des Willens darstellen. Sofern Psychologie und Ethik das Ganze dieser Kräfte untersuchen und darlegen, hat man neuerdings öfter die Nationalökonomie eine psychologische oder auch eine ethische Wissenschaft genannt. JOHN STUART MILL hat sie einmal als die Wissenschaft definiert, "relating to the moral and psychological laws of the production and distribution of wealth" [bezogen auf die moralischen und psychologischen Gesetze von Produktion und Verteilung von Reichtum - wp]; er hat an anderer Stelle eine Lehre der menschlichen Charakterbildung, d. h. ein System von Folgesätzen aus der Psychologie als Grundlage der sozialen Wissenschaften gefordert. Und allenthalben tauchen ähnliche Forderungen auf. In Deutschland betonte die historische Schule den ethischen Charakter der Nationalökonomie. In Frankreich konstruierten die Sozialisten sich ihre eigene Psychologie. In England hat JEVONS durch die Aufnahme BENTHAMscher Gedanken über das wechselnde Spiel von Lust- und Schmerzgefühlen der politischen Ökonomie eine freilich etwas schmale psychologische Basis zu geben versucht. Und die Österreicher sind ihm in der Ausbildung der subjektiven Wertlehre hierin gefolgt; aber wie man auch über die von ihnen aufgestellten Sätze, daß jede Bedürfnisbefriedigung für bestimmte Zeit das Bedürfnis in den Hintergrund drängt, daß man mit demselben Gut Bedürfnisse verschiedener Ordnung befriedigen, also z. B. mit Getreide Menschen und Papageien ernähren kann, wie man auch über die ganze Lehre vom Grenznutzen denken mag, eine ausreichende psychologische Grundlage der Nationalökonomie ist Derartiges nicht. Ebensowenig ist sie damit geschaffen, daß man neben den Egoismus den Gemein- und Rechtssinn oder den Altruismus (nach COMTEs Benennung) setzt.

Man muß einmal eine Reihe psychologisch-volkswirtschaftlicher Spezialuntersuchungen anstellen und dann versuchen, die Lehre von den wirtschaftlichen Motiven aufgrund der Psychologie und Ethik neu zu gestalten. Anläufe dazu fehlen auch nicht. SCHÄFFLE hat versucht, die HERBARTsche Psychologie zu verwerten. BRENTANO hat die psychischen Verhältnisse der heutigen und der Arbeiter älterer Zeit untersucht. FRIEDRICH JULIUS NEUMANN hat die Mitwirkung der austeilenden und entgeltenden Gerechtigkeit bei der Preisbildung und die Art der Betätigung des Eigennutzes im Großverkehr einer fruchtbaren Analyse unterworfen. Ich darf daneben meine Untersuchung über die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft in erwähnen, die psychologisch und sozial feststellen und nachweisen will, wie die Gefühle der Gerechtigkeit sich zu festen Maßstäben verdichten und als solche zu einer konventionellen Herrschaft kommen, die volkswirtschaftlichen Einrichtungen mehr und mehr beeinflussen und in ihrem Sinn umgestalten. Auch meine Arbeiten über das kaufmännische Gesellschaftswesen haben neben dem Zweck der Untersuchung gewisser Organisationsformen den weiteren, die psychologischen Grundlagen dieser Erscheinungen klarzulegen. In meinem "Grundriß der Volkswirtschaftslehre" habe ich die massen- und die individual-psychologischen Grundlagen des wirtschaftlichen Handelns in der Einleitung systematisch darzulegen versucht. Mit Hilfe weiterer Spezialuntersuchungen und zusammenfassenden Überblicke wird man dazu gelangen, der Volkswirtschaftslehre ihr unentbehrliches psychisch-geistiges Fundament zu geben.

Dazu gehört, daß man den Erwerbstrieb neben die anderen Triebe stellt, das Wesen der niedrigen und der höheren Triebe überhaupt erörtert; man muß dem reinen Triebleben seine Stelle im System psychologischer Verursachung anweisen, zeigen, wie die Triebe sämtlich durch die Herrschaft des Intellekts und der höheren Gefühle gebändigt werden. Man muß das Verhältnis der Triebe zu den Tugenden und speziell zu den wirtschaftlichen Tugenden feststellen. Diese Fragen sind nur zu beantworten, wenn man sich über das Wesen des Sittlichen und seine Normen, über Sitte und Recht klar geworden ist. Und hierzu wieder ist nötig, sich die psychischen Vorgänge in der Gesellschaft, die Entstehung übereinstimmender Gefühle, Vorstellungen und Tendenzen des Handelns in bestimmten Kreisen, die Wirkung von Sprache, Schrift und anderen psychophysischen Mitteln, durch welche geistige Kollektivkräfte entstehen, klar zu machen. Das Studium dieser Kollektivkräfte führt dann zum Verständnis der gesellschaftlichen Kollektiverscheinungen: aus der Übereinstimmung von Gefühlen, Trieben, Meinungen und Strebungen innerhalb der einzelnen Rassen und Völker, Klassen, Gemeindeglieder gehen die sozialen und staatlichen Einrichtungen hervor. Wir kommen so zu einer Art Stufenreihe erst einfacher individueller, dann zusammengesetzter komplizierter psychisch-ethischer Ursachen, die alles soziale Geschehen erklären, die für das volkswirtschaftliche Leben ebenso maßgebend sind wie für das rechtliche, politische, kirchliche, soziale. Ihre Wirkungen sind zu einem großen Teil solche, daß sie, wie z. B. Familie, Gemeinde, Vereinswesen, Genossenschaftswesen dem wirtschaftlichen wie anderen Gebieten zugleich angehören. Auch die volkswirtschaftlich und sozialpolitisch eigentlich wichtigste Tatsache, die soziale Klassenbildung, gehört diesem Gebiet an; sie ist nie wirtschaftlich allein, sie ist nur psychologisch und im Zusammenhang mit allen gesellschaftlichen Phänomenen zu erklären. Und so ist es auch begreiflich, daß die psychologische und ethische Behandlung dieser Fragen, je mehr sie sich auf die empirischen Beobachtung stützt, in das mündet, was man heute Soziologie oder Sozialwissenschaft im allgemeinen nennt. Es ist daher, wenn man neuerdings die Nationalökonomie zu einem Teil der allgemeinen Sozialwissenschaft erklärte, im Grunde nichts anderes gemeint als die Forderung einer Basierung derselben auf psychologische, ethische, rechtsphilosophische Studien. Praktisch wurde diese Forderung auch vielfach anerkannt.

Wie AUGUSTE COMTE und HERBERT SPENCER das volkswirtschaftliche Leben nur als einen Teil des sozialen behandelten, so haben die meisten neueren Nationalökonomen - es sei nur an ALFRED MARSHALL erinnert - soziologische Elemente und Gedanken in ihre Darlegungen eingeflochten, oder sie haben wie LORENZ von STEIN, SCHÄFFLE, ADOLPH WAGNER ethische, rechtsphilosophische und soziologische Grundlegungen versucht. Und wenn ich einmal sagte, die politische Ökonomie, als Sammelbegriff für eine Reihe von Wissenschaften, wird sich umzuwandeln haben in die Sozialwissenschaft, so konnte ich nichts anderes meinen, als daß alle Staats- und Sozialwissenschaften gewisse gemeinsame Grundlagen und einheitliche Ursachen soziologischer und psychisch-ethischer Art haben. Nur unbegreiflicher Mißverstand konnte aufgrund hiervon oder ähnlicher Aussprüche gerade denjenigen, die in Vorlesungen und Schriften stets eher für eine größere Spezialisierung eingetreten sind, den Vorwurf machen, sie wollten eine Universalwissenschaft aller volkswirtschaftlichen oder sozialen Disziplinen, einen Mischmasch aller Sozialwissenschaften unter Aufhebung der Spezialwissenschaften begründen. Sie wollten das so wenig, wie etwa MILL Psychologie und Ethik mit der Nationalökonomie zusammenwerfen wollte, indem er letztere eine psychologische und ethische Wissenschaft nannte. Meine Losung war stets: Teilung der Wissenschaft in Spezialgebiete nach Stoff und Methode, genaue Untersuchung einzelner Probleme, Isolierung einzelner Gegenstände, aber Herantreten an jeden mit einer universalen, historisch-philosophischen und soziologischen Geistesbildung, die fähig ist, das Einzelne als integrierenden Teil des Ganzen zu begreifen. Dies muß umso mehr auf unserem Gebiet festgehalten werden, weil, wie HERBERT SPENCER so überzeugend nachweist, die sämtlichen psychischen Ursachen untrennbar ineinander verwachsen sind und weil alle gesellschaftlichen Erscheinungen von den sozialen Trieben an bis zu den wirtschaftlichen und politischen Institutionen hinauf in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, einheitliche Ursachen haben, während die Erscheinungen der Natur leicht in Klassen zu scheiden sind, die getrennt für sich untersucht werden können. -

Nach den vorstehenden Ausführungen werden wir auch zu der Kontroverse Stellung nehmen können, ob alle volkswirtschaftlichen Untersuchungen vom Individuum oder von den Kollektiverscheinungen auszugehen haben. Ersteres war die Losung der älteren englischen Nationalökonomie und ist neuerdings z. B. von JOHN mit Nachdruck behauptet worden, mit dem Argument, daß nur der "Einzelfall" der Beobachtung zugänglich ist. Letzteres haben die Begründer der historischen Schule häufig verlangt. Aber die Fragestellung ist falsch, wenn sie ein entweder - oder behauptet. So wenig es eine allgemeine Regel darüber gibt, ob alle Untersuchung von der Ursache oder von der Wirkung auszugehen hat, so wenig darf in unserer Wissenschaft behauptet werden, es seit stets vom Individuum oder stets von den Kollektiverscheinungen auszugehen. Wir müssen stets vom Bekannten zum Unbekannten fortschreiten und oft sind die psychischen Eigenschaften und die Handlungen der Individuen, oft die bestimmter Menschengruppen, oft sind Preiserscheinungen, Änderungen der wirtschaftlichen Zustände, der Verfassung, oft andere gesellschaftliche Massenerscheinungen das zuerst sicher Beobachtete, von dem man dann wieder rückwärts zu den Ursachen, vorwärts zu den weiteren Wirkungen geht. Selbst wenn wir zugeben, daß zunächst stets der Einzelfall zu beobachten ist, wäre zu bestreiten, daß menschliche Individuen stets ein solcher sind; auch der Mensch ist ein zusammengesetztes Ganzes, und Gruppen von Menschen, die in Übereinstimmung handeln, stellen sich auf dem Schlachtfeld, auf dem Markt, in den sozialen und politischen Kämpfen als "Einzelfälle" dar. Alles Einzelne ist ja bei näherer Betrachtung unendlich zusammengesetzt, und ein Einzelfall ist stets das, was unsere aussondernde Beobachtung durch unseren Denkprozeß als ein Ganzes betrachtet. -

Zu der obigen Behauptung vom regelmäßigen Zusammenwirken so vieler Ursachen haben wir ferner folgende Anmerkung beizufügen, um nicht mißverstanden zu werden. So vorteilhaft es für den Forscher ist, wenn er möglichst alle mitspielenden Ursachen kennt und überschaut, so wird doch nicht in jener Einzeluntersuchung auf alle einzugehen sein. Wir können bei vielen Spezialfragen volkswirtschaftlicher Art ohne weiteres gewisse natürliche Komplexe von Ursachen, eine bestimmte Rechtsordnung und Klassenbildung, auch bestimmte psychologische Typen voraussetzen und nun untersuchen, wie letztere unter allen diesen Voraussetzungen in bestimmten Fällen und deren Modifikationen handeln. Man kann z. B., wenn von Westeuropa und seinen heutigen Großkaufleuten die Rede ist, ohne weiteres voraussetzen, daß diese Leute im Durchschnitt handeln, als Klasse, an der Börse und auf dem Markt unter der Herrschaft eines Erwerbstriebes, wie er in einer konkreten Schilderung definiert und beschrieben wurde. Damit wird freilich nicht vorausgesetzt, wie MILL meint, alle Handlungen aller Menschen fließen allein aus ihrem Verlangen nach Reichtum. Es wird nicht, wie RAU will, vorausgesetzt, daß das Verhältnis der Menschen zu den sachlichen Gütern ein unwandelbares ist. Auch darüber wird man streiten können, ob es als Hypothese des privatwirtschaftlichen Systems berechtigt ist zu sagen (wie ADOLPH WAGNER es 1876 formulierte): "Unvermeidlich muß dabei das Selbstinteresse, das Streben nach Vermögen als eine konstante, selbst ganz gleichbleibende und immer ganz gleich wirksame, also als eine absolute Größe und Kraft in allen verkehrenden Personen angesehen werden." Ich glaube, man kommt so gar zu leicht zu falschen Schlüssen; nur bestimmte Menschen haben durchschnittlich zu bestimmter Zeit einen bestimmten Erwerbstrieb, die Großkaufleute einen anderen als die Krämer, diese als die Bauern, Handwerker und Arbeiter; selbst innerhalb derselben Klasse bestehen große Unterschiede: unter den zahlreichen Bankdirektoren, Kaufleuten, Spekulanten, welche 1892 vor der deutschen Börsen-Enquete-Kommission vernommen wurden, zeigten sich bei unzweifelhafter Übereinstimmung in gewissen Grundzügen doch erhebliche Abstufungen in dem, was die verschiedenen Gruppen der Vornehmeren und Feinfühligen und der Rücksichtslosen als den natürlichen und berechtigten Erwerbstrieb, als die selbstverständliche Ursache des geschäftlichen Handelns ansahen. Jede Art und Abstufung des Erwerbstriebes ist so zu erklären als das Gesamtergebnis bestimmter Gefühle, Sitten und Rechtsgewohnheiten, die man als Klasseneigenschaft oder als Eigenschaft bestimmter Völker und Klassen kennen und beschreiben muß. Alle Schlüsse aus dieser Eigenschaft reichen so weit, wie gleiche oder nahezu gleiche und ähnliche Menschen nachweisbar sind. Da diese aber in der Regel nachweisbar sind, so sind die Schlüsse ganz berechtigt, welche davon absehen, daß in einzelnen Fällen andere Motive mitspielen, daß kleine Modifikationen des geschilderten psychologischen Typus vorkommen. Man kann größere, kompliziertere Erscheinungen meist nur unter Ignorierung der Nebenursachen und mitspielenden Nebenbedingungen untersuchen, muß sich auf die Hauptursachen konzentrieren. -

Wir müssen ferner noch mit einigen Worten auf den Gegensatz der natürlichen und der psychischen Ursachen des wirtschaftlichen Geschehens zurückkommen. Die ersteren wirken mechanisch, die letzteren nach den Gesetzen psychischer Motivation. Im einen wie im anderen Fall nehmen wir eine strenge Kausalität an, sonst wäre keine Wissenschaft von der Gesellschaft und der Volkswirtschaft denkbar, wie es keine Erziehung und keinen Fortschritt außerhalb der Annahme gibt, daß durch bestimmte psychische Faktoren bestimmte Wirkungen erzielt werden. Die unendliche Kompliziertheit aber allen psychischen Geschehens, das Geheimnis, mit dem uns die Wirksamkeit großer Männer entgegentritt, das Gefühl der Freiheit, das von all unserem Handeln untrennbar ist, das Dunkel, das noch über den spontanen Willensakten herrscht, die uns so häufig ebenso als Produkte der Vergangenheit wie als neue Kraftzentren und Ausgangspunkte einer höheren Entwicklung erscheinen, hat es notwendig zur Folge gehabt, daß bis heute die Deterministen und die Verteidiger der Willensfreiheit in den verschiedensten Abstufungen einander gegenüberstehen. Der Raum verbietet uns, auf diese Streitfrage hier einzugehen. Wir können also nur sagen, außerhalb des allgemeinen Gesetzes der zureichenden Ursachen gibt es keine Wissenschaft, auch nicht auf dem Gebiet des geistigen Lebens. Aber die Ursachen der psychischen Vorgänge sind wesentlich andere als die der mechanischen: ihre letzten Prinzipien sind noch so wenig erklärt, daß die praktischen Wissenschaften wie die Volkswirtschaftslehre, diese Kontroverse der Ethik und Psychologie überlassend, ihren Weg der psychologischen Und Detailuntersuchung unbeirrt hiervon fortsetzen müssen, nebeneinander die Durchschnittsmenschen wie die außergewöhnlichen in ihrem Wesen, in ihrer Bedingtheit und in ihren Wirkungen untersuchend.

Daß von den beiden Hauptgruppen von Ursachen bald die der physischen und biologischen, bald die der psychischen je nach dem Gegenstand der Untersuchungen mehr in den Vordergrund tritt, ist klar. Es ist vielleicht etwas schablonenhaft und einseitig, wenn MILL einmal den Gegensatz so formulierte, die Produktion der Volkswirtschaft hängt von den natürlichen, die Verteilung von den moralischen Ursachen ab; jedenfalls ist auch die Produkton von den ethischen Faktoren des Fleisses, der Arbeitsamkeit, der Unternehmungslust, vom Fortschritt unserer Kenntnisse und Ähnlichem abhängig. Ich möchte daher lieber sagen, je höher die Kultur steigt, desto wichtiger würden die psychisch-ethischen Ursachen, und die Unvollkommenheit der älteren Nationalökonomie hänge damit zusammen, daß sie diese größere und wichtigere Hälfte der Ursachen vernachlässigt hat. WUNDT meint, wo er vom steigenden Einfluß der sozialen Ethik auf die Gesellschaftswissenschaften und auf den Zustand der Gesellschaft spricht, dieselbe werde in der Lehre von Recht und Staat schon voll anerkannt, in der Nationalökonomie bereite sich der Umschwung erst allmählich vor, werden aber umso gewaltiger in seinen Wirkungen sein. Er meint damit offenbar, die Wissenschaft und das Leben werde künftig stärkeren ethischen Einflüssen unterliegen. Eine Art Umkehr dieses Gedankenganges ist es, wenn man mit MARX alle höhere geistige Kultur, alles politische religiöse Leben aus der Gestaltung des wirtschaftlich-technischen Produktionsprozesses ableiten, z. B. das Christentum oder die Reformation aus bestimmten wirtschaftlichen Zuständen erklären will. Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Lebensgebieten wird man nicht leugnen, wohl aber die Möglichkeit einer erschöpfenden Kausalerklärung dieser Art. Es ist erstaunlich, wie weit über die Kreise des sozialistischen Denkens hinaus diese grob materialistische, auch schon von JOHN STUART MILL mit durchschlagenden Gründen in seiner Logik bekämpften Gedankenrichtung Anhänger gefunden hat. Sie steht methodisch kaum viel höher als die Verirrungen BUCKLEs und seiner Nachfolger, die aus Nahrung, Stand der Sonne und ähnlichen Faktoren die psychischen Eigenschaften der Menschen und die Gesellschaftsverfassung glaubten direkt ableiten zu können.

Als eine andere Verirrung muß es bezeichnet werden, wenn überhaupt nicht die Frage nach Ursachen, sondern die nach Axiomen und letzten Elementen den Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Erörterung bilden soll. Die Analogie mit der Mathematik und Geometrie hat dazu verführt; man wollte, wie diese Wissenschaft, einige wenige einfache Prämissen haben und aus ihnen deduzieren. In England haben SENIOR, CAIRNESS und andere solche oberste  propositions  aufgestellt, ersterer bekanntlich vier Sätze, die er aber aus Erfahrung und Bewußtsein ableitet, Sätze, die wenigstens allgemeine Urteile über Kausalverhältnisse, über wirtschaftliches Handeln, Bevölkerungszunahme, Wirkung des Kapitals und Beschränktheit der landwirtschaftlichen Produktion enthalten. Ihre deutschen Nachfolger, hauptsächlich KARL MENGER und SAX, drücken sich viel dunkler aus: ersterer behauptet, seine letzten einfachen Elemente seien zum Teil durch eine empirisch-realistische Analyse gewonnen, also müssen sie zum anderen Teil doch wohl aprioristisch sein; er gebraucht das Wort "aprioristische Axiome", läßt aber nicht ganz deutlich erkennen, ob sie identisch sind mit seinen letzten Elementen und Faktoren. Als solche bezeichnet er die Bedürfnisse und das Streben nach vollständiger Befriedigung derselben. SAX nennt an einer Stelle als solche Egoismus, Mutualismus, Altruismus, an anderer Bedürfnisgefühle, Güter, Arbeit. Es handelt sich also hier um möglichst abstrakte Allgemeinbegriffe, über deren Kausalwirkung nicht einmal etwas Konkretes ausgesagt wird. Sie sind alles eher als Axiome, d. h. von selbst jedem Menschen einleuchtende Wahrheiten. Es sind jedenfalls keine kausalen Urteile, die allein die Basis einer Wissenschaft von realen Dingen bilden können. Die übrige deutsche Wissenschaft (z. B. LESER, NEUMANN und ich) hat daher derartige Gedanken auch durchaus abgelehnt und selbst ein Verehrer von MENGER, wie ADOLPH WAGNER, hat sich nirgends in dieser entscheidenden Grundthese mit ihm identifiziert.

Vielleicht der gelungendste Versuch, ein einheitliches Prinzip, eine einheitliche Kraft als ausschließliche Ursache an die Spitze zu stellen, ist der von HEINRICH DIETZEL, der aus dem wirtschaftlichen Zweckstreben des Menschen nach stofflichen Gütern, das ohne weiteres mit dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit im Handeln identifiziert wird, eine abstrakte Sozialwirtschaftstheorie - im Gegensatz zur konkreten Volkswirtschaftslehre - abzuleiten verspricht, freilich nicht wirklich diese Ableitung vollzogen hat. Aber entweder ist damit nur gemeint, man könne bei einzelnen Preisuntersuchungen von gewissen Ursachen, die in zweiter Linie stehen, absehen und könne eine bestimmte Art der sozialen Klassenbildung, der Rechtsordnung, der Tauschgesellschaft ohne Spezialuntersuchung als gegeben voraussetzen; dann ist damit nur die Zulässigkeit eines methodologischen Kunstgriffs behauptet, gegen den niemand etwas einzuwenden hat, sofern er richtig und geschickt ausgeführt wird, sofern nicht durch eine Ignorierung des Wesentlichen Karikaturen der Wirklichkeit der Untersuchung zugrunde gelegt werden. Oder es ist die Meinung, mit dem vieldeutigen Begriff der Wirtschaftlichkeit, der in Summa nichts anderes heißt als rationales Handeln, sei eine einheitliche, klare Ursache alles volkswirtschaftlichen Handelns und Geschehens aufgestellt, aus der die Klassenbildung und Rechtsordnung sowie alle Produktion und aller Tauschverkehr abgeleitet werden kann. Dann handelt es sich auch bei DIETZEL um einen schiefen Rettungsversuch der älteren abstrakten Theorien, um eine Verwechslung von Axiom und Ursache, um eine Verkennung der wirklichen Ursachen wirtschaftlichen Handelns, um einen falschen Analogieschluß aus Mathematik und Begriffsjurisprudenz. Diese Wissenschaften deduzieren aus wenigen einheitlichen logischen Prämissen; die Volkswirtschaftslehre will, wie jede Wissenschaft von realen Dingen, aus Ursachen erklären; sie kann stellenweise die Hauptursachen allein berücksichtigen, die Nebenursachen beiseite lassen, aber nie darf sie Ursache und logischen Grund verwechseln.

Die von HERMANN HEINRICH GOSSEN, WALRAS, LAUNHARDT, JEVONS, neuerdings von R. AUSPITZ und R. LIEBEN gemachten Versuche, eine mathematische Volkswirtschaftslehre zu begründen, fallen mit der Ableitung der Preisgesetze aus Axiomen oder letzten Elementen insofern zusammen, als es sich dabei stets darum handelt, mit Hilfe von graphischen Darstellungen, algebraischen Formeln und Schlußreihen die Größenverhältnisse von Angebot und Nachfrage präzise darzustellen und aus möglichst einfachen Prämissen die Schlüsse in mathematischer Form zu ziehen. Man wird nicht leugnen können, daß in dieser Form die Ergebnisse der abstrakten Theorie sauber und präzise dargestellt werden können, daß das Schlußverfahren oft ein sichereres ist als bei gewöhnlicher Darstellung, daß die Anschaulichkeit gewisser Vorgänge dadurch erhöht wird, wenigstens für den mathematisch geschulten Kopf. Neue bemerkenswerte Ergebnisse und Wahrheiten hat diese ganze Methode aber nicht geliefert. Sie beruth, wenn sie mehr sein will als eine eigentümliche Art der Jllustration von Bekanntem, auf einer Verkennung der Natur volkswirtschaftlicher Erscheinungen und ihrer Ursachen. Die Konstruktionen und Formeln verwenden Elemente, die alle in Wirklichkeit nicht bestimmbar, einer Messung nicht fähig sind, und erwecken durch die Einsetzung von fiktiven Größen für psychische Ursachen und unmeßbare Marktverhältnisse den Schein einer Exaktheit, die nicht besteht.

 12. Die induktive und die deduktive Methode Wie kommen wir nun aber zur Erkenntnis der einzelnen Ursachen? Wenn  B  dem  A  regelmäßig im Gang der Erscheinungen folgt, so verknüpfen sie sich als Ideenassoziation in unserer Einbildungskraft: sobald ich etwas Gleiches oder Ähnliches wie  B  sehe, denke ich an  A,  forsche nach, ob es vorhanden war. Und wenn ich eine Reihe solcher Sequenzen richtigt beobachtet habe, so nötigt mich ein "mächtiger, überall wirksamer Trieb zur Generalisation", wie SIGWART sagt, die Verbindung für eine konstante zu halten; und wenn ich zur festen Überzeugung von einem gleichmäßigen Gang der Erscheinungen gelangt bin, so erkläre ich  A  für die Ursache von  B,  sobald ich  A  und zwar  A  allein für das unbedingte und notwendige Antecedens [Vorhergehende - wp]halte. Natürlich ist dabei die innere Zusammengehörigkeit, für die Tatsache, daß, wie HÖFFDING sagt,  A  und  B  Glieder desselben Prozesses, Teile derselben Totalität sind. Das Kausalprinzip geht so nach HÖFFDING auf das Prinzip der Identität zurück. Das immer und notwendig in der Folge Verbundene behandeln wir als Ursache und Wirkung. Unser Geist ist beruhigt, wenn er die einzelne Erfahrung als den Fall einer allgemeinen Regel ansehen kann; er muß sich stets solche Regeln konstruieren, die in dem Maße wahrer werden, wie sie auf einer vollendeteren Beobachtung ruhen und wie sie sich weiter angewendet in der aufgestellten Form und Begrenzung immer wieder als wahr herausstellen.

Dies nennen wir das induktive Verfahren; es geht vom Einzelnen aus, von der Beobachtung und sucht dazu die Regel, die das Beobachtete erklärt, die von einer Klasse von Erscheinungen das für wahr erklärt, was von den beobachteten Fällen wahr ist. Je komplizierter eine Erscheinung ist und je unvollkommener noch unsere Beobachtung zumals solcher komplizierter Gegenstände welche von einer Summe der verschiedenartigsten Ursachen abhängen, desto schwieriger ist das Geschäft, die rechte Regel zu finden, desto häufiger kommen wir nur zu Hypothesen, zu vorläufigen Vermutungen über die Regelmäßigkeit der Folge. Aber auch sie verwenden wir nun zu weiteren Schlüssen.

In der weiteren Verwendung der durch Induktion gewonnenen Regeln über Kausalverhältnisse besteht die Deduktion, die auf demselben Trieb, demselben Glauben, demselben Bedürfnis unseres Verstandes beruth wie die Induktion. Was wahr in den richtig beobachteten Fällen war, muß wahr in allen ganz gleichen Fällen sein: die Regel wurde nur gesucht, um sie weiter anzuwenden; jede Regel sagt über eine Klasse von Subjekten ein Prädikat, ein Handeln, eine Eigenschaft aus; aus der Analyse des Subjekt- und Prädikatbegriffs ergibt sich, was in der betreffenden Regel enthalten ist, wohin sie paßt, welche Fälle ihr unterstehen, was sie erklären kann.

Es ist klar, daß das Ziel aller Wissenschaft die Gewinnung solcher Regeln ist; über je mehr sie verfügt, desto besser. Jeder, selbst der kleinste Schritt unseres Denkens, ist kontrolliert von den feststehenden Wahrheiten und Regeln, über die wir verfügen, verknüpft sich mit Folgerungen aus ihnen. Alle Beobachtung und Beschreibung und alle neue Induktion ruht mit auf der Anwendung des gesicherten Wissens, und jeder neuen nicht erklärten Beobachtung gegenüber ist es unser Erstes, daß wir eine Anzahl Obersätze, Regeln, Wahrheiten, die wir im Kopf haben, spielend probieren, ob sie das Problem erklären. Große Fortschritte werden so in jeder Wissenschaft gemacht. Auch die letzte Probe jedes induktiv gewonnenen Satzes liegt darin, daß er sich bei steter deduktiver Verwendung immer wieder als wahr herausstellt.

Daraus ergibt sich, wie eng verbunden Induktion und Deduktion sind. Das Schlußverfahren, das der Induktion zugrunde liegt, ist, wie JEVONS, SIGWART und WUNDT gezeigt haben, nichts anderes als die Umkehrung des in der Deduktion verwendeten Syllogismus. Seit Jahren pflege ich den Studierenden zu sagen, wie der rechte und der linke Fuß zum Gehen, so gehören Induktion und Deduktion gleichermaßen zum wissenschaftlichen Denken. Ich habe stets betont, daß, wenn wir schon alle Wahrheit besäßen, wir nur deduktiv verfahren würden, daß aller Fortschritt der Induktion uns deduktiv verwertbare Sätze bringt, daß die vollendetsten Wissenschaften am meisten deduktiv sind. Wenn daher neuerdings mehrfach behauptet wurde, diejenigen, welche heute im Gegensatz zu MILL, CAIRNESS und MENGER die stärkere Benutzung der Induktion verlangten, wollten alle Deduktion ausschließen, so ist das weder für mich noch für irgendeinen anderen, der eine klare Vorstellung über die Methoden der Logik hat, zutreffend. Der in der Literatur über Gebühr aufgebauschte Streit dreht sich nur darum, in welchem Maß die Deduktion in der Volkswirtschaftslehre ausreicht, wie weit unsere Wissenschaft schon ist, welchen Schatz wahrer Kausalurteile sie schon besitzt oder aus anderen Wissenschaften hauptsächlich aus der Psychologie entlehnen kann. Wer die politische Ökonomie für eine nahezu fertige hält, wie die englischen Epigonen [Nachfolger - wp] ADAM SMITHs, für den ist sie natürlich eine rein deduktive Wisesnschaft. BUCKLE in seiner selbstzufriedenen Aufgeblasenheit erklärte: Die politische Ökonomie ist so wesentlich eine deduktive Wissenschaft wie die Geometrie. Überraschend ist nur, wenn Leute, die die geringe Ausbildung unserer Wissenschaft einsehen, ähnlich sprechen. Sie denken dann ausschließlich an die einfacheren Probleme und an die ausgebildeten Teile unserer Wissenschaft, an die Tausch-, Wert- und Geldlehre, wo die Deduktion aus einer oder einigen psychischen Prämissen die Haupterscheinung erklären kann. Wer die komplizierten Phänomene studiert, z. B. nur die sozialen Fragen, der wird klar erkennen, wie sehr er hier noch der Induktion bedarf. Am einfachsten ist der heute herrschende Streit zwischen den sogenannten Anhängern der Deduktion und denen der Induktion aus der Geschichte unserer Wissenschaft zu erklären. Es war natürlich, daß man im 18. Jahrhundert zunächst versuchte, von einzelnen beschränkten Erfahrungen und unter Zuhilfenahme anerkannter psychologischer Tatsachen deduktiv soweit wie möglich zu kommen; jede jugendliche Wissenschaft verfährt zunächst so; erst nach und nach konnte die Erkenntnis der unzureichenden Voraussetzungen sich Bahn brechen; und erst als man das Falsche oder Schiefe der voreiligen Generalisationen einsah, konnte die Forderung einer umfassenderen Anwendung der Induktion entstehen. Oder vielmehr die Forderung einer umfassenderen und strengeren Beobachtung und Beschreibung, wie sie für Induktion und Deduktion gleich notwendig ist.

Je nach persönlicher Anlage und Studium, je nach den behandelten Problemen und Fragen, nach dem engeren oder weiteren Umkreis, auf den sich die untersuchten Gegenstände erstrecken, stellen sich die einzelnen Forscher auf die eine oder die andere, auf die Seite der alten oder der neuen Richtung oder suchen zwischen beiden zu vermitteln. In eigentümlich widerstreitender und daher Verwirrung stiftender Weise hat letzteres schon JOHN STUART MILL getan, aus den sich daher die entgegengesetzten Parteien gleichmäßig berufen können. Der feine, selten scharfsinnige und gebildete, aber ebenso anpassungsfähige und schwankende, sich so häufig um die ganze Windrose drehende Geist hatte als 20 - 23jähriger, ganz von der abstrakten und radikalen Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts und des unhistorischen BENTHAM erfüllt, welt- und geschäftsunkundig die Losung ausgegeben, die Nationalökonomie sei eine rein deduktive Wissenschaft, weil sie keine Experiment machen und aus dem Wunsch nach Reichtum ihre wesentlichen Sätze als hypothetische Wahrheiten ableiten kann. Wenige Jahre nachher lernte er AUGUSTE COMTE kennen, der nur eine historische und induktive Behandlung zulassen will. Auch sonst drangen die Ideen des 19. Jahrhunderts, wie er es selbst nennt, mehr und mehr auf ihn ein und modelten alle seine Vorstellungen trotz seines Widerstrebens nach und nach um, und in seinen Hauptschriften, hauptsächlich in seiner Logik, ist nun eine wunderbare Mischung von gänzlich widersprechenden Thesen über die Methode der Nationalökonomie und der Sozialwissenschaften. JEVONS urteilt kaum zu hart, wenn er sagt, in jedem Hauptpunkt habe er drei bis sechs miteinander unverträgliche Meinungen zur selben Zeit. Seine ursprünglichen Anschauungen liegen aber immer noch am auffälligsten zutage, und an sie halten sich heute noch wesentlich seine deutschen Verehrer, welche glauben, die Deduktion gegen die Invasion der induktiven Schule verteidigen zu müssen.

Nachdem er gegen BENTHAMs Interessenphilosophie mit dem Satz polemisiert, es sei unphilosophisch, aus einigen wenigen von den Agentien, durch welche die Phänomene bestimmt werden, eine Wissenschaft aufzubauen, man müsse alle Einwirkungen in den Bereich der Wissenschaft zu bringen versuchen, lehrt er wenige Seiten nachher, die Handlungen in Bezug auf die Produktion und Verteilung wirtschaftlicher Güter seien hauptsächlich durch das Verlangen nach Reichtum bestimmt und auf dieser These baue sich daher die besondere Wissenschaft der Nationalökonomie auf. Freilich muß er gleich beifügen, eine Reihe anderer Ursachen müsse man eben in einigen der schlagendsten Fälle an den betreffenden Stellen der Nationalökonomie selbst einschalten, so die Scheu vor der Arbeit, das Verlangen nach kostspieligen Genüssen, die Ursachen der Bevölkerungsbewegung; der praktischen Nützlichkeit wegen müsse man überhaupt von der Strenge der wissenschaftlichen Anordnung in der Nationalökonomie abstehen. An anderer Stelle fügt er bei, was von einem Engländer gelte, lasse sich natürlich nicht von einem Franzosen behaupten, und wo er vom Nationalcharakter verschiedener Völker spricht, erklärt er, sofern dieser eine Rolle spielt, sei eine separate Wissenschaft (wie die Nationalökonomie) nicht angezeigt, da müßte die allgemeine Gesellschaftswissenschaft eintreten, welche alle Umstände erörtert, die ein Volk beeinflussen; es gelte dies vor allem in Bezug auf die Regierungsform. Aber sollte es sich in Bezug auf die Frage der wirtschaftlichen Verfassung nicht ähnlich verhalten?

Die Auseinandersetzung, daß es keine wahre Induktion gibt, wo es sich wie bei der Volkswirtschaft um komplizierte Ursachen und Wirkungen handelt, wiederholt er öfter; er sucht sie mit einem groben Beispiel zu beweisen, daß die generelle Untersuchung, ob ein Schutzzollsystem ein Land reich macht, ergebnislos ist; er übersieht nur, daß seine Fragestellung falsch, d. h. zu allgemein ist; spezialisiertere Untersuchungen wie die SERINGs über die deutschen Eisenzölle, SOMBARTs über die italienische Handelspolitik und manche ähnliche neuere Arbeiten zeigen, daß auf das Einzelne richtig eingehende Arbeiten uns ziemlich sicher lehren, wo Schutzzölle wohlstandhebend wirken. Natürlich bleibt es daneben wahr, daß die Induktion schwieriger wird, je komplizierter der Gegenstand ist, daß der Mangel an Experimenten ein Nachteil ist. Aber mit Recht hat KEYNES neuerdings darauf hingewiesen, daß auch im Wirtschaftsleben teils direkt durch Verwaltung und Regierung experimentiert wird, teils indirekt durch verschiedene Ereignisse innerhalb sonst gleicher Zustände etwas dem Experiment Ähnliches zu beschaffen ist. Außerdem aber verkennt MILL, wo er die Möglichkeit der Induktion leugnet, daß die möglichst spezialisierte Beobachtung einer immer größeren Zahl von Fällen und die Vergleichung derselben oder ähnlicher Erscheinungen immer einen Ersatz des Experiments bildet, nur viel langsamer und umständlicher zum Ziel führt. Und an anderer Stelle gibt er dies auch wieder zu. Er betont mit Nachdruck, daß seine deduktive Methode auf einer vorausgehenden Induktion beruth und nachher der verifizierenden Induktion bedarf. Wenn er auseinandersetzt, daß in den Gesellschaftswissenschaften annähernde Generalisationen (z. B. "die meisten Menschen eines Landes, einer Klasse, eines Alters haben die oder jene Eigenschaften") ausreichen, so sind solche nach ihm selbst durch hinreichende Induktionen gewonnen. Bei der Erörterung der sogenannten umgekehrt deduktiven oder historischen Methode, die er von COMTE übernimmt, die nichts wesentlich anderes ist als Induktion, gibt er zu, daß man die Gesamtzustände eines Volkes beobachten und schildern und daraus Regeln über Koexistenz und Folge ableiten kann, deren letzte Erklärung man dann allerdings wieder psychologisch versuchen muß. Seine Lehren von der falschen Induktion, von der falschen Analogie und Ähnliches sind beherzigenswerte Anweisungen, wie man die Induktion nicht gebrauchen darf, aber sie beweisen nicht, daß die übertreibenden Zitate aus seinen Jugendschriften, welche er in Bezug auf die ausschließliche Berechtigung der Deduktion für die Nationalökonomie in der Logik stehen ließ, noch berechtigt waren.

Eine Hauptstütze endlich seiner Vorliebe für die Deduktion, der Satz, daß alle psychischen Phänomene auch in ihrer Massenwirkung aus der individuellen Psychologie abzuleiten sind, ist nur zum Teil wahr. Gewiß ist das Individuum stets der Ausgangspunkt der psychologischen Untersuchung. Aber das Zusammen- und Gegeneinanderwirken der psychischen Strebungen gleicher und verschiedener Menschen ist eine Sache für sich, die sich nicht durch ein Addieren und Subtrahieren der Kräfte abmachen läßt. Mit Recht sagt RÜMELIN: "Der Gesamteffekt vieler Individualkräfte ist nicht wie in der Mechanik eine Summe oder ein Produkt." Jeder weiß, wie die psychischen Kräfte durch das Bewußtsein der Übereinstimmung in viel stärkerer Progression wachsen, als der Zahl der Bekenner entspräche, wie 20 Versammlungen von je 50 verständigen Leuten, die getrennt Verständiges beschließen, in eine Versammlung vereinigt, so leicht zu unverständigen Ergebnissen kommen, wie jede Mehrheit von Willen sich teils steigert, teils neutralisiert. Kurz: so wahr der Satz ist, daß eine bereits vollendete individuelle und Massenpsychologie der Nationalökonomie die Möglichkeit bietet, sich überwiegend der Deduktion zu bedienen, so wenig reichen beim jetzigen Zustand der Psychologie die vorhandenen Wahrheiten aus: sie sind erst zu finden und zwar teilweise mit Hilfe psychologisch-volkswirtschaftlicher Induktionen.

Die Auffassung MILLs in Bezug auf diese Fragen hängt endlich zusammen mit einem schiefen Bild, das ihm in seiner Jugend kam, als sein Vater und MACAULAY sich über politische Dinge stritten und der Sohn beklemmt von diesem Konflikt nach einem Ausweg suchte. Er kam zu dem Schluß, sein radikal doktrinärer Vater wollte gesellschaftliche Fragen geometrisch behandeln, der historisch auf die Erfahrung sich berufende MACAULAY aber behandle sie chemisch, d. h. er behauptet, daß sich aus der Verbindung zweier Ursachen gesellschaftliche Folgen ganz neuer Art ergeben, wie in der Chemie aus zwei Elementen ein neuer Stoff entsteht, dessen Eigenschaften mit denen der Elemente nichts zu tun haben. Beides ist falsch; man müsse nicht geometrisch oder chemisch, sondern physikalisch verfahren. Und an diesem schiefen Bild von der chemischen und physikalischen Methode der Gesellschaftswissenschaften hat er nicht bloß zeitlebens festgehalten, sondern er hat auch den kühnen Satz beigefügt, die Leute, welche über Politik urteilen, würden nicht so oft irren, wenn sie besser mit den Methoden der physikalischen Forschung vertraut wären. Daß ausschließlich mathematisch-wissenschaftliche Studien in der Regel zum politisch-volkswirtschaftlichen Urteilen verunfähigen, ist für mich zumindest eine Lebenserfahrung, die außerhalb allen Zweifels steht, die in der Verschiedenheit der zu beobachtenden Erscheinungen der Methoden und der vorwiegenden Denkgewohnheiten ihre einfache Ursache hat.

 13. Die Regelmäßigkeiten und die Gesetze. Der unabänderlich gleichmäßige Verlauf der Natur im Großen, die Wiederkehr von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, von Mond und Sternen, wie die Wiederkehr von Hunger und Durst, von Wachen und Schlafen, von Jugend und Alter ist es ohne Zweifel gewesen, welche in der menschlichen Seele das Erinnerungsvermögen bilden half, welche die Menschen zum Vergleichen und Unterscheiden hinleitete und schließlich zur Erforschung der Ursachen dieser Regelmäßigkeiten hinführte, wie ja auch dieser feste und rhythmische Gang der sich wiederholenden Naturerscheinungen für den Menschen zum Anlaß wurde, stets wieder zu gleicher Zeit dasselbe zu tun, die Stunden des Tages und die Tage des Jahres planvoll einzuteilen, das Leben danach systematisch zu ordnen.

Auch die Wissenschaft der Volkswirtschaftslehre heftete sich zuerst an die Konstatierung der Wiederkehr gleicher Erscheinungen. Man bemerkte dieselbe Hauswirtschaft, denselben Güteraustausch, die gleiche Einrichtung des Geldes, dieselbe Arbeitsteilung, dieselben wirtschaftlichen Klassen, das gleiche Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitern, man entdeckte dieselbe Wiederholung von Preisbewegungen, dieselben Wirkungen guten und schlechten Geldes, reicher und armer Ernten, dieselben Regelmäßigkeiten in den Zahlen der Geburten, der Sterbefälle, der Ehen. Und je mehr ein noch wenig geschulter Verstand schon das Ähnliche für gleich hält, desto mehr war man zunächst geneigt, überwiegend auf die gröberen Übereinstimmungen und Regelmäßigkeiten zu achen, sie zu registrieren und so in einer beschränkten Summe sich regelmäßig begleitender oder sich regelmäßig folgender Erscheinungen das Wesen der Wissenschaft zu sehen. Die Zusammenstellung einiger typischen Formen gesellschaftlicher Organisation und gesellschaftlichen Verkehrs nebst den regelmäßigen Veränderungen und Bewegungen innerhalb dieser Formen, all das abstrahiert aus den westeuropäischen, hauptsächlich englisch-französischen Zuständen von 1750 - 1850, das war der Gegenstand der älteren Volkswirtschaftslehre. Die Formen erklärte man nicht näher, sondern nahm sie als gegeben und selbstverständlich an, man bildete sich ein, sie seien als eine direkte Folge der menschlichen Natur stets vorhanden gewesen und bei allen Völkern zu treffen. Was man aus Ursachen erklären wollte, war wesentlich die Preisbildung und die Einkommensverteilung zwischen Grundeigentümern, Kapitalisten (man dachte bei diesem Wort wesentlich an die Klasse der Unternehmer) und Arbeitern. Und die Regeln, die man aus der angeblichen allgemeinen Menschennatur über Preisbildung und Einkommensverteilung abgeleitet hatte, nannte man Gesetze, man sprach vom Gesetz von Angebot und Nachfrage, vom Gesetz, daß bei freiem Wettbewerb die Preise nach den Kosten gravitieren, vom Gesetz der Grundrente, vom ehernen Lohngesetz, ja von den unzähligen Naturgesetzen der Volkswirtschaft; und bald darauf nannte man jede Regelmäßigkeit von Zahlen, welche die Statistik ergab, ein statistisches Gesetz, z. B. die Tatsache, daß auf 16 Mädchen 17 Knaben geboren werden, daß von 100 geborenen Menschen regelmäßig bestimmte Teile in dem und dem Alter sterben. Aus der Beobachtung abstrahierte ADOLPH WAGNER "das Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatstätigkeit", und die utopischen Schilderungen einer sozialistischen Zukunft mit zinslosem Kredit für jedermann nannte HERTZKA "die Gesetze der sozialen Entwicklung".

Es ist klar, was man mit diesem etwas lockeren Sprachgebrauch bezweckte, man wollte nachdrücklich damit die Notwendigkeit des Eintretens und der Wiederholung gewisser Ereignisse und Folgen betonen; teilweise schob sich daneben, wie z. B. bei ROSCHER und KNIES, die Vorstellung unter, es handle sich um vom menschlichen Willen unabhängige Vorgänge, also um Naturgesetze im engeren Sinne im Gegensatz zur psychischen Kausalität oder zur Willensfreiheit; teilweise waltete offenbar auch die Anschauung vor, man müsse speziell diejenigen durch Ursachen erklärbaren Regelmäßigkeiten als Gesetze bezeichnen, bei welchen es sich im Resultat um meßbare und zählbare Quantitäten handelt. Jedenfalls war der Mehrzahl derer, die von "unzähligen Gesetzen der Volkswirtschaft sprachen, der strengere Sprachgebrauch, wie er sich in der Logik ausgebildet hatte, nicht bekannt: man freute sich, dutzendweise die Gesetze auf dem Weg auflesen zu können, bedachte nicht, daß auch in den heute vollendetsten Wissenschaften nur wenige wirkliche Gesetze bis jetzt entdeckt wurden, daß jede solche Entdeckung als eine seltene epochemachende Tat gefeiert wurde.

Freilich ist es in gewissem Sinne nur eine Sache der Konvention, ob man die Konstatierung immer gleicher Eigenschaften und Merkmale, die Wiederholung bestimmter Regelmäßigkeiten und Formen ein Gesetz nennen will, ob man jeden vermuteten oder nachgewiesenen Kausalzusammenhang so heißt oder nur den, dessen kausale Kräfte eine zahlenmäßige Messung ihrer Wirksamkeit gestatten. Aber sowohl im Interesse eines festen Sprachgebrauchs und des Anschlusses an die heutige Logik und Wissenschaftslehre überhaupt als im Interesse klarer Vorstellungen über das Wesen volkswirtschaftlicher Kausalität und Notwendigkeit ist es doch besser, diesen lockeren und verschwimmenden Sprachgebrauch aufzugeben. Man hängt durch das Mäntelchen des "Gesetzes" Behauptungen einen Schein der Notwendigkeit um, den sie nicht besitzen oder gibt niederiger stehenden Wahrheiten den Rang höherer und täuscht dadurch denjenigen, der sie weiter anwendet.

Allerdings ist nun die heutige Wissenschaftslehre auch nicht ganz einig über die Frage, was ein Gesetz im strengen Sinn des Wortes ist. Aber über vieles ist sie doch klar, was bislang in unserer Wissenschaft häufig übersehen wurde. Wir wissen heute, daß ursprünglich bei den Griechen der Begriff des Gesetzes dem menschlichen Handeln und den sie regulierenden sozialen Satzungen entnommen wurde, daß man dann unter Vermittlung religiöser Vorstellungen von göttlichen Gesetzen sprach und daß schließlich, indem man die Natur als ein lebendiges Ganzes auffaßte, der Begriff des Gesetzes auf ihre Regelmäßigkeiten übertragen wurde. Und als man in der neueren Zeit nun alles Geschehen, das natürliche wie das geistige, als einen großen einheitlichen Zusammenhang zu begreifen begann, der in strenger allgemeingültiger Form von Ursachen beherrscht wurde, gelangte man zu der heute vorherrschenden Fassung und Vorstellung des Gesetzesbegriffs: wir benennen nicht mehr empirisch ermittelte Regelmäßigkeiten so, sondern nur diejenigen, deren Ursachen wir genau festgestellt haben; und diese Genauigkeit gilt uns vor allem gesichert, wenn wir die Wirkungsweise der kausalen Kräfte zahlenmäßig gemessen haben. Und allgemein nennen wir im Gegensatz zu wirklichen Gesetzen die Regelmäßigkeiten der Folge, deren Erklärung wir noch nicht oder nur vermutungs- und teilweise geben können, empirische Gesetze, wobei freilich die Grenze zwischen beiden zweifelhaft ist, da die Erkenntnis des Kausalzusammenhangs verschiedene Stadien durchlaufen kann. Als exakte Gesetze haben die Naturforscher begonnen die zu bezeichnen, deren Wirksamkeit auf einen genauen numerischen Ausdruck gebracht werden kann. Das Ziel aller Auffindung von Gesetzen ist die Zurückführung alles Komplizierteren auf ein Einfacheres; aus je weniger obersten Gesetzen er alles ableitet, desto stolzer darf sich der menschliche Intellekt fühlen. Der praktische Zweck ist die Voraussagung und die damit erreichte praktische Herrschaft über die Dinge.

Aber auch wo wir vollendete und exakte Gesetze besitzen, wie in der Astronomie und der Physik, ist die Voraussagung keine absolute, da wir häufig nicht in der Lage sind, uns alle Daten zu verschaffen, die Reihen der Kausalität rückwärts nicht sehr weit zu verfolgen imstande sind, die ursprüngliche Anordnung der Elemente nicht kennen. Auch die vorherzusehende Regelmäßigkeit der Erscheinungen ist nie eine absolute, zumindest wo es sich um kompliziertere, vor allem um biologische Gegenstände handelt. Kein Tier, kein Baum wiederholt sich in absolut gleicher Form; wie sollten sich da menschliche Ereignisse und Zustände in vollendeter Genauigkeit wiederholen? Aber das schließt die Regelmäßigkeiten in der typischen Form, in den entscheidenden Grundzügen nicht aus, und eben die suchen wir zu erkennen und durch Gesetze zu erklären. Und noch weniger schließt das aus, daß dieselben Ursachen dieselben Folgen haben. Wenn KNIES daher sagt, so oft man volkswirtschaftliche Verhältnisse verschiedener Zeiten und Länder vergleicht, so handelt es sich nicht um Gesetze eines absolut gleichen Kausalnexus, sondern um Gesetze der Analogie, so ist das ein etwas schiefer Ausdruck für die einfache Wahrheit, daß die psychischen Ursachen, in stetiger Entwicklung und Umbildung begriffen, in verschiedenen Zeiten und Ländern soweit verschiedene wirtschaftliche Formen und Erscheinungen erzeugen müssen, wie sie selbst sich geändert haben. Nicht die Wahrheit, die KNIES aussprechen wollte, war falsch, sondern sein Sprachgebrauch in Bezug auf das Wort "Gesetz".

Man hat überhaupt gezweifelt, ob es nicht richtig sei, auf dem Boden des volkswirtschaftlichen und staatswissenschaftlichen Geschehens, noch mehr auf dem der historischen Ereignisse, den Begriff des Gesetzes, wie ihn die Naturwissenschaften formuliert haben, ganz fallen zu lassen. Und das ist jedenfalls richtig; wenn man Gesetze nur da anerkennen will, wo man meßbare Ursachen erkannt hat, so gibt es kaum wirtschaftliche und soziale Gesetze. Selbst wo uns relativ sehr konstante und einfache psychische Ursachen in ihrem Zusammenwirken mit fest umgrenzten Naturtatsachen Ergebnisse vorführen, die sich in Zahlen ausdrücken, wie z. B. in den Preisen, da können wir doch nicht davon reden, daß die das Gesellschaftsleben verursachenden Triebe hiermit in ihrer Wirksamkeit gemessen werden; denn viel häufiger sind wechselnde Ernte-, Produktions- und andere derartige Verhältnisse die Ursache der Preisveränderung und nicht wechselnde psychische Ursachen. Auch wer Gesetze ausschließt, wo nicht einfache letzte Elemente als Ursachen erkennbar sind, wird leicht zu einem ähnlichen Resultat kommen. Nur ist klar, daß, wer so echte und wirkliche Gesetze leugnet, damit doch empirische zugeben kann; und daß, wer den Ausdruck vermeidet, damit nicht leugnet, daß wir ein großes Gebiet von Gesetzmäßigkeit, von erkannten Ursachen vor uns haben, daß eine Summe von allgemeinen Wahrheiten und Urteilen, von Theorien hier möglich ist; er wird auch zugeben, daß manche derselben weit über das empirische Gesetz hinausgehen, sich wirklichen Gesetzen nähern und daß deshalb der gewöhnliche Sprachgebrauch, sofern er nicht zu locker jede regelmäßige Tatsache ein Gesetz nennt, wohl begreiflich und angebracht ist.

Wir haben oben schon erwähnt, daß man mit besonderer Vorliebe die Theorien über die Preisbildung Preisgesetze nannte, und bis heute ist das üblich. BÖHM-BAWERK klagt elegisch, daß einzelne diesen Sprachgebrauch aufgeben. FRIEDRICH JULIUS NEUMANN hat in geistreicher und scharfsinniger Weise versucht, nachzuweisen, daß gewisse psychische Ursachen - vor allem der Eigennutz - in der Zeit der ausgebildeten Geld- und Verkehrswirtschaft bei großen Klassen der Gesellschaft sich so gleichmäßig gestalten, in ihrer Wirksamkeit als gesellschaftliche Macht die wirtschaftlichen Vorgänge so gleichmäßig und mechanisch beherrschen, daß man deshalb hier wirtschaftliche Gesetze annehmen kann "als den Ausdruck für eine infolge der Macht wirtschaftlicher Zusammenhänge aus gewissen Motiven sich ergebende regelmäßige Wiederkehr wirtschaftlicher Erscheinungen". Die so sich ergebenden Gesetze würden - sagt er - allem Erwarten nach lange die Basis bleiben, auf die gestützt es wirtschaftlicher Einsicht gelingen kann, die kommenden Dinge vorauszusehen und drohenden Gefahren die Spitze zu bieten. Er hat gewiß recht; und wenn, was er so nennt, keine exakten Gesetze sind, so sind sie doch wesentlich mehr als empirische Gesetze im Sinne der bloßen Regelmäßigkeit. Es sind Generalisierungen mit einer Erklärung des Warum, die, aus einem bestimmten Kulturzustand für bestimmte Klassen abgeleitet, für sie und ihre Zeit eine unbedingte Gültigkeit haben. Aber das genügt zunächst und ist von unendlichem Wert.

Je mehr man überhaupt die Untersuchung einschränkt auf einen bestimmten wirtschaftlichen Kulturzustand und diesen vorläufig, was sicher ein erlaubter methodologischer Kunstgriff ist, als stabil annimmt, desto leichter wird man dazu kommen, die wichtigsten und vorherrschenden psychischen und anderweitigen Ursachen richtig zu fassen, aus ihnen typische Form der Organisation abzuleiten und die elementaren, typisch sich wiederholenden Vorgänge des wirtschaftlichen Prozesses zu erklären. Man wird auf diese Weise mit etwas gröberen oder feineren, ungefähren Generalisationen ausreichen, welche Nebenumstände und kleine Modifikationen beiseite lassen. Ob man sie Gesetze oder hypothetische Warheiten nennt, sie sind, in der richtigen Begrenzung gebraucht, das große Instrument der Erkenntnis und die Stützen jeder guten Staatspraxis und Verwaltung.

Aber sie sind nicht letzte Wahrheiten und sie ruhen auf der Fiktion eines stabilen Kulturzustandes. Es gilt, neben ihnen nun die weitere und tiefere Untersuchung der sich ändernden Ursachen und Veränderungen aller volkswirtschaftlichen Formen und Vorgänge durchzuführen. Dazu gehört jedenfalls dreierlei:  1.  Man untersucht die Umbildung der psychologischen Ursachen im Zusammenhang mit den ethnologischen und Klassenunterschieden; man sucht festzustellen, wie demgemäß auch das wirtschaftliche Handeln der Menschen ein anderes wird oder werden kann; was man so findet, wird man besser nicht psychologische Gesetze nennen; man wird passender diesen Titel für die elementaren psychologischen Wahrheiten aufsparen, aus denen man die erwähnten psychologisch-historischen Änderungen ableitet.  2.  Man sucht im einzelnen festzustellen, welche Formen der volkswirtschaftlichen Organisation vorkommen und wie sie auseinander entstehen; man konstatiert, wie die Formen der Arbeitsteilung, die Unternehmensformen, die Verkehrsformen, die Formen der Finanz, der Steuern sich folgen, wie sie regelmäßig bestimmten anderen Gestaltungen des politischen und sozialen Lebens parallel gehen; es sind zunächst empirische Gesetze, die man so erhält; sie werden in dem Maße mehr, wie man die Ursachen der Umbildung teilweise oder erschöpfend auffindet. Man nannte sie bisher häufig "Entwicklungsgesetze". Die ältere historische Nationalökonomie hat das Ziel erkannt, die neuere Wirtschaftsgeschichte hat begonnen, das Material zu sammeln und zu interpretieren; je mehr es in Zusammenhang gebracht wird mit den psychologischen und nationalökonomischen Wahrheiten, die wir schon besitzen, desto wertvoller ist der Bestand der so erworbenen Sätze und Generalisierungen.  3.  Man kann endlich versuchen, eine allgemeine Formel des wirtschaftlichen oder gar des allgemeinen menschlichen Fortschritts aufzustellen; man kommt damit in das Gebiet der Geschichtsphilosophie, der Teleologie, der Hoffnungen und Weissagungen; auf je breiterer Erkenntnis sich ein solcher Versuch aufbaut, desto Wertvolleres kann er bieten. Für das praktische Handeln werden stets wieder solche kühne Synthesen notwendig sein, und man wird es den echten Propheten der Zeit nicht verwehren können, wenn sie glauben, "das Entwicklungsgesetz gefunden zu haben. HERBERT SPENCER und die Entwicklungstheoretiker, MILL und AUGUSTE COMTE haben solche zu formulieren versucht wie die Sozialisten und Manchestermänner. Von dem, was die Naturforscher echte Gesetze nennen, wird alles Derartige stets weit entfernt bleiben. Und auch unter die empirischen Gesetze wird man solche Versuche kaum einrechnen können. Das, was man etwas voreilig Gesetze der Geschichte genannt hat, waren entweder derartige, oft sehr zweifelhafte Generalisierungen, oder es waren einfache, uralte psychologische Wahrheiten, aus denen man glaubte, große Reihen des geschichtlichen Geschehens erklären zu können. Und daher ist der Zweifel ein so berechtigter, ob wir heute schon von historischen Gesetzen sprechen können und sollen.


Indem ich damit die kurzen Ausführungen über die Methode der Volkswirtschaftslehre schließe, will ich nur mit zwei Worten kurz meine Grundanschauungen resumieren und vorher noch die Entschuldigung beifügen, daß der mir eingeräumte Platz hauptsächlich in Nebenpunkten zu summarischer Kürze, ja zur Beschränkung auf Andeutungen und zu Behauptungen nötigte, für welche ein eingehender Beweis nicht geliefert werden konnte.

Auf zwei Wegen, die beide in ihrer Art gleich notwendig und heilsam für uns sind, sucht das menschliche Denken die Welt zu begreifen: es macht sich - natürlich auf Grund der zur Zeit möglichen Beobachtungen und Wahrnehmungen - in Bild des Ganzen - des Ganzen der Welt, der Geschichte, des Staates, der Volkswirtschaft, der Gesellschaft, der Menschenseele: daraus entspringen unsere Ideale; von hier aus empfängt unser Handeln seine Impulse und Zwecke: hier liegt die Wurzel für alle religiösen, ethischen, politischen, nationalökonomischen Systeme; hier entspringt die Weltanschauung und das Lebensideal, die jeden Menschen im Innersten beherrschen, die seinen Zusammenhang mit dem All und der Gottheit bestimmen. Es ist der Weg teleologischer und synthetischer Betrachtung und Ausdeutung, der aber in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Menschen je nach den wechselnden und sich vervollkommnenden Weltbildern zu verschiedenen Resultaten führen muß. Ist das die Schwäche dieses Weges, so liegt seine Stärke darin, daß der Menschengeist in dieser Weise sofort das Ganze und den großen Zusammenhang der Dinge fassen kann; er ist dazu fähig, weil er alles geistige Geschehen von innen her miterleben dieses von Anfang an als ein Ganzes besitzt, wenn auch zunächst nur in dunklen Bildern und Ahnungen.

In die Umrisse des so begreiflich Gewordenen zeichnet nun der trennende Verstand die Erkenntnis des einzelnen ein. Indem er die Erscheinungen in ihre kleinen und kleinsten Teile auflöst, diese beobachtet und beschreibt, sie benennt und klassifiziert, kommt er mit Hilfe der Induktion und Deduktion zur Erfassung der Ursachen, aus denen alles einzelne entspringt. Die Ergebnisse dieser methodischen, empirischen Einzelerkenntnis sind für jeden richtig Verfahrenden dieselben; auf ihrem Gebiet gibt es keinen Zweifel und kein Schwanken mehr. Je weiter der menschliche Geist auf diesem Weg vordringt, desto mehr kann er auch im Begreifen des Ganzen zu feststehenden Ergebnissen kommen, desto geläuterter wird seine Weltanschauung, werden seine Ideale werden, desto vollendeter wird er sein Handeln einrichten können, desto richtiger sieht er in die Zukunft. Stets muß er die beiden Wege der trennenden Analyse und der zusammenfassenden Synthese zu verbinden suchen. Es entspricht das seiner innersten Geistesnatur, seinem Willen und seinem Trieb nach Erkenntnis. "Fortschreitende Analyse eines von uns in einem unmittelbaren Wissen und Verständnis von vornherein besessenen Ganzen", sagt DILTHEY, "das ist der Charakter der Geschichte der Geisteswissenschaften".

Das ist auch der Weg, den die Volkswirtschaftslehre zurückgelegt hat: von Vorstellungen und Zwecken der Familien-, Gemeinde- und Staatswirtschaft ausgehend, ist sie auf dem Weg der Analyse des Verkehrs und des arbeitenden Menschen, des Güterlebens und der Ursachen des Reichtums zum Begriff der Volkswirtschaft gekommen. Sie ist eine Wissenschaft im eigentlichen Sinn des Wortes geworden, hat sich als selbständiger Teil aus der Ethik losgelöst, seit die fortschreitende Einzelerkenntnis den vorläufigen Bildern des Ganzen, den Idealforderungen und praktischen Lehren die Waage hielt. Sie ist dann der Einseitigkeit verfallen, in vorübergehenden Zeitforderungen letzte Prinzipien, in abstrakten Teilvorstellungen das Ganze zu sehen; in bloß logischen Schlußfolgerungen aus unvollkommenen Abstraktionen wollte sie sich ergehen, während ihre Prämissen noch so unvollkommen waren wie ihre Erkenntnis der Wirklichkeit. Sie ist nun auf dem rechten Weg, nachdem Geschichte und Philosophie sie wieder zum Erfassen der Kollektiverscheinungen und des Ganzen zurückgeführt, nachdem Statistik und Wirtschaftsgeschichte ihr die Wege einer methodisch vollendeten Empirie gewiesen haben und die Psychologie ihr die Aufsuchung der eigentlich entscheidenden Ursachen alles menschlichen Geschehens als unentbehrliches Ziel vorgesteckt hat.
LITERATUR:Gustav Schmoller, Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 7, Jena 1901