ra-2R. StolzmannO. ConradA. SchäffleF. GottlH. CohnA. Lindwurm    
 
FRIEDRICH JULIUS NEUMANN
Der Wert

"Es ist nur der sogenannte Tauschwert, welcher der ökonomischen Geltung der Dinge entspricht. Man hat nur einen Wertbegriff zu berücksichtigen, nämlich denjenigen, welcher in den Preisen seinen Ausdruck findet. Der Wert ist die Vermögensqualität der Güter, der Gebrauchswert hat seine Widerlegung gefunden."

"Wert im  objektiven  Sinn heißt: Die Kraft oder Tüchtigkeit eines Gutes zur Herbeiführung irgendeines objektiven Erfolges. So gibt es Nährwert, Sprengwert usw., wobei aus dem Begriff des Wertes jede Beziehung auf das Wohl oder Wehe eines Subjekts verbannt ist.  Wert  war die geschätzte oder anerkannte Fähigkeit oder Tauglichkeit zur Erreichung irgendeines  Zwecks,  zur Erzielung irgendeines  Erfolges  zu dienen. Der Erfolg, der Zweck, das Ziel - sie traten in den Vordergrund, dagegen die beiligten Personen zurück."


I.
Das "Chaos" der Wertauffassungen.
Sprachgebrauch und Wissenschaft.

Auch wer nicht der Ansicht von Mac CULLOCH ist, daß die ganze Volkswirtschaftslehre  nur  eine Lehre vom Wert sei, wird der Frage, was unter Wert zu verstehen ist, eine erhebliche Bedeutung nicht abzusprechen vermögen.

Denn überall, wo nur von Wirtschaft und wirtschaftlichen Dingen die Rede ist, begegnen wir dem Wert auf Schritt und Tritt. Er ist es, auf den wir Bezug zu nehmen hatten, um Vermögen und Reichtum zu bestimmen. Von ihm schien danach abzuhängen, was Wohlstand und Wirtschaft ist. Von ihm ist zweifellos abhängig, was Ertrag und Einkommen, Produktion und Konsumtion, produktive und unproduktive Klasse ist. Und da er es namentlich ist, der unter all den Preis und Lohn bestimmenden Momenten im Vordergrund steht, ja im Grunde jeder wirtschaftliche Akt, alles Tun und Lassen in wirtschaftlichen Dingen von seiner Beurteilung abhängig erscheint, dürfte es nicht zu weit gegangen sein, den Wert als einen ganz besonders wichtigen, ja geradezu als den für die Grundlagen unserer Wissenschaft wichtigsten wirtschaftlichen Begriff zu bezeichnen.

Kein Wunder daher auch, daß er Gegenstand vielfältiger Erörterung schon in Zeiten geworden ist, da sich die Volkswirtschaftslehre noch in den ersten Stadien ihrer Entwicklung befand.

Anfänge davon sind schon bei ARISTOTELES zu finden, aus dessen Ethik sich noch heute mancher Rat holen kann, der über das Verhältnis von Wert und Preis und insbesondere über die BEziehungen beider  zur Steuer  unterrichtet sein will (95). Seit dann eine Wissenschaft vom  römischen Recht  erstand, ist auch dort der Wert und sein Verhältnis zum Interesse, sowie die Unterscheidung von gemeinem und außerordentlichem, außerordentlichem und Affektionswert auf das Mannigfachste erörter worden (96). Und als neben der Volkswirtschaftslehre die  Land-  und die  Forstwirtschaftslehre  zur Entwicklung kamen, ist auch in diesen Disziplinen, insbesondere in den Kapiteln von der land- und forstwirtschaftlichen Produktion sowie in der Lehre von der Taxation der Grundstücke, der Wert als Tausch- oder Kaufwert und der Wert als Ertrags- oder Erwartungswert fort und fort Gegenstand der Behandlung gewesen.

Nur wähne man nicht, daß die durch alle diese Disziplinen gegebenen Anregungen und die dort zum Durchbruch gekommene Erkenntnis auch der Volkswirtschaftslehre in erheblichem Maß zugute gekommen ist. Davon war bis vor kurzem nichts zu spüren. Fast jede Wissenschaft ging ihre besonderen Wege. Und so verschloß man sich auch in der Volkswirtschaftslehre teils aus Unkenntnis, teils wohl auch aus Selbstgefühl und Überhebung fast vollständig der in anderen Wissenschaften gewonnenen Erkenntnis. Bei weitem die Meisten, die sich mit diesen Dingen beschäftigten, glaubten entweder selbständig ihre Wege gehen zu sollen, oder es bei dem bewenden lassen zu dürfen, was der "große Meister des achtzehnten Jahrhunderts" über Gebrauchs- und Tauschwert gelegentlich mehr angedeutet als formuliert und ausgeführt hatte.

Doch zeigten sich beide Wege dornenvoll.

Denn was ADAM SMITH betrifft, so mußten sich seine kaum dem Kindesalter unserer Wissenschaft entsprechenden Bemerkungen (97) bei jedem Versuch tieferer Erfassung volkswirtschaftlicher Probleme als ganz und gar ungenügend erweisen. Und bei der Beschreibung eigener Wege war gerade auf dem hier in Rede stehenden Gebiet eine Reihe verhängnisvoller Fehltritte zu konstatieren.

Wenn GARNIER einst sagte, daß "la plupart des auteurs loin de doter la science d'une théorie nouvelle selon leur prétention, ont plutôt obscuri qu'éclairci la question" [Die meisten Autoren sind weit entfernt - in ihrer Wissenschaft den Anspruch einer neuen Theorie zu stellen und haben die Probleme mehr verdeckt als die Fragen geklärt. - wp] so möchte das gerade mit Bezug auf die hier in Rede stehenden Dinge durchaus zugegeben sein. Wohl auf wenigen Gebieten ist durch Oberflächlichkeit und Unbedachtsamkeit so viel gesündigt worden, als auf diesem (98).

Fragen wir aber nach den Ursachen dieser nicht nur für die Wissenschaft, sondern, wie wir sogleich sehen werden, auch im Interesse des sozialen Friedens höchst beklagenswerten Erscheinung, so dürften diese, von gewissen in der Sache selber liegenden Schwierigkeiten abgesehen, vorzugsweise wieder dem Umstand zuzuschreiben sein, daß man über das in solchen Dingen zu erstrebende  Ziel  im Unklaren blieb.

Nicht wenige haben umfangreiche Abhandlungen, ja große Werke über "den Wert" geschrieben, ohne es auch nur der Mühe wert erachtet zu haben, darüber nachzudenken,  was  sie eigentlich suchten,  was  sie erkennen,  was  sie lehren wollten, und welche Mittel sie hatten, das Ziel zu erreichen.

Sollte der bezügliche Sprachgebrauch festgestellt werden? Und wenn, wie leicht ersichtlich war, dieser  nicht  entscheidend sein konnte - was sollte entscheiden? Handelte es sich überhaupt um Ausdrücke? oder um Begriffe? Und wenn letzteres der Fall war, mußte  einem  Ausdruck nur  ein  Begriff entsprechen? Oder waren, ohne gegen das Gebot der "Einheitlichkeit und Konsequenz der Prinzipien" zu verstoßen (99), mit einem Wort mehrere Begriffe zu verbinden?

All das blieb im Dunkeln.

Ein vieldeutiges, und anscheinend gerade deshalb in vielen Fällen besonders willkommenes: "Wir nennen", "Wir bezeichnen so", "Uns ist" usw. - sollte über alle Schwierigkeiten hinweghelfen. Hatte man sich auf diese Weise aber den  Ausdruck  Wert so oder so zurechtgelegt, dann sollte er gar die  Basis für das Verständnis  wichtiger Werterscheinungen sein (100). Von ihm weiter bauend, zog man, ohne über die Berechtigung eines solchen Vorgehens nachzudenken, Schluß auf Schluß. Und je nachdem nun diese oder jene, oft zufällige Veranlassung die Einzelnen bestimmte, wurde dementsprechend "Wert" dem Einen allein zum  Gebrauchs-  oder  subjektiven  Wert (101), dem Anderen in ähnlicher Auffassung zum "Seltenheitswert" (102), daneben einem Dritten, die sich vorzugsweise mit den Lohn- oder anderen sozialen Fragen beschfäftigten, allein zum  Arbeitskostenwert  (103), wieder Anderen, die es vorzugsweise mit Verkehr und Handel zu tun hatten, allein zum Kauf- oder  Tauschwert  (104), schließlich Manchen, die ihre Aufmerksamkeit namentlich land- und forstwirtschaftlichen Dingen zuzuwenden hatten, zum  Ertragswert  usw.

Jedem aber - so wurde es in der Neuzeit Sitte - war der von ihm ins Auge gefaßte Wert:  "der  Wert", neben dem wie selbstverständlich kein anderer in Betracht kam. Nur "einen Wert" gab es. Und das war Jedem derjenige, zu welchem gerade seine besondere Auffassung des überlieferten Sprachgebrauchs oder das spezielle Interesse der Dinge, mit denen er sich beschäftigt, geführt hatte. Jede andere Auffassung war verkehrt, und vor ihr die Augen zu schließen, ebenso "natürlich" wie bequem und Mühe sparend (105).

Kein Wunder nun, daß aus all dem ein "Chaos" der Ansichten entstand, das geradezu abschreckend wirken mußte und das namentlich einen großen Teil unserer heutigen "Realisten in der Tat bestimmt hat, auf jede Erörterung solcher Dinge wie "des Wertbegriffs" zu verzichten, d. h. wo sie genötigt waren, von dem Ausdruck  Wert  Gebrauch zu machen, ihn so aufzufassen, wie der allgemeine Sprachgebrauch und jene dürftigen Notizen von Gebrauchs- und Tauschwert bei ADAM SMITH und seiner Schule es an die Hand gaben, vor aller weiteren Beschäftigung mit solchen Begriffen zu warnen, so als ob es sich hierbei nur um unwesentliche und zugleich vollständig aussichtslose, trostlos unergiebige Dinge handelt, von denen bei gesunden Sinnen ein Jeder sich fern zu halten hat.

Wer aber heute so urteilt, übersieht zweierlei:

Er übersieht, daß bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen, einer seit Alters her festgehaltenen Forderung zufolge, Jeder sich des Sinns und der Tragweite der von ihm gebrauchten Ausdrücke bewußt sein soll, und dieser Forderung gerade in so zweifelhaften und schwierigen Dingen wie den vorliegenden nur durch Nachdenken darüber genügt werden kann, wie Andere sich den bezüglichen Begriff vorgestellt haben, zu welchen Konsequenzen sie hierbei gelangt, auf welche Klippen sie hierbei gestoßen sind usw.

Und er übersieht zweitens, daß gerade in der Gegenwart manche Anzeichen dafür vorligen, daß auf jenem anscheinend ewiger Verwirrung verfallenen Gebiet eine Besserung zu erwarten ist.

Schon zeigt sich in wichtigen Dingen Übereinstimmung.

Man verwirft immer mehr die törichte Anschauung von der sogenannten "Einheitlichkeit des Wertbegriffs", verläßt zugleich immer mehr jene alte Scheidung von Gebrauchswert und Tauschwert, an der bald nur noch unsere über diese Dinge grundsätzlich nicht nachdenkenden "Realisten" festhalten werden, und ersetzt diese Scheidung in immer weiteren Kreisen durch jene vor ca. 20 Jahren, auf den ersten Vorschlag hin nur wenig Anklang findende andere Wert im  objektiven  und Wert im  subjektiven  Sinn. Selbst über die spezielle Auffassung und beste Gliederung der hiernach als subjektiv und bzw. objektiv zu bezeichnenden Wertbegriff zeigt sich mehr und mehr Übereinstimmung (106). Und diese würde noch weiter gehen, wenn nicht der Einfluß jener "französischen Schule" und ihrer Anhänger dazwischen getreten wäre, die die in Deutschland hergebrachten Auffassungen vom Gebrauchs- bzw. subjektiven Wert ganz und gar durch eine dem französischen  valeur,  dem italienischen  valore  und dem englischen  value  entsprechende Auffassung von Wert als "Seltenheitswert" ersetzen wollen (107). Übrigens ist auch letztere Auffassung, wie sie namentlich BÖHM-BAWERK vertritt, von der hier festgehaltenen nicht so verschieden, wie es scheint, sobald man nur die der Bekämpfung letzterer dienenen Annahme fallen läßt, als ob ihr zufolge Wert = "Nützlichkeit" wäre.

Jedenfalls gilt es jetzt, auf dem Boden bereits gewonnener Übereinstimmung mit Vorsicht weiterzuarbeiten.

Wer dabei "allen Nuancen des Sprachgebrauchs nachgehen" - d. h. als wissenschaftlichen "Wertbegriff" alles anerkennen würde, was je im Sprachgebrauch des Lebens oder der Wissenschaft als Wert bezeichnet worden ist, würde unverantwortlich handeln (108).  Vor  der Gestaltung und  vor  der Gliederung gibt es zu sichten und zu säubern, unnachsichtlich zu entfernen, was nicht wissenschaftlichem  Bedürfnis,  wissenschaftlichem  Interesse  entspricht.

Nicht minder töricht aber ist es, wie bemerkt, am Axiom einer  einheitlichen  einzigen Wertauffassung deshalb festhalten zu wollen, weil  Wert  nur ein einziger  Ausdruck  ist. Denn tatsächlich verbindet man, seit es Lehren vom Wert gibt, mit dem letzteren  Wort  im wissenschaftlichen wie nach allgemeinem Sprachgebrauch der Art verschiedene Vorstellungen, daß, wer diesem Herkommen zum Trotz darauf ausgehen wollte, alle diejenigen Wertauffassungen zu verbannen, welche nicht speziell seiner Sprachauffassung und seinen Studienobjekten entsprechen, notwendig Schiffbruch erleiden muß. Das hat auch die Erfahrung mannigfach bestätigt (109). Und nicht minder töricht ist es schließlich, die anzuerkennenden mehreren Wertauffassungen deshalb nur als die "untergeordneten Glieder" eines "übergeordneten allgemeinen Wertbegriffs" gelten zu lassen, weil sie auf eine gemeinsame Sprachwurzel zurückzuführen sind. Wer sich - bewußt oder unbewußt - solchen Vorstellungen hingibt, der handelt, wie schon an anderem Ort zu zeigen versucht ist, Jenen gleich, welche mit Rücksicht auf eine solche gemeinsame sprachliche Wurzel wie  schließen  oder  bauen  etwa Türschloß und Jagdschloß, bzw. Schwarzwaldbauer und Vogelbauer als untergeordnete Glieder eines übergeordneten "allgemeinen Schloß"- oder allgemeinen Bauer"-Begriffs ansehen wollten. Was einst gemeinsamer Ausdruck und vielleicht auch gemeinsamer Begriff  war,  ist, wie es in diesen Dingen regelmäßig geschieht, im Laufe der Zeit in eine Reihe derart verschiedener Vorstellungen und verschiedener Begriffe übergegangen, daß die gemeinsame Wurzel vollständig in den Hintergrund getreten, ja in vielen Fällen kaum noch zu erkennen ist.

Immerhin wird jener gemeinsamen Wurzel und den mit ihr ursprünglich verbundenen Auffassungen zunächst hier einige Aufmerksamkeit zu schenken sein.

Ehe jedoch geschieht, sei noch Eines bemerkt.

Wer glauben würde, daß es sich in allen diesen Dingen ausschließlich um die Förderung  wissenschaftlicher  Erkenntnis handelt, würde, wie schon vorhin angedeutet wurde, fehlgehen. Es steht auch Anderes in Frage.

Es gilt zugleich gewisse praktische Erfolge zu erreichen, d. h. gewissen gefährlichen Bewegungen der Gegenwart ein Rüstzeug zu nehmen, das man denselben unverantwortlich lange überlassen hat.

Die Basis jenes zweifellos einflußreichsten Werkes der sozialdemokratischen Literatur: das Buch von MARX über das "Kapital", welches eine in vieler Beziehung treffende "Kritik der politischen Ökonomie" und ihrer Schwächen in sich schließt, ist die dort vorgetragene Lehre vom  Wert.  Wer der Sozialdemokratie mit geistigen Mitteln entgegentreten will (und das zu wollen, ist heute wohl als Pflicht aller Einsichtigen zu bezeichnen) - der darf es nicht unterlassen, auch jener Lehre vom Wert zu Leibe zu rücken. Um das aber zu können, bedarf es zweifellos festeren Bodens, als jenes "Chaos" es zu bieten vermag. Mit solchen kaum den ersten Stadien wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechenden Dingen wie Einheitlichkeit des Wertes, Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert usw. ist da wenig erreicht. Da gilt es, herzhafter anzupacken, tiefer zu fassen und weiter zu blicken, als dies vor anderthalb Jahrhunderten angezeigt erscheinen konnte. Und so mag es dann Billigung finden, daß bei diesen Dingen hier etwas länger verweilt wird, als es Manchem, der nur von ausreichender Erfassung der "tatsächlichen" Vorgänge und Verhältnisse Heil erwartet, angezeigt erscheinen möchte.



Schenken wir dem Gesagten zufolge hier zunächst der Sprache, dem  Ausdruck  "Wert" einige Beachtung, so kann es sich hierbei selbstverständlich nicht um eine philologische Untersuchung handeln.

Was allein in Frage steht, ist zweierlei:

Es gilt, den Zusammenhang zwischen jenen verschiedenen Wertauffassungen zu erkennen, welche zur Zeit in der volkswirtschaftlichen Literatur nebeneinander Berechtigung haben oder zu haben scheinen. Und es gilt zugleich, den Nachweis zu führen, welche anderen Vorstellungen sich an das deutsche "Wert" als an jene dem römischen  valere  entstammenden Ausdrücke knüpfen mußten, die die Grundlage der in der ausländischen Literatur herrschenden Wertauffassungen wurden.

Nur um diesen beiden Zielen zu entsprechen, sei über den Ausdruck hier folgendes bemerkt:

Ursprünglich scheint  wërd  (althochdeutsch) und  wërt  (mittelhochdeutsch) das  Ausgewählte, Ausgesuchte,  besonders Erwünschte oder Geschätzte bezeichnet zu haben. Denn es scheinen diese Worte  var,  wählen, abzustammen (110). Und jedenfalls wurden sie schon in ältester Zeit als gleichbedeutund etwa mit "Jemand besonders gut oder vornehm scheinend", "von Jemand besonders geschätzt" oder "verehrt" usw. gebraucht - übrigens, was hier schon hervorzuheben ist, damals bereits mit Bezug sowohl auf Personen und Handlungen, als auch auf  Sachen  und ähnliche Vorstellungsobjekte.

Ausdrücke z. B. wie  werter got,  d. h. hochverehrter Gott, oder  der fürste wert, diu küniginne wert, werde muoter, werte tavelrunder, werte gildebrodere  usw. scheinen im Mittelhoch-, bzw. Mittelniederdeutschen kaum minder häufig als z. B.  vil werter Degen, werde pferde, werde spise, werder visch  usw.

Indessen ebenfalls schon in alter Zeit finden sich, anscheinend aus jenen Auffassungen hervorgegangen, auch ganz andere, bei denen eine Wertschätzung durch diese oder jene  Person  direkt gar nicht in Frage kommt, und die deshalb dem in der Volkswirtschaftslerhe heute sogenannten objektiven Kauf- oder Tauschwert entsprechen oder nahe stehen. Auch ist dieser Übergang leicht zu erklären (111).

Was man höher verehrt, höher achtet, höher schätzt als anderes, das muß danach in vielen Fällen auch Objekt eines höheren Aufwandes, höherer Zahlung werden. Man ist geneigt, es höher zu bezahlen, mehr zu bieten, bwz. mehr dafür zu fordern. Und statt also ein Ding als ein  von Jemand  besonders geschätztes oder wertes in diesem Sinne zu bezeichnen, lag es nahe, es als ein Ding, das so oder so viel  andere Dinge wert  sei, zu bezeichnen. Mit anderen Worten: Statt an eine Schätzung  von Jemand  dachte man wohl direkt an eine Schätzung in gewissen dafür zu erlangenden  Objekten.  Und so finden wir in der Tat bereits im Althochdeutschen  werd  vielfach auch als gleichbedeutend gebraucht mit so oder so viel  kostend,  bzw. für so oder so viel  käuflich,  im Mittelhoch- und Mittelniederdeutschen aber unendlich oft solche Ausdrücke wie  eines pfennigs wert, drier marke wert, manker marke wert, kleinöt oder schilde tusend marke wert, provene  [Pfründe - wp]  einhundert gulden wert  usw. (112)

Ja man unterschied bei dieser objektiven d. h. eben Objekt gegen  Objekt  stellenden Auffassung ursprünglich, scheint es, nicht einmal zwischen Wert und  Preis wie es heute geschieht, sondern deckte beide Vorstellungen sozusagen mit dem einen Ausdruck  Wert,  bis das anscheinend in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vom Ausland übernommene Wort "Preis" eine Entlastung brachte (113). Was Entgelt eines anderen Objekts war, nicht bloß nach einer Beurteilung oder Schätzung, sondern nach ein- oder zweiseitiger  Festsetzung  (Angebot eines Teils oder Übereinstimmung beider Teil) - das hieß fortan Preis, nicht Wert (114) während früher eine solche Sonderung nicht beliebt war.

Hiervon abgesehen aber wurden die beiden Auffassungen von Wert: jene anscheinend ältere  subjektive,  wonach von Wert ist, was  Jemand  besonders gut erscheint, von  Jemand  besonders geschätzt oder gewünscht wird, und die andere  objektive,  wonach von Wert ist, was in willkommener Weise (115) so oder so viel  andere Dinge  gilt - gewissermaßen die beiden großen Stämme, aus denen sich im Laufe der Zeit manche besonderen Auffassungen wie ebensoviele Äste und Zweige entwickelten.

Erschien nämlich nach jener zweiten Auffassung als Wert die durch den Besitz eines Dings gegebene Macht oder Fähigkeit, so oder so viel andere Dinge dagegen  einzutauschen,  ähnlich wie ja auch in den romanischen Sprachen und im Englischen  valeur, valore, value,  jener Abstammung von  valere  (vermögen, können) entsprechend, geradezu wohl als  Macht  oder  Vermögen  zum Tausch,  potenza di acquisto, purchasing power  etc. aufgefaßt worden - so lag es nahe, vom Wert in ähnlich objektivem Sinn auch in dem Fall zu sprechen, daß ein Ding zu  anderer  Verwendung als zum Tausch Macht oder Befähigung gibt, d. h. ebenso wie von Wert als  Kauf-  oder  Tausch wert, auch von  Nähr-, Heiz- oder Düngewert  usw. zu sprechen, wonach also von  Heizwert  ein Ding ist, das die Befähigung gibt, Wärme zu schaffen, Heiz kraft  hat; von Nähr- oder Düngewert, was die Macht zu näheren oder zu düngen gibt, Nähr kraft  hat usw. Allerdings blieb dabei die Besonderheit, daß mit den auf Wert auslaufenden Worten zugleich der Ausdruck eines  Anerkenntnisses  der bezüglichen Kraft verbunden war, der den entsprechenden anderen Bezeichnungen fehlt (116). Immerhin aber hörte der Wert in dieser Gruppe  objektiver  Bedeutung auf, nur so viel wie geschätzte  Kauf-  oder  Tausch kraft oder Kauf- oder Tauschfähigkeit zu sein und wurde in viel allgemeineren Auffassungen etwa gleichbedeutend mit:
    geschätzte oder anerkannte Fähigkeit oder Tauglichkeit, zur Erreichung irgendeines  Zwecks,  zur Erzielung irgendeines  Erfolges  zu dienen.
Der Erfolg, der Zweck, das Ziel - sie traten in den Vordergrund, dagegen die beiligten Personen zurück. Denn von Personen war bei diesen Auffassungen nur indirekt, nämlich insofern die Rede, als es natürlich immer Personen sind, die die bezüglichen Ziele oder Zwecke verfolgen, mögen sich letztere nun auf ein Tauschen oder Kaufen oder aber auf solche besonderen Dinge wie Nähren, Heizen usw. beziehen. (117)

Indessen entfalteten sich neben  diesen  Bedeutungen von Wert (im objektiven Sinne) zu gleicher Zeit auch jene älteren, welche gerade solchen persönlichen Beziehungen unmittelbar Rechnung trugen, insofern es sich bei ihnen in der Tat direkt um den Wert  für jemand  (gewisse Personen, als solche) handelt, und die man hiernach, wie bemerkt, als Auffassungen von Wert im subjektiven Sinne charakterisieren kann.

Unter diesen Auffassungen aber sind hier namentlich  zwei  zu berühren, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch nebeneinander befestigten, deren Gegensatz aber lange Zeit unbeachtet blieb, und die dann in neuester Zeit zu jenem Kampf um den "Seltenheitswert" Veranlassung gaben, dessen oben schon gedacht wurde, und auf den hier noch mehrfach zurückzukommen sein wird.

Nach der  einen  dieser Auffassungen aber sind hier namentlich  zwei  zu berühren, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch nebeneinander befestigten, deren Gegensatz aber lange Zeit unbeachtet blieb, und die dann in neuester Zeit zu jenem Kampf um den "Seltenheitswert" Veranlassung gaben, dessen oben schon gedacht wurde, und auf den hier noch mehrfach zurückzukommen sein wird.

Nach der  einen  dieser Auffassungen erschienen wert oder von Wert nämlich wie auf Personen, so auch auf Sachen, Verhältnisse, Handlungen, Nutzungen usw. bezogen, alle Dinge, die von Jemand geschätzt werden, weil sie seinem Wunsch, Interesse, Bedürfnis usw. entsprechen - ganz  unabhängig  von ihrem Maß oder ihrer Menge, so daß also, ebenso etwa wie Jemand z. B.  Genossen, Freunde  oder  Kollegen  "wert" sind,  unabhängig  von ihrer Zahl, allein aufgrund gewisser Beziehungen, in denen er zu ihnen steht, ähnlich auch z. B. Luft und Wasser Jemand wert oder von Wert sind, ganz und gar  unabhängig  davon, ob Luft und Wasser ihm im Überfluß zu Gebote stehende oder seltene Dinge sind.

Für diese sehr alte Auffassung kann man sich (ganz abgesehen von der oben berührten Sprachwurzel) mit RAU schon auf eine Stelle im FREIDANK beziehen, in der, ähnlich wie in jenem in neuerer Zeit so viel gebrauchten Beispiel von Luft und Wasser, der Dichter klagt, wie wenig oft im Verkehr diejenigen Dinge  "gelten",  welche für den Menschen von höchstem  Wert  sind:
    "Fuir, wazzer, Luft und erde
    die giltet Niemen nach ihr werte."
Derselben Auffassung folgend haben dann, dem volkswirtschaftlichen Interesse nicht immer ganz entsprechend, unsere HUFELAND, LOTZ, BERNHARDI, HERMANN, RAU, mit einem Wort all jene, die der deutschen Wissenschaft den Ruhm erbrachten, durch Läuterung der Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre ein besseres Fundament gegeben zu haben, als dies anderen Nationen möglich war (118), regelmäßig daran festgehalten, daß,  unabhängig  von Mangel oder Überfluß, dasjenige von Wert ist, was tauglich oder geeignet erscheint, den Bedürfnissen, Wünschen, Neigungen usw. von jemandem zu entsprechen, und daß auch das Maß eines solchen Wertes (in diesem subjektiven Sinn) nur vom Maß jener Geeignetheit oder Tauglichkeit abhängt (119).

Ganz anders die zweite Auffassung, die, im Extrem erfaßt, auf dasjenige hinausläuft, was oben schon als "Seltenheitswert" bezeichnet ist und die namentlich in der Sprache und der Literatur des Auslandes eine Stütze fand.

Im Anschluß nämlich einerseits an jene vorhin berührte Vorstellung, derzufolge Wert etwa soviel wie Kauf- oder Tauschwert ist, und daher solchen Dingen regelmäßig  fehlt,  die wie Luft und Wasser im Überfluß vorhanden sind, und im Anschluß andererseits an die hiermit harmonierenden Auffassungen von  valore, valeur  und value (120) gelangte im deutschen Sprachgebrauch zu einer gewissen Festigung auch die andere Anschauung, daß von Wert für Jemanden allein diejenigen Dinge wären, welche, abgesehen von ihrer Tauglichkeit, menschlichen Bedürfnissen, Zielen, Zwecken usw. zu genügen, auch knapp oder "selten" im Verhältnis zum Bedarf sind, so daß  hiernach  z. B. kleinere Quantitäten von im Überfluß vorhandenen Wassermengen  nicht  von Wert für den Besitzer sind, obwohl sie ihm geeignete Mittel zur Befriedigung wichtiger Bedürfnisse sein können.

In der Wissenschaft aber entstand eine ähnliche Verschiedenheit der Vorstellungen.

Im Ausland zwar befestigte sich, wie leicht erklärlich, vorzugsweise die hier in Rede stehende, an  valere  anknüpfende Auffassung bei GARNIER: La valeur est la force ou pouvoir d'échange d'une chose. [Wert ist die Fähigkeit einer Sache zum Austausch. - wp] Bei COSSA: Valore è l'attitudine di una richezza a procurarne altre collo scambio, ossia la sua potenza di acquisto. [Wert ist die Fähigkeit einer Sache sich mit anderen auszutauschen, d. h. seine Kaufkraft. - wp] JOHN STUART MILL: By the value of a thing we understand the command which its possession gives over purchaseable commodities in general. The word  value,  when used without adjunct always, means in political economy, value in exchange etc. [Als Wert einer Sache verstehen wir den Befehl, der den Besitz verleiht über käuflich Rohstoffe im Allgemeinen. Der Wort  Wert,  wenn es ohne irgendeinen Zusatz verwendet wird, bedeutet in der politischen Ökonomie, Tauschwert. - wp] - Das blieben die die  romanischen  und  englischen  Schriftsteller im allgemeinen beherrschenden Vorstellungen. Und damit war die dem deutschen "Wert, Wirde, Würde" eigentümliche Vorstellung, daß uns  wert, wirdig, würdig  usw. auch im  Überfluß  vorhandene Dinge erscheinen können, schwer in Einklang zu bringen. Wo man also in jenen ausländischen Literaturen (abweichend von der regelmäßigen Auffassung von  valeur, valore  etc.) auch von einem  valeur estimative, valeur en usage, value in use  etc. zu sprechen unternahm, blieb die Voraussetzung auch dieses "subjektiven Wertes" jenes Moment der Seltenheit (121), das für den  Tauschwert  selbstverständlich Voraussetzung ist, und damit war zur Freude aller Anhänger eines "einheitlichen" Wertprinzips zugleich die "Übereinstimmung" zwischen Gebrauchs- und Tauschwert trefflich gewahrt. Denn auf diesem Boden stehend konnte man z. B. nicht mehr versucht sein, mit ADAM SMITH vom Wasser zu sagen, es habe keinen oder nur geringen "value in exchange" und doch großen "value in use". Nein, dem Wasser im  Überfluß  stand hiernach ein  value in use  ebensowenig zur Seite als ein  value in exchange,  und Wasser, das  selten  war, erfreute sich ebenso des einen wie des anderen Werts. Die "Harmonie der Wert-Auffassung" war also nicht gestört. Und das wurde rühmend hervorgehoben. (122)

Anders in der deutschen Literatur.

Auf jenen anscheinenden  Widerspruch  zwischen Erscheinungen, die sich an zwei durchaus  verschiedene  und nur zufällig  gleich benannte  Dinge knüpfen, glaubte man da weniger Gewicht legen zu sollen. Und wie einst unsere HUFELAND, LOTZ, HERMANN usw. zum Teil einseitig, die zuerst berührte Auffassung von Wert vorzogen, so taten es die Meisten. Die aber dem "Seltenheitswert" oder einer ähnlichen Vorstellung den Vorzug gaben, wie seit den vierziger Jahren THOMAS, GOSSEN, WIRTH und andere blieben fast unbeachtet. Erst als unter Bezugnahme auf die Auffassung der "französischen Schule" MICHAELIS in dem bemerkenswerten Aufsatz über den "Wert", welcher im Jahr 1863 die "Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte" einzuleiten bestimmt war, jene Auffassungen auch zu der seinigen machte, und dann SCHÄFFLE, MANGOLDT, MENGER und andere ähnliche Ansichten vertraten, gewannen diese in Deutschland breiteren Boden (123), so daß es zur Zeit kaum noch angänglich erscheint, sie (wie es z. B. vom Verfasser bisher geschah) als ungeeignet auch unerörtert zu lassen. Und da man sich zur Verteidigung derselben vorzugsweise auf den allgemeinen Sprachgebrauch zu stützen pflegt, so ist hierauf schon an dieser Stelle einzugehen, während die Erörterung der wichtigeren Frage, welche jener beiden Auffassungen dem Interesse der Wissenschaft am meisten entspricht, später zu erörtern sein wird (vgl. Abschnitt II dieses Kapitels und Anhang I).



In sprachlicher Beziehung nun  scheinen  die Vertreter jener an die "französische Schule" sich lehnenden Auffassung des Werts als "Seltenheitswert" (an welcher Charakteristik in Ermangelung eines kürzeren Ausdrucks hier auch in der Folge festgehalten werden soll (124), nicht ganz Unrecht zu haben.

Es hat sicherlich manches Bestechende, wenn THOMAS sagt:
    "Wo so viel Wasser vorhanden ist, daß der entfernteste Gedanke an einen möglichen Mangel desselben töricht wäre, da ist  von keinem Wert  desselben  die Rede"  oder "Wo jedes Bedürfnis befriedigt wird und befriedigt werden kann, noch ehe es einen bemerkbaren Grad erreicht hat, ... ist der Mensch nicht sehr geneigt, an eine Schätzung der Dinge zu denken, Luft und Wasser  verlieren  für ihn  ihren Wert,  solange sie sich ihm überall darbieten, und kein Entbehren derselben ihn durch unangenehme Gefühle an sie erinnert" (Theorie des Verkehrs I, 1841, Seite 39 und 65).
Und ebenso kann man versucht sein, WIESER und BÖHM-BAWERK beizupflichten, wenn Ersterer sagt:
    "Was überflüssig ist, wird auch im Haushalt  für wertlos gehalten.  Wenn es in immer gesicherter  Überfülle  zu haben ist, so wird in keiner Beziehung mit ihm gewirtschaftet ... Nicht einmal seinen Besitz sucht man sich zu sichern, es gibt an ihm kein Eigentum" usw. (Natürlicher Wert. 1889, Seite 2)
Oder wenn BÖHM-BAWERK ausführt:
    "Gegen Güter, die nur nützlich sind, benimmt sich der praktische Wirt achtlos und gleichgültig ... Solche Güter sind praktisch für unsere Wohlfahrt Nullen ... und wir behandelns sie danach, wir achten ihren Verlust nicht, und streben ihren Gewinn nicht an. Wo dagegen unser in praktischen Wirtschaftsdingen geschärfter Blick erkennt, daß mit einem Gut auch ein Stück Befriedigung, Wohlfahrt, Lebensgenuß auf dem Spiel steht, da wird das wirksame Interesse, das wir an unserer Wohlfahrt nehmen, auch auf das Gut übergeleitet, das wir als Bedingung derselben erkennen; wir achten und schätzen unsere eigene Wohlfahrt in ihm, wir erkennen seine Bedeutung für uns als  Wert  an" (a. a. O., Seite 10). "Dagegen bleiben jene Güter  wertlos,  die in so  überreicher Menge  zu Gebote stehen, daß nicht allein alle Bedürfnisse, zu deren Befriedigung sie überhaupt tauglich sind, vollauf gedeckt sind, sondern darüber hinaus noch ein Überschuß an Gütern bleibt" usw. (a. a. O., Seite 14)
Sieht man bei all dem von einigen Übertreibungen ab, zu denen sicherlich gehört, daß im Überfluß vorhandene Dinge "für unsere Wohlfahrt Nullen" sein sollen, und sie auch nicht Eigentums- oder Wirtschaftsobjekte sind usw. (125), so kann man wohl zugeben, daß nach allgemeinem Sprachgebrauch - und auf diesen sucht man sich in jenen Auslassungen vorzugsweise zu stützen - in der Tat so gesprochen werden kann, wie es die THOMAS, WIRTH, MENGER, WIESER usw. getan haben.

Nun aber die Kehrseite!

Auch der "gemeine Mann", auf den Jene in diesen Dingen so gern Bezug nehmen und der nach ihrer Ansicht, trotz unserer HUFELAND, LOTZE, BERNHARDI, RAU, HERMANN usw. das Richtige in diesen Dingen viel besser erkannt haben soll, als die Wissenschaft - auch dieser gemeine Mann wird doch kaum bestreiten können, daß bei lebhaftem Durst z. B. ein Schluck guten Wassers, zu rechter Zeit genossen, für ihn von  großem Werte  gewesen ist und bei ähnlicher Gelegenheit wieder für ihn von Wert sein könnte,  gleichgültig  ob solches Wasser ihm dabei in Fülle zur Verfügung stand, bwz. stehen wird oder nicht. Auch er wird zugeben, daß seinem kranken Kind frische Luft und Sonnenschein von großem, ja vielleicht von größerem Wert gewesen ist oder sein könnte als teure Medizin - wiederum  gleichgültig,  ob jene Dinge nun im Überfluß vorhanden waren, bzw. sind oder nicht. Und ebenso kann der gemeine wie der nicht gemeine Mann unendlich oft es ausgesprochen hören, daß die gute Luft unserer Seebäder und Gebirgsorte z. B. für angegriffene Nerven von hervorragendem Wert ist, wiederum  gleichgültig,  ob es dort viel oder wenig von dieser Luft gibt.

Wer also  ohne  vorgefaßte Meinung und  ohne  die Absicht, "seine Werttheorie" aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu rechtfertigen, an die Behandlung dieser Dinge herantritt, der wird unschwer erkennen, daß wir gerade hier einem in hohem Maße  unsicheren, schwankenden  Sprachgebrauch gegenüberstehen.

Man kann sich so, man kann sich anders ausdrücken.

Man kann sagen: "Dieser kleine Teil großer Wasserfülle hat für mich  keinen Wert,  denn ich habe, falls ich des Wassers bedarf, anderen Wassers genug". Man kann aber nicht weniger richtig auch sagen: "Da ich jetzt durstig bn, hat dieses Glas Wasser Wert für mich, gleichgültig ob es im Überfluß vorhanden oder knapp ist; denn jenes Wasser stillt eben meinen Durst, und deshalb schätze ich es, wie ich auch z. B. Freunde und Genossen schätze, unabhängig davon, ob ich ihrer zur Zeit viele oder wenige um mich habe" (126).

Mit dieser letzteren Auffassung und nur mit ihr harmoniert dann auch (wie jene älteste Auffassung, der wir schon bei FREIDANK begegnen) die auf die Gegenwart bezügliche Tatsache, daß wir von Wert in den oben berührten Zusammensetzungen: Heizwert, Nährwert, Düngewert usw. auch  ohne  Rücksicht darauf sprechen, ob die Objekte, denen wir solchen Wert beimessen, im Überfluß oder selten sind. Der Heizwert eines Klafters Buchenholz z. B. erscheint uns dadurch weder größer noch geringer, daß wir kleine oder große Holzquantitäten vor uns haben.

Nach jenem Sprachgebrauch also, auf den sich die Anhänger des "Seltenheitswerts" und ähnlicher Anschauungen zu stützen pflegen, haben wir die  Wahl. 

Wir können uns letzteren Wertauffassungen anschließen. Wir können aber auch jenen Bahnen treu bleiben, denen man in der deutschen Wissenschaft seit HUFELAND, HERMANN, LOTZ usw. vorzugsweise gefolgt ist.

Nur würde es selbstverständlich dem Interesse der Wissenschaft widerstreiten,  beide  Wege zu gehen. Für einen haben wir uns zu entscheiden. Und diese Entscheidung muß, wenn wir das Interesse der Wissenschaft in der Tat maßgebend sein lassen, eine solche sein, die zwischen der in der  deutschen  Literatur seit Alters her vorgezogenen Auffassung und dem sogenannten "Seltenheitswert" vermittelt.
LITERATUR Friedrich Julius Neumann, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, Tübingen 1889
    Anmerkungen
    95) Weiteres hierüber in dem Aufsatz: Die Steuer nach der Steuerfähigkeit, ein Beitrag zur Geschichte der Lehre von der Besteuerung (Jenaer Jahrbücher, Neue Folge I, 1880, Seite 511)
    96) Es sei gestattet, hier und im folgenden auf den oben erwähnten Aufsatz: Die Begriffe Gut, Wert und Preis etc. (zweite Auflage 1885), Seite 170f, sowie auf die älteren Aufsätze: Zur Revision der Grundbegriffe, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 25, Tübingen 1869 und 1872, Bezug zu nehmen.
    97) Vgl. Abschnitt II und III dieses Kapitels und a. a. O. (1885) Seite 158f.
    98) Das ist ein heute sehr verbreitetes Urteil. Vgl. z. B. auch PUTLITZ, Wert Preis und Arbeit, 1880, Seite 47: Viele Einteilungen sind mehr spitzfindig und gesucht als zweckmäßig ... Statt uns das Wesen des Wertes klarer erkennen zu lassen, verdunkeln sie dasselbe nur und verwirren usw. Ähnlich WAGNER.
    99) Für die nicht seltene Verwechslung von "Einheitlichkeit" des Ausdrucks und "Einheitlichkeit" der Prinzipien ist charakteristisch die Kritik, die selbst an so trefflichen Ausführungen wie jenen von KNIES (in dem erwähnten Aufsatz über "Die nationalökonomische Lehre vom Wert", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1855) geübt worden ist. Hatte KNIES mit Recht hervorgehoben, daß man sich bei der Behandlung dieser Lehre auf eine Kombination mehrerer Bedeutung des Ausdrucks "Wert" zu stützen hat, so erschien das z. B. MENGER noch 1871 (Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, Seite 79) als ein Verstoß gegen die Forderung eines "einheitlichen Wertprinzips" - als ob, wer auf die ganz und gar einheitliche Auffassung eines  Ausdrucks  verzichtet, damit auch auf eine Einheitlichkeit der Grundsätze oder Einheitlichkeit der Vorstellungen über einzelnen  Begriffe  oder einzelne  Erscheinungen  verzichtet.
    100) vgl. auch MENGER, a. a. O., Seite 34, Anm. 2
    101) So vielfach auf deutschen Boden z. B. bei LINDWURM, dessen Monographie (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1864, Seite 165) über den von ihm ausschließlich "Wert" genannten Gebrauchs- bzw. subjektiven Wert zu den besten über diesen Gegenstand gehört; ähnlich in neurer Zeit aber auch WOLF, in seiner durch gute kritische Bemerkungen ausgezeichneten Abhandlung über "Die Lehre vom Wert", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1885) Tauschwert und andere Auffassungen vom Wert im objektiven Sinne erscheinen ihm als "unechte Werte".
    102) Über den  Ausdruck  vgl. unten Abschnitt II und Anhang I. Was die Sache betrifft, so ist heute den Meisten, die diesem "Seltenheitswert" vor der hier verteidigten Auffassung den Vorzug geben, MICHAELIS, WIRTH, MENGER, WIESER usw., "Wert" überhaupt  nur  Wert in jenem Sinne. Eine rühmliche Ausnahme macht BÖHM-BAWERK (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1886, Seite 4f)
    103) Es ist dies bekanntlich die in sozialistischen Ausführungen über Wert, Preis und Lohn am meisten verbreitete Auffassung, zu deren Befestigung namentlich KARL MARX beigetragen hat. Als Wewrte sind die Waren, so heißt es bei MARX in den mannigfaltigsten Variationen, nur bestimmte Massen festgeronnener Arbeitszeit, nichts als kristallisierte Arbeit usw. Aller Wert sei "inkarnierte menschliche Arbeit", "als Wert" bestehe z. B. die Leinwand nur aus Arbeit usw. Vgl. MARX, Das Kapital I (1867) z. B. Seite 4, 5, 16f, 43.
    104) Es ist dies vorzugsweise englische und französische Auffassung. Hier sei z. B. an PASSYs Aufsatz im Dictionaire de l'Economie politique II (18863, Seite 806f) erinnert, in dem alle anderen Auffassungen vom Wert bekämpft werden, außer jener, wonach  valeur  sei: le rapport existant entre deux choses échangées [Beziehung zwischen zwei Dingen die ausgetauscht werden - wp]. Ähnlich hieß es bei GARNIER (La valeur est la force ou pouvoir d'échange d'une chose. [Wert ist die Fähigkeit einer Sache zum Austausch. - wp] Traité, 1863, Seite 13) und bei COURCELLE-SENEUIL (Pas d'échange, pas de valeur), desgleichen bei COSSA (Valore è l'attitudine di una richezza a procurarne altre collo scambio, ossia la sua potenza di acquisto [Wert ist die Fähigkeit einer Sache sich mit anderen auszutauschen, d. h. seine Kaufkraft. - wp] usw. Auch in der deutschen Literatur sind ähnliche Anschauungen hie und da zu finden, so bei DÜHRING: Es ist nur der sogenannte Tauschwert, welcher der ökonomischen Geltung der Dinge entspricht", man habe nur einen Wertbegriff zu berücksichtigen, "nämlich denjenigen, welcher in den Preisen seinen Ausdruck findet." Ähnlich hieß es bei RÖSLER: "Der Wert sei die Vermögensqualität der Güter, der Gebrauchswert habe seine Widerlegung gefunden" usw.
    105) Mit einer Offenheit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, hat sich für ein Verfahren dieser Art noch kürzlich z. B. WIESER entschieden. "Um den inneren Zusammenhang des Buches klarer zu machen", habe er - so führt er in der Einleitung zu seinem zweiten großen Werk über den Wert von 1889 aus - "fast  jede kritische Auseinandersetzung mit fremden Meinungen,  ja fast jede literaturgeschichtliche Verweisung unterlassen", abgesehen "von den Berufungen jener Autoren, die der  gleichen Richtung  angehören". - Vereinfacht wird dadurch die Darstellung der Ansichten des Verfassers in der Tat. Aber wird sie dadurch gefördert? Liegt nicht gerande in der Beachtung und der Kritik der Ansichten Anderer das Mittel, zu einer Erkenntnis zu gelangen, die auch in weiteren Kreisen Beachtung findet? Und man darf sich wundern, daß nach einem solchen Vorgehen die Ansichten WIESERs und MENGERs, wie auch BÖHM-BAWERK gelegentlich zugibt, bisher eine so zögernde Aufnahme gefunden haben? (a. a. O., Seite 3). BÖHM-BAWERK selbst denkt in dieser Beziehung ähnlich wie der Verfasser dieser Zeilen: "Die Einen, und zwar weitaus die mehreren - sagt er - benehmen sich so, als ob es einen Zweifel oder Zwiespalt in Anbetracht des Wertes gar nicht gibt. Sie entwickeln  einen einzigen  der sprachüblichen Wertbegriffe - freilich nicht alle denselben - und vernachlässigen alle übrigen ... die Existenz anderer als des bevorzugten Wertbegriffs wird entweder vollständig ignoriert, totgeschwiegen, oder man erwähnt ihr Dasein, aber nur um die letztere als fehlerhaft zu tadeln" usw.
    106) Die Ansichten, zu denen sich jetzt BÖHM-BAWERK und WOLF a. a. O. bekennen, differieren von meinem seit 1869 vertretenen, abgesehen von jenem "Seltenheitswert" (der, nach Ansicht des Verfassers, dem von ihm sogenannten "subjektiven Wert", bei richtiger Erfassung des letzteren, nahe steht, ihm aber nicht vorgezogen werden kann, vgl. Abschnitt II) nicht mehr sehr erheblich. Auch was PUTLITZ, a. a. O. ausführt, enthält in mancher Beziehung eine Übereinstimmung mit meinen Ansichten. Und gerade diese drei dürften diejenigen sein, die sich in jüngster Zeit am eingehendsten und erfolgreichsten mit dem "Wesen des Wertes" beschäftigt haben.
    107) Vgl. unten Abschnitt II
    108) Wunderbarer Weise ist ein hierauf bezüglicher Vorwurf auch mir gemacht worden. Gerade ich habe es mir, seit ich eine Erörterung der Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre begann, zur Aufgabe gemacht, vor einem solchen Fehltritt zu warnen. Schon im ersten hierauf bezüglichen Aufsatz (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1869) habe ich betont, daß man durchaus unterscheiden muß zwischen dem, was der Sprachgebrauch der Wissenschaft verlangt, und habe demgemäß immer wieder, zuletzt noch in meinem Aufsatz über die Begriffe  Gut, Wert  usw. (2. Auflage 1885) eine große Reihe von Wert-Auffassungen verworfen, an denen, dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, Andere festhalten, so den sogenannten "Kostenwert" (den z. B. SCHÄFFLE und PUTLITZ verteidigen), den "Seltenheitswert", den MICHAELIS, WIRTH, MANGOLDT, MENGER, WIESER; BÖHM-BAWERK usw. festhalten, den Wert als "Arbeitsquantum", wie ihm MARX und die meisten Sozialisten befürworten, den sogenannten "abstrakten Wert", den RAU unterscheiden wollte, sodann den Wert als "Sache von Wert" (im subjektiven Sinn), früher auch solche Auffassungen wie Nährwert, Heizwert, Düngewert usw. (vgl. a. a. O., Anmerkung 93 und 104 und "Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft", 1869, Seite 511 und 1872, Seite 289f) - - - Wenn also z. B. BÖHM-BAWERK (a. a. O., Seite 3) wörtlich sagt: "Einem andern Mißgeschick verfallen jene Gelehrten, die, der Sprachübung allzu getreue Folgschaft leistend, ...  ebensoviele selbständige Wertbegriffe einführen, als es sprachliche Nuancen des Wertnamens gibt",  und zu solchen Autoren, die hiernach das "Amt eines Nationalökonomen mit dem des Sprachforschers zu verwechseln scheinen," auch den Verfasser dieser Zeilen rechnet, - so ist das jedenfalls sehr ungenau. "Die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig" auf diesem Gebiet suchen auch Andere als BÖHM-BAWERK, der übrigens seinerseits nicht ansteht, allein an objektiven Wertbegriffen "so viele Arten des Werts" unterscheiden zu wollen, "als es äußere Erfolge gibt" (Seite 4, a. a. O.) Vgl. unten.
    109) In dieser Beziehung sei zu dem schon in den Aufsätzen von 1869 und 1872 Gesagten hiernur noch folgendes bemerkt. - - - Auch GOLDSCHMIDT (Handelsrecht, 2. Auflage) erscheint der Wert als ein einheitlicher (Seite 73). Indessen ergibt seine Darstellung, daß ihm der Wert 1) eine Proportion ist, 2) ein Brauchbarkeitsgrad (Seite 74), 3) eine Vorstellungsform des Gutes", bzw. das Gut selbst (vgl. Seite 79: ... Gut mag man kurz, aber tropisch selbst als Wert bezeichnen) usw. - wobei noch zu beachten ist, daß GOLDSCHMIDT bei fast ausschließlicher Behandlung handelsrechtlicher Dinge natürlich keine Veranlassung hatte, daneben auch jenes  Ertrags wertes zu gedenken, den man bei der Behandlung agrarpolitischer Dinge nun einmal nicht missen kann, noch weniger des  forstlichen Erwartungs werts oder solcher Dinge wie  Nährwert, Heizwert  usw. - Anders MENGER. Indessen hält auch er für "dargetan", daß alle Werterscheinungen derselben Natur sind (Seite 143, a. a. O.) und der Wert nur ein einziger Begriff ist (Seite 78 und 83). Damit aber harmoniert nicht, daß MENGER den Wert einerseits Seite 78 als die "Bedeutung" bezeichnet, "die konkrete Güter dadurch erlangen, daß wir in der Befriedigung unserer Bedürfnisse von der Verfügung über dieselben abhängig zu sein uns bewußt sind", sodann auf Seite 86 bemerkt, daß Wert ein Urteil der wirtschaftenden Individuen  über  die "Bedeutung" ist, und namentlich auf Seite 118 von "Wertquoten" spricht, die doch allem Anschein nach weder "Urteils"-Quoten nocht "Bedeutungs"-Quoten sein sollen. - - - Viel vorsichtiger urteilte PUTLITZ, a. a. O. Seite 61. Man solle, sagt er, jedenfalls danach streben, Vieldeutigkeiten desselben Ausdrucks zu beseitigen,  "wenn es auch nicht sobald gelingen wird."  Speziell will er zugeben, daß man das Wort  Wert  "auch einmal in übertragener Bedeutung verwenden" und z. B. von Werten sprechen kann, "wenn man Güter von Wert meint", denn da sein ein Irrtum nicht zu befürchten.
    110) Zum folgenden ist namentlich zu vergleichen: SCHADE, Altdeutsches Wörterbuch, zweite Auflage, 1872-1882 und GRAFF, Althochdeutscher Sprachschatz, Bd. 1, 1834. Daneben BENECKE, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, herausgegeben von MÜLLER und ZARNCKE, Bd. III, 1861; LEXER, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Bd. III, 1876-78 und SCHILLER und LÜBBEN: Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bd. V, 1880.
    111) In Frankreich hat sich ein ähnlicher Übergang, aber (wie aus dem verschiedenen Ausgangspunkt leicht zu erklären ist) in  umgekehrter  Richtung vollzogen.  Valoir  und  valeur  bedeteten, von  valere  stammend, ursprünglich so viel wie "gelten": Valeur war ursprünglich "valeur  commercable"  (TURGOT).
    112) Auch "werte" für Waren oder Sachen von Wert ist schon früh ein gebräuchlicher Ausdruck gewesen. So schon im Althochdeutschen ("Wertsache, Waare", vgl. SCHADE, a. a. O.), ähnlich im Mittelhochdeutschen: "vailer wert" (feile Ware), "silber unde wert". Vgl. LEXER, auch GRAFF, a. a. O. Bd. 1, 1834, Seite 1011f und bezüglich des Mittelhochdeutschen MÜLLER-BENECKE, a. a. O.
    113) Bezüglich dieses aus den romanischen Sprachen (pretium von griech. priamai, d. h. kaufen, italienisch prezzo, französisch prîs, später prix, englisch price etc.) übernommenen Ausdrucks vgl. außer den in Anm. 110 Genannten auch KLUGE, Etymologisches Wörterbuch, 1884, Seite 258 und WEIGAND, Deutsches Wörterbuch, Bd. II, 1878, Seite 386. Bemerkt sei hier nur, daß, ehe dieses Wort sich in der heutigen Auffassung bei uns einbürgerte, manches Schwanken stattfand, von dem wir Spuren noch im heutigen preisen (engl. prize) = schätzen, loben etc. verfolgen können. Man sagte früher Preis wie der Italiener prezzo und der Franzose prix auch für das, was wir heute  Wert  nennen. So sprach man auch im Deutschen einst z. B. von Leuten oder Handlungen "von grôzem pris". Aber umgekehrt, wo wir heute von Preis sprechen müssen, gebrauchte man, ehe sich der Ausdruck prise, Preis bei uns gefestigt hatte, den Ausdruck Wert (Belege bei GRAFF, KLUGE und SCHADE). Und damit steht dann auch jener z. B. noch von WEIGAND (Seite 1097) festgehaltene und danach auch z. B. von WOLF (Lehre vom Wert) übernommene Irrtum in Zusammenhang, daß  werd, verd  ursprünglich Kaufpreis bezeichnet, da es mit  wër  oder  vair  (der Mann) und  Wergeld  (Loskaufpreis für Totschlag) in Zusammenhang gestanden hat. Hiergegen vgl. jetzt namentlich SCHADE a. a. O., der eher eine Beziehung von Wert zu "wahren" (gewahren, anschauen) möglich hält.
    114) Das ist auch die heute gebotene volkswirtschaftliche Unterscheidung. Vgl. unten den Abschnitt vom Preis. - - - In den romanischen Sprachen sind Scheidungen dieser Art weniger verbreitet, da man dort eben eines unserem "Wert" entsprechenden Ausdrucks entbehrt, und jene Derivata von  valere  (valeur, valore, value usw.) keinen ausreichenden Ersatz dafür bieten, weshalb man genötigt ist, mit jenen aus dem lateinischen  pretium  abgeleiteten Worten  prix, prezzo  etc. derart hauszuhalten, daß sie nicht nur unserem "Preis", sondern (ähnlich wie einst pretium selbst) auch unserem "Wert" entsprechen (Anm. 113)
    115) Ähnlich wie Heizwert usw. Vgl. Anm. 116
    116) So können z. B. meine beim letzten Brand vernichteten Bücher und Möbel eine große Heiz kraft  gezeigt haben. Von einem zutage getretenen Heizwert derselben aber könnte höchsten scherzhaft gesprochen werden. Ebenso mag mein Reitpferd eine gewisse Nährkraft in sich schließen, vom Nähr wert  desselben könnte nur etwa in einer belagerten Festung gesprochen werden. Vollkommene Synonymität, die etwa dahin leiten könnte, einen der beiden Ausdrücke fallen zu lassen, besteht also zwischen Nährwert und Nährkraft, bzw. Heizwert und Heizkraft usw. nicht. (Anders freilich z. B. JULIUS WOLF, a. a. O., Seite 50 und BÖHM-BAWERK, a. a. O., Seite 4) Und gerade deshalb habe ich, nachdem ich früher eine andere Ansicht vertreten habe, solche Ausdrücke wie Nährwert, Heizwert, Düngewert usw. später wieder als berechtigt in Schutz genommen. (Die Begriffe Gut, Wert, etc. zweite Auflage 1885) Keineswegs aber habe ich (wie WOLF aus Seite 46, a. a. O. annimmt) irgendwo die Ansicht vertreten, daß man sich "mit dem objektiven Wert überhaupt nicht auf dem Boden des Werts befindet. Bezüglich des objektiven Kauf- oder Tauschwerts z. B. ist das von mir niemals angenommen worden. Im Gegenteil ist von mir oft die Notwendigkeit einer Sonderung dieses "objektiven" Tauschwerts vom Tausch- oder Kaufwert in einem subjektiven Sinn betont worden.
    117) Ähnlich jetzt auch BÖHM-BAWERK: "Wert im  objektiven  Sinn heißt: Die Kraft oder Tüchtigkeit eines Gutes zur Herbeiführung irgendeines objektiven Erfolges". So gebe es Nährwert, Sprengwert usw., wobei "aus dem Begriff des Wertes jede Beziehung auf das Wohl oder Wehe eines Subjekts verbannt ist."
    118) Vgl die Ausführungen HILDEBRANDs über die dem "verschiedenen Nationalcharakter" entsprechenden Verdienste der Deutschen, Franzosen und Engländer um die Fortentwicklung unserer Wissenschaft (Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft, Bd. 1, 1848, Seite 21f). Die gelegentlichen kurzen Bemerkungen über den Wert, die HILDEBRAND selbst an die Kritik von PROUDHON schließt (Seite 318), sind in neuerer Zeit Objekt eines sehr bequemen Angriffs seitens der Vertreter jenes "Seltenheitswertes" geworden, boten aber, weil sie eben nur gelegentliche Bemerkungen waren, keinen hinreichenden Anlaß hierzu.
    119) So heißt es z. B. bei HUFELAND: "Man nenne jedes Mittel zu einem Zweck eines Menschen ein  Gut  und setze den  Wert  immer in die Eigenschaft einer Sache, ein Mittel zu einem menschlichen Zweck (ein Gut) sein zu können, bestimme ihn also durch die  Tauglichkeit zu einem Zweck von Menschen"  (Grundlegung I, Seite 16). Ähnlich bei SODEN: "Wert ist die Bezeichnung des Grades der ... Genußbefriedigung, die Viele oder Einzelne im Genuß eines bestimmten Gutes finden" (Nationalökonomie I, Seite 50). Und sodann: "Mangel an Seltenheit schließt den Begriff des positiven Wertes  nicht  aus (Bd. 1, Seite 44). Gewürznelken würden als Mittel, den Wohlgeschmack zu erhöhen, stets positiven Wert haben, wüchsen sic hauch allenthalben als gemeine Pflanzen" (Bd. 1, Seite 46). Ähnlich bei LOTZ: "Auf der Anerkenntnis seiner Tauglichkeit und nur auf dieser Anerkenntnis ruht der Wert eines Gutes (Handbuch I, Seite 22). Desgleichen bei BERNARDI (Kritik der Gründe für dsa große und kleine Grundeigentum, 1848, Seite 68: "Immer ist es die anerkannte Tauglichkeit, die den Wert eines Gutes begründet") und HERMANN (Staatswissenschaftliche Untersuchungen, 2. Auflage, Seite 103): "Die Fähigkeit des Gegenstandes, ein Bedürfnis zu befriedigen, nennt man den Wert desselben". Vorsichtiger vermittelnd RAU, a. a. O., § 62 und 64.
    120) Vgl. oben
    121) So schon bei TURGOT, auf den vorzugsweise jene Scheidung in Gebrauchs- und Tauschwert (valeur commercable und valeur estimative) zurückzuführen ist. [...] Für jene in Frankreich traditionelle Vorstellung trat dann später gegen ADAM SMITH und insbesondere gegen J. B. SAY (seinen weniger selbständig, den Bahnen von SMITH folgenden Bruder) LOUIS SAY ein.
    122) So schon von TURGOT und nicht minder von neueren Anhängern des "Seltenheitswertes": "Höchster Nutzen und dabei kleinster Wert (wie bei Wasser) - so heißt es z. B. bei BÖHM-BAWERK (a. a. O., Seite 20) - welch sonderbarer  Widerspruch".  "Da man aber die Empfindung nicht loswerden konnte, daß der Güterwert mit dem Wohlfahrtsnutzen etwas zu tun haben muß, so registrierte man (soll heißen: PROUDHON) die Disharmonie zwischen dem Nutzen und dem Wert der Güter als einen  seltsamen rätselhaften Widerspruch  als eine contradiction économique." Er wolle zeigen, "daß die  ältere Theorie  sich ohne Not von der natürlichsten Erklärung abwendig machen ließ" usw. Ähnlich rühmt WIESER (a. a. O. Seite 26) von der von ihm vertretenen Auffassung, daß danach "Wert überhaupt ... in jeder Form, auch in der des Gebrauchswerts, auch dort, wo man gar keinen Tausch kennt, für alle gleichen Güter der gleiche ist."
    123) Ja, man gefällt sich darin, dieselben als neue und Epoche machende auszugeben. "Die deutsche Theorie hat damit einen Schatz aufgespeichert, von dem  für eine nicht absehbare Zeit hinaus alle folgenden wissenschaftlichen Bestrebungen  zu zehren vermögen", heißt es mit Bezug hierauf z. B. bei WIESER (a. a. O., Seite 10) und ähnlich bei BÖHM-BAWERK (a. a. O., Seite 10): Ich behaupte nun nicht zu viel, wenn ich die eben geschilderte Unterscheidung als eine der fruchtbarsten und fundamentalsten unserer ganzen Wissenschaft erkläre."
    124) Zu einer besonderen Bezeichnung dieser Weltauffassung lag in Deutschland bisher nur selten ein Bedürfnis vor. Die ihr  abgeneigt  waren, ließen dieselbe unerörtert. Die ihr aber huldigten - denen war  dieser  Wert selbstverständlich (vgl. Anm. 105) "der Wert", neben dem es berechtigterweise keinen anderen gab, und er deshalb auch keiner Sonderbezeichnung bedurfte. - - - Eine Ausnahme mach WOLF, der die beiden hier in Rede stehenden Auffassungen vom Wert (im subjektiven Sinn) als berechtigt auch in der Wissenschaft anerkennen will, und dem der Wert nach älterer Auffassung "selbständiger" Wert, der "Seltenheitswert" aber  "abhängiger"  (von Seltenheit abhängiger?) Wert ist.
    125) Und so hat man entsprechend gemeint, daß als Wirtschaft, bzw. wirtschaftliche Tätigkeit jede solche Tätigkeit oder, wie wohl auch gesagt worden ist, jede solche "Betätigung praktischer Vernunft" anzusehen ist, die es mit Dingen zu tun hat, welche "beschränkt" gegeben, d. h. insbesondere im Verhältnis zum Stand unserer Bedürfnisse oder zum Umfang unseres "Bedarfes nach äußerer Ergänzung" usw. nicht im Überfluß vorhanden sind.
    126) Man Vergleiche auch GRAFF, und SCHILLER und LÜBBEN a. a. O., die übereinstimmend "wert" und "werd" in erster Linie mit  dignus  übersetzen, desgleichen MÜLLER und ZARNCKE a. a. O., die ihre Erklärungen mit Bezugnahme auf "werder gast", "werder man" usw. beginnen. Daher dann auch solche Ausdrücke wie  unwerd, unwerds  (angelsächsisch) etc. z. B. "unwerd pin ich morden mienen fienden" etc. (vgl. GRAFF a. a. O.), sowie jetzt  Jemand  "wert halten", "wert schätzen" usw.