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Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie [3/3]
VII. Die Arten der Einheitsfunktion 1. Die Aufgabe 84. In dem Ergebnis: daß unsere Vorstellungen zu Einheiten verknüpft werden müssen, besitzen wir ein Urteil, das, ohne in einem anderen enthalten zu sein, den Anspruch auf notwendige und allgemeine Geltung erheben kann. Denn es ist notwendig, weil auf seiner Wahrheit die Identität des Bewußtseins beruth, ohne welche von der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt nicht die Rede sein kann. Es ist allgemeingültig, weil das identische Ich vom Bewußtsein dieses oder jenes einzelnen Subjekts vollkommen unabhängig ist. Das Ich ist eine absolut einfache Vorstellung, sie enthält kein Mannigfaltiges, das durch Erfahrung in verschiedener Weise gegeben werden könnte. Sie bezeichnet die einfache Tatsache des Daseins eines Subjekts, die Existenz eines Denkens. In dem absolut unbestimmten Faktum des bloßen Vorhandenseins kann aber kein Unterschied der Subjekte Gedacht werden. Also muß ein Urteil, das bloß dieses Faktum zur Voraussetzung hat, allgemeingültig sein. 85. Die Identität des Bewußtseins, welche die Bedingung ist, unter der überhaupt aus Wahrnehmungen Erfahrung werden kann, fordert also für die Möglichkeit ihres eigenen Daseins, daß in dieser Erfahrung ein einheitlicher Zusammenhang der Vorstellungen besteht. Diese Notwendigkeit des Zusammenhangs, oder mit einem gleichbedeutenden Wort, diese Gesetzmäßigkeit der Vorstellungsverbindung ist die allgemeine Voraussetzung, welcher die Einheitsfunktion zu genügen hat. 86. Von der Erzeugung dieser Erfahrungseinheit wissen wir bis jetzt nichts, als daß sie vorhanden sein muß, ihre besondere Gestaltung ist uns unbekannt. Um sie kennen zu lernen, müßten wir die einzelnen Bedingungen der Identität des Bewußtseins, die verschiedenen Arten der Einheitsfunktion zu ergründen suchen. Wenn uns das gelänge, so hätten wir dadurch ebenso viele Urteile von ursprünglicher Notwendigkeit, also eine Reihe objektiver Erkenntnisse gewonnen. Denn alle Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind ja auch Bedingungen der Möglichkeit ihrer Gegenstände. In diesen Regeln der Einheitsfunktion würden wir somit Prinzipien erkennen, von denen die Gesamtheit der für uns erkennbaren Dinge abhängig ist. 87. Die Aufgabe gehört zu den wichtigsten und schwierigsten der Erkenntnistheorie. Wir müssen streng daran festhalten, daß diesen Gesetzen die Notwendigkeit nur als Bedingungen der Bewußtseinsidentität zukommen kann. Auf welche Weise aber soll es denn möglich sein, die Zahl dieser Bedingungen festzustellen? Wie soll hier die Gefahr spekulativer Willkür vermieden werden? Soviel können wir von vornherein behaupten, daß wir jedenfalls über die Zahl absolute Gewißheit erlangen müssen. Denn weil die Gesetze Bedingungen der Erfahrung überhaupt sind, kann ihre Zahl durch die Erfahrung nicht verändert werden; daher muß sie auch endgültig aufgezeigt werden können. Die Lösung kann nur eine sein. Solange die Zahl der reinen Denknotwendigkeiten, welche verschiedene Forscher aufstellen, variiert und variieren kann, ist die Methode falsch. Ein hypothetisches Verfahren ist hier nicht statthaft. Man darf nicht versuchsweise verschiedene Zahlen annehmen und schließlich diejenige behalten, welche zu dem relativ befriedigendsten System führt. Die Ableitung hat nur dann Wert, wenn sie mit Bewußtsein aus einem erkenntnistheoretischen Prinzip hervorgeht (50). 88. Dazu kommt eine zweite Schwierigkeit. Die Allgemeingültigkeit kann den besonderen Gesetzen nur unter der Bedingung anhaften, daß sie keinen empirischen, d. h. erfahrungsmäßig variablen Faktor enthalten. Wie sollen wir aber im Begriff der Einheitsfunktion überhaupt eine Besonderung entdecken, ohne uns an die Erfahrung zu wenden? 89. Vielleicht können wir von einer anderen Seite her Hilfe bekommen. Unter der Einheitsfunktion verstehen wir denjenigen Vorgang im Bewußtsein, durch welchen verschiedene Vorstellungen zu einer Einheit verbunden werden. Nun ist aber das Urteil nichts Anderes als unsere Erkenntnis- und Ausdrucksform eben dieser Funktion. Das Urteil ist die entwickelte Vorstellung der Bewußtseinseinheit verschiedener Vorstellungen. Der Gang unserer Untersuchung hat uns ja über das Urteil niemals hinausgeführt. Wir suchten für die Verbindung der Eigenschaften des Gegenstandes einen objektiven Grund und fanden dafür einen subjektiven, die Verbindung selbst blieb die gleiche. Nun wissen wir, daß die formale Logik die verschiedenen Arten dieser Verbindung genau zu studieren hat, um daraus die verschiedenen Möglichkeiten abzuleiten, welche für die Gewinnung formaler Notwendigkeit vorhanden sind. Wo könnten wir daher die gewünschte Anzahl unserer Funktionen sicherer und vollständiger erfahren? Wir lesen sie ab aus der formalen Logik und besitzen nun für die zureichende Lösung der Aufgabe zumindest die Garantie, welche diese so hoch entwickelte Wissenschaft zu leisten vermag. Das ist der Weg, den KANT eingeschlagen hat. Die Wichtigkeit des Punktes macht ein besonderes Besprechen der kantischen Darstellung notwendig. 90. KANT geht zur Aufstellung seiner Kategorien mit dem Satz über:
91. Die angeführten Stellen zeigen deutlich, daß sich KANT auf die Logik beruft, als auf eine Wissenschaft, deren Grundwahrheiten unzweifelhaft feststehen. Wenn daher gesagt wird, daß KANT die Vollständigkeit der Urteilstafel nicht selbst begründet hat, so trete ich dieser Ansicht bei. Er hat das überhaupt nicht für nötig gehalten. Will man aber daraus den Vorwurf ableiten, KANT habe sich in seiner Umwandlung der Rhapsodie [Bruchstückhaftigkeit - wp] in ein System selbst getäuscht und sich mit einem "Prinzip" gebrüstet, das er nicht bessessen hat, so macht man sich eines starken Mißverständnisses schuldig. Man verwechselt dann die Kategorientafel mit der Urteilstafel. KANT hatte sich gerühmt, ein Prinzip entdeckt zu haben für die Einteilung jener allgemeinen Begriffe, an deren Feststellung die Philosophie bisher verzweifelt ist. Seit ARISTOTELES hatte man sich bemüht,
92. In diesem Sinn muß man die Freude begreifen, welche KANT über seine Entdeckung empfunden hat. Sie ging nicht auf die entdeckte Einteilung überhaupt, sondern auf die entdeckte Notwendigkeit seiner metaphysischen Einteilung. Und da es gebräuchlich ist, an dieser Stelle die erste Äußerung von KANTs Symmetrieleidenschaft und gothischer Zahlenfreude aufzuzeigen, so sei hier ein weiterer Vorwurf zurückgewiesen. Man wende gegen KANT ein, daß er eine unwissenschaftliche Ansicht von der formalen Logik gehabt hat, und es bleibt dann vorläufig dahingestellt, ob und welche Resultate seiner Forschung dadurch unbrauchbar gemacht werden. Aber nachdem man seine Auffassung einmal zugrunde gelegt hat - und das muß man, wenn man das Weitere kritisieren will, - ist es methodisch unrichtig, sich bei jedem folgenden Erscheinen der ursprünglichen Einteilung über Künstelei zu beklagen (60). Wer dem Zusammenhang nur einigermaßen gefolgt ist, kann doch nicht verkennen, daß die Kategorientafel in der Tat eine systematische Topik begründet für alle Untersuchungen, deren Stoff von den verschiedenen Funktionen des Bewußtseins wesentlich abhängig ist (61). Denn ihre Vollkommenheit beruth darauf, daß sie nicht "von der Sache selbst auf dogmatische Weise" (62), sondern "aus der Natur des Verstandes selbst nach kritischer Methode" genommen ist. Wenn Andere das auch auf empirisch beeinflußte Objekte ausdehnen wollen, so ist dafür jedenfalls nicht KANT verantwortlich zu machen. Das mögen folgende Stellen belegen: KANT hat ausdrücklich eingeschärft, daß das Schema bloß der Metaphysik, bloß "aller Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft" (63) zugrunde liegen kann und zwar "sofern er philosophisch und nach Grundsätzen a priori erwogen werden soll." (64) Denn allein in der Metaphysik wird der Gegenstand "nur, wie er bloß nach den allgemeinen Gesetzen des Denkens ... vorgestellt werden muß, betrachtet." (65) Da muß er jederzeit mit allen notwendigen Denkgesetzen verglichen werden und stets die gleiche, erschöpfende Zahl von Erkenntnissen liefern. So zeichnet sich die Metaphysik
93. Damit ist der Angriff auf den richtigen Punkt gewiesen. Nun freilich müssen wir fragen, wie sich das "System verhält, wenn wir der formalen Logik das Vertrauen, das KANT ihr schenkte, nicht gewähren können. Da das metaphysische Ergebnis seine Sicherheit der Bürgschaft der Logik verdankt, so wird mit dieser Garantie auch jener Ertrag dahinfallen. Diese bedenkliche Behauptung würde unzweifelhaft feststehen, wenn nicht inzwischen mit dem der Logik entlehnten Schema anderweitige Operationen vorgenommen worden wären. Das an den Bau der Logik angelehnte Gerüst könnte durch neue Verbindungen so gestützt worden sein, daß es sich selbst aufrecht erhält, auch wenn man jene Mauer niederreißt. Wer den obigen Einwurf erhebt, vergißt nichts Geringeres als die ganze transzendentale Deduktion. (68) Wenn KANT im guten Glauben eine zweifelhafte Einteilung aufgenommen, aber dazu den unabhängigen Beweis geliefert hat, daß diese Einteilung in der betreffenden Verwendung einen Sinn hat, so stehen wir eben vor einem jener Fälle, wo der unrichtige Ausgangspunkt die Wahrheit des Resultats nicht beeinflussen konnte. Angenommen die Notwendigkeit der Urteilstafel ist eine Täuschung, so fragt es sich nur, ob KANT jede einzelne der darin verzeichneten Einheitsfunktionen als eine Bedingung der Erfahrung nachgewiesen hat. Ist dies geschehen, so bedeutet das gleichzeitig eine Emanzipation der Kategorientafel vom Einfluß der Urteile. Die vermeintliche Unselbständigkeit hat sich als unbegründet, die Ableitung als überflüssig herausgestellt. Wenn eine Abhängigkeit stattfindet, so hat sie jedenfalls ihren Sinn verändert: die empirische Einteilung der Urteile wird sich nach dem System der Erfahrungsbedingungen zu richten haben. Wer also die Berechtigung der Urteilstafel anzweifelt, täuscht sich, wenn er glaubt, daß seine Bedenken die Kategorien noch mitberühren. 94. In diesem Punkt muß man die in historischem Sinn geführten Angriffe von denen mit absolut systematischer Tendenz wohl unterscheiden. COHEN z. B. sagt:
95. Gegner, welche die Vollkommenheit der formalen Logik im kantischen Sinn anerkennen, führen richtige Angriffe gegen die Kategorien, wenn sie zeigen, daß sich dieselben mit den Urteilsformen nicht wirklich decken. Gegner aber, welche die Aufstellungen der Logik überhaupt nicht als fest begründet ansehen, müssen sich noch außerdem gegen das eigene Fundament der Kategorie richten. Das ist die große Frage, ob die einzelne Kategorie als Bedingung der Erfahrung nachgewiesen ist. Die Frage muß von denjenigen verneint werden, welche die transzendentale Deduktion nur in der "Analytik der Begriffe" suchen. Allein es vollendet sich eben, wenn auch nicht in KANTs deutlich ausgesprochener Absicht, so doch tatsächlich die transzendentale Deduktion erst in der Analytik der Grundsätze. Die Analytik der Begriffe deduziert die Kategorie, die Analytik der Grundsätze die Kategorien. Und nur insofern die letztere dies tut, kann die Kategorientafel angenommen werden. Doch ist hier nicht der Ort, das Verhältnis dieser Ansicht zur kantischen Darstellung näher zu bestimmen. Es liegt mir hier bloß daran, sie im systematischen Fortgang der Abhandlung zur Erreichung sicherer Resultate zu verwerten. (70) 96. Ich halte somit das Ablesen der Einheitsfunktionen aus der Tafel der Urteile für vollkommen bedeutungslos. Was man da findet, muß nur anderswo noch einmal gesucht werden. Die Urteilstafel aber nach metaphysischen Gesichtspunkten feststellen und sie hierauf der Ableitung der Metaphysik zugrunde legen zu wollen, das wäre ein so plumper Zirkel, daß dieser Fall kaum der Warnung bedarf. Der formalen Logik muß zunächst die Unabhängigkeit ihrer Methode gewährleistet und die unbeschränkte Breite ihres empirischen Gebietes überlassen werden. Nur vergesse sie nicht, daß die objektive Gültigkeit ihrer Gesetze eine besondere Deduktion erfordert. Ihre Aufstellungen werden wie die der Mathematik ein bloßes Spiel, wenn ihre reale Bedeutung nicht mehr begriffen werden kann. Und das ist der bleibende Wert der Entdeckung KANTs, daß er den dunklen Charakter jener Grundbegriffe der alten Metaphysik aufgeklärt und sie als Einheitsfunktionen des Urteilens enthüllt hat. Für die formale Logik entspringt daraus nichts Geringeres als die Möglichkeit ihrer erkenntnistheoretischen Begründung. 97. Da uns die formale Logik einen befriedigenden Aufschluß über das Prinzip ihrer Einteilung der Einheitsfunktion nicht zu bieten vermag, so bleibt uns nichts Anderes übrig, als die Lösung des Problems selbständig zu versuchen. Und dazu sehe ich nur ein Mittel. Wir müssen uns das identische Bewußtsein mit Inhalt erfüllt denken und untersuchen, ob aus der Natur dieses Inhalts selbst die Forderung einer Mehrheit von Bedingungen hervorgeht. Wir müssen die Gleichung des Erkenntnisprozesses, in welcher das Ich die alle Variablen umfassende Funktion bildet, dahin analysieren, ob das Bestehen der Funktion den einzusetzenden Werten von vornherein gewisse Beschränkungen auferlegt. Nun sollen wir aber zugleich auf das strengste vermeiden das Gebiet der Empirie zu betreten, sonst würde den Urteilen, welche wir suchen, die Eigenschaft der Notwendigkeit verloren sein, wegen welcher sie uns gerade entdeckenswert erscheinen. Wir brauchen also für die Einheitsfunktion einen Inhalt, der nicht empirisch ist. Hat diese Aufgabe überhaupt einen Sinn? Was uns befähigt dieser Forderung trotz ihres scheinbaren Widerspruchs gerecht zu werden, ist die vollzogene Analyse des Vorstellungsinhaltes (Kapitel V.). Wir haben gesehen, daß, wo ein Gegenstand gedacht wird, der Inhalt jeder Vorstellung, wie er auch sonst beschaffen sein mag, in eine allgemeine Verhältnisvorstellung sich einordnet, welche Bedingung seiner Aufnahme ins Bewußtsein ist und allen Vorstellungen in gleicher Weise zugrunde liegt. Diese Form, in welche wir alle empirischen Data aufnehmen, ist die Anschauung der Zeit. Diese Gesamtvorstellung stellt den Inbegriff aller denkbaren Erfahrungen dar, sie ist das unbestimmte aber erschöpfende Bild allen Inhalts, der uns überhaupt gegeben werden kann. 98. Es ist somit unzweifelhaft gewiß, daß, an welchem Erfahrungsinhalt auch die Einheitsfunktion die Identität des Bewußtseins erzeugt, sie diesen Inhalt zu einer in der Zeit enthaltenen Einheit verknüpfen muß. Jede Vorstellungseinheit ist eine Zeiteinheit. Wir können also behaupten, daß unter der Zahl unserer Erfahrungsbedingungen jedenfalls die sein muß, daß aller Vorstellungsinhalt zu einheitlichen Anschauungen in der Zeit verknüpft wird. Dieser Satz aber enthält nichts Empirisches; denn es ist bewiesen worden, daß die Zeit, wenn sie auch in jeder empirischen Vorstellung enthalten ist, doch nicht aus ihnen gezogen worden sein kann (§ 58). 99. Wir wissen ferner, daß, wo ein Gegenstand gedacht wird, jeder beliebige Vorstellungsinhalt dem entwickelten Bewußtsein in einem Verhältnis des Nebeneinander erscheint. Alle Vorstellungen, sofern sie überhaupt in einer Assoziation erscheinen, sind in der Gesamtvorstellung des Raums enthalten. Jede Einheitsfunktion bringt daher unter allen Umständen eine räumliche Einheit hervor. Wir haben somit eine zweite unzweifelhafte Bedingung der Bewußtseinsidentität. In aller Vorstellungsverknüpfung findet eine räumliche Synthesis statt. Auch dieser Satz ist ohne empirische Beimischung; denn auch der Raum wurde als eine Anschauung nachgewiesen, welche vorhanden sein muß, bevor die bewußte Erfahrung Geltung hat (§ 48). 100. Damit scheinen die Arten der Einheitsfunktion erschöpft zu sein. Wir besitzen keine weitere Kenntnis empirisch unveränderlicher Eigenschaften des Erkenntnisinhalts. Raum und Zeit sind die einzigen Qualitäten, die als Bedingungen des Bewußtseins dargestellt werden können. Das, was in der Ordung der Verhältnisvorstellungen angeschaut wird, die Empfindungselemente, ist das eigentlich Empirische, der Stoff, aus dem Erfahrung produziert wird. Von der einzelnen Empfindung läßt sich keine Bestimmung mehr als Bedingung des Bewußtwerdens und daher als apriorisch absondern. Aus ihr wird sich daher auch kein neuer Einblick in die Vielseitigkeit der Einheitsfunktion gewinnen lassen. Und doch! Eine können wir von der Empfindung a priori behaupten. Sie muß gegeben sein. Das heißt nichts Anderes als: Wir dürfen nicht vergessen, daß wir Raum und Zeit nur durch Abstraktion aus der fertigen Erfahrung isoliert haben. Sie besitzen nicht in der wirklichen Erfahrung eine reine, gesonderte Existenz, so daß wir mit ihnen unabhängig von allem Empfindungsinhalt Operationen vornehmen könnten. Ihr Name "Verhältnisvorstellung" weist mit Recht darauf hin, daß sie nur durch die Beziehung auf etwas Anderes Bedeutung erlagnen. Dem Leser, der bis hierher gefolgt ist, wird die Behauptung nicht paradox erscheinen, daß erst Etwas da sein muß, bevor sich die apriorischen Formen erzeugen können. Allerdings kann ich auch Raum und Zeit alle Gegenstände wegnehmen, ohne genötigt zu sein, sie selbst wegzudenken; aber so wie ich das tue, werden auch die Einheitsanschauungen völlig bedeutungslos, ich besitze nicht mehr die mindeste Erkenntnis in ihnen, ich kann gar nichts über sie aussagen, sie sind gleichsam blind. Ich könnte nicht einmal die drei Dimensionen des Raumes aus ihnen selbst erkennen, d. h. ohne daß ich Etwas, z. B. drei Linien, in ihn hineinsetze. Denn die Verhältnisvorstellungen enthalten absolut kein Mannigfaltiges, können keins enthalten, wenn wir sie richtig der ursprünglichen Abstraktion gemäß denken. Eine Verknüpfung, an Raum und Zeit allein vollzogen, ist etwas Unmögliches, weil gar nichts zu Verknüpfendes da wäre. Wenn also die Einheitsfunktion überhaupt stattfinden soll, so muß Empfindungsmaterial gegeben sein. Damit ist die dritte in der Einheitsfunktion enthaltene Bedingung der Bewußtseinsidentität entdeckt. In jeder Vorstellungsverknüpfung wird eine Einheit der Empfindungselemente erzeugt. Auch dieser Satz enthält nichts Empirisches, obgleich er über das schlechthin Empirische urteilt. Was er voraussetzt, ist bloß das Dasein einer Empfindung überhaupt, deren spezifische Qualität ganz beliebig sein mag. Die Tatsache der Evidenz selbst kann durch die wechselnde Bestimmung der Erfahrung nicht verändert werden. 101. So nimmt vor der näheren Untersuchung die unbestimmte Einheitsfunktion eine scharf gezeichnete Dreigestalt an; das allgemeine Gesetz der synthetischen Einheit offenbart seine Natur als eine Zusammenfassung dreier Grundsätze. Wir haben ein Prinzip der materiellen, ein Prinzip der räumlichen und ein Prinzip der zeitlichen Verknüpfung. Diese Zahl verdanken wir weder der formalen Logik, noch einem spekulativen Einfall, sondern wir haben sie aus den Grundgedanken unserer eigenen Wissenschaft methodisch abgeleitet. (71) Das Prinzip der Einteilung ist die erkenntnistheoretische, abstrakte Zerlegung der Vorstellung in Empfindung, Raumanschauung und Zeitverhältnis. Wenn diese Bestandteile gut gezählt sind, so sind es auch die Bedingungen der Erfahrung. Wer mir die Anzahl der Grundsätze bestreitet, den weise ich einfach an die Analyse der Anschauung. Die synthetische Einheit im Allgemeinen gedacht ist fähig - das wissen wir - sich selbst zu verteidigen; die besonderen Arten bedürfen zur Anerkennung ihrer Ansprüche einer Bürgschaft, die ihnen nun von unabhängiger Seite geleistet wird. Um die Grundsätze zu überwinden, muß man erst das ästhetische Vorwerk der Erkenntnistheorie stürmen. 102. An dieser Stelle, wo wir die Tragweite einsehen, werden wir allerdings versucht, die Stichhaltigkeit jener ursprünglichen Sonderung von Neuem zu prüfen. Ist sie wirklich im Wesen der Sache begründet oder wurde sie nicht vielmehr willkürlich etwa als Schema der weiteren Untersuchung angenommen? Wir kennen ihre Genese [Entstehungsgeschichte - wp]. Aus allen Bestandteilen der Vorstellung ragten von vornherein Raum und Zeit durch ihre charakteristischen Eigenschaften hervor. Nachher wurden ihnen diese Eigenschaften durch einen Beweis als rechtmäßig zugesprochen. Da dieser Beweis für keine anderen Bestandteile geleistet werden konnte, so erweist sich die Absonderung von Raum und Zeit als völlig begründet. Nun zeigten sich aber in der Summe der übrigen Bestandteile keine erkenntnistheoretisch wirkenden Differenzen, sie konnten also zu einer gemeinschaftlichen Gruppe zusammengefaßt werden. Die Zergliederung ist also streng auf die Natur des Vorstellungsinhaltes gegründet. Wer die drei Einheitsfunktionen verwirft, verwirft mit ihnen die kantischen Auffassung von Raum und Zeit. (72) Es muß noch hinzugefügt werden, daß diese Gruppierung von psychologischen Voraussetzungen durchaus unabhängig ist. Wir vermessen uns nicht den psychischen Vorgang in seinem Verlauf zu beobachten, sondern wir zergliedern nur seine im Vorstellungsresultat gegebene Leistung. Wenn wir Raum und Zeit als "Formen" dem Mannigfaltigen, als der "Empfindung", gegenüberstellen, so ist damit keineswegs gesagt, daß jene Vorstellungen nicht der Empfindung ihren Ursprung verdanken. Lehrt uns die Psychologie, daß die Raumvorstellung sich in irgendeiner Weise nach und nach aus dem Empfindungsstoff entwickelt, so ist das für die Erkenntnistheorie nur von sekundärem Interesse. Sie sagt dann, Erfahrung sei erst auf der Stufe möglich, wo der Empfindungsprodukt "Raum" so vollkommen geworden ist, daß alle anderen Empfindungen sich in ihm ordnen können. (73) Die erkenntnistheoretische Rolle von Raum und Zeit bleibt davon unberührt und wir sind nichtsdestoweniger berechtigt, die Einheitsanschauungen im Verhältnis zur "Empfindung" als empirische Vorstellungen abzusondern. (Vgl. §§ 44, 48, 58.) So erwachsen die Grundgesetze der Erfahrung unmittelbar aus den ureigenen Wurzeln des transzendentalen Idealismus und eine konsequente Auffassung findet im kritischen System keine künstlich aufgepropfte Verzweigung. 103. In diesen Gesetzen haben wir drei weitere Urteile von ursprünglicher Notwendigkeit. Und zwar ist ihre Notwendigkeit eine zweifache. Sie sind notwendig, insofern sie eine synthetische Einheit bewirken, sie sind aber auch notwendig, jede Art als solche, insofern diese besonder Einheit Bedingung der Anschauung ist. Ihre spezielle Formulierung und Tragweite zu begründen, soll Aufgabe des Folgenden sein. Vorher mögen noch einige unmittelbar sich ergebende Konsequenzen besprochen werden. 104. Es ist zu hoffen, daß die gegebene Ableitung einen Irrtum unmöglich macht, durch welchen das erkenntnistheoretische Verständnis überhaupt vernichtet wird. Sie gibt deutlich genug zu erkennen, die Zerlegung der Einheitsfunktion ist nicht so gemeint, daß die verschiedenen Gesetze sich in das Gebiet der Erfahrung teilen. Unsere Spezifikation kann nicht bedeuten, daß durch die eine Art diese, durch die andere jene und durch die letzte eine dritte Klasse von Vorstellungen zur Einheit verknüpft wird. Die verschiedenen Funktionen haben vielmehr bei der Synthese alle mitgespielt; sie sind nur drei Wirkungsäußerungen derselben Kraft. Bloß dadurch erlangen sie den Schein einer selbständigen Existenz im Bewußtsein, daß jede einzelne Funktion Grundlage eines notwendigen Urteils werden kann. Es genügt, sich einer Seite des Erkenntnisprozesses bewußt zu werden, um ein Urteil von ursprünglicher Notwendigkeit zu bilden. 105. Aus der Entwicklungsgeschichte unserer Grundsätze läßt sich ferner die Grenze ihrer Gültigkeit auf das Schärfste bestimmen. Sie wurden aus unserem Bewußtsein geboren, aber nur unter der Voraussetzung, daß ein Anschauungsstoff das völlig unproduktive Ich befruchtet hat. Die Einheitsfunktion entfaltet sich nur an den drei Formen irgendeines Daseins. Ihre Arten verschwinden wieder, sobald wir diese gegebene Materie wegdenken, und es bleibt uns nur übrig, was wir früher schon hatten, die gänzlich unbestimmte Vorstellung einer synthetischen Einheit überhaupt (§ 76). Nun besitzt aber das entwickelte Bewußtsein einmal die Kenntnis der einzelnen Gesetze und gibt ihnen Fassung und Namen, welche keineswegs an den ursprünglichen Sinn erinnern. So lösen sie sich mehr und mehr von allem Inhalt ab und scheinen schließlich eine absolute Geltung und Bedeutung zu besitzen. Das unkritische Denken kann sich dadurch zu dem Wahn verleiten lassen, diese Gesetze liefern ihm eine Erkenntnis, die nicht nur von allem Empirischen unabhängig ist, sondern auch über das Gebiet des erfahrungsmäßig Gegebenen hinausreicht. Indem es in diesen von ihren Existenzbedingungen emanzipierten Einheiten Gegenstände anzuschauen glaubt, ergeht es sich in Fiktionen, die, wenn auch äußerst nebelhaft, doch eine Welt von Schein hervorzaubern imstande sind. Da genügt dann der schlichte Hinweise auf obige Deduktion, um den ganzen Spuk zu bannen. Es ergibt sich unmittelbar, daß alle solche Versuche nichts weiter als psychologische Spielereien oder, wenn der Ausdruck gestattet ist, innere Sinnestäuschungen sind, die nicht einmal den erkenntnistheoretischen Wert von Träumen besitzen. Denn im Traum ist zumindest das Material gegeben, an welchem die Einheiten fungieren können. 106. Die bisherigen Untersuchungen nehmen die ganze Abstraktionsfähigkeit unserer Einbildungskraft in Anspruch. Bei der synthetischen Einheit überhaupt mußten wir uns die Verknüpfung als eine notwendige Bedingung vorstellen, aber ohne sie auch nur im Mindesten charakterisieren zu können. Es schien ein großer Fortschritt zur Anschaulichkeit, als wir die Einheitsfunktion wenigstens an einem allgemeinen Inhalt erzeugen durften. Allein auch dieser Versuch war weit entfernt uns ein wirkliches Bild zu liefern. An der allgemeinen Anschauung von Raum und Zeit oder von der Empfindung überhaupt können wir unserer psychologischen Beschaffenheit nach keine wirkliche Einheit zustande bringen. Ich muß stets eine Linie, eine bestimmte Veränderung, einen Ton oder eine Farbe reproduzieren, um wirklich eine Vorstellungseinheit zu schauen. Das Bild springt erst aus dem empirisch bestimmten Stoff hervor. Insofern wir aus der Wirkung die Kraft erdenken, hat es einen uneigentlichen Sinn, wenn wir die hier wirkende psychologische Fähigkeit Einbildungskraft nennen. Man müßte sich eher mit dem Titel "Schematisierungskraft" begnügen. Die Vorstellung der Einheitsfunktion überhaupt ist gleichsam nur ein Schema, nach welchem eine wirkliche Verknüpfungseinheit notwendig zu erdenken ist. Aber auch die räumliche, zeitliche und die Empfindungseinheit sind nur Vorstellungen einer allgemeinen Methode, wirkliche notwendige Synthesen zu produzieren. Erst wenn mir ein Körper gegeben wird und ich seinen Fall sehe, sein Gewicht fühle, habe ich ein Bild meiner 3 Einheiten. Dies empirisch bestimmte Vorstellungsverknüpfung heißt Anschauung. Aber dieses Bild wird sofort wieder eine Quelle der Abstraktion, der Schematisierung. Ich kann von einem Bild zu meiner allgemeinen Vorstellung der Verknüpfungsbedingung zurückkehren, und zwar so, daß ich einige seiner Bestandteile mit mir nehme, andere zurücklasse. Die so entstehende Vorstellung ist dann einerseits mit dem Bild verwandt, indem sie empirische Bestimmungen enthält, andererseits mit der Einheitsfunktion, insofern sie in keine wirkliche Gestalt gebannt, nicht angeschaut werden kann. Stelle ich z. B. die Raumeinheit in concreto dar, indem ich ein Dreieck zeichne, so kann ich mich nachher, bereichert durch die Vorstellung dreier sich schneidender Linien, zur allgemeinen Räumlichkeit zurückwenden, die Größe und Richtung der gezeichneten Linie dagegen unberücksichtigt lassen. Eine entsprechende Anschauung aber kann ich dadurch unmöglich erreichen. Jeder Versuch die dreieckige Räumlichkeit nur als solche vorzustellen, fließt sofort in ein bestimmtes Bild zusammen. Was wir erhalten, ist nur eine etwas weniger allgemeine Regel der Wirkung der räumlichen Einheitsfunktion, eine Vorstellung der Methode, eine besondere Raumeinheit darzustellen. Ein solches Schema ist gleichsam das Inventar aller Stücke, welche notwendig sind, um die betreffende Synthese vollziehen zu können. Damit sind wir um eine wichtige Einsicht reicher geworden. Die Vorstellung einer synthetischen Einheit von Vorstellungen, bei welcher von einigen Bedingungen der empirischen Verknüpfung abgesehen wird, heißt Begriff. Wir sind also nunmehr in den Stand gesetzt, die erkenntnistheoretische Ableitung des Begriffs zu würdigen. Der Begriff lebt nicht als eine wirkliche Einheit von Vorstellungen in unserem Bewußtsein; er ist nicht das psychische Gebilde, dessen Einheit wir auf ein Ding beziehen; er ist vielmehr das mehr oder weniger allgemeine Gesetz der objektiven Anschauung, eine bloße Anweisung auf Gegenstände. Das Urteil stellt den Vorgang, die Handlung, der Begriff das Resultat der Synthese dar. Im Begriff lassen sich mehrere durch Urteile vollzogene oder zu vollziehende Verknüpfungen zusammenfassen. Ein solcher komplexer Begriff ist dann die Gesamtvorstellung einer Summe von Gesetzen der Einheitsfunktion, einem mathematischen Ausdruck ähnlich, der vorschreibt, das und das zu tun, wenn man das und das erhalten will. Der komplexe Begriff kann selbst wieder Element eines weiteren Gesetzes werden, das in seiner Aktion als Urteil, in seinem Ergebnis als anderer Begriff aufgefaßt wird. In diesem Kombinieren von Regeln bestehen die psychischen Bewegungen, welche man Denken nennt. Indem man jeden Begriff mit der Vorstellung eines Lautsymbols als Erkennungszeichen verbindet, bedient man sich der Sprache. 107. Wie nun die formale Logik aus der Natur der Verknüpfungshandlung abgesehen von allem Inhalt Gesetze ableiten kann (vgl. § 26), nach welchen die einen Handlungen als durch die andern mitvollzogen erscheinen, so kann sie ebensogut aus dem gegenseitigen Verhältnis der Begriffe Regeln gewinnen, nach welchen die einen durch die andern mitgesetzt sind. Die Untersuchung leistet natürlich in beiden Fällen dasselbe, ist aber dennoch für beide Gesichtspunkte durchzuführen, da eben das Denken in der mannigfaltigen Kombination vom Urteilsresultat und Urteil besteht. So können wir jetzt die Aufgabe der formalen Logik noch exakter als früher bestimmen und sagen: die formale Logik lehrt uns Regeln der Einheitsfunktion auseinander abzuleiten, ohne die Beschaffenheit des Stoffes in Betracht zu ziehen. Über die ursprünglichen Regeln aber, welche der Entwicklung der übrigen zugrunde liegen, kann sie uns Nichts eröffnen. 108. Wir können ferner je nach unserer Auffassung sagen: es gibt drei fundamentale Gesetze der Einheitsfunktion oder es gibt drei Grundbegriffe derselben. Und mit Beziehung auf den dritten Grundsatz der Erkenntnistheorie, wonach die Bedingungen der Erfahrungen zu Bestimmungen der Objekte werden, können wir der Natureinheit ebensowohl drei Naturgesetze, wie drei Typen oder Schemata zugrunde liegen lassen. (74) 109. Es ist ein eigentümliches Resultat dieser Wendung kantischer Gedanken, daß wir berechtigt sind zu behaupten: Wir besitzen einen einzigen Begriff, der wirklich eine Abstraktion von allem Inhalt darstellt, und das ist die Vorstellung jener allgemeinsten Bedingung der Bewußtseinsidentität, der synthetischen Einheit überhaupt. Schon die erste Mehrheit von Begriffen, zu welcher wir überhaupt gelangen, gibt uns nicht mehr bloß Verbindung, sondern bereits Verbindung von Etwas. Und wenn auch dieses Etwas durch so umfassende Allgemeinheit sich auszeichnet, daß es in allem Empirischen enthalten ist, so sind eben doch diese Synthesen keine abgelösten Gedankenformen mehr. Damit scheint sich die gewöhnliche Auffassung der formalen Logik, die vorgibt sich nur mit den Verknüpfungsformen zu beschäftigen, als eine Täuschung herausstellen. In der Tat ergibt sich eine Berichtigung dieser Ansicht. Die Logik kann allerdings nicht mehr formal in dem Sinne genannt werden, daß sie es bloß mit der absoluten Verknüpfungshandlung zu tun hätte, denn diese ist gar nicht bei ihr zu finden. Selbst ihre allgemeinsten Funktionen sind schon Verschmelzungen der Synthesis mit den Verhältnisvorstellungen. Es genügt, dafür auf den Begriff der Quantität hinzuweisen. Ja, man muß vielmehr sagen, die Möglichkeit dieser Wissenschaft beruth gerade darauf, daß sie nicht formal in dem abgelehnten Sinn ist. Denn nur dadurch, daß sie sich auf eine Mannigfaltigkeit des Inhalts beziehen kann, ist sie imstande von einer Handlung zu sagen, daß eine Mehrheit anderer Handlungen in ihr enthalten ist. Wenn man also die Logik formal nennt, so muß darunter vielmehr nur verstanden werden, was früher (§ 20) aufgestellt worden ist, daß sie die Notwendigkeit ihrer Urteile nicht von der Anschauung von Gegenständen, sondern von anderen Urteilen ableitet, über deren objektive Gültigkeit sie selbst nicht entscheidet. materiellen Verknüpfung 1. Vierter Grundsatz 110. Wir gehen nun dazu über, die entdeckten drei Bedingungen der Erfahrung genauer zu prüfen und womöglich in eine Fassung zu bringen, welche den Charakter und die Tragweite ihrer Forderung in ganzer Schärfe zum Ausdruck bringt. Um aber ein richtiges Resultat zu gewinnen, müssen wir uns immer wieder die alte Vorsichtsmaßregel ins Gedächtnis zurückrufen, daß diese Gesetze ihre ursprüngliche Notwendigkeit nur solange bewahren, als wir ihnen auch nicht die Spur eines Gedankens beimischen, der für die Möglichkeit einer zusammenhängenden Erfahrung entbehrlich ist. Im Hinblick auf diese Einschränkung unserer weiteren Bearbeitung haben wir daher jede neue Formulierung sorgfältig zu begründen (75). 111. Jede Synthese von Vorstellungen enthält auch eine Synthese von Empfindungen. Denn Raum und Zeit, in abstracto vorgestellt, können keiner Verknüpfung zugrunde liegen, da sie nichts Mannigfaltiges enthalten. Unter Empfindung versteht die Erkenntnistheorie die letzten Bestandteile der Vorstellungen. Empfindungen sind die einfachsten, nicht weiter zerlegbaren Zustände des Bewußtseins. Das Bewußtsein kann zwar in Wirklichkeit eines solchen Elementarzustandes niemals inne werden; aber die erkenntnistheoretische Analyse des Vorstellungsinhaltes nötigt uns, sein Dasein vorauszuseten (§ 42). 112. Jede Vorstellungsverknüpfung involviert also eine Synthese solcher einfachsten Bewußtseinszustände. Aus den Zuständen muß ein Zustand werden. Wie ist eine solche Einheit möglich? Sie kann nur dadurch zustande kommen, daß von dem Zeitpunkt an, wo die Verknüpfung beginnt, bis zu dem, wo sie endet, diese einfachen Zustände sich so aneinanderreihen, daß ein ununterbrochenes Bewußtsein entsteht. Es darf sich zwischen die einzelnen Elemente Nichts einschieben, was kein Bewußtseinszustand wäre. Denn an einem solchen Punkt würde die Synthese, da ihr das Material fehlt, nicht fortgesetzt werden können und bei Wiedereintritt eines Bewußtseinszustandes neu beginnen müssen. Es würde also niemals eine Einheit des Bewußtseins, sondern nur eine Summe zusammenhangloser Bewußtseinselemente entstehen. Die Verbindung von Bewußtseinszuständen, welche über keine Lücken springen darf, durch keine Punkte der Bewußtlosigkeit unterbrochen wird, heißt stetig oder kontinuierlich. Somit können wir sagen: Die Kontinuität der Verknüpfung ist Bedingung der Bewußtseinsidentität oder die Vorstellungseinheit ist nur durch eine kontinuierliche Synthesis der Empfindungen möglich. 113. Man kann das bildlich so ausdrücken, daß man sagt: Alle Bestandteile der Vorstellungseinheit müssen über dem Nullpunkt des Bewußtseins stehen. Sie müssen ein Plus, eine bestimmte Stärke, eine positive Größe des Bewußtseins haben. Gebrauche ich den Ausdruck Größe, so ist allerdings auch das uneigentlich zu deuten. Jede Größe ist zusammengesetzt. Das Empfindungselemente kann sich aber nicht wieder als ein Kompositum darstellen, da es ja sonst gar nicht Element wäre und die Untersuchung sich von ihm ab zu seinen Urbestandteilen zu wenden hätte. Unter Größe kann hier nur eine Quantität verstanden werden, die in einem einzigen Zeitmoment wahrnehmbar ist. Wir müssen sie daher genauer innerliche, intensive Größe nennen. Mit Benutzung dieses Begriffs können wir das Urteil aussprechen: Alle Empfindungen haben intensive Größe. 114. Wenn wir nun das bisherige Ergebnis aufmerksam betrachten, so scheint sich mit dem Gewinn ein sehr bedenklicher Verlust zu verbinden. Scheinen wir nicht durch die Forderung der Kontinuität der Empfindungen gleichzeitig die für die Bewußtseinsidentität ebenso unentbehrliche Mannigfaltigkeit des Vorstellungsinhaltes aufzuheben? Denn wenn die Mannigfaltigkeit nicht darin besteht, daß der Inhalt durch Punkte der Bewußtlosigkeit eingeteilt wird, wenn ich mir also die einzelnen Bewußtseinszustände nicht getrennt denken darf, so gibt es eben keine einzelnen. Die synthetische Einheit braucht gar nicht erst zu werden, sie ist schon gegeben. Das Bewußtsein kann sich nicht als Einheit erkennen, da es sich nicht als konstante Bestimmung einer Vielheit findet. Es fragt sich also: Kann ich eine ununterbrochene Synthese der Bewußtseinselemente, aber doch zugleich eine Mannigfaltigkeit derselben postulieren? Ich kann es, weil ich es muß. Beide Bedingungen sind für die Identität des Bewußtseins gleich notwendig. Wenn die Mehrheit des Inhalts nicht in der räumlichen und zeitlichen Trennung gesucht werden darf, so bleibt nur eine Quelle für sie. Die Empfindungselemente müssen, obgleich sie sich kontinuierlich aneinander reihen, dadurch gesondert erscheinen, daß sie sich dem Bewußtsein in verschiedenen Arten einverleiben, mannigfache Weisen des Einflusses darstellen. Die Fähigkeit der Empfindungen, sich ohne bewußtlose Intervalle von einander zu unterscheiden, nennt man ihre Qualität. Von diesem Begriff kann man sich a priori nicht die mindeste Vorstellung machen; denn er bezieht sich ja auf das spezifisch Empirische. Aber seine allgemeine Aufstellung hat durchaus keinen empirischen Ursprung, ist nicht aus der Erfahrung abgelesen und kann daher auch nicht durch die umgestoßen werden. Doch muß man sich auch streng davor hüten, die Qualität irgendwie und wäre es auch ganz allgemein bestimmen zu wollen. Schon ein Urteil darüber, ob die Qualität vielleicht in die Verschiedenheit der intensiven Größe oder noch außerdem in eine andere Differenz zu setzen ist, würde nicht den mindesten Anspruch auf absolute Notwendigkeit haben. 115. So müssen wir also antecipando [vorwegnehmend - wp] dem Vorstellungsinhalt zwei Eigenschaften zuschreiben: einerseits muß er stetig verknüpfbar, andererseits qualitativ verschieden sein. Unser Prinzip der materiellen Verknüpfung lautet also in voller Präzision: Jede Vorstellungsverknüpfung enthält eine kontinuierliche Synthesis von Empfindungs-Qualitäten. Oder: Jeder Gegenstand der Erfahrung ist eine stetige Einheit qualitativ verschiedener Empfindungen. (76) 116. Es ist nützlich, dieses Prinzip durch die Abweisung einer naheliegenden, scheinbaren Instanz zu illustrieren. Man könnte einwerfen: Wie soll denn Erfahrung nur dadurch eine kontinuierliche Synthese der Wahrnehmungen möglich sein, während doch in Wirklichkeit das Bewußtsein die häufigsten Unterbrechungen erleidet? Erstreckt sich unsere Erfahrung nur über den Zeitraum eines Tages, machen nicht Schlaf oder Ohmacht oder irgendeine Narkose die Einheit des Bewußtseins zunichte? Dieses Mißverständnis bekundet sich unmittelbar als Verwechslung erkenntnistheoretischer mit psychologischer Wahrheit. Der Grundsatz behauptet durchaus nicht, daß von psychologischen Geschichte unseres Ich die Zustände der Bewußtlosigkeit ausgeschlossen sind - das wäre ein nur empirisch zu bestätigendes Urteil -; er sagt vielmehr, daß solche Zustände in keiner Bewußtseinsfolge, die eine objektive Geltung hat, als Glieder enthalten sind. Notwendig ist diejenige Synthese, an welcher sich die Einheit des Bewußtseins erzeugt. Letztere kommt aber nur dadurch zustande, daß nicht das kleinste Moment der Bewußtlosigkeit zwischen zwei Punkten der Verknüpfung enthalten ist. Wenn nun aus psychologischen Gründen der Prozeß der Synthese unterbrochen wird, so braucht darum noch nicht die erkenntnistheoretische Stetigkeit der synthetischen Einheit verloren zu sein. Ja nur insofern sie es nicht ist, wird Einheit des Bewußtseins, also zusammenhängende Erfahrung möglich. Gegenstände der Erfahrung können uns nur gegeben werden, wenn auch dafür physiologische Bedingungen vorhanden sind, daß die faktisch vorkommenden Zustände der Bewußtlosigkeit die Kontinuität der Synthesis nicht zerstören. Wenn ich erwache, kann ich mir meiner als identischen Subjekts nur dadurch bewußt werden, daß ich die Vorstellungen, welche mein Bewußtsein vor dem Einschlafen besetzt hatten, mit denen nach dem Aufwachen in einen kontinuierlichen Zusammenhang setze. Ich verknüpfe die Empfindungen nicht diskret, wie sie in den wirklich aufeinanderfolgenden Bewußtseinszuständen (des Einschlafens und Aufwachens) enthalten sind, sondern ich verknüpfe sie so, wie sie in den kontinuierlich sich aneinander reihenden Bewußtseinszuständen enthalten gewesen wären. Was in meinem Bewußtsein sich folgte, war der helle Tag auf die tiefe Nacht. Aber ich bin weit entfernt für diese Sukzession objektive Gültigkeit zu behaupten. Ich suche mir vielmehr mit Hilfe der mir zu Gebote stehenden empirischen Methoden diejenige Sukzession von Empfindungen vorzustellen, welche stattgefunden hätte, wenn mein Bewußtsein nicht auf den Nullpunkt hinabgesunken wäre. Und dieses Urteil gebe ich allein für allgemein gültig, d. h. objektiv aus. An diesem Beispiel zeigt sich recht scharf die eigentümliche Herrschaft erkenntnistheoretischer Grundsätze. Auf die bloße Einheit des Bewußtseins gründen wir Urteile über den stetigen Zusammenhang unserer Vorstellungen und sind von ihrer Notwendigkeit überzeugt, selbst in den Fällen, wo die Erfahrung uns zu widersprechen scheint. Wir wissen, daß alle unsere Vorstellungen so beschaffen sein müssen, daß wir sie in diesen Zusammenhang bringen können. Sobald wir urteilen, beziehen wir die Vorstellungen auf ein identisches Bewußtsein und in diesem erscheint aller Inhalt so unter der einheitlichen Zeitanschauung zusammengefaßt, daß auch nicht ein einziger Zeitpunkt von Empfindung leer ist. Selbst unsere Zustände der Bewußtlosigkeit erscheinen als zeitliche Ereignisse, die einen Anfang und ein Ende haben; wir reproduzieren die Wahrnehmung von uns selbst, wie wir allmählich das Bewußtsein verlieren, bis wir uns schlafend als ein nur äußeres Objekt erscheinen. Dieses bringen wir zu den anderen Gegenständen in die gesetzmäßigen Beziehungen und reproduzieren nun das ganze äußere Geschehen jenes Zeitabschnittes, als ob es sich damals in unserem bewußtlosen Innern hätte spiegeln können. In diesem Vorgang enthüllt sich die allertiefste und wunderbarste Wirkung der synthetischen Bewegung des Erkenntnisprozesses. Wenn es bei seiner Vorstellungsverknüpfung an unbewußte Zustände gelangt, so löst sich das erkenntnistheoretische Bewußtsein gleichsam von dem zum bloßen Körper gewordenen Subjekt und glaubt dieses letztere mit seinen Objekten als unabhängiger Zuschauer zu erkennen. Das höhere, letzte Subjekt übernimmt hier gleichsam die Funktion des empirischen (vgl. § 72), und die inneren Zustände des letzteren, welche gleich Null sind, werden nicht als Faktor in das Erfahrungsgesetz mit aufgenommen. 117. Von diesen Bemerkungen läßt sich noch eine wichtige Anwendung machen. Wenn die Psychologie Ursache zu haben glaubt (77) die Zeit als ein diskretes Gebilde aufzufassen, und sich dafür auch auf die "zeitlosen" Zustände des Schlafs und der Ohnmacht beruft, so folgt aus dem Obigen unmittelbar, daß diese Ansicht jedenfalls für den erkenntnistheoretischen Begriff der Zeit keine Geltung hat. Wenn wir die Kontinuität der Zeit auch nicht schon direkt aus ihrer Beschaffenheit darlegen könnten (§ 61), so würde sie aus unserem Grundsatz folgen. Wenn die Zeit die Form der Wahrnehmung ist, d. h. wenn alle Bewußtseinszustände als Teile der Zeit erscheinen, so ist sie stetig; denn nach unserem Prinzip können zwei Bewußtseinszustände nicht durch einen Nullpunkt eine Unterbrechung der Zeit bewirken, denn alle Bewußtseinszustände sind Teile von ihr; also ist sie eine kontinuierliche Größe. 118. Aus diesem Grundsatz entspringt nun ein sehr wichtiger Begriff. Die Vorstellung von der Einheit der Empfindungen ist nichts Anderes als die Vorstellung des Seins. In der Vorstellungseinheit, welche wir Gegenstand nennen, kommt der Synthese als solcher kein Dasein zu; sie existiert erst an der zu verbindenden Materie. Dieser Stoff sind aber nicht die Verhältnisvorstellungen Raum und Zeit, die selbst erst an einem Mannigfaltigen ins Leben treten müssen. Erst in der Empfindung erhalten wir etwas Ursprünglich-Gegebenes, ein Selbständig-Seiendes, dessen Existenz nicht wieder ein Datum anderer Beschaffenheit voraussetzt. Die Empfindung bildet den subjektiven Urstoff, den das formende Subjekt zur Objektivität zusammenordnet. Unter Realität eines Gegenstandes müssen wir im scharfen Sinn die Vorstellung seiner materiellen oder Empfindungseinheit verstehen. Dieser Begriff der Realität fällt also nicht etwa zusammen mit jener subjektiven Wirklichkeit, welche durch den zweiten Grundsatz (§ 67) von jeder Vorstellung vorausgesetzt wurde. Er entsteht erst aus dem Gegensatz der verschiedenen Faktoren, welche das Objekt produzieren. Subjektiv wirklich, d. h. frei von Schein ist jede Empfindung für sich; real im Sinne des vierten Grundsatzes ist sie nur als Eigenschaft des Objekts, als Bestandteil einer materiellen Verknüpfung. Es muß hier hervorgehoben werden, daß im Begriff der Realität nichts darüber enthalten ist, ob die Empfindung eine reproduzierte oder unmittelbare ist. Diese zeitlich-räumliche Bestimmung des realen muß der Erfahrung überlassen bleiben. 119. Wenn wir uns denken, daß an irgendeinem Punkt der Erfahrung keine Empfindung gegeben ist, so erhalten wir die allgemeine Vorstellung des Nichtseins, der Negation. Aber da eine solche Vorstellung in eine Einheit nicht eingehen kann, so kann sie sich niemals auf einen Gegenstand beziehen. Sie hat also bloß subjektive Bedeutung als Ergänzung des Begriffs der Realität. Indem wir uns ein Aufhören, einen Nullpunkt der intensiven Größe vorstellen, machen wir uns den inhaltsleeren Begriff der Negation. Einen Sinn erlangt die Vorstellung des Nichtseins erst durch die zweite Bedingung, welche im Prinzip der materiellen Verknüpfung enthalten ist (§ 114). Außer der Intensität wurde von der Empfindung auch Qualität gefordert. Insofern wir nun in einer Vorstellungseinheit ein Nichtsein denken, nicht in Bezug auf die Existenz der Empfindung überhaupt, sondern in Bezug auf eine bestimmte Qualität derselben, kommt der Negation eine objektive Bedeutung zu. Eine bestimmte Empfindung kann als zu einer gemachten Synthese nicht gehörig erscheinen, sie ist also an dem durch die Synthese erzeugten Objekt nichtseiend. Somit gibt es ein objektives Nichtsein von Qualitäten. (78) Der so definierte Begriff spielt eine besondere Rolle bei der Betrachtung der Veränderung, wo die Qualität eines Gegenstandes auf ihr vorhandenes Nichtsein bezogen wird. 120. Die erkenntnistheoretischen Begriffe der Realität und Negation garantieren der formalen Logik die objektive Gültigkeit ihrer fundamentalsten Handlungen. Es hat einen Sinn zu sagen: Ein Urteil oder ein Begriff ist schon in einem andern oder ist in ihm nicht enthalten; denn dieser Satz ist nur die Beschreibung einer vorhandenen Synthese. Diese Synthesen aber, auf welche die formale Logik alle ihre Resultate gründet, sind die gleichen Funktionen, durch welche die Objekte der Erfahrung erzeugt werden, und zeigen die Eigentümlichkeit, eine Mehrheit von Realitäten zu einer Vorstellung zu vereinigen, eine andere Mehrheit aber in einzelnen Fällen nicht zu umfassen. Das analytische Bejahen und Verneinen von Vorstellungsverknüpfungen in der formalen Logik deckt sich also mit dem synthetischen Sein und Nichtsein der ursprünglichen materiellen Einheit und vermag also in der Tat ein Bild des Sachverhaltes, des objektiven Zusammenhangs zu liefern (79). 121. Über den dritten in unserem Prinzip enthaltenen Begriff von der Qualität ist wenig hinzuzufügen. Wenn ich ihn dritten Begriff nenne, so soll damit nicht etwa eine Nebenordnung von Realität, Negation und Qualität angedeutet sein. Eigentlich sind es zwei Grundbegriffe, unter welche alle Vorstellungen subsumiert erscheinen: Realität und Qualität. Dazu tritt als bloßer Grenzbegriff des ersteren die Negation. Indem wir die Negation auf die Qualität anwenden, erhalten wir den Begriff des Nichtseins der bestimmten Qualität (80). Man kann aber auch die Qualität als eine fundamentale Bestimmung der Realität auffassen und beide Begriffe vereinigen. Dann hat man zwei Grundbegriffe: qualitative Realität und Negation (81). Unter Qualität darf man nichts Anderes verstehen als die allgemein vorgestellte Verschiedenheit des Realen. Sie ist ein Grundbegriff als Bedingung der Erfahrungsmöglichkeit. Außer dem Dasein wird auch ein Anderssein, außer der Intensität eine Verschiedenheit der Reize erfordert. Worin die Qualität besteht, kann nur empirisch bestimmt werden, weil es für die Erfahrungsmöglichkeit vollkommen gleichgültig ist. Es kann sich herausstellen, daß die Empfindungen auch ihrer intensiven Größe nach verschieden sind oder vielleicht, daß die Qualität überhaupt nur in der Differenz der Intensität liegt - unser Prinzip wird dadurch seinem Wesn nach nicht berührt, und könnte höchstens in seiner Fassung einige Vereinfachungen erleiden. Die Qualität der intensiven Größe, welche sich empirisch als mannigfach herausstellt, heißt Grad. Der Grad gehört nicht in einen allgemeinen erkenntnistheoretischen Grundsatz, da er sich nicht aus dem reinen Begriff der Erfahrung ergibt. Noch weniger aber irgendeine Eigenschaft desselben, z. B. die Kontinuität, die vielleicht nur induktiv nach einer Untersuchung der einzelnen Empfindungen, jedenfalls aber deduktiv erst nach Aufnahme des empirischen Begriffs der Materie in der Naturphilosophie aufgestellt und behauptet werden kann. 122. Nachdem das Bewußtsein einmal in den Besitz dieser Begriffe gelangt ist, bedarf es auch der strengsten Disziplin, um von ihrem Mißbrauch abgehalten zu werden. Gerade hier tritt die Gefahr, welche oben (§ 105) im Allgemeinen angedeutet wurde, recht offen zutage. Am Begriff eines mannigfaltigen Realen ist das Gepräge der Herkunft unkenntlich geworden; er scheint eine bedingungslose Herrschaft zu üben. Das forschende Bewußtsein, dessen Trieb, den vermeintlichen Schleier der Sinnenwelt zu lüften, nicht ausgelöscht werden kann, meint in ihm einen Ausblick zu gewinnen und freut sich, doch noch ein Mittel gefunden zu haben, um das zu glauben, was es so gern glauben möchte. Es überredet sich, daß dieser Begriff eine klare und deutliche Erkenntnis ist, die keine Spuren der Abhängigkeit von subjektivem Einfluß an sich trägt. Der Begriff von einem Gegenstand überhaupt, an welchen seine Hoffnungen geknüpft waren, von welchem es sich aber nicht die mindeste Vorstellung hatte machen können, ist nun bestimmt: Das Ding-ansich ist, und es ist als ein mehrfaches! Selbstverständlich zieht dieser übersinnliche Genuß eine Zerrüttung des ganzen Erfahrungsorganismus nach sich. Die Erkenntnistheorie schützt vor dieser Schwärmerei durch die einfache kritische Erinnerung, daß Realität und Qualität nichts sind als Bestimmungen der Empfindung. Sie verlieren jeden Sinn, sobald sie aus diesem Verband gelöst werden. 123. Die Naturphilosophie oder allgemeine Naturwissenschaft, welche sich auf gewisse Grunderfahrungen aufbaut, findet im Prinzip der materiellen Verknüpfung bedeutsame Einschränkungen ihrer Untersuchung. Wenn nichts Existierendes ohne intensive Größe gedacht werden kann, so folgt, daß die Naturphilosophie zu ihren Erklärungen die Vorstellung eines leeren Raumes und einer leeren Zeit nicht verwerten darf. Denn die leeren Anschauungen wären eben Wahrnehmungen von einem Realen ohne intensive Größe. Und zwar kann sie nicht nur die wirkliche Wahrnehmung davon nicht behaupten, sondern sie darf auch nicht versuchen durch Schlüsse, durch notwendige Hypothesen dazu zu gelangen. Denn was der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt widerspricht, kann niemals eine besondere Erfahrung bedingen. Ebenso unmittelbar geht ein Zweites aus dem Prinzip hervor. Die Naturphilosophie kann nicht hoffen, in der Reduktion ihrer Annahmen auf eine möglichst geringe Anzahl jemals dahin zu kommen, daß sie alles aus einem qualitativ identischen Dasein in Raum und Zeit erklärt. Schon die Erkenntnistheorie fordert eine von den Verhältnisvorstellungen unabhängige Verschiedenheit des Realen; die allgemeine Naturwissenschaft versucht es vergeblich, sich von der Notwendigkeit dieser Mehrheit von Grundprinzipien loszumachen. (82) Für diese Einschränkung ihrer Hypothesenfreiheit wird aber die Naturwissenschaft reichlich entschädigt durch den Anteil an unbedingter Gewißheit, welchen sie diesem Prinzip verdankt. Es sichert ihr eine objektive Grundlage, auf welcher sie ihre empirischen Urteile aufbauen kann. Es begründet die letzten Annahmen, die ihr zur Erklärung ihrer Beobachtungen unentbehrlich sind. Man kann sagen, daß die Natur, welche die Wissenschaft erforschen will, erst durch dieses Prinzip mit Inhalt, mit Gegenständen erfüllt wird. (83) ![]()
50) Ich muß diese Ansicht Lange gegenüber aufrecht erhalten, obgleich ich nicht der unwissenschaftlichen Meinung bin, "daß die Stammbegriffe unserer Erkenntnisse a priori sich auch a priori, durch reine Deduktion aus notwendigen Begriffen müssen entdecken lassen" (a. a. O., Bd. II, Seite 30), sondern mit ihm annehme, "daß die Reflexion über die Erfahrung ebenfalls ein induktives Verfahren ist und kein anderes sein kann (ebd. Seite 124). Allein daraus folgt nach meiner Auffassung nicht, "daß der Anspruch an die Gewißheit der vollständigen Auffindung alles Apriorischen unhaltbar ist (ebd.). Es ist nämlich die Induktion, durch welche wir die Grundsätze ableiten, eine vollständige, wie wir bald sehen werden. Angenommen, es sei die in der Mathematik vorliegende Erfahrung zu erklären, so suche ich induktiv die Anzahl der Postulate, die erfüllt werden müssen, wenn diese Wissenschaft bestehen soll. Nun ist allerdings möglich, daß ich in der Aufzählung unsorgfältig zu Werke gehe, daß ich irre; aber es liegt kein Grund in der Sache, daß ich sie überhaupt nicht vollständig, oder zu irgendeiner späteren Zeit vollständiger als gerade jetzt entdecken kann. Eine Theorie, welche die Möglichkeit der Mathematik erklären will, muß mit dem Anspruch auftreten, die dazu nötigen Hypothesen absolut vollständig beigebracht zu haben; denn sonst würde sie ja zugeben, irgendetwas unerklärt zu lassen. Es wäre ja widersinnig, den Grund, warum ich einen notwendigen Satz jetzt für wahr halte, erst in der künftigen Erfahrung suchen zu wollen. (vgl. übrigens Anmerkung 72) 51) Kr. d. r. V. 93. - Vgl. dazu Cohen, a. a. O., Kapitel VIII. - Lange, a. a. O., Bd. 2, Seite 50-52. 52) Kr. d. r. V. 94 53) Werke III, 90 54) Kr. d. r. V. 131 55) Kr. d. r. V. 94 56) Werke III, 88. 57) Werke III, 89 58) Werke III, 90 59) Kr. d. r. V. 101 60) Vgl. dazu Schopenhauer, Werke II, Seite 557-559. Diese Kategorienlehre "ist auch recht eigentlich das Bett des Prokrustes geworden, in welches Kant jede mögliche Betrachtung hineinzwängt etc." - Die Ansicht von der Künstlichkeit der Kategorien muß überhaupt als herrschende bezeichnet werden; sie wird überall aufgenommen, ohne daß man eine nähere Begründung für nötig hält. - Auch Lange tritt ihr bei (a. a. O., Bd. II, 132). - Wundt sagt (a. a. O., 675): Die Ausführung dieser Ordnung ist ein logisches Geschäft, wie es denn auch Kant aufgefaßt hat, dessen Tafel der Kategorien jedoch ihre Form zum Teil dem Streben nach einer rein äußerlichen Symmetrie verdankt, die mit der inneren Notwendigkeit der Begriffe nichts zu tun hat." - 61) Kr. d. r. V. 102 62) Werke III, 70. - Vgl. Werke IV, 39 die Anmerkung. 63) Werke III, 91 64) Werke III, 92 65) Werke V, 313 66) Werke I, 563 67) Werke IX, 3. - Vgl. auch Werke IX, 332. 68) Vgl. Cohen gegen Herbart, a. a. O, 108 und 109. 69) Cohen, a. a. O., Seite 209 und 210. 70) Auch in diesem Punkt muß ich zu der Darstellung Cohens einen Zusatz machen. Er behauptet "die Apriorität nicht sowohl der Kategorien, als vielmehr der Kategorie (Seite 101). Nur in erweiterter, übertragender Bedeutung könne die Apriorität der Kategorien behauptet werden. "Denn die einzelnen Kategorien, obgleich sie in ihrer logischen Qualität nicht notwendige Denkformen sein mögen - insofern sie eine synthetische Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen enthalten, sind sie sämtlich a priori." Wenn diese Bestimmung ausreichend wäre, so würde der Begriff der Apriorität das ganze Feld der Empirie umspannen. Jedes Urteil enthält "eine synthetische Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen", "insofern" sind also sämtliche Urteile a priori, und es ist eitel Täuschung, wenn noch einzelne Urteile sich vor anderen einer besonderen Notwendigkeit rühmen. Denn das einzige Kriterium der Notwendigkeit ist ja eben die Apriorität, die sich nunmehr über alles ergießt. Alsdann darf "unbeschadet dem apriorischen Charakter der Kategorie selbst Streit sein", nicht nur darüber, "ob die Gemeinschaft eine notwendige, für die Möglichkeit der Erfahrung notwendige Denkform ist, oder nur die Kausalität oder auch die Zweckverbindung", sondern es kann auch Streit darüber sein, ob es der pythagoreische Lehrsatz oder das Gesetz der Lichtbrechung ist. Ein Rangunterschied kann höchstens noch in der komparativen Allgemeinheit bestehen. Ich behaupte aber: Entweder soll man darauf verzichten, in der reinen Wissenschaftstheorie einzelne apriorische Kategorien aufzustellen, oder man muß es in einer Weise tun, daß über ihre Anzahl kein Streit sein kann. Denn wenn man sie annimmt, nimmt man sie na, wie Cohen hervorhebt, als formale Bedingungen der Erfahrung. Die Erkenntnis ihrer Vollständigkeit ist also unabhängig vom Fortgang der Erfahrung; ihre Anzahl muß zu jeder Zeit aus dem Begriff der Erfahrung herausgehoben werden können. Die Frage ist eben, ob die synthetische Einheit in Arten zerlegt werden kann, ohne daß man die Unterschiede in der Erfahrung sucht. Muß die Frage verneint werden, so gibt es keine Kategorien. Cohen hätte daher seine Bestimmung des Besonderen a priori wenigstens negativ in folgender Weise ergänzen sollen: Die einzelnen Kategorien sind sämtlich a priori, insofern sie eine synthetische Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen und außerdem nichts Empirisches enthalten. Wenn Cohen zu seiner Erklärung hinzufügt: "Und mehr Apriorität darf nirgends behauptet werden, mehr hat auch der Raum nicht. Die Synthesis des Räumlichen ist das a priori des Raumes" (ebd.), so bringt ihn dieser Ausdruck in einen Widerspruch zu seiner eigensten Ansicht. Das a priori des Raumes liegt nicht allein in der Handlung der Synthesis, sondern laut "transzendentaler Ästhetik" auch in dem, was verknüpft wird, im räumlichen Verhältnis; auch das Material der Synthesis muß schon als formale Bedingung der Erfahrung betrachtet werden. Ich illustriere dagegen meine Wendung durch den Satz: Die Kategorie der Größe ist insofern a priori, als sie die synthetische Einheit des Raumes enthält. - - - Ich füge hieran den wichtigen kantischen Satz: Wir haben gesehen, "daß reine Begriffe a priori außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinns) a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann." (Kr. d. r. V. 142) - - - Danach ist es methodisch vollkommen richtig, die Kategorie der Kausalität dadurch anzugreifen, daß man zeigt, der in ihr enthaltene Begriff der Veränderung sei aus der Erfahrung gezogen. Dann ist sie nämlich nur dann eine formale Bedingung des Denkens, insofern sie die Synthesis ausdrückt, insofern sie eine synthetische Einheit in der Vernüpfung des Mannigfaltigen der Anschauung darstellt." (Cohen, a. a. O., Seite 102) Nichtsdestoweniger behauptet Cohen mit Recht (ebd.), daß das kein Rückfall zu Hume wäre; denn wir hätten diesem gegenüber schon einen gewaltigen Ertrag, nämlich die Apriorität der Synthesis überhaupt gerettet. Wir können die Möglichkeit von notwendigen Urteilen, also von Gegenständen im Allgemeinen beweisen, woran Hume verzweifeln mußte. 71) Damit sind die besonderen Einheitsfunktion allerdings weder als "Stammbegriffe", noch auch nur als Elemente unserer "Organisation" im Sinne von Lange (a. a. O., Bd. II, 125f) abgeleitet. Ich will auch nichts weiter erreichen, als was Cohen (a. a. O., 208) von den Grundsätzen sagt und was ich übrigens für durchaus kantisch halte: "Wirklich aber sind sie nicht als Eigenschaften unseres Organismus, sondern als Formen der gegebenen Erfahrung, mit deren Aufhebung die Möglichkeit der Erfahrung, die mögliche Erfahrung aufgehoben würde." Lange hält das (ebd. und auch Seite 131) für eine "Tautologie, daß die Erfahrung zu erklären ist aus den Bedingungen überhaupt möglicher Erfahrung. Soll die transzendentale Deduktion statt dieser Tautologie ein synthetisches Resultat ergeben, so müssen die Kategorien notwendig noch etwas sein, außerdem daß sie Bedingungen der Erfahrung sind." Ich dagegen behaupte keineswegs, daß die Erkenntnistheorie ein "synthetisches Resultat" ergibt; ihr Endergebnis ist ein analytisches Urteil: auf der einen Seite der gegebene Begriff der Erfahrung, auf der anderen seine Explikation [Erklärung - wp] (vgl. weiter unten § 198f). Aber dies darf so wenig Tautologie genannt werden, als irgendeine andere gute Erklärung. Gelingt die interessante Untersuchung, die Einheitsfunktionen als "noch etwas" nachzuweisen, so ist dieses Resultat nicht mehr ein erkenntnistheoretisches, sondern ein psychologisches. 72) Aus diesem Prinzip läßt sich die gegen Lange behauptete (vgl. Anmerkung 50) Notwendigkeit der vollständigen Anzahl hinreichend rechtfertigen. Die Aufstellung geschieht allerdings induktiv, durch die psychologische Induktion, welche die Vorstellungselemente auzählt. Aber diese Induktion ist vollständig, wie jede Aufzählung der Glieder eines eingeteilten Ganzen; wir wissen, daß der Inhalt der Erfahrung durch Raum, Zeit und Empfindung erschöpft ist. Belehrt uns nun Mill, daß man shcon viele Induktionen für komplett gehalten hat, die sich später als sehr unvollständig erwiesen haben, so sind wir nicht so dogmatisch, zu bestreiten, daß es nicht vielleicht irgendwo oder zu irgendeiner Zeit Geschöpfe geben könnte, bei welchen die Vorstellungselemente andere sind; aber wir behaupten, die Erfahrungsbedingungen absolut vollständig für alle Wesen gefunden zu haben, in deren Wahrnehmung sich die beschrieben drei Faktoren unterscheiden lassen. Die Zahl unserer Prinzipien bleibt und ist zur Begründung unseres wissenschaftlichen Bewußtseins notwendig, solange der menschlichen Natur diese Verschiedenheit ihrer Vorstellungsform anhaftet. 73) Der Satz, den Lange bei Kant für bedenklich hält, "daß Empfindung sich nicht wieder an Empfindung ordnen kann", braucht also durchaus nicht aufgestellt zu werden (a. a. O., Bd. II, Seite 33. Vgl. übrigens auch Seite 35 und 36 ebd.) 74) Es ist nützlich, hier die Springpunkte unserer Auffassung zu rekapitulieren, unter welcher sich, wie ich glaube, die kantischen Gedanken als eine konsequente und geschlossene Theorie darstellen. Vor allem muß festgehalten werden, daß die synthetische Einheit überhaupt als Bedingung dfer ursprünglichen Apperzeption postuliert wird, und daß dieselbe die in den Urteilen wirkende Einheitsfunktion ist. Einheitsfunktion und synthetische Einheit sind nur wie Prozeß und Resultat zu unterscheiden, ohne daß etwa beiden eine verschiedene Rolle im Erkennen zugeteilt werden darf. Die Einheitsfunktion deckt sich, wie gezeigt wurde, mit Kants oberstem Grundsatz oder mit der Kategorie als Gattungsbegriff. Während nun Kant aus der Urteilstafel zunächst eine formal bleibende Besonderung seiner Kategorie gewinnen will, verzichte ich darauf, weil sie schließlich dem Prinzip nach doch nur materiell, wenn auch apriorisch sein kann. Daraus folgt aber, daß wir bei den einzelnen Einheitsfunktionen nicht mehr von "Kategorien" im Sinne der Tafel sprechen können; denn "bloße Gedankenformen" kennen wir aus als Abstraktion nicht, weil aus der einen bloßen Gedankenform die Mehrheit überhaupt erst dadurch entsteht, daß wir sie aus ihrer Isolierung in die Anschauung hinüberziehen. Was ich Einheitsfunktionen genannt habe, heißt bei Kant "schematisierte Kategorien", "Schemata reiner Verstandesbegriffe", "Grundsätze". Und ich kann nicht etwa durch nachträgliche Abstraktion die reinen Verstandesbegriffe dennoch gewinnen. Denn die einzelnen Funktionen haben nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv bloß einen Sinn in Verbindung mit der Anschauung. Sobald ich letzterer abstrahiere, verlieren sie auch ihre gedankliche Sonderexistenz und lössen sich wieder auf in die allgemeine synthetische Einheit. - - - Ich kann diese Wendung durch eine kleine Änderung eines Satzes der Kr. d. r. V. sehr deutlich machen. Kant sagt: "Es hat aber die Transzendental-Philosophie das Eigentümliche, daß sie außer der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die im reinen Begriff des Verstandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen." (Seite 140). Ich ziehe es vor zu sagen: daß sie zugleich a priori die Fällen anzeigen kann, worauf sie angewandt werden soll. Aus den verschiedenen Fällen, worauf die Regel angewandt wird, entspringen die Regeln. Kant schematisiert in seiner Darstellung die anderswo gefundene Anzahl der Kategorien, um sie in ihrer Anwendung zu zeigen; ich sage aber, daß die allgemeine Kategorie angewendet worden ist, damit man ihre Arten entdeckt. Bei Kant tritt das transzendentale Schema nur als die restringierende und realisierende, sinnliche Bedingung der Kategorie (vgl. Cohen, Seite 188) hervor, ich betrachte es in erster Linie als ihre spezifizierende. Wie mächtig sich aber aber dadurch seine einschränkende Kraft kundgibt, ist in § 105 gezeigt worden. 75) Für das Verständnis der Kr. d. r. V. kann das Studium eines an ungemein wichtiger Stelle befindlichen Satzes nicht genug empfohlen werden. Im zweiten Abschnitt der Grundsätze Seite 152 heißt es: "Da also Erfahrung, als empirische Synthesis, in ihrer Möglichkeit die einzige Erkenntnisart ist, welche aller anderen Synthesis Realität gibt, so hat diese als Erkenntnis a priori auch nur dadurch Wahrheit (Einstimmung mit dem Objekt), daß sie nichts weiter enthält, als was zur synthetischen Einheit der Erfahrung überhaupt notwendig ist." 76) Erst nach langer Prüfung habe ich mich zu so wichtigen Abweichungen von der kantischen Darstellung entschlossen. Ich habe das Hauptgewicht der Ableitung in zwei Sätzen erblickt, die Kant ohne besondere Betonung anführt. Er sagt: "Wenn die Synthesis des Mannigfaltigen der Erscheinung unterbrochen ist, so ist dieses ein Aggregat von vielen Erscheinungen, und nicht eigentlich Erscheinung als ein Quantum, welches nicht durch die bloße Fortsetzung der produktiven Synthesis einer gewissen Art, sondern durch Wiederholung einer immer aufhörenden Synthesis erzeugt wird." (Kr. d. r. V. 161). Dieser Satz enthält den Beweis in nuce [im Kern - wp]. Weil die Einheit des Gegenstandes nur durch stetige Synthesis möglich ist, hat alle Realität eine intensive Größe. Kant hat die Kontinuität des Bewußtseins und damit das eine Element der Qualität, die Intensität, endgültig deduziert. Für die Klarheit dieses Teils der Darstellung ist nur zu bedauern, daß er nicht auch die transzendentale Beziehung auf die Einheit der ursprünglichen Apperzeption ausführlich wiederholt hat. - Der zweite Satz lautet: Es erregt "einiges Bedenken, daß der Verstand einen dergleichen synthetischen Satz, als der von dem Grad alles Realen in den Erscheinungen ist, und folglich der Möglichkeit des inneren Unterschiedes der Empfindung selbst, wenn man von ihrer empirischen Qualität abstrahiert, antizipiert." (Kr. d. r. V. 164) Darin wird das zweite Ergebnis der Deduktion auf das Schärfste ausgesprochen. Auch der innere Unterschied ist eine apriorische Bestimmung der Empfindung. Damit ist das zweite Element der Qualität, der Ergänzungsbegriff der Intensität, die Verschiedenheit des Realen gefunden. Dieses Resultat entspringt durch bündigen Schluß aus einer notwendigen Disjunktion. Die erforderliche Mannigfaltigkeit besteht entweder im inneren oder äußeren Unterschied der Empfindung. Nun ist bewiesen, daß der äußere (als diskreter Bewußtseinszustände) nicht möglich ist, also gibt es einen inneren. Über diesen Punkt nun geht Kant noch zwei Schritte hinaus, die ich ihm nicht folgen kann. Einmal legt er den inneren Unterschied in die intensive Quantität. Dafür habe ich den reinen transzendentalen Grund vergeblich gesucht. Zweitens schreibt er dieser intensiven Quantität außerdem noch Stetigkeit zu. Auch dieses Moment läßt die Kritik unbewiesen. Es heißt einfach: "Nun hat jede Empfindung einen Grad oder eine Größe, wodurch sie dieselbe Zeit ... mehr oder weniger erfüllen kann, bis sie in nichts ... aufhört." (Kr. d. r. V. 144) Jede? Warum? Ferner: "Nun ist vom empirischen Bewußtsein zum reinen eine stufenartige Veränderung möglich ..." (Kr. d. r. V. 159) Immer? "Nun ist aber jede Empfindung einer Verringerung fähig ..." (Kr. d. r. V. 160) Weshalb denn jede? Doch wohl nur, weil es die Erfahrung so zeigt. In der Tat antworten die Prolegorischen Bewußtsein zum reinen eine stufenartige Veränderung möglich ..." (Kr. d. r. V. 159) Immer? "Nun ist aber jede Empfindung einer Verringerung fähig ..." (Kr. d. r. V. 160) Weshalb denn jede? Doch wohl nur, weil es die Erfahrung so zeigt. In der Tat antworten die Prolegomenen auf diese Frage in § 25 (Werke III, 68) durch eine Aufzählung der einzelnen Empfindungen. Und dennoch irrt man, wenn man glaubt, Kant habe die Stetigkeit des Grades nur durch Induktion aus der Erfahrung entlehnt. Er hat sie vielmehr in den "Anfangsgründen der Naturwissenschaften" im zweiten dynamischen Lehrsatz für den allgemeinen Begriff der Materie deduziert (Werke V, 346). Aber es darf eben diese Deduktion, da sie die Materie voraussetzt, nicht für den reinen erkenntnistheoretischen Grundsatz verwertet werden. 77) Vgl. z. B. Wundt, a. a. O., Seite 6894. "Aber die Zeit ansich ist ein diskretes Gebilde." - "Die von Vorstellungen freien Zustände des Schlafes und der Ohnmacht sind für uns vollständig zeitlos." 78) Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß diese Bestimmung mit dem Begriff der "Realprugnanz" [realer Gegensatz - wp] nichts zu schaffen hat, deren Behandlung nicht in die reine, sondern in die angewandte Erkenntnistheorie gehört. Die Realprugnanz ist der Begriff der relativen identischen Negation, der gegenseitigen Aufhebung realer Grade, wozu die Kenntnis wirklicher Kräfte aus der Erfahrung, d. h. aus einem speziellen Wissenschaftsstoff geschöpft werden muß. Das deutlichste Beispiel derselben ist das Plus und Minus der Mathematik. Vgl. Kants "Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen". (erster Abschnitt, Werke I, 121) 79) Überweg hat es allerdings viel leichter; er legt das Bewußtsein der objektiven Gültigkeit der formalen Verknüpfung gleich in die Definition des Urteils. Das Urteil ist "das Bewußtsein, ob zwischen den entsprechenden objektiven Elementen die analoge Verbindung besteht" (a. a. O., 150). Wie es aber kommt, daß das Bewußtsein sich über dieses "ob" Gewißheit verschaffen kann, läßt er gänzlich unerklärt. Das Bewußtsein darf eben nicht skeptisch sein. Dann mag man freilich ruhig weiterdefinieren: "Der Begriff der Bejahung ist das Bewußtsein der Übereinstimmung der Vorstellungskombination mit der Wirklichkeit, der Begriff der Verneinung das Bewußtsein der Abweichung der Vorstellungskombination von der Wirklichkeit." (ebd. 164) In dieser Fassung bleiben die Begriffe als logische und als erkenntnistheoretische Werte gleich unklar. 80) Meiner Auffassung gemäß kann ich also die "Limitation" unter die Zahl der Kategorien nicht aufnehmen. Ich lasse hier dahingestellt, ob sie die formale Logik mit Nutzen in der Urteilstafel bewahrt. Kant hatte dies mit den Worten empfohlen: "Diese unendlichen Urteile also in Anbetracht des logischen Umfangs sind wirklich bloß beschränkend in Anbetracht des Inhalts der Erkenntnis überhaupt, und insofern müssen sie in der transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen nicht übergangen werden, weil die hierbei ausgeübte Funktion des Verstandes vielleich im Feld seiner reinen Erkenntnis a priori wichtig sein kann." (Kr. d. r. V. 96) Dieses "vielleicht hat aber Kant für die Erkenntnistheorie weder bei den Kategorien, noch bei den Schemata (vgl. Kr. d. r. V. 144), noch bei den Grundsätzen entschieden. Ebensowenig habe ich selbst die transzendentale Rolle dieser Kategorie entdecken können. 81) Diese Begriffe würden dann ihrer Funktion nach den ersten beiden kantischen Kategorien der Qualität entsprechen. 82) Vgl. "Kritik der praktischen Philosophie", Seite 164 und 165. - "Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften", Dynamik (Werke V, 342f) 83) Daher nennt es Kant "Prinzip der Antizipationen". Notwendig ist nur, was antizipiert werden kann. Nun sind alle Erscheinungen insofern Antizipationen, als sie unter diesem Gesetz stehen. Somit ist es, wie die erste Auflage ausführlicher sagt, "der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen als solche antizipiert." (Kr. d. r. V. 158) - Bei dieser Gelegenheit sei auf die transzendentale Vertiefung der zweiten Auflage hingewiesen. Während die Fassung der ersten "die Empfindung und das Reale" einfach nebeneinander stellt, sagt die zweite: "Das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist", d. h. das Reale, die Beziehung worauf die Empfindung erst objektiv macht. |