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Die transzendentale Deduktion [1/2]
Kant und Fries [Mit Beziehung auf die Schriften von Jürgen Bona-Meyer, Otto Liebmann, Kuno Fischer, Eduard Zeller, Hermann Cohen, Edmund Montgomery] KANT sagt über die Bedeutung seines Begriffs "transzendental" am Schluß des ersten Teils der Prolegomena, der transzendentalen Hauptfrage:
Was für eine besondere Erkenntnisweise ist das aber, die KANT als transzendente bezeichnet? Er sagt darüber (Kr. d. r. V. im Abschnitt "Von der transzendentalen Logik"):
2) nur diejenige, durch welche wir die Möglichkeit und den Gebrauch anderer Erkenntnisse a priori erkennen.
"Die im engeren Verstand sogenannte Metaphysik besteht aus der Transzendentalphilosophie und der Physiologie der reinen Vernunft. Die erstere betrachtet nur den Verstand und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben wären (Ontologie)."
In der Philosophie ist das nicht möglich. Denn sie ist gedachte Erkenntnis aus bloßen Begriffen, während die Mathematik zugleich ihre Begriffe in reiner Anschauung konstruiert. Daher bedürfen die philosophischen Grundsätze einer anderen Begründung. Und eben diese gibt bei KANT die transzendentale Deduktion, er sieht sie an als Beweis der Erkenntnis a priori, d. h. der philosophischen Erkenntnis. So beweist er in der transzendentalen Ästhetik die Notwendigkeit der reinen Anschauungen von Raum und Zeit in transzendentalen Erörterungen dadurch, daß Raum und Zeit die notwendigen Formen der Sinnlichkeit unserer Erkenntnis sind, denn nur in ihnen wird uns ein Gegenstand zur Erkenntnis gegeben. Da nun nach ihm (Einleitung) unsere menschliche Erkenntnis zwei Stämme hat, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden: so beweist er ebenso in der transzendentalen Logik, nachdem er durch die Kritik an einem sicheren Leitfaden alle reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien entdeckt hat, dieselben durch transzendentale Deduktion. Er zeigt nämlich, daß sie die Prinzipien aller möglichen Erfahrung sind; notwendig, weil ohne sie das zusammenhängende Ganze unserer Erfahrung gar nicht möglich wäre. Ich meine, das ist der klare Zusammenhang, in welchem die transzendentale Deduktion bei KANT steht. Und gerade diese beiden Stücke, kritische Methode zur Aufsuchung der philosophischen Erkenntnisse, und transzendentale Deduktion zur Begründung derselben, sind zwei wesentliche Eigentümlichkeiten in KANTs Philosophie, ohne deren richtige Auffassung dieselbe nicht verstanden und beurteilt werden kann. Von seiner kritischen Methode will ich hier nicht weiter reden. Nur das will ich bemerken, daß unter allen unmittelbaren Schülern KANTs mir FRIES als der einzige erscheint, der dieser allein richtigen Methode des Philosophierens wahrhaft treu geblieben ist, weil er sie allein richtig verstanden hat. Alle anderen Philosophien wichen von ihr ab, und eben darum, während sie für Fortbildungen der Philosophie KANTs gehalten wurden, sind sie in der Tat Abirrungen von der wahren Philosophie. Neuerdings läßt man sich wieder irre leiten von der Methode der englischen Denker, und redet von einer deduktiven oder induktiven Methode des Philosophierens, indem man Deduktion und Induktion verwechselt, oder Abstraktion und Reflexion identifiziert mit einer besonderen Art von Anschauung. Das Andere, die transzendentale Deduktion KANTs, ist das, worüber ich hier noch weiter sprechen will. In dieser, so wie KANT sie versteht und behandelt, hat FRIES einen folgenreichen Fehler nachgewiesen, und seine Neue Kritik der Vernunft sollte eben diesen Fehler KANTs verbessern; er behielt nämlich die Deduktion als eine passende Bezeichnung für die Begründung der philosophischen Erkenntnisse bei, aber seine Deduktion ist doch wesentlich eine andere als die KANTs. Wir haben gesehen, daß bei KANT die transzendentale Erkenntnis eine Erkenntnis a priori ist, und daß er mit der transzendentalen Deduktion die objektive Gültigkeit der metaphysischen Erkenntnis a priori beweisen will. Das aber ist nicht möglich. Denn, wenn nach KANT jede Erkenntnis a priori wieder durch eine andere Erkenntnis a priori begründet werden müßte: so kämen wir ja mit der Forderung der Begründung nie ans Ende. Und darf man für eine Erkenntnis a priori, d. h. allgemeine und notwendige Erkenntnis, überhaupt einen Beweis als Begründung verlangen? Nein. Denn eine Behauptung, deren Wahrheit bewiesen wird, ist eine abgeleitete Erkenntnis, die der höheren Wahrheit des Obersatzes im Schluß, durch welchen ich beweise, untergeordnet ist. Nun sollen ja doch die philosophischen, die metaphysischen, jene synthetischen Erkenntnisse a priori, allgemeine und notwendige Wahrheiten, Prinzipien aller Erkenntnisse sein, - wie können sie also aus einer höheren Erkenntnis bewiesen werden? Diesen Fehler bemerkt schon ganz richtig FRIEDRICH HEINRICH JACOBI. Aber er fand doch die richtige Begründung der philosophischen Erkenntnisse nicht. Er nannte als die Quellen der unerweisbaren Grundsätze Glauben und Offenbarung. Allein so verwechselte er die eigentümliche wissenschaftliche Begründung der philosophischen Erkenntnis mit der unmittelbar gewissen Überzeugung von der ewigen Wahrheit, oder mit einer übernatürlichen Mitteilung. Darum tadelte ihn schon KANT in der Abhandlung "Was heißt sich im Denken orientieren?" und er kam in den Verdacht, schwärmerisch, mystisch alle wissenschaftliche Philosophie vernichten zu wollen. Das war nun zwar seine Absicht sicher nicht, aber er gelangte doch nicht zur Klarheit über das Verhältnis der Erkenntnis a priori zu ihrer wissenschaftlichen Begründung. KANTs Fehler aber kam aus der LEIBNIZ-WOLFF-Schule; denn es ist ein Vorurteil der dogmatischen Philosophie, überall zur Begründung der Urteile den strengen Beweis zu verlangen. Aber es gibt für uns verschiedene in gleicher Weise gültige Begründungsweisen unserer Urteile. Der Satz des zureichenden Grundes, den LEIBNIZ eingeführt hat, und der, recht verstanden, ein logischer ist, verlangt eben für jedes Urteil einen zureichenden Grund, um es nicht bloß äußerlich und formell, sondern auch dem Inhalt nach als ein wahres anzuerkennen. Wie können wir uns nun wegen unserer Behauptungen rechtfertigen? Entweder durch Beweis; aber mit ihm leite ich nur ein Urteil von anderen, höheren ab. Oder ich berufe mich auf Anschauung, d. h. Demonstration. Oder endlich, ich zeige, wie mein Urteil in der Natur meiner erkennenden Vernunft begründet ist; und dies ist die Deduktion. Der Beweis also begründet nur abgeleitete Wahrheit, nie Grundurteile. Denn er leitet die Wahrheit des Schlußsatzes aus den Prämissen analytisch her; sie liegt in der höheren Wahrheit des Obersatzes und in der Subsumtion des Untersatzes durch einen richtigen Mittelbegriff. Die Grundurteile aber sind entweder historischer, mathematischer oder philosophischer Art. Ist mein Urteil historischer Art, so berufe ich mich auf Anschauung, nämlich Sinnesanschauung, Wahrnehmung, Erfahrung. Die mathematischen Urteile, da sie eine gedachte Erkenntnis aussprechen, werden allerdings durch Beweise abgeleitet, aber diese stützen sich doch zugleich auf Anschauung, nämlich reine, die eigentlich mathematische Anschauung. Die mathematischen Grundurteile, die Axiome beruhen ohne weiteren Beweis lediglich auf dieser reinen Anschauung. Wie wollen wir nun endlich die philosophischen Urteile begründen? Durch Anschauung gewiß nicht, denn die philosophische Erkenntnis ist keine sinnesanschauliche, sondern eine gedachte Erkenntnis. Aber auch nicht durch reine Anschauung, denn diese philosophische Erkenntnis ist zwar ebenso wie die mathematische gedachte Erkenntnis, allein, während die Mathematik ihre Begriffe in reiner Anschauung zu konstruieren imstande ist, und darum auf der unmittelbaren Gewißheit dieser Anschauung beruth, ist die philosophische Erkenntnis einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen. Kann ich mich zur Begründung derselben auf einen Beweis berufen und beziehen? Doch nicht, denn sie ist keine analytisch abgeleitete, sondern eine synthetische Erkenntnis a priori, ihre Grundsätze sind allgemein und notwendig. Worauf beruth nun diese Allgemeinheit und Notwendigkeit? Da die philosophische Erkenntnis reine Vernunfterkenntnis ist, so kann ihr Grund einzig und allein in der Natur meiner erkennenden Vernunft liegen. Und eben dies zu zeigen, ist das Geschäft der philosophischen Deduktion. Der Sinn von FRIES' Forderung, unserer Spekulation eine ganz subjektive Wendung zu geben, ist gerade dieser: wir müssen durch innere Selbstbeobachtung zu einer vollständigen Theorie der Vernunft zu kommen versuchen, um aus ihrer ursprünglichen und allgemeinen Natur die Art und Weise all ihrer Erkenntnis zu verstehen. Nur in einer philosophischen Anthropologie kann die Rechtfertigung derjenigen Erkenntnis gefunden werden, die wir reine Vernunfterkenntnis nennen. Darum nannte FRIES seine Kritik der Vernunft eine "anthropologische", weil er mit der Kritik zugleich die vollständige Deduktion ihrer reinen Erkenntnisse, der Erkenntnisse a priori verbunden hat. Was tut also diese Deduktion? Beweist sie die Wahrheit der philosophischen Erkenntnis? Nein! Diese ist ja keine abgeleitete Erkenntnis, sondern eine allgemeine und notwendige Erkenntnis, synthetische Erkenntnis a priori; sie hat ihren Grund einzig und allein in der Natur der Vernunft selbst. Während nun die philosophische Kritik darauf ausgeht, durch Reflexion, Abstraktion und Spekulation zu entdecken, welche philosophische Erkenntnis die menschliche Vernunft besitzt, will die philosophische Deduktion nachweisen, wie in der natürlichen Beschaffenheit unserer Vernunft der Besitz dieser philosophischen Erkenntnisse begründet ist. Daß diese von allgemeiner und notwendiger Gültigkeit sind, daß wir sie als solche besitzen, bedarf durchaus keines Beweises, denn wir haben ja eben dieses durch unsere Kritik gefunden. Unzweifelhaft also ist uns Besitz jener Erkenntnisse; quid facti, ist durch Kritik klar. Aber die Deduktion gibt die Antwort auf die Frage quid juris [was ist die Rechtfertigung? - wp] hinzu. Sie zeigt, wie unsere menschliche Vernunft von Natur beschaffen ist, und wie sie eben deshalb gerade diese philosophische Erkenntnis besitzt. Mit wie großer Gründlichkeit und Genauigkeit nun auch KANT seine Kritik ausgearbeitet, mit wie großem Scharfsinn er seine transzendentale Dedeuktion zustande gebracht hat, dennoch war er sich nicht ganz klar über die Art und Erkenntnisweise seiner philosophischen Spekulation. Und wir können zeigen, daß ein Mangel der Selbstbeobachtung und eine logische Überschätzung des Beweises ihn daran verhinderte. In beiden Fällen verkannte er die empirisch-psychologische Art seiner Untersuchungen. Wenn wir in der Kritik die philosophischen Erkenntnisse unserer Vernunft aufsuchen wollen, diese Erkenntnisse aber wegen ihrer Allgemeinheit und Notwendigkeit uns nicht durch Erfahrung gegeben sein können, sondern unserer Vernunft a priori angehören: wie haben wir es danach anzufangen, um sie aufzufinden? Wir müssen offenbar unsere eigene Vernunft und die ihr eigentümliche Erkenntnisfähigkeit zu erkennen uns bestreben. Da wir diese doch nur in uns aufsuchen können, so ist das einzige Mittel, der allein richtige Weg: gründliche innere Selbstbeobachtung, aufgrund der inneren Erfahrung. Und eben diesen Weg ging KANT festen und klaren Blickes mit bewundernswerter Ausdauer Schritt für Schritt. Er ging von dem Faktum der Erfahrung aus, kritisierte unsere Erfahrungsurteile, abstrahierte von Allem, was uns zur Erfahrungserkenntnis gegeben wird, und gelangte so am sicheren Leitfaden der verschiedenen Momente unserer Urteile zur Erkenntnis dessen, was in jener Erfahrung nur unserer eigenen Selbsttätigkeit gehört: so führte er uns zu den reinen Verstandesbegriffen, den Kategorien. Das war der Weg, den KANT spekulierend verfolgt hat, auf dem er trotz vieler Schwierigkeiten und Mühseligkeiten verharrte und richtig zum rechten Ziel gelangte. Wer es versteht und vermag, ihm auf diesem Weg der Reflexion nachzugehen, der muß am Ziel das klare Bewußtsein haben, daß er nun mit KANT alle philosophischen Grundurteile kennengelernt hat. Dennoch liegt der ganzen Kritik KANTs ein Mangel der Spekulation zugrunde. Wohlverstanden, ich sage, ein Mangel. Denn ich will damit nicht dem Vorigen widersprechend behaupten, der Gang der kantischen Kritik sei ein falscher, ein irriger gewesen. Nein, denn KANT hat ja wirklich auf demselben das vorgesteckte Ziel erreicht, wirklich gefunden, was er suchte. Er stellte an die Spitze seiner Untersuchungen die Frage: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Und nun zeigte er im Verlauf seiner kritischen Arbeit, daß wir in der Tat solche Urteile besitzen, und genau, welche; er zeigte auch ihre Anwendung und das Gebiet ihres Gebrauchs. Er mußte dafür den Weg der Reflexion einschlagen. Aber im Verständnis zur ganzen Erkenntnistheorie lag darin doch ein Mangel, indem ihm nicht klar wurde, daß die reflektierte Erkenntnis doch etwas voraussetzt, worauf sie reflektiert. Er fand nicht den Hintergrund dieser Reflexionstätigkeit. Er sagt in der Einleitung:
Ich will über diese unmittelbare Erkenntnis hier etwas ausführlicher reden. Denn es kommt zum Verständnis der Stellung von FRIES' Philosophie zu der seines Lehrers KANT gar sehr darauf an, daß man dieses Verhältnis der mittelbaren Erkenntnis zur unmittelbaren begreift und anerkennt, ich habe aber gefunden, daß auch sonst klar und scharf Denkende sich doch mit dieser Unterscheidung nicht recht vertragen können. Die Bezeichnung "unmittelbare Erkenntnis" wird leicht mißverstanden. Man fragt, was heißt das: unmittelbar erkennen? Wird doch jede Erkenntnis erst durch das Erknntnisvermögen vermittelt, zustande gebracht. So deutet man die unmittelbare Erkenntnis so, als wäre das so viel wie angeborene Erkenntnis. Aber das ist ganz gegen FRIES' Lehre wie die KANTs. FRIES lehrt gleichwie KANT: angeborene Erkenntnisse oder Ideen haben wir nicht, sondern alle und jede Erkenntnis wird durch unsere erkennende Tätigkeit erworben. Nein, das meint FRIES also mit der unmittelbaren Erkenntnis durchaus nicht. Er verstand darunter vielmehr die Erkenntnis, die wir uns durch die gleichsam instinktive, erste, natürliche, ursprüngliche Äußerung unseres Erkenntnisvermögens erwerben. Diese Form der unmittelbaren Erkenntnis besitzen alle Menschen in gleicher Weise, denn sie liegt in der natürlichen Auffassung, Zusammenfassung und Verknüpfung des der Erkenntnis empirisch Gegebenen. Nun aber hat der Mensch ein zweifaches Erkenntnisvermögen, nämlich nicht nur das Vermögen der ursprünglichen Erkenntnis, sondern zugleich ein Vermögen der Wiederholung, der Wiederbeobachtung, des Erkennens der Art und Weise seines ursprünglichen Erkennens, das Vermögen der Selbsterkenntnis, d. h. das Vermögen, sich der ursprünglichen Erkenntnis wieder bewußt zu werden. Nun ist das Erkennen ein Grundvermögen unseres vernünftigen Geistes. Aber unsere Vernunft ist sinnliche Vernunft, d. h. ihr Erkenntnisvermögen bedarf der Anregung, um tätig zu werden. Zergliedern wir uns die Bestandteile einer jeden besonderen, bestimmten Erkenntnis: so müssen wir unterscheiden
2) seine Tätigkeit des Erkennens, das Erkennen, und 3) den Gegenstand, der erkannt wir, das Erkannte. Da uns nun aber eine gegenständliche Erkenntnis nur in Folge der Anregung dazu wegen der Sinnlichkeit unserer erkennenden Vernunft möglich ist, so kann die Erkenntnis a priori nur eine formale Eigenschaft haben. Und so ist es. Sie ist eben die Form der Erkenntnis, die unserer Vernunft von Natur gehört, die Art und Weise, wie wir das zur Erkenntnis gegebene Mannigfaltige auf- und zusammenfassen. Diese notwendige Form muß jeder besonderen Erkenntnis zugrunde liegen, sich an ihr aussprechen, weil wir doch in keiner anderen Weise erkennen können, als eben mit unserem Erkenntnisvermögen. Daher ist das eigentliche Geschäft der Reflexion, gerade die Aufgabe der Philosophie, uns diese unsere Erkenntnis a priori vollständig zum klaren Bewußtsein zu bringen. Das Vermögen der Reflexion ist aber das Denkvermögen, und dieses der Verstand. Dieser denkende Verstand kann jene Aufgabe nicht anders lösen als dadurch, daß er in innerer Selbstbeobachtung die Erkenntnisse, wie wir sie in unserem Innern vorfinden, zergliedert, von dem, was uns zur Erkenntnis gegeben worden ist, also zur Erkenntnis a posteriori gehört, abstrahiert, damit eben das übrig bleibt, was er sucht, nämlich die Erkenntnis a priori, deren Gegenstand nichts Anderes ist als die Eine, notwendige Form unserer Erkenntnis. Der einzig richtige Gang der philosophischen Reflexion und Spekulation ist also der regressive von unseren besonderen Erkenntnissen rückwärts zu der Einen und allgemeinen Form derselben, wie sie unserer Vernunft kraft der natürlichen Beschaffenheit ihres Erkenntnisvermögens gehört; und eben dies ist die kritische Methode KANTs. Das Mittel des abstrahierenden Verstandes sind die Begriffe, welche er bildet, denn diese sind allgemeine Vorstellungen. Er ist also das Vermögen der Erkenntnis mittels der Begriffe, in Begriffen und durch die Begriffe. Daher nennen wir diese gedachte Erkenntnis mittelbare Erkenntnis; da dieser aber nur dazu dient, uns die ursprüngliche Erkenntnis zum vollständigen Bewußtsein zu bringen: so nennen wir diese letztere mit Fug und Recht die unmittelbare Erkenntnis. Ich wüßte wahrlich nicht, wie man sie klarer und bestimmter bezeichnen könnte. Freilich, man muß scharf zu unterscheiden verstehen das Vermögen der unmittelbaren Erkenntnis, die erkennende Vernunft, von dem Vermögen des Wiederbewußtseins derselben, dem mittelbar durch Begriffe erkennenden, denkenden Verstand. Dieser Verstand ist eigentlich der geistige Herrscher in uns, durch den der Mensch seiner selbst Herr wird im Erkennen, Entschließen und Handeln. Einige Ähnlichkeit damit hat die Unterscheidung bei PLATO und ARISTOTELES zwischen nous [Geist - wp] und logos. Denn nous wird das Vermögen der ersten Grundwahrheiten (ton archon) genannt; das wäre also unsere reine Vernunft. Das logistikon ist die verständige Selbstbeherrschung, also unser Verstand. Aber eine scharfe Trennung zwischen nous und logos ist nicht zu finden; denn auch hier wird beides vermischt, weil der Unterschied zwischen der unmittelbaren Erkenntnis und der Reflexionserkenntnis nicht gefunden war. So hat auch KANT dieses Verhältnis des Verstandes zur Vernunft nicht klar erkannt, und eben darum nicht, weil er den Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erkenntnis übersehen und nicht gefunden hat. Dadurch irre geleitet, stellte SCHOPENHAUER die Sache nun gar auf den Kopf, machte den Verstand zum Anschauungsvermögen, die Vernunft aber zum Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe, mit der unbegreiflichen Behauptung, dies sei die von jeher gebräuchliche Auffassung gewesen. Ich meine aber, daß man stets den Verstand als Denkvermögen, also als Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe angesehen hat, während freilich bis auf den heutigen Tag das rechte Verhältnis zwischen Verstand und Vernunft nicht allgemein eingesehen, Anschauung und Denken nur allzu oft miteinander verwechselt und verwirrt wird. Ich will nun an einigen Hauptpunkten nachweisen, daß der angeregte Mangel der kritischen Selbstbeobachtung KANTs gerade in Bezug auf die unmittelbare Erkenntnis in seiner Kritik vorliegt. Wie gesagt, KANT schildert das Wesen unserer Erkenntnis einzig vom Standpunkt der Reflexion, ohne die unmittelbare Erkenntnis, die ihr zugrunde liegt, zu beachten. KANT gibt in der Einleitung sogleich den oben bereits angeführten Satz, daß unsere menschliche Erkenntnis überhaupt zwei Stämme hat, nämlich Sinnlichkeit und Verstand. Das ist insofern richtig, als wir, unsere Erkenntnisse im Allgemeinen in unserem Innern beobachtend, also reflektierend erkennen, daß unsere Erkenntnisse teils sinnesanschauliche, teils gedachte sind. Aber der Grund davon fehlt bei KANT. Wir können ihn nur finden, wenn wir die unmittelbare Erkenntnis ins Auge fassen. Wie entsteht unsere ursprüngliche Erkenntnis überhaupt? Ich sage mit KANT: "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist kein Zweifel", und ebenso
In § 15 der Kr. d. r. V. spricht KANT "Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt". Hier ist der Mangel und die Verwechslung, von der ich rede, besonders sichtbar. Er meint: das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer bloß sinnlichen Anschauung gegeben werden, die er bloß Empfänglichkeit nennt; aber die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen. Dieses ist ein actus der Spontaneität der Vorstellungskraft, und da man diese, zum Unterschied von der Sinnlichkeit, Verstand nennen muß, ist diese Synthesis eine Verstandeshandlung. - Ganz richtig sagt hier KANT, daß in der sinnlichen Wahrnehmung uns nur die Vorstellung des einzelnen, zerstreuten Mannigfaltigen gegeben wird. Da er nun nach seiner Auffassung neben der Sinnlichkeit keinen anderen Stamm unserer Erkenntnis hat, als den Verstand, so muß ihm natürlich die Verbindung dieses Mannigfaltigen als eine Tätigkeit des Verstandes erscheinen. Nun aber ist nach ihm der Verstand auch das Vermögen der Analysis, also des Gegenteils. Also würde der Verstand erst die Synthesis bewirken, und dann wieder dieselbe auseinandernehmen, analysieren; man sieht nicht, wozu? Es kommt das wunderliche Schauspiel heraus, als ob derselbe Verstand ein bloßes Spiel mit seiner Tätigkeit treibt; er verbindet die Vorstellungen, um zur Erkenntnis zu kommen, dann löst er die Verbindung, wie es scheint, um wieder durch eine neue Synthesis zur Erkenntnis zu kommen usw. KANT hat den offenbaren Widerspruch, der darin liegt, wohl gemerkt, denn er sagt gleich darauf:
Dieses Rätsel, diese Verwirrung löst sich leicht durch unsere Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erkenntnis, durch unsere Auffassung des Verhältnisses des Verstandes zur erkennenden Vernunft. Die unmittelbare Erkenntnis, sagte ich, entsteht durch die sinnliche Anregung und die Spontaneität, die Selbsttätigkeit unserer erkennenden Vernunft. Infolge der uns gegebenen Anregung wird uns Etwas zur Erkenntnis gegeben, nun faßt die erkennende Vernunft das so Gegebene nach der ihr eigentümlichen Weise auf, faßt es zusammen, verbindet und verknüpft es, weil eben alles Einzelne und Mannigfaltige in die Eine Form ihrer Erkenntnistätigkeit hineinfällt. Dies ist die ursprüngliche Synthesis in der unmittelbaren Erkenntnis. Dieses so Verbundene findet der reflektierende, denkende Verstand in unserem Innern vor; nun löst er das Verbundene, trennt es, unterscheidet die Bestandteile und vollzieht wieder seine Synthesis. Wir sehen aber, daß dies kein bloßes Spiel ist, sondern den wichtigen Zweck hat, durch Analysis und wiederholte Synthesis uns die ursprüngliche Verbindung und Verknüpfung zum klaren und vollständigen Bewußtsein und Verständnis zu bringen. Also durch die Spontaneität des denkenden, reflektierenden Verstandes werden wir uns der Spontaneität, der Selbsttätigkeit unserer erkennenden Vernunft bewußt. Aber dies wird von KANT nicht unterschieden, sondern miteinander verwechselt, er sieht und schildert nur die spontane Tätigkeit des reflektierenden Verstandes. ![]() |