p-4tb-2S. BryszJ. GuttmannP. SternR. Hönigswald    
 
FRIEDRICH HARMS
Kants Problem

"Kant unterläßt es, Hypothesen über Dunkelheiten aufzustellen, wie die empirische Psychologie es tut, indem sie das Wachsen der Tatsache der menschlichen Erkenntnis aus einem ersten zeitlichen Anfang beschreiben will, den Niemand kennt, weder in der Seele der Kinder, noch bei den Tieren, noch in einem sogenannten Urmenschen, der nur ein Produkt der Phantasie ist. Das Wachsen dieser Tatsachen aus einem Minimum ihres Anfangs zu beschreiben, ist außerdem gar nicht möglich, wenn diese Tatsache nicht vorher schon, wie sie gegeben ist, beobachtet worden ist."

"Das Problem, welches Kant der Philosophie gestellt hat, nach der Möglichkeit synthetischer Urteile, ist die Frage, wie eine Erweiterung und Vermehrung unserer Erkenntnis, wie ein Fortschreiten im Erkennen möglich ist. Durch die Anwendung der formalen Logik kann das nicht geschehen, da daraus immer nur analytische Urteile entstehen. Auch Kant verwirft daher, wie die gesamte neuere Philosophie, die formale Logik als Organon oder als Methodenlehre der Wissenschaften. Aus ihrer Anwendung folgt kein Fortschritt der Wissenschaften, sondern nur ihr Stillstand."

KANT nennt seine Philosophie die kritische und stellt sie der dogmatischen und skeptischen entgegen. Der Unterschied betrifft das Verfahren in der Philosophie. Dogmatisch ist die Philosophie, welche wie eine empirische Wissenschaft von der bloßen Annahme ausgeht, daß wir die Dinge erkennen, wie sie sind, und die Dinge daher existieren, wie wir sie anschauen und denken. Der Skeptiker bezweifelt diese Annahme des Dogmatikers, indem er bestreitet, daß wir die Dinge erkennen, wie sie sind, und daß sie existieren, wie wir sie anschauen und denken. Gegen die Dogmen der Philosophie richtet er seine Angriffe und zerstört, was jene aufgebaut haben.

Bis dahin war die Geschichte der Philosophie erfüllt gewesen vom endlosen Streit der Selbstgewißheit des Dogmatismus mit der Ungewißheit der skeptischen Philosophie. Der Despotismus der dogmatischen Philosophie war immer wieder durch die Anarchie der Skepsis untergraben worden und so war man zu keiner anerkannten Philosophie gekommen.

Beiden Verfahrensarten oder Maximen des Denkens stellt KANT die kritische Philosophie entgegen. Das kritische Verfahren, das er von Anfang an beobachtet hat, macht er zum Wesen der Philosophie. Er ist der Gründer des Kritizismus in der Philosophie. Weder durch bloßes Annehmen, noch durch bloßes Verwerfen und Bestreiten, sondern allein durch Kritik, d. h. durch eine Prüfung und Untersuchung können wir zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Kritisch heißt die Philosophie nicht wegen irgendwelcher Resultate, Ansichten und Lehrmeinungen, sondern weil sie sich im Erkennen auf einen gewissen Standpunkt, den des kritischen Urteis versetzt, weil sie im Denken ein gewisses Verfahren einhält. Es ist der Standpunkt der werdenden Wissenschaft, der Untersuchung und Forschung, woraus die Wahrheit hervorgehen soll. Wenn wir die Wahrheit suchen, so werden wir einerseits gestehen müssen, daß wir sie noch nicht besitzen und wir die Dinge noch nicht erkannt haben, wie sie sind, und andererseits können wir aus unserem Denken, aus den Vorstellungen, die wir haben, zu einer Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Dogmatismus und Skeptizismus bezeichnen nicht den Anfang, sondern den Verfall der Philosophie und der Wissenschaftsbildung. Sie treten nicht auf im Beginn, sondern am Ende einer Periode. Erst am Ende der griechischen Philosophie tritt der Dogmatismus in der stoischen und epikuräischen Philosophie hervor und daneben der Skeptizismus. Und ebenso ist es in der neueren Philosophie. Der Skeptizismus erscheint als das Endergebnis des Empirismus und Sensualismus der englischen Philosophie, welche, da sie ihre Prinzipien und Grundlagen von Neuem zu prüfen und zu untersuchen, der Kritik zu unterwerfen unterläßt, mit einem Skeptizismus abschließt, der nur aus ihrem unkritischen Verfahren resultiert. Aber dieser moderne Skeptizismus hat den Vorzug vor dem antiken, daß er nicht als bloße Bestreitung des Dogmatismus erscheint, sondern als ein Endergebnis einer ansich positiven Theorie, die jedoch in sich selbst ein Dogmatismus war. In seinem Endergebnis ist er skeptisch, in seinem Beginnen als Sensualismus aber dogmatisch.

Der Rationalismus in der neueren Philosophie, den CARTESIUS gründete, beginnt wohl skeptisch, aber er endet, je weiter er sich entwickelt, umso mehr mit einem Dogmatismus. Denn der Skeptizismus enthält keine wahre, sondern nur eine scheinbare Begründung der Philosophie, er verfährt ansich ebenso kritiklos wie der Dogmatismus. Die Wendungen des Zweifels müssen selbst erst der Kritik unterworfen werden, bevor sie zur Grundlegung der Philosophie dienen können. Der dogmatische Rationalismus trifft nur ein Abfinden mit dem Skeptizismus und beruhigt sich, nachdem er sich mit ihm auseinandergesetzt hat. Er sucht den Wendungen des Skeptizismus zu entgehen, ohne die Grundlosigkeit seiner Wendungen durch Kritik nachzuweisen.

In beiden Richtungen der neueren Philosophie vor KANT herrscht das Vorurteil, daß es eine Universaltmethode des Erkennens gibt, in der einen preist man die Induktion und die Empirie, in der anderen die mathematische Spekulation als Universalmethode des Erkennens. Jede Universalmethode ist skeptisch in ihrem Verhalten zu den Erkenntnissen, welche auf ihrem Weg nicht gefunden werden können und dogmatisch in ihrem eigenen Verfahren. Daher zeigen sich Dogmatismus und Skeptizismus in beiden Richtungen der neueren Philosophie vor KANT.

Die mathematische Spekulation als Universalmethode ist skeptisch gegen alle Empirie, welche sie nur als eine Sammlung verworrener und daher leerer und erkenntnisloser Vorstellungen ansieht, und die sensualistische Induktion ist skeptisch gegen alle begriffliche Erkenntnis, welche sie nur als eine gewohnheitsmäßige, gedächtnisartige Sammlung, Reproduktion und Vergesellschaftung von sinnlichen Vorstellungen betrachtet.

Sie bestreiten einander gegenseitig die Grundlage ihres Verfahrens, die Realität der Erfahrung auf der einen Seite und die Gesetzmäßigkeit des Denkens auf der anderen Seite. Zuletzt endet der Empirismus mit der Furcht vor allen Tatsachen, die er abgöttisch verehrt, indem er auf alle Erklärung der Tatsachen verzichtet und sich nur daran erfreut, sie zu erleben; und der Rationalismus, indem er vulgär wird, endet mit der Aufklärerei, welche Alles meint erkannt zu haben, wenn sie alle Vorstellungen Jederman klar und deutlich gemacht hat.

Der Skeptizismus des Rationalismus ist der niedere Skeptizismus, der die Realität der Erfahrung in Zweifel zieht, der Skeptizismus des Empirismus aber der höhere Skeptizismus, der die Wahrheit der intellektuellen Erkenntnis bestreitet. Weder der Dogmatismus noch der Skeptizismus sind in der neueren Philosophie für sich getrennt voneinander vorhanden, wodurch sie sich von der alten Philosophie unterscheidet, sondern beide sind in beiden Richtungen der neueren Philosophie enthalten, und nur im Bezug aufeinander kann man den Rationalismus einen Dogmatismus und den Empirismus einen Skeptizismus nennen, indem man das skeptische Element des Rationalismus und das dogmatische des Empirisums unbeachtet läßt. Beide sind eine Folge des unkritischen Verfahrens in der Philosophie vor KANT, indem sie entweder die Empirie oder die Mathematik als Norm für alles Erkennen annehmen und selbst nicht die Möglichkeit des Erkennens erforschen.

Der Dogmatismus behauptet die Realität der Erkenntnis, der Skeptizismus bezweifelt und bestreitet sie. Beide aber verfahren unwissenschaftlich, da der Dogmatismus seine Annahme ebensowenig begründet, wie der Skeptizismus seine Zweifel, er zerstört nur, was der Dogmatismus aufbaut. Beide Verfahrensarten in der Philosophie setzt sich der Kritizismus entgegen, indem er der Philosophie das Problem stellt nach der Möglichkeit der Erkenntnis. Die Philosophie muß die Möglichkeit des Erkennens untersuchen, rechtfertigen und begründen. Die Annahme oder die Bestreitung der Realität der Erkenntnis im Dogmatismus und Skeptizismus ohne alle Untersuchung und Begründung entspricht nicht dem Wesen der Philosophie als einer Wissenschaft, vielmehr muß sie die Möglichkeit der Erkenntnis, den Grund von aller Erkenntnis erforschen.

Alle übrigen Wissenschaften, welchen Namen sie auch haben mögen, haben ihr Wissen darin, daß sie irgendeinen besonderen Gegenstand erkennen; das Wissen und Erkennen selbst aber ist nicht ihr Gegenstand. Was in allen Wissenschaften verborgen und ununtersucht bleibt, die Möglichkeit des Erkennens, ist das Problem der Philosophie. Die Philosophie ist daher ihrem Begriff nach kritische Philosopie, welche über die Möglichkeit, die Wahrheit und Gewißheit des Erkennens entscheidet. Darin, daß KANT dies erkannte, liegt seine epoachemachende Bedeutung. Alle frühere Philosophie war nur wie eine empirische Wissenschaft, welche besondere Gegenstände erkennt. Die Philosophie ist Philosophie durch ihr Problem, den Begriff des Erkennens zu erklären und zu begründen.

Nicht die Tatsache des Erkennens, welche man beobachten und beschreiben kann, wie es LOCKE getan hat, sondern die Möglichkeit des Erkennens soll die Philosophie untersuchen. Die Möglichkeit des Erkennens untersuchen heißt die Bedingungen des Erkennens erforschen, welches daher auch nicht durch ein empirisches, sondern nur durch ein philosophisches Verfahren geschehen kann. Die Tatsache des Erkennens im Leben und in allen Wissenschaften läßt sich beobachten, über die Möglichkeit des Erkennens kann aber durch eine Beobachtung keine Entscheidung gefunden werden.

Aufgrund der Wirklichkeit kann die Möglichkeit untersucht werden. Ein Erkennen, das ist nicht, kann auch nicht Gegenstand des Erkennens sein. Wenn daher die kritische Philosophie die Möglichkeit des Erkennens untersucht, so muß es ein Erkennen geben, dessen Möglichkeit sie untersucht. Von der Tatsache des Erkennens geht KANT daher auch aus, und zwar von der Tatsache des Erkennens in der Mathematik, in der Physik, in der Metaphysik, indem er die Möglichkeit und die Bedingungen des Erkennens untersucht. Es besteht gerade hierin der Vorzug oder Wesen von KANTs Kritizismus, daß er in allen seinen Untersuchungen von der vollen Tatsache des Erkennens, wie sie sich beobachten läßt, ausgeht, indem er ihre Möglichkeit erforschen will. Der Kritizismus ist keine empirische Psychologie, welche, wenngleich vergeblich, erst das Wachsen dieser Tatsache aus einem Minimum ihres Anfangens beschreiben will. Dieses Vorurteil des Empirismus muß man vielmehr ableben, wenn man zu einer richtigen Auffassung des Kritizismus gelangen will. Es handelt sich im Kritizismus gar nicht um das, womit eine empirische Psychologie sich zu schaffen macht. KANT unterläßt es daher auch, Hypothesen über Dunkelheiten aufzustellen, wie die empirische Psychologie es tut, indem sie das Wachsen der Tatsache der menschlichen Erkenntnis aus einem ersten zeitlichen Anfang beschreiben will, den Niemand kennt, weder in der Seele der Kinder, noch bei den Tieren, noch in einem sogenannten Urmenschen, der nur ein Produkt der Phantasie ist. Das Wachsen dieser Tatsachen aus einem Minimum ihres Anfangs zu beschreiben, ist außerdem gar nicht möglich, wenn diese Tatsache nicht vorher schon, wie sie gegeben ist, beobachtet worden ist. Die empirische Wissenschaft von der menschlichen Erkenntnis, wie sie im Sensualismus der englischen und französischen Philosophie ausgebildet worden ist, will progressiv verfahren, während KANT regressiv zu Werke geht, indem er die Tatsache der Erkenntnis als gegeben annimmt.

Ohne Zweifel finden sich in der neueren Philosophie vor KANT Bestrebungen, welche auf den Kritizismus hinzielen. Sie finden sich in allen Werken der neueren Philosophie, welche Untersuchungen enthalten über den menschlichen Verstand, bei LOCKE und HUME, bei LEIBNIZ und CONDILLAC, bei SPINOZA und MALEBRANCHE u. a. Sie bezeugen zugleich das Bestreben der gesamten neueren Philosophie nach einer Reform der durch das Mittelalter überlieferten formalen Logik. Dennoch ist erst der Gründer des Kritizismus durch seine Auffassung des Problems einer kritischen Philosophie und durch sein Verfahren in der Lösung dieses Problems. Schon vor KOLUMBUS kannte man Amerika, und dennoch hat er es erst entdeckt. Dasselbe gilt vom Kritizismus. Die gesamte neuere Philosophie will die Reform der Logik und tendiert zum Kritizismus. Gegründet ist er aber erst durch KANT, er ist seine Tat in der Geschichte der Philosophie.

KANT hat nun aber eine Wissenschaft von der Möglichkeit der Erkenntnis nicht nach ihrem ganzen Umfang ausgeführt, sondern dem Problem derselben eine spezielle Fassung gegeben, indem er die Frage stellt, wie sind synthetische Urteile a priori möglich. Er richtet seine Untersuchung nur auf die synthetischen und nicht auf die analytischen Urteile, auf die apriorische und nicht auf die empirische Erkenntnis. Sollte eine Wissenschaft von der Erkenntnis vollständig sein, so scheint es, müßte sie auch die Möglichkeit der empirischen Erkenntnis und der analytischen Urteile untersuchen. Diese Untersuchung schließt KANT aber aus.

Die Wissenschaft von den analytischen Urteilen ist die formale, aristotelische oder analytische Logik. Sie zu erneuern, ist nicht KANTs Absicht, er läßt sie nur stehen und ehrt sie als eine alte Überlieferung der Philosophie. Sie genügt auch nicht für die Ausbildung der Wissenschaften und den Fortschritt in der Erkenntnis. Durch die Analyse unserer Begriffe wird unsere Erkenntnis nicht erweitert.

Auch die empirischen Begriffe zieht KANT nicht weiter in Betracht. Die Erfahrung lehrt Jedermann ihren Ursprung und beglaubigt ihre Gültigkeit. Ihre allmähliche Bildung zu beschreiben, wie es LOCKE getan hat, ist wohl verdienstlich und von Interesse, genügt aber nicht für die Lösung des Problems über die Möglichkeit der Erkenntnis. Denn die Empirie lehrt uns wohl viel Neues, sie gibt aber keine Wissenschaft, keine allgemeine und notwendige Erkenntnis. KANT hat kine Theorie der Empirie, sondern die der Erkenntnis a priori in synthetischen Urteilen geben wollen. Nur nebenbei zieht er auch die analytischen Urteile im Gegensatz zu den synthetischen, und die empirische Erkenntnis im Gegensatz mit der Erkenntnis a priori in Betracht. Er beschränkt daher das Problem und scheint es nicht nach seinem ganzen Umfang zu behandeln, wenn er nur nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori frägt. Dies ist aber doch nicht der Fall. Denn die Analyse der Begriffe, so notwendig sie auch sein mag, und die bloße Sammlung der Empirie oder der Tatsachen sind nur Bruchteile der Erkenntnis und daher selbst keine Erkenntnis. Die wahre und vollständige Erkenntnis besteht in einem synthetischen Urteil a priori. KANT hat daher den Begriff der Erkenntnis anders bestimmt, als vor ihm geschehen ist. Die Möglichkeit der Erkenntnis untersuchen heißt die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori nach ihren Bedingungen erforschen.

Erkenntnis besteht nach KANT wie nach der aristotelischen Logik im Urteil. Urteilen heißt eine Erkenntnis erteilen. Der Begriff des Urteils gibt die Auffassung vom Wesen der Erkenntnis. KANT meinte nun aber, daß es zwei Arten von Urteilen gibt: analytische und synthetische. Dies ist aber nur eine Konzession gegen die frühere formale und analytische Logik des ARISTOTELES, wonach alle Urteile nur in der Analyse eines Begriffs bestehen solle. Indem Kant zwei Arten von Urteilen anerkennt und nebeneinander bestehen läßt, hat er das Verständnis seiner eigenen Lehre erschwert; denn nur das synthetische Urteil ist nach KANT das Wesen der Erkenntnis, das analytische aber nicht. Erkenntnis besteht im synthetishen, aber nicht im analytischen Urteilen.

Das analytische Urteil entsteht aus der Analyse eines Begriffs seinem Inhalt oder seinem Umfang nach, wodurch er klar und deutlich wird. Der Prädikatsbegriff im analytischen Urteil macht uns klar und deutlich, was vorher schon im Subjektsbegriff gedacht worden ist, sie erweitern daher nicht unsere Erkenntnis. Die Gültigkeit dieser Urteile ruht auf dem Grundsatz des Widerspruchs. Es entsteht ein Widerspruch, wenn ich in einem analytischen Urteil versuche, das Prädikat vom Subjekt zu verneinen. Das Prädikat ist mit dem Subjekt im analytischen Urteil nach dem Grundsatz des Widerspruchs notwendig verbunden. Analysiere ich den Begriff des Körpers, so finde ich das Prädikat der Ausdehnung und erhalte das analytische Urteil: alle Körper sind ausgedehnt. Der Prädikatsbegriff ist in und durch den Subjektsbegriff gegeben. Ich kann auch das Prädikat vom Subjekt nicht verneinen, ohne daß ein Widerspruch entsteht. Eine Körper ohne Ausdehnung ist Nichts. In all diesen Urteilen ist daher auch eine logische Notwendigkeit. Die Urteils- und Schlußformen der formalen Logik sind die Mittel, welche zur Analyse der Begriffe dienen, wodurch sie klar und deutlich werden. Alle Urteile der formalen Logik sind daher auch nur analytische Urteile, worin nach dem Grundsatz des Widerspruchs eine notwendige Verbindung des Prädikats mit dem Subjekt gedacht wird. Bestände alle unsere Kenntnis nur in analytischen Urteilen, so ist gar nicht einzusehen, wie wir die Erkennenisse erweitern und im Erkennen fortschreiten können.

Das synthetische Urteil entsteht nicht aus der Analyse eines Begriffs, und seine Gültigkeit ruht daher auch nicht auf dem Grundsatz des Widerspruchs. Im synthetischen Urteil kommt das Prädikat zum Subjekt erst durch eine Verbindung hinzu, sie erweitern daher die Erkenntnis. Aller Fortschritt im Erkennen ruht auf synthetischen Urteilen. Es entsteht kein Widerspruch, wenn ich in einem synthetischen Urteil das Prädikat von einem Subjekt negiere. Wenn dennoch das Prädikat mit dem Subjekt nicht zufällig, sondern notwendig verbunden gedacht wird, so gründet sich diese Verbindung auch nicht auf dem Grundsatz des Widerspruch und erfordert daher eine andere Begründung.

Alle Erfahrungsurteile sind nach KANT synthetische Urteil. Denn durch die Erfahrung wird unsere Erkenntnis ständig vermehrt und erweitert, wir erlangen dadurch neue Prädikate, welche nicht durch die Analyse eines Begriffs gefunden werden können. Die Erfahrungsurteile ruhen auf Synthesen und nicht auf Analysen, und ihre Gültigkeit gründet sich nicht auf dem Satz des Widerspruchs.

Das Urteil, alle Körper sind schwer, ist nach KANT ein synthetisches Urteil, welche auf der Erfahrung beruth. Der Begriff der Schwere kann nicht durch eine Analyse aus dem Begriff des Körpers gefunden werden, sondern ist durch die Erfahrung erworben. Geometrische Körper sind wohl ausgedehnt, aber nicht schwer. Das Prädikat der Schwere liegt nicht im Begriff des Körpers, wie das Prädikat der Ausdehnung erfordert daher auch eine andere Begründung, als die formale Logik überall zu geben vermag.

Der Unterschied, den KANT zwischen den analytischen und den synthetischen Urteilen annimmt, ist ein objektiver, nicht bloß subjektiver Unterschied, wie Manche gemeint haben, wenn sie lehren, daß alle Urteile ebenso sehr analytisch wie synthetisch sind, da, was für den Einen, der schon ein Begriff von einem Gegenstand hat, eine Analyse ist, für den Andern, der diesen Begriff noch nicht erworben hat, eine Synthesis ist. Die Unterscheidung wäre demnach eine reine Willkür und von der zufälligen Bildungsstufe des Denkenden abhängig. Eine solche Ansicht ist die Annullierung einer jeden Logik. Allein dies is weder KANTs Meinung noch der Sache gemäß. Der Unterschied ruht nicht bloß in einer Betrachtungsweise, da die Verbindung in beiden Urteilsformen eine verschiedene ist. und ihre Gültigkeit daher auch nach verschiedenen Grundsätzen verurteilt wird. Sollte dieser Unterschied ein bloß subjektiver sein, so würde zumidnest die Erfahrung für uns gar keine Bedeutung und keinen Erkenntniswert haben, da, was durch die Analyse eines Begriffs erkannt werden kann, auch ohne die Erfahrung möglich sein muß. Die Urteile der Erfahrung sind jedenfalls keine Analysen, sondern ursprüngliche Synthesen im Erkennen. Selbst wenn jemand den sogenannten absoluten Begriff hätte, so würde er doch nicht durch die Analyse dieses Begriffs das Wirkliche, die Tatsachen der Erfahrung, zu erkennen imstande sein.

Das Problem, welches KANT der Philosophie gestellt hat, nach der Möglichkeit synthetischer Urteile, ist die Frage, wie eine Erweiterung und Vermehrung unserer Erkenntnis, wie ein Fortschreiten im Erkennen möglich ist. Durch die Anwendung der formalen Logik kann das nicht geschehen, da daraus immer nur analytische Urteile entstehen. Auch KANT verwirft daher, wie die gesamte neuere Philosophie, die formale Logik als Organon oder als Methodenlehre der Wissenschaften. Aus ihrer Anwendung folgt kein Fortschritt der Wissenschaften, sondern nur ihr Stillstand.

Die Mathematik und die Naturwissenschaften, seitdem sie sich neu konstituiert haben nach dem Ausgang des Mittelalters, sind aber doch in einem beständigen Fortschreiten im Erkennen begriffen. Auch diese Tatsache hat KANT vor allem mit veranlaßt, das Problem sich zu stellen nach der Möglichkeit der Erkenntnis in synthetischen Urteilen. Und seine "Kritik der reinen Vernunft", welche diese Frage beantwortet, ist eine neue Logik, eine neue Methodenlehre der Wissenschaften. Die Logik der analytischen Urteile ist die Logik des ARISTOTELES, aus der im Mittelalter die formale Logik entstanden ist. Die Logik der synthetischen Urteile, welche vor KANT nicht existierte, ist die Kritik der reinen Vernunft. Die Tatsache der Erkenntnis liegt der Erforschung ihrer Möglichkeit zugrunde. Die Reform der Logik, der Methodenlehre der Wissenschaften steht im Zusammenhang mit der Fortentwicklung der realen Wissenschaften.

Nach KANT gibt es nun aber nicht bloß synthetische Urteile der Erfahrung oder a posteriori, sondern auch synthetische Urteile a priori. KANT geht von der Tatsache aus, daß wir apriorische, wie empirische Kenntnis besitzen, daß wir analytische, wie synthetische Urteile fällen. Apriorische Erkenntnis besitzt die Mathematik, die allgemeine Physik; ja selbst der gemeine Mann hat Erkenntnis a priori, wenn er annimmt, daß alles, was geschieht, seine Ursache hat. Wissenschaft ist überall nicht möglich ohne Erkenntnisse a priori, denn die Erfahrung ist nur eine Sammlung von singulären und zufälligen Wahrnehmungen, aber keine Wissenschaft, welche sich auf allgemeinen und notwendigen Erkenntnissen gründet.

Die Erkenntnis a priori ist Erkenntnis a priori in analytischen oder in synthetischen Urteilen. Wenn der Schwefel ein Körper ist, so weiß ich a priori durch die bloße Analyse des Begriffs von einem Körper, daß der Schwefel nach drei Dimensionen ausgedehnt ist, wie ich durch bloße Erfahrung weiß, daß er gelb ist. Es gibt aber auch Erkenntnisse a priori in snythetischen Urteilen, welche durch keine Analyse eines Begriffes gefunden werden können. Im Begriff des Geschehens liegt nur die Aufeinanderfolge von Begebenheiten, aber nichts davon, daß die eine die andere bewirkt oder verursacht. Dennoch urteilen wir a priori, daß alles, was geschieht, seine Ursache hat. Die Erfahrung zeigt uns überall keine Ursache, sondern nur eine zufällige Reihe von Begebenheiten. Durch die bloße Analyse des Geschehens finden wir keine Ursache. Dennoch verbindet der Verstand mit dem Begriff des Geschehens beständig das Urteil, daß nichts ohne Ursache geschieht. Die synthetischen Urteile a posteriori gründen sich auf Erfahrung, die analythischen Urteile a priori auf den Grundsätzen und Verfahrensarten der formalen Logik; aber worauf gründen sich die synthetischen Urteile a priori, welche erst Erkenntnisse möglich machen, worauf die Entwicklung der Wissenschaften fortschreitet? Weder die bloße Empirie noch das alte Organon der Wissenschafen, die gewöhnliche Logik, geben eine Antwort auf diese Frage. Die Philosophie oder die Wissenschaft von der Erkenntnis muß daher vor allem diese Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori lösen, welche den Begriff des Erkennens selbst enthalten.

Die synthetischen Urteile a priori ruhen auf Begriffen, welche zu allem Gegebenen der Empirie, wie zum Geschehen allgemein und notwendig hinzugedacht werden. Aber woher stammen diese Begriffe, welche durch keine Erfahrung gegeben sind, da sie zu aller Erfahrung hinzugedacht werden, welche durch keine Analyse gefunden werden, und welche Gültigkeit, Wahrheit und Berechtigung liegt in der Anwendung dieser Begriffe in aller Erkenntnis?

Der frühere Rationalismus nannte sie angeboren. Allein dies erklärt nichts, sondern konstatiert nur die Tatsache, daß wir solche Begriffe, aus denen synthetische Urteile a priori entspringen, besitzen. Der Sensualismus hält sie für zweifelhaft, er will sie als durch die Erfahrung gegeben nachweisen, da er aber dies doch nicht vermag, will er sie aus Gewohnheiten des Vorstellens herleiten, und da sie auch aus den Gewohnheiten des Vorstellens, welche doch keine Sinne sind, die den Ursprung aller Begriffe enthalten sollen, sich nicht ergeben, gerät er nur noch mehr in Zweifel über den Ursprung und die Gültigkeit dieser Begriffe. Der Sensualismus, da er dieses Problem nicht lösten konnte, bezweifelt und bestreitet nur die Tatsache der menschlichen Erkenntnis, wie sie durch die Existenz der Wissenschaften gegeben ist. Der Tatsache gegenüber aber muß der sensualistische Skeptizismus schweigen, gegen die Tatsache kann er nicht räsonnieren [argumentieren - wp]. Da er die Tatsache aber nicht zu erklären vermochte, deutete er sie nur um in die Konsequenzen seiner sensualistischen Theorie. Diese Konsequenzmacherei ist das Übel des Sensualismus und Empirismus, dem es vor allem abgeht, Tatsachen, wie sie gegeben sind, aufzufassen und anzuerkennen. Der Empirismus in der Philosophie ist das gerade Gegenteil des empirischen Verfahrens in den Erfahrungswissenschaften. Die sogenannten Empiriker in der Philosophie, welche für ihre Ausbildung beständig die Erfahrung preisen und empfehlen, kennen sie und ihren Gebrauch am allerwenigsten. Man lernt sie und ihren Gebrauch auch nur in der Erfahrungswissenschaft selbst kennen.

KANT frägt nicht, ob Erkenntnis, ob synthetische Urteil a priori möglich sind, sondern er frägt, wie sie möglich sind. Die Frage, ob Erkenntnis möglich ist, ist überall kein lösbares Problem. Denn um zu entscheiden, ob Erkenntnis möglich ist, wird schon vorausgesetzt, daß Erkenntnis möglich ist. Selbst um zu erkennen, daß ich nicht erkennen kann, muß ich die Möglichkeit der Erkenntnis schon annehmen. In dem Problem, ob Erkenntnis möglich ist, ist daher ein Widerspruch, weshalb seine Lösung unmöglich ist. Ein Problem, in dessen Stellung ein Widerspruch enthalten ist, kann nicht gelöst, sondern muß verworfen werden. Die Verwerfung der Widersprüche im Denken ist die einzig richtige Behandlung, welche sie verdienen. Mit Recht hat KANT daher nicht gefragt, ob Erkenntnis, sondern wie synthetische Urteile a priori möglich sind.

Daher trifft auch HEGELs Polemik gegen KANTs Problemstellung diese überall nicht. HEGEL meint (Enzyklopädie, Werke, Seite 15), das Unternehmen KANTs, die Möglichkeit der Erkenntnis zu untersuchen, gleicht dem weisen Vorsatz des Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er ins Wasser geht, denn eine Untersuchung über die Möglichkeit des Erkennens ist selbst ein Erkennen. Erkennen aber wollen, bevor man erkennt, gleicht dem Unternehmen des Scholastikus, schwimmen lernen zu wollen, bevor er sich ins Wasser wagt. Diese Entgegnung trifft aber überall nicht KANTs Unternehmen. Denn KANT hat nicht gefragt, ob Erkenntnis, sondern wie Erkenntnis möglich ist. Schwimmen lernen kann man überdies auch, bevor man ins Wasser geht, da man es auch in der Luft lernen kann. Auch wird niemand blindlings und auf das Geratewohl hin sich ins Wasser stürzen, um schwimmen zu lernen. Das Erkennen aber auszuüben, wie HEGEL es empfiehlt, ist eine bloße Gymnastik des Denkens, der gegenüber KANTs besonnene Problemstellung, wie Erkenntnis möglich ist, am rechten Ort ist, da Wissenschaft nicht blindes Erkennen, sondern ein methodisches Verfahren im Erkennen ist, und die Möglichkeit des Erkennens, welches die übrigen Wissenschaften üben, zu untersuchen, das Problem der Philosophie ist.

Die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis, oder nach den Bedingungen, unter denen Erkenntnis möglich ist, betrifft den Ursprung, die Vermittlung und das Ziel oder den Gegenstand und die Wahrheit der Erkenntnis. Die Erkenntnis entspringt, einerlei wie, aus der Seele, die Untersuchung über den Ursprung der Erkenntnis nennt man daher auch die psychologische. Die Vermittlung im Erkennen geschieht durch die Funktionen des Gedankens und ist Gegenstand der Logik; die Untersuchung aber über den Gegenstand [rick41] und die Wahrheit der Erkenntnis ist metaphysisch. In jeder Erkenntnis und Wissenschaft sind diese drei Elemente, das psychische, logische und metaphysische enthalten. Die Zerlegung aller Erkenntnis in diese drei Elemente hat keine Schwierigkeit, wie es leicht und plausibel ist, auf dieser Zerlegung die drei Disziplinen der Psychologie, der Logik und der Metaphysik zu bilden, von denen sich jede es mit einem Element der Erkenntnis, jedoch geschieden und getrennt voneinander, zu schaffen macht. Das Problem einer Wissenschaft vom Erkennen vermögen diese drei Disziplinen aber nicht zu lösen, denn jede vermag nicht einmal das Element, auf dem sie sich konstituiert, richtig aufzufassen und zu begreifen, da sie die Elemente voneinander zerreißen und keine von ihnen daher imstande ist, eine genügende Erklärung vom Wesen und dem Vorgang des Erkennens zu geben. In ihrer Isolierung voneinander bilden sie die empirische Psychologie, die formale Logik und die dogmatische Metaphysik, welche Bruchteile eines Ganzen sind, das in ihnen niemals zur Erkenntnis kommen kann. Die Aufhebung dieser ehemaligen Disziplinen der Philosophie, alte mittelalterliche Traditionen, ist der erste Schritt zur Lösung des Problems einer Wissenschaft von der Erkenntnis. Die Zerlegung der Erkenntnis in ihre Elemente ist für sie nur das Mittel, um die Möglichkeit des Erkennens zu begründen, da jene Elemente, welche künstlich voneinander geschieden werden, stets miteinander verbunden erst eine wirkliche Erkenntnis enthalten.

Es ist das Verdienst von KANTs "Kritik der reinen Vernunft", daß sie zuerst das Problem einer Wissenschaft von der Erkenntnis nach seinem ganzen Umfang untersucht hat, indem sie die Erkenntnis nach den genannten drei Elementen im Zusammenhang miteinander erforscht. Daher ist auch nichts hinderlicher für das Verständnis und die Beurteilung der kantischen Lehre, als sie vom Standpunkt einer der drei ehemaligen Disziplinen der Philosophie, der empirischen Psychologie, der formalen Logik oder der dogmatischen Metaphysik in Betracht zu ziehen, was stets zu einer verkehrten Interpretation verleitet. Der Fortschritt, den die Philosophie durch KANT gewonnen hat, besteht zuerst in seiner Problemstellung. Ein neues Problem hat KANT der Philosophie durch die Frage, wie sind synthetische Urteile a priori möglich, gestellt, wodurch er der Gründer der deutschen Philosophie geworden ist. Wer der Wissenschaft ein neues Problem zu stellen versteht, bringt dadurch auch auf allen Gebieten des Erkennens alle Kräfte der Forschung in Bewegung.


Die Lösung des Problems.

KANTs Lösung seines Problems ist enthalten in seiner "Kritik der reinen Vernunft", in der "Kritik der praktischen Vernunft" und in der "Kritik der Urteilskraft". Diese drei Werke zusammen enthalten den Kritizismus KANTs, nicht aber die Kritik der reinen Vernunft für sich allein. "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können", dienen zur Ergänzung seiner Kr. d. r. V. "Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" enthält eine Einleitung zur "Kritik der praktischen Vernunft". Die Habilitationsschrift "De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principis" enthält den ersten Entwurf des Kritizismus KANTs, woraus die "Kritik der reinen Vernunft" entstanden ist.

Die "Kritik der reinen Vernunft" beschäftigt sich mit der Möglichkeit der theoretischen Erkenntnis, welche sich auf das Seiende bezieht. Die "Kritik der praktischen Vernunft" untersucht die praktische Erkenntnis, welche auf das, was sein soll, gerichtet ist. Der Gegenstand der praktischen Erkenntnis ist das Ideale, der Gegenstand der theoretischen das Reale. Die "Kritik der Urteilskraft" erzielt eine Vermittlung zwischen der theoretischen und der praktischen Erkenntnis, dem Idealen und dem Realen, der physischen und der ethischen Erkenntnis.

Zur theoretischen Erkenntnis gehört nach alter Einteilung die Mathematik, die Physik und die Metaphysik. Die Untersuchung über die theoretische Erkenntnis zerfällt daher in die drei Fragen nach der Möglichkeit der mathematischen, der naturwissenschaftlichen und der metaphysischen Erkenntnis. KANT beginnt die Lösung seines Problems mit der Untersuchung über die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori in der Mathematik.

Hieraus ist ein Mangel in der Darstellung der kantischen Philosphie entstanden. Indem KANT sein Problem sogleich im Besonderen abhandelt, unterläßt er es, die allgemeinen Bedingungen und Voraussetzungen seiner Lösung für sich abzuhandeln. Er setzt daher als bekannt und gewiß voraus, was zweifelhaft erscheint und nicht als bekannt gelten kann.

Eine Kritik der Erkenntnis ist nicht möglich ohne einen idealen Begriff vom Wesen der Erkenntnis, was sie leisten soll, welches Ziel sie hat und womit im Vergleich jede einzelne Erkenntnis beurteilt und gemessen wird. Ohne Zweifel ist in KANTs Werken ein solcher Begriff vorhanden, allein er nimmt ihn als bekannt und zugegeben an, und begründet ihn überall nicht. Erkenntnis, meint KANT, ist nach ihrer Bestimmung, ihrem wahren Begriff nach, eine Erkenntnis der Dinge wie sie sind oder wie sie ansich sind. Alle Prüfung der Erkenntnis ist bei ihm eine Untersuchung und Beurteilung derselben nach diesem in der Tat idealen Begriff, dessen Erörterung vorausgesetzt ist. Der Begriff eines Dings-ansich, den man wohl den Begriff a priori kat exochen [schlechthin - wp] der kantischen Philosophie genannt hat und in dem der Charakter ihrer ganzen Denkweise enthalten ist, stammt aus dem idealen Begriff der Erkenntnis oder des Wissens, wie KANT dasselbe auffaßt. Es ist kein wahres Wissen vorhanden anders als in der Erkenntnis des Seins oder der Dinge ansich. Dies ist die absolute Wahrheit, oder die reale und metaphysische Wahrheit, welche KANT als Maßstab und Kriterium zur Beurteilung jeder einzelnen Erkenntnis voraussetzt. Sie ist das Ziel allen Denkens, mögen wir dasselbe erreichen können oder nicht, ohne ihre idealen Begriff ist keine Kritik des Erkennens möglich. In dieser Voraussetzung stimmt KANT völlig überein mit dem platonischen und dem Rationalismus seit CARTESIUS. Nur macht er von diesem Begriff einen anderen Gebrauch, da er ihn zur Beurteilung von der Möglichkeit aller Erkenntnis verwendet.

Man kann zweifeln, ob der ideale Begriff des Erkennens aus dem der Begriff des Dings-ansich entspringt, der absoluten Wahrheit, wie KANT ihn auffaßt, richtig ist, und aus KANTs Lehre sind gerade in der Entwicklung der deutschen Philosophie solche Zweifel entstanden, welche dahin geführt haben, diesen Begriff in anderer Weise zu erklären und aufzufassen, und man wird sich auch mit Recht eine Untersuchung dieser Voraussetzungen, welche KANT macht, vorbehalten müssen; wie die kantische Philosophie nun aber einmal gegeben ist, bleibt nichts Anderes übrig, wenn man sich den Eingang in sie nicht im Voraus vverschließen will, als diese Voraussetzungen vorläufig zu akzeptieren, denn ihr Mangel läßt sich nicht, wie es von REINHOLD versucht worden ist, von fremder Hand verbessern, so wenig, wie dies bei vielen Kunstwerken möglich ist.
LITERATUR: Friedrich Harms, Die Philosophie seit Kant, Berlin 1876